Elisabeth, Erbin von Toggenburg. Oder Geschichte der Frauen von Sargans in der Schweiz

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Hier, das Leben der bleichen halb verschleyerten Noria Venosta, welcher der Gram, in ihrem hohen Alter, da sie gemahlt ist, noch Reitze genug überließ, um auf die hinreissende Schönheit ihrer Jugend zu schliessen. Hier, etwas von der unglücklichen Frau von der Wart, einem gebohrenen Fräulein von Sargans, welche Muth genug hatte, auf der Gerichtsstätte, wo ihr beklagenswürdiger Gatte den Geist aufgeben mußte bis zum letzten Hauch seines Lebens zu verweilen, die sie nur verließ, um sich selbst hinzulegen und zu sterben. Hier noch etwas von zwey Fräuleins dieses Hauses die gestern im Kabinet der Aebtißinn meine Aufmerksamkeit besonders hinrissen. Ein paar einsame Wallerinnen6 (so schildert sie das Gemählde,) auf einem öden Schneegebürge; beyde mit den Zügen der Unschuld und Schönheit geschmückt, bekannte Züge, fast demjenigen gleich, was meine partheiische Freundschaft einst an Marien und der nichtswürdigen Berta bewunderte, beyde von verschiedenen Gegenden mit der Miene der namlosesten Angst, einen Weg durch das einsame Gebürge suchend, wo sie hülflos verschmachten mußten, wenn ihnen nicht einen höhere Macht den Weg zeigte. Auch dünkte7 es mich auf dem Bilde einen Schatten wahrzunehmen, der einer von den armen Pilgerinnen winkend voranschwebte, oder irgend ein Heiliger vom Himmel gesandt, sie aus dem schrecklichen Labyrinth zu führen.

Außer diesen besitze ich noch einige andere minder wichtige Fragmente, welche auf die Seite gelegt werden, bis diese durchlesen und dir mitgetheilt sind. Auch schickte mir die Domina, vermuthlich um mich zu besänftigen, durch eine ihre Jungfern das Leben einer ihrer Vorgängerinnen, welche auch ein Freyfräulein von Vatz und Sargans war, und die, wie sie meynte, vornehmlich meine Neugier bei der Bildersammlung, erregt haben würde. Ich nahm die dicke Pergamentrolle mit Dank an, und habe sie schon durchlesen und zurückgeschickt, denn sie enthielt weiter nichts, als wie diese gute Aebtißinn nicht allein eine Heilige sondern auch eine gelehrte Frau gewesen sey und mit Waltern von der Vogelweide, den Grafen von Habsburg und Welschneuenburg, wie auch dem Abt von Einsiedeln und dem Bischof von Konstanz um die Wette den Musen geopfert, und wöchentlich gelehrte Zusammenkünfte beym Züricher Bürgermeister, Rüdiger Manesse, angestellt habe.

Ich ward durch diese Dinge wenig unterhalten, und wandte mich so bald ich allein war, zu meinem heimlich entwendeten Schatz, davon du das, was ich gelesen habe, sogleich erhältst. O Ludwig, solltest du glauben, daß mich auch bey dieser Beschäftigung Montforts Andenken nicht verlassen hat? Doch wer kann bey Betrachtung dieser Muster der Verleugnung noch schwach seyn, ich lese weiter, um mich zu jedem guten Vorsatze zu stärken.

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Zweyter Abschnitt.

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Noria Venosta, von ihr selbst verzeichnet.

Es ist schön, am Abend des Lebens rückwärts zu blicken, und den Weg zu mustern, der uns zu der stillen Herberge führte, die wir nun fast erreicht haben. Zwar nur unvollkommen ist diese Uebersicht, denn die Kühle der herannahenden Nacht benimmt uns fast den Begriff von den Beschwerlichkeiten, die uns die Glut der Mittagssonne verursachte, und unser Auge gleitet über die Gebürge, die wir zu übersteigen hatten, über die tiefen Thäler, in denen wir uns zu verirren dachten, sanft hinweg. Wir erblicken nichts, als eine glatte Ebene; die Ferne des zurückgelegten Weges und die immer dichter werdende Dämmerung täuscht unsere Augen. Auch die Freuden unserer Pilgerschaft sind für uns verloren, so wie ihre Mühseligkeiten, wir erblicken nicht mehr die Blumen des Thals, bey welchem wir verweilten, noch den rieselnden Bach, der uns labte. Wir haben von dem Ganzen kein andres Gefühl, als daß es vorbey ist, und wundern uns bey flüchtiger Erinnerung oft nicht wenig, wie all diese Kleinigkeiten uns in solchem Grad rühren konnten. Dies sind die Gefühle des hohen Alters, die Ihr, für die ich schreibe, du Ursula, und du Kunigunde, zur bestimmten Zeit auch erfahren werdet. Ach bis dahin ist noch ein langer mühseliger Weg für euch zurück zu legen, und ich fühle, ich bin es auch schuldig, den Pfad, den ich gegangen bin, noch einmal zu übersehen, und euch durch Erzählung dessen, was ich auf demselben erfuhr, den eurigen zu erleichtern.

