Münster - Was nicht im Stadtführer steht

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Im Kumpelnest.
Das alte »Odeon« war Münsters Wohnzimmer für Waver, Punks & Nachtvögel.

Wenn dieser Tage der letzte Applaus nach dem Konzert von Dr. Ring Ding verklungen ist, wird im Odeon an der Frauenstraße für immer das Licht ausgemacht. Die »Grande Dame der münsterschen Clubs« nimmt ihre letzte Huldigung entgegen. Die Institution Odeon hat mindestens drei Generationen von Teenagern sozialisiert und deren Jugend entscheidend geprägt. Deshalb ist uns die anekdotenreiche Geschichte des Odeons einen Rückblick wert. Bitte einsteigen zur Zeitreise ...

Die 70er Jahre sind soeben vorbei und der Zeitgeist diktiert Coolness. New Wave und NDW sind angesagt; die Frauen tragen Neonschmuck. Helmut Kohl steht kurz vor seiner Machtergreifung. In Münster provozieren sich samstags am Lambertibrunnen Punks und Popper; die Kronenburg und der Bunte Vogel auf der Rothenburg sind die aktuellen Szenekneipen. Am 8.10.1982 übernehmen vier befreundete junge Leute das wenige Jahre zuvor (vom heutigen GoGo-Betreiber Jürgen Köhn) eröffnete Odeon in der ehemaligen »Gaststätte Freitag« im Schatten der Überwasserkirche. Zunächst wird der Laden vom neuen Team auf die Höhe der Zeit gebracht: Die Flipperautomaten fliegen raus, und von der Bühnenrückwand grüßt frisch gesprayt eine Mickymaus mit zackiger Elektrogitarre aus einem pinkroten Amischlitten. Ein gewisser Maximilian Lenz darf im »O« Platten auflegen und nennt sich »DJ Westfalia Bambaata«. Später verkürzt er den umständlichen Künstlernamen (eine Hommage an sein Vorbild, den Hip-Hop-Pionier Afrika Bambaata) schmissig zu Westbam und zieht nach Berlin.

Viele erfolgreiche Künstler haben am Beginn ihrer Karriere als No-Name-Bands im Odeon gespielt (und sind später gerne wiedergekommen). Etwa die Toten Hosen. Christine Rosenthal: »Die standen 1983 eines Nachmittags vor der Tür und klopften an die Scheibe. Ich war gerade am Aufräumen. Ich sag: Wer seid ihr denn? Die: Wir sind ’ne Punkband und wollten fragen, ob wir hier mal spielen können. Ich sag: Habt ihr denn schon ’ne Platte? Die: Äh ... nee, aber wir haben ne Cassette dabei ...« Oder die Red Hot Chili Peppers, die damals wenigstens schon ein bisschen bekannt waren, aber noch als Geheimtipp galten. Veronika Fischer: »Für die hatte ich Abendessen gekocht. Musiker kriegen ja sonst meist nur Junkfood. Ehrlich – die wollten, dass ich für den Rest der Tour als Köchin mitfahre und ließen gar nicht locker.« Die hühnerknochenbehängten Gothicrocker von Christian Death fanden ihre eigene Musik offenbar so genial, dass sie nach vier Stunden (!) Nonstop-Konzert selbst noch weiterspielten, als das Publikum längst entnervt verschwunden und das Saallicht eingeschaltet war. Nur das Abschalten des Stroms bewegte sie schließlich aufzuhören. Ganz anders die Lausejungs von den Bollock Brothers – die englischen Punkrüpel erklärten den sprachlosen Zuschauern nach nur 20 Minuten, sie müssten jetzt dringend zurück ins Hotel, um den Übertragungsbeginn irgendeines hochwichtigen Fußballspiels nicht zu verpassen. Weil ihre Musik nicht im Gedächtnis blieb, lieferten King Kurt eine Bühnenshow, die niemand vergessen sollte. Eimerweise Eier, Mehl, Farbgelee und Wasser flogen von der Bühne ins Publikum und zurück. Ein Gast erinnert sich: »Alles hat in einer knietiefen Pampe gewogt – es war fantastisch!« Auch die anrückende Polizei – wegen der Lebensmittelschlacht vor der Tür gerufen – wurde mit Eiern und Mehltüten empfangen. So manch einer hat nach diesem Abend Jacke und Schuhe nur noch in die Mülltonne werfen können. Aus den Haaren bekam man den zementartigen Brei sowieso nicht mehr heraus.

