Zur Fremdrechtsanwendung im Wirtschaftsstrafrecht

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Anmerkungen

[1]

Embid Irujo/Grimaldos García S. 245.

[2]

Moya Jiménez Responsabilidad, S. 22; Embid Irujo/Grimaldos García S. 246.

[3]

Rojo/Beltrán/Quijano Comentario II, Art. 238 (S. 1708 ff.); Embid Irujo/Grimaldos García S. 246. Eine Haftung als dem allgemeinen Deliktsrecht nach Art. 1902 CC erfolgt hingegen nicht, da dieser im Falle der Konkurrenz mit dem LSC hinter die spezielleren gesellschaftsrechtlichen Regelungen zurücktritt, Kaiser S. 235.

[4]

In der spanischen Literatur herrscht Uneinigkeit über den Anwendungsbereich dieser Vorschrift. Während eine Ansicht eine engen Anwendungsbereich bevorzugt und ihn auf Fälle reduziert, in denen die Verwalter den Schaden bei Handeln im eigenen Namen und nicht in ihrer Funktion als Verwaltungsorgan verursacht haben, legt die andere Ansicht und auch die Rechtsprechung ein weites Verständnis zugrunde und bezieht auch letztere Funktion mit ein, dazu Embid Irujo/Grimaldos García S. 250 f.; Tresselt S. 189 ff., zu einzelnen Anwendungsfällen der acción induvidual siehe Rojo/Beltrán/Esteban Velasco Comentario II, Art. 241 (S. 1731 ff.); Moya Jiménez Responsabilidad, S. 81 f.

[5]

Zum Begriff des faktischen Verwalters (administrador de hecho), dessen Haftung nun ausdrücklich in Art. 236.3 LSC aufgenommen wurde, siehe Embid Irujo/Grimaldos García S. 246 f.; zur Vorgängervorschrift des Art. 133.2 LSA v.Wolffersdorff RIW 2006, 586, 590 f.

[6]

Embid Irujo/Grimaldos García S. 247 f.; Moya Jiménez Responsabilidad, S. 22 f.; Rojo/Beltrán/Quijano Comentario II, Art. 236 (S. 1695 ff.).

[7]

Eine Exkulpationsmöglichkeit besteht für den Fall, dass die Verwalter beweisen können, dass sie an der Beschlussfasssung oder Durchführung nicht mitgewirkt haben, von ihr keine Kenntnis hatten oder bei Kenntnis alles Erforderliche unternommen haben, um den Eintritt des Schadens abzuwenden oder sich ihm zumindest widersetzten, vgl dazu Rojo/Beltrán/Quijano Comentario II, Art. 237 (S. 1703 ff.); Bascopé/Hering GmbHR 2005, 609, 612. Eingehend zum Prinzip der solidarischen Haftung Moya Jiménez Responsabilidad, S. 28 ff.

[8]

Rojo/Beltrán/Quijano Comentario II, Art. 236 (S. 1698 ff.)

[9]

Löber/Lozano/Steinmetz S. 160; Rojo/Beltrán/Quijano Comentario II, Art. 238 (S. 1713 f.).

[10]

Zu den einzelnen Voraussetzungen siehe Embid Irujo/Grimaldos García S. 250; Rojo/Beltrán/Quijano Comentario II, Art. 239 f. (S. 1717 ff.); Tresselt S. 185 ff.

[11]

Löber/Lozano/Steinmetz S. 161; Embid Irujo/Grimaldos García S. 251 f.

[12]

Rojo/Beltrán/Bataller Comentario II, Art. 367 (S. 2573); kritisch hierzu Rodríguez Ruiz de Villa/Huerta Viesca S. 560 ff.; Kaiser S. 145 f.

[13]

Rojo/Beltrán/Bataller Comentario II, Art. 367 (S. 2573 ff.); Moya Jiménez Disolución, S. 121; Kaiser S. 174. Die Haftung gilt jedoch nur noch für Verbindlichkeiten, die nach dem Eintritt der Situation, die zur zwingenden Auflösung der Gesellschaft führt, entstanden sind, vgl. v.Wolffersdorff RIW 2006, 586, 592.

[14]

Eingehend zur Haftung wegen Konkursverschleppung Guerra Martín/Pulgar Ezquerra S. 335 ff.; Ochs S. 175 ff.; Kaiser S. 181 ff.

