Elisabeth, Erbin von Toggenburg. Oder Geschichte der Frauen von Sargans in der Schweiz

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Adelheit von der Wart, an Noria Venosta.

O ihr, die ich mit Freuden Mutter nennen würde, da ihr die Gemahlinn meines unglücklichen Vaters seyd, wenn nicht diejenige, welche mich die Natur mit diesem theuren Namen nennen lehrte, mir ihn auf ewig verbittert hätte! Freundinn! künftige Vertraute! war es eine Erscheinung, oder erblickte ich würklich diejenige, deren Bild mein Herz sich so oft mahlte, ohne je das Original dazu zu finden?

Ach wir sind getrennt, getrennt, wie ich es befürchte, und der Schade dieses Verlusts ist nicht mein allein, es ist leider auch der eurige!

O daß ich in jener unglücklichen Nacht, da ich zu euch schlich, euch und eure schöne Mitgefangene zu warnen, so zögernd mit dem Bekenntnisse zu Werke ging; es sey dem Grafen von Vatz nicht zu trauen! – Verzeihet! Donat war mein Bruder! es ist schwer von einem Bruder das Schimpflichste zu gestehen!

Um Gottes und der heiligen Jungfrau willen, laßt euch nicht durch seine Freundlichkeit täuschen; ergreift auf eurer Reise nach dem Schlosse den ersten Augenblick zur Flucht, denn seyd ihr erst auf demselben angelangt, so wartet eurer der Tod oder ein schimpfliches Gefängniß, und das Fräulein von Rappersweil hat ein noch traurigeres Schicksal zu besorgen.

Jener Klostermann, Abt oder was er ist, der uns mit seinem heuchlerischen Gefolge entgegen zog, Gnade vor euerm Ueberwinder zu erflehen, wußte meinen Bruder auf seiner schwächsten Seite zu fassen, er versprach ihm seine Schonung mit dem Besitz einer jungen Schönheit zu vergelten, von welcher er vorgab, sie sey in seiner Gewalt. Donat, welcher nie der Geistlichkeit zu trauen pflegte, wollte die Erfüllung des Versprochenen auf der Stelle sehen, und die unglückliche Elisabeth ward dem Räuber ihrer Ehre entgegen geführt. Ihr begleitetet sie und vermehrtet durch euren Anblick das Feuer, mit welchem ich mich entschloß, die Unschuldige zu retten, so wie ich schon mehrere gerettet habe, die mit ihr im gleichen Fall waren.

Ich erblickte euch, Noria, und welchen Eindruck machtet ihr auf mein nach weiblicher Freundschaft schmachtendes Herz! O ihr kennt nicht meine ganze Lage, sonst würdet ihr errathen können, wie nöthig dieses Glück mir ist, nach welchem ich so lang vergeblich schmachtete. Zwar meine Schwester! – doch ihr kennt Imagina und werdet sie noch besser kennen lernen.

Imagina ist die Vertraute der Ausschweifungen ihres Gemahls. Blos das Versprechen der niederträchtichsten Nachsicht in diesem Stück und ihr Reichthum konnte sie zu Donats Gattinn machen. Sie ist weder schön noch gut, und haßt jedes weibliche Geschöpf, welches die Eigenschaften hat, welche ihr fehlen. Auch mich haßt sie und ich bin genöthigt ihr zu schmeicheln, um, da ich von dem, welcher mich schützen sollte, meinem unglücklichen Gemahl, getrennt leben muß, nicht ganz elend zu seyn.

Ihr sollt einst meine ganze Geschichte wissen, jetzt nur die Wiederholung meiner Warnung. Scheints doch, als ob selbst unsichtbare Mächte euch warnen wollten! Was war jenes seltsame Schrecken, das uns in voriger Nacht, da Imaginens Gegenwart mir die Zunge band, euch das zu entdecken, was ihr jetzo erfahrt, was war es, das uns so plötzlich auseinander scheuchte? Wars ein Gesicht, das wir sahen? ein Schall, den wir hörten? streifte die kalte Hand des Todes über unsern Nacken? – Voll Entsetzen sprangen wir alle auf, und sahen uns mit bleichen Gesichtern und der Frage an: Was war das? Selbst die halb entschlummerte Imagina bebte aus ihrer Betäubung empor, und zog mich mit kalter zitternder Rechte aus eurer Wohnung: O gewiß war dieses die Mahnung eures Schutzgeistes, der das vollenden wollte, was mich Imaginens Gegenwart zu thun hinderte. – Wenn ich der ganzen geheimnisvollen Eignung nicht noch eine andere Deutung geben soll. – Ich weiß nicht warum mich seit jenem Augenblicke des Schreckens, da ich euch zuletzt sah, der Gedanke an meinen Vater so fürchterlich verfolgt. Ich hoffe, es ist ihm kein Unglück begegnet, er ist ja in den Händen seines Sohns? Donat ist nicht Unmensch genug, die ersten Rechte der Natur zu verletzen!