Die MS-Punks Potpourri Boys folgten dem Beispiel von King Kurt und warfen von der Bühne rohe Hühner, die durch eingeführte Silvesterböller über den Köpfen der Zuschauer explodierten. Später wunderte man sich im Odeon wochenlang über widerlichen Verwesungsgeruch, bevor endlich jemand die Reste des Hühnchens fand, das auf dem Videobeamer unter der Saaldecke gelandet war. »Münsters letzte Punkband« (Selbstbezeichnung) Äni(x)Väx verabschiedete sich 1986 ebenfalls mit fliegender Nahrung (Pizza) in einer wilden Show für immer von den Fans.


In den legendären Katakomben des Odeons verewigten sich Stars an den Wänden – und indem sie ins Waschbecken pinkelten, sehr zum Ärger von Wirt Möppel ...

An den Wänden des Backstage-Kellers verewigten sich u. a. Johnny Thunders, Gun Club, R.E.M., Killing Joke, L7, The Godfathers, Fleshtones, Georgette Dee, Die Ärzte, Die Leningrad Cowboys undwiesieallehießen.

Inspiriert durch das Stadtjubiläum »1200 Jahre Münster« drehte der harte Kern der Odeon-Tresenhelden 1993 den Videofilm »1200 Jahre Odeon«. Der »monumentale Historienschinken mit vielen Massenszenen« (Werbetext) ist eine obertrashige Geschichtsparodie, die Helge Schneider die Schamröte ins Gesicht treiben würde und zeigt die nicht ganz wahre Entstehungsgeschichte des Odeons von der Steinzeit über Antike, Mittelalter, den 50er und 70er Jahren bis zur jüngsten Gegenwart. Götz Alsmann liefert darin eine Szene als Jugendheim-DJ. Gedreht wurde u. a. in einem echten Domina-Studio. Bei den Dreharbeiten kam es zu einem schweren Unfall: Bei einem »Livekonzert« der Sex Pistols (dargestellt durch die vier Inhaber) zerschlug Wirt Möppel in voller Action einem Statisten versehentlich eine elektrische Gitarre auf dem Kopf. Die »Erste Hilfe« eines angetrunkenen Kumpels bestand darin, die Körperumrisse des Bewusstlosen mit Kreide auf dem Boden nachzuzeichnen. Natürlich wurde die Unfallszene später nicht (!) herausgeschnitten!

Sogar die transsilvanischen Untoten liebten das Odeon: Münsters Grufties trafen sich monatlich zum »Tanz der Vampire« an der Frauenstraße. Die Anhänger der Szene zeichneten sich nicht nur durch ein gruseliges Geisterbahn-Outfit, sondern gleichfalls durch vorbildliche Höflichkeit aus. So staunte das Thekenpersonal immer wieder über Typen, die so erschröcklich aussahen wie Marilyn Manson, Hannibal Lecter und Rumpelstilzchen zusammen, aber schüchternleise flüsterten: »Kann ich bitte eine Apfelschorle?«

