Vier Pilger - ein Ziel

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Ein letzter Blick zurück

Oft schon bin ich von Einsiedeln über St. Meinrad nach Pfäffikon und dann über den Seedamm heim nach Jona gepilgert. Heute laufen wir dieselbe Strecke ein Stück weit und dann zweigen wir rechts ab Richtung Siebnen. Immer wieder schweifen die Augen über den See dem Vertrauten zu: Jona, Rapperswil, Bußkirch, das Kloster Wurmsbach und s’Klösterli, der Stau auf dem Damm und … Aber wir gehen vorbei. Diese zweite Etappe führt mich ganz nah an meinem Zuhause vorbei, und ich muss es einfach lassen. Ich muss das mir Bekannte und Gewohnte lassen. Jetzt geht es neuen Horizonten zu – Jerusalem zu! (er)

Der Weg und das Ziel

Schritt um Schritt marschierten wir auf dem Damm des Rheins. Schritt um Schritt stieg es an durch die Weinberge der Bündner Herrschaft. Schritt um Schritt durchquerten wir die Schlucht ins Prättigau hinein. Schritt um Schritt ging es der Landquart entlang. Schon des Öfteren habe ich in dieser Gegend Schritt an Schritt gesetzt, bin gewandert und hier gegangen. Doch Schritte in derselben Landschaft haben nun eine andere Bedeutung. Es sind nicht Ferienschritte, nicht Wanderschritte am Sonntagnachmittag. Es sind nun Pilgerschritte, ausgerichtet nach Osten, nach Jerusalem. Das Ziel strahlt über Hunderte von Kilometern hierher und verwandelt den Weg, jeden einzelnen Schritt. (chr)

Gehen für den Frieden

Immer noch gehen mir die Nachrichten und Bilder durch den Kopf, die ich im Internet zum Unabhängigkeitstag von Israel gelesen und gesehen habe. Feiern auf der einen Seite, Demonstrationen auf der anderen. Hier Tote, da Leben. Was für die Israelis Freiheit bedeutet, bedeutet für die Palästinenser Katastrophe. Wir gehen für den Frieden, gerade auch zwischen diesen beiden Völkern. Ich fühle bei diesem Gedanken nur Ohnmacht. Trotzdem müssen wir gehen. Ob die Politiker und Militärs sich in derselben Weise ohnmächtig fühlen? Sie arbeiten seit Jahren, und es entsteht kein Friede. Wir beten und werden die Welt auch nicht erlösen. Doch wir müssen pilgern. Es braucht alle guten Kräfte, die Politiker und die Wissenschaftler, die Künstler und die Medienleute, die Arbeiter und die Intellektuellen … Auch wir müssen unseren Beitrag leisten. (chr)

Zwischenhalt

Ein wunderschöner Zwischenhalt bot uns die Kirche von Fideris, wo wir den siebten Tag der Pfingstnovene beteten. Warm die Holzdecke und schlicht der weißgetünchte, gotische Chorraum. In deutschen Lettern lasen wir an der Chorwand, dass die Kirche in der Reformation „von Bildern und allem schriftwidrigen Zierrat gereinigt“ worden sei. Nun sind in die Nischen im Chor die Seligpreisungen geschrieben. „Selig, die Frieden stiften …“, „Selig, die reinen Herzens sind …“, „Selig die Barmherzigkeit üben …“ etc. Die Worte freuen mich und bewegen mein Herz. Mit 18 Jahren hatte ich mein Zimmer ebenso mit den Seligpreisungen tapeziert. Warum ich genau diesen Text der Schrift wählte, weiß ich nicht mehr. Doch die Worte geben mir Trost. Im Kirchenschiff ziert ein in großen Buchstaben verfasster Vers die eine Wand: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seines Wohlgefallens.“ Die Botschaft von Bethlehem ist präsent. Als ich sie las, empfand ich innigste Freude, dass wir dahin unterwegs sind. (chr)

Benedicziun – Segen

An vielen Häusern im Unterengadin gibt es Aufschriften (Sgraffiti) der Besitzer.