Der Frühling meines Lebens war schön und glänzend. Ich wuchs unter den edelsten Jungfrauen meiner Zeit auf und nannte Fürstentöchter meine Gespielen. Graf Habsburgs Töchter lebten mit mir wie Schwestern und unser Freundschaftsbund ward nicht getrennt; als Rudolf Kaiser ward, und ihnen die Erhöhung ihres Vaters eine Aussicht auf die ersten Fürstenstühle Europens eröffnete. Was kümmert sich Unschuld und unerfahrne Jugend um Hoheit und Größe? Dinge dieser Art, waren nur der Gegenstand unsers Scherzes; wir ließen die jungen und alten Fürsten, die sich um des Kaisers Töchter bewarben, der Reihe nach, die Musterung paßiren, wir vertheilten sie unter uns, und hatten darob unser Gelächter. Es waren ihrer gerad sieben, und da ich und die Prinzeßinnen zusammen eine gleiche Anzahl ausmachten, so ging ich nie leer bey der Vertheilung aus.

Aus dem Scherze ward Ernst, der Herzog von Sachsen, welcher bisher alle seine Wünsche auf die älteste Prinzeßinn Mathilde eingeschränkt hatte, begunnte zu sehen, daß ihre Gespielin Noria auch schön seye, und weil ich von mehrern, wegen der Gleichheit, die in allem unter uns eingeführt war und wegen unserer Unzertrennlichkeit, für die Schwestern meiner Freundinnen gehalten wurde, so hielt er es für keine große Sache, zwey Töchter eines Vaters um einander zu vertauschen, und verheelte seine Gesinnungen so wenig, daß – ich vom Hof entfernt wurde, ehe ein entscheidender Schritt in dieser bedenklichen Sache gethan werden konnte. Mein Vater war in den letzten baselschen Unruhen geblieben, meine Mutter hatte ich nie gekannt, und ich fiel der Vormundschaft meines Oheims zu, welcher große Ländereyen in Räthien gekauft hatte, und daselbst frey von dem Geräusch des Hofs das Leben der Freyheit lebte.

Graf Zirio Venosta empfing mich mit offnen Armen, und ich, so schmerzlich mir auch die Trennung von meinen Freundinnen war, konnte doch bald einsehen, welche Vorzüge die Unabhängigkeit von den Ketten des Hoflebens habe, sollten sie auch noch so leicht geschlungen seyn wie die meinigen gewesen waren. Die Luft der Freyheit wehte mir hier überall entgegen, die Räthier, welche die Fesseln ihrer Beherrscher allgemach abzuschütteln begunnten, feyerten überall Feste der Befreyung, und luden die benachbarten Walliser ein, Theil an ihrem Glück zu nehmen. Was für Scenen für ein junges fühlendes Herz, und doch hatte ich nicht Erfahrung genug das Schöne und Seltene derselben ganz einzusehen. Nicht oft wird Freyheit anders als mit Blut erkauft, und die Freude über das erlangte Gut, ist also immer mit trauriger Erinnerung verknüpft; hier war sie die Folge der Mäßigkeit und Arbeitsamkeit, welcher es endlich gelungen war, das Joch der Schwelgerey und des Übermuths zu zerbrechen. Ritter und Geistliche, die bisherigen Beherrscher dieser Gegenden, fröhnten lange Zeit sorglos den Wollüsten, bis sie die Schuldner ihrer Knechte wurden, welche indessen durch Fleiß und Nüchternheit in Sitten emporgewachsen waren, und denen die Stirne bieten konnten, deren Vasallen sie ehemals waren. Die verarmten Schwelger konnten hiezu nichts thun als sauer sehen und sich das, was sie Fügung des Glücks nannten, gefallen lassen.

