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Das Überlebensprinzip

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Das Überlebensprinzip
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Christian Ruf

Das Überlebensprinzip

Flucht nach Süden

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Mein Reisetagebuch

1. Tag

2. Tag

3. Tag

4. Tag

5. Tag

6. Tag

7. Tag

8. Tag

9. Tag

10. Tag

11. Tag

12. Tag

13. Tag

14. Tag

15. Tag

16. Tag

17. Tag

18. Tag

19. Tag

20. Tag

21. Tag

22. Tag

23. Tag

24. Tag

25. Tag

26. Tag

27. Tag

28. Tag

29. Tag

30. Tag

31. Tag

32. Tag

33. Tag

34. Tag

35. Tag

36. Tag

37. Tag

38. Tag

39. Tag

40. Tag

41. Tag

42. Tag

43. Tag

44. Tag

45. Tag

46. Tag

47. Tag

48. Tag

49. Tag

50. Tag

51. Tag

52. Tag

53. Tag

54. Tag

55. Tag

56. Tag

57.Tag

58. Tag

59. Tag

60. Tag

Impressum neobooks

Mein Reisetagebuch

Es ist wieder Vollmond und ich kann mal wieder nicht einschlafen. Mein Blick ist starr auf die helle rechteckige Fläche an der Wand gerichtet und ich betrachte die sich vom Wind bewegenden Schatten von den Ästen der kahlen Bäume. Doch der leuchtende Wintermond am sternenklareren Himmel ist nicht der Grund dafür. Denn auch wenn sich nie etwas ändert ist diese Unruhe da - vielleicht auch gerade wegen dieser abnormalen Stille die sobald nicht mehr enden wird? Dazu die lange eisige Kälte des Winters. Ohne Erbarmen ist er jedes Jahr wieder da. So auch jetzt.

Um meine Unruhe los zu werden und meine Gedanken zu ordnen habe ich mir überlegt dieses Tagebuch zu schreiben. Vielleicht hilft es mir ja ruhiger zu werden? Nun denn - dann fange ich mal an ganz von vorne zu erzählen:

Das „Ende“ von unserer glücklichen und funktionierenden Welt wie wir sie gewohnt waren ist nun schon ganze fünf Jahre her. Zunächst hatten wir alle noch die Hoffnung es würde nur vorübergehend so sein, sich bald alles wieder erholen oder größtenteils sich wieder einrenken. Aber allmählich wird meine Befürchtung immer stärker: Es ist unwiederherstellbar vorbei!

Mittlerweile habe ich mich an diesen neuen Zustand ganz gut angepasst. Es ist nach den letzten zwei Winter sogar noch ruhiger geworden. Menschen begegnen einem kaum noch mehr. Und das ist eigentlich auch ganz gut so. Man muss sich nicht ständig verteidigen oder permanent in der Angst davor leben.

Aber leichter ist es deswegen auch nicht geworden - denn nun ist es die Natur, die einem zum Feind wird, die einem jedes Jahr immer wieder eine Menge Kraft abverlangt und einen schleichend immer mehr zurückdrängt. Alleine ist man zu wenig um sich gegen sie behaupten zu können.

Noch bin ich mit meinen 24 Jahren jung, stark und gesund. Und genau deswegen muss ich mich bald entscheiden! Die alten Erinnerungen an mein ehemaliges Zuhause stammen aus einer anderen Zeit - und meine neueren Erinnerungen waren bislang nur die Hölle… Es wird sich nun mal nichts ändern können und genau das beunruhigt mich unterschwellig, glaube ich.

Warum gerade ich überlebt habe, weiß ich nicht. Vielleicht habe ich mich einfach nur mehr zurück gehalten und rechtzeitig davon gemacht? Niemand, der noch lebt, hat in den letzten Jahren ein sauberes Gewissen behalten können. So traurig es klingt, aber es gibt nur noch ein einziges Gebot welches man befolgen muss - das Überlebensprinzip:

„Töte schneller damit DU leben kannst.“

Das wird, so hoffe ich, irgendwann einmal nicht mehr das Leben bestimmen und dann wahrscheinlich nur noch sehr schwer zu verstehen sein. Aber jetzt ist es die Wirklichkeit in der wir leben müssen. Über Nacht war eine andere Welt entstanden die unsere bisherige Kultur und Werte völlig auslöschte!