Eine Zeit lang durfte der Kreis der Stammgäste seine Wohnzimmertheke an Montagabenden sogar in Eigenverantwortung ohne Aufsicht selbst betreiben. Motto: Selbst zapfen, Geld in die Kasse legen, hinterher abschließen – keinen Scheiß bauen. Das entgegenkommende Vertrauen der Inhaber zahlte sich jedoch nicht aus, weil zwar in Selbstbedienung gezapft, aber nicht immer bezahlt wurde. Auch Münsters singendes Wermutbruder-Original »Caruso« kannte das Geheimnis bargeldloser Zahlung: Er schaffte es immer wieder, die Thekenkräfte zu überrumpeln, indem er einen Cognac bestellte, blitzschnell hinunterstürzte und triumphierend erklärte: »Hab’ kein Geld ...« Caruso war übrigens Mitglied des Odeon-Männergesangsvereins »Concordia Zwietracht«, der sich aber nach einigen Jahren ebenso wieder auflöste wie der Punkrock-Sparclub mit eigenem Kassenkasten an der Theke.

Man kann nicht leugnen, dass das Odeon Mitte der Neunziger langsam von der Zeit überholt wurde und ein bisschen ins Abseits geriet. Zu lange hatte der erste Club am Platz von seiner eigenen Nostalgie gelebt. Auch die heißeste Liebe wird eben irgendwann eine eingefahrene Ehe. Gegen die Vielzahl neuer Mitbewerber und die Trends der Zeit (Club-Hopping, schwindende Bindung an einen einzigen Stammladen, immer späteres Ausgehen) blieben alle Rettungskonzepte machtlos. Axel Seitz hat das Odeon mit einem neuen Profil wieder für ein junges Publikum attraktiv gemacht und fühlt sich dennoch der »Tradition« des Clubs verbunden. Trotzdem fängt er nach dem Umzug an seinem neuen City-Standort auf einem weißen Blatt an – die Geschichte des Odeons zieht nicht mit um, sondern verflüchtigt sich im Baustellenstaub und in der Erinnerung seiner alten Garde. Da verdrückt sich so mancher Ex-Punk jenseits der 30 ein sentimentales Tränchen.

(Erschienen 2002)

Anmerkung:

Das Odeon war mehr als ein Club – es war Münsters Lebensmittelpunkt für alle zwischen 18 und 38. Der Laden war eine Legende, wozu natürlich die Konzerte avantgardistischer Bands beitrugen, die damals vor 300 Münsteranern spielten und heute Hallen und Stadien füllen. Und auch Gäste, die später bekannt wurden, wie z. B. Oliver Kalkofe oder Klaus Fiehe, mussten sich damals vom Tresenchef für unkorrekte Bestellungen anranzen lassen. Für mich persönlich hatte die Schließung des Odeons zwei Aspekte: Einerseits wurde ich wie viele andere plötzlich heimatlos, andererseits hatte sich damit mein Deckel aufgelöst, den ich zuvor schon zwei Jahre lang als Thekenkraft abgearbeitet hatte.

Der Beatschuppen-König.
Gronecks Erzählungen: Zu Besuch bei Münsters Disco-Miterfinder.

Discotheken sind heutzutage landauf, landab ein gewohntes und allgemein akzeptiertes Freizeitvergnügen, und auch Muttis Generation schwingt gerne zu Rock und Samba die Hüften. Das war natürlich nicht immer so. In den Kindertagen der Disco vermuteten die Nachkriegsväter in den »Beatschuppen« finstere Hasch-Höhlen. Der Münsteraner Manfred P. Groneck ist einer der Geburtshelfer der Discoszene in Deutschland. Seine Geschichte ist ebenso abenteuerlich wie erstaunlich, und manchmal scheinen Dichtung und Wahrheit zur Legende zu verschmelzen. Ultimo lauschte fasziniert Gronecks Erzählungen aus der Disco-Steinzeit im schwarzen Münster, das bis dahin nur Glockenklänge gehört hatte.

