Pudding Pauli deckt auf

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„Jetzt gleich?“, fragte die Rosi.

„Falls dir nicht noch eine Ausrede einfällt, dann würde ich darum bitten“, sagte der Pauli. Und die Rosi seufzte und machte sich brav auf den Weg.

In welchem Haus die Frau Merny wohnt, wusste die Rosi. Es ist ein Haus ohne Gegensprechanlage. Das Haustor ist untertags nicht versperrt. Die Rosi ging von Wohnungstür zu Wohnungstür und suchte nach einem Türschild, auf dem „Merny“ stand. Im Parterre. Im ersten Stock. Im zweiten Stock. Im dritten Stock fand sie es. Richtiges Herzklopfen hatte sie, als sie die Klingel am Türstock drückte. Hinter der Tür fing ein Hund mit Fistelstimme zu kläffen an und eine Frauenstimme fragte: „Was ist denn? Was willst du denn?“

Woraus die Rosi schloss, dass sie von der Frau Merny durch den Türspion beäugt wurde. Sonst hätte die nicht „du“ zu ihr gesagt.

„Ich bin die Rosi Rieder und wohne gleich nebenan, zwei Häuser weiter“, sagte die Rosi zum Türspion rauf. „Es ist wegen dem Karli von der Frau Mader. Dem Dackel. Weil der verschwunden ist. Und mein Freund und ich wollen ihr helfen.“

Ziemlich blöde kam der Rosi ihre Stotterei vor. Aber die Tür öffnete sich einen Spalt und die Frau Merny, mit der kläffenden Peggy in den Armen, musterte sie von oben bis unten und wieder retour.

„Weil doch Ihre Peggy auch wieder da ist“, stotterte die Rosi weiter drauflos. Da ging die Wohnungstür ganz auf und die Frau Merny sagte: „Na, dann komm halt rein, Kleine!“

Ein paar Minuten vor elf Uhr wankte die Rosi aus der Wohnung der Frau Merny. Wer vierzehn Blinis im Magen hat und zwei Stück Malakofftorte hinterherstopfen muss, fühlt sich eben nicht besonders fit. Nichts wie schnellstens heim und ein Stunderl auf dem Sofa liegen und verdauen wollte sie!

Doch vor dem Haustor der Frau Merny wartete der Pauli und rief: „Na endlich! Ich steh mir schon die Haxen in den Bauch und frier mir die Nase ab! Also, was hast erfahren?“

Natürlich hätte die Rosi dem Pauli in aller Kürze Bericht erstatten und hernach heim auf das ersehnte Sofa wanken können. Aber sie fand, wenn ihr der Pauli die unangenehmen Aufgaben aufhalste, dann war es nur gerecht, ihn ein bisschen zappeln zu lassen.

Also sagte sie: „Rausgekriegt habe ich allerhand, aber das erzähle ich dir später, ich hab zwei Stück fette Malakofftorte essen müssen, ich muss heim und abliegen!“

„Darf ich mitkommen?“, fragte der Pauli.

Die Rosi nickte und dachte: So gefällt er mir. Schön hübsch höflich und nett, mein Mini-Macho!

Auf dem Weg zu Rosis Wohnung bat der Pauli gut zehnmal: „So red doch schon!“

Doch die Rosi schwieg beharrlich, bis sie im Wohnzimmer auf dem Sofa lag. Dann fragte sie: „Soll ich dir der Merny ihre Kindheit auch erzählen? Und ihre drei Ehen samt zwei Scheidungen? Und von welchem Fressi die Peggy Durchfall kriegt? Oder nur das Wesentliche?“

Der Pauli war für Letzteres. Und die Rosi erzählte ihm – kurz gefasst – Folgendes: Vier Tage suchte die Frau Merny die Gegend nach ihrer Peggy, die vom Hundehaken vor der Apotheke entführt worden war, erfolglos ab. Am Morgen des fünften Tages klebte an ihrer Wohnungstür ein schwarzes Kuvert. Drin war ein Brief, in dem stand, dass sie 300 Euro in eine Zeitung legen und die Zeitung falten und Punkt achtzehn Uhr in den Abfallkübel an der Straßenbahn-Haltestelle vor dem Mini-Maxi-Supermarkt in der Jagdstraße stecken soll. Dann wird sie am nächsten Tag ihre Peggy wiederhaben. Aber wenn sie die Polizei einschaltet, ist ihre Peggy tot! Die Frau Merny tat brav, was in dem Brief verlangt wurde, und am nächsten Morgen war die Peggy wieder am Hundehaken vor der Apotheke festgemacht. Von ihrem Halsband baumelte eine Schnur mit einem Kärtchen dran, auf dem standen die Telefonnummer und die Adresse der Frau Merny. Und der Apotheker rief die Frau Merny an und die holte die Peggy ab.

