Harry in love

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

„Eigentlich ist mein Problem ja gar nicht das, was ich Isabel schreiben will, sondern immer die Überlegung, was sie auf das ein oder andere erwidern würde“, gestand Harry kleinlaut.

„Oh, Harry, Dich hat es ganz schön erwischt, was?! Doch nichtsdestotrotz kannst Du nicht beeinflussen, wie Isabel auf Deine Zeilen reagieren wird. Daher sei einfach nur Du selbst: Sei ehrlich zu ihr und vor allem auch zu Dir! Du wirst sehen, wenn sie den Brief liest und Dich verstehen will, wird sie sich schon irgendwie bemerkbar machen.“

Harry seufzte. Jane schob ihm daraufhin einen großen Pott Kaffee vor die Nase und reichte ihm Briefpapier und Füller. Danach ließ sie Harry allein in der Küche zurück. Harry nahm einen Schluck von dem Kaffee und atmete noch einmal tief durch, ehe er erneut zu Stift und Papier griff und seine Gedanken einfach niederschrieb.

Drei Stunden später betrat William die Küche und war überrascht, seinen Bruder schlafend am Küchentisch vorzufinden. Vor ihm lagen mehrere beschriebene Blatt Papier. William nahm sich die Freiheit heraus und griff nach den Zetteln und las einen nach dem anderen durch. Nun endlich schien er zu begreifen, was Harry bewegte.

Die letzten drei Blatt Papier waren dann auch der Brief an Miss Canningham:

Isabel,

ich weiß nicht, ob Du bereits nach dem dritten Wort wieder aufgehört hast zu lesen oder ob meine Worte überhaupt bei Dir Gehör finden.

Ich weiß auch nicht, ob der Brief nicht schon längst durch den Reißwolf gewandert ist oder nur in irgendeiner Ecke zerknüllt herumliegt.

Ich hoffe, nichts von dem ist der Fall. Stattdessen hoffe ich, dass Du Dir die Zeit nimmst und meine Zeilen liest. Es sind Gedanken, die mir auf der Seele brennen und vielleicht kannst Du sie auch ein wenig verstehen … Denn dieser Brief scheint mir die einzige Möglichkeit zu sein, mich Dir mitzuteilen, nachdem Dein Vater mich letzte Nacht recht forsch der Tür verwiesen hat. Ich kann es sogar nachvollziehen, denn bislang verlief irgendwie so ziemlich alles anders als erwartet; falls man das überhaupt so bezeichnen kann?

Isabel. – Ein wirklich schöner Name …

Es tut mir übrigens leid. Es tut mir leid, dass bei unserem ersten Aufeinandertreffen Deine Spieluhr zu Bruch gegangen ist. Ich weiß, ich kann dies unmöglich wieder gut machen und noch weniger kann ich die Zeit zurückstellen, was ich am liebsten täte.

Ich denke, für uns beide war dies kein guter Tag. Ich war in Eile und Du schienst auch schon vor meinem Rempler gereizt. Ich war dann nur noch das I-Tüpfelchen des Ganzen.

Ich möchte mich diesbezüglich auch noch einmal in aller Form bei Dir entschuldigen.

Und auch, wenn Du mich für einen arroganten Pinsel hältst, muss ich dazu sagen, dass ich Dir nur deshalb nicht geholfen habe, weil ich so perplex über Deine Ausdrucksweise und Deine Schimpftiraden war: So hatte noch nie jemand mit mir gesprochen – nicht einmal meine Großmutter! Du hast mich einfach so verwirrt, dass ich nur wie ein kleiner dummer Junge daneben stehen und Dich anstarren konnte.

Das mit Deiner Spieluhr habe ich auch erst viel später mitbekommen, als ich über ihre Reste gestolpert bin. Es befinden sich noch immer der Holzsockel und das Spieluhrmagazin in meinem Besitz. Ich würde sie Dir gerne persönlich wiedergeben.

Beim letzten Mal wurden wir ja leider dabei unterbrochen.

Apropos letztes Mal:

Es muss Dir wirklich schon sehr merkwürdig vorkommen, dass egal, wo Du hingehst oder hinschaust, ich ständig Deinen Weg kreuze …

Eines sei Dir aber versichert, es ist alles nur reiner Zufall; keine Angst, ich verfolge Dich nicht und lasse Dich auch nicht mehr beschatten! Das gestern im Club war auch nur ein Zufall.