Teil 2 Zur spanischen Sociedad de Responsabilidad Limitada (SL) › VII. Zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Verwalter

VII. Zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Verwalter

33

Das spanische Gesetzbuch sieht in den Artt. 290-295 CP[1] spezielle gesellschaftsbezogene Straftaten (delitos societarios) vor. Diese normieren eine strafrechtliche Haftung der (auch faktischen)[2] Verwalter, die die Gesellschaft, die Gesellschafter oder Dritte schädigen. Sanktioniert werden das Verfälschen des Jahresabschluss oder von Dokumenten über die rechtliche oder wirtschaftliche Lage des Unternehmens (Art. 290 CP), der Missbrauch einer beherrschenden Stellung in der Gesellschafterversammlung (Artt. 291, 292 CP) sowie die Behinderung der Gesellschafter an der Ausübung ihrer Informations- oder Teilnahmerechte (Art. 293 CP) oder die Behinderung von Aufsichts- oder Kontrollbehörden (Art. 294 CP).[3] Mit dem deutschen Straftatbestand der Untreue gemäß § 266 StGB vergleichbar ist Art. 295 CP, der den Missbrauch der Verwalterstellung zur eigennützigen Verfügung über Vermögen der Gesellschaft unter Strafe stellt.[4] Aus zivilrechtlicher Sicht ist die Strafbarkeit der Verwalter relevant, da Art. 1902 CC anordnet, dass für Straftaten nach den Maßgaben der Art. 109 ff. CP eine zivilrechtliche Haftung für die entstandenen Schäden entsteht.[5]

Anmerkungen

[1]

Gesetz 10/1995 vom 23.11.1995, BOE Nr. 281 vom 24.11.1995.

[2]

In der spanischen Literatur wird jedoch kritisiert, dass der Begriff des faktischen Verwalters zu weit geraten ist, da dieser nur den Tatbestand des Art. 295 CP verwirklichen kann. Art. 293 CP hingegen wird durch den faktischen Verwalter nicht erfüllt sein, Art. 294 CP nur, wenn es daneben keinen formal ernannten Verwalter gibt. Art. 290 wird nur für den Fall eingreifen, dass seine Ernennung fehlerhaft war, er aber sein Amt als Verwalter tatsächlich ausübt, da dieser andernfalls den Jahresabschluss nicht verfälschen kann, dazu eingehend Guerra Martín/Silva Sánchez S. 902 f.; Moya Jiménez Responsabilidad, S. 345.

[3]

Vgl. Luzón Peňa/Caňadillas ZStW 2010, 354, 355 f.; Guerra Martín/Silva Sánchez S. 900 ff.; Moya Jiménez Responsabilidad, S. 333 ff.; Kaiser S. 191 Fn. 226.

[4]

Der Anwendungsbereich des Art. 295 CP reicht jedoch nicht so weit wie § 266 StGB, siehe Guerra Martín/Silva Sánchez S. 938.

[5]

Moya Jiménez Responsabilidad, S. 328 f.; dies entspricht § 823 II BGB i.V.m. dem deutschen Strafrecht, Kaiser S. 191 f.

Teil 2 Zur spanischen Sociedad de Responsabilidad Limitada (SL) › VIII. Buchführungs- und Bilanzierungspflichten bei der SL

VIII. Buchführungs- und Bilanzierungspflichten bei der SL

34

Die spanischen allgemeinen Buchführungs- und Bilanzierungspflichten (De la contabilidad de los empresarios) finden sich in den Artt. 25-41 CCo. Art. 25 I CCo verpflichtet jeden Kaufmann zur ordnungsgemäßen Buchführung, aus der sich die Geschäftsvorfälle in chronologischer Reihenfolge ebenso wie periodisch aufgestellte Bilanzen sowie das Inventar ableiten lassen müssen.[1] Art. 29 CCo gibt die Art und Weise der Buchführung vor, deren Beschreibung in etwa den deutschen Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung (GoB) entspricht.[2] Gleiches gilt nach Art. 34.2 CCo für die Erstellung des Jahresabschlusses.[3] Nach Art. 30 CCo sind handelsrechtliche Unterlagen vorbehaltlich speziellerer Regelungen sechs Jahre aufzubewahren. Artt. 35 ff. CCo treffen Regelungen über die Erstellung der Bilanz des Unternehmens.[4] Die einschlägigen Vorschriften über den Jahresabschluss (Las cuentas anuales) der SL finden sich in den Art. 235 ff. LSC. Gemäß Art. 254 LSC umfasst der Jahresabschluss die Bilanz des Unternehmens, die Gewinn- und Verlustrechnung sowie den Anhang (memoria), die als Einheit aufzufassen sind und der Rechnungslegung der deutschen GmbH entsprechen.[5] Der testierte Jahresabschluss ist gemäß Art. 279 LSC beim Handelsregister zu hinterlegen. Zuwiderhandlungen oder die Missachtung der durch das Gesetz aufgestellten Buchführungs- und Bilanzierungspflichten führen zu zivilrechtlichen, steuerrechtlichen und verwaltungsrechtlichen Konsequenzen.[6]

