Elisabeth, Erbin von Toggenburg. Oder Geschichte der Frauen von Sargans in der Schweiz

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Der Name des verlornen Kindes, das nun so unvermuthet wieder in unsern Armen lag, tönte zugleich aus unserm Munde. Die Gräfinn verlor vor Entzücken auf einige Augenblicke Sprache und Besonnenheit, und ich dachte bey der Freude, das verlorne Kind gerettet wieder zu sehen, und so nachdrückliche Winke von unsrer eigenen Rettung zu haben, kaum daran, meiner Freundinn zu Hülfe zu kommen. Als wir uns beyde erholten, ließen wir die Namen Walter Fürsts und Henrichs von Melchthal laut erschallen, weil uns eine nähere Erklärung dieser räthselhaften Dinge sehr am Herzen lag, aber man hörte uns nicht, Erklärungen und müssige Danksagungen waren hier unzeitig, unsere Flucht ging schnell wie ein Sturmwind durch das weite Thal. Jenseit jenes Gebürgs, oder auf der Fahrt über den Thunersee24, konnten wir erst völlige Erläuterung hoffen, und mußten uns vor der Hand nur an der einfältigen unzusammenhängenden Erzählung des kleinen Rudolfs genügen lassen, den Walter Fürst nicht ohne Grund unsern Retter nannte.

Ach ja, die Vorsicht25 hatte Hedwigs verzweifelten Entschluß ihren Liebling aus ihren Armen zu lassen, zu unsern Besten gebraucht. Welche unbedeutende Kleinigkeit kann nicht in der Hand des weisen Regierers aller Dinge das Mittel unseres Glücks werden? Selbst unsere Unvorsichtigkeiten, selbst unsere Fehler sind in dem großen Gewebe der Zufälle nicht unbrauchbar, und haben oft, von höherer Hand gelenkt, ganz andre Folgen als sie wahrscheinlich haben konnten und sollten.

Rudolfs guter Engel hatte ihn in jener Nacht einen gefährlichen Weg zwischen Klippen und Abgründen hinabgeleitet. Ein Landmann aus dem Frutigerthale26 fand ihn weinend und von dem sauren Wege bis auf den Tod ermattet am Fuße des Bergs, und führte ihm, auf seine Erzählung, daß er dort aus jenem brennenden Schlosse entflohen sey, und nicht wieder dahin verlange, zu Walter Fürsten, einem der vornehmsten Einwohner dieser Gegend, bey welchem er jene Aufnahme fand, welche dieser edle Helvetier jedem Verlassenen wiederfahren ließ, und die er einem Kinde wie Rudolf, welches mit der Anmuth eines Engels noch die äußerste Hülflosigkeit, diese mächtige Herzensfeßlerinn, verband, mit doppelter Freude gewährte.

Es dauerte lange, ehe Walter Fürst Rudolfs unordentliche Erzählungen ganz begreifen konnte, aber als er den Namen seiner Mutter und seiner Pathe erwehnte, welche, wie er meynte, in jenen Flammen umgekommen waren, als er sich selbst einen Grafen von Rappersweil nannte, da ward der edle Mann aufmerksam, und genauere Nachforschungen brachten ihn bald hinter die Wahrheit.

Die friedlichen Einwohner des stillen Thals kümmerten sich wenig um das, was in den Felsenschlössern vorging. Diese Residenzen des Adels wurden von ihnen als Behausungen des Unrechts und des Frevels angesehen und gefürchtet. Sie waren zu schwach, sich all dem Bösen, was hier verübt wurde, und das zuweilen durch die Sage zu ihnen kam, zu widersetzen, und mußten froh seyn, wenn die Ungerechtigkeiten der Besitzer jener Raubnester sich nicht den Weg bis zu ihnen eröffneten.

Aber Walter Fürst, ein Mann, der in jeder Betrachtung über seine Zeitverwandten weit hervorragte, durfte nun genauere Kenntniß von dem Zustand zweyer Nothleidenden haben, deren Rettung aus den Flammen er zuversichtlich hoffte, er durfte nur bey näherer Erkundigung in den Gebieten des Grafen von Vatz die Bestättigung dessen finden, was das Kind, das er in Schutz genommen hatte, aussagte, so war sein Entschluß gefaßt; und schnelle und vorsichtige Ausführung folgte hintennach.