O guter, guter Vater! seit ich Noria Venosta sahe, wallt mein Herz auch gegen dich von kindlichen Gesinnungen! Wie verächtlich, wie verabscheuenswürdig schilderte man mir diejenige, um derenwillen meine Mutter verstossen ward, und wie fand ich sie! Nöthigte ihr einnehmender Anblick nicht selbst meinem wilden Bruder Ehrerbietung ab? – O gewiß! man hat mich in Ansehung Graf Walters auf ähnliche Art getäuscht, ich werde noch das Glück geniessen, mich in die Arme eines guten Vaters zu werfen!

Noch einmal, theure Noria, Vorsicht für euch und Elisabeth, und für mich, schleunige Nachricht, wie es auf dem Schlosse stehet, wenn ihr dem Unglück dahin gebracht zu werden nicht entgehen könnet, und Gelegenheit findet mir bey diesem treuen Boten zu antworten. – Von mir nur so viel: Man ahndete meinen Entschluß euch zu warnen. Imagina ward in jener Nacht, da man muthmaßte, ich habe mich in dieser Absicht zu euch geschlichen, ausgesandt meiner zu hüten. Unter dem Vorwand von Krankheit mußte ich diesen Morgen bey eurem Zuge nach meines Vaters Schlosse zurückbleiben, um eure Rettung unmöglich zu machen. Ich werde nach Basel zu der Aebtißinn des Marienklosters, meiner heimlichen Freundinn gebracht, woher ihr mehr von mir hören sollt, denn ich hoffe durch meinen Boten euer ganzes Schicksal zu erfahren, damit ich versuchen kann, etwas zu eurer Rettung zu unternehmen.

Adelheit von der Wart.

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Noria an die Aebtißinn zu Basel.

Ihr fordert Erklärungen von mir, welche meinem Herzen schwer werden. Ich habe die ganze Geschichte meines unglückvollen Lebens zum Besten meiner Enkelinnen verfaßt, und ihr sollt sie einst lesen, wenn ihr eure Schwester unsere Domina besucht. Vor der Hand nur so viel. Nach jenem Augenblicke, da uns eine verborgene Hand, die Warnerinn vor künftigen Unglück schreckte, da wir alle etwas sahen, etwas fühlten, etwas vernahmen, ohne noch bis jetzt beschreiben oder begreifen zu können, was es war, nach jenem unglücksvollen Augenblick, da ich meinen Schutzgeist, eure und meine Adelheit von mir eilen sah, und in ihrer Entfernung den Tod, ich weiß selbst nicht warum, ahndete, fingen sich neue, von mir geprüften Unglückskennerinn noch nicht gekannte Leiden an. Jahre sind seit dem vergangen, wie soll ich alles erzählen!

Wir brachen am Morgen nach dem Schlosse auf, und Adelheit blieb, wie man sagte, krank zurück. Von der Burg kam uns die Post von dem Tode meines unglücklichen Gemahls entgegen. Wiherus, den wir zu seiner Hut zurückgelassen hatte, mochte seiner zu saumselig gehütet, oder sein elendes Leben verwahrloßt, oder (welches mir schier unglaublich dünkt, ungeachtet seine Feinde davon flüstern), selbst Hand angelegt haben ein unnützes Geschöpf von der Erde zu vertilgen. Dieses war das Wort, mit welchem sich der Freche erkühnte, Graf Donaten die Post von dem unglücklichen Ende seines Vaters zu bringen, und ich hatte die Genugthuung, zu sehen, daß der nunmehrige Graf von Vatz ihm auf die Art lohnte, wie er es verdiente.

Obgleich, in meiner langen, ach langen unterirdischen Gefangenschaft, die ich noch am Abend meines Einzugs auf dem Schlosse, das eigentlich mir gehörte, antreten mußte, mir meine Wärter, welche nach und nach mild und gesprächig wurden, oft sagten, der Abt von Churwalde sey wieder völlig mit Graf Donaten ausgesöhnt, und nehme fleißig Antheil an den schwelgerischen Festen, davon ich das Toben oft in meiner Tiefe vernahm.

