Der Bund des armen Konrads

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Daß ich meine Eltern nie kannte, hub er einst in einer vertraulichen Stunde gegen den fragenden Alten an, dies konnte ich sehr leicht dem Schicksal verzeihen, da es mir in Georg Frondsbergen einen bessern Führer zu Glück und Tugend gab, als jene mir vielleicht gewesen seyn würden. Sehr übereilt hatten sie mich im ersten Beginnen des Lebens der klösterlichen Zucht jenes Abts anvertraut, von welchen sie ihre wenigen Besitzungen zu Lohn hatten, und welcher seinen Vortheil darin finden mußte, mich der Welt zu entziehen. Mir den Stand, zu welchem er mich bestimmte, angenehm zu machen, hätte er nichts würksameres erdenken können, als daß er mich der Zucht eines Mannes untergab, der sich nicht zum Schein, der sich wahrhaftig glücklich in seiner Sphäre fand, eines Mannes, der alles an sich hatte, was ihn und das Ordenskleid, das er trug einem jungen Menschen wie ich liebenswürdig machen müßte. Mein Herz war gut, meine Neigungen unverdorben, nicht durch strafbare Nachgiebigkeit brauchte man sich bei mir einzuschmeicheln; daß mein Führer würklich streng gegen mich war, fühlte ich nicht, meine Seele neigte sich von selbst zu dem, was gut ist, und der Kummer, welcher keinen unwillkürlichen Abweichungen von meiner Pflicht auf dem Fuße folgte, züchtigte mich weit schärfer als mein Lehrer es gekonnt hätte. Mich vor Wiederholungen derselben zu schützen, brauchte er nichts weiter, als ernste Hinweisung von seiner Seite auf mein eigenes Urtheil über mich selbst, ich schonte mich in derselben zu wenig, um in Gefahr zu kommen, meinen Unwillen, meine innige Selbstverachtung über einen Fehltritt von neuem wider mich zu reizen.

So war ich war, schilderte mir mein Lehrer die ganze Menschheit; er wußte es nicht besser, er hatte nie das Kloster verlassen, und war doch auch ich zu dem nemlichen Schicksal bestimmt! Vielleicht hätte ich in dem günstigen Wahne von der Menschheit glücklich bleiben können wie er es war, wenn nicht ein feurigerer Geist als der seinige, und Thatenbegierde mich hinaus in die Welt gelockt, und meine süßen Träume zerstört hätten. Mein Lehrer, er mochte über meine Bestimmung Aufträge von seinem Abte erhalten haben, welche er wollte, rieth mir selbst, mich nicht an das Kloster zu binden, hätte er anders gerathen, ihm, der mir alles war, würde ich auch hierin gefolgt haben.

Was indessen sein Rath und mein Wille gefruchtet haben würden, mich aus der Dunkelheit des Klosters zu reißen, weiß ich nicht. Der Abt hatte, wenn er mich halten wollte, Macht und List auf seiner Seite; aber die Vorsehung sandte mir in der Person Georgs von Frondsberg, meines zweiten Vormundes, einen Retter. Er nahm mich aus den düstern Mauern und führte mich in die Welt, die ich denn freilich bei dem ersten Schritte etwas anders fand, als ich sie mir gedacht hatte.

An der Seite des Ritters von Frondsberg, blos im Umgange mit ihm, hätte ich keine solchen Entdeckungen machen können, er war edel und tugenhaft, wie mir mein Klosterlehrer den größern Theil der Menschen überhaupt geschildert hatte, aber außer ihm fand ich auch nicht einen, der meinem schönen Ideal gleich gesehen hätte. Die besten Seelen traf ich immer noch unter Personen des niedern Standes, und aus dieser Erfahrung entsprang die Vorliebe, die ich ewig für diese guten niedergedrückten Wesen haben werde, entsprang der Haß, mit dem ich geschworen habe, ewig ihre Tyrannen zu verfolgen. o mein guter, nun schon in die Reihe des Lichts übergegangene Mönch, hatte mir soviel von dem Rechte des Christenthums gesagt, hatte mir ein so schönes Bild von dergleichen Bruderliebe ihrer ersten Bekenner entworfen, hatte mir in unserm Kloster so viel Beispiele derselben gezeigt, und wo fand ich diese in der Welt? Große, die sich besser dünkten als die Kleinen, Reiche, die von den Bissen des Armen zehrten, Starke, die den Schwachen unter den Fuß traten, sah ich überall; das hatte ich nicht in meinem Kloster erfahren. Unser Abt, allerdings unser Oberherr, war nicht unser Tyrann, war unser Vater, und hatte er eine Seite, die diesem Bild nicht ganz entsprach, so war mir dieselbe noch nicht vor die Augen gerückt worden; mein gutmüthiger Lehrer mochte sie kennen oder nicht, durch seinen Mund hätte sie mir können offenbar werden. Selbst des Abts kleine Weigerung, als mich Frondsberg dem Kloster entriß, stellte mir ihn in keinem gehässiger Lichte dar; sie war meines Erachtens nur Wunsch, mich auf die nemliche Art zu beglücken, wie er glücklich war, und, o was hätte ich darum geben wollen, meine Wünsche, meine Neigungen den seinigen ähnlich zu machen.

