Münster - Noch mehr wöchentliche Geschichten

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Aus der Reihe: Dom und Deubel
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In dieser Woche im Jahr 1980 …

… tanzten Besetzer im Rathaus.

Dem Ausbau des Ringes am Coesfelder Kreuz standen einige Wohnhäuser an der Sertürner Straße im Weg. Doch mit dem Abriss waren wohnungssuchende Studenten nicht einverstanden.

Nach einem Konzert der Alternativ-Combo »Die 3 Tornados« in der PH-Aula wurden die Gebäude spontan besetzt. Die Stadtverwaltung ließ sich auf Verhandlungen ein und empfing eine Abordnung der Besetzer im Sitzungssaal des Rathauses.

Die Studis hatten sich eine besonders eindrucksvolle Aktion ausgedacht, um die Ratsfraktionen zu überzeugen: Eine Ausdruckstanz-Performance sollte den Ratsherren das Anliegen der Besetzer einleuchtend vor Augen führen. Doch stattdessen schwebten nur große Fragezeichen über den Köpfen der Lokalpolitiker. Die Tanzgruppe flog kurzerhand hinaus.

Doch bei Münsters Bürgern hatten sie mehr Glück. Die Nachbarn solidarisierten sich mit den jungen Leuten; ein Kneipenwirt brachte sogar täglich Frikadellen zu den Besetzern (Veganer waren damals noch unbekannt).

Die Sympathie erschien den Ratsherren brenzlig. Eine Woche später handelte die regierende CDU-Fraktion: Im Morgengrauen wurden die Häuser polizeilich geräumt. Die Abrissbagger hatte man gleich mitgebracht.

Der Abriss hatte jedoch ein juristisches Nachspiel, da keine Abbruchgenehmigung vorlag. Unnötig, meinten die Verantwortlichen, ihr Beschluss reiche vollkommen aus …


Der Ausdruckstanz konnte den Stadtrat trotz dramatischer Gesten und Mimik nicht überzeugen.

In dieser Woche im Jahr 1984 …

… hat alles in einer Pampe gewogt.

Die britischen Psycho-Rocker King Kurt hatten keine besonders originellen Songideen. Besonders gut spielen konnten sie auch nicht. Um trotzdem berühmt zu werden, machten sie ihr musikalisches Defizit durch eine sehr spezielle Bühnenshow wett: Eimerweise kippten sie Lebensmittelfarbe, Wasser und Mehl über das Publikum. Die Fans waren begeistert!

Auch in Münster freuten sich Punks und Psychobillys auf eine Riesensauerei, denn Anfang März trat die Band im legendären Odeon an der Frauenstraße auf. Die Wartezeit bis zum Einlass vertrieben sich die Konzertbesucher damit, sich auf der Straße vor dem Club schon mal gegenseitig mit Mehltüten zu bewerfen. Anwohner, die nicht über den aktuellen Musiktrend aus England auf dem Laufenden waren, riefen die Polizei. Die kam und wurde ebenfalls großzügig bestäubt.

Die Lage konnte aber entschärft werden, weil sich die Lebensmittelschlacht nun durch den Konzertbeginn in den Club verlagerte. Dort ging es vom ersten Lied an zur Sache: Die Band duschte das Publikum mit Farbe und Wasser; das Publikum warf Mehl und Eier zurück. Ein Fan schilderte hinterher:

»Alles hat in einer Pampe gewogt – es war phantastisch!«

Weniger phantastisch war für viele Besucher, dass sie ihre gesamten Klamotten anderntags in die Mülltonne werfen und die zementartig verklebte Haarpracht nur noch abrasieren konnten.

Die Clubbetreiber hatten zwar vorgesorgt und den Saal mit einer Plane ausgelegt, doch die blieb wirkungslos. Die Reinigungskraft brach angesichts der Schlammmassen vor Verzweiflung in Tränen aus.


Volle Deckung, Mehl im Anflug! King Kurt verwandelten die Frauenstraße in eine Schlammschlacht.

In dieser Woche im Jahr 1938 …

… flog der falsche Graf auf.

Die Berliner Gestapo informierte Münsters Gauleitung über folgenden Fall: Der Leiter der Münsteraner katholischen Knaben-Mittelschule war in Berlin verhaftet worden.