Ich bin recht oft dort, da ich den Besitzer zu meinem Freundeskreis zählen darf. Er war auch derjenige, der vorgeschlagen hat, dass ich den Hauptpreis überreichen soll. Ich muss gestehen, als ich erfuhr, wer gewonnen hat, konnte ich dem auch nicht widerstehen.

Bitte verzeih!

Und falls ich Dich etwas zu grob angefasst haben sollte, tut es mir leid. Aber Du hattest keinen Grund davonzulaufen! Ich wollte Dir wirklich nur Deinen Preis übergeben und Dir gratulieren.

Übrigens, ich kann mich nur wiederholen: Du tanzt gut. Es hat mir sehr gefallen, was Du und Deine Freundin vorgeführt habt. Ich hoffe, Du lässt den Gutschein nicht verfallen. Denn nicht ich habe ihn gesponsert, sondern der Club! Ich war dort gestern auch nur ein Gast.

Aber das nur nebenbei.

Solltest Du tatsächlich bis hier gelesen haben, möchte ich Dir noch eines mitteilen: Falls Du nämlich der Meinung sein solltest, dass ich diesen Brief nur deshalb geschrieben habe, um so mein Gewissen zu beruhigen und an Deines zu appellieren, dass Du Dich nicht doch noch an die Presse wendest, sei Dir gesagt, dass ich es a) eh nicht verhindern könnte, wenn Du dieses wolltest und b) es mir nun auch egal wäre. Doch ich vertraue Dir.

Warum, weiß ich selbst nicht so genau; aber ich weiß, dass es so ist!

… und so bleibt nur noch eine Frage offen:

Bist Du gewillt, mir noch einmal gegenüberzutreten, damit ich Dir die Reste der Spieluhr übergeben kann? Ich weiß, ich könnte Sie Dir auch per Post schicken, oder gar über den Boten, der Dir diesen Brief überbracht hat, zukommen lassen. Doch um ehrlich zu sein, habe ich Angst, dass sie so noch gänzlich verschüttgehen. (Auch wenn das im Grunde völliger Blödsinn ist.) Der eigentliche Grund ist der, dass ich gerne noch einmal ein paar Worte mit Dir würde wechseln wollen …

Wie auch immer Deine Antwort ausfallen sollte. Es wäre nett, wenn Du sie mir in irgendeiner Form zukommen lassen könntest.

Danke, Harry.

Kapitel 4

„Onkel Harry, Onkel Harry! Zum Karussell! Ich will zum Karussell!“, schrie Klein Marie und zog energisch an dem Arm von Prinz Harry, der Marybeth wie versprochen zum Kinderrummel eine Woche vor Weihnachten begleitete.

Nachdem Marybeth bereits zum vierten Mal mit ein und demselben Kinderkarussell gefahren war, rannte sie nun herüber zu den Ponys. „Ich auch! Bitte, Onkel Harry! Mami, darf ich?!“, bettelte Marie. Prinzessin Jane lachte und ließ Harry mit seiner Nichte allein.

Während Harry darauf acht gab, dass Marybeth nicht vom Pferd fiel, wanderte Jane durch die aufgestellten Pavillons und machte eine Entdeckung: Um zwei Uhr gab es im großen Zelt eine kleine Zirkusvorstellung, gefolgt von einer Märchenstunde, die eine gewisse Lindsay Canningham durchführte. Canningham? So hieß doch auch Isabel mit Familiennamen! Jane lächelte verschmitzt, denn sie hatte so eine Vorahnung und lief zu ihrer Tochter und Harry herüber. „Marie, dort drüben kommen gleich die Clowns, die magst Du doch so gerne. Wollen wir hinübergehen?“

„Au ja!“, erwiderte Marybeth begeistert.

Harry seufzte. „Oh weh, was tust Du mir nur an, Jane?!“

„Was hast Du denn? Lachen ist gesund! Im Übrigen könntest Du auch mal wieder ein paar Glückshormone ganz gut gebrauchen. Und ich denke, Marie ist die beste Ablenkung für Dich!“, erklärte Jane simpel.

„Danke, das ist zu gütig von Dir! – Ich wäre ja schon froh, wenn ich wüsste, ob Isabel meinen Brief wenigstens gelesen oder gleich zerrissen hat …“

„Harry, sei nicht so ungeduldig! Lass ihr Zeit. Wenn Du sie bedrängst, bewirkst Du doch nur das Gegenteil von dem, was Du eigentlich willst.“

Bevor Harry erneut etwas darauf erwidern konnte, rief Marybeth bereits wieder nach ihnen: „Onkel Harry, Mami … die Clowns!!!“

Gemeinsam betraten sie das Festzelt.