Ich war nicht ganz verlassen, mein Schutzengel, meine hülfreiche Adelheit, wußte jeden kleinen Umstand zu meinem Besten zu nützen. Am ersten Abend unserer Bekanntschaft, ach das einige, einige mal, da ich die Theure sahe, die mir nachher nie wieder erschien! gab es zufällig die Rede, daß Kaiser Rudolfs Töchter meine Jugendfreundinnen gewesen waren, und die sinnreiche Freundschaft baute auf diesen Umstand meine Rettung. Adelheid wußte durch ihren Boten mein Schicksal, und sie war nicht sobald aus dem Kloster in die große Welt zurückgekehrt, als sie alles anwandte, mich meinem Kerkermeister, dem grausamen Donat, mit harter Hand zu entreissen.

Sie, die fast in einem Augenblicke die festeste Freundschaft für die arme Noria gefaßt hatte, sie, die bey ihren wenigen Kräften so viel für mich that, konnte freylich nicht anders denken, als daß sechs mächtige Fürstinnen gleich thätig seyn würden, eine alte Jugendgespielinn dem Elend zu entreißen. Leider irrte sie: Kaiser Rudolfs Töchter waren die Gemahlinnen großer Fürsten geworden, und dachten nicht mehr an diejenige, welche sie ehemals als ihres gleichen behandelten, und tausendmal schwuren, nie zu vergessen. Nur eine von ihnen, Agnes, die Herzogin von Sachsen, ließ sich durch Adelheits unabläßiges Bitten erweichen, und drang mit ihrer Macht beym Kaiser zu meiner Erlösung durch.

Ich ward dem Grafen von Vatz und Sargans, dem unrechtmäßigen Besitzer meiner Güter entrissen, aber ich mußte mir meine Befreyung durch feyerliche Entsagung aller meiner Rechte erkaufen. Gern that ich dieses; ich kannte seit Jahren kein anderes Gut als die Freyheit, und da ich nun frey war, keinen Wunsch, als Ruhe in einem Kloster. Elisabeth von Rappersweil hatte während der ersten Zeit meines Gefängnisses ein noch traurigeres Schicksal gehabt, als ich in meinem Kerker erfuhr, und ich verweise euch hierinn auf ihre von mir selbst verfaßte Geschichte. Die rhätischen Frauen wußten von jeher die Feder wohl zu führen, und liessen in dieser edeln Kunst manchen der gelehrtesten Mönche zurück. – Beklagenswürdige Elisabeth! was fühlt man, wenn man dich so in deinem eigenen rührenden Ton von deinen Leiden und Versuchungen, welche einem schwachen Fräulein fast zu mächtig waren, reden hört!

 

Der verliebte Donat ließ keine Kunst der Verführung unversucht, die Edle von der Bahn der Tugend und Treue abzulenken, und Imagina bot ihm dazu treulich die Hand. Es ist erschrecklich, daß ein Weib ihrem Gatten selbst Bahn auf dem Wege der Ausschweifungen machen, selbst Hand anlegen sollte, das Heiligthum der Unschuld in einem weiblichen Herzen zu zerstören, auch glaube ich, daß es, seit die Welt steht, nur eine Imagina gab, die solcher Unthat fähig war.

Grausamkeit und Gewalt folgten den schmeichelnden Kunstgriffen der Verführung, und Ludwig von Homburg fand, als er nach einigen Monaten, die er in Ungewißheit wegen des Schicksals seiner Braut zugebracht hatte, nach der Donatsburg kam, seine Erwählte zu retten, sie in einem unterirdischen Kerker, der dem Meinigen fast gleich gewesen seyn soll. Ich hörte das Geräusch ihrer Rettung, und hoffte auf die Meinige, aber – ich hoffte vergebens. – Mein schwaches Geschrey ward nicht gehört, man vermuthete hier keine Gefangene. Man hatte meine junge Freundinn und ihren Verlobten von meinem Tode zu überführen43 gewußt; sie weinten unnütze Thränen auf mein Grab, das man ihnen betrügerisch zeigte, indessen ich lebendig in einer Todenhöle schmachtete, und nach der vereitelten Hoffnung auf Erlösung in die tiefste Verzweiflung hinab sank, bis mich Zeit und Glaube an Gott wieder empor huben.

