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endnoten

1 Bericht «Frühe Förderung» (Bildungsdirektion Kanton Zürich 2009).

2 Dies entspricht im Wesentlichen dem, was Heckhausen bereits Anfang der 1980er-Jahre festgestellt hatte (vgl. Heckhausen 1981).

3 Dieser Sichtweise ist allerdings entgegenzuhalten, dass für Schülerinnen und Schüler mit schlechteren Ausgangsbedingungen mehr Ressourcen zur Verfügung stehen (u.a. Deutsch als Zweitsprache, Sonderbeschulung).

4 Der Aufstieg einer Person bedeutet stets auch den Abstieg einer anderen.

5 Diese Individualisierung von Erfolg und Misserfolg entlastet auch die Bildungsinstitutionen von ihrer Verantwortung, da Erfolg nur davon abhängt, ob der einzelne Schüler resp. die einzelne Schülerin imstande ist, die ihm/ihr gegebene Chance zu nutzen. Institutionelle Bedingungen haben vermeintlich keinen Einfluss darauf.

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Lernchancen
für Kinder in
fokussierten
Spielumwelten
Lars Eichen, Luzia Tinguely,
Hilda Geissmann & Catherine Walter-Laager
2
1
Chancengerechtigkeit diskutiert
zwischen Normierung und Selbstbildung

Die Erhöhung der Chancengerechtigkeit mittels früher Bildung ist ein zentrales Thema der Frühpädagogik, das häufig und unerklärt als Schlagwort bildungspolitischer Maßnahmen dient. Bildungschancen sind in der Schweiz nach wie vor stark durch die soziale Herkunft geprägt. So verfügen Kinder aus unterprivilegierten, bildungsfernen Familien beim Eintritt in den Kindergarten nicht über die gleichen Chancen wie privilegiert und bildungsnah aufwachsende Kinder. Dies soll durch frühe Förderung verbessert werden (vgl. Stamm & Edelmann 2010). Das als ideal bezeichnete Vorgehen ist dabei unterschiedlich. So wird beispielsweise mit dem Projekt «Schulreifes Kind» versucht, rund zwei Jahre vor dem Übergang in die Primarschule Entwicklungsverzögerungen zu erkennen und frühzeitig zu vermindern, «damit mehr Kindern optimale Startvoraussetzungen für den Schulanfang ermöglicht werden» (Hasselhorn, Schneider & Schöler 2012, S. 1). Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf der allgemeinen Sprachentwicklung, den Vorläuferfertigkeiten des Schriftspracherwerbs und der Mathematik sowie auf der Konzentrationsfähigkeit der Kinder. Hier wird unter früher Bildung zur Erhöhung der Chancengerechtigkeit der gezielte Aufbau von Fertigkeiten beziehungsweise Fähigkeiten verstanden. Dieser soll bei allen Kindern möglichst im (aus-)gleichen(den) Ausmaß stattfinden, sodass anschließend für alle vergleichbare Chancen bestehen (siehe auch den Beitrag von Knoll in dieser Publikation). Die Aussagen von Hasselhorn und Kollegen (2012) zeigen weiter, dass die erwähnten Fähigkeiten einer Normierung unterliegen und eine für die Schule als relevant erachtete Auswahl getroffen wird.

Der Selbstbildungsansatz grenzt sich gegenüber solchen Normierungsbestrebungen ab und fokussiert die Subjektwerdung der Kinder. Den Kindern wird zugesprochen, selbst zu wissen, was sie brauchen, und die Kompetenz zu haben, sich das Wissen selbst motiviert einzuholen. Auch der Orientierungsrahmen für frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung in der Schweiz schlägt eine kindorientierte Haltung vor: Kinder bilden sich selbst und wissen intuitiv, was als nächster Meilenstein ansteht. Dabei spielt das Erfahrungslernen im Alltag eine bedeutende Rolle. Die Orientierung an kindlichen Interessen stellt dabei sicher, dass die Erwachsenen sich auf die Stärken der Kinder einlassen und diese erkennen (vgl. Wustmann Seiler & Simoni 2012).

Die Frage bleibt: Mit welchem Vorgehen erhöht sich die Chancengerechtigkeit für alle Kinder tatsächlich? Unter Bezugnahme auf Elschenbroich (2001) lässt sich darauf mit einem bedenkenswerten Gedanken antworten. «Bequem vereinfacht hört sich das pädagogische Konzept [in Kitas und Kindergärten, d. Verf.] so an: ‹Die Kinder interessiert nur, was sie selbst fragen. Wir greifen nur das auf, was ihrer Lebenssituation entspricht… › Das legt Kinder fest auf den Zufall ihrer Geburt, ihrer Schicht» (S. 24 f.). Zusätzlich würde den Erziehenden auf diese Weise die Möglichkeit vorenthalten, auf der Basis ihres Fachwissens und ihrer Berufserfahrung mittels pädagogischer Maßnahmen neue Interessenwelten für die Kinder zu eröffnen, sofern diese nicht von den Kindern erfragt werden.

