Flügelschatten

Text
Aus der Reihe: Flügelschatten #1
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

9


Ich kneife die Augen zu und beiße die Zähne fest aufeinander. Das Wasser in der Wanne ist eiskalt. Die kleinen Feen haben mich in eine Badewanne gesteckt, mir eine Tube mit klarem, etwas dick­flüssigem Inhalt gegeben und mir aufgetragen, mich mit einer Bürste und einem Lappen gründlich zu schrubben, damit der ganze Dreck abgeht. Das Zeug aus der Tube soll ich in mein Haar kneten. Tatsächlich hat es ein wenig gedauert, bis ich mich in die kupferfarbene Wanne gewagt habe. Nach meiner Schwimmerfahrung im Fluss bin ich gegenüber Wasser eher abgeneigt, gerade wenn es tief ist.

Hier kann ich mich am kühlen Rand festklammern und selbst wenn ich weit in das Wasser rutsche, müsste ich meinen Kopf schon ganz nach unten drücken, um darin zu ertrinken, weshalb ich mich etwas sicherer fühle. Ich sehe mir meine blassen Beine an, völlig verdreckt mit Grasflecken, meine Nägel eingerissen, unter ihnen klebt Erde und Schmutz.

Langsam beginne ich, mit dem Lappen über die dünne Haut zu fahren. Er ist weich, trotzdem fühlt es sich auf eine eigenartige Weise merkwürdig an, den Dreck von mir zu spülen. Als würde eine Schicht meiner selbst sich im Wasser auflösen und als würde ich schutzlos werden. Als könnten die Wesen mir bis auf die Knochen sehen, nun, wo ich mich nicht länger hinter meiner Kleidung verstecken kann. Und es fühlt sich an, als würde ich den Wald von meiner Haut waschen, als würde ich ihn verlieren, seinen Geruch verreiben und mit dem Wasser vermischen, bis er verschwindet und mich nichts mehr mit ihm verbindet. Bis ich bloß ich bin.

Triefend nass drücke ich mich schließlich aus der Wanne nach oben und trete mit nackten Füßen auf die marmornen Fliesen, auf denen ich beinahe ausrutsche. Den einen Arm habe ich um mich geschlungen, mit dem anderen greife ich nach einem Handtuch, das ich fest an mich drücke. Es ist kuschelig und warm und ich hülle mich mit einem Seufzer darin ein.

Sofort sind die drei Feen wieder zur Stelle.

Als sie mich beben sehen, schlagen sie ihre kleinen Hände besorgt zusammen.

»Wieso ist dir denn kalt?«

»Wir haben extra schön warmes Wasser eingelassen!«

»Hast du etwa zu lange gewartet?«

»Ach du liebe Güte, du zitterst ja!«

Sie schwirren um mich herum und rubbeln meine Haare mit einem weiteren Tuch trocken, wenngleich es nur die Unsicherheit ist, die mich frösteln lässt. Layla, die mit dem Hut, reibt ihre kleinen Händchen aneinander und rosafarbener Glitzer rieselt auf meine Haut. Sie verreibt ihn ein wenig und eine angenehme Wärme breitet sich überall dort aus, wo er meine Haut berührt.

»Das macht sie ganz wunderbar weich«, erklärt sie mit einem zufriedenen Lächeln und streut noch mehr Glitzer über mich. Ich weiß zwar nicht, wozu es gut sein soll, weiche Haut zu haben, schaden tut es jedenfalls eindeutig nicht. Lindariel rauscht auf meine Haare zu, hebt sie an und wickelt begeistert eine Strähne um ihre kleinen Hände. Ihre Augen leuchten.

»Oh ja! Herrlich, die sind fantastisch!«

Sie schieben mich aus dem Badezimmer in einen kleinen Raum. Ich fühle mich in ihm sofort viel wohler als in den anderen Räumen und lasse mich begeistert auf den Boden sinken, wo ich staunend den Rest des Zimmers betrachte. Er ist mit weichem Gras ausgelegt und strahlende Blüten ranken sich an den Wänden empor. Ein großer Spiegel, um den leuchtende Kugeln schweben, nimmt den meisten Platz ein. Bunte kleine Hocker stehen vor ihm und überall hängen Kleider an den Zweigen der Pflanzen, die hier wachsen. Ich fühle mich fast wie auf einer Wiese. Wundervoll.