Henrich von Melchthal, ein alter Bekannter Walters Fürst, war derjenige, an welchen sich der letzte um genauere Nachricht von Hedwigs und meiner Geschichte wandte, und dieser treue Unterthan des Grafen Venosta, er, der so lang im Stillen über das unbekannte Schicksal seiner ehemalichen Gebieterinn getrauert hatte, machte sich selbst auf, mit seinem Freunde, über unsere Rettung zu rathschlagen, indessen er, um nichts zu versäumen, seinen Sohn eilig nach meinem Oheim abfertigte um ihm von allem Nachricht zu geben.

Der Entschluß, den die beyden biedern Helvetier, Walter und Heinrich zu unserm Besten faßten, ist leicht aus vorgemeldetem zu errathen; der letzte hatte eine kleine Anzahl treuer Leute aus unsere Gegenden mit sich gebracht, welche Fürst mit den tapfersten aus dem Frutigerthal, verstärkte. Sie waren kühn genug, sich als Abgeschickte des Grafen von Vatz zu Uspunnen einzudrängen, und der dasigen zahlreichen Dienerschaft, durch den entschlossenen Ton, in welchem sie sprachen, Schrecken einzujagen. Ueberzeugt, daß die wohlausgesonnene List nicht lange Stand halten könne, gingen sie schnell zu Werke, und es liegt am Tage, wie wohl es ihnen geglückt war.

O Hedwig! O Rudolf! wir waren frey! O Heinrich und Walter, unsere Retter! welcher Dank war hinlänglich, eurer Treue zu lohnen! – Aber die Edeln forderten weder Dank noch Lohn, ihnen kam das, was sie gethan hatten, so alltäglich vor, daß sie zweifelten, ob wir nicht zürnen würden, daß unsere Erlösung so spät zu Stande gekommen war, und sie nahmen von ihrer Unwissenheit und Unvermögen tausend Entschuldigungen her, die wir, welche von nichts als Freude und Dank wußten, ihnen wahrhaftig nicht abfoderten. Und diese Männer, die ihr Leben bey einer der kühnsten uneigennützigsten Thaten gewagt hatten, bey einer That, die einem Fürsten Ehre gemacht haben würde, gehörten zu den Geringern im Volk, zu den arbeitsamen Söhnen der Erde, die nichts von Reichthum und Hoheit wissen! Doch giebt es wohl einen Geringen in einem Lande, wo alles Großmuth und Freyeitsliebe athmet? O Helvetiens Gebürge! nur ihr bringt jene Mischung von Größe der Seele und kunstloser Einfalt hervor, die wir an euren Bewohnern bewundern!

Wir lagen in den Armen des Grafen Venosta, ehe er in seiner Entfernung und bey der zunehmenden Schwäche des Alters mit den Anstalten zu unserer Rettung hatte zu Stande kommen können. Arnold, Henrichs von Melchthals Sohn, welcher der Ueberbringer der Botschaft von unserm Zustande war, hatte ihm gesagt, daß alle seine Zurüstungen unnöthig wären, daß wir ohne dieselben gerettet werden würden, aber wo findet besorgte Freundschaft hinlängliche Sicherheit für ihre Lieben! Die Zeitung27 von Hedwigs Leben, und meiner Unschuld hatte das Gemüth des guten Greises in eine Bewegung gesetzt, welche ihn geneigt gemacht haben würde, die halbe Welt zu unserer Hülfe aufzubieten, wenn er Herr derselben gewesen wäre.

Wir fanden das kleine Land, das sich Graf Zirio, nachdem seine Freygebigkeit meinem undankbaren Gemahl alles überließ, vorbehalten hatte, in Waffen. Was zu unserer Rettung nunmehr unnöthig war, sollte zu unserer Rache angewendet werden. Wir flehten um Frieden, wir stellten ihm die Uebermacht unsers Feindes vor, aber wer vermag einem alten Krieger die sieggewohnten Waffen aus den Händen zu winden! O Hedwig, rief er, laß ab von mir! die Unthat deines Tyrannen ist zu groß, um ungerochen28 zu bleiben! Bedenke, dir und mir raubte der Unmensch so viel glückliche Jahre, die wir vereint hätten zubringen können, und dich, unschuldige Noria, betrog er um deinen guten Ruf, um die Liebe und den Beystand deines Freundes. O daß ich verblendet genug war, ihm zu glauben! Wie künstlich wußte er mir lange Zeit seine Trennung von dir zu verbergen, und als die Stimme des Rache schreyenden Volks, als Henrichs von Melchthal und Mechtildens Stimme endlich durchdrang, wie schläferte er meine Liebe und meine Besorgnisse für dich durch Verleumdungen ein, deren Ungrund ich, unter dessen Augen du so lang das unschuldigste Leben geführt hattest, ja wohl hätte einsehen können!