Am Ausgang des Dorfes Bos-cha fand ich auf einer Hauswand den Spruch auf Romanisch: Dieu benedescha vos ir e vos gnir (deutsch: Gott segne euch, wenn ihr geht und wenn ihr kommt). Es ist eine schöne Ermutigung auf dem Weg, dem langen, den wir noch vor uns haben und der uns auch wieder in die Schweiz zurückbringen soll. Jemand spricht uns mit den Worten des Wallfahrtspsalms 121,8 Segen zu. (fm)

Das Pilgerband

Abschied nehmen, das wollen auch meine Freundinnen aus dem Zisterzienserkloster in Eschenbach. Sr. Ruth überreicht mir ein ganz besonderes Geschenk. Es ist ein langes weißes Band aus Leinen genäht. Sie hat in ihrer Handschrift unser Pilgermotto daraufgeschrieben: „Wir nehmen den Landweg, aber es ist ein Gang über das Wasser.“ Eingebettet ist das Motto in das immerwährende Gebet, das Herzensgebet: „Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme dich unser.“ Die Schrift von Sr. Ruth bedeckt die eine Seite des Pilgerbandes vollständig mit diesem Satz. Das Band hat außerdem etwa dreißig eingenähte Fächer. Die Idee wäre, dass ich Gedichte, die auf dem Weg entstehen, in diese Fächer legen könnte. Es kommt aber anders. Als sich die erste Gruppe, die uns auf dem Weg durch die Schweiz begleitet hat, verabschiedet, laden wir ein, persönliche Fürbitten zu schreiben und diese in die Fächer des Bandes zu legen. Das Band ist im Nu gefüllt. Wir versprechen, für jedes Anliegen einen Tag zu pilgern.

Das Pilgerband, die Erfindung von Sr. Ruth, wird zum Symbol unseres Weges. Wir legen es jeden Tag, wenn wir uns Zeit für eine gemeinsame Gebetszeit nehmen, auf den Flecken Erde, wo wir gerade sind. Wir nehmen Bitten heraus und legen neue dazu von Menschen, denen wir unterwegs begegnen. Feiern wir Eucharistie, dient es als Stola. Das Pilgerband verbindet alles: die Menschen zuhause, die Menschen in allen Ländern unterwegs, uns Pilger. In Syrien ist das Band schwarz geworden, weil mein Rucksack durchnässt war. Die schreckliche Kriegsgeschichte, die bereits spürbar über dem Land hängt, hat mit seiner Dunkelheit unser Pilgerband gezeichnet. In Jerusalem erfährt die Geschichte mit dem Pilgerband ihren Höhepunkt. (ha)

Heimweh oder Fernweh

Pfingsten, Fest der Ausgießung des Heiligen Geistes, Geburtsstunde der Kirche in Jerusalem. Der Gottesdienst in der karolingischen Klosterkirche von Müstair war tatsächlich freudig geistbewegt und die Stimmung erinnerte an das himmlische Jerusalem. Die Mühen des Weges sind vergessen, die Tränen getrocknet und in aller Verschiedenheit stehen wir geeint vor Gott. Damit ist die Ouvertüre unseres Pilgerwegs mit der Gruppe zu einem Ende gekommen, durch ein eindrückliches Finale. Die Mitpilger und Freunde, die für diesen Pfingstgottesdienst nach Müstair aus dem Unterland angereist sind, sind nach dem Mittagessen im Klosterhof wieder nach Hause gefahren.

Für uns vier Jerusalempilger werden sich die einzelnen Melodien in den kommenden Tagen entfalten. Ja, auch wenn zuerst nun ein Ruhetag angesagt ist, so zieht es mich innerlich nach vorn, wie von einem Fernweh getragen. Vor über 35 Jahren war ich als kleiner Bube hier in Müstair in meinem ersten Jungwachtlager und hatte Heimweh. Einst die Sehnsucht nach Mama und Papa, heute die Sehnsucht nach Jerusalem. Ist es dieselbe Sehnsucht nach Geborgenheit und Heimat? Vielleicht dieselbe Sehnsucht, doch ein anderes Ziel! (chr)

