Personalentwicklung im Bereich Seelsorgepersonal

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3. Strategische Personalentwicklung als Teil von Veränderungsgestaltung

Strategische Personalentwicklung wird verstanden als systematisch gestalteter Prozess, der es ermöglicht, Leistungs- und Lernpotenziale von Mitarbeitern zu erkennen, zu gestalten und in Abstimmung mit dem gegenwärtigen und zukünftigen Organisationsbedarf verwendungs- und entwicklungsbezogen zu definieren. Im Gegensatz zu operativen Handlungen lösen strategische Entscheidungen langfristige und ganzheitliche Probleme und orientieren sich nicht am Tagesgeschäft. Der Begriff der Strategie bezieht sich in Bezug auf Personalentwicklung auf die bewusste und langfristig angelegte Gestaltung des Spannungsfeldes zwischen Dienstleistung für den Arbeitgeber und Dienstleistung für den einzelnen Mitarbeiter. Strategische Personalentwicklung unterstützt den Prozess einer lernenden Organisation, da bewusst sowohl Wissensvermittlung als auch die Vermittlung von Selbstlernkompetenzen angestrebt ist. Die Strategie jeder Personalentwicklung ist ausgerichtet an den expliziten und impliziten Zielen einer Organisation.

Im Folgenden werden wesentliche Entwicklungsschritte im Verständnis von Personalentwicklung skizziert, Ziele und Methoden strategischer Personalentwicklung aufgezeigt. Ein kritischer Zwischenruf soll personalentwicklerischen Allmachtsphantasien Einhalt gebieten. Am Ende dieses Kapitels wird die Bedeutung der organisationsspezifischen Rahmenbedingungen als Teil von Personalentwicklung thematisiert.

3.1 Zur Geschichte der Personalentwicklung: Idealtypische Phasen der Entwicklung des Personalwesens im 20. Jahrhundert

Personalentwicklung als Denk- und Handlungshorizont meint mehr als die alten betriebspädagogischen Ansätze, die zum Ziel hatten, Mitarbeiter zum Lernen für die Organisation zu motivieren. Auch die täglichen Arbeitsabläufe, die vorgegebenen Strukturen und Kommunikationsmodelle haben Einfluss darauf, ob sich Vorstellungen, Ansichten und Denkweisen des Einzelnen im Laufe der Jahre lediglich verfestigen und erhärten, oder ob lebenslange Lern- und Veränderungsbereitschaft der Mitarbeiter (und der Leitung) gefördert und belohnt wird.

Anstehende Veränderungsprozesse können niemals nur über Bildung oder Bewusstseinsveränderung des Personals laufen, sondern müssen die tragenden Säulen eines Organisationssystems, d. h. soziale Faktoren (Kultur und Führungsstile), Technologien (Informationstechnik und Arbeitsplatzgestaltung) bis hin zu baulichen Maßnahmen (Bürogestaltung und Pfarrsäle) einbeziehen.

Ökonomische Rahmenbedingungen wie knapper werdende Budgets und steigende Kosten oder gesellschaftliche Vorgaben wie Wettbewerb und rechtliche Regulierungen sind Handlungsbedingungen, die Instrumente der Personalentwicklung wie z.B. individuelle Laufbahnplanung beeinflussen. „Harte“ Faktoren (Stellenpläne, tarifliche Eingruppierungen, Personalkostenpläne) müssen kompatibel sein mit Konzepten von Personalentwicklung.

Die vielfältige Praxis und die begrifflich-theoretische Aufarbeitung von Personalentwicklung stellen Phänomene dar, die erst in größeren bzw. komplexen sozialen Systemen entstanden bzw. notwendig geworden sind. Der Wandel im Verständnis kirchlicher Personalentwicklung wird nachvollziehbar auf dem Hintergrund der allgemeinen Geschichte der Personalentwicklung.

Betriebliche Qualifizierungsprozesse haben in Deutschland, wie auch in anderen Ländern, eine lange Tradition. Sie reichen bis ins mittelalterliche Handwerk zurück, in dem Arbeiten und Lernen nicht getrennt waren. Man lernte für die Arbeit und bei der Arbeit durch die Arbeit. Das Prinzip der Meisterlehre hat sich mit Abwandlungen und Ergänzungen bis heute erhalten, z.B. im System der Berufsschulen.

