Vier Pilger - ein Ziel

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Ist Jerusalem mein Ziel?

Helsinki, Barcelona, Prag – ich wäre überall hin mitgepilgert. Der Weg ist das Ziel, habe ich mir gesagt. Ich will Zeit für das Gebet und Gott, will in Bewegung sein und mich wagen. Jerusalem war mir nicht einzigartig wichtig. Ich hatte keinen besonderen Draht zu dieser Stadt. Ich bin noch nie dort gewesen. Es zog mich nicht hin. Nur einmal, während meiner Studienzeit, bot unser Dozent für das Alte Testament eine Reise ins Heilige Land an. Ich meldete mich an, aber leider wurde sie wegen der Unruhen damals nicht durchgeführt. So vergaß ich ganz einfach, dass ich schon einmal dorthin wollte, wo Jesus gelebt und gewirkt hatte.

Im Unterwegssein erfahre ich dann, wie wichtig das Ziel ist. Es ist nicht egal, wohin wir unterwegs sind. Jerusalem ist die Stadt der Städte. Dort geschah Zentrales. Dort zeigte sich Gott auf besondere Art und Weise. Dort werde ich ganz hineingenommen in die Geschichte des Volkes Gottes. Die Bedeutung der Stadt wächst für mich Schritt für Schritt: Im Fokussieren dieses einen Punktes der Landkarte, im Zugehen auf dieses Ziel, im sichtbaren Näherkommen. Wir erzählen den Menschen auf den Straßen, wohin wir gehen. Und allen, Juden, Christen wie Muslimen, ist sie bekannt, diese bedeutende Stadt. Wir gehen auf das Herzstück der monotheistischen Religionen zu.

Hie und da frage ich mich: Wo werde ich selber in Jerusalem am Ziel sein? Wenn wir die Stadt sehen? Auf dem Ölberg? Auf der Via Dolorosa? An der Klagemauer? Im Garten Getsemani? Am See Gennesaret? Es wird für mich – entgegen meiner Erwartung – die Grabes- und Auferstehungskirche sein. Dort angekommen, beim ersten Schritt über die Schwelle, öffnet sich mein Herz und alles bricht aus ihm in Tränen hervor. Dass diese Kirche für mich zum eigentlichen Ziel wurde, zeigte sich mir, weil wir für unsere Filmcrew das Hineingehen in die Kirche nachstellen mussten. Nun ja, das war irgendwie komisch, nach dem eigentlichen Ankommen und nach dem Gottesdienst nochmals so zu tun als ob. Aber es geschah dasselbe: Wieder kamen mir beim Übersteigen der Schwelle aus tiefstem Herzen die Tränen. Wir sind da – angekommen in Jerusalem! (er)

Wallfahren heißt für mich: pilgern zu einem geheiligten Ort

Jerusalem wird von den Juden als „heiliger Ort“ betrachtet, denn König David hat die Bundeslade hierherbringen lassen (vgl. 2 Sam 6,12). Sie war Zeichen für die Gegenwart Gottes unter seinem Volk. Als Salomo den Tempel gebaut hatte, wurde die Bundeslade in das Allerheiligste des Tempels übertragen, der damit zu einem geheiligten Ort wird. Bei der Zerstörung des Tempels und der Bundeslade weicht allerdings die Gegenwart Gottes nicht mehr von diesem Ort, sagt der Talmud.

Die Erfahrung des Exils lehrt das Volk Israel, dass Gott überallhin mitzieht: Er zog mit ihnen aus Ägypten durch die Wüste ins Verheißene Land, dann weiter ins Exil und wieder nach Hause. Er ist nicht an einen Berg gebunden, er wohnt nicht in einem Haus, er ist nicht „eingesperrt“ in einem Tempel, der auch zu klein ist – er ist immer bei seinem Volk, sei es in der Wolke oder in der Feuersäule (Ex 14,19–24), sei es unter dem Zelt: Alles sind Zeichen der mitgehenden Gegenwart Gottes. Der Gedanke, dass Gott mit seinem Volk überallhin mitzieht, ist sehr tröstend. Jesus selbst sagt nach dem Johannesevangelium, dass Gott überall „im Geist und in der Wahrheit angebetet“ werden kann (Joh 4,21). Auch die Wallfahrt zu noch so heiligen Stätten macht den Pilger nicht automatisch heiliger, sondern nur ein tugendhaftes Leben – und das kann jeder zu Hause üben (so der Kirchenlehrer Hieronymus).