Während sich Marie in die erste Reihe zu den anderen Kindern setzte, machten es sich Jane und Harry im hinteren Bereich auf einer der Bänke bequem. Zu Janes Freude amüsierte sich Harry genauso köstlich wie ihre Tochter über die zwei Kasper in der Mitte der Manege. Doch plötzlich wurde es dunkel im Zelt und man konnte an der Decke goldene Sterne tanzen sehen. Es war Zeit für die Märchenstunde.

Eine Dame mittleren Alters, mit goldenem, langem Haar, einem spitzen Hut mit Schleicher, sowie einem seidigen Kleid wurde von zwei Pagen in die Manege getragen. In einer Hand hielt sie einen Feen-Zauberstab und in der anderen ein dickes Märchenbuch. Harry lehnte sich zurück und schloss für einen Moment die Augen. Endlich saß Marybeth einmal völlig ruhig und gespannt auf dem Boden und sah erwartungsvoll wie alle anderen Kinder die Märchenfee an. Doch abrupt öffnete Harry die Augen wieder, als er die Stimme der Märchenfee hörte. Irritiert sah er der Frau in der Mitte des Zeltes ins Gesicht. Harry sah aus, als hätte er ein Gespenst gesehen.

Während die Märchenfee den kleinen Kindern das Märchen vom Nussknacker erzählte, beobachtete Jane Harry ganz genau. „Was ist los?“, flüsterte sie.

„Die Frau da vorne spricht genauso wie Isabel, und sie sieht, einmal abgesehen von den Haaren, auch fast aus wie sie; nur halt älter“, sagte Harry zu Jane.

„Bist Du Dir da ganz sicher?“

„Ich denke schon …“

Während Harry weiter darüber grübelte, ob es sich bei der Frau um eine Verwandte von Isabel handeln könnte, schaute die Märchenfee parallel ebenfalls in regelmäßigen Abständen zu Harry herüber.

Nachdem das Märchen vorbei war, wurde das Zelt wieder hell erleuchtet und die Kinder strömten schnell wieder nach draußen. Außer Marybeth, sie saß noch immer gebannt vor der Frau in der Manege. „Bist Du wirklich eine Fee?“, fragte Klein Marie auch sogleich die Geschichtenerzählerin.

Die Dame lächelte: „Schon möglich. Hast Du denn einen Wunsch, der erfüllt werden soll?“

„Ja, ich möchte, dass mein Onkel wieder lacht und fröhlich ist und ganz viel Quatsch mit mir macht!“, offenbarte Marie. Jane und Harry, die sich zu Marie begeben hatten, blieben abrupt stehen und starrten entsetzt zu der Frau herüber.

 

„Oh! Das ist aber ein sehr großer Wunsch. Hast Du denn Deinen Onkel schon einmal gefragt, warum er mit Dir nicht mehr so viel herumalbert?“

„Papi sagt immer, Onkel Harry hat keine Zeit. Und Mami hat mir verraten, dass Onkel Harry traurig ist.“

„Marybeth!“, kam es von Jane völlig fassungslos. Ihre Tochter war doch erst vier! Die Märchenfrau lächelte freundlich die Hoheiten an und winkte Harry wie Jane zu sich herüber.

„Mami, warum ist Onkel Harry traurig? Hat er mich nicht mehr lieb?“

„Oh Marie, nicht doch! Natürlich habe ich Dich ganz doll lieb! Du bist doch meine kleine Prinzessin!“, antwortete Harry für Jane und hob seine Nichte auf den Arm. „Weißt Du, Marybeth, Erwachsene sind manchmal einfach nur so traurig, weil sie allein sind und keinen zum … zum Spielen haben.“

„Aber Du kannst doch mit mir spielen!“, protestierte Marie.

Harry lächelte. „Ja, das ist richtig. Aber Du bist ja nicht immer in meiner Nähe und zudem möchten Deine Eltern doch auch mit Dir spielen. Und immer dann … ehm …“

„Marybeth, Du bist doch Onkel Harrys kleine Prinzessin, nicht wahr?“, unterbrach Jane Harrys Erklärungsfindungen. Marybeth nickte begeistert. „Doch Dein Onkel hätte auch gerne eine große Prinzessin bei sich.“

„So wie Du?“, fragte Marie traurig.

Jane nickte. „Ja, so wie ich.“

„Liebe Fee, kannst Du eine große Prinzessin für meinen Onkel herbeizaubern? Damit er wieder lacht?“, fragte Marybeth hoffnungsvoll.