Im Zuge der im 18. Jh. einsetzenden Industrialisierung entstanden zunächst Manufakturen, dann Industriebetriebe, in denen es aufgrund neuer Organisationsprinzipien wie Arbeitsteilung oder Arbeitszerlegung und Produktionsprinzipien wie Mechanisierung zum Teil nicht mehr notwendig bzw. nicht mehr möglich war, berufliche Qualifikation ausschließlich im Prozess der Arbeit zu vermitteln. Berufliche Qualifizierungsprozesse, insbesondere in großen Betrieben, erhielten somit ein Eigenleben. „Allerdings war man noch weit davon entfernt, von Personalentwicklung zu sprechen. Die vorherrschenden Qualifizierungsmaßnahmen waren Einarbeiten, Anlernen und Ausbilden.“88 Weiterbildung spielte eine marginale Rolle. Im Vordergrund stand das berufsvorbereitende Lernen oder das betriebliche Anlernen, welches zu einem bestimmten Zeitpunkt beendet war, wenn der Betreffende „ausgelernt“ hatte. Im Vergleich zu anderen betriebswirtschaftlichen Fachdisziplinen verfügt das Personalmanagement über eine relativ kurze, jedoch sehr bewegte Geschichte.

Heute spielt aufgrund der starken beruflichen Mobilität (Berufswechsel, Betriebswechsel, Arbeitsstellenwechsel) und des raschen technologischen, ökonomischen und sozialen Wandels die berufliche Weiterbildung insgesamt und besonders in den Betrieben einen dominierenden Part im Spektrum außerbetrieblicher und innerbetrieblicher Bildungsarbeit. Nach 1980 entstanden zahlreiche Monographien zum Bereich Personalentwicklung. Erstmals wird versucht, die Teilbereiche der Personalentwicklung in die Konzeption der Organisationsentwicklung zu integrieren. Die Auseinandersetzung damit erfolgt zunächst pragmatisch in den Betrieben, Leidensdruck drängt zum Handeln. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Personalentwicklung erfolgte zunächst historisch-deskriptiv (Was gibt es?), dann systematisch (Wie ist es einzuordnen?), dann theoretisch (Was soll es sein?). Es bildete sich eine einheitliche Nomenklatur heraus: Ausbildung – Weiterbildung – Fortbildung – Organisationsentwicklung – Umschulung – Förderung – Personalentwicklung.89 Personalentwicklung wird zunehmend eine systematische, zielgerichtete unternehmerische Aktivität.

Gerhard Kruip beschreibt drei Phasen der Personalentwicklung auf dem Weg zu einer strategischen Ausrichtung: „Zu Beginn erfolgen Qualifizierungsmaßnahmen noch ohne einheitliche Konzepte. Sie sind kaum mit strategischen Unternehmenszielen und Annahmen über zukünftige Entwicklungen abgestimmt. In der zweiten Generation von Personalentwicklungskonzepten werden bereits Bedarfsermittlung, Personalbeschaffung und Potenzialerkennung zukünftiger Führungskräfte zu einem Gesamtkonzept zusammengefasst. Personalentwicklung gilt also als strategische Unternehmensaufgabe. In dieser Phase wird sie als eigenständige Aufgabe auch institutionell ausdifferenziert. Die einzelnen Maßnahmen werden mit der Berufsbiographie der Mitarbeiter koordiniert, von der Einstellung über die Einarbeitung und individuelle Karriereplanung bis hin zu Ausstiegshilfen.“90 Hinzu kommt in der „dritten Generation“ noch der Perspektivwechsel von der „Ware Arbeitskraft“ hin zur Wahrnehmung des Mitarbeiters als „internen Kunden“, der Ansprüche und Bedürfnisse anmeldet. „Personalentwicklung kann dann nicht mehr einseitig als Anpassung des Faktors Arbeit an die zuvor personenunabhängig entworfenen Strukturen der Organisation verstanden werden. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen werden nicht mehr nur als Objekte von Entwicklungsmaßnahmen betrachtet, sondern als Subjekte persönlicher Lernprozesse, durch die ihr vom Unternehmen nutzbares Potenzial gesteigert wird. Die freie Wirtschaft hat erkannt, dass Mitarbeiter nicht nur ein Kostenfaktor sind, sondern das wertvollste Potenzial des Unternehmens darstellen, dass Kreativität und Motivation von Schlüsselpersonen oft wichtiger sind als neueste Technik und der Einsatz neuester betriebswirtschaftlicher Erkenntnisse. Es ist für die Unternehmensentwicklung von entscheidender Bedeutung, in dieses ‚Humankapital‘ zu investieren.“91

