Zu zweit auf See

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UMS CABO VILÁN

Von Johannes

Am Tag unserer Abfahrt aus La Coruña liegt morgens überraschend die QUEEN VICTORIA direkt neben uns an der Pier. Das Schiff sieht ihrer Schwester, der QUEEN MARY 2, ziemlich ähnlich, und natürlich werden bei uns sofort nostalgische Erinnerungen an unsere Reise auf dem Schiff wach. »Sie muss in der Nacht angelegt haben«, meint Cati. »Schade, dass wir das verschlafen haben.«

Wieder steht der Wind von vorn, und der Weg ums Kap zieht sich. Ich erinnere mich an Wilfried Erdmanns Buch Tausend Tage Robinson, in dem er einen schweren Sturm vor dem Kap Finisterre beschreibt, in dem seine KATHENA 2 kenterte und die großen Fensterscheiben eingedrückt wurden. Dieses Kap liegt allerdings noch ein Stück weiter südlich, und erst einmal ist das Cabo Vilán unser Ziel. Auf diesem 104 Meter hoch gelegenen Plateau steht einer der ältesten Leuchttürme Spaniens. Und wir müssen uns jede Seemeile dorthin erkämpfen, denn aus dem Atlantik laufen große Wellen heran, in denen wir uns unter Maschine immer wieder feststampfen. An Segeln und Kreuzen ist nicht zu denken. »Cabo Vilán«, überlege ich. »Bedeutet das vielleicht dasselbe wie das englische Wort ›villain‹, also Gegenspieler, Schurke? Das würde ganz gut passen.« Obwohl wir früh am Morgen gestartet sind, wird es Nacht, bis wir das Kap endlich runden. Die Tide schiebt von vorn, und wir machen kaum mehr als zwei Knoten über Grund. Wir halten uns gut zwei Seemeilen von dem Kap frei, also eine Stunde zusätzliche Fahrt, und gehen dann auf Kurs Süd. Die karge, felsige Küste setzt sich kaum gegen die stockdunkle Nacht ab. Unser Ziel ist der kleine Fischerhafen Camariñas. Der Name klingt nett, und der große Wellenbrecher rund um den Hafen sieht so aus, als würde er für eine ruhige Nacht sorgen. Auf dem Kurs in die Bucht hinein wirken die Gezeiten nun zu unserem Vorteil und schieben gewaltig. Wir motoren mit gut 6 Knoten über Grund, navigieren einen großen Bogen und fahren hinein in den Hafen. Am Morgen bekommen wir dann einen großen Schreck, denn die ganze Bucht ist voller Fischfallen, deren Schwimmer eine Gefahr für unseren Propeller darstellen. In der Nacht haben wir diese aber offenbar alle verfehlt.

Mittlerweile hat der Wind abgeflaut, und auch die Wellen sind kleiner. Wieder steht uns ein Tag unter Motor bevor. Langsam würden wir gern mal wieder segeln. Aber das Vorankommen ist im Moment wichtiger, und wir müssen jedes Wetterfenster nutzen. Das Kap Finisterre umrunden wir bei herrlichem Sonnenschein und sehen einige Pilger am Wasser, denn hier am Kap endet der Jakobsweg. Kurz darauf biegen wir in den ersten der wundervollen Rías ein. Das sind Flussläufe, die hier im Nordwesten Spaniens Einschnitte ins Binnenland bilden und die wir uns eigentlich gerne zwei Wochen lang angeschaut hätten. Doch dafür ist keine Zeit mehr, da wir vier Wochen in Viveiro verloren haben.