Dies war unmöglich, mich trieb der Wille meines zweiten Vormunds, mich trieb der heimliche Rath meines Lehrers, mich trieb mein eigenes Verlangen unter die Menschen der Welt, unter welchen ich mich nun mit einemmale befand, ohne genau zu wissen, was ich unter ihnen machen sollte. Theil an ihrem Glücke nehmen, sagte ich zu mir selbst, und wo sie es nicht sind, sie glücklich zu machen, ist mein Beruf; aber mein neuer Vater, der Ritter von Frondsberg, der sich auf solche unbestimmte Begriffe in der Wahl meines künftigen Würkungskreises nicht einließ, sagte schlechthin: ich sey ein Ritterssohn, und müsse die Waffen tragen.

Meine Kräfte waren seiner Forderung angemessen, meine Seele ohne Furcht, und mein Wille gut. Ich machte keine Einwendung gegen die Laufbahn, die er mir vorzeichnete, nur in der Ausführung fanden sich Schwierigkeiten.

Frondsberg hatte einen Jugendfreund, den Herrn von Truchseß, in dessen Waffendienste er mich bringen wollte. Truchseß war ein Held wie er, beide hatten in frühen Jugendjahren durch Flucht aus der Gewalt schläfriger Aufseher zeitig Gelegenheit zu Thaten gesucht, mir mutheten sie ähnliche Thatenbegierde zu, aber wenn ich sie auch fühlte, so war ich bei derselben doch zu bedenklich, um ihren Beifall zu haben. Ich wollte kein Schwerd ziehen, ohne den Nutzen zu sehen, warum ich mein Blut oder das Blut anderer verspritzen sollte. Menschenglück war bei mir immer die erste Frage, und wo ich nichts von Beförderung desselben als Ziel aufgestellt sahe, da wollte ich auch nicht thätig seyn.

Herr Georg Truchseß war zwar eben kein despotischer, aber doch ein ernster Gebieter, der Gehorsam forderte, wo ihm das zukam. Ihm mißfiel mein Vernünfteln und mir seine Machtsprüche, die er nicht allein auf meine Handlungen, sondern auch auf meinen Glauben erstreckte. Das Licht der Wahrheit, das jezt, Dank sey es dem Wittenberger Mönch überall hervorbricht, hat schon in mancher Klosterzelle gedämmert, mein geliebter Klosterlehrer hatte mir über viele Dinge die Augen geöffnet, und ich glaubte nicht überall wie die Kirche glaubte; mein strenger stark gläubiger Gebieter durfte dieses nur merken, so war mein Urtheil gesprochen. Meine Wünsche trafen mit denselben überein, und Frondsberg nahm mich aus seinem Dienste, um mich in eine andere Ritterschule zu tun.

Götz von Berlichingen, gleichfalls ein Jugendfreund meines Frondsberg, hatte unter seinen Leuten schon manchen tapfern Mann gezogen, auch war in seinen Fehden immer so ziemlich das Recht auf seiner Seite, aber dieses ziemliche Recht war meinem zarten Gefühl nicht hinlänglich, und Georg von Frondsberg, der mich liebte und viel Wahrheit in demjenigen fand, was ich ihm hierüber sagte, entnahm mich auch Berlichingens Führung, um ins künftige allein der Meister meiner Thätigkeit zu seyn.