„Hat sie dir den Brief gezeigt?“, fragte der Pauli.

„Nein, den Brief hat sie verbrannt“, sagte die Rosi. „Dass sie das tun muss, ist auch in dem Brief gestanden. Und unterschrieben war er mit ‚Der große Hexenmeister‘. Es war übrigens ein gedruckter Brief mit sehr großen Buchstaben. Also garantiert auf einem PC gemacht.“

Der Pauli schwieg ziemlich lange. Die Rosi verdaute vor sich hin und wartete. Endlich sagte der Pauli: „Einer, der nur dreihundert Euro haben will und sich ‚großer Hexenmeister‘ nennt, der ist doch kein Erwachsener, oder?“

„Pudding, da dürftest du richtig liegen“, murmelte die Rosi und rülpste.

„Aber egal, wie alt der Kerl ist“, sagte der Pauli, „er wohnt jedenfalls direkt hier bei uns, sonst wären ja nicht alle drei Hunde aus unserer Straße.“

„Sowieso!“ Die Rosi rülpste wieder. Diesmal zweimal. „Aber wieso reden wir eigentlich immer von einem ‚er‘? Es könnte genauso gut auch eine Frau sein, also ein Mädchen.“

„Da wett ich mit dir um drei Wochen Taschengeld, dass da kein Mädchen dahintersteckt“, sagte der Pauli.

„Du hast ja keine Ahnung“, sagte die Rosi. „Mädchen können sehr satanisch sein.“

Der Pauli schüttelte den Kopf. Mädchen, meinte er, könnten zwar sehr satanisch sein, aber nur zu Menschen, nicht zu kleinen Hunderln.

Die Rosi rülpste dreimal und schloss die Augen.

„Hast denn auch Gurkensalat bei der Merny essen müssen?“, fragte der Pauli.

Da er von der Rosi keine Antwort bekam, stand er auf, murmelte „Tschüss dann“ und marschierte ab.

3. Kapitel,

in welchem Gulasch vor sich hin köchelt, die Frau Mader beruhigt werden muss und ein schwarzes Kuvert zu Boden flattert.


Auf dem Heimweg fiel dem Pauli ein, dass der „große Hexenmeister“ der Frau Mader nicht so einfach ein Kuvert an die Tür stecken konnte wie der Frau Merny, denn die Haustür ist immer versperrt. Also muss der Kerl den Brief mit der Post schicken, dachte er. Oder er schickt diesmal gar keinen Brief, sondern telefoniert mit der Frau Mader. Da wäre es jetzt gut zu wissen, wie er das beim Herrn Pollak gemacht hat, denn dem sein Haustor ist auch immer versperrt!

Der Pauli überlegte, ob es nicht doch etwas bringen könnte, den Herrn Pollak zu fragen. Seine Mama musste nicht recht haben, die schätzte Menschen oft falsch ein.

Gerade holte der Pauli seinen Haustorschlüssel aus der Jackentasche, da bog der Hubsi um die Ecke und hinter ihm, an der Leine, der Herr Pollak. Mit Leuten zu reden, die er nicht kennt, fällt dem Pauli ziemlich schwer. Gern hätte er das der Rosi überlassen. Aber die Rosi hatte schon die Frau Merny besucht, und sich von ihr nachsagen lassen, dass er sich immer vor der unangenehmen Arbeit drückt, wollte er auch nicht. So stellte er sich dem Herrn Pollak in den Weg und sagte: „Grüß Gott, Herr Pollak, ich bin der Pauli Pistulka.“

„Weiß ich!“ Der Herr Pollak schaute nicht gerade erfreut. Aber stehen blieb er.

„Ihr Hubsi ist nicht der einzige Hund, der entführt worden ist, der Karli von unserer Nachbarin ist auch weg und mindestens noch ein anderer Hund.“

Der Pauli redete so schnell er nur konnte, weil er den Verdacht hatte, der Herr Pollak werde ihm nicht lange zuhören.

„Weiß ich!“, sagte der Herr Pollak.

„Und da würde unsere Nachbarin gern wissen, wie viel sie zahlen haben müssen und wie sie das erfahren haben. Damit sie drauf vorbereitet ist!“

Der Pauli kennt schließlich die Erwachsenen! Einen Buben, der einen Erpresser finden will, nehmen sie nicht ernst, den lachen sie aus.