Unser Ziel ist Muros. Wieder ein kleiner galicischer Fischerort und zugleich Hauptsitz der größten Fischereigenossenschaft der Region. Außerdem liegen im Ría Muros unzählige Muschelfarmen, deren Erzeugnisse regelmäßig abgeerntet und in der Fischauktionshalle verkauft werden. Mit großen, aber offenbar lebensmittelechten Schaufelbaggern werden die Muscheln auf den Umschlagplätzen zusammengeschoben und verladen. Die Geruchsentwicklung ist enorm. Aber der Fischerhafen liegt zum Glück im Lee des Yachthafens, und so trägt der leichte Westwind das Schlimmste davon. Die Marina ist relativ eng, aber glücklicherweise ziemlich leer. Ein Schiff, das darin liegt, kennen wir. Wir freuen uns riesig, die LILLY-MARIE wiederzusehen, und werden auch gleich wieder an Bord eingeladen. Jola hat mal wieder Kuchen gebacken. »Mensch, endlich liegen wir auch mal im selben Hafen«, freut sich Thomas. »Dann können wir heute Abend ja mal ein Bier zusammen trinken.« Die Idee wird schnell zum festen Plan, denn die Marina bietet dafür sogar einen Aufenthaltsraum mit mehreren Sofas. Kurz nach unserem Einlaufen gibt es noch einmal ein großes Hallo am Steg, denn der französische Katamaran KALAO, der neben uns in La Coruña lag, läuft ein. Er ist am selben Tag wie wir losgefahren, hat aber mit dem Ablegen bis zum Nachmittag gewartet, wenn der Wind abflauen sollte.

Kaum liegt die KALAO an der Pier, verschwindet Lilly an Bord und spielt mit ihren Freundinnen Toscane und Charline. Und wir machen uns auf den Rückweg zu unserem Boot, um klar Schiff zu machen. Als wir dann am Abend im Aufenthaltsraum der Marina sitzen, lernen auch wir Laurent und seine Frau Cécile kennen. Ein faszinierender Mann, mit dem ich einiges gemeinsam habe. Er hat Schiffbau studiert und im Gegensatz zu mir das Studium abgeschlossen. Viele Jahre war er anschließend Redakteur beim französischen Multihull Magazine, hat dann aber sein Leben geändert und Schweine gezüchtet. Solange seine Töchter klein sind, wollte er gerne noch mal eine Segelreise machen, hat daher sein Haus verkauft und in England einen beschädigten zwölf Meter langen Katamaran der Marke Edel gekauft. Seit einigen Monaten lebt die Familie nun an Bord und ist über Frankreich nach Spanien gesegelt. Das Ziel? »Irgendwohin, wo es warm ist.«

»Wir sind wirklich die letzten Deppen, die dieses Jahr noch den Weg ins Warme wagen«, fasst Thomas unser Schicksal zusammen. Darauf trinken wir einen Wein. Und dann noch einen. Die Stimmung ist hervorragend. Wir lachen, plaudern übers Leben und Boote, prosten uns zu und trinken, bis gegen 4 Uhr morgens die allerletzte Flasche leer ist – auch der Nachschub, den wir immer wieder von den Schiffen geholt haben. Sturzbetrunken klettern wir alle zurück an Bord und fallen in einen tiefen Schlaf.

Der nächste Tag beginnt nicht vor dem Mittag. Dort, wo sich einst meine Augen befunden haben, sitzen tiefrot glühende Kohlen in tiefen Höhlen. Zum Glück regnet es. Sonst wäre es noch heller. Cati liegt neben mir mit offenem Mund in der Koje und schläft noch tief und fest. Irgendwie schäle ich mich an ihr vorbei in den schmalen Gang, der in den Salon führt, und stolpere zum Herd. Wasser, Kessel, Filter, Kaffee. Irgendwie bekomme ich noch alles zusammen, setze Wasser auf und lege mich dann noch mal auf die Salonkoje. Dabei stolpere ich über meine Hose, die auf halbem Weg auf dem Boden liegt. Die Gürtelschnalle knallt gegen das Schott, und kurz danach höre ich Cati. Sie wird langsam wach und schaut mich an. »Was machst du denn da im Salon?«, fragt sie. »Überleben«, antworte ich. »Du siehst so aus, wie ich mich fühle«, antwortet sie. »Boah, was haben wir bloß gestern alles getrunken?« »Alles«, antworte ich. »Ich glaube wirklich, alles.«

Den Tag verbringen wir alle an Bord unserer Schiffe. Als ich gegen 16 Uhr vorsichtig zum Duschen ins Marinagebäude schleiche, treffe ich dort Thomas, der im Internet surft. »Geht’s euch auch so schlecht?«, frage ich. »Das kannste glauben«, sagt er. »Jola ist erst gerade eben aufgestanden.« Ohne viele Worte sitzen wir nebeneinander und checken unsere Mails, verabschieden uns nach einer halben Stunde und gehen zurück zu unseren Booten.