Aber mein Oheim Zirio war nicht unter diesen herabgekommenen Großen; sein Wohlstand wuchs mit jedem Tage, seine Ländereyen vermehrten sich durch den Ankauf dessen, was seine Nachbaren ihren Schulden aufopfern mußten, auch seufzte das Land nicht unter seiner Macht; er gönnte seinen Vasallen gern eine Art von Unabhängigkeit, welche sie nach keiner mehrern Freiheit lüstern werden ließ. Er gab seinen Dienstleuten eigene Ländereyen ein, und überließ ihnen beynahe den Vollgenuß ihres Ertrags, auch behielt er viele von den fremden Gästen, den Wallisern im Lande, und ersetzte ihnen durch Anweisung manches fruchtbaren, bisher ungebrauchten Stück Landes, was sie in ihrem damals so unruhigen Vaterlande verliessen. O Kinder, es ist ein Geschäft, das uns der Gottheit ähnlich macht, gleichsam aus dem Nichts blühende Gegenden emporsteigen zu lassen, und ihnen glückliche Menschen zu Bewohnern zu geben. Ich bin Zeuge solcher Verwandlungen gewesen, die den Fürsten dieser Erde so leicht seyn würden, wenn sie wollten. Sie vermöchten dadurch die Allgewalt und Milde des Schöpfers zu kopiren, aber sie ahmen lieber seiner strafenden Gerechtigkeit nach, verwandeln die Wohnungen der Menschen in Steinhaufen, und lassen fruchtbare Thäler in Blut schwimmen.

Unter den Großen des Landes, deren Besitzungen jetzt den Grafen von Venosta Herr nannten, waren die Grafen von Vatz die vornehmsten. Graf Walter der letzte, so viel wir wußten, Abkömmling dieses Hauses, hatte von seinem Vater nicht den zehnten Theil von demjenigen geerbt, was seine Vorfahren ehemals ihr Eigenthum nannten. Gram und Mißmuth drückten den jungen Mann nieder, er suchte sein Glück in fremden Kriegsdiensten, fand es nicht, und kam traurend zurück, die verfallnen Schlösser, welche noch sein waren, zu stützen, und die Trümmern seiner gesunkenen Größe zusammen zu suchen. Er litt unverschuldet, und doch färbte die Erwegung seines Zustands seine Wangen mit einer Schaamröthe, die er besonders vor denen zu verbergen suchte, welche auf den Ruinen der Vatzischen Hoheit ihr Glück erbaut hatten. Er vermied den Umgang meines Oheims absichtlich; bey keiner Gelegenheit, wo sonst Ritter und Edle zusammen kommen, ließ er sich finden, wenn dieser gegenwärtig war, und so geflissen auch Zirio die Gelegenheit suchte, den jungen Ritter kennen zu lernen, der ihn auf mehr als eine Art interessirte, so würde doch wahrscheinlich sein Bestreben immer fruchtlos, geblieben seyn, wenn sich nicht eine Begebenheit zugetragen hätte, welche die Gegenwart beyder erforderte, und dadurch ein Band knüpfte, welches – soll ich sagen, besser ungeknüpft geblieben wäre? – Doch die Fügungen der ewigen Weisheit sind untadelhaft, ich lege den Finger auf den Mund und schweige.

 

Im Schlosse eines friedlichen Thals, am Ufer des Rheins, erhoben sich die Mauern eines Klosters, das bey den großen dazugehörigen Ländereyen nur den Besitzungen der Züricher großen Frau, und den Mönchen zu Sankt Nosus8 in Solothurn, an Macht und Reichthum weichen muß. Seit undenklichen Zeiten waren die Herren von Vatz Eigenthümer dieser Distrikte, und sie kannten den Werth derselben so gut, daß sie fast das einige waren, was sie nur Pfandsweise aus der Hand gelassen hatten. Schon lange hatte mein Oheim mit Graf Werner, Walters Vater, hierüber Unterhandlungen gepflogen, und nach dessen Tode seinen Sohn eben so entschieden gefunden, sich von dem Kleinod des Landes (so pflegte man das Kloster am Walde zu nennen) nicht ganz zu trennen. Tausend Mittel waren meinem Oheim, selbst von den Klosterherren, an die Hand gegeben worden, die Hartnäckigkeit des alten Eigenthümers zu besiegen, aber Zirios zartes Gewissen fand sie widerrechtlich, und alles blieb wie es war. Laßt dem jungen Manne die Hoffnung, sagte er oft, wenn von Graf Waltern die Rede war, durch die Ansprüche an dieses reizende Stück Landes in seinem ehemaligen Erbteil festen Fuß zu behalten, ich will es nicht seyn, der ihn aus demselben verdrängt, will eher ihm die Hand zu Erfüllung seiner Wünsche bieten, wenn er ganz derjenige ist, für den ich ihn halte. Er weide sich an den Sagen von hier vergrabenen Schätzen, und an all den Chimären, mit welchen man auch mich mehrmahls zu täuschen und anzutreiben suchte, mit gewaffneter Hand das zu suchen, wozu mir nur Walters freye Einwilligung ein entscheidendes Recht geben kann.

