Forever Collide

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Aus der Reihe: Collide-Lovestory #3
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Ich verdrehe nur die Augen und esse etwas von der Lasagne.

„Er hat aber recht", sagt Carmen, während Dad ihr etwas auf den Teller legt. „Das ist wirklich beeindruckend. Jared meinte, dass du vorher in London warst. Wie kam es zu dem Wechsel?"

Bei der Erinnerung daran, dass ich für Aiden London hingeschmissen habe, verspüre ich einen kurzen Stich in meinem Herz..

„Wenn ich fragen darf!", wirft Carmen sofort ein. „Ich möchte dir nicht zu nahe treten, immerhin kennen wir uns gerade mal eine Minute."

Ich lächele beschwichtigend. „Schon okay. Ich denke, ich war in London einfach nicht so zufrieden, wie ich es hätte in New York sein können." Wenigstens ist es nicht ganz gelogen. Aiden lasse ich außen vor.

„Verstehe."

Carmen kommt mir wirklich sympathisch und nett vor. Ich würde sie auf Anfang vierzig schätzen und auch ihre Ausstrahlung strahlt etwas ungemein Unschuldiges aus. Mit den kleinen Falten um ihre braunen Augen sieht sie aus, wie eine Frau, die keiner Fliege etwas zu Leide tun könnte.

„Und, ähm", sage ich mit vollem Mund, zeige mit der Gabel zwischen ihr und Dad hin und her. „Was seid ihr jetzt? Ein Paar? Bereits verlobt?"

Dad lacht auf. „Verlobt? Schätzchen, bleib mal auf dem Boden der Tatsachen. Was sind wir denn Carmen?"

Sie zuckt mit den Schultern und kichert leise. „Was glaubst du denn, Jared?"

„Ich glaube, wir sind ein Paar."

Wieder kichert sie fast schon jugendlich. „Dann glaube ich das auch."

Dad sieht mich an. „Wir sind ein Paar."

Ich lächele und versuche ihnen zu zeigen, dass ich mich tatsächlich für sie freue, während sie mir erzählen, wie sie sich in dörflichen Supermarkt getroffen und sich sofort ineinander verknallt haben. Es fällt mir einfach schwer, mich – auch wenn es um meinen Vater geht – für anderer Menschen Liebesglück zu freuen, während meines gerade den Bach hinunter geht.

Ich wünsche mir, ich wäre Zuhause. Doch gleichzeitig realisiere, dass ich Zuhause bin und das ist der schlimmste Teil an der ganzen Sache. Aiden ist noch immer mein Zuhause und das verbreitet in mir verdammte Panik. Alles hier erinnert mich an ihn. Vor nicht einmal zwei Monaten saßen wir hier an dem Tisch mit meinem Vater und wir haben ihm erzählt, wie wir uns kennengelernt haben. Es passiert alles viel zu schnell.

Ohne mich anzukündigen fahre ich mit Dads Auto zu Scar und Dannys Wohnung. Dad hat mir die Adresse gegeben und ich möchte sie überraschen. Sie weiß nicht, dass ich über meinem Geburtstag in England bin und ich hoffe, sie freut sich.

Ich komme an einem mehrstöckigen Haus an, in dem ihre und Dannys Wohnung sein soll. Es sieht nicht wirklich gemütlich von außen aus, doch dass die beiden sich kein Apartment wie Aiden leisten können, hat auch keiner erwartet. Wieder denke ich an ihn. Ich muss aufhören alles mit ihm zu verbinden, das tut mir nicht gut.

Ich klingele an der kleinen Klingel unten an der Tür, an der Scarlett Haymann und Danny Dunn steht. Danny Dunn. Er heißt Danny Dunn. Den Namen hat er wirklich verdient. Ich hoffe, dass er nicht Zuhause ist, ich würde den Abend gerne alleine mit Scar verbringen.

„Hallo?", höre ich Scars Stimme aus dem kleinen Mikrofon neben der Klingel.

„Hier ist eine alte Freundin", begrüßte ich sie glücklich darüber wieder ihre Stimme zu hören.

„Johanna?"

„Nein, Ravely!"

„Ich mach doch nur Spaß! Komm hoch!" Ein lautes Surren ertönt und ich kann die Tür öffnen.

