Elisabeth, Erbin von Toggenburg. Oder Geschichte der Frauen von Sargans in der Schweiz

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Ich saß einst weit nach Mitternacht, die Rückkunft meines Gemahls von einem Zechgelag zu erwarten, und mich auf die in solchen Fällen gewöhnlichen Auftritte zu bereiten, als Mechthild mit ängstlicher Geberde eintrat, und mir meldete, wie sie im Garten einige dunkle Gestalten wahrgenommen habe, die durch den blendenden neugefallnen Schnee ein noch fürchterlicheres Ansehen gewönnen, und wie sie, um die Wahrheit zu erkunden, hinab geeilt sey, und diejenigen mit sich gebracht habe, die sie in vergebliches Schrecken gesetzt hätten. Arme hilfsbedürftige Geister! setzte sie hinzu, die euch um Rettung anflehen. Ich kannte die Art der muthigen Mechthild, unangenehmen Dingen durch den Ton ihrer Erzählung das Schreckliche zu benehmen und erwartete den Eintritt der Fremden nicht ohne Herzklopfen. Aber wie ward mir, als ich den redlichen Abt Konrad, den ehrwürdigen Lüttger und noch einige andere Mönche eintreten sah; deren entstelltes Ansehen noch mehr als ihre Worte meinen Beystand forderte. O gute Gräfinn! schrie Konrad, alles ist für uns verloren. Das gefürchtete Unglück ist endlich ausbrochen, und wir sind alle Opfer des Todes, wenn ihr uns nicht zu schützen vermöget. Heute vor dem Altar nahm man mich und diese Männer im Namen unsers Grundherrn, Graf Walters, gefangen. Ein scheußliches Loch ward unser Gefängniß. Unsere Appellation an den Bischof von Chur ward verlacht, und einige Worte unserer Kerkermeister gaben uns zu verstehen, daß unser Schicksal auf immer entschieden seyn würde, ehe unsere Appellation an eine höhere Macht gelangen könne. Uns ist bekannt, was in Klöstern möglich ist. Todesahndung umschwebte uns. Das Geräusch der Schwelgerey, welches diesen ganzen Tag hindurch über uns ertönte, vermehrte unsere Besorgnisse. Welche Unthaten sind bereits von trunkenen Mönchen verübt worden! Einer meiner heimlichen Freunde fand Mittel, sich zu uns in den Kerker zu stehlen, und uns die Wahrheit unserer Besorgnisse vor Augen zu legen. Die Feinde der Ordnung und Tugend werden von dem Grafen von Vatz geschützt; er selbst ist gegenwärtig im Kloster, und wir würden wahrscheinlich schon nicht mehr seyn, wenn uns unser Kundschafter nicht heimlich davon geholfen hätte und mit uns geflohen wär. Unser Leben steht nun in eurer Hand, rettet uns durch Vorbitte oder Verbergung, ihr seyd die einige Zuflucht, die uns nahe genug war, vor der Ankunft unserer Feinde erreicht zu werden.

Vorbitte? rief ich, indem ich eine Thür meines Kabinets aufschloß, welche zu meinen Bädern hinab führte, Vorbitte bey Graf Waltern? Augenblickliche Flucht ist das einige Rettungsmittel! Folgt mir ohne Verweilen! Ich ging voran, die Männer folgten mir nach, und wir gingen einen weiten unterirdischen Weg, der mir allein bekannt war, und der einen Ausgang ins Gebürg hatte, wo ich meine Geretteten verließ, überzeugt, daß sie durch Lüttgers Hülfe, welcher in diesen Gegenden, die er mit mir beym Kräutersuchen so oft durchstrichen hatte, wohl bekannt war, sich leicht würden zurecht finden können.

Die Hälfte der Nacht war über dieser Begleitung verflossen. Ich fand den wüthenden Walter in meinem Zimmer, und ein fürchterliches Ungewitter brach über mich los. Ueberzeugt, daß meine Freunde nun geborgen seyn müßten, leugnete ich ihm nichts, ich beantwortete seine Schmähungen mit Vorwürfen wegen des Worts, das er mir ehemals gab, den bedrängten Konrad immer bey seinen Rechten zu schützen, und das er nun so schändlich gebrochen hatte. Meine Worte hatten Wahrheit und Nachdruck für sich, aber ich war die schwächere. Niemand war, der mich hören und zwischen mir und Graf Waltern richten konnte, mir wiederfuhr die unwürdigste Begegnung, und mein Zimmer ward mein Gefängniß.