Unsere Rollen

Esther stellt zu Beginn des Pilgerns zu viert ab und zu die Frage: Welchen Platz habe ich in unserer Gruppe? Wie gehöre ich dazu? Was bringe ich mit ein? Ihre Rolle ist am wenigsten greifbar und darunter leidet sie. Wir Frauen sprechen hin und wieder über ihre Frage und daraus entwickelt sich ein Versuch, für die Rolle aller vier Pilger Worte zu finden. Mein Antwortversuch fällt so aus:

Christian ist unser Visionär. Er hat Überblick, Einsichten in die großen Zusammenhänge und damit verbunden Tiefgang. Er ist der Initiant unseres konkret gewordenen Projektes. Er steht in Beziehungen mit zahlreichen Menschen und Institutionen, die das Unternehmen immer wieder unterstützen. Davon dürfen wir profitieren.

Franz ist unser „Stern von Bethlehem“. Er hat eine unglaublich wertvolle Vorarbeit geleistet, sodass wir jetzt getrost ihm folgend und gehorchend auch manchmal eigenartige Wanderwege beschreiten. Er und sein GPS führen uns mit einer Präzision, die auf uns beruhigend und Vertrauen stiftend wirken. Wir haben uns auf den 4300 km gerade zweimal etwas verlaufen. Beim ersten Mal landen wir in Südtirol in einem Blumenkohlfeld und beim zweiten Mal hindert uns in der Südtürkei ein sumpfiger Kanal am Weiterkommen. Ich sage von Anfang an: Franz ist unser Stern von Bethlehem. Er führt uns mit Sorgfalt. Er nimmt uns alle Entscheidungen bezüglich des Weges ab. Dank seiner Vorarbeit verhindert er kräfteraubende Diskussionen, die bezüglich des Weges aufkommen könnten. Das ist eine enorme Entlastung. Er legt Tag für Tag ein tragendes Fundament, so dass es eines Tages möglich wird, in Jerusalem anzukommen.

Ich selber habe schon vor dem Aufbruch in der Schweiz formuliert, dass ich für die Beziehungen der vier untereinander zuständig sei. Die Vierergruppe ist aus meinem Beziehungsnetz entstanden. Mir stehen die Einzelnen am nächsten. Ich rege alle paar Tage an, beim oder nach dem Essen ins persönliche Erzählen zu kommen und voreinander auszusprechen, wie es insgesamt geht – innerlich und äußerlich. Ich spreche die andern unterwegs auch im Zweiergespräch auf ihr Befinden hin an. Bei mir laufen die Fäden des Beziehungsgeflechts immer wieder zusammen und damit bin ich gegen Ende des Pilgerns auch überfordert, weil es unauflösbare Spannungen unter uns gibt. Darüber berichte ich später.

 

Für Esther ist die Frage ihrer Rolle die offenste gewesen und während einiger Wochen auch geblieben. Es hat aber im Laufe der Zeit Antwortspuren gegeben. Eine davon lautet: Esther ist für uns „Engel, Kind und Hund“. Dieses Wortspiel ist eine Anlehnung an die biblische Geschichte im Buch Tobit. Der junge Mann Tobit bricht von zuhause auf eine große Reise auf. Er hat als Begleitung einen Engel an seiner Seite und ein Hund springt ihm hinten nach. Zugleich ist „der Engel, das Kind und der Hund“ der Titel eines wunderbaren Buches von Christian Bobin. Esther bringt Humor im richtigen Moment ein. Sie spricht unverstellt aus, was sich in ihr regt. Sie zeigt Freude. Sie lacht und weint. Sie staunt über das, was sie entdeckt. Sie pflückt Himbeeren und Kirschen, saugt an einem Grashalm. Sie stopft dauernd ihre Socken und wird immer wieder angeheuert. Man wollte sie uns schon wegnehmen, damit sie beim Heuet, bei der Heuernte, helfe. Sie sei eine Schneidige, hieß es. Ihr werden beim Abschied die Hände getätschelt. Wir und sie selber verstehen nicht ganz, was da geht. Müssen wir aber auch nicht, weil eben – sie ist für uns „Engel, Kind und Hund“. (ha)