Bey Empfindungen von dieser Art war es unmöglich, etwas über dem Grafen Venosta zu erhalten. Er zog hin, die Verbrechen des Grafen von Vatz, und zugleich seine eigenen Fehler, zu denen er sich durch ihn verleiten ließ, zu rächen, und wir folgten ihm, um auf dem vesten29 Schloß Oberhalbstein am Rhein dem Schauplatz seiner Waffen näher zu seyn, als im dem abgelegenen Münsterthale.

Eine unvermuthete aber längst ängstlich herbey gewünschte Freude wartete unserer in diesen Gegenden. Vergebens hatten wir seit unserer Befreyung nach dem Schicksal der jungen Elisabeth, die ich in Graf Walters Händen zurück lassen mußte, geforscht. Graf Zirio versicherte uns, daß er in der Zeit unserer Gefangenschaft nach nichts eifriger gestrebt habe, als dieses verlassene Kind in seine Hände zu bekommen, um sich durch sie über unsern Verlust zu trösten, aber alles, was er von ihr habe erfahren können, sey dieses gewesen: Mechtild sey gleich des erstes Tages nach meiner Verstossung mit ihr unsichtbar geworden; eine Sache, die sie auf Befragung dennoch nicht hatte gestehen wollen. – Jetzt lösten sich diese Räthsel auf einmal, und Mechtild lag gleich in den ersten Tagen unsers Aufenthalts auf dem Schloß am Rhein zu unsern Füssen.

O, meine Gebieterinnen! rief sie, indem sie unsere Knie mit Thränen netzte, was habe ich um euch gelitten, wie schwer ist mir es geworden, euch den Schatz aufzubewahren, den ihr jetzt zu jeder Stunde aus meiner Hand empfangen könnt. Ich hoffe, ihr habt hier allein zu befehlen, und nicht der schwache Graf Venosta, und ich kann euch eure, ach meine, meine Elisabeth, sicher anvertrauen!

Mechtild hatte noch nicht ausgeredet, da stürzte die geliebte so lang verlorne Tochter herein, die kindlichsten Gefühle in den Schooß ihrer Mütter, wie sie uns beyde nannte, auszugiessen, ein schönes blühendes Mädchen von fünfzehn Jahren, die dem Auge ganz die Reize darstellte, die man von Elisabeths Kindheit hatte hoffen können. Gott! welche Scene! Wir verloren uns in dem Anschauen und den Umarmungen unserer Tochter, und hörten wenig auf Mechtildens Erklärungen, wie und warum sie so hartnäckig abgeleugnet habe, etwas um die Verlorne zu wissen, und wie sie Bedenken getragen habe, sie meinem Oheim, der sich von dem Grafen von Vatz auf eine so unerhörte Art habe einnehmen lassen, auszuliefern.

 

Erst spät waren wir im Stande, der treuen Dienerinn zu danken, und die Erzählung von Elisabeths Geschichte anzuhören, die ihr, nebst allen folgenden Schicksalen des Fräuleins von Rappersweil, weitläuftig unter dem Titel, Elisabeth von Homburg, unter meinen Papieren finden werdet. Mechtild hatte geeilt, nachdem ich jenesmal von der weinenden Elisabeth getrennt worden war, um nach Uspunnen geführt zu werden, mit ihr zu fliehen. Das berühmte Kloster in Zürich nahm beyde auf. Alles, was Mechtild von Gold und Kostbarkeiten besaß, reichte kaum zu, ihnen hier Zutritt zu verschaffen. Dieses Haus ist, wie bekannt, nur zum Zufluchtsort für Damen vom ersten Range bestimmt, und die weise Mechtild trug Bedenken, den Namen der jungen Gräfinn von Rappersweil zu nennen.

Sie lebten hier, vermöge des geringen Namens, den sie sich gaben, ruhig, verborgen, und selbst von ihren Wirthinnen den Nonnen ungekannt und vergessen, bis Elisabeths aufblühende Schönheit Aufmerksamkeit zu erregen begunnte. Der Abt von Sankt Gallen, und der damalige Bischof von Chur besuchten die Aebtißinn von Zürich jetzt fleißiger als sonst, und suchten allemal Gelegenheit, die schöne Fremde zu sehen. Mechtild, welche sich immer durch eine besonders schlechte Meynung von den geistlichen Herrn ausgezeichnet hatte, ahndete hier bald Gefahr für ihr Mündel, und dachte auf die Entfernung, zu welcher es ihr nicht an Mitteln gebrach.