Die Märchenfee lächelte und meinte dann: „Na, mal schauen, was ich machen kann. Doch ich kann Dir nicht versprechen, dass Dein Wunsch von heute auf morgen in Erfüllung geht. Aber vielleicht kann ich Deinen Onkel überreden, nicht mehr ganz so traurig zu sein?!“

„Au ja!“, schrie Marybeth. Prompt wurde Harry knallrot.

„So, komm, meine kleine Maus. Wir gehen jetzt wieder nach draußen zu den Ponys und lassen Onkel Harry und die Märchenfee einmal allein“, sagte Jane und nahm ihre Tochter an die Hand.

Kaum waren Jane und Marybeth aus dem Zelt, kamen erneut die zwei Pagen und trugen die Geschichtenerzählerin auf ihrer Sänfte in den hinteren Teil des Zeltes. „Würden Sie mich begleiten, Euer Hoheit?“, fragte die Dame währenddessen freundlich. Leicht unsicher folgte Harry den zwei Pagen, die die Märchenfee kurzerhand in einen Rollstuhl setzten. Harry starrte die Frau im Rollstuhl irritiert an. „Euer Hoheit?!“

„Verzeihung, Miss …“

„Misses … Canningham. – Ja, ich bin Isabels Mutter.“

Harry schwirrte der Kopf, er musste sich erst einmal setzen. Da nichts anderes greifbar war, nahm er die Sänfte. „Euer Hoheit, was geht Ihnen gerade durch den Kopf?“, fragte Misses Canningham daraufhin.

„Ich weiß nicht so genau, irgendwie überschlägt sich gerade alles“, gestand Harry.

„Weil ich im Rollstuhl sitze oder weil ich Isabels Mutter bin?“

„Ähh, beides irgendwie …“

„Dass ich im Rollstuhl sitze, muss Sie nicht belasten. Das tue ich bereits seit mehr als neun Jahren.“ Harry schluckte. „Ich habe mich damit abgefunden und lebe mein Leben so, wie es nun einmal ist. Also grübeln Sie nicht länger darüber nach. Ich denke, es würde Sie wahrscheinlich auch viel mehr interessieren, ob meine Tochter Ihren Brief gelesen hat und wie ihre Reaktion darauf war?!“ Harry hielt hörbar die Luft an. Misses Canningham fing unweigerlich an zu schmunzeln. „Um es kurz zu machen: Bevor meine Tochter Ihren Brief las, habe ich ihn gelesen. Denn Isabel hat nichts anderes getan als ihn nach Empfang sofort in den Papierkorb zu werfen.“ Harry schluckte erneut und kämpfte mit den Tränen, die ihm unweigerlich in die Augen traten, was ihm mehr als peinlich war.

„Ich kann Ihnen auch sagen, warum meine Tochter Ihren Brief sofort wegwarf: Sie war, oder besser gesagt ist immer noch wütend.“ Fragend hob Harry eine Augenbraue. „Sie ist wütend auf Sie, wütend auf sich selbst und sie ist wütend auf die ganze restliche Welt. Denn bislang hat in ihrem Leben noch nicht alles so geklappt, wie sie es sich gern vorgestellt hat und ihr Vater ist nicht gerade jemand, der sie tröstet oder unterstützt. Eher haut er noch einmal ordentlich kräftig oben drauf!“ Verwirrt starrte nun Harry die Dame vor sich an.

Unweigerlich fing Misses Canningham erneut an zu schmunzeln. „Verzeihen Sie, Euer Hoheit, ich glaube, ich sollte von vorn und nicht mittendrin anfangen zu erzählen …“

Harry nickte.

„Nachdem Isabel ihren Abschluss gemacht hat, wollte sie Friseurin werden. Doch ihr Vater war von Anfang an dagegen. – Mein Mann ist ein sehr strenger Mensch, wenn es um das Wohl seines Fleisch und Blutes geht, müssen Sie wissen. Und als Isabel eines Tages mit kurzen, wasserstoffblondgefärbten Haaren ankam, gab es erst einmal mächtigen Zoff. Als sich dann auch noch herausstellte, dass Isabel den Beruf einer Friseurin gar nicht erlernen konnte, da sie eine Allergie gegen bestimmte chemische Färbungsmittel hat, knallte es erneut heftig zu Hause.“

Misses Canningham machte eine kurze Pause. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass der Prinz ihr noch immer aufmerksam zuhörte, erzählte sie weiter: „Als Nächstes hatte Isa den fixen Gedanken ein Medizinstudium zu beginnen. – Was sie dazu verleitet hat, ist mir bis heute nicht ganz schlüssig! – Aber wie sollte es auch anders sein: Nach einem halben Jahr brach Isabel das Studium wieder ab, da sie laut eigener Aussage mit den Anforderungen nicht zurechtkam.“

„Lassen Sie mich raten, und erneut gab es Streit mit ihrem Vater?!“, warf Harry ein.