Nur gar zu wahr war es, daß man es an nichts ermangeln ließ, den Grafen Venosta gegen Waltern aufzubringen, der an seiner Seite ähnlichen Einhauchen hinterlistiger Verräther ein geneigtes Ohr liehe. Die Fehde wär erklärt gewesen, und die Wohnungen der Ruhe hätten längst in Blut geschwommen, wenn Zirio nicht immer großmüthig nachgegeben hätte. – Das Verlangen über diese und ähnliche Dinge, einmal, nur einmal mit Waltern selbst zu sprechen, war der Grund, warum mein Oheim ihn überall aufsuchte, und die Ursach, warum jener jede nähere Erklärung floh, konnte eben so wohl in stolzer Schaam vor dem großen Grafen Venosta, oder in Verhetzung böser Leute, als in irgend einem schlimmen Zuge seines Charakters liegen. Mein Oheim und ich hatten es uns zur Regel gemacht, gut von Graf Waltern zu denken – Zwar hatten wir beyde lang am Hofe, dem Geburtsort des argwöhnischen Mißtrauens, gelebt, aber er sowohl, als ich, liessen beym ersten Eintritt in das treuherzige Helvetien diesen Feind der ländlichen Ruhe zurück, und waren entschlossen ganz das zu seyn, was der Charakter unsers neuen Vaterlands von uns heischte.

Die Begebenheit, welche meinen Oheim und Graf Waltern endlich zusammen brachte, war eine Streitigkeit zwischen den Mönchen von Churwalde und ihrem Abte, die nach und nach so überhand nahm, daß sich der Lehnsherr darein mischen mußte. Und wer war dieser Lehnsherr? Zirio, der Innhaber dieser Gegenden? oder Walter, welcher sich das volle Recht auf dieselben noch immer vorbehielt? – Die Mönche appellirten lange von einem an den andern, und es war schlechterdings eine Zusammenkunft beyder nöthig, die Sache ins Gleiche zu bringen.

Nie verstattete mir Zirio, mich in Dinge zu mischen, welche außer der Sphäre des Weibes liegen, aber wie hätte er mir wehren können, hier eine Parthie zu nehmen, da es auf die Ehre und das Wohl einiger Personen ankam, die ich nach meinem Oheim am meisten schätzte.

Der verfolgte Abt von Churwalde, Konrad, der erste dieses Namens, war mein Beichtiger, der Prior Lüttger, der den unverschuldeten Haß der Mönche mit ihm theilte, mein Lehrer in der Kräuterkunde, die auf den Rhätischen Gebürgen mein Lieblingsstudium war, ich kannte die Redlichkeit beyder, und wandte alle Kräfte der Ueberredung an, welche in weiblichen Bitten und Thränen liegen, den Grafen Venosta immer auf der Seite meiner Freunde zu erhalten. Auch war es mir unmöglich, meinen Oheim allein nach dem Orte reisen zu lassen, welcher zur Zusammenkunft zwischen ihm und Graf Waltern bestimmt war. Auch diesen, von welchem man sagte, daß er sich gewaltig auf die Seite der Verfolger der Unschuld lenkte, wolle ich von der wahren Lage der Sache zu unterrichten suchen, und ich glaubte nichts weiter nöthig zu haben, als dieses, um alles für die Bedrängten zu erhalten; ich wußte noch nicht, daß es möglich sey, gegen die klarste Ueberzeugung zu handeln.

Man sagt, bittende Schönheit, welche sich selbst vergißt, um nur für andre thätig zu seyn, sey unwiderstehlich. Der Vortrag meines Oheims an Waltern war zu Ende, und mir ward erlaubt, einige Worte hinzu zu thun. Ihrer waren wenig, aber sie waren voll Nachdruck, und ich glaubte in Walters Augen zu lesen, daß sie ihres Endzwecks nicht verfehlten. Er antwortete nichts, aber sein Blick ruhte mit einem Ausdruck auf meinem Gesicht, welcher machte, daß ich bestürzt zur Erde sahe, meinen Schleyer fallen ließ und mich zurück zog. Graf Venosta, sagte Walter, Eure Hand! Thut in der Sache, was Euch gefällt! Ein so schönes und tugendliches Fräulein kann nicht die Seite der Verbrecher halten. Unsere streitsüchtigen Mönche behalten ihren Abt, und dieser hat nichts zu thun, als seine mächtige Vorsprecherinn auch zu ihnen mit dem ihr eignen Ton der Ueberredung sprechen zu lassen, um sich ihrer Unterthänigteit auf ewig zu versichern. Mich dünkt, der Mann könne auf diese Art Herr der ganzen Welt werden, und sich, wär er auch der größte Sünder, durch den Mund seiner Heiligen selbst in den Himmel stehlen.