Das Volk, das mich liebte, schrie über Gewaltthat, als Mechtild Mittel fand, das was ich erlitt, auszubringen, aber der Graf von Vatz sprach lauter als sie. Ein schimpfliches Verständniß mit dem vertriebenen Abt des Klosters Kurwalde, das man mir schuld gab, beschönigte die Härte, mit welcher man mich behandelte, und man sah es ohne sonderliche Bewegung, als ich in wenig Tagen unter starker Bedeckung, niemand wußte wohin, abgeführt, und mir so gar der Trost geraubt wurde, meine Mechtild und das junge Fräulein von Rappersweil zu Begleiterinnen zu haben. Nur Heinrich von Melchthal, einer der vornehmsten Einwohner der Gegend, ein Mann, in welchem ganz der Geist helvetischen Muths und ächter Freyheitsliebe athmete, wagte es, laut wider meinen Tyrannen zu murren, und Gefühle des Unwillens unter seinen Gefärthen zu verbreiten, welche mich hätten retten können, wenn man nicht zu sehr geeilt hätte, mich dem Volke aus den Augen zu bringen.

Jenseit dem Hasliberge18, ob dem Thuner See, liegt ein altes Schloß, der Familie von Uspunnen gehörig, welche seit undenklichen Zeiten mit den Grafen von Vatz und Sargans im Bunde stand. Gegenwärtig lag es wüste, der Eigenthümer lebte im fernen Italien, und hatte seinem Freunde, Graf Waltern, den er in diesen Gegenden sehr gut gekannt hatte, den freyen Gebrauch eines Orts überlassen, welcher schwerlich zu etwas anders dienen konnte, als dazu, wozu er jetzt gebraucht ward, zur Einkerkerung unschuldiger Personen.

Der Weg nach dieser Gegend, den man mich führte, war lang und grauenvoll, aber der Ort meiner Bestimmung selbst übertraf alle Schrecknisse, die ich in den fürchterlichen Gebürgen gefunden hatte, bey weitem. Ein uraltes Felsennest, das zu Zeiten Karls des Großen gebaut war, und bey dem unaufhörlichen Reissen der Stürme und Wühlen der Ströme, längst dem Einsturz drohte, nahm mich auf. Ich sah es von weitem an einer steilen Felsenklippe hängen, und bebte, da man mir es als meine künftige Wohnung nannte. Ich Thörinn! Mit Entzücken floh ich einst in Walters Arme, wo ich den Himmel zu finden dachte, und ward getäuscht. Mit Todesahndung nahte ich mich den Ruinen des Schlosses Uspunnen19, und ward ebenfalls getäuscht. Wird denn der kurzsichtige Sterbliche nie begreifen lernen, daß das Wesen einer Sache und ihre Außenseite meistens verschieden sind? Doch ein oder zwey Erfahrungen dieser Art machen uns weise und ruhig, und lehren uns jenen Gleichmuth, welcher uns über das Lächeln und Drohen des Glücks erhebt, uns gleich stark gegen thörichte Wünsche und unnöthige Besorgnisse macht.

Ich war in der That in den ersten Wochen meines Gefängnisses höchst elend. Meine Lage ward durch Mangel an den nöthigsten Bedürfnissen und Bequemlichkeiten erschwert, und durch die graulichste Einsamkeit fast unerträglich gemacht. Ich sehnte mich nach Gesellschaft, sollte es auch eine solche seyn, welche mich dem äußerlichen Anschein nach weder Unterhaltung noch Trost hoffen lassen konnte. Ich sah oft aus meinem vergitterten Fenster in den verwilderten Garten, welchen zu besuchen mir nicht vergönnt war, einen drey- bis vierjährigen Knaben spielen, dessen unschuldige Fröhlichkeit einen Eindruck auf mich machte, welcher oft die Thränen aus meinen Augen trieb.

Holdes unschuldiges Geschöpf! sagte ich bey mir selbst, diese Gegend ist dir ein Paradies, weil du keine andre kennst! du bist arm, verlassen, vielleicht tausend Gefahren ausgesetzt, ohne es zu fühlen. Das Andenken an die Vergangenheit bekümmert dich so wenig, als die Sorge für die Zukunft, und schwerlich könnte dich ein König glücklicher machen, als du gegenwärtig bist. O daß ich dich in meine Arme schliessen, mich an deinen holden Lächeln weiden und von dir die Kunst im Kerker glücklich zu seyn lernen könnte.