Lächelnd betrete ich das Haus und laufe bis in den zweiten Stock. Der Fahrstuhl ist defekt. Die Wände sind alle extrem kahl und grau, es sieht fast schon unheimlich aus, weil es bald dunkel wird.

Eine Tür im Flur öffnet sich und Scar lächelt mich an. „Ich bin hier, Ravely!"

Ich gehe zu ihr und wir fallen uns in die Arme. Mir fällt sofort auf, dass ihre Haare stark gewachsen sind, sie gehen ihr jetzt schon bis zu den Schultern und sie hat etwas abgenommen.

„Wie kommt es, dass du in England bist?", fragt sie grinsend und führt mich durch einen Flur in das kleine Wohnzimmer, das eigentlich recht stylisch aussieht. Es ist in rot und weiß gehalten, fast schon zu schön, um Danny zu gehören. „Keine Angst, Danny ist nicht hier", lässt sie mich wissen, als sie merkt, dass ich meinen Blick suchend herum schweifen lasse.

„Nichts für ungut, aber, zum Glück", lache ich und wir lassen uns auf die rote Couch fallen.

Scar richtet sich etwas den Pony, während sie fragt: „Ja, ich versteh’ schon. Also erzähl‘ mal. Wie kommt's?"

„Dad hat mich eingeladen sozusagen. Damit ich meinen Geburtstag nicht alleine feiern muss."

Sie runzelt die Stirn, jetzt liegt ihr der Pony komplett über einem Auge. Vielleicht sollte sie sich den mal schneiden lassen. „Wieso alleine? Du hast doch Aiden."

Ich schürze die Lippen und lasse meinen Blick auf den Teppichboden sinken.

„Warte", sagt sie. „Ihr seid doch nicht etwa...?"

Ich zucke nur mit den Schultern. „Doch, ich denke schon." Ich darf jetzt nicht wieder einen auf Trauerkloß machen. Ich kann nicht überall schlechte Laune verbreiten.

„Das ist ja beschissen ... Und wo wohnst du jetzt?"

„Bei einem Freund in New York. Aber lass uns über etwas anderes reden, ja? Sag du mal, wie es bei dir so läuft – Sag mal, hast du irgendwelche Zuckungen?", frage ich amüsiert, während Scar sich immer wieder den Pony vor das eine Auge schüttelt.

„Ähm, nein, ich komme einfach nur noch nicht mit diesen langen Haaren klar", lacht sie leicht und wischt sich kurz den Pony weg.

Ich runzele die Stirn. „Scar, was war das?"

„Was?" Wieder liegt der Pony vor dem Auge.

„Hast du da ..." Ich komme ein Stück näher, sie rückt weiter weg. „Hast du ein blaues Auge?"

Schnell sieht sie weg. „Ja, ha ha! Ich bin gegen eine Tür gelaufen, lustig, nicht?"

Doch meine Stirn liegt noch immer in Falten. „Gegen eine Tür gelaufen? Du warst schon immer eine schlechte Lügnerin."

„Warum sollte ich lügen?"

„Ich weiß nicht ... Wie läuft es denn so mit Danny?"

Fast schon ertappt verzieht sie die Lippen. „Es läuft fantastisch. Er liebt mich, ich liebe ihn."

Skeptisch mustere ich sie. „Und du bist glücklich?"

„Ja, ich bin glücklich. Mensch, was fragst du denn für komische Dinge?"

Ich rücke näher zu ihr und streiche ihr vorsichtig den Pony von der Stirn, betrachte das blau-grüne Auge, das schon einen lila Stich hat. „Bist du dir sicher, dass das eine Tür war?"

Traurig nickt sie nur, legt sich wieder den Pony vor’ s Gesicht.

Ich schweige kurz, dann sage ich: „Er hat dich geschlagen, nicht wahr?"

Scar lacht auf und streicht sich wieder den Pony vor ihr Auge. „Mich geschlagen? Schwachsinn."

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass du so ein heftig blaues Auge durch einen Zusammenstoß mit einer Tür bekommst."

Sie schweigt, dann seufzt sie und lässt die Schultern hängen. „Es war nur einmal."

Ich reiße die Augen auf. „Was?", frage ich laut. „Dieser ... Wieso? Geht's ihm noch ganz gut?"