Dabei war bei meiner Lebensplanung alles auf dem besten Wege gewesen: den Abschluss der Berufsausbildung in der Tasche, bald eine eigene Wohnung und meine Freundin mit der ich später einmal eine Familie gründen wollte… Das war von diesem Moment an vorüber.

Der Alptraum fing damit an, dass es wirtschaftliche Engpässe gab. So nannte man es zunächst in den Nachrichten. Aber das war ja an für sich nichts Außergewöhnliches. Bedenklich war nur, dass die weltweite Wirtschaft international kreuz und quer über den Globus verknüpft und völlig verschoben war. Die Macht im Lande hatten nun nicht mehr die Regierungen sondern zum Teil ausländische Firmen, die den Geldfluss lenken konnten und über Arbeitsplätze bestimmten. Die Abhängigkeit war enorm!

Als dann auch noch eine Energiekrise diese Leute unter Druck setzte, gab es ein paar sehr unschöne und heftige Reaktionen - nur um seine Machtposition und den Zugriff auf Ressourcen nicht zu verlieren. So konnten einzelne Konzerne beschließen, dass ganze Länder ohne Versorgung blieben. Stell’ dir vor du gehst jede Woche einkaufen um deinen täglichen Bedarf zu decken und es gibt so gut wie nichts mehr. Überall, in sämtlichen Läden. Das ging eine Weile gut bis der wenige Sprit einfach unbezahlbar wurde und nichts mehr nachkam. Die Wirtschaft blieb stehen und Reserven waren schnell verbraucht. Dann brach alles zusammen…

 

So kam es zu ersten Plünderungen, denn man hatte sich und seine Familie zu ernähren und niemand wollte was abgeben. Meine Eltern sind bei einem Versuch etwas zu organisieren nie mehr wiedergekommen.

In den Dörfern auf dem Land versuchte man sich zu organisieren und sich autark mit Hilfe der Landwirtschaft zu versorgen. Das ging so lange gut bis die Menschen aus den Großstädten kamen. Wir alle zusammen waren einfach zu viele. Während die einen angstvoll bereit waren alles zu tun um gemeinsam durchzukommen, nahmen die anderen eine Abkürzung: „Nimm’ dir was du brauchst und sei schneller!“ Ob als Einzelkämpfer oder in Banden - es war immer konsequent tödlich und ein Sieg für die Dreisteren. Viele gutherzige Menschen sind ihnen zum Opfer gefallen und als nur noch die Brutalen übrig waren, ist die Moral bei allen gekippt.

Ich schätze, dass von hundert Menschen nur zwei bis fünf übrig geblieben sind. Das letzte was man in den Radionachrichten hören konnte, war die Behauptung, dass es anderswo wieder besser wäre und bald Hilfe kommen würde. Das ist, wie schon gesagt, nun fünf Jahre her und ich glaube nicht mehr an einen neuen Anfang.

Ich werde nicht mehr auf eine Veränderung warten, sondern ich werde nun gehen! Am besten Richtung Süden und raus aus der tödlichen Kälte dieser Gegend hier. Denn gegen die Natur kann man nicht ankämpfen. Das muss ich gleich morgen früh Ben erzählen. Die Idee wird ihm bestimmt gefallen…

1. Tag

Ben war sogar mehr wie begeistert!!! Zumindest habe ich das an seinen Augen und Gesichtszügen deutlich erkennen können. Gesagt hat er wie immer leider nichts. Den ganzen Morgen waren wir intensiv am planen was wir für die Reise mitnehmen müssen. Hier in unserem kleinen Dorf haben wir ja genug von allem.