An unserem dritten gemeinsamen Tag in Muros sind wir alle wieder nüchtern und unternehmungslustiger. Die Mädchen spielen den ganzen Vormittag zusammen auf dem Kat, und gegen Nachmittag machen wir uns alle auf zu einem langen Spaziergang durch Muros. Laurent war schon öfter in Galicien und kann uns viel über die spezielle Bauweise der Häuser und Siedlungen erzählen. Der kleine Fischerort Muros hat viele pittoreske Ecken, leer stehende Häuser und Kirchen. Die Spanier haben keine Skrupel, auch mal ein paar Stromkabel an schöne Häuserfronten zu nageln. Gut ein Drittel der Häuser steht leer und zum Verkauf. Teilweise sicher schon 20 Jahre lang. Dabei sind die Häuser günstig, für 25.000 € kann man schon eine brauchbare Basis bekommen.

Beeindruckend finden wir die kleinen, drei mal eineinhalb Meter großen Kornspeicher, die in fast jedem Garten, aber nur hier in Galicien zu finden sind. Sie sind aus langen, schmalen Steinen gebaut und verfügen über eine Menge Luftlöcher, damit das Korn luftig gelagert und getrocknet werden kann. Zudem stehen sie auf einem Meter hohen Stelzen über dem Boden, und zwischen Stelzen und Kornspeicher sind kreisrunde Steine eingeschoben, die Ratten und Mäuse daran hindern sollen, an den Stelzen hochzulaufen und in den Speicher zu gelangen.

Den ganzen Nachmittag laufen wir durch enge Gassen und über weite Felder, entdecken das ursprüngliche Galicien, schießen Fotos. Auf dem Rückweg besorgen wir jeder noch zwei Flaschen Rotwein, denn für den Abend sind wir auf die KALAO zum Pulpoessen eingeladen. Pulpo, also Tintenfisch, gibt es hier an jeder Ecke zu kaufen. Ob das schmecken wird? Wir sind gespannt. »Ich glaub, der Wein schmeckt aber in jedem Fall schon wieder«, meint Thomas.

Nach wochenlangem Gegenwind sind die Bedingungen am nächsten Morgen endlich einmal perfekt: Nordwind der Stärke drei, 18 °C, Sonne. Wir organisieren flugs eine Regatta. Als kleinstes Schiff haben wir zwar schlechte Karten, vor allem gegen den Katamaran, aber unser neuer Selden-Mast ist über einen Meter länger, als von der Werft gedacht, was uns gut 38 Prozent mehr Fläche im Groß beschert. Und dann ist da ja noch der neue Gennaker, den wir noch gar nicht ausprobiert haben.

Die Maschine bleibt die ganze Fahrt aus, und wir segeln MAVERICK TOO wie eine Jolle, trimmen den Gennaker aus der Hand, kreuzen durch die Illas Cíes hindurch und hängen dabei zumindest die LILLY-MARIE ab. Der Kat bleibt aber unerreichbar. Nach 49,5 Seemeilen legen wir bei Nacht in Baiona an, alle drei Schiffe hintereinander, in der Reihenfolge des Einlaufens: Kat, Contest, Rassy. Wir sind die »Flottille der Zu-spät-Losgefahrenen«. Laurent hat auf dem Weg hierher einen kleinen Thunfisch gefangen und serviert ihn als Sashimi, also roh. So frisch habe ich einen Thunfisch noch nie gegessen. Cati ist nicht wirklich begeistert von dem rohen Fisch, aber mir schmeckt er hervorragend.

 

Für den nächsten Tag haben wir eine Revanche geplant, doch eine bleierne Flaute verleidet uns eine Fortsetzung. Wir motoren. Die KALAO ist schnell am Horizont verschwunden, aber wir anderen bleiben lange beieinander und schießen Fotos. Zum ersten Mal bemerken wir die gewaltige Dünung, die aus dem Atlantik anläuft. Immer wieder werden wir ganz sanft von der Seite angehoben und in das Wellental abgesenkt. Auf den Fotos ist dann später auf einem Bild das ganze Schiff auf dem Wellenberg zu sehen, auf dem nächsten nur die Mastspitze. Die Sonne steht bereits tief, als wir die spanische Flagge gegen die portugiesische austauschen. Endlich sind wir in Portugal, dem Land Europas, in dem es mir bisher immer am besten gefallen hat.