„Ravely, beruhig dich ... Es war wirklich nur einmal. Er war betrunken und ich habe ihn provoziert."

„Na und? Welcher Mann schlägt seine Freundin? Und dann auch noch so, dass du aussiehst, als wärst du vom Balkon geflogen! Scar, dieses Arschloch gehört in die Klappse!"

Betroffen sieht Scar auf ihren Schoß. „Er hat sich schon unendlich mal dafür entschuldigt, wirklich. Ihm tut das sehr leid und ich weiß, dass er mich liebt. Und das ist doch das Wichtigste."

Unglaubwürdig betrachte ich sie. „Ich will dir jetzt nicht deine Vorstellung von einer schönen Beziehung versauen, aber glaubst du wirklich, dass er dich liebt, wenn er dich schlägt? Sieh dich doch nur an ... Das sieht grauenvoll aus."

„Er sagte, es tut ihm leid ... Er hat mir viele Blumen gekauft und so was. Und er hat mir versprochen, dass er es nie wieder tut."

„Scar ... Dieser Kerl kommt mir einfach sehr suspekt vor. Allein damals in der Bar ist er ja schon wegen einer Kleinigkeit ausgetickt." Damals als ich noch mit Aiden zusammen war. „Du warst doch früher nicht so schwach, die Jungs zu verlassen, die dich schlecht behandeln."

„Diesmal war es anders", sagt sie leise. „Ich liebe ihn, Ravely. Ich liebe ihn wirklich und ich bin mir sicher, dass er mich auch liebt, obwohl er manchmal Stimmungsschwankungen hat und böse wird."

Ich verziehe den Mund und betrachte sie zweifelnd. „Okay ... Aber wenn er das noch einmal tut, dann tu dir bitte selbst den Gefallen und verlass ihn. Das hast du nicht verdient. Keine Frau hat das verdient."

Sie sieht mich nur bedrückt an und nickt.

Dann hört man das Schlüsselloch knacken und wie die Tür sich öffnet. Danny kommt in verschmierten Arbeitsklamotten um die Ecke und sieht zu uns. „Ah, Ravely", grüßt er mich widerlich und setzt sich neben Scar auf die Couch, legt einen Arm um sie. „Schön, dich mal wieder zu sehen."

Jetzt, wo ich weiß, was er Scar angetan hat, hasse ich ihn noch mehr. Ich versuche nicht einmal freundlich zu klingen. „Danny."

Scar lehnt sich in seinen Arm und lächelt etwas schief.

„Wie kommen wir zu der Ehre, dich mal wieder zu sehen?", fragt Danny.

Ich will ihm ins Gesicht spucken. „Ich wollte Scar besuchen."

„Wie nett, nach zwei Monaten. Wo hast du denn deinen kleinen Freund gelassen?" Sein Grinsen widert mich so an.

„Er ist nicht hier." Ich sehe zu Scar. „Scar, ich werde wieder gehen. Ich wollte nur kurz Hallo sagen, ich habe noch ein wenig zu tun zu Hause", lüge ich und stehe auf. „Ich schreibe dir wegen meinem Geburtstag, ja?"

 

Sie nickt lächelnd. „Na klar."

„Ich bringe sie zur Tür", wirft Danny ein und stemmt sich auf.

„Nicht nötig, Danny", sage ich und gehe zur Tür.

„Doch natürlich. Ich bin stets gastfreundlich." Er folgt mir zur Tür und hält sie mir auf.

Ich sehe ihn ein letztes Mal missbilligend an und will gerade raus, da packt er meinen Arm und zieht mich vor die Tür, schließt sie hinter uns.

„Was zum", fluche ich und befreie mich aus seinem festen Griff.

„Jetzt pass mal auf", knurrt Danny und presst mich gegen die Wand, umfasst wieder fest meinen Oberarm. „Wahrscheinlich bist du nicht blöd genug, damit dir ihr kleines blaues Auge nicht aufgefallen ist und ich bin mir auch sicher, dass sie dir davon erzählt hat." Er hält seinen Finger vor meine Nase. „Aber ich sage dir eine Sache: Solltest du ihr nur ein beschissenes Wort einreden und sie mich verlässt ... Ich schwöre dir, das wird Konsequenzen hinter sich herziehen. Misch dich gefälligst nicht in fremde Angelegenheiten ein, sondern kümmere dich um dein eigenes Drecksleben, verstanden?"