Die meisten Häuser stehen zum Glück noch, aber alle wurden aufgebrochen und die Scheiben der Fenster zertrümmert. Unser Ort unterscheidet sich somit nicht von anderen Ortschaften. Dennoch liegt er strategisch gut in einem kleinen Tal am Hang, umgeben von jede Menge Wald und ehemaligen Feldern, die längst überwuchert sind und zu einer schützenden Buschlandschaft mit vielen Tierpfaden verwildern. Für uns das ideales Versteck!

In einem der Häuser haben wir uns einquartiert. Mit allem Komfort den dieser Ort bietet. Denn Baumaterialien, Werkzeuge, Kleidung, Möbel, ja so ziemlich fast alles gibt es zur freien Verfügung in jedem Haus.

Dennoch sieht man von unserer Anwesenheit so gut wie nichts. Es kam nämlich oft genug vor, dass Fremde durch unser Dorf auf der Suche nach brauchbaren Vorräten zogen. Wehe die hätten Spuren von unserer Existenz entdeckt! So haben wir ein halb eingestürztes Haus ausgewählt in dessen niedergerissenem Teil wir unter dem Schutt ein Versteck eingerichtet habe - regensicher und warm verpackt. Geschlafen wird in einem Campingzelt. Das spart einem das Heizen im Winter. Und gewaschen wird sich in einer alten Wanne die Regenwasser aufnimmt - immer frisch!

Das Kochen ist natürlich auch so eine Sache, denn Rauch würde einen verraten. Somit geht der ganze Qualm in das Innere des restlichen Hauses wo es sowieso einmal gebrannt hatte. Das fällt kaum auf. Unsere Vorratskammern haben wir überall im Ort verteilt eingerichtet und gut versteckt. Denn als wir vor drei Jahren einmal völlig ausgeplündert wurden, war das ein echtes Desaster! Es sind nun aber nur noch wenige Restbestände der Konserven, die wir aus dem ganzen Ort zusammengetragen hatten, übrig. Und diese gehen bald zu neige.

Grundsätzlich müssen wir uns von dem ernähren was die Natur einem so bietet. Man hat ja sonst aber auch nichts zu tun. Keine Arbeit oder Schule, keine Verpflichtungen oder Vereine. Jede Menge Zeit, die man für das Fällen von Bäumen von Hand, das Kleinhacken der Stämme und Äste oder für die Ernte und Jagd verwenden muss. Was unser Dorf so besonders attraktiv macht, sind die vielen Obstbäume und der Fischteich unten im Tal - eigentlich mochte ich noch nie Fisch.

Säen und Ernten habe ich bald aufgegeben. Es ist auch viel zu gefährlich Spuren von Leben zu hinterlassen. Selbst ein frisch geschlagener Baumstumpf kann einen verraten und muss vorsorglich getarnt werden. Im Endeffekt hat man gelernt mit Ressourcen sparsam umzugehen. Zwar besitze ich auch eine Waffe mit ausreichend Munition. Aber ich benutze mein Gewehr nur zur Verteidigung wenn es mal gar nicht anders gehen sollte. Jeder Schuss ist unwiederbringlich. Da muss man schon einen guten Grund für haben…

Im Überfluss besitze ich jede Menge elektrische Geräte. Ob Haushalt oder Handwerk - es ist sogar alles mehrfach vorhanden. Blöderweise nur kein Strom und kein Sprit. Die geilsten Computer, Mobiltelefone und Fernseher! Wofür nur??

Einzig gut sind die vielen Klamotten. Okay - mehr wie die Hälfte davon ist eigentlich nicht für Männer. Das Problem ist nur, es wird danach keine Neuen mehr geben. Wenn mir beim Arbeiten etwas zerreißt, dann ist es nicht mehr zu gebrauchen. Mir fällt es am ehesten bei den Schuhen auf. Die halten nur wenige Jahre. So habe ich mir angewöhnt so oft als möglich ohne auszukommen. Was ja ganz nett ist im Sommer. Aber von Oktober bis in den April ist es nicht zu empfehlen barfuß zu laufen da man sich leicht eine Erkältung einholen kann. Und welcher Arzt soll mir dann helfen? Wer erledigt die Arbeit für das Überleben während ich Fieber habe?!