DRITTES KAPITEL:
Erfahrungen mit dem GPS
Verantwortung für die Strecke

Mit wenig Routine und ohne Erfahrung habe ich zuhause viele Abende und Wochenenden damit zugebracht, die Route zu planen. Bis Bulgarien schaffte ich eine detaillierte Planung, annähernd 2000 km. Doch schon in Südtirol, Italien, musste ich lernen, dass eine improvisierte Abkürzung auf einem Kohlfeld endet und die Bauern sagen, am Ende des Feldes gehe es nicht mehr weiter, weil es über einen kleinen Bach keine Brücke gäbe. Es ist schwer, die Ungewissheit auszuhalten, dass Karten fehlerhaft sind, dass aber auch improvisierte Abkürzungen in Sackstraßen enden, auch wenn es völlig flach aussieht. Welcher Kompromiss ist der Mittelweg? Wo ermüdet ein längerer Wanderweg weniger als die kürzere Straße? Ich tue mich schwer, die auf dem GPS-Gerät angezeigten Distanzen schnell abschätzen und in Zeit umzurechnen. Wie lange laufen wir bis zur nächsten Abzweigung, die ich nicht übersehen darf? Ist es schon diese oder erst die nächste? Besonders in Ortschaften oder Städten ist vorausschauendes Vorstellungsvermögen gefragt, denn die Genauigkeit der Anzeige auf dem Gerät lässt sehr zu wünschen übrig – zwischen hohen Häusern ist der Empfang des GPS-Signals oft schlecht.

Immer wieder frage ich auch Leute an den Wegen, Einheimische, wo es langgeht. In der Regel schicken sie uns auf die Hauptstraße, wo der Verkehr rollt. Ich will aber auf Feldwegen weiterlaufen. Meine Schwierigkeit ist, dass ich oft wohl den Namen des nächsten Dorfes kenne, nicht aber den Namen des nächsten Bauernhofes, der am Feldweg dazwischen liegt. Den würde der Einheimische kennen und mich dann dahin schicken, denke ich. So bleibe ich bei meinen Aufzeichnungen und folge nicht dem Hinweis auf die Hauptstraße.

Die Tagesetappen habe ich auch in Hinblick auf mögliche Quartiere gegliedert. Gibt es einen größeren Ort, wo wir eher ein Quartier finden? In allzu kleinen, so denke ich, wird es schwieriger sein. Die anderen beruhigen mich und sagen: Du bist nur für die Route zuständig, die Unterkunft suchen wir gemeinsam. Aber wo wir am Ende des Tages anhalten, liegt in meiner Hand. Einen Rest der Sorge um die Unterkunft kann ich nicht ablegen, er begleitet mich jeden Tag.

Das führt einige Male dazu, dass wir zu lange Tagesetappen machen. Esther und Hildegard sind am Ende ihrer Kräfte, bleiben aber geduldig, auch wenn sie mir deutlich sagen, es war wieder zu lang. Christian will vorwärtskommen. Ihm wird es fast nie zu lang. Da ich die Strecke nicht kenne, können wir uns nicht trennen. Ich weiß nicht, welchen Treffpunkt wir benennen könnten. So heißt es beisammenbleiben, mindestens in Rufweite.

In Sofia habe ich einen Tag am Computer verbracht, um die weiteren Etappen bis Istanbul im Detail zu planen. Die anderen konnten sich in der Zeit Sehenswürdigkeiten in der Stadt anschauen. Hildegard habe ich gebeten, mir wenigstens ein paar Fotos von den ausgegrabenen römischen Straßenstücken und den frühchristlichen Kirchen mitzubringen. Ich hätte sie gerne selber gesehen, aber die „Arbeit“ für unsere Wallfahrt hatte Vorrang.