Misses Canningham schmunzelte. „Ja, leider. Aber nun dachte ich, es wird doch noch am Ende alles gut, als sie sich von heute auf morgen als Kinderbetreuerin selbstständig machte. Natürlich gab es auch hier erst einmal wieder eine heftige Auseinandersetzung; diesmal ging es jedoch vielmehr um den ganzen finanziellen Kram. Denn zwischenzeitlich hatten sich Vater und Tochter wieder eingekriegt und meine Tochter schien glücklich mit ihrem Beruf. Leider kam nun unverhofft eine Situation, mit der wohl keiner von uns gerechnet hatte. Denn ihr wurden von heute auf morgen die Räumlichkeiten der Kindertagesstätte gekündigt! Und sie gibt Ihnen – verzeihen Sie –, Euer Hoheit, daran die Schuld. Denn es war genau die Zeit, nachdem sie Sie kennen und zu beschimpfen gelernt hat“, erklärte Misses Canningham sachlich.

„Und was, bitte schön, habe ich mit der Kündigung zu tun?“, fragte Harry, der nur Bahnhof verstand.

„Der Vermieter des Hauses ist die Majestäts-Wohnungsbaugesellschaft. Kennen Sie die rein zufällig?“, fragte Isabels Mutter.

„Nicht persönlich, einer meiner Onkel steckt da irgendwie mit drin. Aber jetzt kann ich eins und eins zusammenzählen.“

„Genau, Isabel ist der festen Überzeugung, dass Sie für die Kündigung verantwortlich sind.“

Seufzend schüttelte Harry den Kopf.

„Ich habe mir schon gedacht, dass Sie nichts damit zu tun haben. Aber nachdem, was zwischen Ihnen und meiner Tochter vorgefallen zu sein scheint, kann ich Isabels Reaktion nur verstehen. Ich hätte den Brief auch ungelesen weggeworfen!“ Unsicher blickte Harry zu Misses Canningham. „Wie schon erwähnt, hat meine Tochter zwischenzeitlich Ihren Brief gelesen. Allerdings ist sie derzeit nicht gewillt, Sie wiederzusehen. Es tut mir leid.“

Harry schluckte, nickte aber. „Darf ich Sie trotzdem nach Hause bringen, oder werden Sie abgeholt?“, fragte Harry daraufhin.

„Nein, werde ich nicht. Danke, ich nehme Ihr Angebot gerne an. Ich habe gleich gewusst, dass Sie nicht der Wüstling sind, den meine Tochter gern zu beschreiben meint!“ Unweigerlich musste Harry grinsen und auch Misses Canningham lächelte zuversichtlich.

Bevor Harry Isabels Mutter bis zu ihrer Haustür brachte, saßen beide noch eine ganze Weile im Auto und unterhielten sich über das Problem mit der Raumkündigung. Harry hatte die Idee, Isabel für die gleichen Konditionen neue Räumlichkeiten zu besorgen, ohne dass sie davon erfuhr, wer der Initiator war. Im Gegenzug wollte Misses Canningham versuchen, die Eltern der fünf Kinder dazu zu bringen, Isabel ihre Kinder wieder anzuvertrauen. Beide hatten die Hoffnung, dass sich Isabel dann eventuell wieder beruhigen würde und Harry eine Chance gab, sich ihr noch einmal in einem ungestörten Gespräch mitzuteilen.

„Misses Canningham, ich danke Ihnen für die aufschlussreiche Unterhaltung und wünsche Ihnen und Ihrer Familie bereits jetzt besinnliche Weihnachtsfeiertage. Sie melden sich bei mir?“, sagte Harry. Misses Canningham nickte und bedankte sich ebenfalls für die Heimfahrt.

Kaum war Harry wieder in seinen eigenen vier Wänden, als er sich auch schon mit seinem Onkel, Prinz Edward, in Verbindung setzte und abklärte, warum das Haus in der Jonesstreet abgerissen werden sollte und ob dieser ein paar gute Adressen für eine Kindestagesstätte hätte. Prinz Edward war zwar mehr als überrascht über die Anwandlungen seines Neffen, aber er half ihm gern. Und gemeinsam fanden Harry und Prinz Edward eine Immobilie, die Harry als sehr geeignet für eine Tagesmutter hielt. Er konnte es kaum mehr erwarten, dass sich Misses Canningham bei ihm meldete.