Schon seit langer Zeit ward dieses treue Mädchen von einem angesehenen Mann zu Steinen30 geliebt, welcher in aller Absicht ihrer Gegenliebe werth war, und dieselbe auch vollkommen besaß, ob sie gleich immer großmüthig genug gewesen war, das Vergnügen, mir zu dienen, einer Verbindung mit ihm vorzuziehen. In den Jahren, da ich und Hedwig verloren, und die junge Elisabeth ganz allein ihrer Vorsorge überlassen war, hatte sie noch weniger an eine Aenderung ihres Standes denken mögen; ein Kloster schien ihr in dieser Zeit der schicklichste Aufenthalt für sich und ihre Pflegetochter, und sie stahl der Zeit, die sie ihr ganz widmete, nur einzelne Stunden ab, ihren treuen Geliebten zuweilen zu sehen, und sich und ihn auf glücklichere Zeiten zu trösten. Er war der Vertraute aller ihrer Sorgen, und jetzt, als die heiligen Mauern kein sicherer Aufenthalt mehr für die junge Elisabeth zu seyn schienen, drang Werner Staufachers endliches Bitten durch. Mechtild willigte ein, seine Gattinn zu werden, und die Sicherheit anzunehmen, die er ihr und ihrem Mündel in seinem Hause anbot; sie entflohen heimlich mit ihm, und lebten seit einem Jahre in seinem Hause zu Steinen ein Leben, wo ihnen nichts zu verlangen übrig war, als das, was sie jetzt genossen, die Wiedervereinigung mit ihren Verlornen.

Auf die erste Nachricht von unserer Befreyung und unserer Ankunft in diesen Gegenden, war Mechtild herbey geeilt, ihre Elisabeth in unsere Arme zu liefern, und uns Rechenschaft von der Bewahrung unseres Schatzes abzulegen. Auch ihr Mann, der edle Werner Staufacher, war herübergekommen, und führte dem Grafen Venosta eine gute Anzahl seiner Landsleute wider den jetzt allgemein gehaßten Grafen von Vatz zu.

Ihr erwehnet nicht, sagte Elisabeth, indem sie hier Mechtildens Erzählung unterbrach, ihr erwehnet nicht, daß uns noch eine weit ansehnlichere Hülfe bevorsteht, Graf Ludwig von Homburg. – O verzeihet, Fräulein, erwiederte die lächelnde Mechtild, daß ich diesen theuern Namen so lang zu nennen verschoben habe. Ihr sollt wissen, edle Frauen, fuhr sie fort, indem sie sich zu uns wandte, die Hülfe, welche der Graf von Homburg euch zuführt, wiederfährt euch eigentlich nur darum, weil Elisabeth eure Tochter ist, er ist ein alter Freund meines Mannes, er sahe das Fräulein zuweilen in unserm Hause, und –

O schweiget, schweiget! rief die erröthende Elisabeth, und beschämt mich nicht wegen meiner unvorsichtigen Aeußerung! Mechtild schwieg, aber wir forderten nähere Erklärung und erfuhren das, was man weitläuftig in Elisabeths Geschichte finden kann, was aber hier mit einzurücken, wider den Endzweck meiner Geschichte war, deren Faden ich ohne Verzug wiederum ergreife.

Der Graf von Homburg und Werner Staufacher mit ihren Leuten kamen dem Grafen Venosta sehr erwünscht. Schon verschiedene Erfahrungen hatten ihn belehrt, daß er sich an Graf Waltern mit seinen eigenen Gütern einen fürchterlichen Feind erkauft hatte, den allein zu überwinden er jetzt zu schwach war. Verschiedene Jahre verflossen unter zweifelhaften Erfolg von beiden Seiten, bis die göttliche Rache dazwischen trat, und der Sieg der gerechten Sache zuneigte. Es kam zur Unterhandlung zwischen beiden Gegnern. Graf Walter fragte, welche Genuthuung Zirio wegen der mir angethanen Beleidigungen forderte, und glaubte mit Anerkennung meiner Unschuld und Wiederaufnahme der Verstoßnen durchzukommen, aber die Absichten des Grafen Venosta gingen jetzt weiter, er verlangte die Rückgabe all der Landschaften, welche Graf Walter nur in so fern besitzen konnte, als er mein Gemahl war. Man gab ein und anderer Seits etwas nach, es wurden von beyden Theilen große Summen geboten, die Sache schleunig zu berichtigen, aber wahrscheinlich würde der Vergleich, der von beyden Seiten so viel Schwierigkeiten hatte, dennoch nicht zu Stande gekommen seyn, wenn mir das Schicksal nicht noch einige bittere Hefen in dem Kelch des Leidens aufgehoben hätte, die ich nur in der Wiedervereinigung mit meinem treulosen Gemahl ausleeren konnte. O Vorsicht31! wenn ich je wider deine Schickungen murrte, wenn jetzt noch vielleicht eine Thräne des Unmuths über meine Wangen rollt, so vergieb der schwachen Sterblichen! Zeit, Vergessenheit, Tod oder die hellere Ewigkeit, werden ja endlich das Gefühl meiner Leiden völlig tilgen.