Ganz im Süden der Türkei haben wir uns das zweite Mal verlaufen, weil ein Steg über einen Kanal fehlte. Ansonsten sind wir ohne große Fehleinschätzungen durchgekommen. Am Abend mancher Tage spüre ich, dass die ständige Aufmerksamkeit auf den Weg anstrengt und ermüdet, sodass ich nicht mehr viel Kraft und Konzentration für weitere anstehende Aufgaben habe. (fm)

Wallfahren heißt für mich: beständig dranbleiben

An der Route dranbleiben, jeden Tag im Rhythmus, jeden Tag das Ziel mit den Abschnitten im Auge behalten. Keine unnötigen Ausflüge. Pausen sind da zum Entspannen, zum Ausruhen, aber das Weitergehen bleibt im Blick. Auch die Unterbrechung ist begrenzt und dient zum Auftanken für das nächste Stück Weg.

Täglich hat für mich die Vorbereitung des Weges für den nächsten Morgen Priorität. Das Aufladen der Akkus für das GPS muss jeden Tag geschehen, auch wenn ich ein paar in Reserve bei mir trage. Die Wäsche ist jeden Tag zu waschen und aufzuhängen. Jeden Tag stelle ich eine Zeit für Gott, für das Gebet zu ihm und für die Menschen zur Verfügung.

Treu bleiben im Kleinen, um dem Großen entsprechen zu können. (fm)

Besuch beim Info-Team in Belgrad

Wir haben Ruhetag in Belgrad. Diesen nutze ich dazu, im Büro der Firma, die die GPS-Geräte vertreibt, vorbeizugehen. Als ich in das Büro trete, werde ich von einem Mitarbeiter begrüßt mit: Hallo, Franz! Seit einem Jahr stehen wir in E-Mail-Kontakt und jetzt diese herzliche Begrüßung mit Kaffee und einem Glas Wasser! Das Gespräch entwickelt sich sofort. Es ist bekannt, dass wir eine Wallfahrt nach Jerusalem machen. Esther und ich werden nach unseren Erlebnissen in Serbien gefragt. Offenherzig erzählen wir von den Sonnen- und Schattenseiten. Auch von unserem Blog sprechen wir, dessen Link er seiner Frau nach Erfurt schickt. Sie verbringt dort gerade einen Studienaufenthalt für ihr Doktorat zum Thema „Verhältnis von Staat und Kirche in Serbien“. Er ermutigt uns, gibt uns einige Tipps und seine Natelnummer und sagt: Sie können mich jederzeit anrufen, wenn Sie etwas brauchen, even in the middle of the night – don’t hesitate!

Wir werden ihn auf unsere Liste von Menschen schreiben, die uns auf dem Weg etwas Gutes getan haben und für die wir auf dem Weg und in Jerusalem beten werden. Er ist gerührt und mir scheint, sowohl er als auch wir sind den Tränen nahe, als wir das Büro verlassen. So viel warmherzige Hilfsbereitschaft und Verstehen werden uns hier geschenkt. (fm)

Planung der Tagesetappen

Mit den Informationen, die ich hier in Plovdiv einholen konnte, habe ich unsere Route für die nächsten Tage umgestellt. Man sagte mir, dass die Autobahn quer durch Bulgarien Richtung Türkei nicht fertig gebaut sei. Deshalb wird sich der große internationale Schwerverkehr wohl auf der bisher als „alte Autobahn“ bezeichneten Hauptstraße südlich der Maritsa bewegen. Diese Straße ist wie eine Kantonal- oder Bundesstraße bei uns. Das Schlimmste für mich ist, dass wir meistens auf der linken Straßenseite gehen und den uns entgegenkommenden Verkehr sehen. Wenn allerdings ein Fahrzeug auf unserer Seite von hinten her überholt, bin ich immer überrascht, oft sehr erschrocken, weil ich es nicht kommen sehe noch höre und es mit hoher Geschwindigkeit knapp an mir vorbeirauscht. Diese Art Verkehr ist für uns der anstrengendste. Deshalb möchte ich ihn morgen vermeiden.

Bei der Routenplanung versuche ich immer vier Kriterien zu berücksichtigen:

1. die Wunschdistanz von 25 bis 30 km pro Tag.

2. Wenn höhere Berge auf der Route sind, braucht das zusätzliche Kraft und die Kilometeranzahl soll aufgrund der zusätzlichen Leistung reduziert werden. (In der Türkei wird mir meine elektronische Karte keine Informationen mehr über Steigungen und Berge bieten …).