Ich fand diese Reden so kühn als schmeichelhaft; ein Wink meines Oheims sagte mir, daß auch er etwas anstößiges in denselben fand, und ich verließ das Zimmer voll Verlegenheit und Beschämung.

Ich hatte die Freude, meine Freunde gerettet und ihren Verfolgern zum Trotz in ihrer Würde bestätigt zu sehen, und die Kränkung, allerley nachtheilige Folgen meiner gutherzigen Vorbitte zu erfahren. Die erste derselben war ein ziemlich heftiger Verweis vom Grafen Venosta, wegen dem Feuer, – Zudringlichkeit nannte er es, – mit welcher ich zu Graf Waltern gesprochen hatte. Wär Noria ein einfältiges Alpenmädchen, sagte er, das in dem vaterländischen Gebürge nie etwas von den kühnen Erwartungen stolzer Männer bey dem geringsten Grad weiblicher Freundlichkeit gehört hätte, so wollte ich ihr die Freyheit, mit welcher sie sprach, und den Ausdruck ihrer bittenden Blicke verzeihen; aber Noria, an einem Kaiserhofe erzogen, hätte behutsamer seyn sollen. Walters sittenloses Anschauen und seine Worte voll kühner Schmeicheley gefielen mir nicht, und ich mag seinetwegen bisher noch so vortheilhafte Gedanken gehabt haben, so sind sie durch diese Dinge mehr als halb getilget.

Ich beantwortete Zirios warnende Rede mit Stillschweigen, und Selbstvorwürfe folgten hintennach, doch wußte ich kaum, was ich mir vorwerfen sollte: mein Herz war unschuldig, meine Absicht rein, nur die Folgen konnten mich belehren, daß ich in irgend etwas gefehlt hatte.

Walter von Vatz, er, der sich Jahre lang nirgend finden ließ, so sehr mein Oheim nach seiner Bekanntschaft strebte, er, der noch jetzt seine Gesellschaft nicht allzu eifrig suchte, kam von nun an mir, nur mir fast jeden Tag vor die Augen. Ging ich zur Kirche, so war sein Weg der nemliche, stand ich auf meinem Balkon, so ritt er vorüber, war ich bey einem der ländlichen Feste, zu denen es unsern Vasallen nie an Veranlassung fehlte, und bey welchen ich nie mangeln durfte; so bot er mir beym Tanze die Hand, ja das Schicksal wollte sogar, daß ich ihm in der Folge Dank schuldig werden mußte. Ein bunter Aufzug ländlicher Hochzeiter, welcher von wilder schwärmender Musik begleitet war, durchkreutzte einst meinen Weg des Abends im Zweylichten; die dicht vor den Augen meiner Pferde geschwungenen weißen Brautfahnen, und die schwirrenden Zimbeln, die man ihnen in die Ohren tönen ließ, machten sie scheu, sie gingen mit mir durch, und würden vielleicht mit mir den jähen Abhang hinunter gestürzt seyn, aber Graf Walter war bey der Hand, rettete mich, ehe ich noch fast Gefahr ahndete, und genoß dafür das Glück, wie er es nannte, mich nach Hause zu begleiten, und mir in einem seltsamen Tone von Liebe vorzureden, auch kam einst des Nachts in meinem Vorzimmer ein Feuer aus, welches schnell genug überhand nahm, um mich in Schrecken und Ohnmacht zu stürzen. Beym Erwachen fand ich mich in Walters Armen, welcher mir von Flucht vor der Gefahr vorredete, und bereit war, mich davon zu führen, aber da ich jetzt Besonnenheit genug hatte keine dringende Noth zu diesem Schritt zu sehen, so ging die Flucht nicht weiter, als in die Zimmer meines Oheims, in welche ich gebracht zu werden verlangte. Zirio dankte meinem Retter mit ziemlicher Kälte, und hängte seinem Dank die Frage an: welcher Zufall ihn so schnell und so zu gelegener Zeit herbeygebracht habe? Walter sprach von Geistern, welche für die Geliebten des Himmels wachen, und mein Oheim entließ mich, als sich Walter entfernt hatte, mit mancher ernsten Warnung. Die Begebenheit, welche jüngst meine Pferde scheu machte, und das Feuer, das mich in Walters Arme lieferte, konnte, wie er meynte, beydes von ihm selbst angelegtes Maschienenwerk seyn, ihn mir theuer zu machen; wenigstens war so viel gewiß, daß jener Brautzug nach angerichtetem Unglück wie verschwunden war, und dieses Feuer nichts weiter gethan, als einiges Tapetenwerk verzehrt hatte. Hat der Graf von Vatz Ursachen, deine Gewogenheit zu wünschen, fuhr Zirio fort, warum geht er nicht den geraden Weg? Warum bewirbt er sich nicht bey mir um dich? Es war eine Zeit, wo ich dich ihm nicht versagt haben würde, wo ich gemeynt hätte, durch seine Verbindung mit der künftigen Erbinn von Vatz und Sargans eine Handlung der Gerechtigkeit auszuüben.