Nie hatte ich gehört, daß es außer Graf Waltern noch einen Grafen von Vatz gebe, jetzt erscholl das Gerücht: Graf Donat von Vatz sey aus Italien herüber gekommen, habe, nachdem er hier und da im Lande von den Angelegenheiten Graf Walters, den er seinen Vater nenne, Erkundigung eingezogen, seinen Sitz auf dem zerstörten Schlosse Uspunnen genommen, und rüste sich daselbst zu einer Fehde, von welcher man noch nicht wisse, wider wen sie abgesehen sey! Wir Frauen zitterten auf unserm einsamen Schlosse vor demjenigen, welchen wir des Namens wegen schon als unsern Feind ansahen, ungeachtet ich nicht begreifen konnte, wie er Walters Sohn seyn könne, der, so viel wir wissend war, nie vor mir eine Gemahlinn gehabt hatte. Hedwig seufzte zu der Ueberzeugung, die ich hievon hatte, und Graf Venosta, der eben von einem der kleinen Scharmützel, die zwischen ihm und seinem Feinde kein Ende nahmen, zurück kam, erklärte mir den Seufzer meiner Freundinn.

Ach, sagte er, ihr fürchtet nicht ohne Grund diesen neuangekommenen Grafen von Vatz. Nur gar zu wahrscheinlich ist es, daß er Walters Sohn seyn und seine Partey verstärken wird. O Noria, schon vor deiner Vermählung ging ein Gerücht, wie Graf Walter mit einer andern vermählt sey, die er auf einem seiner Schlösser gefangen halte, um sich sorglos um dich bewerben zu können. Dieses war der Grund meines Abscheues vor diesem Verräther, und des Widerwillens, mit welchem ich deine wachsende Neigung zu ihm bemerkte. Ich hatte damals einige ernstliche Unterredungen mit ihm über diesen Punkt. Er leugnete hartnäckig, daß noch irgend eine Lebende ein Recht auf ihn habe, ob er gleich eingestand, daß er mit einer edeln Italiänerinn vermählt gewesen sey, die ihn zum Vater eines Sohns gemacht habe, welcher aber in Italien erzogen werde, und den Ansprüchen seiner künftigen Erben auf keine Art Eintrag32 thun solle. Um aber, setzte Walter damals hinzu, euch jeden Verdacht zu benehmen, als habe ich falsche unzurechtfertigende Absichten auf eure Tochter, so schwöre ich hier vor dem Angesicht des Himmels, mich nie um sie zu bewerben, sie nie zu meiner Gemahlinn zu verlangen, es sey denn, daß ihr sie mir freywillig anbieten, und mich dadurch von dem, wessen ihr mich jetzt beschuldigt, freysprechen werdet. Ich lachte damals, so fuhr mein Oheim fort, über die seltsame Erklärung des Grafen von Vatz, ohne zu denken, daß es je einen Fall geben könne, in welchem ich meine Erbinn auch dem größten und edelsten Manne anbieten sollte, aber Walter wußte sich von diesem Augenblick an so tief in mein Herz einzustehlen, die Dienste, die er mir erzeigte, mehrten sich so sehr und wurden so wichtig, sein Gesicht sprach dabey so nachdrücklich von hoffnungsloser Liebe zu dir, daß mich die Dankbarkeit wünschen machte, ihn mit deiner Hand belohnen zu können. Ich begunnte mich näher nach seinen Angelegenheiten zu erkundigen. Beweise über Beweise fielen mir täglich fast blindlings in die Hand, daß er an jenem schrecklichen Verdacht unschuldig, daß er zwar der Vater eines Sohns, aber daß seine Gemahlinn längst gestorben sey. Der letzte wichtigste aller Beweise seiner Großmuth und Anhänglichkeit an unser Haus, den ich damals von ihm zu erhalten meynte, die Befreyung aus den Händen des Abts von Sankt Gallen bestimmte33 mich völlig. Ich trug dich ihm selbst zur Gattin an, aber was half es, daß er an jener harten Beschuldigung, der Mörder, der Kerkermeister einer Person zu seyn, welche nähere Rechte auf seine Hand hatte, schuldlos war, da er sich der Verbindung mit dir in der Folge auf so vielfache andere Art schuldig machte.