Mein Arm war geübt, ich hatte bei mehrern Gelegenheiten gezeigt, daß ich zu siegen wüßte, nur an angemessener Bestimmung fehlte es meiner Tapferkeit, und Frondsberg glaubte dieselbe in einer Kriegsexpedition für mich zu finden, die ihm der Kaiser übertragen hatte, und die ihn nach Italien rief. Es fehlte mir nicht an Muth und nicht an Willen, mich empor zu schwingen, und meinem Freunde nicht an Macht, mich zu heben. Mein Name würde vielleicht jezt bei jeder Gelegenheit ehrenvoll genannt werden, wo das Gerücht den seinigen nennt, wenn – es mir möglich gewesen wäre, mich mit ihm über die Rechtmäßigkeit des Heerzugs, zu dem wir uns rüsteten, einzuverstehen. Frondsberg meynte, das sey des Kaisers Sache, ich aber begriff nicht, wie es des Kaisers oder irgend eines Menschens Sache seyn könnte, verjährte Rechte zu kränken, die Kleinen zu unterdrücken, oder Länder zu erobern, an die man keinen Anspruch hat, und auf eins von diesen dreien kamen, meines Ersinnens, allemal diese und jede andere Fehde an, wegen welcher man zu diesen Zeiten das Schwert zog.

Ich hatte den edeln Frondsberg noch nie unwillig auf mich, seinen Liebling, gesehen, jezt ward er es. Er beschuldigte mich mönchischer Sophismen72, beschuldigte mich eines Hangs zur Trägheit, der mich jede Gelegenheit zu rühmlicher Beschäftigung hinweg disputiren ließ, und da nichts mein allemal gefälltes Urtheil von diesen Dingen erschüttern konnte, so war die Trennung unvermeidlich. Ich war mündig, mein bisheriger Führer konnte und durfte mich mir selbst überlassen. Wir schieden doch nicht im Zorne; mein Bitten, meine Vorstellungen73 hatten ihn ausgesöhnt, und ich, wie hätte ich, mein väterlicher Freund mochte mir auch sagen was er wollte, etwas anderes für ihn fühlen können, als Dankbarkeit und Bedauern, das er die Sachen aus einem falschen Gesichtspunkt ansahe.

Die Fehden der Fürsten waren von nun an auf ewig von mir verschworen, ich fand zuviel Unrecht, zuviel blutige Grausamkeit in ihnen. Ich hätte allenfalls wohl selbst ein Fürst seyn mögen; nicht um blutig zu kriegen, nein, um in stillen Frieden meine Völker zu beglücken. Da ich dies aber nun nicht war, so mußte ich einen anderen Weg der Thätigkeit einlenken. Wie hätte ich sonst den Vorwurf meines väterlichen Freundes von mir abwälzen wollen; aus Trägheit wisse ich die Rechtmäßigkeit einer jeden ritterlichen Beschäftigung hinweg zu vernünfteln.

Ich war in verschiedenen Wissenschaften nicht unerfahren; ich kannte vornemlich die Rechte. Die latainischen Doktoren, welche jezt mit ihrem römischen Rechte die alte deutsche Gerechtigkeit zu verdrängen wissen, konnten vor mir nicht aufkommen. Wer mir seine Sache vertraute, kam nicht übel an, ich wußte sie zu vertheidigen, in welcher Sprache es nötig war; dieses erwarb mir von einer Seite des Ruhms und Danks gar viel, des Lohns wenig (ich pflegte am liebsten denen zu dienen, welche nicht lohnen konnten), aber das, was mir meine Thätigkeit von der andern Seite am reichlichsten eintrug, war Haß und Verfolgung der von mir Ueberwundenen, und ich kann nicht umhin, eine Begebenheit ganz auf diese Rechnung zu schreiben, welche ich, da sie in meinem Leben Epoche machte, hier umständlicher erzählen muß.

 

Florian hielt an dieser Stelle ein wenig ein, gleich als wollte er sich zu einer Erzählung, bei welcher er sich einiger Behutsamkeit bedienen mußte, hinlänglich sammeln, und wir ergreifen diese Gelegenheit, ihm das Wort aus dem Mund zu nehmen, und das, was er theils zu räthselhaft vortrug, um ganz verstanden zu werden, theils selbst nicht verstand, dem Leser faßlicher zu machen.