Ich weiß nicht, welche Nachrichten oder Beobachtungen meinen Oheim, ihn, der von jedermann gut dachte, so schnell geneigt gemacht hatten, Graf Waltern von der schlimmern Seite zu betrachten; ich glaubte den größten Theil dessen, was er sagte, nur halb, und suchte Entschuldigungen für denjenigen, der, so oft ich ihn sah, einen tiefern Eindruck auf mich machte, und mich immer unfähiger ließ, Arges von ihm zu denken.

Walter von Vatz war unglücklich, war des größten Theils der Rechte seiner Geburt beraubt, schon dieses wär hinlänglich gewesen, mir ihn interessant zu machen; aber er brauchte die wenige Macht, die er besaß, noch dazu, andern Nothleidenden Schutz zu gewähren, und sich dadurch mächtige Feinde auf den Hals zu ziehen; konnte etwas edler und großmüthiger gedacht werden? und war es möglich, daß ein solcher Mann den geringsten Anschein von Verdacht verdiente?

Hedwig, Gräfinn von Rappersweil, mußte vor ihrem Feinde, dem herrschsüchtigen Abte von Sankt Gallen, fliehen. Sie war Wittwe, und der Argwohn war nicht klein, daß ein Gifttrunk aus dem Keller des geistlichen Herrn sie in diesen Stand gesetzt hatte. Gern hätte seine Bosheit auch die verlassene Dame aufgeopfert, die seinen Hoffnungen um desto furchtbarer war, da das Land einen Erben von ihr erwartete, welcher in die Rechte seines Vaters treten konnte. Hedwig mußte fliehen, sie war dem Augenblick ihrer Niederkunft nahe, die Feinde waren dicht hinter ihr, sie konnte ihr Schicksal errathen, wenn sie in ihre Hände fiel. Sie ermannte sich in der namlosen Angst, welche sie von allen Seiten bestürmte, und faßte unter der schützenden Hülle der Nacht den einigen Entschluß, der sie retten konnte. Sie verließ den Wagen, dessen keuchende Rosse dem fernen Zufluchtsort, den sie gewählt hatte, vergebens entgegen eilten, ohne eine andere Begleiterin mit sich zu nehmen, als ihre unmündige Tochter Elisabeth. Sie gebot ihren Leuten, den Weg, so gut sie könnten, fortzusetzen, und dadurch ihre Verfolger irre zu leiten. Sie dachte sich in den dichten Gebüschen zu verstecken, oder irgend ein ruhiges Bauerhaus zu finden, wo sie sich von ihrer Angst erholen und einem unglücklichen vaterlosen Kinde das Leben geben könne, sicher, von den treuherzigen Bewohnern dieser Gebürge, den Feinden der Unterdrücker, ihrem Tyrannen nicht verrathen zu werden.

Die Gegend rund umher war öde, ein einsamer Reuter kam den Abhang herauf und begegnete der beklagenswürdigen Dame, welche, von der schwachen Hand der jungen Elisabeth unterstützt, sich kaum mehr aufrecht erhalten konnte. Es war Graf Walter, der von der Jagd kam, und seine Leute bereits vorausgeschickt. Die Gräfinn von Rappersweil brauchte sich ihm weder als eine Hülfsbedürftige zu melden, noch ihren Namen zu nennen, er war ungefordert zur Hülfe bereit. Sein schallendes Horn versammelte sein ganzes Gefolg um ihn her. Schnell ward ein leichter Jagdwagen herbeygeschafft, und ehe eine Stunde verging, befanden sich die Verfolgten in den friedlichen Mauern eines Schlosses, welches vor des Feindes Ueberfall, wär ein solcher zu befürchten gewesen, hinlänglich gesichert war.