Und wißt ihr gewiß, unterbrach ihn die Gräfinn von Rappersweil, daß alle Sagen von der Grausamkeit Walters gegen eine frühere Gemahlinn falsch waren? daß er sich wirklich frey nennen konnte, als er euer Schwiegersohn ward? — O Zirio! o Mann ohne Trug und Falschheit! o daß ihr jeden nach eurem edeln Herzen beurtheilen mußtet! o daß ihr selbst da, wo ihr zu gerechten Argwohn aufgeregt wurdet, nur gar zu schnell von dem, was ihr ungern glaubtet, zurückgebracht wurdet, und die gute Meynung von andern, welche auch natürlich war, von neuem annahmet! Unglückliche Lucretia! deine Gebeine zeugen noch an dem Orte, wo sie liegen, wider deinen Mörder! Der Fluch, den du sterbend über ihn sprachst, komme auf seinen Kopf, aber fern sey seine Erfüllung von derjenigen, die ihn unschuldig theilen mußte: Noria ist rein an jener Missethat! Nur Wahnsinn und Verzweiflung konnten dich gegen meine Betheurungen und die Beweise ihrer Schuldlosigkeit taub machen.

Der Graf Venosta und ich starrten die Rednerinn mit weitgeöffneten Augen an, sie stand da mit gen Himmel gebreiteten Händen, mit strömenden Augen, ohne auf unsere Fragen zu hören, zu welchen die außerordentliche Bewegung, in welcher wir sie sahen, uns reizte.

Laßt mich, rief sie nach einer Weile, indem sie ihre Augen trocknete, mir schweben jene schrecklichen Auftritte zu Schloß Uspunnen zu lebendig vor Augen, ich bedarf Zeit mich zu fassen.

Wir warteten mit angstvoller Unruhe des Augenblicks, in welchem sie deutlicher sprechen würde. Mein Oheim tappte hier gänzlich im Finstern, aber mich umschwebten dunkle Ahndungen, welche durch Hedwigs Erzählung nur gar zu sehr gerechtfertigt wurden. Ach sie, die Unglückliche, die in jenem gräulichen Felsennest ihre vieljährigen Bande durch die Flammen zu brechen strebte, sie, welche durch die Nennung meines Namens in jene mir unerklärbare Verzweiflung in den Wahnsinn gestürzt wurde, in welchem sie zuletzt verschied, jene Lukretia Malatriti, war diejenige, welche ein früheres Recht auf das Herz des Grafen von Vatz hatte, als die beklagenswürdige Noria, sie nannte mich sterbend noch die Urheberinn ihres Elends, fluchte mir sterbend, und — ich war unschuldig!

Hedwigs Freundschaft hatte mir diese schreckensvollen Scenen, von welchen sie damals Zeuge war, verschwiegen. Sie kannte meine Schwäche, sie hielt es diesem weichen gefühlvollen Herzen für zuträglicher mit dem Ganzen des Elends unbekannt zu bleiben, das Graf Walters einst gewünschte Vermählung über mich gebracht hatte. – So war ich also so viel Jahre lang die unrechtmäßige Gattinn eines Mannes gewesen, den ich nur so lang lieben und wünschen konnte, als ich ihn nicht kannte? So war also ich, die gern jeden Wurm beglückt, gern jede Spur des Elends von der Erde vertilgt hätte, die Ursach der vieljährigen Quaal einer vielleicht tugendhaften und liebenswürdigen Person? doch nein, Lukretia war, wie mich Hedwig aus ihrem sterbenden Bekenntnisse versicherte, nie gut und tugendhaft gewesen. Ihre Geschichte, die ihr von Hedwigs Feder gezeichnet, unter dem Titel Lukretia finden werdet, kann euch hiervon überzeugen. Sie hatte Walters Hand durch Unthaten errungen, hatte ihrem Sohn, auf dessen Beystand sie vergeblich harrte, zu frühzeitiger Ruchlosigkeit angelehrt, und ihr verzweiflungsvoller Tod war ganz das Ende, das sich zu so einem Leben schickte. Aber konnte dies mich trösten? Ach mich dünkte, ihr Fluch, so unverdient er auch war, haftete dennoch auf mir, und ich würde früh oder spät seine Folgen erfahren müssen. – Laßt mich hier abbrechen, meine Kinder, bis mehrere Fassung mich geschickt macht fortzufahren!