Anmerkungen

[1]

Pérez-Serrabona González S. 2977 f.; Alonso Espinosa S. 81 f.

[2]

 

Zur Rechnungslegung im spanischen Recht Müller DB 1990, 1625, 1626 ff.

[3]

Alonso Espinosa S. 81, 91 f.

[4]

Alonso Espinosa S. 95 ff.

[5]

Vgl. Rades S. 82 ff.

[6]

Alonso Espinosa S. 85 f., 90 f.; Pérez-Serrabona González S. 2971 f.

Teil 3 Die Dogmatik der Fremdrechtsanwendung

Inhaltsverzeichnis

I. Zur Fremdrechtsanwendung im Strafrecht

II. Die Fremdrechtsanwendung als Teilbereich des Internationalen Strafrechts

III. Fremdrechtsanwendung in Literatur und Rechtsprechung

Teil 3 Die Dogmatik der Fremdrechtsanwendung › I. Zur Fremdrechtsanwendung im Strafrecht

I. Zur Fremdrechtsanwendung im Strafrecht

35

Von der Fremdrechtsanwendung im Strafrecht wird gesprochen, wenn bei Sachverhalten mit Auslandsbezug zur Vervollständigung ausfüllungsbedürftiger Straftatbestände des nationalen Rechts auf die Rechtsordnung eines anderen Staates zurück gegriffen werden muss. Von der Fremdrechtsanwendung im Strafrecht ist die Anwendung fremden Strafrechts zu unterscheiden. Ersteres betrifft nur die Heranziehung ausländischer Normen zur Begründung des Strafbarkeitsvorwurfs nach einer inländischen Strafnorm.[1] Dagegen bedeutet die Anwendung fremden Strafrechts die Ausübung originärer Strafgewalt durch ausländisches Recht. Einer Anwendung ausländischen Strafrechts durch deutsche Strafgerichte und Strafverfolgungsbehörden steht entgegen, dass die Ausübung von Strafgewalt der demokratischen Legitimation über das Staatsvolk bedarf, die die Bindung an Gesetze eines ausländischen Staates nicht bewirken könnte.[2] Ausländisches Recht kann daher nur dann zur Anwendung gelangen, wenn die deutsche Strafnorm selbst eine explizite oder implizite Verweisung auf ausländische Normen enthält.[3] Das Strafrecht muss folglich in diesen Fällen zu anderen Rechtsgebieten in Sekundärbeziehung stehen, da nur dann jene Form der Abhängigkeit zu anderen Teilen der Rechtsordnung gegeben ist, wie sie für die Fremdrechtsanwendung erforderlich ist.

Anmerkungen

[1]

Cornils S. 106 zieht hierbei einen Vergleich mit dem Internationalen Kollisionsrecht. Die „Hauptfrage“ würde nach deutschem Recht und nur die „Vorfrage“ nach ausländischem Recht beurteilt werden. Die nicht regelnde, sondern bloß subsumierende Anwendung fremden Rechts sei in Bezug auf die Ausübung staatlicher Gewalt unbedenklich.

[2]

NK-Böse Vor § 3 Rn. 63.

[3]

NK-Böse Vor § 3 Rn. 63.

Teil 3 Die Dogmatik der Fremdrechtsanwendung › I. Zur Fremdrechtsanwendung im Strafrecht › 1. Zur Akzessorietät von Straftatbeständen zu außerstrafrechtlichen Rechtssätzen