 

Innerhalb dieser widersprüchlich geführten Diskussion ist das Projekt «Spielumwelten für Kinder unter zwei Jahren» der Frage nachgegangen, ob und wie es gelingen kann, Kindern eine sozial und materiell anregende (Spiel-)Umgebung anzubieten, welche


adie Interessen der Kinder aufgreift oder anregt,bWahlmöglichkeiten offenlässt,cSpiel- und Lernmöglichkeiten auf unterschiedlichen Niveaus ermöglicht und den Kindern dadurch Gelegenheit bietet, ihre Stärken einzusetzen und zu erweitern unddgleichzeitig zur Verbesserung der Chancengerechtigkeit – durch den Aufbau fachlicher und sprachlicher Kompetenzen in einem spezifischen Themenfeld – beiträgt.

2
Entstehung von Interesse in der frühen Kindheit

Neben den oben kurz umrissenen Diskussionspunkten zur Chancengerechtigkeit findet sich in unterschiedlichen Ansätzen und Konzepten der Frühpädagogik das Interesse oder das interessegeleitete Arbeiten der Kinder als verbindendes Element. Der Interessenbegriff wird in der Pädagogik seit langem genutzt, aber nicht immer übereinstimmend verwendet (vgl. Ostermann 1907). Es gibt Beschreibungen, die das kindliche Interesse als eine Art der Aufmerksamkeit ausweisen. Durch das wiederholte Aufsuchen von bestimmten Spielsituationen wird für die Bezugspersonen deutlich, welche Inhalte die Kinder gerade faszinieren respektive interessieren (vgl. Siegler, DeLoache & Eisenberg 2008). Die hier verwendete Definition geht in Teilen darüber hinaus und beschreibt Interesse als Persönlichkeitsdisposition (vgl. Holodynski & Oerter 2008; Krapp 2009). Interesse bezieht sich dabei «auf eine relativ überdauernde Vorliebe gegenüber einem bestimmten Sach- oder Gegenstandsbereich» (Rheinberg & Vollmeyer 2000, S. 184) und führt zu einer Ausdifferenzierung des Wissens (vgl. Krapp 2009). Je bedeutsamer der Gegenstand des Interesses für eine Person ist, desto stärker entwickelt sich das Interesse zu einem Bestandteil der eigenen Identität und damit des eigenen Selbstkonzepts (vgl. Daniels 2008).

Interessen sind immer im jeweiligen Lebenskontext zu sehen und hängen von gesellschaftlich geprägten Vorstellungen und von ge­botenen Möglichkeitsräumen ab (vgl. Krapp 2009). Dies ist gerade bei Kleinkindern zu beachten: Der Lebenskontext ändert sich in ­dieser Lebensphase schnell, Kinder erschließen laufend neue Umweltbereiche und sammeln allgemeines Weltwissen, sodass sich ihre Handlungsmöglichkeiten fortwährend verändern. Interessengebiete werden von den Kindern nicht nur immer weiter vertieft, sondern sie ändern sich gegebenenfalls (vgl. Prenzel, Lankes & Minsel 2000). Damit stellt sich die Frage, ob bei kleinen Kindern überhaupt von individuellen Interessen gesprochen werden kann.


Abbildung 1: Der Stellenwert von Interesse in der menschlichen Entwicklung (Holonynski & Oerter 2008, S. 540)

Der Faktor Zeit spielt bei Interesse ebenfalls eine wichtige Rolle: Unterschieden werden kann zwischen situativem (auch situationalem) Interesse und dem individuellen Interesse. Situatives Interesse beschreibt einen motivationalen Zustand, der durch die besonderen Anreizbedingungen einer Situation hervorgerufen wird. Dagegen wird individuelles Interesse als dispositionales Merkmal einer Person aufgefasst und ist zeitlich überdauernd (vgl. Krapp 2010). In diesem Fall ermöglicht die Situation eine Aktualisierung des individuellen Interesses (vgl. Daniels 2008). Wie ein Interesse überdauernd und damit zu einem individuellen Interesse wird, beschreiben Hidi und Renninger (2006) in ihrem Modell zur Interessenentwicklung:


1.Phase der Hervorrufung situationalen Interesses (triggered situational interest): Die Auslösung von situationalem Interesse kommt typischerweise von außen. Dies kann durch attraktive Gegenstände, fesselnde Inhalte oder reizvolle Aktivitäten geschehen.2.Phase der Aufrechterhaltung situationalen Interesses (maintained situational interest): In dieser Phase gelingt es, die Sinnhaftigkeit der Aufgabe deutlich zu machen oder eine persönliche Involviertheit herzustellen.3.Phase des beginnenden individuellen Interesses (emerging individual interest): Die Person beschäftigt sich wiederkehrend mit einem Inhalt über längere Zeit. Einher gehen die Verknüpfung von positiven Gefühlen und Werten sowie der Aufbau von Wissen zum Gegenstandsbereich. Bei sich interessierenden Personen stellen sich eigene Fragen über das Interessengebiet ein. Trotzdem braucht es bei Schwierigkeiten Personen, die Unterstützung bieten.4.Phase des gut entwickelten individuellen Interesses (well-developed individual interest): Ein gut entwickeltes individuelles Interesse geht mit mehr Wissen und einer höheren zugeschriebenen Bedeutung einher. Wenn Wahlmöglichkeiten bestehen, ergreift die Person die Gelegenheit und beschäftigt sich mit dem Interessengegenstand.

Negative Auswirkungen auf die Entstehung von Interesse haben einengende Vorschriften, Rückmeldungen, die als Kontrolle wahrgenommen werden und eine fehlende soziale Einbindung (vgl. Krapp 1998).

Kinder interessieren sich bereits ab der Geburt für ihre unmittelbare Umwelt und ihr Interesse erweitert und verändert sich kontinuierlich. Das in einer ersten Phase universelle Interesse von Säuglingen und Kleinkindern wird durch die Umwelt und deren Angebot stark beeinflusst. Zu den Veränderungen von Interessen vor dem Schuleintritt lassen sich nur wenige Studien finden. Kasten und Krapp (1986) legten Daten einer Längsschnittstudie von zwölf Kindern im Alter von 3;7 bis 4;6 Jahren vor. Ein Methodenmix von Befragungen und Beobachtungen führte zu mehreren Ergebnissen: Die Kinder weisen in diesem frühen Alter bereits starke Präferenzen meist für Tätigkeiten, teilweise auch für Inhaltsbereiche auf. Wie stark ein solcher Person-Gegenstands-Bezug ist, ist individuell verschieden und verändert sich nur langsam (Kasten & Krapp 1986). Bei den meisten untersuchten Kindern kristallisiert sich ein Interesse für gewisse Tätigkeiten heraus.

Auch Renninger (1990) legt bei 16 Kindern im Alter zwischen 2;9 und 4;2 Jahren dar, dass sie bereits ausgeprägte, fokussierte Interessen an Spielobjekten haben. Gezeigt wurde, dass Interesse bereits bei jungen Kindern einen positiven Einfluss auf die Aufmerksamkeits-, Erinnerungs- und Kognitionsprozesse hat.

Insgesamt zeichnet sich ab, dass sich Präferenzänderungen in den ersten Lebensjahren langsam vollziehen. Fink (1992) hat drei theoretische Verlaufsmodelle von Interessenentwicklung herausgearbeitet:


•Beim ersten Modell – dem Kanalisierungsmodell – wird ein Interessengebiet im Laufe der Auseinandersetzung zusehends enger. Ein Teilbereich wird auf Kosten der anderen Bereiche weiter ausdifferenziert, die anderen Teile interessieren nicht mehr.•Im zweiten Modell – dem Wachstumsmodell – differenziert sich der interessierende Person-Gegenstands-Bezug zusehends aus. Dabei haben Prozesse der Eingliederung einen höheren Stellenwert als jene der Ausgliederung. Das heißt, es werden neue Tätigkeiten, Objekte oder Themen in diesen Person-Gegenstands-Bezug mit einbezogen.•Das dritte theoretische Verlaufsmodell ist das Überlappungsmodell. Qualitativ unterschiedliche Person-Gegenstands-Bezüge greifen strukturell ineinander und es ergeben sich neue gemeinsame Strukturelemente.

Auslöser für neue Interessen sind Personen, welche über Modelllernen beziehungsweise über ihr Anleiten wirken oder auch persönliche Talente sowie situative Faktoren (Stamm 2005). Im Kindergartenalter kommen die meisten Anstöße aus der Familie, gefolgt von den Peers. Am wenigsten Anregungen erfolgen dagegen seitens pädagogischer Fachpersonen (Wieder 2009).