 

Hedwig wußte noch mehr von diesen Dingen. Sie wußte, daß das Gerücht von Lukretiens Elend, ihren Sohn, den Grafen Donat, in Italien allerdings erreicht, aber daß ihm der Taumel seiner Ausschweifungen erst spät erlaubt hatte, an die Rettung der Bedrängten zu denken. Endlich war er gekommen, diejenige zu befreyen, deren Gebeine nun längst unter den Trümmern von Uspunnen moderten. Der Gedanke: Es ist zu spät! hatte ihn in eine Verzweiflung gestürzt, die er durch die wildesten Handlungen äußerte. Die ganze Besatzung des Schlosses wurde dem Schatten Lukretiens zum Opfer geschlachtet, und die Ueberbleibsel der Burg zu einem Todenfeuer für sie angezündet. Er vernahm, die unglückliche Noria, die er gleich seiner Mutter, die Urheberinn ihres Elends nannte, sey einst in diesen Mauern verschlossen gewesen, und er schäumte, sie nicht mehr zu finden, und auch sie seiner Wuth aufopfern zu können.

Die Einwohner des stillen Frutigerthals, meine ehemalichen treuen Retter, empfanden die Folgen seiner Wuth; auch sie sollten für die Saumseligkeit büssen, mit welcher er seine Pflichten gegen eine unglückliche Mutter verschoben hatte, und die er, da er nicht gegen sich selbst wüthen wollte, an jeden Unschuldigen zu bestrafen suchte.

Alles floh in diesen Gegenden vor dem wüthenden Donat, der sich jetzt mit starken Tagereisen dem Ort unsers Aufenthalts näherte, ohne daß man genau wußte, wen sein Grimm aufzureiben dachte. Wir zitterten vor ihm, unsere Macht war geschwächt, und wir hatten außer ihm auch noch den mächtigen Walter zum Feinde. Graf Walter zitterte auch, er konnte wahrscheinlich muthmassen, daß sein Sohn käme, das Blut seiner Mutter von seinen Händen zu fordern, und er hatte außer ihm, noch den Grafen Venosta zum Feinde, dessen Tapferkeit den Mangel der Macht ersetzte. Nichts konnte ihn und uns retten, als Vereinigung unserer Kräfte, und Gott! zu diesem Zeitpunkte war es, daß das Schrecklichste aller Dinge, die mir begegnen konnten, zu Stande kam.

Graf Walter that in der Beängstigung seines Herzens Vorschläge, welche der ebenfalls nicht ohne Ursach beängstigte Zirio nicht ausschlagen durfte. Ich ward das Opfer des Bundes wider den gemeinschaftlichen Feind, Gott! ich mußte mich bequemen, Hedwigs Räuber, Lukretiens Mörder, Zirios Verräther, und meinem eigenen Tyrannnen zum zweitenmal die Hand zu geben.

Fraget nicht nach meiner ersten Zusammenkunft mit einem Manne, den mir seine Verbrechen so verhaßt gemacht hatten, als er mir ehemals theuer war! ich zitterte vor derselben, ich machte mir die schrecklichsten Vorstellungen, aber wie mir es schon tausendmal in meinem Leben begegnete, ich fand das nicht, was ich besorgte; zwar einen Auftritt von der erschütterndsten Art, aber bey weiten nicht den, den ich erwartet hatte.

Die Jahre, in welchen ich Graf Waltern nicht sah, hatten ihn zum Erstaunen verändert, er war weder ein Gegenstand der Liebe noch des Schreckens mehr, wie in vorigen Zeiten; nur Mitleid konnte man bey seinem Anblick fühlen. Es schien, die Ausübung des Lasters hatte ihn noch elender gemacht, als diejenigen, welche unter den Ausbrüchen desselben leiden mußten. Wenigstens war so viel gewiß, die Gräfinn von Rappersweil und ich, hatten das Elend, welches wir zu Uspunnen leiden mußten, längst verschmerzt, und begunnten wieder in unserer natürlichen Blüthe zu glänzen, dahingegen unser Verfolger das Ansehen hatte, als wenn er eben erst aus den Kerkern jenes Raubschlosses entkommen war. Nicht allein sein Körper hatte gelitten, auch sein Geist war durch Ausschweifungen, Gewissensangst und Furcht vor kommenden Uebeln niedergedrückt. Er warf sich, so bald er mich erblickte, zu meinen Füssen, und flehte in dem kleinmüthigsten Ton um Vergebung des Vergangenen. Auch Hedwigs Knie umfaßte er, und stammelte ihr ein langes Bekenntniß seiner Beleidigungen her, welche sie selbst nur gar zu wohl kannte.