Er hatte sich als »Dr. Dr. h. c. Lutz Graf von Bothmar« ausgegeben und war mit einigen hohen Tieren aus Staat und NSDAP durch Berliner Nachtlokale gezogen, wo er »erhebliche Geldbeträge verausgabte«.

Er gab sich als ehemaliger Garde-Kavallerieoffizier aus und zeigte seinen Saufkumpanen bei jeder Gelegenheit den Orden »pour le merite« und das Eiserne Kreuz I. Klasse, die er allerdings bei einem Trödelhändler gekauft hatte – der »Hauptmann von Köpenick« lässt grüßen …

Die Ermittlungen ergaben, dass der falsche Offizier 30.000 Reichsmark aus der Kasse der Münsteraner Klosterbrüder unterschlagen hatte. Um nicht aufzufliegen, fälschte er fortgesetzt Belege.

Aufgegriffen wurde er in einem berüchtigten Berliner Bordell, das als Massagesalon getarnt war. Hier hatte er gemeinsam mit einem Generalstaatsanwalt und einem Landgerichtsrat die Puppen tanzen lassen.

Die Gestapo zog daraus den Schluss, dass der falsche Graf vom Münsteraner Klerus nach Berlin geschickt worden war, um dort zu sondieren, welche Repressalien das NS-Regime gegen die Kirche plante.

Der Verdacht konnte aber nicht bewiesen werden. Das Schicksal des Hochstaplers ist unbekannt …


Mit Münsters Klosterkasse dicke Hose in Berlins Rotlichtszene der 1930er – wie hier im legendären »Salon Kitty«.

In dieser Woche im Jahr 1960 …

… Kalter Krieg: Münsterland vs. Moskau.

Am 5. März 1946 verkündete Englands Kriegshaudegen Churchill, dass sich ein »Eiserner Vorhang« in Europa gesenkt habe, und zwar »from Stettin to Triest«. Ein Jahr später erschien in den USA das Buch »The Cold War«. Damit hatte die Ära des Kalten Krieges ihren Namen!

Der Kalte Krieg der Machtblöcke in Ost und West betraf auch das Münsterland.

Die NATO-Strategen erwarteten hier einen Vorstoß der DDR-Streitkräfte zu Zielen an Rhein und Ruhr. Darum wurde im Münsterland militärische Vorsorge getroffen.

Die A43 bei Dülmen wäre im Kriegsfall durch eine schnell demontierbare Mittel-Leitplanke zur provisorischen Start- und Landebahn für Jagdflieger umfunktioniert worden. Die Flieger waren in Rheine stationiert und übten über dem Münsterland ihre Manöver. In der Schirlheide bei Ostbevern lagerten Raketen, am Schöppinger Berg atomare Sprengköpfe, in Hopsten Atombomben. Bei Saerbeck entstand eines der größten Munitionsdepots in Westdeutschland.

Zudem kennzeichnete die Bundeswehr in Westdeutschland alle Brücken mit gelben Hinweisschildern für die »Militärische Lastenklasse«. Darauf ist angegeben, bis zu welchem Gewicht ein Panzer oder LKW die Brücke überqueren darf und ob der Verkehr in beide oder nur eine Richtung rollen darf. Mit dem Zerfall der Sowjetunion und der deutschen Wiedervereinigung war der Kalte Krieg vorbei. Im Rahmen des »2 + 4-Vertrages« wurde festgelegt, dass die neuen Bundesländer nicht mit den gelben Panzerschildern bestückt werden durften. Die Schilder sind daher das letete Relikt der Teilung im öffentlichen Raum.


Relikt des Kalten Krieges: Die Promenade am Zoobad ist für Panzer über 16 Tonnen nicht befahrbar.

In dieser Woche im Jahr 1820 …

… fand der Prozess gegen die Seherin statt.

Anna Katharina Emmerick wurde bei Coesfeld geboren und trat mit 28 Jahren in das Augustinerkloster in Dülmen ein. Doch das Kloster wurde bald darauf säkularisiert und Emmerick wurde Haushälterin bei einem Pfarrer.

Dort wurden ihre chronischen Erkrankungen und Schmerzen so schlimm, dass sie bald nur noch bettlägerig war.