1961 errichtet die DDR-Führung im Handstreich eine Mauer durch Berlin. Elvis hat gerade erst seinen Wehrdienst in Deutschland beendet. Zu dieser Zeit eröffnet Manfred P. Groneck in einem alten Eckhaus am Kreuztor die Tanzbar Kontiki. Die dazugehörige Einliegerwohnung vermietete er an einen Typen namens Udo Lindenberg. (Das Haus wurde übrigens später abgerissen, an seiner Stelle ist heute ein Supermarkt). Donnerstag morgens stand Groneck schon vor Ladenöffnung vor Radio Hüffer, um taufrisch die neuesten Beat-Schallplatten aus England und Amerika zu kaufen. Problem: Aus Kostengründen gab es im Kontiki nur einen Plattenspieler. Auch sonst haperte es noch an der Ausstattung: Die »Lichtorgel« funktionierte manuell ... und zwar nur dann, wenn Groneck selbst die Stecker der fünf verschiedenen bunten Glühbirnen ein- und ausstöpselte. Erst später kam – oh Wunder der Technik – ein zweiter Plattenspieler plus ein Mischpult dazu, das erstmals Überblendungen und Ansagen per Mikrofon ermöglichte. Der Eintritt wurde nach der Zeit der Anwesenheit berechnet: pro Minute ein Pfennig. Wer um 22 Uhr kam und um 24 Uhr wieder ging, musste für das Vergnügen 1,20 Mark bezahlen. Gar nicht übel, das System ... Was dann folgte, ist auch heute nicht anders: »Im Kreuzviertel wohnten damals nur alte Leute, die fielen plötzlich vom Hocker, weil der Laden brummte bis zum Gehtnichtmehr. Die beschwerten sich und die Konzession wurde erst von 5.00 auf 3.00, später auf 1.00 Uhr und dann auf 23.00 Uhr zurückgenommen. Deshalb war nach zwei Jahren schon wieder Schluss!«

 

Doch Groneck schlug gleich das nächste Kapitel der münsterschen Discogeschichte auf: Das Geld aus dem Kontiki investierte er in den heruntergekommenen »Hof zur Geist« an der Hammer Straße. Dort ist heute noch eine Disco: das »Casablanca«. 1963 nannte Groneck seine neue Goldgrube zeitgemäß exotisch Copa Cabana. Sein alter Untermieter Udo L. kam auch vorbei und erzählte, er könne jetzt Beatmusik machen und hätte da mit ein paar Jungs aus Münster eine töfte Band. Tatsächlich wurden die Langhaarigen bald zu Lokalmatadoren.

Groneck hatte jedoch noch mehr zu bieten: »Wir begannen, mit dem Starclub in Hamburg zusammenzuarbeiten. Die englischen Bands, die dort spielten, kamen anschließend noch für eine paar Termine zu uns. So kamen wir damals schon an richtig populäre Bands, wie die Rattles – und das in Münster!« Der Spaß war schnell wieder vorbei, als das Arbeitsamt von Groneck Arbeitspapiere für die ausländischen Musiker sehen wollte. Doch aus Schaden wird man klug: »Wir haben die Jungs dann richtig über die holländische Grenze geschmuggelt: Die Musiker kamen einzeln als Touristen und der Wagen mit den Instrumenten hinterher. Alles streng konspirativ. Wenn das Arbeitsamt was muckerte, war die Band schon wieder weg.« Einigen englischen Musikern gefiel Münster allerdings so gut, dass sie gleich hierblieben, wie etwa der Saxophonist David Hendsley.