Die ganze Folge von Elisabeths Entführung für mich bestand in engerer Einkerkerung. Diese rasche That des Grafen von Homburg hatte nur in Donats Abwesenheit glücken können, und dieser verließ nunmehr sein Schloß wenig, um nicht ähnliche Unfälle erfahren zu müssen. Man sagt, die Wohnungen der Verworfenen glühen mit doppeltem Feuer, wenn der Fürst der Hölle von seinen Wanderungen in dieselben zurückkehrt, so auch auf der Donatsburg; jedes Geschöpf athmete schwerer, wenn er zugegen war; wie mußten sich nicht die Quaalen einer armen Gefangenen zu solchen Zeiten vermehren!

Doch ward ihm seine Hand gehalten, mich nicht zu tödten; weil ich gerettet werden sollte. Meine Erlösung erschien so, wie ich vorhin erwähnt hatte, und Donat ließ sich herab, mich selbst aus meinem Kerker zu führen, mich vor den Abgesandten des Kaysers und der Herzoginn von Sachsen hoch zu ehren und Mutter zu nennen. Der Elende! Wie hätte dieser heilige Name und die Zeichen seiner Tyrannei die ich an mir trug, gegen einander vor unpartheiischen Zeugen abstechen, welche Strafen hätten sie ihm bereiten müssen! aber die Männer, denen ich ausgeliefert wurde, begnügten sich, mir meine Freiheit verschafft zu haben, dies war das einzige, was ihre Instruction wörtlich enthielt. Die Entsagung aller meiner Rechte war wohl nicht die Absicht meiner Retter gewesen, aber ich war bereit zu derselben, war zu schwach das, was mir zukam, gegen einen mächtigen Tyrannen zu behaupten. Auch waren die, welche für mich hätten handeln können, Hedwig von Rappersweil und Elisabeth von Homburg, fern, und mit meinem Schicksal unbekannt.

Ich eilte unter dem Schutze der kayserlichen Abgeschickten, denen zu trauen ich so wenig Ursach hatte, an den Ort der Sicherheit, den ich mir gewählt hatte, aber ich ließ in Donats Schlosse etwas zurück, wobey ich gern noch länger verweilt, oder noch lieber, es mit mir genommen hätte. Der Graf von Vatz, welcher sich Gewalt anthat, mir binnen den Tagen, in welchen ich Kräfte zu meiner Abreise sammeln mußte, alle Ehre zu erzeigen, stellte mir seine Töchter, oder meine Enkelinnen, wie er sie zu nennen beliebte, vor. Himmlische liebenswürdige Geschöpfe, in den ersten Jahren der lächelnden Unschuld, zur Zeit meiner Einkerkerung geboren. Imagina war bey der Geburt dieser Zwillingsschwestern gestorben, und der Verlust ihrer unwürdigen Mutter würde Gewinn für sie gewesen seyn, wenn ihnen der Himmel nicht einen Vater gelassen hätte, bey welchem sie frühzeitig an Leib und Seele verwahrlost werden mußten. O Ursula! o Kunigunde! Wie lieb wurdet ihr mir in den kurzen Tagen unserer Bekanntschaft! Ihr hingt euch an meinen Arm bey meiner Abreise und weintet mir nach! O hättet ihr das Herz sehen können, das sich so ungern von euch trennte! Ich sah Graf Donaten mit wehmüthigem Blick an, und wagte eine kühne Bitte, aber seine Stirn umwölkte sich, und er fragte mit spottendem Ton, ob ich seiner Redlichkeit nicht ohne Geisseln trauen wollte?

Gott lob, ich habe hinfort nichts mit seiner Redlichkeit oder Unredlichkeit zu thun gehabt, die Mauern dieses guten Klosters und die Macht der Aebtißinn von Zürich schützen mich! Auch hat es mir hier nicht an überraschenden Freuden gefehlt. Die jüngste von Kayser Rudolfs Töchtern, die stille fromme Euphemia, sie, die wegen ihres weisen Ernsts von ihren muntern Schwestern, und von der feurigen Noria in jenen Zeiten muthwilliger Jugend immer verlacht, und niemals in unsern Zirkel gezogen wurde, empfing mich mit offenen Armen an dem Orte meiner Sicherheit, und bot mir eine Freundschaft, an, die ich jetzt erst zu schätzen wußte, da Unglück und Jahre mich weise gemacht hatten.