„Wieso glaubst, dass ich für den alten Deppen was zahlt hab?“

Der Herr Pollak deutete auf den Hubsi, der weiterzockeln wollte und an der Leine zerrte.

„Weil sie ihn gernhaben“, sagte der Pauli freundlich.

„Könnte hinhauen“, sagte der Herr Pollak. Und dann: „Dreihundert Euro haben sie verlangt. In einem Brief, den sie mir an die Tür gesteckt haben.“

„Aber Ihre Haustür ist doch immer versperrt, da kann niemand Fremder reinkommen“, sagte der Pauli.

„Schön wär’s!“ Der Herr Pollak schüttelte grantig sein weißes Lockenhaupt. „Hat doch heutzutag’ jeder Dahergelaufene so einen Schlüssel wie der Briefträger, wo man überall reinkommt.“

Dann ging er grußlos weiter, brav hinter seinem „alten Deppen“ her. Verdammt, dachte der Pauli, jetzt hab ich ihn nicht gefragt, wohin er das Geld bringen hat müssen! Er überlegte, ob er dem Herrn Pollak nachlaufen und ihn danach fragen sollte. Er beschloss, es bleiben zu lassen, weil man mundfaule, schrullige alte Männer nicht überfordern soll.

Die Frau Mader stand bei der Mama im Vorzimmer, als der Pauli heimkam. Ihre Augen waren noch immer rotgeweint.

„Gibt es was Neues?“, fragte der Pauli.

Die Frau Mader schnäuzte sich in ihr großes, kariertes Taschentuch, und die Mama sagte für sie: „Nein, es hat sich leider niemand gemeldet.“

„Es wird sich garantiert bald wer melden, ganz sicher, Frau Mader!“

Mehr wollte der Pauli vor seiner Mama nicht sagen.

„Hoffentlich hast recht“, schluchzte die Frau Mader. „Dann geh ich halt wieder rüber, falls wirklich wer anruft, damit ich den nicht noch verpass.“

„Die Hoffnung stirbt zuletzt“, seufzte die Mama hinter der Frau Mader her, dann fragte sie den Pauli, ob er an einem Supermarkt-Großeinkauf mit ihr Interesse habe. Er hatte! So kleinkariert war seine Mama nicht, dass sie ihn im Supermarkt für Sachen bezahlen ließ, die er für die Mittagessen in den Einkaufswagen legte, daher entlasteten samstägliche Großeinkäufe den Steingut-Topf ungemein. Dafür nahm es der Pauli sogar in Kauf, dass ihn die Mama davor immer noch in ein paar Boutiquen schleppte, wo er ihr beim Klamotten-Probieren zusehen und seine Meinung abgeben musste.

 

In modischen Angelegenheiten ist der Pauli ein guter Berater, aber diesmal war er nicht bei der Sache. Wodurch seine Mama zu einem quietschgrünen Seidenkleid mit Rüschen am Saum kam, in dem sie etwas abwegig aussah. Aber der Pauli hatte, während er in der Boutique gehockt war, dauernd daran denken müssen, dass der Erpresser eigentlich einfach zu fassen wäre. Man müsste bloß den Gang vor der Tür der Frau Mader in den nächsten Tagen lückenlos überwachen. Und durch den Türspion an seiner Wohnungstür wäre das auch gut möglich. Aber er konnte doch nicht rund um die Uhr im Vorzimmer auf der Lauer stehen! Also würde er – und das war zum Haareraufen – wahrscheinlich ahnungslos und friedlich in seinem Bett liegen oder in der Küche beim Herd stehen oder vor dem Fernseher rumlümmeln, während der miese Kerl zur Tür der Frau Mader schleicht und den Brief reinsteckt!

Um sich von diesen trüben Gedanken ein wenig abzulenken, beschloss der Pauli, als er wieder daheim war, das für Montag geplante Mittags-Gulasch zu kochen. Gulasch wird angeblich beim Aufwärmen noch besser.

Das Rindfleisch fürs Gulasch hatte sich der Pauli schon vom Fleischhauer im Supermarkt auf Würfel schneiden lassen. Er musste bloß noch ein paar Fettflankerln wegschnipseln, weil die Rosi immer greint, wenn das Fleisch nicht total mager ist.