Ich eröffnete meinen Wunsch meinen Aufsehern, und nach einigen Weigerungen ward es mir vergönnt, den kleinen Rudolf zuweilen auf meiner Kammer zu sehen.

Rudolf? sagte ich, als er mir zuerst seinen Namen nannte, Rudolf? wiederholte ich, als ich seine Gesichtszüge untersuchte und Aehnlichkeiten in denselben entdeckte, welche mich in Erstaunen setzten. Und wie ward mir erst, als der liebenswürdige Kleine, ach ein alter Bekannter von mir! seine Mutter mit dem Namen, Hedwig von Rappersweil, nannte.

Ja, diese theure, längst aufgegebene Freundinn theilte diesen Ort des Schreckens mit mir, ich athmete mit ihr einerley Luft, konnte hoffen, sie jeden Tag zu sehen, und die Freude hierüber ließ mich nicht zur Ueberlegung kommen, daß der Entschluß Graf Walters, mich an einerley Ort mit dieser hinterlistig Geraubten zu bringen, mir das Unterpfand ewiger Gefängniß sey. – Seine Ursach, ihr und mir mit solcher Härte zu begegnen, mochte nun seyn welche sie wollte, so blieb so viel gewiß, daß keine von uns die Freyheit wieder geniessen durfte, um seine Grausamkeiten nachzusagen, oder ihrer Unglücksgefärthinn ebenfalls aus dem Kerker zu helfen.

Erwegungen von dieser Art waren in diesen Augenblicken fern von mir, ich fühlte nichts als die Seligkeit des Wiedersehens, die ich hoffte. Ach Gott, es würde mir Trost gewesen seyn hier die gemeinste menschliche Seele zu finden, wenn ich sie nur zur Theilnehmerinn, zur Vertrauten meiner Leiden hätte machen können, aber auf Hedwigs Umarmungen hoffen zu können, wer kann mir sagen, wie vielfache Freuden für, mich in diesem einzigen Gedanken lagen!

Leider war die Ausführung meines Wunsches nicht so leicht als ich wähnte. Die Gräfinn von Rappersweil ward so eingeschränkt gehalten als ich, und unser Aufseher blieb hartnäckig bey dem Entschlusse von der Instrucktion seines grausamen Herrn keinen Schritt abzuweichen. Mich dünkt, dieser Mann war nicht böse, es kränkte ihn vielleicht, uns hart behandeln zu müssen, aber es war ihm Gewissenssache nicht in dem kleinsten Punkte von dem abzugehen was er, wie er uns oft auf unsere Klagen antwortete, dem Grafen von Vatz hatte zuschwören müssen. Ihr seht, sagte er, ich bin in allen Stücken billig, wo ich es seyn kann, ich habe keinen besondern Befehl zu Einkerkerung des Kindes, das mir zugleich mit seiner Mutter übergeben ward, und ich laß es also all derer Vortheile geniessen, die ich ihr nicht gewähren darf. Auch ward mir nie verboten, der Gräfinn von Rappersweil alle Beschäftigung für ihren Geist und für ihre nimmer müssigen Hände zu geben, die sie wünschte, sie hat daher Bücher, sie hat ihre Spindel und die Weberspuhle, jetzt mag sie diese hinlegen und sich mit der Feder beschäftigen; eben dieser Vortheil soll euch zugestanden werden, und mich dünkt, es kann am Ende einerley seyn, ob ihr einander das, was ihr euch zu sagen habt, schriftlich oder mündlich mittheilt.

 

Unser Aufseher eröffnete uns hier einen Weg zur angenehmsten Unterhaltung, der uns nicht eingefallen war, wir dankten ihm und vergassen nicht, uns desselben zu bedienen. Jeden Tag schrieben wir einander, und weil der treue Diener des Grafen von Vatz zu gewissenhaft war, unsere Briefe selbst zu bestellen, so ging alles durch die Hand des kleinen Rudolfs, der mich schnell liebgewann, gern meine enge Kammer besuchte, und außer den schriftlichen, allemal noch tausend mündliche Aufträge erhielt, die in seinem kindischen Munde oft so eine seltsame Gestalt gewannen, daß sie seiner Mutter und mir das herzlichste Lachen abnöthigten. Himmel wir lachten! Hätte unser Tyrann wohl denken können, daß seine Gefangenen Muse zum Lachen hätten?

Hedwigs Briefe enthielten manche Aufklärung über mir bisher unbegreifliche Dinge, noch sind sie alle in meiner Gewalt, diese theuren Denkmale heiliger Freundschaft. Ihr, meine Töchter, für die ich schreibe, werdet sie nach meinem Tode als Beylage bey dieser Schrift finden. O was werdet ihr denken, wenn ihr aus denselben sehet, wie Walter nie derjenige war, für den wir Verblendete ihn hielten! wie er uns vom Anfang täuschte!