Von ihrer Schwester, der Herzoginn von Sachsen, hatte sie mein Schicksal erfahren, und war aus ihrem Kloster zu Tull, wo sie das Leben einer Heiligen lebte, herübergekommen, meine Ankunft zu erwarten, und mich persönlich wegen des ausgestandenen Elends zu trösten. Ach ihre Anwesenheit war vielleicht das wirksamste Mittel meiner Rettung gewesen! Noria wär vielleicht tod und verloren geblieben, wenn die Augen dieser huldreichen Prinzeßinn nicht in der Nähe gewacht hätten.

Gott! was habe ich ihr nicht alles zu danken! den Umgang meiner Hedwig und meiner Elisabeth, welche über mich als eine Wiedererstandene jauchzen; eure Bekanntschaft und euren Briefwechsel, heilige Frau, und ach, die Hoffnung, einst meine Retterinn, Adelheit, wieder zu umarmen. Bis dieser glückliche Augenblick erscheint, ehrwürdige Mutter, werde ich nicht aufhören, euch um genauere Nachricht von den Schicksalen dieser unvergleichlichen Freundinn zu bitten. Sie müssen sonderbar und traurig seyn, und ein Kloster ist recht der Ort, durch solche Geschichten die Empfindungen frommen Mitgefühls und stiller anbetender Bewunderung göttlicher Führungen zu nähren.

Noria Venosta.

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Dritter Abschnitt.

Adelheit von der Wart.

Beschrieben von der Aebtißinn zu Basel.

Lange, edle Gräfinn, ließ ich euch auf die Mittheilung einer Geschichte warten, deren Erzählung euch, wie ich meynte, aus dem Munde der Heldinn derselben besser gefallen mußte, als aus meiner Feder. Die Hoffnung auf dieses Glück, das ich eurem gefühlvollen Herzen so gern gegönnt hätte, ist nun, leider auf ewig verschwunden, und ihr müßt Adelheits Geschichte durch mich, oder nie erfahren.

Errathet ihr aus diesen Worten die traurige Wahrheit, welche dieser Brief euch bestätigen soll? –

O daß ich nicht die erste war, euch Adelheits Tod zu melden! Es ist fast unmöglich, daß das Gerücht in euren Gegenden so ganz von Dingen geschwiegen haben sollte, welche jetzt die halbe Welt rege machen!

Trocknet eure Thränen, theure Noria! wer so lang in der Welt gelebt hat als ihr und ich, muß nicht über den Hinschied seiner Geliebten trauren, die Hoffnung baldigen Wiedersehens winkt ihm Trost zu. Sprechet nicht von dem Danke, den ihr eurer großmüthigen Retterinn schuldig bleiben mußtet; Dank und Lohn für ihre Edelthaten ward ihr vom ewigen Vergelter für eine beßre Welt aufgespart, hier fand sie ihn freylich nirgend.

O du leidende Heilige! Märtyrerinn frommer Liebe! Mit welchem Auge magst du jetzt in deiner Herrlichkeit dasjenige betrachten, was du hienieden duldetest? Wohl nicht mit dem thränenschweren Blicke, mit welchem ich deine Leiden in dieser düstern Stunde nächtlicher Einsamkeit vor mir übergehen sehe! – Mich dünkt, deine lächelnde Lichtgestalt umschwebt mich und winkt mir, das nicht zu beweinen, was dir jetzt nicht mehr der Thränen würdig dünkt!

Noria, ihr seht, wie schwer es mir wird, eine Erzählung zu beginnen, die jede meiner alten Wunden wieder aufreissen muß, wie ich so ängstlich strebe, den Anfang derselben zu verschieben. Doch, ich versprach es! es muß seyn! ich fasse mich kurz, und spare die Ausführung hingeworfener Züge auf die Zeit, welche mich euch persönlich kennen lehren wird.

Das erste Unglück, das eurer und meiner Adelheit begegnete, war, daß sie das Schicksal zu Lukretiens Tochter machte. Lukretia, ihr wißt es, war nicht schön genug, um Graf Waltern ewig zu fesseln, nicht reich genug, seine weitaussehenden Entwürfe zu begünstigen, und ach, keine Noria, um das Unglück, das ihr eine Verbindung mit so einem Gemahl drohte, großmüthig ertragen zu können. Klug genug, frühzeitig das zu ahnden, was sie in der Folge erfahren mußte, nahm sie Maaßregeln, ihren Gemahl auf ewig zu fesseln, machte sie Anstalten zu ihrer Sicherheit, welche sie dennoch dem gefürchteten Unglück nicht entreissen konnten.