Als dieser junge Mann dem Ritterschwerde entsagte, um die Feder des Rechtsgelehrten zu ergreifen, versäumte er nichts, was zu seinen Zeiten nöthig war, sich die Erlaubniß, das Recht vor Richterstühlen zu vertheidigen, zu verschaffen. Er ward berühmt durch seine Sprachkenntnisse und durch seine Disputierkunst; verschiedene glücklich geführte Sachen vermehrten seinen Ruf, man kam von weiten her, seine Rechtshülfe zu suchen, aber er besaß den Eigensinn, nicht alles anzunehmen, was ihm geboten ward. Eine strenge Untersuchung der Gerechtigkeit der Sache, die er übernehmen sollte, gieng vorher, und oft ward sie dennoch zurückgewiesen, wenn der gerechtklagende Theil wider den Geringeren klagte; Florian hatte genug von dem Leben der damaligen Großen gesehen und gehört, um ihr geschworner Feind zu sein, und oft wider seine bessere Überzeugung ein Vorurtheil selbst gegen eine gerechte Sache, sobald sie die ihrige war, nicht überwinden zu können. Die Armen waren seine erklärten Clienten, er diente ihnen ohne Belohnung, diente ihnen oft mit seinem Schaden, und vielleicht nicht blos das einzige mal, dessen wir hier gedenken wollen, auch mit Gefahr seines Lebens.

Fast ein ganzes Jahr hatte er den sehr bedenklichen Prozeß eines armen Handwerkers gegen einen Bischof geführt, dessen Namen die Sage vergessen hat. Die Sache des Armen war schon von mehrern als ganz verloren aufgegeben worden, als er sie übernommen hatte, und all seine Geschicklichkeit hatte binnen den Lauf von eilf Monaten die Sache nicht weiter bringen können, als das ihr Ausschlag noch auf einer Reise nach Rom beruhte. Vielleicht hatte die partheiische Gerechtigkeit, welche dem Bischof so wenig unrecht geben, als Florians mächtiger Beredsamkeit den Sieg streitig machen konnte, das letzte Urtheil nur darum vor den Stuhl des Pabsts gespielt, weil sie die Unmöglichkeit der römischen Reise auf Kosten des armen Mannes für erwiesen ansahn.

Florian reiste auf eigene Kosten, er kämpfte zu Rom für seinen Clienten so glücklich als er in Deutschland gekämpft hatte; des Bischofs Vertheidiger waren zum Stillschweigen gebracht, und der morgende Tag sollte den damals so seltenen Sieg des Geringen über den Großen, des Layen über den geweihten Priester, durch ein entscheidendes Urtheil erklären.

Florian hatte alle diese Zeit über seinen Geschäften so ganz gelebt, daß er sich kaum die kleinste Erholung gönnen mochte, nur am Abende vor dem großen Siegestage gab er den Bitten eines seiner römischen Bekannten nach, der Feier eines glänzendes Fests, an welchem ganz Rom Theil nahm, und welches dem Fremdlinge tausend neue Gegenstände darbieten mußte, beizuwohnen; Fremdling war Florian in der That nach immer in Rom, ungeachtet er schon hier zwei Monate zugebracht hatte, wie hätte er den Ort, wo er lebte, daheim unter seinen Papieren oder aus den Gerichtssälen, die einigen74 Orte, welche er besuchte, kennenlernen sollen!

Verblendet, entzückt, berauscht – (man nehme dieses Wort nicht im eigentlichen Sinne) verließ Florian um Mitternacht den reizenden Ort, an den ihn die Hand der Freundschaft geführt hatte, sein Vergnügen war das reinste gewesen, was sich denken läßt. Was tausende hier nicht gefunden hatten, genoß er im vollen Maas; seine Sinne waren noch nicht abgestumpft. Was andere in seinen Jahren längst überdrüßig geworden waren, hatte für ihn noch den vollen entzückenden Reiz der Neuheit, und welchen Hochgeschmack erhielten seine Freuden nicht durch den Gedanken, sie durch Arbeit verdient zu haben! Er belohnte sich durch diesen entzückenden Abend für so manchen in verdrüßlichen Arbeiten verbrachten Tag, und der Gedanke an Morgen, da ihm der volle Lohn für diese Arbeiten werden, da ein günstiges Urtheil ihn zum Retter einer ganzen unglücklichen Familie machen sollte, o dieser entzückende Gedanke enthielt alles, was sich nur zu der Seligkeit eines Mannes, wie Florian, denken läßt.