Jedenfalls waren Ben und ich heute durch alle Häuser und Schuppen gegangen um unser Reisegepäck zusammen zu stellen. In einem der Häuser haben wir tatsächlich noch die Überreste eines toten Mannes entdeckt. Man, habe ich mich erschrocken! Wenn man so ganz unvorbereitet eine Kellertür aufmacht und es fällt einem so ein vertrockneter, gelederter „Zombie“ entgegen… Dabei hatte ich ganz am Anfang, als ich mir den Ort wegen seiner guten Lage ausgesucht habe, sämtliche Leichen eingesammelt und in den Wald weggebracht. Denn schließlich möchte man ja nicht auf einem Friedhof leben. Nun, den hier hatte ich wohl übersehen.

Zusammengestellt haben wir nun folgende Sachen:

- ein leichtes Zelt (sogar in Camouflage)

- zwei große Rucksäcke

- leichte Regenjacken (nur vom Feinsten)

- jeder zwei Cargo-Hosen mit vielen Taschen

- ein paar gute Wanderschuhe (fast ungebraucht)

- unsere Schlafsäcke

- verschiedene lange Unterwäsche

- breite Schals zum Einwickeln des Gesichts

- wärmende Handschuhe

- jeweils zwei Pullover und T-Shirts

(die werden wir dann unterwegs abwechselnd waschen)

- mehrere Paar Socken gegen Blasen

- je zwei Satz Unterwäsche

(werden nach Bedarf getauscht und gereinigt)

Dazu noch folgende Ausrüstung:

- mein Gewehr mit der Munition

- dazu eine Machete mit Gürtel

- jeder ein Taschenmesser

- unsere Angelhaken mit Schnur

(die Angelrute muss vor Ort gebastelt werden)

- ein Dosenöffner, ein Topf und zwei Löffel

(für Teller ist kein Platz mehr)

- viele Streichhölzer und ein paar Kerzen

- eine Pinzette für Dornen heraus zu holen

- ganz wichtig: ein Fernglas

- dazu unsere restlichen Lebensmittelvorräte und Dosen

Andere notwendige Sachen werden wir uns bei Bedarf immer wieder unterwegs organisieren müssen, sonst wird es zu viel zum Tragen…

2. Tag

Heute Morgen mussten wir mit Erschrecken feststellen, dass es neu geschneit hat! Knöcheltief ist alles in eine weiße, saubere Fläche verwandelt worden. Völlig deprimiert haben wir den ganzen Vormittag drinnen verbracht. Frischer Schnee ist gefährlich. Ich mag Schnee überhaupt nicht - er verrät jede Spur. Da muss man Tage warten bis die Oberfläche von der Sonne und den neuen Spuren der Tiere derart verändert wurde, dass einem die verwischten Abdrücke von Menschen kaum auffallen.

Aber es gibt noch einen Grund warum ich Schnee nicht mag. Er macht mir noch ganz andere Sorgen - vielleicht bin ich auch nur zu skeptisch geworden mit den Jahren? Jedenfalls haben wir die Zeit genutzt unsere Vorräte für die Reise zu sortieren.

Auf unserer Wanderung werden wir Ortschaften möglichst meiden und auch kaum Straßen benutzen können. Nur wenn wir unbedingt wieder neues Essen benötigen werden wir uns in einem Ort umsehen. Dafür brauchen wir das Fernglas. Man sollte mindestens einen Tag lang einen Ort beobachten. Falls dort Menschen leben, wird man sie früher oder später auch zu Gesicht bekommen. Dann weiß man Bescheid, dass man besser weitergehen sollte. Denn wer weiß wie viele insgesamt in so einem Ort leben? Deswegen gehen Ben und ich im Moment auch nicht vor die Tür - falls jemand uns beobachten sollte.