Gleichzeitig bekam sie jedoch oft mystische Visionen und wurde als »Seherin« in der Region bekannt. Als an ihrem Körper auf rätselhafte Weise Stigmata – die Wundmale Christi – erschienen, war die Sensation perfekt.

Doch dem Staat Preußen missfiel das Aufsehen und die Behörden ordneten eine gerichtliche Untersuchung wegen Verdachts des Betrugs an.

Als Sachverständiger wurde u. a. der Münsteraner Homöopath Clemens von Bönninghausen gehört. Die Gutachter kamen zu dem Schluss, dass die Wundmale nicht übernatürlichen Ursprungs seien, konnten aber auch keine andere Ursache nachweisen.

Der Romantik-Schriftsteller Brentano interessierte sich für den Fall und reiste nach Dülmen. Er besuchte Anna Katharina oft und schrieb ihre Erinnerungen auf, die er zu einem Buch und einer Biographie Emmericks verarbeitete.

1824 starb die Mystikerin im Alter von 50 Jahren. 2004 wurde sie seliggesprochen. 2010 fand man bei Bauarbeiten in Buldern eine mumifizierte Frauenhand, die Emmerick zugeschrieben wird.


Heilige Wundmale konnte auch Münsters Homöopath Bönninghausen nicht mit Kügelchen heilen.

In dieser Woche im Jahr 1952 …

… zog der Send wieder zurück.

Warum heißt Münsters größtes Volksfest eigentlich nicht »Kirmes« wie anderswo, sondern Send? Send kommt von Synode und schon im Mittelalter fand anlässlich der zweimal im Jahr stattfindenden Kirchenversammlung auch ein Markt statt. Die Synode tagte im Dom, der Markt breitete sich auf dem Domplatz aus. So ging das hunderte von Jahren. Doch 1855 ging Klerus und Anwohnern der Lärm von Buden, Schaustellern und Karussells auf die Nerven. Der Send wurde aufgeteilt:

Die Viehhändler zogen vors Schloss, der Rest der Volksbelustigung vor die Aegidiikaserne (heute Aegidiimarkt).

1916, mitten im I. Weltkrieg, wurden beide Märkte wieder zu einem Großevent zusammengelegt und außerdem ein zusätzlicher Sommersend eingeführt. Die Veranstaltung auf dem damaligen Hindenburgplatz etablierte sich schnell als Lokalfolklore mit überregionaler Anziehungskraft. Doch mit Ausbruch des II. Weltkriegs war erstmal Schluss mit lustig.

 

Zwei Jahre nach Kriegsende wollten die Münsteraner ihre Sendtradition gerne wieder aufnehmen, konnten aber wegen des Mangels an allem nur eine im wahren Wortsinn »abgespeckte« Version improvisieren.

Als Ort wurde der Servatiiplatz gewählt, weil der schon weitgehend von Trümmern geräumt war. Für die nächsten vier Jahre zog der Send nun wieder auf den Domplatz.

Der Hindenburgplatz wurde noch als Halde für Bombentrümmer verwendet. Seit dem Frühjahrssend 1952 findet der Send wieder auf dem heutigen Schloßplatz statt – falls ihn keine Architekten wieder zum Umziehen zwingen.


Der Blick auf den Send bleibt erhalten, solange Architekten mit Triebstau ferngehalten werden können.

In dieser Woche im Jahr 2008 …

… ließ Paul seine Petra sitzen.

Im Mai 2006 tauchte erstmals ein schwarzer Schwan auf dem Aasee auf. Unter den weißen Schwänen suchte sich der Neue gleich den größten Kerl als Kumpel aus: Das Schwanen-Tretboot des Bootsverleihs. Die imposante Größe machte offenbar wett, dass der Kamerad irgendwie ein bisschen steif wirkte.

Nachdem sich herausstellte, dass der schwarze Schwan eine Schwänin war, die dem Tretboot heiß verliebt überall hin nachpaddelte, war die emotionale Unterhaltungs-Story perfekt.

Weil der Schwan zunächst für ein Männchen gehalten und »Schwarzer Peter« genannt worden war, taufte man das Tier nun kurzerhand in Petra um.