3
Sprachentwicklung

Wörter ermöglichen es, unser Denken zu strukturieren, Vorstellungen und Gefühle anderen mitzuteilen und zu kommunizieren. Entscheidend für den frühen Wortschatzerwerb sind sowohl angeborene Eigenschaften als auch das Umfeld des Kindes. Vor allem die Qualität und Quantität des Sprachangebots in der Familie sind von Bedeutung (Geissmann 2012).

In der Einwortphase bezeichnen Kinder Dinge und Handlungen, welche für sie von großer Bedeutung sind. Sie bevorzugen kurze Wörter, deren Laute sie bereits bilden können. Die Einwortphase dauert meist etwa 6 Monate, bis der Wortschatz einen Umfang von zirka 50 bis 80 Wörtern umfasst. Bei einem Wortschatzumfang von 50 bis 100 Wörtern beginnen die Kinder damit, erste flexible Zweitwortäußerungen zu bilden (Bates, Dale & Thal 1995). Im Alter von 1;6 bis 2;2 Jahren setzt bei den meisten Kindern der Wortschatzspurt ein. Sie verfügen zu diesem Zeitpunkt über einen produktiven Wortschatz von zirka 50 bis 80 Wörtern und einen rezeptiven Wortschatz von 200 Wörtern. Während dieser Phase, die bis zum Alter von 3 Jahren andauern kann, erwirbt das Kind täglich mehrere neue Wörter produktiv und bis zu zehn Wörter rezeptiv (Rothweiler & Kauschke 2007; Szagun 2006). Dadurch, dass die Dauer und Art des Wortschatzerwerbs in diesem Zeitraum unterschiedlich sind, kommt es zu einem großen Unterschied im Wortschatzumfang (Szagun, Stumper & Schramm 2009; Doil 2002).


Abbildung 2: Durchschnittliches Wachstum des produktiven Wortschatzes (nach Doil 2002, S. 165–168)

Die Schwankungen im Wortschatzerwerb werden auch durch die soziale Umgebung, in welcher ein Kind aufwächst, beeinflusst. Bedeutsam sind vor allem die Qualität und Quantität des Sprachangebotes in der Familie. Verschiedene Forschungsstudien konnten aufzeigen, dass zwischen dem Wortschatzumfang im Vorschulalter und der Qualität und Anzahl der Gespräche in der Familie ein Zusammenhang besteht (u.a. Toppelberg & Shapiro 2000; Hoff & Tian 2005; Rowe 2008; Hart & Risley 1995).

Hart und Risley (1995) haben mit ihrer Studie aufzeigen können, dass Eltern mit hohem sozioökonomischem Status sich häufiger, abwechslungsreicher und komplexer sprachlich an ihre Kinder wandten. Zwischen den Familien zeigten sich beträchtliche Unterschiede: Während Kinder aus Familien mit einem sozioökonomisch hohem Status pro Stunde durchschnittlich 2153 Wörter hörten, waren es in Familien mit sozioökonomisch niedrigem Status lediglich 615 Wörter (Hart & Risley 1995). Die Art, wie Eltern mit ihren Kindern sprachlich interagierten, wirkte sich beständig auf deren Wortschatzerwerb aus. Die Unterschiede ließen sich nicht nur im Sprachangebot darlegen, sondern auch im produktiven Wortschatz der Kinder. In ihrer Untersuchung mussten Hart und Risley (1995) feststellen, dass der Wortschatzumfang von dreijährigen Kindern aus sozioökonomisch privilegierten Familien bei durchschnittlich 1100 Wörtern lag. Der Wortschatzumfang von Kindern aus sozioökonomisch benachteiligten Familien lag dagegen bei 500 Wörtern (Hart & Risley 1995).

Rowe (2008) untersuchte in seiner Studie Eltern und deren Vorschulkinder (2;6–3;6 Jahre) hinsichtlich des Wortschatzes. Auch diese Ergebnisse ließen einen Zusammenhang zwischen dem Wortschatzumfang der Kinder und dem sozioökomischen Status der Eltern erkennen. In den sprachlichen Äußerungen der Eltern zeigten sich qualitative und quantitative Unterschiede. Geissmann (2012) fasst die Resultate dieser beiden Studien folgendermaßen zusammen: «Hart und Risley (1995) und Rowe (2008) zeigen, dass sich die Quantität und die Qualität des Sprachangebots in der Familie auf den Wortschatzerwerb auswirken. Durch den sozioökonomischen Status einer Familie entstehen für Kinder unterschiedlich anregende Umwelten» (S. 38).