Ein Eid, sich auf den Fall der Trennung doch nie bey ihren Lebzeiten um eine andere zu bewerben, sollte Graf Walters Treue binden, aber sie wußte nicht, welche Umwege der Leichtsinnige kennt, um bey einem Eide vorüber zu kommen.

Sie strebte, ihn bey sich in Italien fest zu halten, suchte ihm durch tausend Ränke die Rückkehr in sein Vaterland unmöglich zu machen; sie zog ihm, als er ihren Armen dennoch entschlüpfte, nach, sie lauerte zu Schloß Uspunnen, wo sie sich heimlich aufhielt, auf jedes weibliche Geschöpf, das ihr von ihren Kundschaftern als eine gefährliche Nebenbuhlerinn geschildert ward; sie machte Anschläge selbst auf euch, aber, sie fiel in ihre eigenen Stricke, und ward an eben dem Orte eine Gefangene, den sie zu eurem Kerker bestimmt hatte.

Lukretia war noch in Italien die Mutter eines Sohnes geworden, Graf Walter war grausam genug gewesen, ihr ihn gleich in den ersten Tagen aus den Armen zu reissen, und ihn fremden Händen zu überlassen, ohne es für nöthig zu halten, ihr Rechenschaft von diesem seltsamen Verfahren zu geben: dies bewegte sie, bey Donats und Adelheits Geburt, sich nur für die Mutter eines Sohns auszugeben, um das Vergnügen, die Tochter ihrem Gemahl zum Trotz selbst zu erziehen, ungestört geniessen zu können. Donats älterer Bruder war gestorben, Graf Walter war jezt weniger streng gegen Lukretien, und gönnte ihr das Vergnügen, ihren neugebohrnen Sohn selbst zu pflegen und zu erziehen, doch blieb Adelheits Geburt verschwiegen, und sie wuchs unter Lukretiens Augen, an Donats Seite auf, ohne zu wissen, wie nahe sie beyden verwandt war. Dieses war für die erste Bildung ihres Herzens von unendlichen Vortheil, sie hielt sich in dem Hause für eine Dienerinn, in welchem sie als eine Tochter hätte glänzen können, und da der junge Donat alle Vorrechte seiner Geburt allein und in vollem Uebermaasse genoß, da er seine Mutter, durch Gleichheit der Gesinnungen und blinde Befolgung ihrer bösen Lehren, für sich allein zu fesseln wußte, so lernte Adelheit frühzeitig Unrecht ertragen, ohne es fast zu fühlen, daß ihr Unrecht geschähe. Sie kannte ihre Ansprüche nicht, und nur die gränzenlose Liebe für ihre unnatürliche Mutter hätte ihr sagen können, was für ein Name ihr zukomme.

Adelheit war ihrer Gebieterinn, wie sie ihre Mutter zu nennen gelehrt ward, nach Schloß Uspunnen gefolgt, Lukretia fiel in Graf Walters Stricke, sie ward seine Gefangene, und Adelheit mußte das Elend einer vieljährigen Einkerkerung mit ihr theilen. Hier war es endlich, daß sich das mütterliche Herz gegen sie erweichte. Adelheit erfuhr aus Lukretiens Munde, wo sie war, und sank zum erstenmal mit dem Namen Mutter in ihre Arme; aber ihr Schicksal ward durch diese Entdeckung nicht erleichtert. Lukretiens Herz war hart, war nie einer so reinen Flamme als wahre mütterliche Liebe fähig gewesen, langes Leiden hatten ihren Charakter noch verschlimmert, zu dem moralischen Wahnsinn, welcher allemal mit einem verwahrlosten Herzen verbunden ist, kamen jezt bey ihr noch oft eigentliche Abwesenheiten des Verstandes, und Adelheit litt doppelt bey denselben, da sie wußte, daß die Unglückliche, deren vielfaches Elend ihr unabläßig vor Augen lag, ihre Mutter war.