Ja, er liebte mich einst, oder vielmehr die Güter, die ich zu hoffen hatte, er suchte, er hoffte und wünschte meine Verbindung, aber Betrachtungen, über die selbst Hedwig mir kein Licht zu geben vermochte, nöthigten ihn, sich nie wörtlich darüber zu erklären, und sich am Ende meine Hand von meinem Oheim fast aufdringen zu lassen. Seine Furcht, meine Aussichten auf Glück und Größe, und also auch die Seinigen möchten durch eine zweyte Vermählung meines Oheims verdunkelt werden, waren Ursach an Hedwigs Entführung. Er hatte die Zeit zu derselben künstlich gewählt. Ein geheimes Verständniß mit dem Abt von Sankt Gallen, dessen Feind er sich äußerlich nannte, brachte jenes mal den Grafen Venosta in seine Hände, lockte mich aus der Burg, überließ die Gräfinn von Rappersweil seiner Gewalt, gab ihm zugleich Gelegenheit, sich durch die Befreyung meines Oheims fest in seine Gunst zu setzen, und ihm das Geschenk, das er ihm mit meiner Hand machte, ungebeten abzunöthigen. Wer kann das ganze Gewebe unergründlicher Bosheit durchspähen, das unser Verfolger hier mit so viel List als Glück angelegt hatte? Er betrog den Abt von Sankt Gallen um seinen Gefangenen, den er ihm erst selbst in die Hände gespielt hatte; den Grafen Venosta um seine Güter, um seine Geliebte, und um mich; die Gräfinn von Rappersweil um ihre Freyheit, und mich um das ganze Glück meines Lebens.

Graf Walter fühlte nie redliche Liebe gegen mich, der Hauptgegenstand seiner Wünsche waren meine Güter; nachdem er sich in den Besitz derselben festgesetzt hatte, nachdem ihm der Anblick meiner Schönheit gewöhnlich, der Umgang einer tugendhaften Gattinn lästig ward, so ergriff er die erste Gelegenheit sich von mir zu trennen, und vergaß nicht, meinem guten Namen einen Schandflecken anzuhängen, der mich jeder Hülfe, selbst der Hülfe meines gütigen Oheims, unwürdig darstellen mußte.

Die Gräfinn von Rappersweil hatte den größten Theil der vorgemeldeten Dinge, die sie mir in ihren Briefen mittheilte, aus dem Munde der kürzlich verstorbenen Kastellaninn dieses Schlosses, einer gutherzigen Frau, welche durch ihren Sohn, der in Graf Walters Diensten stand, genaue Nachrichten von jedem seiner Schritte hatte. Ihr Umgang erleichterte der Gräfinn ihre lange Gefangenschaft, auch fehlte es dieser Frau nicht an Mitteln die Gewissenhaftigkeit ihres Mannes zu hintergehen, und der edeln Gefangnen manche kleine Erleichterung ihrer Leiden zu gewähren, welche jetzt nach ihrem Tode wegfiel. O hätte sie bey meiner Ankunft zu Uspunnen noch gelebt, was hätte sich von ihrer Hülfe hoffen lassen! was wäre drey einverstandenen Frauen, von denen die eine einige Macht, die andere Verstand und die dritte einen guten Theil von Muth besaß, was wär ihnen unmöglich gewesen! Selbst unsere Freyheit zu bewürken, würde uns leicht geworden seyn, wenigstens würde man mir das Glück, meine Hedwig zu umarmen, nicht so lang versagt haben.

Wir trauerten oft in unsern schriftlichen Unterhaltungen über das, was wir an ihr verloren hatten; die Gräfinn tröstete sich denn mit dem Vergnügen, mich in ihrer Nähe, mich an einem Orte zu wissen, wo sie mich sicherer und glücklicher hielt, als in den Armen meines bösen Gemahls, und ich – hoffte auf bessere Zeiten.

Und bessere Zeiten erschienen. Längst hatten wir Muthmassungen gehabt, daß wir nicht die einigen Gefangenen zu Uspunnen wären, und jetzt erhielten wir hievon Gewißheit, ohne jedoch unsere Neugier ganz befriediget zu sehen.