Alle Welt liebte die unglückliche Liebesgeschichte. Fernsehteams aus den USA und Japan berichteten vom Münsteraner Aasee, der WDR produzierte gleich eine Doku und vom Umzug des Paares in das Winterquartier im Zoo berichteten zwei Dutzend internationale Sender und Zeitungen. Es erschienen Romane, Kinderbücher, CDs und unzählige Merchandising-Artikel. Die UWG stellte den Ratsantrag, einen schwarzen Schwan in Münsters Wappen aufzunehmen!

Dann nahm die Geschichte eine unerwartete Wendung: Petra ließ doch noch einen echten Schwan ran, der von der Presse Paul getauft wurde. Doch Paul ließ Petra bald sitzen, die sich kurz erneut mit dem Tretboot tröstete und dann auf Nimmerwiedersehen verschwand.

Eine deutschlandweite Fahndung blieb trote einer Welle von Hinweisen ergebnislos.


Endlich gelöst: Das wahre und gruselige Ende der schwarzen Schwänin Petra …

In dieser Woche im Jahr 1920 …

… schloss die Uni wegen Bürgerkriegs.

Nach der Niederlage des Ersten Weltkrieges witterten Agitatoren die Chance zur kommunistischen Revolution. Die sozialdemokratische Ebert-Regierung handelte schnell und setzte »Freikorps« aus demobilisierten Frontsoldaten dagegen ein.

In Münster wurde die »Akademische Volkswehr« aufgestellt. Die Studenten waren erst kurz zuvor aus dem Schützengraben heimgekehrt. Ihr erster Einsatz war ein Abwehrring um Münster, um rote Brigaden aus dem Ruhrgebiet von der Stadt abzuschneiden.

Drei Monate später: Nach dem rechtsradikalen Kapp-Putsch in Berlin werden Münsters Studenten erneut einberufen und als »Akademische Wehr Münster« bewaffnet. Die Universität wird komplett geschlossen.

Die studentische Truppe untersteht einem Professor, der Reservemajor ist. Das erste Gefecht findet bei Selm statt, wo sich rote Arbeiter in der Kolonie der Zeche Hermann II verschanzt haben. Bei den Kämpfen kommt ein Münsteraner Student um. Nach Erstürmung der Zeche und Besetzung des Ortes Waltrop, marschieren die Akademiker nach Castrop-Rauxel, wo sie Hausdurchsuchungen vornehmen.

Die Ruhrgebietsbevölkerung empfängt die Studi-Truppen voller Hass. Nach vier Wochen kleinerer Schießereien und Verhaftungen wird das Regiment von Dortmund aus nach Münster zurücktransportiert und aufgelöst.

Münsters kommandierender Generalmajor dankte den Studis, dass sie »trotz aller persönlichen Bedenken ausgehalten haben«.


Bürgerkrieg statt Bildungsstreik: Münsters Studis mit Stahlhelm. Der Prof. marschiert voran …

In dieser Woche ab dem Jahr 1853 …

… fanden Hinrichtungen in Münster nicht mehr öffentlich statt.

Der erste Vollzug der Todesstrafe, der nicht mehr im öffentlichen Raum zum Grusel und Gaudium der Münsteraner geschah, fand am 2. April 1853 statt. Dazu hatte man sich nach dem Neubau des Landgerichtsgefängnisses und des »Zuchthauses« an der Gartenstraße entschlossen, weil der Auflauf, den eine öffentliche Enthauptung jedesmal verursachte, als nicht mehr zeitgemäß galt.

Der erste Delinquent war der Kötter Anton Heuermann aus Lüdinghausen, der wegen Totschlags an seinen Eltern verurteilt war. Sein Gnadengesuch wurde abgelehnt. Das standardisierte Antwortschreiben sagt, »der Gerechtigkeit soll freier Lauf gelassen werden«. Als Richtstätte wählte man einen Innenhof hinter dem Hauptgebäude. Die »Hinrichtung mit dem Beile« war auf sieben Uhr morgens angesetzt.

Um vier Uhr früh empfing der Delinquent in der Kapelle seine letzte Kommunion (Ein Bericht vermerkt, dass die beiden mit Gewehren bewaffneten Wachmänner vor Mitleid weinten!).

Dann bimmelte das »Armesünderglöckchen« – das Signal. Der Scharfrichter kam erst zum Hinrichtungstermin von auswärts angereist. Er trug Frack, Zylinder und weiße Handschuhe.