3. Wir bevorzugen Nebenstraßen gegenüber Hauptstraßen, weil es weniger Verkehr gibt, weniger Lärm und mehr Sicherheit.

4. In den Blick zu nehmen versuche ich, ob es am Zielort eine Unterkunft gibt oder geben könnte. Nur manchmal geben meine Karten dazu Auskunft. (fm)

Der Weg durch die Türkei und Syrien

Dieser Tag war kein freier Tag für mich. Vom Morgen bis zum Abend war ich daran, die Route durch Syrien und Jordanien für das GPS zu planen. Ich versuchte die kürzeste Strecke von Antakya in der Türkei nach Süden am Bergrücken entlang, am Libanon vorbei, durch Damaskus und Amman, über den Berg Nebo an das Tote Meer und Jericho zu beschreiben. Ich habe die üblichen Tagesetappen abgesteckt und eine Liste davon gemacht. Darin führe ich auch die kleinsten eingezeichneten Dörfer auf. Die Aufzählung soll möglichst dicht sein, damit wir notfalls auch ohne das Gerät gehen können – von Dorf zu Dorf. Ich weiß nicht, ob ich das Gerät über die türkische Grenze hinaus mitnehmen darf.

Jetzt bin ich müde davon, den ganzen Tag vor dem kleinen Bildschirm des Netbooks zu sitzen. (fm)

Unser Historiker Franz

Die Gegend des heutigen Pilgertages ist geschichtsgeladen, sind wir doch in einer Region der Türkei angelangt, die erst nachträglich, nämlich 1938, zur jungen Türkischen Republik hinzugekommen ist. Diese hatte die Provinz Hatay/Antiochien mit Hilfe der Franzosen im Grenzstreit mit Syrien annektiert. Frankreich war an einer Allianz mit der Türkei interessiert, damit diese nicht an der Seite von Hitler-Deutschland in den Zweiten Weltkrieg eintrat. Doch nicht nur moderne Geschichte, sondern auch jene des Altertums kam heute in den Blick. Wir marschierten nämlich durch Dörtyol, das antike Issos, wo Alexander der Große 333 v. Chr. das Perserheer von Dareios III. zum ersten Mal schlug. Zudem liegt einige Kilometer hinter uns der Fluss Saleph, wo Kaiser Friedrich I. Barbarossa beim dritten Kreuzzug ertrank.

All diese Ereignisse ließen auch unseren Historiker Franz nicht unberührt. Vielleicht wollte er hier auch große Geschichte schreiben. Auf jeden Fall führte er uns heute mit seinem GPS durch die Felder, bis wir zu einem kleinen sumpfigen und verwachsenen Kanal kamen, den wir nicht überqueren konnten. Weil Franz aber unbedingt den Weg auf der andern Seite erreichen wollte, legte er seinen Rucksack ab und begann kurzerhand mit Steinen im Wasser einen Übergang zu bauen. Er versuchte, auf wackligen Steinen stehend und mit den Wanderstöcken immer wieder Halt suchend, genügend feste Tritte über dem Wasser zu schaffen. Mehr als einmal rutschte er dabei mit dem Schuh ins Wasser, während Hildegard ihn in seinem Eifer zu stoppen suchte. Schließlich konnten wir Franz überzeugen, das Unterfangen aufzugeben, da wir, mit unseren Rucksäcken beladen, uns nicht vorstellen konnten, ohne Schaden über diese Furt zu kommen. Wir wollten auch nicht, dass Franz wie Barbarossa endet. Dies wäre doch zu viel der Identifikation des Historikers mit seinem Objekt! Schließlich wurde die Aktion abgebrochen. Wir suchten einen Umweg, den wir auch fanden. Wohl haben wir Franz davor bewahrt, wie Barbarossa zu enden, doch haben wir auch verhindert, dass er als Kirchenhistoriker zu einem Pontifex Maximus (Größter Brückenbauer) wird. Dass er jedoch ein Pontifex Minor (Kleinerer Brückenbauer) ist, steht außer Zweifel, weist doch schon sein Name Mali, zu Deutsch „Klein“, darauf hin. (chr)