Warum gibt es dann aber geheiligte Orte, die nicht verrückbar sind, sondern fix und unbeweglich? Und warum ist gerade Jerusalem ein solch geheiligter Ort? Für mich lautet die Antwort: Weil dort Jesus Christus gelebt hat, gestorben und auferstanden ist. So wie die Zeit seines Lebens nicht versetzbar ist, so sind auch die Orte, an denen er gelebt hat, nicht austauschbar. Diese Ereignisse haben hier „statt“-gefunden und nicht woanders, diese zeitlich bestimmten Vorgänge lassen sich auch nicht anderswohin verschieben oder kopieren.

Jerusalem ist ein von Gott „geheiligter“ Ort, nicht naturhaft, animistisch heilig. Zugleich ist er ganz irdisch – nicht eine geistige, göttliche Wirklichkeit, er ist und bleibt eine irdische Wirklichkeit. Im Himmel wird es keine bestimmten „geheiligten“ Orte mehr geben, denn alles ist geheiligt (Offb 21,22–23).

Christlich ist kein Ort unberührbar, kein Platz unantastbar. Alles ist antastbar, denn die ganze Schöpfung ist von Gott gemacht und von ihm gesegnet – ohne Ausnahme. Auch Jesus lässt sich berühren (vgl. Mk 5,30–34; 1 Joh 1,1). Er berührt blinde Augen (Joh 9,5); er nimmt an der Hand, er segnet Kinder. So können auch wir zu diesen sinnlich fassbaren Steinen und Stätten pilgern, das Leben Jesu betrachten und ihn um seinen Segen bitten.

Jerusalem ist für mich zugleich auch eine Metapher für einen großen Traum, für eine Vision, wie sie sich beim Propheten Jesaja (Jes 24,6–8) findet oder im letzten Buch des Neuen Testaments, wo vom „neuen Jerusalem“ erzählt wird (Offb 21,2): die Vision von der Vollendung bei Gott, wo er mitten unter den Menschen wohnen wird (Offb 21,3), die Stadt, die erfüllt sein wird von der Herrlichkeit Gottes (Offb 21,11), wo es „keine Nacht mehr geben wird“ (Offb 22,5) und keine Sonne, „denn die Herrlichkeit Gottes erleuchtet sie, und ihre Leuchte ist das Lamm“ (Offb 21,23). Jerusalem steht als Bild für dieses Ziel meiner Sehnsucht nach Heilsein, nach Frieden und Gerechtigkeit. Die aktuelle Realität steht aber gerade im krassen Gegensatz dazu. Man kann daher dieses irdische Jerusalem nicht mit dem „himmlischen Jerusalem“ der Vision verwechseln. Deshalb gefällt mir dieses Bild so gut. Wäre dieses irdische Jerusalem eine friedliche prosperierende, wohlhabende Stadt, könnte vielleicht jemand auf die Idee kommen, das wäre jetzt schon das „Paradies auf Erden“. Und gerade das ist nicht der Fall. (fm)

Auf Menschen zu

Eine der Fragen am Eröffnungswochenende unserer Pilgerveranstaltungen im Lassalle-Haus war: Wie macht ihr es mit den Sprachen, wenn ihr durch so viele Länder lauft? Wie könnt ihr euch mit den verschiedenen Menschen verständigen? Ja, diese praktische Frage haben wir uns durch den Kopf gehen lassen. Für mich ist die Begegnung mit anderen Menschen ein großes Anliegen. Die erste Sprache sind wohl die Gesten mit Gesicht, Händen und Füßen. Ich erwarte nicht von selbst, dass die anderen immer meine Sprache verstehen oder gar sprechen. Mir sind die Achtung und der Respekt vor dem anderen wichtig. Ein Ausdruck dafür ist auch, dass ich versuche, die Sprache des anderen zu verstehen, zu erlernen und vielleicht darin auch zu kommunizieren. In aller Regel wird das sehr geschätzt und mit Freude wahrgenommen, das ist eine sehr schöne Erfahrung. Deshalb besuche ich seit einigen Wochen einen Sprachkurs für Arabisch. (fm)