3. Tag

Noch immer liegt Schnee und es hat sogar noch mal nachgeschneit. Wie eine glitzernde Kristallfläche glänzt die Landschaft bei strahlend blauen Himmel und eisiger Kälte. Ich kann mich an einen Skiurlaub erinnern bei dem ich morgens früh zum Sonnenaufgang eine solche Schneepiste alleine herunter gefahren bin - es war so traumhaft schön!

Wir blieben also immer noch im Haus und warten ab. Nur Ben wurde es allmählich zu eintönig. Kann ich ja verstehen. Ihm wäre eine coole Schneeballschlacht oder ein Spaziergang im Schnee bestimmt lieber. Aber so etwas geht eben nicht. Gelangweilt schaute er durch das dreckige Fenster zwischen den Gardinen hindurch nach draußen. Plötzlich wurde er nervös. Er ging einen Schritt zurück und ließ die Gardinen langsam vor sich zufallen. Wie gebannt starrte er in eine Richtung schräg nach links durch das Fenster.

Ich schaute ihm zunächst ganz ruhig aber dann immer mehr angespannt von hinten zu. Eigentlich wollte ich etwas Feuer machen damit unser Haus nicht gänzlich auskühlt. Das musste jetzt erst einmal warten. Wir beide waren ganz still.

Dann schnippte Ben zweimal mit den Fingern: unser vereinbartes Zeichen für höchste Gefahr! Ganz langsam schob ich mich hinter ihn zum Fenster und schaute in dieselbe Richtung wie seine Augen blickten. Da sah ich sie:

Mindestens vier junge Kerle, wenn nicht sogar noch mehr, schlichen sich mit Waffen in der Hand durch die Straßen. Dass sie nicht zu denen gehören, die „Bitte“ sagen, erkannt man gleich. Es war eine Jugendbande ohne festes Zuhause.

Die Kälte und der Schnee treibt sie in die Dörfer. Diese jungen Kerle sind in einem Umfeld aufgewachsen wo man ums nackte Überleben kämpfen muss. Am besten geht das in einer starken, großen Gruppe. Das gefährliche an ihnen ist nicht nur ihre Gewissenlosigkeit, sondern ihre Suche und ihr Verlangen nach Alkohol. Das zusammen ist eine absolut tödliche Mischung.

Zum Glück sind Ben und ich auf solch einen Vorfall eingerichtet. Unser Raum wurde schnell in ein scheinbar nicht benutztes Zimmer umgeräumt. Dann gingen wir flugs runter in den Kellerraum. Dieser ist hinter einem Spalt in einer Zwischenmauer versteckt, dass man ihn von außen nicht erkennen kann. Gleichzeitig haben wir von hier aus aber eine weitere Möglichkeit das Haus unbemerkt nach hinten verlassen zu können und uns zwischen den Häusern und Schuppen aus dem Staub zu machen…

Ich nahm mein Gewehr und die Munition mit. Dazu unsere Messer, die Schuhe und jeder eine Decke. Wir mussten uns heute Abend wohl oder übel in den Wald zurückziehen und dort übernachten. Ben schnappte sich noch schnell das neue Fernglas. Gute Idee, fand ich. Unten im Keller versteckt mussten wir nun erstmal abwarten.

Draußen streiften die Kerle durch die Straßen des Ortes. Sie schienen sich sehr sicher zu fühlen. Jeder von ihnen hatte mindestens eine Schusswaffe. Es mussten insgesamt so etwa acht oder neun Jungs im Alter von höchstens zwanzig Jahren sein. Und ein Mädchen war auch mit dabei - eine seltsame Truppe.

Nach und nach gingen sie in jedes Haus und schauten nach etwas Essbarem. Als sie in unser Haus kamen, fiel mir mit Schrecken ein, dass wir vergessen hatten unsere gesammelten Lebensmittel zu tarnen. Wir hatten sie zusammen mit den anderen zusammengetragenen Reiseutensilien im großen Zimmer einfach liegen gelassen!