In einer stürmischen Nacht, deren es hier, auf einer der höchsten Felsenklippen, welche allen Winden des Himmels zum Ziel diente, nicht wenig gab, kam in einem entfernten Flügel des Schlosses Feuer aus, der Wind trieb die Flammen bis nach unserer Wohnung, ihre Spitzen leckten an unsere eisernen Gitter, die Gefahr nahm überhand, und doch schienen wir ganz vergessen zu seyn. Niemand dachte darauf unsere Kerker zu öffnen, niemand die kleinste Anstalt zu unserer Rettung zu machen, alle Hülfe zog sich nach der östlichen Seite der Burg, welche in vollen Flammen stand. Unsere Angst war unbeschreiblich! doch wahrscheinlich verglich sich die meinige nicht mit Hedwigs Empfindungen, welche nicht nur für ihr eignes Leben, nein für etwas zu sorgen hatte, welches ihr unendlich theurer war, für das Leben ihres Sohnes.

Sie wagte das Aeußerste; sie sah, daß sein Untergang unvermeidlich mit dem ihrigen verbunden war, und dachte nur ihn zu retten. Durch eine Oeffnung der Hintermauer, die nur eben weit genug war, seiner kleinen Gestalt den Ausweg zu verstatten, ließ sie ihn, an ihre Betttücher gebunden, hinab, und gebot ihm, sobald er den Boden erreicht haben würde, sich loszumachen und zu fliehen oder sich zu verstecken, bis die Gefahr vorüber sey. Welch ein Entschluß, den nur die äußerste Verzweiflung rechtfertigen konnte!

Hedwigs Besorgnisse für das zarte Leben ihres Sohnes waren nicht vergeblich gewesen. Die zunehmende Hitze, (denn jetzt fingen endlich die Balken am benachbarten Gebäude Feuer), und der eindringende Rauch stürzten sie bald, nachdem sie ihren liebsten Schatz geborgen hatte, ohnmächtig zu Boden. Mir ging es in meiner Zelle nicht anders, und waren wir beide bey dem Hinsterben aller Kräfte noch eines Gedankens fähig, so war es sicher kein anderer, als der, an ein frohes Erwachen in einer bessern Welt; ein Gedanke, dessen Erfüllung wir zu glauben geneigt waren, als wir uns, da wir jetzt die Augen wieder aufschlugen, an einem hellen geräumigen Ort in freyer Luft, und die Freundinn, die wir liebten, nach der wir uns so lang vergeblich gesehnt hatten, an unserer Seite erblickten. O Hedwig! o Noria! riefen wir beyde aus einem Munde, indem wir einander in die Arme sanken! Was ist aus uns geworden? sind wir ins irrdische Leben gerettet, oder von den Banden des Körpers befreyet? wo sehen wir uns? auf der Erde, unsern Kerker, oder genseit20 des Grabes?

Unsere Zweifel wurden bald gehoben. Wir fühlten nur gar zu schnell, daß wir gerettet, aber nicht frey waren. Die rauchenden Aschenhaufen, in der Ferne sagten uns, daß wir uns noch im Bezirk unsers Kerkers befänden, und die genaue Aufmerksamkeit, mit welcher man uns bewachte, ließ uns wahrnehmen, daß der einige Vortheil, den wir von unserm veränderten Zustande hatten, das Vergnügen war, uns zu sehen und zu umarmen. Aber wie sehr ward uns dieses Vergnügen verbittert! Hedwig weinte um ihren Sohn, und warf sich vor, ihn in der Verzweiflung von sich gelassen zu haben, da er doch so wohl als sie hätte gerettet werden können, und ich fühlte den Verlust dieses geliebten Kindes fast so stark als sie.

Man hörte wenig auf unsere Klagen, unsere Wächter beschäftigten sich mit nichts, als mit den Vorgängen vergangner Nacht, und wir erfuhren aus ihren Gesprächen so viel, daß das Feuer von der gefangenen Dame in der östlichen Seite des Schlosses angelegt worden sey, daß sie wahrscheinlich ihre Rettung dadurch habe bewürken wollen, aber von einem gefährlichen Sprunge aus dem Fenster und dem nachstürzenden Gesims so viel gelitten habe, daß sie schwerlich den Abend erleben werde. Auch der Aufseher des Gefängnisses, der sich bey der Rettung jener Gefangenen, auf welche hier mehr anzukommen schien, als auf uns, zu kühn gewagt hatte, lag in den letzten Zügen, wir verlangten zu ihm gebracht zu werden, er bat uns mit stammelnder Zunge um Verzeihung wegen des Unrechts, das er uns gezwungen habe zufügen müssen, blieb aber auch sterbend dabey, daß er, durch fürchterliche Eyde gebunden, nicht anders habe handeln können; auch dachte er nicht daran, unsern nunmehrigen Hütern Milde und Schonung anzubefehlen, die, vermuthlich beeydigt wie er, es für Pflicht hielten, uns so streng zu halten, als zuvor. Nichts konnten wir von ihnen zu Milderung unsers Kummers erhalten, als das Glück, nicht von einander getrennt zu werden, und die Erlaubniß, jene Dame zu sehen, von welcher wir heute zum erstenmale deutlich sprechen hörten, die sich zu ihrer Befreyung eines so schrecklichen Mittels bedient hatte, und nun, wie man uns sagte, im Begriff war, unter den Folgen ihrer verzweifelten That den Geist aufzugeben.