Lindariel greift zu einer Bürste und macht sich an meinen Haaren zu schaffen, während Layla meinen Körper auf weitere Wunden untersucht, jedoch nichts finden kann. Leolynn, die, wie ich glaube, Aufgedrehteste, wühlt in ihrer Kleidersammlung und sucht etwas zum Anziehen heraus. Dabei plappern sie alle begeistert durch­einander und lachen ausgelassen. Fasziniert beobachte ich, wie sie mit nur einem Fingerschnipsen Farben von Haut, Kleidung und Haaren ändern können, wie sehr ihre Magie auf die Verschönerung von Dingen präzisiert ist und was sie damit alles vollbringen können.

Sie entwerfen Kleider für mich und bringen den Stoff dazu, sich blitzschnell zu formen und zusammenzunähen, wie sie es wollen. Er besteht aus Blättern und Blumen, die sie in ihrem Zimmer pflücken und dann miteinander verweben. Stolz halten sie mir das vollendete Werk hin: eine helle Hose mit einem luftig leichten Oberteil aus zarten Blütenblättern, das sich eng und weich an meine Haut schmiegt. Nachdem ich es angezogen habe, flattern sie aufgeregt in der Luft herum und kreischen begeistert, als ich mich einmal um mich drehe. Meine Haare liegen frisch duftend auf meinen Schultern, einige Strähnen haben sie zurückgenommen und zu einem Knoten an meinem Hinterkopf gebunden. Meine Haut ist so sauber, dass sie mir wie Porzellan vorkommt, und die Armbänder aus kleinen Perlen klimpern fröhlich, wenn ich mich bewege. Erstaunt betrachte ich mich in dem großen Spiegel, versuche mein Gesicht zu meiden, das ich wohl nie gern ansehen werde. Doch derart rein und unberührt wie jetzt hat es noch nie ausgesehen und ich erschrecke mich fast ein wenig darüber, wie anders es mir dadurch vorkommt. So unschuldig.

Zaghaft lächle ich die Feen an – es ist das erste ehrliche Lächeln, das ich jemandem schenke, und sie überschlagen sich fast vor Freude. Quietschend umarmen sie mich und lassen mich mit meinem Dank gar nicht zu Wort kommen, sondern erklären, wie viel Freude es ihnen gemacht habe, mich zu frisieren und einzukleiden.

Den Rest des Tages streune ich ein wenig herum, sehr bedacht darauf, meine Kleidung zu schonen, denn ich bin solch schöne Stoffe gar nicht gewohnt. Die Sachen gefallen mir, abgesehen von den Socken an meinen Füßen. Den weichen Stoff muss ich schon nach kurzer Zeit von mir pfeffern. Lindariel, etwas schüchterner als ihre Schwestern, hat mir erklärt, dass ich heute den ganzen Tag Zeit für mich habe, morgen hingegen muss ich zum Unterricht, der im Keller des Hauses stattfindet. Es höre sich sicher komisch an, dass es welchen gibt, aber irgendwie müsse das Leben ja weitergehen, hat sie gesagt. Das macht mich neugierig und unsicher zugleich – ich hatte noch nie Unterricht und deswegen keine Ahnung, wie man sich dabei zu verhalten hat.

Was den Punkt mit dem Leben angeht – darauf konnte ich nur die Schultern heben, denn ich bin mir nicht ganz sicher, wie so ein Leben eigentlich aussieht. Was macht man denn normalerweise, wenn man lebt? Und vor allem – warum habe ich das Gefühl, all diese Wesen hier hätten irgendetwas Grauenvolles erlebt, das ihr ganzes Leben auf den Kopf gestellt und sie hierher verschlagen hat? Ihre Augen sind stumpf und es ist, als würde ein dunkler Schleier auf ihnen liegen, ein schwarzer Dunst, der sich um ihre Knöchel ringelt und sie verschlingen will, doch sie kämpfen dagegen an, indem sie zum Unterricht gehen und in der Villa leben.

Denn das sind mehr als nur Elijah und sein Sohn Celdon, wie ich schnell feststelle.

Außer ihnen wandeln weitere Jungen, Männer, Frauen und Mädchen in dem Haus herum, zu denen ich noch keinen Namen gefunden habe, was mich verunsichert. Ich kann es gar nicht leiden, unwissend zu sein.

»Möchtest du etwas essen? Wir könnten dir die Speisekammer zeigen«, schlägt Layla vor.