Wieder versuche ich seinen Griff von meinem Arm zu nehmen und funkele ihn böse an. „Du denkst, ich lasse zu, dass du meine beste Freundin schlägst? Was fällt dir eigentlich ein, lass mich verdammt nochmal los", zische ich.

Er grinst wieder widerlich. „Du bist schwächer als ich, versuch es erst gar nicht."

„Und du bist schwächer als ich, wenn ich zur Polizei gehe."

Sein Griff wird fester und er drückt meinen Rücken wieder fast schmerzvoll gegen die Wand. „Rufst du die Polizei, wirst du sehen, was du davon hast!"

Ich kneife die Augen zusammen. „Was habe ich denn davon? Wirst du mich dann auch schlagen?"

Ein Lächeln ziert wieder seine Lippen. „Wer weiß. Gut möglich. Ich hatte es noch nie so mit einem reinen Gewissen."

„Du bist doch krank." Ich winde mich wieder unter seinem Griff. „Wie konntest du Scar nur dazu bringen sich in dich zu verlieben?"

„Ich bin ein kleiner Charmeur", säuselt er mir zu und der Druck an meinem Arm wird leichter. „Und außerdem ist Scar naiv."

„Jemandem Liebe vorzuspielen ist nicht charmant."

Jetzt streicht er meinen Arm entlang und sieht darauf. „Vielleicht solltest du wissen, dass ich sie wirklich liebe." Er sieht mich an. „Deswegen werden die Konsequenzen umso größer, wenn sie mich wegen dir verlässt."

Ich kann ihn jetzt endlich wegschupsen, weil er mich nicht mehr festhält und gehe von ihm weg, richte meine Jacke wieder. „Du bist widerlich, Danny. So verdammt widerlich."

„Sie hat sich schon mal für mich entschieden!", ruft er mir hinterher. „Und ich bin mir sicher, dass sie es nochmal tun wird!"

Wutentbrannt gehe ich die Treppen hinunter und setze mich wieder in das Auto meines Vaters. Es ist so kalt, ich sehe meinen eigenen Atem. Dannys letzter Satz spielt sich die ganze Zeit in meinem Hinterkopf ab und ich schenke ihm kurz glauben, doch diesmal bin ich mir sicher, dass er Unrecht hat. Scar wurde schon zu oft von ihm gedemütigt, nochmal würde sie das nicht mehr mitmachen.

Ich stütze mein Kopf in meiner Hand ab, während ich durch das dunkle kalte Aldbury fahre. Ich wünschte Aiden wäre hier. Ich wünschte, ich könnte mit ihm über die ganze Sache reden und seinen Beistand haben. Ich wette, er hätte sofort den perfekten Rat und wüsste sofort was zu tun ist. Er würde mir einfach helfen und mir beistehen. Einfach mein Retter in der Not sein.

Mein Handy brennt schon in meiner Hosentasche. Ich habe es immer dabei, obwohl es ausgeschaltet ist. Vielleicht sollte ich ihn doch mal anrufen ... Ihn wenigstens fragen, wieso sein Name nicht mehr auf seinem Buch steht. Fragen, wie es ihm geht, was er so macht. Ob er glücklich oder traurig ist.

Aber ich habe einfach Angst vor der Antwort. Was, wenn er zufrieden ist? Wenn er jetzt mit Angie zusammen ist, mit ihr zusammen gezogen ist oder irgendetwas derartig abscheuliches.

Ich muss es wissen, ich muss es einfach wissen. Ich habe ihn jetzt fast eine Woche nicht mehr gesehen, nicht mehr seine Stimme gehört, ich muss jetzt einfach wissen, was er macht und fühlt.

Ich bleibe am Straßenrand stehen und schalte den Motor aus. Ängstlich, fast zitternd, ziehe ich mein Handy aus der Hosentasche. Soll ich das wirklich tun? Ja. Ja, ich sollte es wirklich tun. Ich schalte es ein und warte.

Einundzwanzig entgangene Anrufe und eine Nachricht auf der Mailbox. Neunzehn davon von Aiden, die anderen von Dad.