Die Route und das GPS

In den Vorbesprechungen vereinbaren wir, dass ich für die Routenplanung zuständig bin. Es ist für mich schön, eine bestimmte Aufgabe für unser Vorhaben zugesprochen zu bekommen, die gleichzeitig mit der Freude verbunden ist, den anderen eine Arbeit abnehmen zu können.

Zunächst ist zu klären, welchen Weg wir nehmen wollen. Sollen wir in Süditalien mit der Fähre nach Griechenland übersetzen oder den Weg durch das ehemalige Jugoslawien wählen? Ich setze mich für die „Balkanroute“ ein, weil ich finde, wir sollten besonders auch für diese Region um Frieden und Versöhnung beten, wo vor gut zwanzig Jahren noch blutiger und mörderischer Krieg herrschte.

So mache ich mich auf die Suche nach Wanderkarten für unseren vorgesehenen Weg. Es stellt sich heraus, dass es bis Slowenien und für ein paar Nationalparks in Kroatien Wanderkarten gibt, anschließend gibt es nur noch Straßenkarten, die einem Fußwallfahrer lediglich sehr bedingt hilfreich sind, denn wir wollen gerade die großen Verkehrsadern meiden und dem Schwerverkehr ausweichen.

So stelle ich um auf elektronische Routenplanung und erfahre, dass die nötigen detaillierten Karten für Serbien gerade in einer fortgeschrittenen Entstehungsphase, für die Türkei über eine grobe Autokarte nicht hinausgekommen sind. Für Syrien und Jordanien gibt es keine GPS-Karten zu kaufen. Ich schreibe nach Belgrad und Sofia, um diese Karten zu erwerben. Im Internet entdecke ich eine große Menge von Hilfsmitteln, insbesondere Velokarten, die für uns Fußgänger sehr nützlich sind.

Mehr als ein Jahr vor dem Start kaufe ich ein GPS-Navigationsgerät, damit ich während des Sommers in den Ferien den Umgang damit üben kann. Bald habe ich den Verdacht, dass irgendetwas an dem Gerät nicht funktioniert, allerdings gibt es den Geist erst im Herbst auf. Ich bekomme ein neues Ersatzgerät, das jedoch nicht einmal den ersten Probelauf übersteht. So erhalte ich ein drittes Gerät, mit dem ich einen neuen Testlauf mache. Mit unsicherem Gefühl im Bauch breche ich schließlich nach Jerusalem auf, denn nach zwei fehlerhaften Geräten kann ich nur wünschen, dass dieses jetzt funktionieren wird, hoffentlich bis zum Ende der Wallfahrt – sehr wahrscheinlich scheint das nicht!

Das Ziel der Planung ist, für die gesamte Route einen möglichst kurzen und gangbaren Weg zu finden. Diesen muss ich in Tagesetappen zu 25 bis 30 km unterteilen. Zugleich versuche ich, Wege zu entdecken, auf denen möglichst wenig Autoverkehr ist, die in überschaubaren Abständen durch Siedlungen führen, damit wir uns mit Trinken und Essen versorgen können. Am Ende jeden Tages sollten wir in einen Ort kommen, wo wir eine Unterkunft erfragen können.

 

Überschlagsmäßig wird der Weg etwa 4300 km lang werden. Das sind vielleicht 170 Tagesetappen. Diese durchzurechnen, jede Abzweigung und Kreuzung, alle Wegverhältnisse und Steigungen zu erkunden ist meine Aufgabe. Dazu kommt, dass auch die GPS-Karten fehlerhaft sind, manchmal unvollständig und nicht auf dem aktuellsten Stand. Google-Earth hilft oft, aber auch da sind manche Satellitenbilder unscharf, man sieht nicht, ob eine Brücke über ein Bächlein oder einen Kanal führt. Oder unser Weg liegt auf dem Bild gerade im dunklen Schatten eines Berges oder im Wald und nichts ist zu erkennen.