Leider zögerte sich der Anruf noch fast eine ganze Woche hinaus. Als dann Harrys Telefon klingelte, konnte er mit der Nummer, die angezeigt wurde, überhaupt nichts anfangen und ließ daher seinen Sicherheitsbeauftragten das Gespräch entgegennehmen. „Guten Tag, mein Name ist Lindsay Canningham, ich hätte gern Seine Hoheit, Prinz Harry, gesprochen. Wir haben einen Telefontermin.“

Als Harry hörte, wer ihn sprechen wollte, hellte sich sein Gesicht sofort auf. „Hallo Misses Canningham, es freut mich, dass Sie es doch noch geschafft haben, mich zu erreichen.“

„Verzeihen Sie, Euer Hoheit, dass mein Anruf später als erwartet kommt. Aber erst einmal musste ich ein leeres Haus haben, um mit Ihnen ungestört reden zu können. Mein Mann ist für zwei Tage auswärts unterwegs und Anabel hat es nun doch noch geschafft, meine Tochter zu einem Aquariumbesuch zu überreden. Wir sind jetzt also ungestört. Konnten Sie etwas erreichen?“, fragte Misses Canningham sodann.

„Ja, das konnte ich! Ich habe ein nettes Haus unweit der Jonesstreet gefunden, in dem man eine Kindertagesstätte einrichten könnte. Ich wollte Sie fragen, ob Sie sich vielleicht die Räumlichkeiten einmal anschauen wollen?“, überfiel Harry die Mutter von Isabel auch sogleich.

„Oh, so schnell? Gern sehe ich mir die Räumlichkeiten einmal an. Ich kenne den Eigensinn meiner Tochter ganz gut und kann somit abschätzen, ob sie damit einverstanden wäre. Wann soll ich denn dort hinkommen?“, fragte Misses Canningham.

„Wenn es Ihnen zeitlich passen würde, am besten sofort! Ich würde Sie auch abholen lassen; wenn Sie möchten?“, erklärte Harry.

„Nein, ich habe nichts dagegen, schließlich werde ich selten mit einer Limousine durch die Gegend kutschiert! Geben Sie mir eine halbe Stunde?“, fragte Misses Canningham hörbar amüsiert.

„Sehr gerne; in gut dreißig Minuten holt Sie sodann mein Fahrer ab und bringt Sie in die Middleroad.“

Gesagt, getan. Eine knappe Stunde später fanden sich Lindsay Canningham und Prinz Harry in dem Erdgeschoss des Hauses in der Middleroad ein. Isabels Mutter war von den Räumlichkeiten begeistert. Es gab sogar einen großen gartenähnlichen Innenhof mit Spielwiese und einem Kinderspielplatz. Ideal für die fünf kleinen Kinder von Isabel. Des Weiteren war das Haus gerade frisch saniert worden und hatte einen nagelneuen hellen Anstrich erhalten.

Misses Canningham standen vor Freude die Tränen in den Augen. „Und meine Tochter kann hier wirklich für die gleichen Konditionen wie in dem alten Haus einziehen?“, fragte sie daraufhin ungläubig.

„Ja, versprochen ist versprochen! Mein Onkel lässt übrigens ausrichten, dass das Haus in der Jonesstreet tatsächlich abgerissen werden muss, auch wenn es von der Struktur noch völlig intakt ist. Es steht jedoch auf feuchtem Untergrund und kann somit jederzeit wegsacken. Es ist einfach zu gefährlich! Hätte er gewusst, dass dort eine Kindertagesstätte ihre Räumlichkeiten innehat, hätte er sich sogleich persönlich darum bemüht gleichwertigen Ersatz zu finden.“

Misses Canningham lächelte abermals. „Die Wohnungsbaugesellschaft hat meiner Tochter gleichartige Räume angeboten, jedoch zu Mietpreisen, die sich meine Tochter leider nicht leisten kann.“

Prompt wurde Harry knallrot und räusperte sich. „Konnten Sie die Eltern der fünf Kinder zwischenzeitlich schon umstimmen, dass sie ihre Kinder Isabel wieder anvertrauen?“, fragte Harry anschließend, um das Gespräch wieder ein wenig umzulenken.