Das Verständnis von Personalwesen unterlag im 20. Jahrhundert einem grundlegenden Wandel. Wunderer und Kuhn unterteilen diese Phasen schematisch wie folgt:92

3.1.1 Bürokratisierung (bis 1960)

Der Grundgedanke geht von einer kaufmännisch orientierten und administrativen Bestandspflege der Personalkonten aus. Damals ging es darum, den „Personalstand“ zu sichten, zu verwalten. Diesem Ziel diente der Aufbau vorwiegend administrativer Personalfunktionen. Ziel war eine genaue bürokratische „Personalbewirtschaftung“.

Personalarbeit im Bereich der Pastoral wurde verstanden als Durchführung personalpolitischer Entscheidungen, Personalarbeit wurde weniger als eigenes Handlungsfeld von Kirche betrachtet. Dies äußerte sich darin, dass „Zuständigkeit für das Personal“ in vielen deutschen Diözesen als „Nebenbeauftragung“ von Stelleninhabern anderer Arbeitsbereiche gesehen wurde oder einfach in der Hierarchie einer Diözese an einer Leitungsstelle „angehängt“ war.

In den deutschen Diözesen wurden mit Personalführung des pastoralen Personals oftmals Abteilungsleiter in Nebenfunktion betraut. Im Vordergrund stand dabei die flächendeckende, bürokratisch ausgerichtete sinnvolle Verteilung des vorhandenen Personals. Ausgebaut waren Personalverwaltungsabteilungen, die sich mit rechtlichen und finanziellen Aspekten der Personalführung beschäftigten. Dienstverträge wurden dort erstellt, Fahrtenbücher abgerechnet und Urlaubsanträge überprüft. Der Bildungsansatz war lehrorientiert, durch Aneinanderreihung von Themenblöcken; in durchstrukturierten Seminaren ging es primär um die Frage der richtigen Lehrinhalte. Der Bildungsverantwortliche verstand sich als Experte von Lehrinhalten, der interessante Themen und dazu jeweils Referenten mit klangvollen Namen aussuchte. Ziel war es, dass Beschäftigte die wesentlichen Qualifikationsanforderungen durch Studium und Ausbildung erwarben, notwendige weitere Fertigkeiten konnten im Laufe des Berufslebens hinzugelernt werden. Externe Fortbildungsaktivitäten wurden entweder nicht für nötig befunden oder fanden eher beliebig statt. Der Bezug zum eigenen Handlungsfeld war nur indirekt gegeben. Fortbildungsveranstaltungen hatten überwiegend den Charakter einer schönen Nebenbeschäftigung abseits beruflicher Alltagsroutinen. Dem Einzelnen blieb überlassen, mit welchem Qualitätsbegriff er seinen Beruf dauerhaft auszuüben in der Lage war. Bezeichnend für diese Phase war auch die „Dualität von Kompetenzentwicklung und Organisationsentwicklung“93, die Fragen der Aus- und Weiterbildung getrennt von Themen der Gesamtstruktur betrachtet. Zentrale Fortbildungsinstanzen und verpflichtende Weiterqualifizierungsstandards wurden im kirchlichen Sektor noch nicht als erforderlich angesehen. Das Anforderungsprofil für einen Personalverantwortlichen bestand darin, ein guter Fachmann zu sein, administrative Vorgänge korrekt abzuwickeln und Amtsautorität als Vorgesetzter zu haben.