Das Schafott hatten seine Henkersknechte schon am Vorabend aufgebaut. War alles vorbei, läutete abermals ein Kapellenglöckchen. Kopf und Körper des Hingerichteten wurden in einen Sarg gelegt, der sogleich zum Anstaltsfriedhof an der Gartenstraße (gegenüber der Einmündung Kolpingstraße) gefahren wurde.

Die letzte Hinrichtung fand Mitte der 1930er Jahre statt. 1949 wurde die Todesstrafe in Westdeutschland abgeschafft.


Schockwerbung vor hundert Jahren. Heute wird nur noch beim Fußball geköpft.

In dieser Woche im Jahr 1950 …

… wurde Zimmermanns Villa verpachtet.

Kurz nach Beginn des 20. Jahrhunderts kaufte der erfolgreiche Unternehmer Zimmermann vom Baron von Druffel ein großes Grundstück mit der Flurbezeichnung Uppenberg, um sich dort eine herrschaftliche Villa zu bauen.

Zimmermann hatte die Münsteraner Zigarettenmarke »Dreizehnlinden« gegründet. Der Tabak dafür wurde in Altenroxel angebaut.

Durch Heirat mit der Verlegerfamilie Hüffer verbunden, gehörte Zimmermann zu Münsters Establishment und zeigte das auch: Die Diele der Villa war zwei Geschosse hoch, die Galerie umkränzten goldene Ornamente. Blickfang war der grüne Neptunbrunnen, verstärkt durch die wandhohen Spiegel des Marmorsaales. Im Wintergarten an der Rückseite hätte eine kleine Doppelhaushälfte verschwinden können.

Die Villa lag genau an der Kreuzung Grevener Straße und Burloh, die heutige Bushaltestelle Am Burloh hieß damals »Villa Zimmermann«.

Die Villa blieb im Krieg völlig unzerstört und wurde 1945 von einrückenden Amerikanern beschlagnahmt. 1950 pachteten Ordensschwestern das Gebäude samt der 70.000 qm Land. 1958 übernahm die Innere Mission der Evangelischen Kirche den Besitz und verkaufte ihn zwei Jahre später an die Aachener Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft. Diese plante hier den Bau von Mehrfamilienhäusern und ließ die Villa 1971 abreißen. Die Bebauung wurde nie ausgeführt. Ein Teil des alten Parks liegt bis heute brach.


Heute Brachgrundstück, früher eine der prachtvollsten Villen der Stadt mit eigener Bushaltestelle.

In dieser Woche vor 424 Jahren …

… wurde der Droste erstochen.

Dort wo heute an der Aegidiistraße das Kolpinghaus-Stadthotel ist, stand im Mittelalter der Adelshof der Familie Von Morrien. In dem feudalen Palais fand eine rauschende Hochzeitsfeier statt. Zu später Stunde brach unter zwei angetrunkenen Domherren ein hitziger Streit aus. Plötzlich war die Party vorbei: Berndt von Oer semmelte Johann von Torck voll eins auf die Zwölf. Der Droste zu Senden stauchte Oer zusammen und warf ihn hinaus. Torck wurde festgehalten, um eine weitere Prügelei zu verhindern.

Als der Droste die Location verließ, lungerte Oer noch vor der Tür herum. Beide provozierten sich verbal, doch der Droste wandte sich ab und ging die Aegidiistraße hoch nach Hause. Er ahnte nicht, dass Oer und sein Freund Westerholt ihm nachschlichen.

Als Droste in die Lütke Gasse einbog, holten sie ihn ein und machten ihn Messer … Dabei verloren die Mörder aber einige Klamotten, sodass sie schnell identifiziert wurden. Doch für die Ermittler wurde der Fall jetzt kompliziert. Die Täter waren in den Dombezirk geflüchtet. Weil sie Geistliche waren, durfte Münsters Gericht sie dort nicht verhaften lassen. Der Bürgermeister ließ darauf den Domplatz absperren und verlangte die Auslieferung. Nach einigem Hinauszögern wurden beide überstellt, aber vom Fürstbischof nach zwei Jahren milder Haft entlassen. Die Stadt Münster erließ neue Haftbefehle, die aber erst über 20 Jahre (!) später in Kraft gesetzt wurden. Die Mörder waren schlau genug, sich nicht mehr in Münster blicken zu lassen.