Die Freuden der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nahmen das Herz des glücklichen jungen Mannes so ein, daß er darüber den Weg vergaß, den er unter den Füßen hatte. Sein Freund hatte sich von ihm verloren, er achtete es nicht, er glaubte ihn noch mit den Vergnügen des Tanzes beschäftigt, und dachte, da er, um früh wach zu seyn, nicht länger verweilen wollte, schon ohne ihn die Thore von Rom wieder finden zu können; doch gleich im Anfang des Weges, den er vor sich hatte, waren Fallstricke ausgebreitet, die er nicht vermeiden konnte.

Die Gegend war einsam; niemand hatte den Ort der Freude so zeitig als er verlassen. Der schnelle Uebergang aus dem künstlichen Tage von tausend Kerzen in die dickste Nacht, die ein voll Gewitterwolken hangender Himmel über die unbekannte Gegend verbreiten konnte, würde den Wanderer in einige Verlegenheit gesetzt haben, wenn er weniger mit sich selbst beschäftigt gewesen wäre, so sehr er indessen dieses seyn mochte, so schien ihm doch nach einer Viertelstunde, die er in der Dunkelheit getappt hatte, der Anblick einer Fackel doch erwünscht genug, sich ihr zu nähern. Er glaubte, der Träger der wohlthätigen Flamme sey einer von den Leuten, welche in dieser Gegend Profeßion75 davon machten, denen, welche sie dafür bezahlen, nach Hause zu leuchten, und auf seinen Ruf zeigte es sich, daß er nicht geirrt habe.

Der Fackelträger blieb nicht lang Florians einziger Begleiter, bald gesellten sich zu ihm noch mehrere seiner Brüder, sie erklärten sich, verbunden, den Fremden, der ihren Zunftgenossen, wie er rühmte, so großmüthig bezahlt habe, unentgeltlich zu begleiten, und die fröhlichen Lieder, die sie anstimmten, um, wie sie sagten, dem Herrn den Weg zu kürzen, schienen das Vergnügen des schönsten Tages in Florians Leben vollkommen machen zu sollen. Man kann sich nichts angenehmeres denken, als den Gesang dieser Leute, weit weniger wäre hinlänglich gewesen, einen Menschen, wie Florian, in himmlische Welten zu entzücken.

O daß dieses Entzücken so endigen sollte! Man hatte ein kleines Wäldchen erreicht, dessen Wohlgerüche Florians süßen Taumel vermehrten. – Auf einmal erloschen die Fackeln seiner Begleiter, ihre Lieder verstummten, und ein widriges Gemurmel, was sie unter sich begannen, ward schnell durch das Geklirr gezogener Degen unverständlich gemacht. Florian sah oder fühlte vielmehr auf einmal ihre Spießen gegen seine Brust gekehrt, und das Gebrüll aus fünf jezt sehr unmelodischen Kehlen: Ergebung oder Tod! ließ ihn nicht zweifelhaft, in was für Händen er sich befinde.

Florian zog seine Börse, sich von diesen Räubern, wofür er sie hielt, mit Gelde zu lösen. Man lachte seiner Erbietungen, stieß ihn zu Boden, fesselte ihn und warf ihn mit geknebelten Munde auf einen Wagen, welcher im Gebüsch hielt, und der ihn noch vor Anbruch des Tages an einen Ort brachte, welchen er in den nächsten drei Monaten nicht wieder verlassen sollte.

Florian war gefangen, er wußte nicht weswegen, gefangen, er wußte nicht von wem. Auch hat er den Ort seiner Einkerkerung nie bezeichnen können, denn bei Nacht kam er an und mit verbundenen Augen war es, daß man ihn am Ende zuvor benannter Zeit herausführte um – sein Leben mit dem Schwerde zu endigen.

Daß er hier auf den Tod gefangen saß, hatte er sehr bald aus der Art seiner Fesseln, aus der Beschaffenheit seines Gefängnisses, und aus einigen Worten seiner sonst auf alle Fragen stummen Kerkermeister schließen können. Aber Gelegenheit, seine Unschuld zu vertheidigen, wenigstens ein Verhör, wenigstens eine Bekanntmachung seines Verbrechens, hätte er doch erwartet.