 

3.1.2 Institutionalisierung (ab ca. 1960)

Aufgrund der Erkenntnis, dass Personal nicht nur verwaltet, sondern auch gepflegt, betreut und weitergebildet werden muss, erweiterte sich das institutionelle Verständnis von Personalarbeit. Der Bezug zwischen Person, Beruf und Institution wuchs. Grundgedanke war nun die stärkere Anpassung des Personals an die Anforderungen der Organisation. Sozialisierungskonzepte waren darauf abgestimmt, die Mitarbeiter „passend“ zu machen. Die Strategie bestand aus der Professionalisierung der Personalleiter, der Zentralisierung des Personalwesens und der Spezialisierung der Personalfunktion mit eigenständigen Aufgabenbereichen.

Neben den Kernfunktionen wie Personalverwaltung, Personaleinstellung und Personaleinsatz, Entgeltfindung und Ordnungen zur juristischen Konfliktregelung wurde die qualitative Sozialpolitik (Bildung, Freizeit, Arbeitsplätze) zusätzlich ausgebaut. In Groß- und Mittelbetrieben entstanden nun eigene Stellen und Funktionen des Personalleiters. Unterstützungsangebote wie Teamentwicklung oder Coaching hielten Einzug auf der Ebene der Gesamtinstitution. Ein diözesaner Fortbildungsbeauftragter war dafür zuständig, Seminarkataloge zu erstellen und Teilnehmer zu werben. „Was in der ersten Generation an Personalentwicklung verwirklicht wird, hängt von der Aufgeschlossenheit einzelner Vorgesetzter und vom Bildungswillen (hin und wieder auch vom ‚Lästigkeitswert‘) der Mitarbeiter ab. Der Personalentwickler pendelt in der ersten Generation zwischen Bildung als Sozialklimbim und ‚Zufallstreffer‘.“94

In der kirchlichen Ausbildung erkannte man, dass Mitarbeiter besser auf ihren Einsatz vorbereitet werden müssen, Qualifikationsprofile und Anstellungs- und Eignungskriterien wurden in der Personalbeschaffung entworfen. Standardkataloge regeln die Einführung neuer Mitarbeiter, betriebliche Unterweisung wird institutionell verankert. Auch die langfristige datengestützte Personalplanung begann sich als Organisationsentwicklungsinstrument zu entfalten. Die Weiterbildung gestaltete sich transferorientiert, die Frage der Effizienz einzelner Lehrmethoden in der Weiterbildung führte zu „aktivitätspädagogischem Lehrmethodenmix“95 in Seminaren; Trainer waren nun nicht mehr nur Experten von Lehrinhalten, sondern wurden zu Methodenexperten.

3.1.3 Humanisierung (ab ca. 1970)

Das Leitbild der Anpassung der Mitarbeiter an die Organisation kehrte sich um. In den Vordergrund traten Akkommodationskonzepte, in welchen es um die Anpassung der Organisation an die Mitarbeiter ging. Die Rahmenbedingungen der Organisation sollten nach den Belangen der Mitarbeitenden, die Unternehmensziele nach den Interessen der Menschen ausgerichtet werden. Ziel war die Umsetzung von Werten und die Entfaltung der Humanbedingungen. Die Personalentwicklung (PE) in dieser Phase „gründet in der Regel bereits auf einheitlichen Grundsätzen. Grundsätze, die die Bildungs- und Förderarbeit für das ganze Unternehmen verbindlich regeln, sind:

• PE ist eine nicht delegierbare Managementaufgabe von hoher Priorität.

• PE arbeitet bedarfsorientiert.

• PE berücksichtigt die Entwicklungsbedürfnisse der Mitarbeiter.

• PE erfolgt auf freiwilliger Basis.