Das Copa Cabana lief und lief und lief. Die Band von Gronecks Untermieter stellte sogar den westfälischen »Weltrekord im Dauerbeat« auf – ein gewisser Steffi Stephan und Kumpels spielten 248 Stunden ohne Pause! Selbst das TV-Magazin »Drehscheibe« berichtete live vor Ort. Doch dem Ordnungsamt wurde das Treiben der »Gammler« vor den Toren Hiltrups zu bunt – Groneck verlor abermals seine Konzession und war pleite. Zwei Jahre jobbte er in einer damals völlig neuen Technologie: Elektronische Datenverarbeitung mit Lochkartonsystemen. 1967 wird Ultimos Chefreporter geboren. Im Jahr darauf eröffnet Groneck als Geschäftsführer wieder eine neue Disco in Münster: das Tabu am Alten Steinweg. Groneck: »Das war der Laden in der Stadt! Ein paar mit Schottenmuster bezogene Melkschemel, Schottenstoff an der Wand, und schon ging die Post ab! Wir spielten die heißesten Soulscheiben und holten uns von den Amis aus Handorf ein paar Schwarze, die den Leuten zeigten, wie man dazu tanzte.« Mit Erfolg: »Nebenan war eine bayerische Kneipe, das »Edelweiß«. Die mietete ich dazu und machte noch eine Disco auf, den Black Horse Saloon.« Nach handfesten Streitigkeiten mit dem Inhaber, einem Kölner Halbwelt-Zaren, kündigt Groneck jedoch nach drei Jahren.

Inzwischen ist das Jahrzehnt der Schlaghosen und Föhnwellen angebrochen. Während die RAF Deutschland in Atem hält und Muhammad Ali Boxweltmeister wird, eröffnet Manfred Groneck nun im Berliner Europacenter das »Joy«. »Hier sollte es jetzt so richtig zur Sache gehen!«, erzählt der alte Disco-Haudegen im Büro seiner Hiltruper Handelsfirma. »Wir hatten schon eine echte VIP-Ecke, die war immer für die Leute von der ZDF-Hitparade reserviert. Die ließen sich Jack Daniels im 10-Liter-Glasfass für 1.800 Mark bringen und waren sauer, weil sie die Cola noch extra bezahlen sollten, haha.« Eines Tages stellte sich ein neuer DJ bei Groneck vor. »Der Junge hatte es richtig drauf, war aber leider ständig besoffen. Dann klaute er dauernd Inventar, das ich tags drauf wieder aus seiner Bude in der Katharinenstraße rausholen musste.« Sein Name: Gunther Gabriel. Nachdem Groneck in diesen wilden Zeiten sogar mal mit der Abendkasse unterm Arm durchs Klofenster vor finsteren Luden flüchten musste, kündigte er allerdings auch diesen Job wieder. Das Joy bekam später ein kleines Drogenkonsumentenproblem – und ging den Bach runter.

Derweil hatten Punkbands wie die Sex Pistols Disco den Krieg erklärt, und Groneck wechselte die Thekenseite. Er wollte höher hinaus: Jetzt verkaufte er sein konzeptionelles Knowhow an andere Discobesitzer. Nebenbei begann er mit gebrauchtem Casino-Inventar aus Las Vegas zu dealen. Zurück in Münster, veranstaltete Groneck 1979 die erste deutsche Discotheken-Fachmesse in der Halle Münsterland. Groneck: »Nena und Modern Talking sind da als ›Nachwuchskünstler‹ aufgetreten – die kannte damals kein Schwein. Schon die dritte Messe wurde die größte Discoausstellung der Welt!« Groneck war auf dem Gipfel seines Erfolges. Er stampfte die Fachzeitschrift Discoforum aus dem Boden, gründete 1981 den offiziellen »Bundesverband deutscher Discotheken und Tanzbetriebe e.V.« (Geschäftsstelle Hafenweg 26b, Münster) und den anerkannten »Berufsverband Discjockey«. Gronecks Discoverband ist heute eine selbständige Fachgruppe im deutschen Hotel- und Gaststättenverband. Wegen der redaktionellen Inhalte im Discoforum bekam Groneck prompt Ärger mit der Plattenindustrie: »Die CBS wollte, dass ich meinen freien Kritiker feuere, weil der öfter freche Verrisse über CBS-Produktionen schrieb. Ich sagte, mach’ ich nicht, der Junge schreibt super und bleibt!« Der umstrittene Autor hieß Götz Alsmann.


Dieses Foto reichte Götz Alsmann als Frontmann der »Heupferd Jug Band« selbst beim Vorgänger der Ultimo als Pressefoto ein. Wenn er geahnt hätte, wo es mal wieder auftaucht.