 

Der Graf Venosta war diesen Tag ebenfalls auf die Jagd geritten, es war weit nach Mitternacht, und ich sah ihm beym Spinnrocken mit meinen Dirnen ängstlich harrend entgegen. Allerley Gedanken durchkreutzten sich in meinem Gehirn, an welchen, wie gewöhnlich, Graf Walter auch seinen Antheil hatte. Da öffneten sich schnell die Flügelthüren meines Zimmers, und der, an welchen ich dachte, stand fast außer Athem vor mir.

Fräulein, rief er, ich bitte euch um eine Gnade. Mir ist ein Gast gekommen, und keine Dame ist in meinem Hause, ihn zu bewirthen; vor dem Schloßthor wartet ein Wagen, laßt euch gefallen einzusteigen und mich nach meiner Burg zu begleiten.

Graf! welche Bitte!

Die kühnste, unverzeihlichste, welche sich denken läßt! aber schließt aus der Unvorsichtigkeit, mit welcher ich sie euch vortrage, auf die Eil, mit welcher ich sie erfüllt zu sehen wünsche.

Walter hatte nicht die günstigste Zeit gewählt, irgend eine Gnade, besonders eine von so seltsamer Art von mir zu bitten. Ich hatte in der Einsamkeit an die Warnungen meines Oheims gedacht. Die gescheuchten Pferde und die Feuersbrunst waren mir in den Sinn, gekommen, und der Unmuth, in welchem ich mich diesen Abend befand, hatte mich nicht geneigt gemacht, diese Dinge mit dem mir gewöhnlichen Vorurtheil zu betrachten. Ich sahe mit Graf Venostas Augen, und man kann also leicht schliessen, daß der gegenwärtige Antrag mir als die plumpeste List, mich in meines Liebhabers Gewalt zu bringen, vorkam, die sich denken läßt.

Ihr zürnt? rief Walter, der den Unwillen auf meiner Stirne sah. Gut, ich muß mich um einen Vorsprecher bemühen. – Er eilte mit diesen Worten ins Vorzimmer und kam mit einem kleinen reizenden Mädchen zurück, welches durch die Miene der Angst und des Kummers und durch ihr holdes mit Thränen überschwemmtes Gesicht den Eindruck vermehrte, den ihre plötzliche Erscheinung auf mich machen mußte.

Gutes, liebes Fräulein! rief die Kleine, indem sie meine Knie umfaßte, ich bitte euch, thut alles, was dieser Ritter euch sagt. Wir, meine Mutter und ich, sind in einem Hause, wo man nichts sieht, als bärtige, wilde Männer, und meine Mutter ist so sehr krank, und sie fragte, ob denn keine Dame vorhanden war, die ihr zu rathen wüßte, da sprach unser Retter, dieser Herr, er kenne eine, die er wie seine Schwester liebte, und er wolle sie wohl herbey holen, wenn sie folgen wollte, und da nahm er mich mit sich, euch erbitten zu helfen, und ihr werdet euch erbitten lassen, ich sehe es, weil ihr mich so freundlich anblickt.

Ich küßte die kleine Bittende ohne genau zu wissen, was sie wollte, und sah Waltern mit fragendem Blick an. Er erzählte mir das Abentheuer mit der Gräfinn von Rappersweil auf eine so interessante Art, daß ich nicht zweifelhaft hätte bleiben können, was zu thun war, und wenn auch nicht das Schicksal dieser unglücklichen Dame, von welchem in dieser Gegend alles voll war, schon vorher manch trauriges Nachdenken und mancher Wunsch ihr zu helfen, in mir erregt hätte.

Ich vergaß jede Bedenklichkeit, die ich haben konnte, und warf mich, in Begleitung meiner Amme, einer verständigen Frau, die der Gräfinn wahrscheinlich mehr Trost zu bringen vermochte, als ich, in den wartenden Wagen, dessen Eil ich zu beflügeln wünschte; denn ich war so ganz mit meinen Gedanken bey der Nothleidenden, daß ich kaum ans Walters zärtliche Danksagungen, und auf die Reden meiner Amme achtete, welche mit einigem Murren erwieß, daß wir uns übereilt hatten, daß eigentlich meine Gegenwart hier ganz unnöthig, nur die ihrige erforderlich sey, und daß der Graf Venosta Ursach habe, bey seiner Heimkunft zu zürnen, daß ich in seiner Abwesenheit mit einem Ritter in tiefer Nacht bey Sturm und fallendem Schnee davon gezogen sey.