• PE ist eine Kooperationsaufgabe.“96

Die Strategie war eine bessere Spezialisierung im Personalwesen und eine stärkere Mitarbeiterorientierung der Personalfunktionen. Es ging um Humanisierung, Partizipation und Ausbau qualitativer Funktionen wie Aus- und Weiterbildung „off the job“, also um eine Erweiterung des außerbetrieblichen Fort- und Weiterbildungswesens. Das Lern- und Entwicklungskonzept „off the job“ umfasste alle Maßnahmen, die in räumlicher, zeitlicher Distanz zur Position stattfanden wie z.B. externe Führungsseminare oder technische Anwendungsschulungen. In den Geschäftsleitungen gab es nun Personalressorts und Personalstäbe, die Gesprächspartner für die Arbeitnehmervertretungen darstellten. Um Personalentwicklung als einen Teil der Organisationsentwicklung professionell betreiben zu können, haben sich Rollendifferenzierungen ergeben, welche unterschiedliche Spezialisierungen im Kontext der verschiedenen Handlungsebenen der Personalentwicklung bezeichneten. Die arbeitsteilige Ausgestaltung führte zu unterschiedlichen Funktionen. Stellen wie eigene Personalreferenten, Stabsstellen in der Personalarbeit, Ausbildungsleitungen und eigene Abteilungen für Fort- und Weiterbildung wurden geschaffen.

Neben konzeptionell und koordinierend zuständigen Personalentwicklern waren dies vor allem Trainer, internes Ausbildungspersonal, Dozenten für die betriebliche Weiterbildung, Coaches und Berater im Bereich der Führungskräftequalifizierung. Beratung stellte in den differenzierten Berufsrollen innerhalb der Personalentwicklung ein verbindendes Element dar. Personalmanagementfunktionen wurden in den Diözesen quantitativ und qualitativ ausgebaut, um kirchenspezifische Anliegen wir kooperative Führung, Zusammenarbeit aller Dienste und Berufsgruppen im Team voranzutreiben. Neben dem Anliegen der Beratung ging es um den Faktor „Lernen“ in umfassendem Sinn, sei dies als Führungskraft oder Mitarbeiter in einem diözesanen Subsystem oder im Sinne der organisationalen Kompetenzentwicklung. Personalbetreuung und kooperative Mitarbeiterführung waren nun Schlagworte, die Humanisierung von Arbeitsplätzen und Arbeitszeiten war angestrebt. Begriffe wie Personalentwicklung und Organisationsentwicklung beschreiben ein neues Denken.

3.1.4 Ökonomisierung (ab ca. 1980)

Nach der Phase der Humanisierung der Personalarbeit trat wieder der Aspekt der Wirtschaftlichkeit in den Vordergrund. Hintergrund waren starke Markt- und Kundenorientierung, Globalisierung und Entwicklung neuer Technologien. Leitbild war der Unternehmer, der sich für das Unternehmen und dessen Erfolg einsetzt.97 Das Ziel hieß Anpassung von Organisation und Personal an veränderte Rahmenbedingungen. Die Interessen des Personals sollten den Unternehmensbelangen untergeordnet und den betrieblichen Rahmenbedingungen angepasst werden. Die Strategie war sowohl Generalisierung wie Zentralisierung, es ging um Entbürokratisierung und um die Rationalisierung von Personalfunktionen.

Durch gestiegenen Konkurrenzdruck im globalen Wettbewerb traten nun Aspekte wie Flexibilisierung der Arbeit, Rationalisierung des Entwicklungspotenzials bis hin zur Orientierung an Freisetzungspolitik in den Vordergrund. Ökonomische Überlegungen bekamen Vorrang. Nun wurde genau geprüft, ob sich innovative Lernformen wie kollegiale Beratung, Lerninseln und Qualitätszirkel auch wirtschaftlich lohnten, viele im Zuge der „Humanisierung“ entwickelten Instrumente des Lernens am Arbeitsplatz und Arbeitsstrukturen wie Teamarbeit wurden wieder zurückgefahren. Zertifizierungsprozesse in Bildungseinrichtungen, Erfolgskontrolle und Erfolgsdokumentation von Schulungsmaßnahmen waren neue Stichworte. Rentabilitätseinschätzungen sollten Art und Umfang entstandener Kosten mit Art und Umfang des gelernten Wissens und dem Ausmaß der sichtbaren Verhaltensänderung vergleichen. In den 80er Jahren setzte sich dabei die Einsicht durch, „dass eine bloße Input-Output-Analyse des Bildungserfolges bei weitem nicht ausreicht, um die Effizienz von Weiterbildungsaktivitäten zu erfassen oder sie gar systematisch zu beeinflussen. Man war darum bemüht, weniger den Erfolgskontroll- als vielmehr den Erfolgssteuerungsaspekt in der Weiterbildungspraxis stärker zu betonen – ein Anliegen, welches auch den Bildungscontrolling-Ansätzen der 90er Jahre zugrundeliegt.“98 Rolf Arnold benennt vier Qualitätsdimensionen im Bereich betrieblicher Fort- und Weiterbildung:

Der Zufriedenheitserfolg, der dann gegeben ist,

• wenn die Teilnehmer ihrer Zufriedenheit über Verlauf und Ergebnis des Lernprozesses Ausdruck verleihen,

• der Lernerfolg, der über die inhaltliche Qualität des Lernprozesses Auskunft gibt,

• der betriebswirtschaftliche Erfolg, der sich aus einem Kostennutzenvergleich ergibt,

• der Transfererfolg, der dann gegeben ist, wenn mit Hilfe des Gelernten betriebliche Abläufe verbessert werden können.99

Eine Gefahr wird in Ökonomisierungsbestrebungen deutlich: Personalentwicklungsmaßnahmen wie z.B. das Angebot zu kollegialer Beratung am Arbeitsplatz oder Supervision werden als Privatinteressen behandelt, institutionelle Angebote des Arbeitgebers wie Freistellung in der Arbeitszeit und Bezuschussungen werden eingefroren oder Etats im Bereich der Personalentwicklung zurückgefahren. Bis in die Gegenwart sehen sich die Personalführungs- und Personalentwicklungsabteilungen in deutschen Diözesen nicht selten in Konfrontation mit den Finanzkammern, treffen unterschiedliche Auffassungen von Personalarbeit aufeinander oder stehen Stellen und Aufgaben in der Personalentwicklung zur Disposition, wenn es um Kürzungen geht.

3.1.5 Unternehmerische Orientierung (ab ca. 1990)

Mitarbeiter sind überfordert, wenn sie vor Ort die Reformen oder den Reformstau ertragen, deuten und gestalten und als loyale „Mitunternehmer“ verantworten müssen, ohne selbst Unterstützung zu erfahren durch Schaffung adäquater Arbeitsstrukturen und Bereitstellung entwicklungsfördernder Rahmenbedingungen. Unternehmerische Orientierung meint die Gleichwertigkeit von Organisation und Personal als „Mitunternehmer“. Personalentwicklung wird nicht nur als Aufgabe einzelner Abteilungen, sondern als strategische Aufgabe des Gesamtunternehmens gesehen. „Ging es in den 60er Jahren noch darum, dass Arbeitnehmer befähigt wurden, Anweisungen gut und qualifiziert auszuführen, geht es im Produktions- wie im Dienstleistungssektor immer mehr darum, den gesamten Arbeitsprozess in seinen Teilen zu verstehen, das technische Können mit berufstheoretischen Fähigkeiten zu verbinden und in der Lage zu sein, Abläufe verantwortlich und im Team zu gestalten.“100

Arnold sieht in der 1987 von der Öffentlichkeit mitverfolgten curricularen Neuordnung der Ausbildungsberufe im Metall- und Elektrobereich eine Signalwirkung für die Neuausrichtung personalentwicklerischen Handelns: „Was dabei herauskam, war eine didaktische Innovation. Ergebnis waren nämlich Ausbildungsordnungen, die ausdrücklich der Vermittlung von Schlüsselqualifikationen einen hohen Stellenwert einräumen. Dadurch sollten die Auszubildenden in den neu geordneten Metall- und Elektroberufen in die Lage versetzt werden, in komplexen beruflichen Alltagssituationen Problemlösungen ‚selbstständig planen‘, ‚durchführen‘ und ‚kontrollieren‘ zu können.“101 Im Bildungsbereich setzte man auf Seminare mit dem Schwerpunkt Problemklärung und Problemlösung, Ziel war die Erhöhung des Problemlösungspotenzials.