Doch wo viel Erfolg ist, gibt es auch viele Neider: »Die Beteiligten haben die Sache selbst kaputtgemacht. Die großen und kleinen Szene-Könige meinten, sie könnten alles viel besser und billiger. Die hatten Angst, dass ich zu mächtig würde. So ein Quatsch, ich war die Klagemauer für alle. Aber dann fingen einzelne an, dem Verband durch eigene Disco-Postillen und -Messen Konkurrenz zu machen. Es setzte ein intrigantes Gemauschel ein, und die ganze Geschichte zerfiel.« Groneck bilanziert: »Der Niedergang des Vereins hat mich gut eine Million gekostet. Aber was soll’s ...« Groneck importiert heute Tonöfen für den Terrassengebrauch aus Mexiko.

(Erschienen 2001)

Anmerkung:

Dieses Interview war zweifellos eines der spannendsten – ich hätte mir noch ewig weiter Anekdoten aus der Discozeit anhören können, vor denen Groneck nur so übersprudelte. Und erst sein Fotoalbum aus den 60ern und 70ern! Unfassbar, dass Schmiegen wie Dieter Thomas Heck oder Typen mit Frisuren, wie sie heute höchstens noch Profifußballer tragen, jemals Popstars werden konnten! Gut finde ich auch die Vorstellung, wie Groneck zu seinem nervigen Untermieter Udo Lindenberg sagt: Weißt du was, Junge? Du gehst mir auf’n Keks! Spiel woanders mit deiner Kapelle.

Bitte bring me a Nazi!
Volkssturm-Opas & weiße Fahnen: Das Kriegsende im Münsterland.

Dieses Jahr steht im Zeichen des Gedenkens an 60 Jahre Kriegsende (auch wenn manche »Kameradschaften« immer noch nicht mitgekriegt haben, dass der Krieg aus ist). 1945 um diese Zeit war es mit dem »Endsieg« endgültig Essig. Im Münsterland war der II. Weltkrieg schon Ostern zu Ende.

Um das Münsterland zu erobern, hatte die britische Armee unter Feldmarschall Montgomery am Niederrhein Unmengen Panzer und Soldaten zusammengezogen. Der Grund: Die Tommys fürchteten den »Westfalenwall«, über den die deutsche Propaganda berichtet hatte. Darunter stellten sie sich eine Art zweiten Atlantikwall vor, mit Bunkern, Panzersperren undundund.

Den Westfalenwall gab es wirklich, aber er sah etwas anders aus: Im Herbst ’44 hatte Münsters Gauleiter Meyer an Hitler gefunkt: »Mein Führer, tausende von Volksgenossen stehen bereit, um einen Westfalenwall zu errichten. Bitte um Vollmacht.« Die Vollmacht kam. Von Haltern bis Hopsten wurden die Bauern mit Spaten ausgerüstet. Das Ergebnis war eine dünne, unzusammenhängende Linie von Erdlöchern, die bei jedem Regen einstürzten und neu geschaufelt werden mussten.

Die englischen Panzer hielt das nicht weiter auf. Ihren Vormarsch stoppte etwas anderes: Die 3. Division rasselte bei Bocholt versehentlich in eine Kornbrennerei, was sie den ganzen Vormittag kostete. Bei der Weiterfahrt fädelten sich Kolonnen der zurückflutenden deutschen Wehrmacht in die lustige Truppe ein, ohne aufzufallen.

Es gibt Leute, die sogar jetzt noch ans Geld denken: Der Kassierer der Bocholter Sparkasse kommt beim Angriff der Engländer ums Leben. Einem fällt ein: »Der trug doch immer den Schlüssel zum Tresor um den Hals!« Ein anderer hat zufällig gesehen, wo der Kassierer verscharrt worden ist. Sie graben die Leiche aus und finden den Schlüssel. Eine halbe Million Reichsmark kommen unters Volk. Die Mühe hätten sie sich sparen können: die Reichsmark wurde in den letzten Tagen um das Siebenhundertfache abgewertet.