Tatort Lütke Gasse. Adelige Domherren unter sich: »Ich geb‘ dir Faust, Alter!« »Ich mach‘ dich Messer!«

In dieser Woche im Jahr 1940 …

… zog Heinrich Lankenau in die Villa ten Hompel.

Der neureiche »Zementkönig« Rudolf ten Hompel hatte sich eine dicke Villa am Kaiser-Wilhelm-Ring gebaut. Dummerweise hatte er auch das Finanzamt beschissen und so wurde seine Villa gepfändet.

Ab April übernahm die Ordnungspolizei das Protzgebäude. Neuer Hausherr wurde Heinrich Lankenau.

Dessen Dienstherr war Heinrich Himmler, Chef der Deutschen Polizei und »Reichsführer SS«, hinter vorgehaltener Hand auch als »Reichsheini« verlacht.

Himmler ernannte Lankenau in Westfalen zum Befehlshaber der Ordnungspolizei, durch den Abkürzungsfimmel der Nazis offiziell zu BdO zusammengestrichen. Himmler kam seinen BdO sogar mal besuchen, bei einer Blitzvisite in Münster, bei der er im noblen Hotel Fürstenhof am Verspoel abstieg, das später zum Kino umgebaut wurde.

Lankenau hat nie einen Menschen misshandelt, er war der typische Schreibtischtäter: Er stellte aus Polizeizügen Wachmannschaften für Deportationen und für das Ghetto von Warschau zusammen. Seine vierzig Büromitarbeiter fanden, dass er ein sehr netter und gutmütiger Chef war.

Im Frühling 1941 freute er sich über seine Ernennung zum SS-Brigadeführer, das entspricht immerhin einem Generalmajor.

Die Ernennungsurkunde mit Hitlers Unterschrift rahmte er sich stolz über seinem Schreibtisch ein.

Nach Kriegsende ging er ironischerweise wie Rudolf ten Hompel in die Zementindustrie. Als Rentner schrieb er ein Buch über seine Polizeieinheiten im Kriegseinsatz: Natürlich hatten sie niiie etwas verbrochen …

Lankenau starb als über 90-jähriger Pensionär in Ostwestfalen.


Adolf Hitler auf dem Balkon der Villa ten Hompel? Nein, der Kabarettist Andreas Breiing in einer szenischen Darstellung.

In dieser Woche im Jahr 1774 …

… mussten die Toten aus der City ausziehen.

Bis Ende des Mittelalters wurden Münsters Tote auf den Kirchhöfen der Pfarren beerdigt – in nur 30 cm Tiefe. Das führte zu Problemen: Hausschweine buddelten die Knochen aus, Verwesungsgeruch verpestete die Umgebung.

Als man begann, die Ausdünstungen der Toten mit Krankheiten in Verbindung zu bringen, wurde beschlossen, die Friedhöfe aus der Innenstadt zu verlegen. Anfang April war der erste neue Begräbnisplatz fertig: Der Überwasserfriedhof an der Münzstraße, dort wo heute der Parkplatz zwischen Buddenturm und ehemaligem Finanzamt ist. Zwei weitere, an Sonnenstraße und Schützenstraße folgten.

 

Doch die Münsteraner murrten: Die Kirchen, weil ihnen die Begräbnisgebühren entgingen; die Bürger, weil eine Bestattung am Stadtrand als nicht schick galt.

Neben dem entzerrten Platzproblem blieben andere unschöne Aspekte ungelöst: So trieben manche Bürger weiter ihr Vieh auf den Friedhof, die »niedere Jugend« lärmte und hoolte herum.

Zwei Jahrzehnte später wurden noch drei weitere Friedhöfe (Wilhelmstr., Hörsterstr., Aegidiimarkt) eröffnet. Doch die Klagen blieben: Zu nah an Häusern und Promenade; größte Gefahr für Grundwasser und Gesundheit.

Bald mussten die Ruhestätten »aus sanitätspolizeilichen Gründen« aufgegeben werden.

Langfristig entspannte sich die Lage erst, als nach Prüfung der Standorte Coburg und Coesfelder Kreuz der Zentralfriedhof an der Himmelreichallee erschlossen wurde.


Nicht mal in Ruhe verwesen kann man hier! Münsters Tote mussten dauernd umziehen und wurden von spielenden Kindern gestört.

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