Sie erfolgte nicht, seine Todesstunde schlug, da er es am wenigstens meynte. Man riß ihn einst um Mitternacht von seinem elenden Lager und führte ihn auf die vorgemeldete Art in eine öde Gegend an den Tiber, wo das Schwerd seiner wartete. Seine Begleiter, so viel er sich erinnern konnte, eben jene fünf Fackelträger, welche ihn dem Untergang zuerst entgegen geführt hatten, übergaben ihn einem sechsten, welcher das Amt des Nachrichters verwalten sollte, und den er mit Entsetzen für jenen Freund erkannte, der ihn am letzten Tag seiner Freiheit der Einsamkeit entriß, um ihn im Taumelder Freude desto sicherer fangen zu können, und der, wie er sich jezt wohl erinnerte, schon mehrmals Versuche gemacht hatte, ihn aus Rom zu locken, ohne ihn, beschäftigt, wie er damals war, bewegen zu können, der Arbeit einige Stunden zu stehlen, und sie dem Vergnügen zu schenken. – O des verrätherischen Vergnügens, das ihn nur gar zu zeitig dem Tode entgegen führen sollte!

Als das Entsetzen dem unglücklichen Florian Kraft zu Worten gönnte, nützte er sie, nicht Vorwürfe über seinen treulosen Freund auszuströmen; was hätte ihn dieses genutzt; er stellte sich ihn nicht zu kennen, und bat nur um Darlegung des Verbrechens, das ihm das Leben kostet. Man schwieg und nur Einer murmelte: dies sey der Lohn unnöthiger Einmischung in fremde Händel, worauf sogleich der Befehl erfolgte: niederzuknien und den Todesstreich zu erwarten.

Hier in dem Augenblicke, welcher keinen längern Aufschub der Hülfe zuließ, wenn Hülfe ihm werden sollte, hier war es, daß der Himmel ihm dieselbe würklich sandte. Florian hatte sich nie besinnen können, ob er dem Befehl seiner Henker schon würklich gehorcht hatte, oder ob er noch im Begriffe war, Einwendungen gegen denselben zu machen, als seine Retter erschienen. Zwei junge Leute kamen mit ihren beiden Dienern von einer nächtlichen Lustbarkeit. Der Schein einiger Fackeln lockte sie von ihrem Wege ab, nach dem öden Winkel am Strome, welchen sie trotz der ungewöhnlichen Beleuchtung nicht besucht haben würden, wenn sie nicht Fremde gewesen wären. Es war eine Stelle, wo die letzten Diener der römischen Gerechtigkeit ihr Wesen in Geschäften zu haben pflegten, bei denen niemand sie störte. Jezt war ihr Geschäft einen Unschuldigen zu erwürgen, und je weniger sie sich Störung in demselben vermuthet haben mochten, je leichter waren sie besiegt, oder vielmehr in die Flucht getrieben. Das Blinken von vier gezogenen Degen, machte Florian frei, ohne daß Blut zu fließen brauchte, und er sah sich in den Armen seiner Retter, ohne zu wissen, wie er so schnell aus der Gesellschaft von Teufeln, in die Gesellschaft derjenigen kam, die er tausendmal seine Schutzengel nannte.

Es waren die jungen Grafen von Löwenstein, denen er sein Leben dankte. Sie erwiederten seine Umarmungen mit der Zärtlichkeit, die man allemal für denjenigen fühlt, dem man einen Dienst von ausgezeichneter Wichtigkeit geleistet hat, und führten ihn in ihre Wohnung, wo er alle die Pflege fand, welche ihm nach dem, was er durch Fesseln, Mangel und Todesfurcht gelitten hatte, nöthig war.

Florian nannte seinen Rettern seinen Namen, und sie gestanden ihm, daß ihnen derselbe aus seinem rühmlich geführten Prozeß schon auf eine Art bekannt sey, welche sie längst seine genauere Kenntniß wünschen gemacht habe. Auf Erwähnung seiner Rechtssache fuhr Florian hastig zu einigen Fragen auf, die sich errathen lassen, er erfuhr, daß auf sein Nichterscheinen am Tage des entscheidenden Urtheils, auf sein Nichterscheinen an allen hiernächst anberaumten Terminen, der Prozeß niedergeschlagen worden, oder um eigentlicher zu reden, die Sache seines unglücklichen Clienten verloren gegeben worden sey. Der ganze Handel war, wie ihn Florian sehr weislich eingeleitet hatte, zu öffentlich geführt worden, als das man dieses geradezu hätte erklären sollen, aber Verständige wußten, was sie davon denken sollten, und das Verschwinden des klugen allgemein bewunderten Sachwalters wurde von manchen sehr richtig gedeutet, man hatte den Führer der gerechten Sache im Augenblick des Siegs entfernt, um sein Nichterscheinen beym entscheidenden Termin zur Ursache machen können, daß sie gänzlich auf die Seite gelegt wurde.