Ein lautes Rufen von oben bestätigte meine Befürchtung - man hatte sie wie auf dem Präsentierteller entdeckt. Jetzt blieb nur zu hoffen, dass keiner auf die Idee kommen würde den Besitzer dieser Sachen zu suchen. Ben und ich verhielten uns mucksmäuschenstill und lauschten. Die komplette Meute hatte sich nun im Haus versammelt. Froh über diesen Fund machten sie sich sofort über das Essen her. Es herrschte reges Diskutieren und lautes Rufen während sich um die Verteilung der Lebensmittel gestritten wurde. Wir warteten weiter ab.

 

Als die Gruppe der jungen Leute am späten Abend immer noch im Haus war, wurde klar dass sie hier noch mindestens über Nacht bleiben werden. Im Schutze der Dunkelheit würden wir nun unseren Keller besser verlassen müssen. Ich schob mich zuerst durch den Lichtschacht hinaus. Draußen krabbelte ich unter den Fenstern entlang durch den weißen und eiskalten Schnee bis an die Hausecke. Danach schlüpfte Ben aus unserem Kellerversteck. Die Hauswand warf einen halbdunklen Schatten auf die vor uns liegende Fläche des Hofes.

Hinter ein paar Holzbrettern lagen vorbereitet ein paar Tannenzweige mit denen wir unsere Spur verwischten. Wir gingen vorsichtig an der Wand entlang bis zur nächsten Hausecke. Von dort waren es nur drei Meter bis in die Nachbarscheune durch die wir ungesehen den Ort verlassen konnten… Solange keiner zufällig hier draußen herumliefe, durfte das auch kein Problem sein. In meiner Hand hielt ich mein Messer dennoch einsatzbereit. Allein der Gedanke, dass jederzeit jemand aus dem Haus kommen könnte, erzeugte eine ungeheure Anspannung. Vorsichtig spähte ich um die Ecke. Niemand war zu sehen. Das Gegröle im Haus war unverändert.

Rasch ging ich die paar Schritte rüber in die Scheune. Kaum drüben angekommen blickte ich zu Ben zurück. Er hatte Angst - das sah ich. Ohne Worte nickte ich ihm mit Bestimmtheit zu - los doch!

Er sprang mit klopfendem Herzen zu mir herüber. Im selben Moment ging die Tür auf und ein Typ kam heraus. Schnell griff ich Bens Ärmel und zog in zu mir. Jetzt bloß nicht bewegen oder weglaufen. Sonst hätten wir die ganze wilde Bande hinter uns her gehabt.

Wir pressten uns an die Wand neben der Tür. Irgendwie schien dieser Kerl nichts Bestimmtes vor zu haben. Er lief herum als wenn er etwas suchen würde. Wenn er dabei allerdings in die Scheune gekommen wäre, hätte ich schnell handeln müssen bevor er hätte rufen können. Ich zog also mein Messer aus der Scheide und hielt es in meiner rechten Hand bereit…

Plötzlich blieb er genau auf der anderen Seite unserer Holzwand stehen. Ich hörte sogar seinen Atem während wir unbeweglich versuchten nicht das kleinste Geräusch zu erzeugen. Er fing an irgendetwas wegzuräumen um Holzscheite für den Ofen hervorzuholen. Als er ein paar vom Stapel genommen hatte, hörten wir wie er schnell wieder ins Haus ging und dabei fluchte: „…scheißkalt!“

Nun wurde es aber höchste Zeit sich zu verdrücken. Wir verließen den Ort indem wir rückwärts auf den Spuren unserer Besucher liefen. Nur geübte Spurenleser würden den Unterschied zwischen den frischen und den alten erkennen können. Im Wald angekommen begaben wir uns in unser Notquartier in der Höhle im Steinbruch. Wir kuschelten uns eng aneinander weil es hier draußen zwischen den Felswänden doch einiges kälter ist wie in den Häusern. Morgen werden wir weitersehen…