1. Zur Akzessorietät von Straftatbeständen zu außerstrafrechtlichen Rechtssätzen

36

Die Anknüpfung an das Strafrecht erfolgt über normative Tatbestandsmerkmale und Blankettstraftatbestände, die außerstrafrechtliche Rechtsbegriffe und Rechtsregeln voraussetzen.[1] Zur Ausfüllung herangezogen werden dabei regelmäßig Normen des Zivil- und Verwaltungsrechts oder auch des materiellen Steuerrechts.[2] Die meisten Teile des Wirtschaftsstrafrechts, insbesondere des Nebenstrafrechts, sind durch akzessorische Straf- und Bußgeldtatbestände gekennzeichnet. So bedarf § 370 AO der Ausfüllung durch materielle und formelle Normen des Steuerrechts.[3] § 34 I AWG a.F. verweist für die Genehmigungspflicht der Ausfuhr von Waren auf andere Vorschriften des AWG und der AWVO. Das Umweltschutzstrafrecht der §§ 324 ff. StGB zeichnet sich durch seine Verwaltungsrechtsakzessorietät aus. Zum einen bedarf die Interpretation einiger Tatbestandsmerkmale des Rückgriffs auf das Verwaltungsrecht, zum anderen verweisen einige Tatbestände selbst ausdrücklich auf das Verwaltungsrecht.[4] Insbesondere im Kernstrafrecht des StGB finden sich Strafnormen, deren Tatbestandsmerkmale allein zivilrechtlich bestimmt werden. Als prominentestes Beispiel hierfür gilt wohl die „Fremdheit“ der Sache in §§ 242, 246 StGB, für die die dingliche Rechtslage ausschlaggebend ist.[5] Die Rechtswidrigkeit des Vermögensvorteils in § 263 StGB bestimmt sich danach, ob dem Täter kein wirksamer, fälliger und einredefreier Anspruch gegen den Geschädigten zusteht. Zur Beurteilung der Rechtswidrigkeit ist hier wiederum das Zivilrecht heranzuziehen.[6] Die Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht im Rahmen des § 266 StGB richtet sich ebenso nach zivilrechtlichen Regelungen. Der Tatbestand setzt den Missbrauch einer Verfügungs- oder Verpflichtungsbefugnis voraus, die dem Täter durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumt worden ist. Am auffälligsten ist der Zusammenhang zwischen Strafrecht und Zivilrecht bei den §§ 283 ff. StGB. Die Merkmale der Überschuldung oder der Zahlungsunfähigkeit lassen sich nur mithilfe der Insolvenzordnung bestimmen. Taugliche Täter der Buchführungspflichten können nur Kaufleute nach dem HGB bzw. vertretungsberechtigte Organe juristischer Personen sein.[7] Weiter sind auch die in § 266a StGB verwendeten Täterbegriffe Statusbegriffe, die allein sozialrechts- bzw. zivilrechtsakzessorisch ausgefüllt werden können.[8]

Anmerkungen

[1]

Vgl. Tiedemann AT, § 5 Rn. 197 ff.; ders. JuS 1989, 689, 694 ff.

[2]

Mosiek StV2008, 94, 97.

[3]

Eingehend zum Tatbestand der Steuerhinterziehung Wabnitz/Janovsky/Pflaum 20. Kap. Rn. 10 ff.

[4]

Vgl. Lackner/Kühl Vor § 324 Rn. 2 ff.; S/S-Heine/Hecker Vorbem. §§ 324 ff. Rn. 11 ff.; MK-StGB/Schmitz Vor §§ 324 ff. Rn. 41 ff.

[5]

Mankowski/Bock ZStW 2008, 704, 705.

[6]

MK-StGB/Hefendehl § 263 Rn. 801 ff.

[7]

Vgl. Fischer Vor § 283 Rn. 19; MK-StGB/Radtke/Petermann Vor § 283 Rn. 41 ff.

[8]

MK-StGB/Radtke § 266 a Rn. 8.

Teil 3 Die Dogmatik der Fremdrechtsanwendung › I. Zur Fremdrechtsanwendung im Strafrecht › 2. Die Begriffsbestimmung der Akzessorietät