Die 34 Seemeilen bis Viana do Castelo ziehen sich in der Flaute, und wieder laufen wir bei Nacht ein. Diesmal ist Thomas eher da, denn die LILLY-MARIE hat einen starken Mercedes-Diesel. Als wir am nächsten Morgen einchecken, wollen wir dem Hafenmeister kaum glauben: »Das macht 9 € pro Nacht.« So billig haben wir auf der ganzen Reise noch nicht gelegen. Also entscheiden wir uns, ein paar Tage zu bleiben. Denn Viana hat eine Menge zu bieten, außerdem steht mein 29. Geburtstag an.

Ich nutze die Hafentage, um das Schiff ein bisschen weiter zu komplettieren. In England habe ich das Radargerät angeschlossen, in Viveiro die Ankerwinde und jetzt ist die indirekte LED-Beleuchtung im ganzen Schiff dran. Die Beleuchtung im Fußraum hatte ich schon vor der Abfahrt angeschlossen, und sie brennt eigentlich ständig. Im Hafen erzeugt sie eine warme Atmosphäre an Bord, da sie das Mahagoniholz im Fußraum schön ausleuchtet und dunkle Ecken verhindert. Auf See ist sie extrem abgedimmt, und wir wissen bei Nacht immer genau, wo wir hintreten müssen, um nicht zu stolpern. Und nun sind auch die Wände der Pantry, die Naviecke und die Bücherregale optimal angeleuchtet und strahlen viel Wärme und Gemütlichkeit aus.

Am Abend vor meinem Geburtstag entführen uns Marie und Antoine vom französischen Kutter NOORDVAARDER in die Innenstadt. Laurent hat mit Antoines Sohn zusammen Schiffbau studiert, und nun sind sich die beiden hier wieder über den Weg gelaufen. Das Paar wohnt schon einige Jahre auf seinem Schiff in Viana und kennen deshalb alle möglichen Insidertipps. Wohin genau es geht, verraten sie nicht. Aber sie versprechen: »So was habt ihr noch nicht erlebt.« Wir laufen eine halbe Stunde lang durch den Ort und landen vor der »Casa Primavera«. Im Eingang sitzt ein Papagei, der zwar nicht sprechen, aber allerlei Alarmanlagen und Klingeltöne nachmachen kann. Der Laden wirkt eher wie eine Fischerspelunke, doch als wir am Tresen vorbeilaufen, öffnet sich ein großer Saal mit vielen Tischen und Stühlen. »Es ist ein gutes Zeichen, wenn keine Touristen anzutreffen sind«, meint Laurent. Ehe ich mich versehe, haben unsere Freunde allerlei Vorspeisen aus dem Meer bestellt. Muscheln, Fischeier, Krabben und wieder einmal Tintenfisch. »Meinst du, das können wir uns leisten?«, fragt Cati angesichts unseres knappen Budgets. Als Hauptgericht nimmt sie den gemischten Fischteller, ich einen Espada, einen Degenfisch, den ich noch aus Madeira kenne. Thomas isst eine Dorade. Das Essen ist hervorragend, und die Portionen sind riesig. Dazu serviert man uns einen Zweiliterkrug mit einer regionalen Spezialität. »Ein Gemisch aus Weißwein, Zucker und Bier«, erklärt Antoine, genannt »Champerrion« oder »Traçadinho«. »Flüssige Kopfschmerzen«. Aber sehr lecker.

Als es 22:30 Uhr wird, entscheiden unsere Freunde, dass ich irgendwo in der Welt sicher schon Geburtstag habe. Also lassen sie einen Kuchen mit vielen Wunderkerzen servieren und singen »Happy Birthday« auf Englisch, dann auf Französisch. Und ehe wir uns versehen, stimmen die Gäste am Nachbartisch auf Portugiesisch mit ein, und das ganze Restaurant singt. Ich bin gerührt. Was für ein schöner Geburtstag! Unsere Freunde überraschen mich dann auch noch mit einem Geschenk. Zwei Kartons mit Weingläsern und eine Karaffe, da sie mitbekommen haben, dass wir keine Weingläser besitzen. Die Mädchen haben mir außerdem ein weißes T-Shirt bemalt, mit Bildern von unseren Schiffen und uns. Ich schnappe mir eins der neuen Gläser, fülle es aus dem Krug und proste allen zu. »Vielen Dank euch allen! Morgen Abend kommt ihr alle zu uns, zum karibischen Dinner!«

Aber erst müssen wir hier in der »Casa Primavera« noch die Rechnung begleichen. Und denken, sie hätten sich verrechnet. Vorspeise, Hauptgänge, den ganzen Abend Bier, Wein, und diese merkwürdige Mischung aus beidem – und am Ende zahlen wir zu elft nur 94 €. 8,50 € für jeden. Portugal, man muss es einfach lieben.