Wenn ich ausfalle, was wird sein? Niemand anderer weiß mit dem Gerät und den Routen umzugehen. Vom Ehepaar Zecher, das zwei Jahre vorher von Deutschland nach Jerusalem gelaufen ist, habe ich GPS-Tracks und die Liste der Unterkünfte bekommen. Erst in Bulgarien trifft unsere Route auf die ihre. Ab da hilft mir ihre Information sehr viel. Dafür bin ich dankbar. Zugleich bemerke ich, dass ihre Karte eine Generation älter war und noch ein Stück ungenauer als meine.

Schließlich sind wir mit diesem GPS-Gerät die gesamte Strecke ohne Probleme gelaufen. Es hat immer funktioniert! Jeden Tag konnte ich die Strecke vom Gerät auf den Computer laden und anschließend in unseren Blog stellen. (fm)

Wenigstens einmal

Wenigstens einmal miteinander unterwegs sein, für zwei Tage wandern, zusammen feiern, Schritt halten, das GPS ausprobieren, Karten lesen, Material testen, sein, essen, spielen – das wollen wir, bevor wir dann sieben Monate fast 24 Stunden zusammen verbringen.

Wir freuten uns auf ein, zwei schöne Herbstwanderungen, bei denen sich die Sonne in den farbigen Blättern zeigt, blauer Himmel sich über uns wölbt, weiße Bergspitzen uns zublinzeln und vor allem die letzte Wärme aufgetankt werden kann. Aber es kommt ganz anders. Es regnete und es war kalt, der Nebel hing tief und wir genossen die Wärme um einen Kachelofen. Aber nichtsdestotrotz, ein bisschen an die frische Luft wollten wir.

Der Weg von Muotatal Richtung Bisisthal lockte uns und siehe da, entlang der Muota freuten uns das klare Wasser, die markanten Felsen, wir kamen an Bildstöckli vorbei und trafen auf eine Busstation namens Herrgott … (er)

Zwischen Abschied und Aufbruch

Seit ein paar Tagen ist das Gefühl deutlich gewachsen: Jetzt dauert es nicht mehr lange bis zum Start am 2. Juni. Bei mir bewegt sich vieles zwischen Abschied und Aufbruch. Ich werde meinen Arbeits- und Wohnort nach elf Jahren definitiv verlassen. Ein Freund fragt: Hast du noch keine Angst vor dem eigenen Mut? Eigentümlich wirken solche Fragen. Sie wecken die Angst. Andererseits bin ich mir nicht bewusst, dass die Unternehmung Mut verlangt. Das sind Worte, Wahrnehmungen von außen. Für mich hat das Projekt, der Aufbruch, das Weggehen eine Selbstverständlichkeit.

Eine Freundin kommt zu Besuch. Es ist ihr ein Anliegen, vorbeizukommen. Als wir uns verabschieden, fragt sie, ob sie mir ein Kreuzzeichen auf die Stirn machen dürfe. Ich nehme ihren Segen und ihre Wünsche gerne an.

Ich selber sehe mich Dinge tun, die ich vorher noch nie gemacht habe. Angeregt durch die Begegnung mit anderen Jerusalempilgern, beginne ich, ein Testament aufzusetzen. Dem lasse ich gleich einige Wünsche und Anliegen für meine Beerdigung folgen. Und ich entschließe mich, die Tagebücher, die für mich und meinen Weg eine wichtige Rolle gespielt haben, nicht in Kisten zu packen und einzulagern, sondern sie dem Papierwolf zu übergeben. (ha)