Diese unmännliche Demüthigung war es in Wahrheit nicht, was wir von ihm forderten. Mein Gemüth ward zugleich vom Unwillen und Mitleid eingenommen, und ich wußte nicht, welches ich zuerst äußern sollte. Das letzte behielt die Oberhand, und ich ließ mich von dem bittenden Walter zu jedem Versprechen bereden, welches mir in der Folge so schwer zu erfüllen ward.

Ich weis nicht genau, welches die Empfindungen meines Oheims bey dieser Gelegenheit waren, mich dünkte einen guten Theil Reue in seinen Augen zu lesen, daß er sich fast unnöthiger Weise zu Verneuerung eines Bündnisses hatte verleiten lassen, das ihm nicht anders als lästig, und für seine aufgeopferte Noria von den bittersten Folgen seyn mußte. Furcht vor einem doppelten Feinde war die größte Veranlassung zu diesem Schritte, aber Graf Walter war in der Nähe nicht so furchtbar als von ferne. Unsere wenigen Völker34, unter der Anführung des muthigen Grafen Venosta, der ungeachtet seines zunehmenden Alters immer noch ein Held war, konnten mehr ausrichten, als Graf Walters Tausende, da ihr Führer an Leib und Geist geschwächt, und wie wir bald Ursach zu vermuthen hatten, nicht zu allen Zeiten seines Verstandes mächtig war. Dinge, welche uns freylich bisher verborgen geblieben waren.

Ich hatte wenig Tage an seiner Seite gelebt, als ich Entdeckungen machte, welche mir die schrecklichsten Aussichten in die Zukunft öffnen mußten. Den wahren Grund von Walters unheilbarem Uebel habe ich nie entdecken können, da es wenig Stunden gab, in welchen es möglich oder rathsam war, ihn um solche Dinge zu befragen, aber führt nicht die Ausübung jedes Lasters an Abgründe, bey deren Anblick die Vernunft schwanken und endlich unterliegen muß?

Walters furchtbare Melancholie war periodisch. Es gab Stunden, in welchen er sich vor jedermann, besonders vor mir verbarg, um allein zu leiden. Nicht Neugier, sondern heisser Wunsch, Rath zu schaffen, ließ mich ihn einst in diesen Augenblicken freywilliger Absonderung belauschen, und was ich durch diesen gutherzigen Vorwitz gewann, war außer der heftigsten Erschütterung für den gegenwärtigen Augenblick, deren eine weibliche Seele fähig ist, noch der ganze Grimm meines seiner Sinne beraubten Gemahls, der nun keine Zurückhaltung mehr kannte, und von diesem unglücklichen Tage an, mich Theil an seinen Leiden nehmen ließ, die er vorher aus einer Art von Schonung meinen Augen entzogen hatte. Ich hatte bisher den Unglücklichen nur in seinen mißmuthigen und verzagten Launen gesehen, die den mehrsten Theil seiner Stunden ausfüllten. Jetzt war ich auch Zeuginn seiner Rasereyen, welche mich und meine Freundinn oft für unser Leben besorgt machten. Oft wurden wir von dem wüthenden Walter durch alle Zimmer und Gewölbe der Burg verfolgt, ohne an einem Orte Sicherheit vor ihm zu finden, als an jenem verfallenen Brunnen, in welchen ehemals, kurz nach Hedwigs Entführung, die toden Körper, die nach dem Abzug der Feinde zurückblieben, geworfen wurden. In diese Gegend wagte sich Walter niemals; blutige Schatten stiegen, wie er vorgab, vor seinen Augen aus der Tiefe herauf, und Lukretiens drohende Gestalt war mitten unter ihnen, ihn zu sich hinab zu reissen.

O Quaalen des bösen Gewissens, wer kann euch beschreiben! Wer erdulden, ohne zu erliegen! Der schreckenden Phantome, welche Waltern in seinen bösen Stunden vorschwebten, waren mancherley, ich kannte sie bey weitem nicht alle, denn das ganze Verzeichniß seiner Vergehungen war mir unbekannt, und man wird mir glauben, daß ich wenig Neugier hatte, hier Nachforschungen anzustellen.