Lukretie machte Tag und Nacht Plane zur Rache in ihrem grausamen Gemahl, und zu eurem Verderben, sie hatte die unschuldige Adelheid frühzeitig gelehrt, euch zu hassen; in den Augen des betrogenen Mädchens war Noria Venosta nichts als eine unwürdige Buhlerinn, welche Graf Walters rechtmäßige Gemahlinn muthwillig von ihrer Stelle verdrängte, und Theil an den Fesseln hatte, welche sie in jenem verwüsteten Schlosse tragen mußte; aber ungeachtet dieser Vorurtheile, welche Lukretie gegen euch in das Herz ihrer Tochter gesät hatte, war es ihr doch unmöglich, sie in die Plane zu verstricken, welche sie zu eurem Verderben machte, Adelheit sah die Ohnmacht ihrer Mutter, alles Böse, was sie wünschte, auszuführen, aber es war ihr unmöglich, denselben auch nur zum Schein ihren Beyfall zu geben; eine Hartnäckigkeit, welche ihr den Unwillen ihrer Mutter so völlig zuzog, daß sie darauf drang, Adelheit solle von ihr genommen und in einen noch fürchterlichern Kerker, als der ihrige, gesperrt werden. Ihr kennt die Schwäche des damaligen Kastellans von Uspunnen. Er besaß eine seltsame Art von Gewissenhaftigkeit, welche ihn oft ganz widersprechend handeln ließ; bey den Mitteln, welche Lukretie ausfindig gemacht hatte, ihrem Sohn nach Italien von ihrem Zustande Botschaft zu thun, verschloß er die Augen, aber ihr unmittelbar die geringste Linderung zu gewähren, hielt er für pflichtwidrig; die unschuldige Adelheit, zu deren Einkerkerung er eigentlich keinen Befehl hatte, loszulassen, dazu konnten ihn keine Bitten bewegen, aber es war wenig Ueberredungskunst nöthig, ihm begreiflich zu machen, sie, die er nicht als die Tochter seines Herrn kannte, verdiene die Strafe, welche ihr ihre sogenannte Gebieterinn auflegte. Adelheit ward von ihrer Mutter getrennt, ein unterirdisches Behältnis ward ihr zur Wohnung angewiesen, dessen Festigkeit in jenem schrecklichen Zeitpunkt, als Lukretiens Verzweiflung die alte Veste in Brand steckte, ihre einige Rettung war. Die Flammen wütheten über ihrem Haupte, ihre unglückliche Mutter, die sich ihrer vor ihrem Ende mit keinem Worte erinnerte, starb, und ward der Erde anvertraut. Ihr, edle Noria, und eure Mitgefangene, die Gräfinn von Rappersweil, wurden gerettet, ohne daß jemand etwas von der elenden Adelheit wußte, oder nach ihr fragen konnte.

 

Walter Fürst und sein Gefolge hatten euch durch ihre wohlausgesonnen List so bald von Uspunnen hinweggebracht, als den hinterbliebenen Dienern des Grafen von Vatz die Augen aufgingen, und sie aus verschiedenen Umständen den ganzen kühnen Streich, der ihnen gespielt worden war, und den nur die Geschwindigkeit der Ausführung sicher stellen konnte, klar und deutlich zu übersehen vermochten.

Sie entsetzten sich vor der verzagten Rolle, die sie dabey gespielt hatten; denen Entführten nachzusetzen war zu spät, sie einzuholen unmöglich. Die Furcht vor der Rache ihres tyrannischen Herrn machte ihr Blut zu Eis. Nichts war ihnen zu ihrer Rettung übrig, als die Flucht vor einem Orte, dessen Schrecknisse durch die Flammen, welche hier gewüthet hatten, und durch all das Gräuliche der letzten hier vorgefallnen Auftrltte noch vermehrt wurden.

Flucht ward beschlossen, aber man wollte nicht mit leerer Hand fliehen. Das beste Hausgeräth in dem überirdischen Theil des verheerten Schlosses bestand in Fesseln und verrosteten Waffen, aber die Sage fabelte viel von unterirdischer Schätzen, welche hier verborgen liegen sollten, und welche die Fliehenden nicht dahinten zu lassen gedachten.

Sie rissen den weiten Schooß des Schloßberges auf, ohne etwas zu finden, – als Adelheits Kerker, in dem sie, welche nun in den vierten Tag keine Nahrung bekommen hatte, ohne Besinnung lag. Man war menschlich genug, die Gefundene an das Tageslicht zu bringen, und etwas zu ihrer Rettung zu thun. Die Entdeckung, daß sie schön sey, vermochte den jüngern Theil von der flüchtigen Dienerschaft, sich des unglücklichen Mädchens mit mehrerem Eifer anzunehmen; und etwas weniges an Gold und Juwelen, die einigen Geschenke ihrer unnatürlichen Mutter, verschafften ihr auch bey den ältern und hartherzigen der Schloßbesatzung Mitleid.