Nächster Stopp Montgomerys: Buldern. Hier hatten sich die Volkssturmopas soviel Mut angetrunken, dass die Engländer Stunden brauchten, um sie herauszuschießen.

In der Stadtchronik heißt es: »Die Parteiführer treibt die Verzweiflung zum Alkohol. In betrunkenem Zustand geben sie Befehle, die nicht durchzuführen oder völliger Wahnsinn sind.« Machte aber nichts, denn die Bauern spendierten den deutschen Soldaten soviel Korn, dass der Kommandeur des Regiments Großdeutschland freiwillig aufgab und erklärte: »Mit diesem Sauhaufen von Blaumännern wackelt die Front von selbst!«

In Billerbeck wackelt die Front noch nicht. Aber die Leute haben allen Grund, die Engländer bloß nicht aufzuregen: Im Oerschen Wald zwischen Billerbeck und Darfeld steht eine Abschussrampe für V2-Raketen, von denen über zweitausend in London und Antwerpen eingeschlagen haben. Das könnten die Tommys womöglich persönlich übel nehmen.

In der Dorfkneipe ist Kriegsrat. »Wer von uns spricht englisch?« Alle zeigen auf Jupp Horstmöller. Er ist der Wirt. »Also, Du fährst jetzt auf deinem Fahrrad den Engländern entgegen und sagst denen, dass wir kapitulieren, sonst schießen die uns zusammen.« Es ist ernst: Ahaus, Dülmen und Stadtlohn wurden schon zusammengeschossen.

Horstmöller sagt: »Jau, det mok i wohl«. Es geht ein bisschen schwierig, weil er nur noch einen Arm hat. Also setzen ihn die anderen aufs Rad, binden ihm eine weiße Serviette an den Lenker zum Zeichen, dass er nicht in kriegerischer Absicht kommt, und schieben ihn aus dem Ort.

An der Bundesstraße nach Borken trifft er auf Montgomerys Panzerarmee. Er ruft: »No shooting! We give up!« Die Luke des ersten Panzers geht auf. »First white Flag!«, sagt der Tommy. Horstmöller soll zurückradeln. Wenn in einer Stunde keine weiße Fahne am Kirchturm zu sehen ist, greifen tausend Panzer Billerbeck an.

Die Billerbecker rennen mit einer Tischdecke den Glockenstuhl hoch. Die Panzer rollen vorsichtig auf den Ort zu. 300 Meter links liegt gut getarnt die V2-Abschussbasis. Jedem Engländer ist zuhause eingehämmert worden, so ein Ding zu erkennen. Sie rollen vorbei.

Am Ortseingang steht Horstmöller. Der erste Panzer stoppt, die Luke geht wieder auf: »All right?« »Jau«, sagt Horstmöller. »Okay, you go ahead!« Die Luke geht zu, der Panzer fährt an und Horstmöller marschiert an der Spitze der englischen Armee in Billerbeck ein.

Obwohl der Tag für ihn aufregend genug war, hat er noch nicht Feierabend. Zwei Stunden später wird er aus seiner Kneipe geholt: Mitkommen, zur Schule! »Hier wir machen provisorische Rathaus«, erklärt der Officer. »Wat geiht mi dat an?«, fragt Horstmöller. »You are Bürgermeister now!«, befiehlt der Officer. Basta!