Die Entwicklung der Qualifikationsanforderungen auf den Arbeitsmärkten führte dabei zu einer doppelten Erweiterung des betrieblich-beruflichen Lernens: Das Qualifikationslernen weitete sich unter dem Leitziel der Vermittlung von Schlüsselqualifikationen auch zur Persönlichkeitsbildung. Zudem richtete sich betriebliches Lernen nicht mehr nur auf das Individuum, sondern auch auf die Förderung der Anpassungs- und Überlebensfähigkeit der ganzen Organisation. Innerhalb der pastoralen Ausbildung aller kirchlichen Dienste bedeutete diese „unternehmerische“ Orientierung, dass Themen wie personale Kompetenz, kreative Gestaltungskompetenz, Projektarbeit und Teamfähigkeit als „Hilfe zur Selbsthilfe“ in den Mittelpunkt rückten. Förderung der personalen Kompetenz sollte die Qualität des personalen Angebots der Kirche steigern.

 

Mitarbeitende sind die wichtigste, wertvollste und sensibelste Ressource eines Unternehmens. Dieser Philosophie folgend soll das Personalmanagement nun Mitarbeiter als Mitunternehmer gewinnen, entwickeln und erhalten. Unternehmerisches Mitwissen, Mitdenken und Mitverantworten ist in allen Unternehmensentscheidungen angestrebt. Mitarbeiter sollen mitwirken bei Unternehmensphilosophie, -politik und -strategie. Auf Evaluation der ökonomischen und sozialen Folgen von Unternehmensentscheidungen wird Wert gelegt. Man betrachtet Personal nun als „Humankapital“ und „Human Ressource“, das Personalmanagement fungiert als „Wertschöpfungs-Center“. Personalentwicklung wird zur nicht delegierbaren Managementaufgabe von hoher Priorität, zur Hilfe zur Selbsthilfe bei der Lösung technischer, sozialer oder organisatorischer Probleme. Statt sich nur an Zielen wie unmittelbarer Positions- und Laufbahnentwicklung auszurichten, hat sich der Begriff der Personalentwicklung erweitert hin zum Verständnis einer systematischen unternehmerischen Aktivität. „Personalentwicklung ist nicht der ‚nachhinkende Erfüllungsgehilfe‘ für organisatorische Veränderungen, sondern Motor für Innovationen im Unternehmen.“102 Parallel dazu hat sich auch das Verständnis von Organisationen gewandelt: von der Organisationsentwicklung hin zu lernenden Organisation. Aussagekräftig sind nun weniger Organigramme und Prozessstrukturen als das Verhalten der in diesen Organisationen tätigen Menschen. Organisationen werden als veränderbare soziale Gebilde betrachtet; interessant sind nicht so sehr die Technologien, sondern das Veränderungspotenzial, die Lern- und Entwicklungspotenziale des Personals.

In diesen Punkten hat in der Kirche, insbesondere in kirchlichen Sozialeinrichtungen, die den engen Zusammenhang von Wirtschaftlichkeit und „Humankapital“ spüren, ein Umdenken stattgefunden. Auf die unternehmerische Grundhaltung aller Mitarbeiter wird aufgrund der gesellschaftlichen Veränderungen (Verlust des Sinn-Monopols) zunehmend Wert gelegt. Die Mitwirkung vieler Betroffener an unternehmerischen Entscheidungen – wie z.B. Umgestaltung von Arbeitsbereichen, höhere „Kundenfreundlichkeit“ und Denken in Prozessen (die dem Menschen dienen, z.B. dem Patienten in einem Krankenhaus) statt Denken in Abteilungen – wird als unverzichtbarer Baustein verantworteter Unternehmensführung betrachtet. Unternehmerische Orientierung bedeutet im Sinne Karl Berkels Wille zur Führung als „zielgerichtete Einflussnahme“103 und proaktive Gestaltung der Zukunft mit hoher Eigeninitiative.

An der institutionellen Zuordnung der Personalverantwortlichen innerhalb einer Unternehmenshierarchie und an der personellen Ausstattung der Personal- und Fortbildungsabteilungen lässt sich die Bedeutung ablesen, die ein Unternehmen der Personalentwicklung beimisst. Unternehmerisch orientierte Personalentwicklung versteht sich als zentrales Element der Unternehmensstrategie und als Schaltstelle für Veränderungsgestaltung einer gesamten Organisation.