Wir kamen an. Unser Anblick verbreitete auf dem Gesicht der schwachen Gräfinn, welche hier unter lauter Männern schlecht genug bedient war, neues Leben. Sie umarmte mich, und nannte mich Schwester. Ich ließ sie in den Händen meiner Amme, und ging hinaus, um zu ihrer Verpflegung Anstalten zu machen und Befehle zu geben, als wenn ich hier zu gebieten hätte. Die Angst um sie, machte mich geschäftig, mir kam in meiner seltsamen Lage nichts wunderbar vor, und ich konnte nicht begreifen, warum mich Graf Walters Leute so mit wundernden Augen betrachteten, und warum er selbst immer in so einem Uebermaaß von Entzücken an meiner Seite war, und mich mit Danksagungen überhäufte, welche unmöglich alle auf die Rechnung der Gräfinn von Rappersweil zu schreiben waren.

Hedwig ward in dieser Nacht die Mutter eines Sohnes, und das Entzücken, mit welchem sie ihn an die Brust drückte, war mit dem, was andere Mütter in solchen Augenblicken fühlen mögen, nicht zu vergleichen. Sie umschloß in diesem neugebornen Kinde den Ueberwinder ihrer Feinde, den Retter seines Hauses, nichts war nöthig, als seine Geburt, um den feindseligen Abt von Sankt Gallen zu demüthigen, und ihn in die Gränzen eines Lehnsmannes zurück zu weisen. Auch ermangelte Graf Walter nicht, die Nachricht von der Geburt eines jungen Grafen von Rappersweil in der ganzen Gegend kund zu machen, und Freund und Feind durch seine Herolde einladen zu lassen, sich von dem Daseyn des jungen Herrleins durch eigene Augen zu überzeugen.

Graf Venosta war durch die Nachricht von meiner nächtlichen Verschwindung, deren Grund man ihm nur sehr unvollkommen angeben konnte, zu seltsamen Besorgnissen verleitet worden; er mußte sich selbst von der Wahrheit unterrichten, und der erste Morgenstrahl sah ihn, unter der Begleitung seines ganzen Jagdgefolgs, das, auf den ärgsten Fall schnell zu ernstlicher Fehde bewaffnet worden war, auf Walters Schlosse einreiten. Der Graf von Vatz war in Geschäften, welche das Abentheuer vergangener Nacht nothwendig machte, ausgeritten, und mich traf mein Oheim an dem Bette der erlauchten Kindbetterinn, deren inniger Dank für die Hülfe, die sie durch meine Vermittelung erlangt haben wollte, jede Furche von seiner Stirne hinweghauchte, und die Strafrede, welche mir zugedacht war, kaum zum kleinen Verweis wegen einiger Uebereilung werden ließ.

Graf Walter kam zurück; er, nebst mir, dem Grafen Venosta, und der Schwester des Neugebornen, waren Taufzeugen des Kindes, und gaben ihm den Namen seiner Väter Rudolf. Wohlstands9 wegen wurde darauf angetragen, die Kindbetterinn, welche sich nicht von mir trennen wollte, nach dem Schlosse meines Oheims bringen zu lassen, aber sie war zu einer solchen Reise zu schwach, und ich mußte mir gefallen lassen, noch einige Zeit lang, auf Graf Walters Schlosse die Stelle der Hausfrau zu vertreten.

In dieser Epoche geschah das, worauf die ganze Sache von Graf Waltern angelegt war. Ohne Zweifel hätte er zu Bewirthung seines schönen Gasts andere Anstalten treffen können, aber nutzte schnell die dargebotne Gelegenheit, mich in eine Verbindung zu ziehen, welche mich ihm näher brachte, er suchte mir einen stillschweigenden Beweis vorzüglicher Achtung zu geben, und sich zugleich ein Recht auf die meinige zu erwerben, indem er mich zur täglichen Zeuginn der edeln Behandlung machte, welche eine Person bey ihm fand, die ihm ganz fremd war, welche sich ihm durch nichts empfahl als Hülflosigkeit, und ihm zur Belohnung für seine Milde nichts gewähren könnte, als Verstrickung in ihre eignen verdrüßlichen Händel.