Man erzählte, während der Zeit man mit ihrer Pflege beschäftigt war, viel von der Rettung zweyer Damen, welche mit ihr und ihrer Mutter zugleich auf diesem Schlosse gefangen gewesen waren, man nennte den Namen Walter Fürsts, eures Retters, von dem man jetzt ausgekundschaftet hatte, wer er sey, und wo er sich aufhalte, und die genesende Adelheit, welche zu merken begunnte, daß sie in der Gewalt eines Haufens zügelloser Männer nur so lang frey und sicher sey, als ihre Schwachheit daure, baute auf diese Dinge in der Stille Plane zu ihrer Rettung. Sie stellte sich schwächer als sie war, und entkam mit Gefahr ihres kaum geretteten Lebens in einer stürmischen Nacht, nach jenem stillen Thale, wo der Freund der Bedrängten, wo Walter Fürst wohnte, der auch sie mit offenen Armen aufnahm.

Sie belohnte seine Gastfreyheit mit der Warnung vor dem Ueberfall, welcher ihm, wie sie wußte, von der fliehenden Besatzung zu Uspunnen, zur Rache wegen eurer Entführung gedroht war, aber ihre Warnung war unnöthig: die feigen Diener des Grafen von Vatz hatten ihre Maaßregelung geändert, Adelheits Flucht machte ihnen bange vor Entdeckung, sie fürchteten sich vor den tapfern Bewohnern des Frutigerthals, durch welches sie ziehen mußten, und entschlossen sich, vor der Hand da zu bleiben, wo sie waren. Sie schickten den Herren von Eschenbach, den dermaligen Eigenthümern von Schloß Uspunnen, Botschaft, und baten um Sicherheit vor der Rache des Grafen von Vatz und ihrer anderweitigen Verfolger, welches ihnen gegen Leistung des Eids der Treue bewilligt wurde.

Indessen ward Adelheit von Walter Fürsts Leuten nach dem Orte gebracht, wohin sie verlangte. Sie wußte, in welcher Gegend Italiens sich ihr Bruder gegenwärtig aufhielt, und bey der Furcht, die sie vor euch und ihrem Vater hatte, war er der einige, bey welchem sie Zuflucht suchen konnte. Ihre Aufnahme war gütiger, als sie bey Donats bekannter Härte hatte erwarten können. Er erkannte sie auf die Zeugnisse, welche sie von der Hand ihrer unglücklichen Mutter mit sich brachte, und auf diejenigen, welche die Natur ihrer Gestalt und ihren Gesichtszügen eingeprägt hatte, für das, was sie war, für seine Schwester. –

Donat war jung, er schwamm damals in dem Meer der Freuden des wollüstigen Italiens, sein Herz war durch das üppige Leben weich, und beyläufig auch dem Mitleiden zugänglich gemacht, und ob er gleich sein Ohr dem traurigern Theil von Adelheits Geschichte, dem kläglichen Tod seiner und ihrer Mutter verschloß, den er durch Verzögerung der Hülfe, um welche sie ihn so oft vergebens hatte anflehen lassen, selbst beschleunigt hatte, so war er doch nicht blind gegen die Hülflosigkeit einer liebenswürdigen Schwester.

Adelheit fand Zuflucht in seinem Hause, in welchem sie nicht lange mit Anstand bleiben konnte. Graf Donat, durch Fürstengunst bereichert, war Tag und Nacht von einem Schwarm junger Wüstlinge umgeben, welche sich in dem Sonnenschein seines Glücks freuten, und mit ihm die zügellosesten Freuden des Lebens theilten. Seine schöne Schwester ward der Gegenstand ihrer gemeinschaftlichen Bewerbungen, und Donat hatte nicht Ernst und Jugendliebe genug, sie vor ihren Zudringlichkeiten zu schützen.

Adelheit bat um Aufenthalt in einem Kloster, und entschloß sich, als ihr dieses hartnäckig abgeschlagen ward, einen ihrer Bewunderer, demjenigen, welcher ihr unter allen am wenigsten mißfiel, die Hand zu geben.

Dieser Mann, den eine der besten weiblichen Seelen mit ihrer Hand beglückte, war Rudolf von der Wart, war mein Bruder; ihm danke ich das Glück, meine Adelheit zu kennen, und ihr die Besserung des verirrten Jünglings, den ich mütterlich liebte, ungeachtet ich nur seine Schwester war.

Ich lebte damals in einem italiänischen Kloster, nahe genug bey dem Schauplatz von Graf Donats Schwelgereyen, um das Gerücht derselben zu hören, und diejenigen zu beklagen, welche durch sein Beyspiel in einem Strudel von Ausschweifungen hingerissen wurden.