Den ganzen nächsten Vormittag laufen Cati und ich zwischen den Supermärkten in der Innenstadt und dem Schiff hin und her, schleppen alle nötigen Utensilien und Getränke heran, um am Abend neun Leute zu bewirten. Es soll mein Lieblingsgericht geben, karibisches Roti. In Trinidad erfunden und eigentlich überall in der Karibik zu bekommen. Ein Teigfladen, in den eine Mischung aus Kartoffeln, Gemüse und einer Art Fleisch oder Fisch eingeschlagen ist. In der Karibik ist auch gern mal eine Kakerlake eingebacken, und das Huhn kommt so, wie es tot auf der Straße gefunden wurde, in den Mixer und landet samt Knochen im Essen. Das Ganze natürlich vermengt mit vielen karibischen Gewürzen. Dieses Fast Food habe ich schon vor Jahren für den mitteleuropäischen Gaumen perfektioniert und will meine Kreation nun heute Abend an den Gästen testen. Vorab gibt es einen karibischen Salat, anschließend Rumsalat mit Obst – eine Nachspeise, die meine Mutter mal auf einer Reise mit mir auf einem Katamaran in Belize erfunden hat. Das ist ein Obstsalat, der mit Rohrzucker und viel Rum verfeinert wird. Deshalb Rumsalat. Mehr Rum als Salat.

Cati schnippelt, ich koche. Und wir werden nur sehr knapp fertig, denn das Einkaufen hat viel Zeit gekostet. Um den Gästen Bescheid zu geben, dass sie rüberkommen sollen, schalte ich kurzerhand unsere Unterwasserbeleuchung und das Stroboskoplicht im Mast an. Thomas, Jola und Lilly sind die ersten Gäste. »Mensch, Johannes, eben stoße ich mit dem Hafenmeister zusammen, der völlig außer Puste auf dem Weg hierher war«, sagt er. »Der dachte, euer Schiff sinkt und du gibst Notsignale! Hab ihm dann gesagt, dass das nur der Erdmann ist, der zum Essen ruft.«

Wir sind enorm erstaunt, wie einfach wir acht Erwachsenen unter Deck Platz finden. Die drei Mädels haben ihre eigene Partylocation im Vorschiff und bekommen Roti ohne Gewürze. Laurent nimmt das mit der »karibischen Party« wörtlich und erscheint in kurzer Hose, T-Shirt, Flipflops und mit Piratenkopftuch. Dabei sollte doch eigentlich nur das Essen karibisch sein. Auch Marie und Antoine sind dabei. Später erfahren wir, dass sie eigentlich Tickets für ein Konzert hatten, auf das sie sich lange gefreut haben. Doch sie wollten meine Einladung nicht ausschlagen.

Eine Weinflasche nach der anderen leert sich im Salon, während die Mädels im Vorschiff einen Film schauen und mit der Knete spielen, die wir eigentlich zum Abdichten der Ankerklüse an Bord haben. Die Party ist ein voller Erfolg, und wir genießen die gemeinsame Zeit, denn wie immer bei Fahrtenseglern kommt der Tag viel zu früh, an dem sich die Wege trennen. Laurent will schon in zwei Tagen nach Porto starten, die LILLY-MARIE und wir wollen nach Lissabon. Wahrscheinlich in einem Rutsch.

LISSABON – ANFANG
UND NEUSTART

Von Cati

Der Fluss Tejo mündet in Lissabon in den Atlantik und bildet im Herzen der portugiesischen Hauptstadt förmlich eine kleine Bucht. Überspannt wird die Mündung im Norden von der Vasco-da-Gama-Brücke. Mit einer Gesamtlänge von 17,2 Kilometern ist sie die längste Brücke Europas. Fast noch eindrucksvoller ist aber die rote Hängebrücke Ponte 25 de Abril, die der Golden Gate Bridge in San Francisco zum Verwechseln ähnlich sieht. Diese Brücke markiert für uns noch mehr als andere Zeichen, die es in der Stadt gibt, den Beginn Lissabons. Oder das Ende des europäischen Festlandes. Von hier aus ist Johannes 2005 zu seiner Einhand-atlantiküberquerung aufgebrochen. Es ist also doppelt bedeutsam, dass wir in Lissabon sind. Ab hier gibt es für uns, wenn alles gut geht, erst mal nur noch Inseln, und für Johannes schließt sich ein Kreis. Dass wir Lissabon auf eigenem Kiel erreicht haben, macht ihn ziemlich stolz.