 

Misses Canningham schmunzelte. „Nicht nur das, ich habe sogar noch ein weiteres Kind hinzuziehen können! Meine Tochter wird also in zwei Wochen nicht nur fünf, sondern ganze sechs Kinder zu betreuen haben. Ich denke, wenn ich ihr diese Botschaft heute Abend überbringe, wird Isabel wieder lächeln. Und wenn Sie ihr dann noch ein wenig Zeit geben, wird sich sicherlich auch bald Ihrer beider Problem wieder in Luft auflösen.“

Harry nickte hoffnungsvoll. Danach drückte Harry Misses Canningham den bereits von der Majestäts-Wohnungsbaugesellschaft unterzeichneten Mietvertrag in die Hand und begleitete sie noch bis zum Wagen, der sie wieder sicher nach Hause brachte.

„Hallo Mum, na, wie war Dein Tag?“, begrüßte Isabel am Abend ihre Mutter.

„Hallo, mein Kind. Danke, ich kann mich nicht beklagen. Ich hatte eine Menge zu tun!“

Verwundert blickte Isabel ihrer Mutter ins Gesicht. Unweigerlich fing Lindsay an zu schmunzeln.

„Setz Dich, nimm Dir einen Kaffee und hör mir zu. Ich habe eine Überraschung für Dich!“

Noch immer irritiert setzte sich Isabel mit einer Tasse Kaffee an den Küchentisch und sah ihre Mutter erwartungsvoll an. Lindsay schob ihrer Tochter mehrere Bögen Papier über den Tisch herüber. Fragend nahm Isabel die Blätter in die Hand und fing an zu lesen: Mietvertrag zwischen der Majestäts-Wohnungsbaugesellschaft und Miss Isabel Canningham für die gewerbliche Nutzung des Erdgeschosses in der Middleroad No. 24.

Verdutzt blickte Isabel auf. „Was ist das?“

„Na, das steht doch da: Ein Mietvertrag!“

„Aber ich habe doch gar nicht …“

„Isa, das ist Dein neuer Mietvertrag für Deine Kindertagesstätte“, erklärte Lindsay ihrer Tochter.

„Ich verstehe nur Bahnhof. Wie kommst Du auf diese Adresse und vor allem, was soll der ganze Spaß denn kosten? Ich kann mir doch die Miete bestimmt nicht leisten. Das Haus in der Middleroad ist doch gerade erst ganz neu gemacht worden!“, jammerte Isabel auch sogleich los.

„Isabel! Bleibe doch mal ganz ruhig und lies Dir den Mietvertrag richtig durch. Du wirst feststellen, dass Du die gleiche Miete zahlen wirst wie zuvor“, erklärte Lindsay ruhig weiter.

„Wie hast Du denn das wieder hingekriegt? Mir hat die Wohnungsbaugesellschaft doch auch Objekte angeboten, doch zu viel höheren Mietpreisen!“

Lindsay grinste. „Ich habe halt meine Kontakte …“ Fragend sah Isabel ihre Mutter an. Doch Lindsay schwieg beharrlich.

Irritiert las sich Isabel nun den Mietvertrag ganz in Ruhe durch.

„Mum, ich weiß zwar nicht, wie Du das gemacht hast, aber ich habe trotzdem noch ein kleines Problem: Denn ich habe ja noch nicht einmal mehr Kinder, die ich betreuen kann“, begann Isabel von Neuem herum zu jammern.

„Nein? Also ich zähle ganze sechs, die am Montag in zwei Wochen auf der Matte stehen werden.“

„Sechs? Mama, tut mir leid, aber Du irrst Dich! Ich hatte doch nur fünf unter Vertrag“, berichtigte Isabel ihre Mutter.

Lindsay grinste erneut breit über das Gesicht. „Meine liebe Tochter, lass Dich belehren: Es sind ab heute sechs. Und nun guck nicht so dumm aus der Wäsche, sondern freue Dich; schließlich ist Weihnachten!“, beschwerte sich Lindsay nunmehr.