2. Die Begriffsbestimmung der Akzessorietät

37

Diese Beispiele verdeutlichen, dass das Strafrecht in unterschiedlicher Weise von anderen Rechtsgebieten abhängig ist. Für die hier angesprochene Inbezugnahme außerstrafrechtlicher Rechtsbegriffe ist eine pauschale Begriffsbeschreibung der Akzessorietät in Sinne von „Abhängigkeit“ jedoch nicht ausreichend. Der strafrechtliche Akzessorietätsbegriff umfasst vielmehr verschiedene Erscheinungsformen, sei es zum einen als begriffliche Abhängigkeit des Strafrechts von anderen Rechtsgebieten, mit der Folge, dass außerstrafrechtliche Begriffe nach außerstrafrechtlichen Gesichtspunkten auszulegen sind oder zum anderen aus Sicht der Strafrechtsfolge, die ausschließlich oder zusätzlich an den außerstrafrechtlichen Rechtssatz anknüpft oder auch in dem Sinne, dass die Gesamtheit der Rechtsfolgevoraussetzungen von außerstrafrechtlichen Vorgängen und Entscheidungen abhängig ist.[1] Das Strafrecht sichert dabei dieselben Werte, an denen die Gesamtheit der Rechtsnorm ausgerichtet ist und weist damit in seiner Eigenschaft als Schutzrecht eine enge Verknüpfung mit benachbarten Rechtsgebieten auf.[2] Die anfangs der Akzessorietät des Strafrechts zugrunde liegende Erwägung, dass das Strafrecht als ein „unselbständiges, innerhalb der Gesamtrechtsordnung von anderen abhängiges Gebilde den bereits durch andere Rechtsteile begründeten Rechtsgutsschutz nur noch um seine Sanktion ergänzt“[3], gilt mittlerweile als überholt. Es steht außer Frage, dass das Strafrecht mit den anderen Rechtsgebieten eine einzige Rechtsordnung bildet.[4] Unabhängig von der umstrittenen Frage, welche Bedeutung im allgemeinen dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung zukommen soll, dient dieser jedenfalls dazu, Normwidersprüche zu vermeiden, die entstehen würden, wenn ein Verhalten in strafrechtlicher Sicht als rechtswidrig, im übrigen aber als rechtmäßig erklärt würde.[5] Das Strafrecht kann insofern weder als bloße Sekundärmaterie noch als ausschließlich autonomes Rechtsgebiet bezeichnet werden, um darzulegen, dass eine strenge Abhängigkeit strafrechtlicher Begriffsbildung ebenso wenig geboten ist, wie eine ausnahmslose Loslösung des Strafrechts von außerstrafrechtlichen Kategorien.[6] Darauf basiert auch die Aufteilung in selbständiges und unselbständiges Strafrecht.[7] Bei den wichtigsten Gütern wie Leben, körperlicher Integrität, Ehre, Freiheit oder sexueller Selbstbestimmung bestimmt das Strafrecht als Primärmaterie die Rechtsgutqualität selbst und ohne Rückgriff auf Begriffe und Funktionen anderer Rechtsgebiete.[8] Auf der anderen Seite hat das Strafrecht die Aufgabe, die bereits durch andere Bereiche des Rechts vorformulierten Rechtsgüter zu schützen, so dass es insbesondere im Bereich des Nebenstrafrechts als Sekundärmaterie Rechtsbegriffe oder auch ganze Normenkomplexe daraus entnimmt.[9] Aber auch bei einer Anknüpfung an benachbarte Rechtssätze bedient sich das Strafrecht zum Teil einer eigenen Begriffsbildung oder -auslegung.[10]

38

Für die vorliegende Thematik besteht strafrechtliche Abhängigkeit damit in dem Sinne, dass der Tatbestand eines Strafgesetzes zum Teil aus Merkmalen besteht, die entweder explizit oder implizit auf bestimmte rechtliche Werte und Normen, insbesondere solcher anderer Rechtsgebiete, Bezug nehmen. Das Strafgesetz bedient sich folglich bei der Begriffsbestimmung der Vorarbeit außerstrafrechtlicher Normierungen.[11] Die „Akzessorietät des Strafrechts“ lässt sich danach definieren als der Verzicht eines Strafgesetzes auf die selbständige Normierung bestimmter Schutzbereiche durch die unveränderte Übernahme oder die ausdrückliche Verweisung auf einzelne Rechtsbegriffe bzw. ganzer Vorschriften aus anderen Rechtsgebieten.[12]

Anmerkungen

[1]

Tiedemann S. 45.

[2]

Engisch S. 32, 34.

[3]

So Binding S. 9 ff., 257. Der Streit über Grund und Umfang der Akzessorietät reicht bis ins 19. Jahrhundert zurück, vgl. dazu Maurach/Zipf AT, § 2 III Rn. 24; Satzger Europäisierung, S. 220 f.; Tiedemann S. 45 f. jew. m.w.N.

[4]

Satzger Europäisierung, S. 221.

 

[5]

Satzger Europäisierung, S. 221 ff. m.w.N.

[6]

Wietz S. 100; Tiedemann S. 46.