Mir schießt das Blut in den Kopf und alle Luft entweicht aus meinen Lungen. Er hat mich so oft versucht zu erreichen. Ich bin gleichzeitig enttäuscht und froh, dass ich mein Handy ständig aus hatte und ich nicht abheben konnte. Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn wir wirklich geredet hätten.

Schluckend gehe ich auf die Nachricht auf meiner Mailbox. Mein Finger kreist über dem ‘Abspielen’ Knopf. Bin ich schon bereit seine Stimme wieder zu hören? Zu hören, was er mir zu sagen hat?

Ich habe Angst. Ich habe wirkliche Angst. Die Nachricht ist von letzter Nacht, zwei Uhr morgens. Wieso ruft er um zwei Uhr morgens an?

Vielleicht hatte er wieder einen Albtraum. Vielleicht ist er aufgewacht und erzählt mir jetzt, wie erbärmlich ich bin, dass ich ihn während seiner Trauer um Tammy einfach verlassen kann.

Ich drücke die Nachricht weg. Mir schießen die Tränen in die Augen. Ich bin ein Feigling, ich bin ein verdammer Feigling. Ich kann mir nicht einmal seine Vorwürfe meiner Entscheidung, ihn zu verlassen, anhören. Ich hätte es verdient, zu wissen, wie es ihm geht. Aber er ist doch derjenige, der alles versaut hat, nicht ich ... Ich bin doch die gepeinigte. Oder?

Kurzerhand wähle ich seine Nummer. Ich weiß nicht, wieso ich das tue und ich weiß eigentlich gar nicht, wieso ich ihn sprechen möchte, aber ich tue es einfach. Es ist halb acht Uhr abends, er muss eigentlich Zuhause sein.

Doch ich werde nur mit der Mailbox verbunden. Ich spiele kurz mit dem Gedanken aufzulegen, doch ich fange nach dem langen Piepton an zu reden, .

"Hallo", sage ich mit weinerlicher Stimme in die Leitung. "Hier ist Rave ... Ravely ..." Ich schniefe. "D-Du hast mal zu mir gesagt, dass ich dich immer anrufen kann, wenn ... wenn ich dich brauche", schluchze ich jämmerlich. "ich sitze in einem verlassenen Auto und spreche auf deine Mailbox... A-Aiden, ich ... Es geht mir nicht gut ... Gerade habe ich einer diese Momente, in denen ich - Keine Ahnung - in denen ich verloren scheine und, und irgendwie ... irgendwie suche ich immer noch nach dir, wenn es mir schlecht geht ... Ich bin schwach, weil ich auf deine Mailbox heule, ich weiß ...." Ich reibe mir über die Stirn, atme tief ein und aus, versuche mich zu beruhigen. "E-Es war ein Fehler, dass ich dich angerufen habe, tut mir leid ... Wahrscheinlich bist du zu sehr mit dem Verkauf von deinem Buch beschäftigt ... oder hängst irgendwo in New York rum ... ich wollte dich dabei nicht stören ... i-ich - Mach's gut, Aiden."

Aiden

Trotz der angespannten Situation zwischen Susan, meinem Dad und mir heute Morgen, haben sie mir Geld gegeben, damit ich wenigstens mit dem Zug nach Holmes Chapel fahren kann. Mit meinem Auto wären die Kosten des Benzins zu teuer und da ich wahrscheinlich in Holmes Chapel bleiben werde, brauche ich auch kein Fahrzeug, um zurück zu kommen. In diesem kleinen Dorf kommt man überall zu Fuß hin.

Ich hasse den Gedanken, dass mir nichts anderes übrig bleibt, als zurück zu meiner Mutter zu ziehen. Ich war mehr als froh, dass ich in London endlich ein eigenes Leben leben konnte und jetzt kann ich nicht mal mehr aufs College gehen. Ich muss wieder ganz von vorne anfangen.

Außerdem hat mich während der Zugfahrt mein alter Verlag angerufen und mich wissen lassen, dass der komplette Verkauf von ‘Als wir unendlich waren’ in England gestoppt wurde, weil sie ja jetzt, genauso wie ich, die Rechte daran verloren haben. Dieses Arschloch von Black Poe haut wirklich richtig auf die Kacke. Es war mir zwar schon vorher klar, dass so etwas passieren wird, aber ganz realisieren kann ich es erst jetzt. Ich habe tatsächlich ‘Als wir unendlich waren’, meine Seele, verloren.