 

Die Grafen von Löwenstein sahen dieses nach Florians Rettung besser ein, als irgend ein anderer, und sie bauten auf ihre Ueberzeugung, die sie hiervon hatten, den festen Entschluß, ihr neuer Freund dürfe nicht, so wie er wollte, wieder in seine alte Wohnung zurückkehren, dürfte nicht, so wie er wollte, die Sache seines unglücklichen Clienten von neuem aufnehmen. Er müßte Rom sobald als möglich verlassen, und da sie, die entschlossen waren, ihn so wenig als möglich aus den Augen zu lassen, sich genöthigt sahen, noch einige Zeit hier zu verweilen, so sollte er nie anders als in verstellter Kleidung und an ihrer Seite ausgehen, Maasregeln, welche so sehr zu seinem Besten berechnet waren, daß ihm treuere Befolgung derselben zu wünschen gewesen wär.

Die edelmüthigen Freunde Florians hatten sehr bald Spuren, daß er die Einschränkung, welche ihm ihre Besorgniß um sein Schicksal vorschrieb, zuweilen des Nachts überschritte, auch gab ihnen sein tiefdenkendes Wesen die Gewisheit, daß bei seiner Abwesenheit außerordentliche Dinge mit ihm vorgegangen seyn mußten. Florian war frei, seine Freunde konnten seinen Schritten nicht weiter Zwang anlegen, als er denselben zu seiner eigenen Sicherheit genehmigte, und das vernunftmäßige ihrer Warnungen einsah.

Er leugnete ihnen auf Befragen nicht, inwiefern er dieselbe aus den Augen gesetzt76 hatte, doch durchschaute er selbst das Ganze der Begebenheiten, die ihn aus seiner Sicherheit gelockt hatten, zu wenig, um seinen Freunden einen richtigen Begriff davon zu machen. Das Wahrscheinlichste von diesen Dingen ist dieses:

Diejenigen, welche ihn den mächtigen Kampf für die Sache der Wahrheit mit dem Schwerde hatten lohnen wollen, waren durch das Mislingen ihres Anschlages nicht abgeschreckt worden, einen zweiten zu wagen. Eine scheinbare Botschaft lockte Florian eines Abends, als er allein zu Hause geblieben war, aus seiner Sicherheit, und ohne Zweifel wäre es um sein Leben gethan gewesen, wenn nicht die Beantwortung einiger an ihn gethaner Fragen Nachdenken erregt, und die Personen, in deren Händen sich der Betrogene befand, bewogen hätten, zu Erreichung mehrerer Vortheile, einen anderen Weg einzuschlagen.

Man erfuhr aus Florians Munde, die Freunde, unter deren Schutz er sich befand, wären ein paar junge Männer von Wichtigkeit, Söhne und Anverwandte regierender Fürsten, in deren Stelle sie dereinst ungezweifelt eintreten müßten, Leute von Muth und Einfluß, welche vielleicht dem unversehenen Verschwinden ihres Freundes so lang nachspüren würden, bis sie Entdeckungen gemacht hätten, die man, wegen ihrer mächtigen römischen Freunde, ihnen ungern gegönnt hätte. – Dieses verschafte Florian vors erste sicher Geleit, man entließ ihn, legte ihm Stillschweigen auf, und fügte zum Anhang noch das Versprechen bei, wenn er sich bei der nächsten Aufforderung, vor seinen unbekannten Freunden zu erscheinen, so willig finden ließ als diesmal, so könnten ihm vielleicht Vortheile daraus erwachsen, die er nicht erwartete, und die er auf der Stelle selbst benenne möchte.

Ich kenne keinen Vortheil, erwiederte Florian mit Seufzen, als den, meine Reise in diese Stadt nicht umsonst gemacht, so die Mühe vieler Monate nicht vergeblich aufgewendet zu haben; doch diese Dinge sind unwiederbringlich, es lohnt nicht der Mühe sie zu erwähnen!

Nichts ist unwiederbringlich diesseits des Grabes, antwortete einer der Versammelten. Nennt Euer Begehren und wir wollen sehen, was für Euch zu thun ist.

Als man stärker in Florian drang, gedachte dieser seines verlohrnen Prozeßesses, und der Unmöglichkeit, hierinn etwas wieder gut zu machen.