Gedankenarbeit – eine Form des Trainings

Gedanken, die sich heute auf dem Weg zwischen Freiburg / Fribourg und Schwarzenburg ohne zu fragen und ungehindert breitmachten, lauteten ungefähr so: Was, wenn sich weiterhin, wie in den vergangenen Wochen regelmäßig, aufgrund eines gehabten Fußpilzes Blasen an der großen Zehe bilden? Was, wenn dieses Pochen am Knie nicht verschwindet? Was, wenn ich einen „Wolf“ einmarschiere? Was, wenn ich die Hitze einfach nicht ertrage? Und was, wenn … Ein ganz mulmiges Gefühl folgte dieser Gedankenkette. Es wollte sich ungehindert und maßlos breitmachen. Halt!, rief ich innerlich. So geht das nicht! Meine Mutter fiel mir ein, die einst quengelnde Kinder mit Leichtigkeit ablenken, auf andere Gedanken und Fährten leiten konnte. So sah ich plötzlich: das Violett der Storchenschnäbel am Wegrand. Welche Farbe! Das fast aufdringliche Gelb der blühenden Rapsfelder. Etwas dominant, aber unglaublich! Kühe, die sich im verblühten Löwenzahn wiederkäuend räkelten. Unverschämt, ich möchte auch einen Mittagsschlaf. Eine Glyzinie, die begonnen hatte, in die nahe Tanne einzuwachsen. Faszinierend, diese Eroberungsfreude. Etc. Und flugs wich das Düstere einer fröhlichen Leichtigkeit. Die Blase an der großen Zehe blieb heute aus. (ha)

Was nehme ich mit?

Wir gehen nach Jerusalem. Wir gehen zu Fuß. Was nehme ich nur mit? Was brauchen wir? Was lohnt sich zu tragen? Welches Material ist das beste? Wie kann ich Gewicht reduzieren und was muss auf alle Fälle mit? Was essen wir? Wo schlafen wir? Schon bei einem ersten Treffen wird klar, dass wir immer in vier Wänden und unter einem Dach schlafen. Dies ist Hildegards Wunsch und im Nachhinein bin ich über ihre Klarheit sehr dankbar. Nicht weil ich Angst habe vor Überfällen oder dem Wetter, aber die Hunde, die überall streunen, hätten uns wohl so manche Stunde Schlaf geraubt. Somit ist auch klar: Wir brauchen kein Zelt, keinen Kocher und müssen nicht so viel Wasser tragen. Denn wer zeltet, braucht viel Wasser, weil sich Pilger am Abend zuerst waschen müssen, wollen sie nicht die ganze Nacht frieren, und sie müssen etwas Warmes essen, um die Batterien wieder aufzuladen. Nun denn, diese Entscheidung trägt dazu bei, dass unsere Rucksäcke leichter werden. Aber welchen Rucksack trage ich? Mein alter wird es wohl nicht sein? Soll er möglichst leicht sein, dafür schneller kaputt gehen? Oder entscheide ich mich für einen stabileren, der mehr Gewicht hat? Spielt die Farbe eine Rolle? Ist es besser, wenn er auffällig am Straßenrand leuchtet, oder tun wir uns einen Dienst, wenn er dezent daherkommt? Wie viel Liter Packmaß ist angemessen? Ich lasse mich im Sportgeschäft beraten. Dabei erinnere ich mich, dass andere Pilger uns den Rat gaben, einen nicht zu kleinen Rucksack zu kaufen, damit das Ein- und Auspacken nicht jedes Mal zum Tetrixspiel wird. Ich entscheide mich nach vielem Ausprobieren für einen schwarzen Rucksack. Das erste Ding ist gekauft. Jetzt geht es weiter mit Schlafsack, Isomatte, Kleidern und mit den Schuhen. An den Schuhen, scheint mir, hängt das halbe Glück, und viele Fragen drängen sich drum herum auf. Letztendlich entscheide ich mich als Einzige, mich mit Turnschuhen auf den Weg zu machen. Doch immer wieder bin ich hin und her gerissen, bin an einem Tag ganz sicher, es ist richtig für mich, und bald drauf wieder in Zweifel. Das Argument, dass wir meistens auf Teer laufen werden und es darum wichtig ist, dass der Schuh gut abgefedert ist, hat mich überzeugt.