„Willst du einen Kaffee, Liebling?", fragt mich meine Mutter fürsorglich, als ich mich an den Esstisch im Wohnzimmer setze. Sie hat von der ersten Sekunde an gemerkt, wie es mir geht. Ist auch nicht zu übersehen.

„Ja", murre ich leise und stemme den Kopf in die Hand. Ich bin heute Morgen um sechs Uhr wieder aufgewacht und hatte den verdienten Kater. Wenn ich daran denke, wie ich Raven letzte Nacht auf die Mailbox gequatscht habe, könnte ich sofort wieder kotzen. Nicht, dass mein Magen sowieso nach letzter Nacht komplett leer ist. Auf jeden Fall kann ich echt nicht verstehen, wieso sich mein Vater jedesmal betrinkt, wenn es ihm schlecht geht.

Mit einem sorgenden Blick stellt meine Mutter eine Kaffeetasse vor mich und setzt sich mir gegenüber. Ich ziehe mit die Tasse heran und trinke einen Schluck. Und als könnte es nicht schlimmer kommen, verbrenne ich mir auch noch die Lippen.

„Mach langsam", sagt meine Mutter. „ ... Du siehst wirklich nicht gut aus, Aiden."

Ich richte mich etwas mehr auf. „Mir fehlt Schlaf."

Kurz schweigt sie, dann meint sie: „Dein Zimmer ist oben noch eingerichtet, wie du es damals verlassen hast. Soll ich dir irgendetwas geben, damit du besser schläfst?"

Ich schüttele den Kopf. „Nein, ich bin kein Fan von Schlaftabletten."

Robin kommt die Treppen herunter. „Aiden, schön dich zu sehen!" Er setzt sich neben meine Mutter an den Tisch. „Hast du nochmal über mein Angebot nachgedacht? Ich habe schon mit meinem Chef gesprochen."

Ich starre in die gefüllte Tasse vor mir. Ich hasse es, dass ich das sagen muss. „Ja, habe ich, auf dem Weg hier her. Ich denke, mir bleibt nichts anderes übrig, außer zuzusagen."

Er nickt und sieht mich gleichzeitig mitleidig an. „Okay, dann werde ich nachher sofort anrufen. Wenn du möchtest, kannst du morgen nochmal Zuhause bleiben, damit du dich ausschlafen kannst, du siehst sehr erschöpft aus."

„Nein, ist schon in Ordnung. Ich werde morgen kommen."

„Einverstanden. Um sieben Uhr macht der Laden auf und wir müssen um halb sieben da sein. Sei bitte um viertel nach sechs fertig, damit wir fahren können, ja?"

Wieder nicke ich nur stumm. Die Vorstellung, dass ich ab morgen ein verdammter Mitarbeiter in einem Baumarkt sein werde, kotzt mich an. Vor einer Woche war ich noch ein halbwegs erfolgreicher Schriftsteller in New York und jetzt bin ich .... für mich ist das einfach nichts. Ich schreibe, ich räume keine Regale ein.

„Habt ihr vielleicht noch ein Handy für mich?", frage ich Mum und Robin, fast schon beschämt darüber, wie widerlich ich schnorren muss. „Meins ist letzte Nacht kaputt gegangen." Es ist mir nicht ganz ausversehen in den Whiskey gefallen, nachdem ich Raven angerufen habe.

Mum nickt. „Ja, ich habe noch eins. Aber das ist nicht mehr das neuste."

„Das macht nichts. Ich muss nur Leute erreichen können."

Es herrscht wieder Stille am Tisch. Es ist mir so scheiße unangenehm, dass ich hier sitze wie ein Haufen Elend und Robin und Mum mich anstarren, als hätten sie mich von der Straße geholt. Theoretisch haben sie das ja. Sie haben Mitleid mit mir und das nervt mich.

„Sag’ mal", sagt Mum nach einer Weile vorsichtig und spielt mit ihren Fingern. „Was ist eigentlich mit Ravely?"

Ich sehe sie nicht einmal an. Wie oft muss ich diese Scheiße noch aussprechen? „Sie hat sich von mir getrennt."

Ich höre meine Mutter nach Luft schnappen. „Oh."

„Ja", lache ich bitter auf. „Oh."

„Und ... Wieso?"