Neugier, Hoffnung oder Furcht eine Bekannte zu finden, Wunsch, einer sterbenden Leidensgefärthinn Trost oder Linderung bringen zu können, Gott weis, welches von allem es war, das uns zu diesem traurigen Besuch antrieb. Man versicherte uns, er würde uns wenig Milderung unsers Kummers bringen, und wie man gesagt hatte, so geschah es.

Man führte uns zu einer Person, die wir nicht kannten, und, deren Anblick jedes Gefühl des Mitleids, jenes peinlichen21 Mitleids, das keine Hülfe weis, in uns rege machte. Sie wandte ihre halb erstorbenen Augen nach uns, und bot uns mit einem schmerzhaften Lächeln die Hand. Wir beschäftigten uns um sie, ihr mit den armseligen Mitteln, die in unserer Gewalt waren, einige Linderung zu verschaffen, und unsere Thränen zeugten von den Gefühlen unsers Herzen. Verzeihet, sagte sie, als sie sich nach einigen Stunden ein wenig erholte, ich wollte mich retten, und hätte euch bald in ähnliches Unglück, wie mich, gestürzt, aber langes Leiden ist die Mutter der Verzweiflung! – Bald darauf rechnete sie in halber Phantasie die Jahre her, in welchen sie nun hier in diesem abscheulichen Kerker von ihren Tyrannen gefangen gehalten würde, und sprach viel von ihrem Sohne, auf dessen rettende Hand sie so lang vergeblich gewartet hätte.

Gegen die Nacht rühmte sie, wie sie jetzt von allen Schmerzen frey sey, und wandte sich mit einem Anschein von Heiterkeit zu uns, nach unsern Namen zu fragen. Die Gräfinn nannte sich, und erhielt einen liebreichen mitleidenden Blick zum Lohn. Hedwig von Rappersweil? sagte die Kranke. O ich kenne euch aus dem Gerücht, auch ihr habt gelitten, zwar nicht so viel als ich, doch wißt ihr wohl was Verfolgung ist. – Und ihr, fuhr sie fort, indem sie sich zu mir wandte. Noria von Vatz! erwiederte ich.

Noria von Vatz? wiederholte sie, indem sie mit fürchterlicher Geberde die Hände zusammenschlug. Noria? Walters zweyte Gemahlinn? O Schicksal! das fehlte noch mich ganz elend zu machen! Hinweg von mir Verworfene! Urheberinn meines Elends! Hinweg! laß mich allein sterben! Aber Rache sey dir geschworen! Rache nach meinem Tode! du sollst nicht ungestraft über mich triumphiren!

Ich stand fast meiner Sinnen beraubt an dem Bette der Leidenden, und nur die Vorstellung, sie spreche in der Hitze der Phantasie, konnte mich aufrecht erhalten. Besinnet euch, edle Frau! rief ich, indem ich mich bemühte, eine ihrer Hände zu fassen. Ich kannte, ich beleidigte euch ja nie, ich bin die unglückliche Noria Venosta, die von einem grausamen Gemahl verstossen, unschuldig mit Schande gebrandmarkt, hier zu ewigen Fesseln verdammt ward, welche die Flammen voriger Nacht vergebens zu brechen suchten.

So? sprach sie mit milderer Stimme, bist du Walters verstoßnes Weib? Nun so komm in meine Arme! wir sind Schwestern!

Schon beugte ich mich zu ihrer Umarmung herab, aber Hedwig riß mich zurück, denn das Gesicht der Unglücklichen verwandelte sich von neuem, und ließ meine Freundinn Gefahr für mich in ihren Liebkosungen besorgen. Auch war der Verstand der beklagenswürdigen Unbekannten, von diesem Augenblick an, ganz hin. Ihre Augen voll Wuth waren beständig auf mich gerichtet, sie schäumte und drohte, und ich war genöthigt mich zu entfernen, um ihr Ruhe zu schaffen.