Untersuchet doch diese Dinge, sagte hierauf der Oberste der Gesellschaft zu einigen der anderen, und ihr, fuhr er fort, indem er sich wieder zu Florian wandte, versäumt nicht, sobald ihr gefordert werdet, wieder hier zu erscheinen; vielleicht, daß man Euch erfreuliche Dinge melden kann.

Ich kann nicht leugnen, fuhr Florian, als er in seiner Erzählung bis auf diese Stelle gekommen war, gegen den alten Schappler fort, ich kann nicht leugnen, daß ich bei dieser ersten Vorlockung aus dem Orte meiner Sicherheit, anfangs Gedanken in meiner Seele entstehen fühlte, welche mich für mein Leben und meine Freiheit zittern machten. Der erste Anblick derer, vor welche ich geführt worden war, bestätigte meine Furcht, und ich glaubte Ursache zu haben, meine Leichtgläubigkeit zu verfluchen; doch kaum hatte ich, vielleicht etwas unvorsichtig, die Namen meiner Freunde der Grafen von Löwenstein genannt, so veränderte sich jeder Blick, der mich zuvor erschreckt hatte, ich bekam Muth, meine Wünsche so offenherzig zu äußern, als ich gesagt habe, und das Versprechen, das man mir that, man wolle das, was mich jezt vornemlich beunruhigte, untersuchen, und ich könne vielleicht hierüber noch erfreuliche Dinge vernehmen, gab mir auf einmal eine andere Meynung von den Leuten, vor welchen ich stand.

Daß sie mächtig waren, konnte ich aus allem schließen, aber ihr mildes Betragen gegen mich, ihre Versprechungen, ihre freundliche Einladungen, wieder zu kommen und günstige Nachrichten zu vernehmen, bewog mich, sie auch für wohlwollend zu halten.

Ob ich auf ihren nächsten Ruf, den ich abermals des Nachts und in Abwesenheit meiner Freunde erhielt, ob ich auf denselben erschien, das werdet ihr mich wohl nicht fragen, mit der nemlichen Vorsicht wie das erstemal wurde ich in die Gesellschaft der Unbekannten geführt, und erhielt eine weit freundlichere Aufnahme als zuvor.

Man sagte mir, man habe meinen zuletzt geäußerten Wunsch in Ueberlegung gezogen, und die Sache, welche mich bekümmerte, sey in der That insofern ganz verloren, als ich die Führung derselben nicht von neuen übernehmen könne. Daß ich jenesmal wegen meiner tapfern Vertheidigung der Wahrheit in Lebensgefahr gekommen sey, so gewiß, als ich mich nicht wieder von neuen zeigen dürfe, ohne alles zu wagen. Glücklichere Versuche hierin wären auf künftige Zeiten verspart, es komme indessen nur auf mich an, ob ich in Erwartung desselben, meinem in der That sehr unglücklichen Clienten, Milderung seines Schicksals und eine seinem Verlust weit übersteigende Vergütung verschaffen wolle. Das, was man von mir gegen diese Willfahrung, deren ich so gewiß seyn könne als meines Lebens, verlange, sey, (man wollte der Frage, die man auf meinen Lippen sahe, zuvor kommen) vollkommen verträglich mit Ehre und Tugend, und meinem eigenen Besten so wenig nachtheilig, daß ich vielmehr in der Zukunft für mich nie gehofte Vortheile davon erwarten könne.

Ich stockte, als man mir sagte, ich solle antworten, ich bat um nähere Bestimmung, und nach einigen Hin- und Herreden erfuhr ich folgendes:

Ich solle mich vorläufig nur erklären, ob ich mit Hintenansetzung aller andern Geschäfte, in die Dienste der Gesellschaft treten wolle, man kenne mich als einen geschickten und thätigen Mann, und besonders durch die zuletzt geführte Sache habe ich gezeigt, daß ich auch mit Gefahr meines Lebens durchzusetzen wisse, was ich mir vorgenommen habe, eben dieses habe man in ihrem Dienste zu beobachten, und ich würde ihm gar ein lieber und reichbelohnter Diener seyn.

Mein Freund, – was soll ich weiter sagen? – der Zweifel, in dem man mich wegen der Sache, die mir am Herzen lag, zu erhalten wußte, machte, daß ich endlich alles, daß ich vielleicht mehr versprach, als ich gesollt hätte, aber Gottlob, daß mich es noch nicht hat gereuen dürfen!