Packen bedeutet, alles, was wir mitnehmen, auf Herz und Nieren zu prüfen. Wir holen Rat ein, probieren aus, setzen auf Erfahrungen von andern, testen selber aus und geben einander unsere Tipps und Neuigkeiten weiter. Wir lernen die verschiedensten Sport- und Outdoorgeschäfte und ihr Verkaufspersonal kennen, und sie kennen uns mit der Zeit auch. Es ist ein langwieriges, aber freudiges Prozedere, bis wir alle die richtig passenden Dinge haben, die uns auf unserem Weg ihre guten Dienste erweisen.

Trotz des vielen Abwägens wird es nach ein paar Wochen Pilgern so sein, dass wir Sachen heimschicken, weil wir sie doch nicht brauchen, sie zu schwer oder doch unnütz sind.

Das Schönste aber ist, dass wir in unseren Kleidern so wohl und gut angezogen sind, dass uns nichts fehlt, was praktischer und bequemer wäre, besser passen würde, Wärme geben oder uns vor Kälte und Nässe perfekter schützen könnte. (er)

Reduktion auf einen roten Teppich

Schon längst sind wir dabei, uns auf das Wesentliche zu konzentrieren. Am einfachsten drückt sich das anhand der Packliste aus. Darauf steht:

Wanderschuhe, Sandalen, Wanderstöcke, 2 Paar Socken, 2 Hosen, 2 Wanderhemden, 1 Shirt, 2x Unterwäsche, Schlafanzug, Fleece, Jacke, Regenschutz, Regenhose, Hut, Halstuch, Handtuch, Waschlappen, Rucksack und Regenhülle, Schlafsack, Isomatte, Seidenschlafsack, Wasserflasche, Sackmesser, Sonnenbrille, Ersatzbrille, Bauchtasche, Pass, Visum, Pilgerausweis, Ausweis Krankenkasse, Schreibzeug, Tagebuch, Adressen, persönliche Medikamente, Nessessär, Taschentücher, Portemonnaie, Kreditkarte, Leuchtstreifen, Stirnlampe, WC-Papier, Sitzunterlage, Löffel.

Was wir unter uns aufgeteilt haben: Apotheke für alle, Ohropax, Nähzeug, Wäscheleine, Schnur, Waschpulver, kleine Spiele, Becher, CD Schott, kleine Bibel, CD Direktorium, Tropfen für sauberes Wasser, Kartenmaterial, GPS und Zubehör, Fotoapparat und Zubehör, Natel (Handy) und Zubehör, Adapter und Mehrfachstecker, UBS-Stick, Armbanduhr, Feuerzeug, kleiner Putzlappen, leichte Stofftragtasche, Homöopathieset, Fußsalben. (ha)

Ein Tischgespräch

Pilger A: Heute Nachmittag habe ich meinen Rucksack gepackt und auf die Waage gestellt: 11,6 kg!

Pilger B: Das ist viel. Noch ohne Wasser und Proviant.

Pilger A: Ja, dann habe ich mal die Kleider rausgenommen, die ich sowieso anziehe, die Wanderstöcke abmontiert und einige Dinge eingescannt, die ich nicht unbedingt in Papierform mitnehmen muss.

Pilger B: Und dann?

Pilger A: Weißt du, was die ganze Apotheke wiegt? 780 g! Und dann noch die ganzen Blasenpflaster, die extra dazukommen, die sind nochmals 149 g. Fast ein Kilo.

Pilger B: Ich überleg mir wirklich, ob ich nicht mein Notebook mitnehme. Es hat 1,458 kg.

Pilger A: Mit Akku und Stromkabel?

Pilger B: Ja, alles inklusive. Das hätte den schönen Vorteil, dass ich mein GPS anschließen und damit arbeiten könnte.

Gast: Voll krass, eure Gespräche. Wenn die jemand mithören würde … Übrigens, hast du diese Speckblätterteigschnecken so gekauft?

Pilger A: Nein, einen Teig ausgerollt, Frühstücksspeck draufgelegt, wieder eingerollt, in Scheiben geschnitten und gebacken.

Gast: O. k. Schmecken gut. Und wie schwer ist eine Scheibe …? (ha)