 

Mir waren diese Dinge ein schreckliches Räthsel, ich beklagte die Unglückliche, indem zugleich ein heimliches Entsetzen vor ihr Besitz von meiner Seele nahm. Ich weinte und ängstigte mich, ich wußte nicht warum, ich machte mir selbst Vorwürfe und konnte mich nicht besinnen, was ich verbrochen hatte. In diesem traurigen Zustande brachte ich den Morgen heran, da die Gräfinn von Rappersweil kam, mir die Nachricht von dem Tode der Unbekannten zu bringen. Sie war ganz erschöpft von den schrecklichen Auftritten dieser Nacht, ich fragte sie, ob sie keine Entdeckungen gemacht habe, die unsere Zweifel über diese seltsamen Dinge auflösen könnten, aber sie konnte oder wollte mir keine Auskunft geben. Wir wohnten in trauriger Stille der Beerdigung unserer elenden Mitgefangenen bey, sie ward in einen von den Höfen unsers Gefängnisses eingescharrt, und man führte uns von ihrem Grabe nach einer engen Wohnung in den vom Feuer verschonten Theil des Schlosses, welche derjenigen, aus welcher uns die Flammen getrieben hatten, fast ähnlich war; die wenige Freyheit, welche wir des vorigen Tages genossen hatten, war schon zu viel für die Härte unserer Hüter gewesen.

Wir sanken einander in die Arme und weinten, trösteten uns, einander wieder zu haben, und weinten wieder, suchten uns von der traurigen Gegenwart durch Andenken an die Vergangenheit oder Hoffnungen für die Zukunft loszureissen, und fanden auch da wenig Beruhigung. Unser schrecklichster Gedanke war das Schicksal unsers kleinen Lieblings. Gott, was mochte aus ihm geworden seyn, wenn er auch dem Feuer entgangen war, das bald nach seiner Trennung von seiner Mutter hier so unaufhaltsam zu wüthen begunnte! Wir hatten des vorigen Tages die Stelle besehen, wo Hedwig ihn hinab ließ; die kleine Oeffnung war nicht hoch von der Erde, aber dicht von dem Platze, auf welchen er hernieder kam, senkte sich eine fürchterlich steile Klippe in die Tiefe hinab, und uns schauerte die Haut, wenn wir weiter dachten!

Ich kann die Zeit nicht benennen, die wir in dem kläglichsten Zustande, durch nichts als gegenseitige Freundschaft getröstet, hier zubrachten, aber wie ich schon zuvor gesagt habe, Linderung und Hülfe war uns nahe.

Unsere Hüter brachten uns eines Tages die Nachricht, der Graf von Vatz habe einen neuen Aufseher über dieses halb in Asche verwandelte Schloß herüber geschickt, und wir möchten nun zusehen, ob wir unter seinem Regiment nicht unser bisheriges Schicksal, den Gegenstand unserer unabläßigen Klagen zurückwünschen würden. Wir zitterten bey dieser prophetischen Warnung. Verdruß und Unwille über den neuen Diener von Graf Walters Rache lag sichtbar in den Zügen unserer bisherigen Kerkermeister, und doch getraueten sie sich kaum laut wider ihn zu murren; was für Aussichten für uns! Was mußte das für ein Mann seyn, welcher selbst jenen Unmenschen Furcht und Schrecken einjagen konnte!

Er erschien wenig Stunden nach dieser Ankündigung, von unsern alten Hütern begleitet, in unserm Kerker, und wir wußten nicht, was wir aus ihm machen sollten. Walter Fürst, so hieß der künftige Gebieter über unser Schicksal, hatte ein Gesicht, welches Ehrfurcht und Zutrauen einzuflösen vermögend war, aber ein finsterer Zug entstellte es. Er würdigte uns kaum eines Anblicks, sondern sagte uns mit harter Stimme; wir sollten uns gefaßt machen gegen künftige Nacht diesen Ort zu verlassen, welcher für Gefangene unserer Art nicht mehr fest und sicher genug wär. Wir wollten einige Bitten um künftige gute Begegnung einschieben, aber er kehrte uns den Rücken, und ließ, wie uns dünkte, unsere Thür siebenmal fester als zuvor verriegeln.