Mit Tränen in den Augen warf sich Isabel überglücklich ihrer Mutter an den Hals. „Danke Mum. Ich weiß zwar nicht, wie Du das immer wieder anstellst, aber ich danke Dir für alles!“

„Schon gut, mein Kind, das habe ich doch gerne getan. Aber bitte sage Deinem Vater vorerst noch nichts davon. Ich werde ihm das auf meine Art schonend beibringen. Und nun geh und erzähle Anabel die neusten Nachrichten!“

Natürlich standen Isabel, Anabel und deren Bruder Alexander sofort am nächsten Tag vor dem Haus 24 in der Middleroad und strichen die weißen Wände bunt an. Nachdem die Wände trocken waren, räumten sie mit gemeinsamen Kräften die Möbel und Spielutensilien in die gemieteten Räume im Erdgeschoss ein. Nachdem alles lag, stand und hing, wo es sollte, saßen die drei am Abend geschafft auf einer der Gummiturnmatten und stießen auf die berufliche Zukunft von Isabel an. Just in dem Moment betrat Prinz Edward die Räumlichkeiten. Prompt verschluckte sich Isabel an ihrem Sekt.

„Oh, Verzeihung, ich wollte Sie nicht erschrecken. Ich wollte mich nur erkundigen, ob alles zu Ihrer Zufriedenheit ist“, begrüßte Prinz Edward die drei jungen Leute. „Aber wie ich sehe, haben Sie sogar schon alles kindgerecht hergerichtet!“

„Die wird man wohl nie los“, kam es im Flüsterton von Isabel.

„Wie auch, schließlich sind sie die Vermieter“, erwiderte Alexander amüsiert.

„Guten Tag, Euer Hoheit. Ja, danke, es ist alles bestens“, rettete Anabel die Situation.

Prinz Edward lächelte zufrieden und sah sich im Raum um. „Und wer von Ihnen ist die Erzieherin?“

„Sie!“, haute sofort Alexander laut heraus und zeigte mit dem Finger auf Isabel. Freundlich reichte Prinz Edward Isabel die Hand.

Isabel musste sich zusammenreißen, um dem Drang, diese zu verweigern, nicht nachzukommen. „Angenehm.“

„Ich wünsche Ihnen viel Spaß in Ihren neuen Räumen. Und sollte einmal ein Wasserhahn tropfen oder die Rutsche kaputt sein, dann rufen Sie einfach den Hausmeisterservice. Er kümmert sich dann umgehend darum – auf unsere Kosten, natürlich; versteht sich!“, erklärte Prinz Edward sachlich. Völlig ungläubig starrte Isabel Prinz Edward an. Doch er lächelte nur zuversichtlich und verabschiedete sich dann auch schon wieder mit den Worten „Ein Frohes Fest und einen guten Start ins neue Jahr, wünsche ich.“

Nachdem der Prinz gegangen war, fragte Isabel: „Habe ich irgendetwas nicht mitbekommen?“

Anabel lachte. „Wer weiß, vielleicht hat er erst jetzt erfahren, wen er da aus der Jonesstreet geworfen hat. Und soweit ich weiß, liebt er seine Kinder abgöttisch. Ich denke, es war sein Gewissen, welches ihn da geplagt hat.“

„Vielleicht hat aber auch Deine Mutter ihren Teil dazu beigetragen“, überlegte Alexander.

Isabel hob die Schultern und grinste. „Tja, wozu meine Mutter doch alles gut sein kann: Selbst die Königsfamilie kuscht vor ihr!“

„Heißt das, wenn Dir Prinz Harry wieder einmal über den Weg läuft, dass Du dann nicht mehr vor ihm davon rennst?“, fragte Anabel lapidar. Prompt sank Isabels Euphorie wieder in den Keller. „Wusste ich es doch! Isa, was ist zwischen Dir und dem Prinzen vorgefallen?“, hakte Anabel auch sofort nach.

„Nichts!“, kam es todernst von Isabel.

„Und warum bist Du dann so schlecht auf ihn zu sprechen?“, fragte nun auch Alexander interessiert.

„Ich kann ihn einfach nur nicht leiden! Der Mensch kennt keine Skrupel und benimmt sich in der Öffentlichkeit nicht gerade wie ein Prinz. Eher wie ein wildes Tier“, erklärte Isabel wütend.

Fragend sahen sich die Geschwister Baxtor an.

„Und Du bist Dir sicher, dass da nicht doch noch etwas anderes ist? Ich meine, ich mag auch den ein oder anderen nicht, deshalb nehme ich aber nicht gleich panisch Reißaus, wenn mir die Person irgendwo begegnet“, sagte Anabel.

Doch Isabel hatte keine Lust, sich jetzt damit auseinanderzusetzen. Sie wollte jetzt viel lieber nach Hause und ein heißes Bad nehmen. Demnächst würde sie wieder alle Hände voll zu tun haben, mit ihren fünf; nein, sie korrigierte sich: Sechs kleinen Quälgeistern. Und darauf freute sie sich jetzt schon!