Mit den Zwiebeln machte er sich keine Mühe, schälte sie, schnitt sie auf Scheiben und röstete sie in reichlich Öl, wobei er brav im Topf rührte, damit sie halbwegs einheitlich hellbraun wurden. Als er das geschafft hatte, drückte er Paradeismark drauf, schüttete zwei Esslöffel Paprikapulver drüber und goss ein Krügel Wasser hinterher. Zwanzig Minuten mussten die Zwiebeln jetzt sanft köcheln.

Der Pauli setzte sich zum Küchentisch, dumpfte vor sich hin und wartete.

Seine Mama kam in die Küche. „Ist was mit dir?“, fragte sie besorgt. „Schaust ja drein, als ob dir die Hendln das Brot weggefressen hätten?“

„Mir tut halt die Frau Mader leid“, wich der Pauli aus.

Die Mama schnappte sich einen Apfel aus dem Obstkorb, rieb ihn an ihrer Hose blank und sagte: „Wie ihr Mann gestorben ist, hat sie weniger geweint.“

„Wie meinst denn das?“, fragte der Pauli.

Die Mama biss vom Apfel ab, zuckte mit den Schultern und sagte: „Das war eine simple Feststellung der Tatsachen.“

Der Pauli ging zum Herd und rührte seufzend im blubbernden, roten Zwiebel-Mischmasch. „Ihre Liebe zum Karli ist eben sehr groß“, sagte er.

„Oder ihre Liebe zum Herrn Gemahl war sehr gering.“ Die Mama verließ kauend die Küche.

Der Pauli schaute ihr nach und dachte: Manchmal kann die Frau kalt wie eine Knackwurst sein!

Als hätte sie es gehört, drehte sich seine Mama um und sagte:

„Ich mag Menschen halt mehr als alte Dackelviecher!“

Paulis Mama liebt Hunde nicht besonders, und den Karli mag sie schon gar nicht. Was auf Gegenseitigkeit beruht. Sooft ihr der Karli begegnet, fletscht er die gelben Wackelzähne und knurrt sie böse an.

Die Zwiebelscheiben waren nun, fand der Pauli, weich genug. So griff er zum Pürierstab, mixte den roten Gatsch zu einem sämigen Brei und warf die gesalzenen Fleischwürfel rein. Womit die Arbeit fast geschafft war.

Zwei Stunden musste das Gulasch nun auf kleiner Flamme kochen. Und jede Viertelstunde musste es ordentlich durchgerührt werden. Weggehen konnte der Pauli also nicht. Er zockelte in sein Zimmer, setzte sich zum Schreibtisch und schrieb seinen Deutschaufsatz, obwohl er den erst am kommenden Mittwoch abgeben musste. Alle fünfzehn Minuten unterbrach er die Arbeit, jappelte in die Küche und rührte das Gulasch durch. Und auf dem Rückweg schaute er jedes Mal durch den Türspion, in der vergeblichen Hoffnung, der Erpresser könnte zufällig gerade jetzt den Brief abliefern.

Der Aufsatz und das Gulasch waren gleichzeitig fertig. Der Pauli nahm sich eine kleine Probeportion vom Gulasch und war sehr zufrieden damit. Den Aufsatz fand er weniger gelungen, als er ihn durchlas. Aber das bedrückte ihn nicht sehr. Paulis Ehrgeiz ist, was die Schule angeht, nicht sehr ausgeprägt.

Am Abend war der Pauli mit seiner Mama bei der Oma zu Besuch. Seine Tante und seine Cousine Amelie waren auch dort. Die Amelie langweilte den Pauli mit ihren endlosen Pferdegeschichten und Schilderungen von tollen Partys unsäglich und die Tante stritt sich mit seiner Mama über Politik. Ziemlich unfein. Die Tante nannte die Mama eine „linke Bazille“, die Mama nannte die Tante eine „reaktionäre Schnepfe“. Und die Oma zeterte unentwegt: „Mädels, vertragt euch doch, wenn ihr bei mir seid!“

Der Pauli war an die Mama-Tante-Streite gewöhnt. Die gab es immer, wenn die zwei zusammen waren. Sogar zu Weihnachten. Er kapierte bloß nicht, warum sich die beiden trotzdem immer wieder gemeinsam bei der Oma trafen. Aber er ist eben ein Einzelkind und versteht von geschwisterlicher Liebe nichts.