Doch gelang es dem Haupt unserer bisherigen Wächter, der sich, wie es schien, sein trauriges Amt ungern rauben ließ, zu uns zurück zu kehren, und unsere ohnedem genug beängstigte Herzen mit schrecklichen Erwartungen anzufüllen. Ich rathe euch, sagte er, euch diesem eingedrungenen Aufseher auf das möglichste zu widersetzen. Nichts als Verschlimmerung eures Schicksals kann eurer warten, wir wollen alle auf eure Seite treten, und euch hier zu behalten suchen. Was für Macht hat Fürst über uns oder über euch? Weigert er sich nicht so gar uns den Befehl des Grafen von Vatz zu dem, was er sich unterfängt, vorzuzeigen? – Und wer sind seine Begleiter? eine Handvoll schlecht bewaffnete Leute, die wir wenigstens durch unsere Menge überwiegen können!

Der Mann, welcher uns vordem nur selten gewürdiget hatte, Worte mit uns zu wechseln, sprach noch lang in diesem Ton, und wir wußten nicht, was wir denken, oder welche Entschliessung wir fassen sollten, doch behielt endlich, als wir allein darüber zu rathe gingen, die Vorstellung die Oberhand, daß in einer Lage, wie die unsrige, jede Veränderung Verbesserung sey. Neue Gegenstände, andre Aussichten, vielleicht Gelegenheit zur Flucht, was ließ sich nicht alles von diesen Dingen erwarten! Wir waren einig unserm Schicksal nicht zu widerstehen, und Walter Fürst fand uns, als er um Mitternacht in unser Gefängniß trat uns abzuholen, bereit ihm zu folgen.

Unser Widerstand hatte vielleicht das Signal für die Feinde des neuen Aufsehers seyn sollen, gegen ihn loszubrechen; wir fanden unser Vorgemach von ihnen erfüllt, alle waren bewaffnet, und ihre drohenden Blicke zeigten, was sie vorhatten, aber als sie uns gutwillig folgen sahen, so schien ihr Muth zu sinken, einige zuckten zwar die Schwerder, sich zu widersetzen, aber Fürsts Leute hatten auch gelernt, die Waffen zu gebrauchen, und unser Zug ward bald ungehindert fortgesetzt.

Zittert, schrie unser Führer beym Abzug, zittert ihr Rebellen vor meiner Wiederkunft; ich werde den Willen meines Herrn bey euch geltend zu machen, euch zu zeigen wissen, daß ich das Amt, das Graf Walter mir anvertraute, behaupten kann.

Man brachte uns, sobald der steile Bergweg zurück gelegt war, auf einen bequemen Wagen, und ich entdeckte meiner Freundinn, daß ich nicht wisse, was von dem ganzen Abendtheuer zu halten sey, weil mich gar eigen22 dünke, unter Fürsts Begleitern Henrichen von Melchthal erkannt zu haben. Hedwig kannte diesen Mann, den ich schon im Vorhergehenden genannt habe, gar wohl. Er war einer der redlichsten und muthigsten Männer im ganzen Zehngerichtenkreiß23, einer der treusten Unterthanen des Grafen Venosta, dem er noch jetzt, da diese Gegend in den Händen des Grafen von Vatz war, sowohl als mir mit vollem Herzen anhing. Henrich von Melchthal? rief die Gräfinn, o ist dieser in unserer Nähe, so sind wir mehr als halb gerettet; nur Gelegenheit, uns ihm kenntlich zu machen, die uns nicht fehlen kann, und er wird nicht ermangeln, unsere Fesseln zu brechen! Ich wollte ihr eben zu Stärkung ihrer süssen Hoffnungen sagen, wie dieser Mann der einige gewesen sey, der bey meiner Abführung nach Uspunnen es gewagt habe, laut zu murren, und wie ich festiglich glaube, er befinde sich nicht von ohngefehr unter unsern Begleitern, als Walter Fürst, mit einem ganz andern Wesen, als er zu Uspunnen annahm, an den Wagen kam, und uns mit ehrerbietigem Ton anredete. Edle Frauen, sagte er, ihr seyd gerettet, und hier ist derjenige, dem ihr eure Rettung zu verdanken habt. Es war dunkel, wir fühlten mehr als wir sahen, daß uns bey diesen Worten, nach welchen sich der Sprechende sogleich, ohne Antwort zu erwarten, entfernte, noch eine dritte Person auf unsern Wagen geliefert ward, aber wie konnten wir zweifelhaft seyn, wer es sey, als Hedwig ihren Nacken von ein paar zarten Armen umschlungen fühlte, und den Namen Mutter in ihre Ohren schallen hörte.