[7]

Tiedemann S. 46.

[8]

Jescheck/Weigend AT, § 7 II 2; Dreher NJW 1952, 1282, 1282.

[9]

Maurach/Zipf AT, § 9 II Rn. 19; MK-StGB/Schmitz Vor §§ 324 ff. Rn. 33; Dreher NJW 1952, 1282, 1282.

[10]

Vgl. hierzu Jescheck/Weigend AT, § 7 II 2; Cornils S. 8 f. jeweils mit Beispielen.

[11]

Mankowski/Bock ZStW 2008, 704, 705.

[12]

Cornils S. 10

Teil 3 Die Dogmatik der Fremdrechtsanwendung › I. Zur Fremdrechtsanwendung im Strafrecht › 3. Blankettstrafgesetze

3. Blankettstrafgesetze

39

Blankettstrafgesetze enthalten nur die Strafandrohung, verweisen aber hinsichtlich der Voraussetzungen, an die die Strafandrohung geknüpft wird, auf andere Vorschriften.[1] Das Strafgesetz ist zunächst ein unvollständiges Blankett, dessen Beschreibung der Merkmale des Tatbestandes sich nur in der Zusammenschau des Blanketts und der Ausfüllungsnorm ergibt.[2] Geprägt wurde der Begriff des Blankettstrafgesetzes von Binding. Er definierte Blankettstrafgesetze als jene Gesetze, die lediglich die Sanktionsandrohung enthalten, während die Ausfüllungsnorm der Strafvorschrift aus einer anderen Rechtssetzungsinstanz stammt.[3] Dies ist zumeist bei Verweisungen von Bundesrecht auf Landesrecht oder auf Verordnungen und Verwaltungsakte der Fall.[4] Nach modernem Verständnis wurde der Begriff des Blankettstrafgesetzes sowohl in formeller als auch materieller Sicht erweitert,[5] so dass als Blankettstrafgesetze auch solche Normen gelten, bei denen das Blankettgesetz und die ausfüllende Norm von derselben Rechtsetzungsinstanz erlassen werden,[6] sowie Strafgesetze, die nicht lediglich die Strafandrohung, sondern auch teilweise die Tatbestandsbeschreibung enthalten.[7]

40

Das wesentliche Motiv für die Verwendung blankettartiger Verweisungen besteht in der gesetzestechnischen Vereinfachung. Es erfolgt eine Inkorporation, indem die in Bezug genommenen Vorschriften durch die Verweisung zum Bestandteil der jeweiligen Verweisungsnorm werden.[8] Es ergibt sich somit kein Unterschied, ob der Tatbestand einer Norm von vornherein vollständig ausformuliert oder durch eine Verweisung auf die Ausfüllungsnorm zum Vollstrafgesetz wird. Der Vorteil der Verweisung liegt also darin, dass sie zum einen der Entlastung des Gesetzestextes der Verweisungsnorm und zum anderen des Gesetzgebers dient, soweit auf Normen eines anderen Gesetzgebers verwiesen wird.[9] Neben der Funktion der Vereinfachung steht zudem das Bedürfnis nach erhöhter Anpassungsfähigkeit des Strafrechtsschutzes an zunehmend komplexe gesellschaftliche Entwicklungen im Vordergrund.[10] Dies zeigt sich insbesondere im Nebenstraf- und Ordnungswidrigkeitenrecht, wo die Blankettgesetzgebungstechnik immer mehr an Bedeutung gewinnt, da auf das stetige Wachstum der Regelungsdichte im besonderen Verwaltungsrecht und der damit einhergehenden Wandelung der entsprechenden Rechtsgebiete mit Blankettnormen besser reagiert werden kann.[11] Mittels unionsrechtsakzessorischer Blankettgesetze wird zudem der aus Art. 4 III UA 2, 3 EUV abzuleitenden Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Gewährleistung einer gleichartigen und gleichwertigen Straf- und Bußgeldbewehrung von unmittelbar geltenden Rechtsakten der EU entsprochen.[12]

41

Zusammenfassend definiert sich das Blankettstrafgesetz mithin über zwei wesentliche Elemente: zum einen der Unvollständigkeit des Tatbestandes und zum anderen der Bezugnahme auf andere Rechtsnormen.[13] Nur durch ein Zusammenlesen des Strafgesetzes mit dem außerstrafrechtlichen Blankettausfüllungsakt ergibt sich ein vollständiges Strafgesetz.[14]