Eigentlich wollten wir mit der LILLY-MARIE noch einen Stopp in Porto einlegen, aber das Wetter ist so fantastisch, dass wir gemeinsam beschließen, über Nacht bis Lissabon durchzurutschen. Nordwind der Stärke 4 bis 5, drei Meter hohe Welle – perfekt für unsere Schiffe. Doch LILLY-MARIE ist etwas schneller und bereits am Abend vom Horizont verschwunden. Kurz vor Miternacht des zweiten Tages erreichen wir Oeiras und bekommen direkt nebeneinander zwei Liegeplätze.

Obwohl wir in den vergangenen Tagen immer alles zusammen gemacht haben, ergibt es sich, dass wir Lissabon zunächst allein erkunden. Unser erster Weg führt uns zum Doca de Alcântara, wo Johannes vor neun Jahren abgelegt hat. In den Yachthafen selber kommen wir ohne den Code für die Gittertore natürlich nicht. »Da drüben habe ich gelegen«, zeigt Johannes aufgeregt durch den hohen Maschendrahtzaun auf einen kleinen Liegeplatz. Wir stehen auf einem Parkplatz aus Kopfsteinpflaster. Über uns scheppern unaufhörlich Autos, die laut über die rote Ponte 25 de Abril donnern. Neben dem Parkplatz Lagerhallen und Bürogebäude. Wirklich nichts an dieser Szenerie ist schön oder bedeutungsschwanger. Trotzdem habe ich einen mächtigen Kloß im Hals, denn aus Johannes’ Buch über seine Einhandtour weiß ich, wie einsam er sich damals hier nach dem Abschied von seinen Eltern gefühlt hat. »Hier hat das alles begonnen mit der Ozeansegelei«, fasst Johannes zusammen. So richtig einschätzen, wie er sich fühlt, kann ich nicht, aber er ist in der nächsten halben Stunde sehr ruhig und nachdenklich.

An unserem zweiten Lissabontag möchten wir noch mehr von der Stadt sehen. Ich wollte schon immer mal nach Portugal und insbesondere nach Lissabon. Meine Erwartungen werden übertroffen. Die Stadt hat mit ihren engen Gassen und weiten Plätzen, mit dem vielen Grün und den starken Steigungen ihren ganz eigenen Charme. Wir sehen das verwinkelte Viertel Alfama, werden von einem Wagen der berühmten Straßenbahnlinie 28 angeklingelt und stehen auf dem großen Platz Praça do Comércio, auf dem ein Weihnachtsmann aus einer Straßenbahn steigt. Bei diesem herrlichen Sonnenschein habe ich fast vergessen, dass bald Weihnachten ist.

Auf unserem Touristenprogramm steht natürlich auch das Padrão dos Descobrimentos, das Denkmal der Entdeckungen, das zum 500. Todestag von Heinrich dem Seefahrer am Ufer des Tejo errichtet wurde. Dargestellt ist nicht nur Heinrich der Seefahrer, sondern 33 wichtige portugiesische Persönlichkeiten, darunter Missionare und Könige, Dichter und Maler und eben auch Seefahrer und Entdecker. Dieses Denkmal und der Torre de Belém, ein burgartiger weißer Turm, sind das Letzte, was Seeleute von Lissabon sehen, wenn sie den Tejo verlassen. Davor befindet sich eine riesige geflieste Weltkarte, ein Geschenk der Republik Südafrika. Zu sehen sind dort natürlich Portugal und Madeira, unser nächstes Ziel. Auf der 50 Meter großen Karte ist es bis dahin nur ein kleiner Schritt, wir aber rechnen mit fünf Tagen auf See. Das wäre die längste Zeit, die wir ohne Pause zusammen auf See verbracht haben. Und es kribbelt schon ein bisschen.

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