Es war Mitternacht, als der Pauli vor dem Haus aus dem Auto stieg. Hinter den Fenstern der Frau Mader brannte kein Licht mehr. Es war also zu spät, um bei ihr zu klingeln und zu fragen, ob sie einen Brief bekommen hatte. Das tat der Pauli dann am Sonntagvormittag. „Wieso einen Brief?“ Die Frau Mader schaute erstaunt. „Wenn den Karli wer gefunden hätte, tät er doch anrufen. Außerdem kommt am Wochenende doch gar keine Post.“

Der Pauli fand, dass es an der Zeit sei, die Frau Mader aufzuklären.

„Darf ich reinkommen?“, fragte er. „Das dauert nämlich ein bissl länger.“

Die Frau Mader führte den Pauli ins Wohnzimmer und der Pauli erklärte ihr, was Sache ist.

„O Gott, o Gott, was ist denn das für eine Welt!“, wehklagte die Frau Mader. „Ein unschuldiges Hunderl zu entführen, da hört sich doch alles auf!“

Aber getröstet war sie doch ein bisschen. Weil sie eine gute Chance sah, ihren Karli für dreihundert Euro, gesund an Leib und Seele, wiederzusehen.

„Sie könnten natürlich auch zur Polizei gehen, wenn Sie den Brief haben.“ Der Pauli sagte es nicht gern, aber er hielt es für seine Pflicht.

„Nein, nein, nein!“, rief die Frau Mader. „Da zahl ich lieber, bevor am Ende noch was schiefgeht. Und wenn der Pollak gezahlt hat, dann zahl ich auch. Der ist ein Studierter, der kann so was besser einschätzen als ich!“

Der Pauli nahm es zufrieden zur Kenntnis. Dann schraubte er noch zwei neue Glühbirnen in den altmodischen Kronleuchter, weil sich die Frau Mader nicht mehr auf eine Leiter zu steigen traute, und holte, weil er schon oben auf der Leiter stand, auch noch mit dem Staubwedel ein paar Spinnweben von der Decke. Dafür wollte ihm die Frau Mader unbedingt zehn Euro aufdrängen, und er brauchte ziemlich lange, ihr das auszureden. Als er es endlich geschafft hatte, schlug die alte Pendeluhr im Wohnzimmer zwölfmal, und der Pauli verabschiedete sich hurtig, denn für zwölf Uhr hatte sich sein Herr Vater angesagt. Der wollte ihn zu einem Papa-Sohn-Nachmittag abholen.

„Ich melde mich dann noch mal bei Ihnen, wenn ich nach Hause komme“, versprach der Pauli der Frau Mader.

„Du bist ein gutes Kind!“, sagte die Frau Mader und drückte den Pauli an ihre gut gepolsterte Vorderfront. Da ihre Stimme schon wieder verdächtig nach Schluchzen klang, befreite sich der Pauli schnell und wollte zur Tür raus. Schluchzende Frauen, egal ob zwölf oder siebzig Jahre alt, nerven den Pauli, weil er nie weiß, wie man sie behandeln muss.

Als der Pauli die Tür aufmachte, flatterte ein schwarzes Kuvert dem Fußabstreifer zu. Der Pauli hatte es geschnappt, bevor es gelandet war. Mit zittrigen Fingern riss er es auf und zog einen weißen Zettel heraus. In diesem Moment knallte zwei Stockwerke tiefer das Haustor ins Schloss.


Mit dem Zettel in der Hand raste der Pauli wie der geölte Kugelblitz durch das Vorzimmer und das Wohnzimmer, riss eines der Fenster auf und beugte sich raus. Er sah seine Mama unten auf der Straße, die gerade den Kofferraum ihres Autos öffnete und ihre Regenjacke holte. Sonst war weit und breit kein Mensch zu sehen. Es musste also seine Mama gewesen sein, die das Haustor zugeknallt hatte.

Enttäuscht schloss der Pauli das Fenster. Dann setzte er sich in den wackligen Lehnstuhl, auf dem immer der Karli vor sich hin gedöst hatte, und las der Frau Mader vor, was auf dem Zettel stand: „Habe Ihren Hund gefunden. Bin bereit, ihn gegen 300 Euro Aufwandsentschädigung abzugeben. Legen Sie das Geld in eine Zeitung, falten Sie die Zeitung, stecken Sie die Zeitung am Montag, Punkt 18 Uhr, in den Abfallkorb bei der Haltestelle der Linie 5 in der Jagdstraße und gehen Sie dann sofort weiter. Verbrennen Sie diesen Brief und reden Sie mit niemandem darüber, sonst ist Ihr Hund tot. Tun Sie wie angeordnet, erhalten Sie Ihren Hund am Dienstag zurück. Der große Hexenmeister.“

„Jesus und Maria!“, kreischte die Frau Mader. „Wenn der Verbrecher merkt, dass du den Brief kennst, bringt er mir doch glatt meinen Karli um!“

„Das merkt er garantiert nicht“, beruhigte der Pauli die Frau Mader.