„Sie denkt, ich habe sie mit einer Kollegin betrogen."

„Und hast du?"

Ich sehe sie jetzt an. „Nein, natürlich nicht!"

Mum schürzt die Lippen. „Tut mir leid."

Ich will mir eine reinhauen. Ich will mir selbst aufs Maul hauen und mir die Prügel verpassen, die ich verdammt nochmal verdient habe. Jetzt meckere ich auch schon meine eigene Mutter an. Die, die mir ihr verdammtes Geld gegeben hat?

„Nein, sorry, Mum, mir tut es leid", seufze ich und stemme wieder den Kopf in die Hände. „Es ist einfach nur ... Es geht mir richtig beschissen."

„Das verstehen wir, Aiden", sagt jetzt Robin. „Und egal, was in New York passiert ist, wir sind immer noch hier. Deine Mutter und ich sind immer für dich da."

Leicht lächele ich ihnen zu, als meine Mutter nickt. „Danke ..."

Daraufhin erzähle ich ihnen alles. Von der Trennung mit Raven bis zu dem Verlust der Rechte meines Buches. Sie verstehen jetzt, wieso ich die neuntausend Dollar gebraucht habe und was mich noch mehr überrascht, sie sind nicht einmal böse auf mich. Ich dachte, meine Mutter würde in Tränen ausbrechen, wenn ich ihr erzähle, aus welchem Grund ich diese hohe Strafe zahlen musste, doch sie hat mich einfach verstanden.

 

Sie meinte, es sei normal, dass man sauer wird, wenn man wegen einem Fehler verlassen wird, den man nicht begangen hat, aber sie selbst würde daraufhin niemals eine riesige Firma stürmen, doch sie kann mich wirklich verstehen. Zwar erleichtert das mein Gewissen auch nicht wirklich, doch wenigstens bin ich jetzt nicht mehr ganz so ... allein.

Spät am Abend gehe ich mit meinen Taschen in mein altes Jugendzimmer und lasse mich auf mein Bett fallen. Wer hätte gedacht, dass ich wieder hier sein werde, weil ich am Arsch bin? Als ich das letzte Mal in diesem Bett lag, war ich noch zuversichtlich und hatte meine erfolgreiche Zukunft vor mir. Jetzt bin ich ein Mann, der alles verloren hat, was ihm verdammt nochmal wichtig war.

Ich denke darüber nach zu sterben, doch das will ich eigentlich gar nicht, nicht einmal annähernd. Eigentlich ist mein Problem das komplette Gegenteil. Ich will leben. Ich will endlich flüchten können. Diese ganze Scheiße scheint kein Ende zu nehmen und das einzige, das passiert, ist dass es von Tag zu Tag schlimmer wird. Von Tag zu Tag passiert mehr, dass mir auf den Schultern lastet. Und ich stecke einfach in dieser verdammten Blase des Kummers, die mich nicht herauslassen will. Ich weiß einfach nicht, was ich tun soll oder wie ich aus dieser beschissenen Blase verschwinden kann.

Und jetzt sitze ich hier und starre die Decke an, versuche nicht an all diesem Druck um mich herum zu ersticken, während Raven irgendwo da draußen ist und ich nicht weiß, was sie tut. Ich weiß nicht, wie sie auf meine Nachricht reagiert und ich weiß nicht, wie sie sich fühlt. Ihre Prüfungen müssten bereits vorbei sein und sie hat jetzt eine Woche keinen Unterricht, das weiß ich. Aber mehr ist es nicht. Mehr ist es scheiße nochmal nicht.

Mir bleibt nichts anderes übrig, außer in diesem Bett zu liegen und mir immer wieder das Video anzusehen, indem sie sagt, dass sie mich liebt. Sie fehlt mir so sehr, es brennt in meinem ganzen Körper. Wie konnte das alles nur so weit kommen?

Ich hoffe, dass Alec recht hatte, als er sagte, dass das Schicksal sie und mich zusammen führen wird. Ich war nie ein großer Verfechter des Schicksals, doch eigentlich bleibt mir nichts anderes übrig, außer daran zu glauben. Es ist die einzige Hoffnung, die ich noch habe, also sollte es mir besser beistehen. Das letzte Mal sehe ich um drei Uhr morgens auf die Uhr. Irgendwann schlafe ich ein.