 

So glimpflich geht es nicht überall ab. Manch fanatischer Truppenführer hält sich an Hitlers Befehl Nr. 898/45: »Wer in Gefangenschaft gerät ohne verwundet zu sein, hat sein Leben verwirkt. Seine Angehörigen haften für ihn.« Zum Schrecken der Bevölkerung taucht in Buldern eine Kampfgruppe aus Jugendlichen unter einem Kommandanten Faustmann auf. Der befiehlt: »Buldern wird verteidigt bis zum Letzten!« Als die Engländer kommen, hageln ihnen Gewehrpatronen entgegen. Die 6. Tank-Brigade schießt Buldern fünf Stunden lang zusammen. Die Jugendlichen fallen restlos. Die Bevölkerung wird aus den Kellern gezerrt, darunter drei Eisenbahner in schwarzen Uniformen, die kein Englisch sprechen. »SS!«, entscheiden die Engländer und erschießen die verzweifelt Gestikulierenden.

In Greven wollen die Bürger nicht mehr für »Führer, Volk und Vaterland in Ehren fallen«, sondern einfach nur überleben. Deshalb hissen auch sie vor den herankommenden Engländern die weiße Fahne vom Kirchturm. Plötzlich erscheint eine übrig gebliebene SS-Einheit im Ort, reißt die weiße Fahne herunter und hängt stattdessen eine riesige Hakenkreuzfahne auf. Eine Katastrophe, denn wo die Tommys Widerstand fürchten, pflegen sie den ganzen Ort in Trümmer zu legen. Drei mutige Grevener stürmen den Kirchturm und holen die Nazifahne wieder ein. Am Turmausgang werden sie von der SS gestellt. Vor den Garben der Maschinenpistolen können sie sich gerade noch mit einem Sprung über die Friedhofsmauer retten. Plötzlich andere Schüsse, dann Ruhe – die Engländer sind da.

In Münster ist der Krieg noch nicht vorbei. Bei Schloss Wilkinghege haben sich Abiturienten auf Befehl ihres Hauptmanns Phillippsburg eingegraben und sollen mit ein paar Gewehren die britischen Panzer aufhalten. Die Panzer kommen von Nienberge und rollen an den Jungs vorbei. Der Hauptmann befiehlt: Schießt! Die Panzer schwenken um und die Schüler sterben, damit die Parteibonzen in Münster eine halbe Stunde Zeit gewinnen, um noch belastende Akten zu vernichten.


Stunde Null in Münster. Was Montgomerys Panzer nicht geschafft hatten, erledigten später deutsche Nachkriegsarchitekten ...

Das war der letzte Widerstand für die Engländer. Innerhalb der Promenade leben nur noch 17 Familien. Ein Mädchen schreibt: »Die Adlerie ergab sich und die Oberrichkeit floh ...« Münsters Gauleiter Meyer entkam zunächst in den Teutoburger Wald. Dort irrte er tagelang herum. Er wanderte bis ins Weserbergland. Aber sein Durchhaltewille war gebrochen. Er erschoss sich Anfang Mai im Wald.

Zur gleichen Zeit bekommt der brave Horstmöller seinen ersten Auftrag als Bürgermeister: Der britische Officer sagt: »Ich habe viel von Deutschland gesehen, kaputte Städte, Trümmer, Elend. Nur – keinen Nazi. Ich will wissen, wie die aussehen. Bring me one.« Tja – da muss Horstmöller passen: »Sorry Sir, aber Nazis haben wir hier nie gehabt ...«

(Erschienen 2005)

Anmerkung:

Die Naziführung traute den Münsterländern nicht: Wegen ihres Katholizismus hielt Goebbels die Westfalen politisch für unzuverlässig; Hitler schimpfte über Münster als »Pfaffenstadt« und wartete sehnsüchtig darauf, mit diesem »Typen Galen« nach dem Krieg »bis aufs i-Tüpfelchen« abrechnen zu können. Umso beflissener versuchte Münsters Gauleiter Meyer einen guten Eindruck zu machen. Als Stellvertreter des Ministers für den gesamten besetzten Osten, Chefideologe Rosenberg, war Meyer ein hohes Tier im Nazireich. Die zusammengesetzten Schilderungen stammen aus einem antiquarischen Buch des ehemaligen WN-Karikaturisten Helmut Müller.