„Da können Sie ganz sicher sein.“

„Na hoffentlich“, seufzte die Frau Mader. Und dann jammerte sie, dass ihr jetzt schon die Knie zittern, wenn sie sich vorstellt, wie sie morgen um achtzehn Uhr mit dem Geld in einer Zeitung zur Haltestelle geht. Und garantieren, dass sie vor Aufregung auf dem Weg dorthin nicht ohnmächtig wird, kann sie auch nicht. Weil ihre Nerven sind sowieso sehr schwach. Ob ihr der Pauli nicht den Weg abnehmen könnte?

„Aber dann wüsste dieser große Hexenmeister doch, dass Sie mit mir drüber geredet haben“, sagte der Pauli.

„O Gott, o Gott, so was Blödes von mir, da hast natürlich völlig recht!“ Die Frau Mader griff sich mit beiden Händen an den Kopf.

„Ich bin schon so durcheinander, dass ich gar nimmer richtig denken kann.“

„Sie brauchen wirklich keine Angst zu haben“, sagte der Pauli.

„Was der Herr Pollak und die Frau Merny geschafft haben, schaffen Sie doch auch. Ich schwöre Ihnen, alles wird gut. Aber jetzt muss ich rüber, mein Papa holt mich nämlich gleich ab.“

Ganz richtig fand es der Pauli nicht, dass er die Frau Mader allein ließ. Wer weiß, ob die nicht durchdrehte? Aber den Nachmittag hatte er fix seinem Vater versprochen, und den durfte er nicht schon wieder so enttäuschen wie vorige Woche, wo er lieber mit ein paar anderen aus der Klasse in den Prater als mit seinem Vater ins Kaffeehaus gegangen war. Und bis morgen um achtzehn Uhr konnte er ja sowieso nicht bei der alten Frau bleiben und ihr Mut zusprechen. So sagte er sich zur Beruhigung eine Spruchweisheit seiner Oma vor, nämlich: Wer viel jammert, hält viel aus!

Eine echt tolle Beziehung hat der Pauli zu seinem Vater nicht.

Obwohl sich der redlich bemüht. Aber der Pauli hält Abstand.

Seine Mama hat sich von seinem Vater scheiden lassen, weil sich der in eine andere Frau verliebt hat. Der Pauli ist fest davon überzeugt, dass sich seine Mama nicht hätte scheiden lassen, wenn sein Vater mit der anderen Frau Schluss gemacht hätte. Also, sagt er sich, war ihm diese andere Frau wichtiger als ich, weil er hat sich ja nicht nur von der Mama, sondern auch von mir scheiden lassen. Und diese Frau war ihm auch nicht sehr wichtig, denn nach einem Jahr hat er sie verlassen. Daher bin ich ihm noch weniger wichtig als eine Frau, mit der er es nur ein Jahr lang ausgehalten hat.

Paulis Mama hält das für Plunder. Sie meint, ihr Sohn wirft da zwei ganz verschiedene Arten von Liebe in einen Topf. Ein Mann kann sehr wohl seinen Sohn durch dick und dünn auf ewig lieben, aber bei den Frauen „äußerst flatterhaft“ sein. Doch der Pauli hält das für ein Trostpflaster, das er nicht braucht, weil er ja nicht leidet.

Er sieht seinen Papa als so etwas Ähnliches wie einen netten Onkel, mit dem man sich gern zweimal im Monat trifft und ein bisschen Spaß hat und ordentlich Taschengeld kassiert. Das behauptet er jedenfalls, wenn ihn seine Mama fragt, warum er seinen Vater nicht öfter sehen will. Jemand anderer darf ihm solche Fragen gar nicht stellen. Auch die Rosi nicht. Wie sie einmal zu ihm gesagt hat, dass sie ihren Vater, würde er nicht mit ihr zusammen wohnen, so oft als möglich sehen wollte und nicht versteht, dass der Pauli das nicht will, ist er stocksauer geworden und hat geknurrt:

„Red keine Löcher in die Luft!“

Und knurrt der Pauli den Löcher-in-die-Luft-Spruch, weiß die Rosi, dass sie das Thema wechseln muss, wenn sie seine beste Freundin bleiben will.

 
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