Erleichtert nicke ich und sie zeigen mir den Weg zu einem schmalen kleinen Kämmerchen, in dem sich die Vorräte dieses Hauses in hohen Regalen befinden. Nicht gerade viel, jedoch genug, dass ich meinen rumorenden Magen beruhigen kann.

Doch je länger ich mich in der Villa herumtreibe und eine verschlungene Treppe nach der anderen hinter mir lasse, durch dunkle Gänge oder Flure, gesäumt mit hohen Fenstern schleiche, desto nervöser werde ich.

Denn ganz gleich, welchen verzierten Türknauf ich ergreife, um an ihm zu rütteln, sämtliche Türen bleiben mir verschlossen, bis ich schließlich wieder in meinem kleinen Raum lande und erschöpft an der Wand zusammensacke, verzweifelt und abwechselnd von heißen und kalten Schauern ergriffen.

Habe ich mir zu viel vorgenommen? Kann ich das schaffen, hier in diesem Haus überleben?

Ich schlinge die Arme um mich und lege den Kopf auf meine Knie. Außerdem muss ich herausfinden, was es mit den merkwür­digen … Visionen auf sich hat. Den ganzen Tag schon warte ich mit wachsender Unruhe darauf, dass vielleicht wieder etwas passiert, ich zusammensacke und etwas sehe, aber bisher ist nichts geschehen, was mich fast noch nervöser macht. Ich möchte auf keinen Fall, dass es wieder passiert, wenn ich in der Nähe der anderen bin. Jetzt öffnet sich meine Zimmertür und der Mann mit dem Lächeln betritt den Raum. Elijah.

»Ayra, das sagen wir Elfen, wenn wir uns grüßen«, begrüßt er mich. Instinktiv weiche ich etwas zurück.

»Wie war dein erster Tag hier?« Elijah fragt so freundlich, dass ich mich ein wenig entspanne und schließlich den Kopf hin und her wiege. Was soll ich Großartiges sagen?

»Der Rest der Familie würde dich gern kennenlernen«, fährt er fort. Alarmiert springe ich auf und schüttele erschrocken den Kopf. Heftig und bestimmt. Noch mehr Elfen kennenlernen? Dafür bin ich nicht bereit! Außerdem habe ich keine Lust, dem Idioten von heute Morgen allzu bald wieder zu begegnen!

Elijah lässt sich nicht beirren.

»Na komm schon, das wird nicht schlimm! Viele der anderen waren lange Zeit allein unterwegs, bevor sie hierhergefunden haben – ich denke, du hast etwas Ähnliches erlebt. Im Übrigen würden wir gern wissen, mit wem wir es zu tun haben, bevor wir dich hier aufnehmen. Ich liege doch richtig, wenn ich behaupte, dass du uns nicht so schnell wieder verlassen wirst?«

 

Ich nicke langsam. Viele von ihnen waren auch lange auf sich allein gestellt? Sollte ich mit ihnen mehr gemeinsam haben, als ich dachte? Elijah zwinkert mir zu.

»Siehst du? Also wäre es von Vorteil, uns einander vorzustellen, und außerdem …« Er beugt sich vor und ich drücke mich an die Wand hinter mir. Entschuldigend hebt Elijah sofort die Hände und bleibt stehen. »… leben wir hier nun einmal in einer Gemeinschaft und sind aufeinander angewiesen. Einigen Jungs ist aufgefallen, dass du leicht Sachen … sagen wir … entwenden kannst.« Ein verschwörerisches Grinsen taucht in seinen Mundwinkeln auf und auch ich spüre mich schmunzeln, als ich daran denke, wie ich mir im Dorf Essen beschafft habe. »Im Gegenzug könnten wir dir ebenfalls eine Hilfe sein«, fügt Elijah nun hinzu und die Offenheit in seiner Stimme lässt mich ruhiger werden. Ich soll für sie Dinge stehlen, um hier­bleiben zu können? Die Villa wird immer interessanter. »Nicht nur mit einem Dach über dem Kopf. Dieser Anfall gestern – Ilóris wäre vielleicht eine angemessene Gesprächspartnerin. Sie ist außerordentlich belesen und weiß möglicherweise mehr darüber.«

Er lächelt mir aufmunternd zu und ich ziehe schief und etwas unbeholfen die Mundwinkel hoch. Irgendetwas hat sein Grinsen an sich, was mich dazu zwingt, zumindest zu versuchen, es zu erwidern.

»Dann bis gleich«, reißt Elijah mich aus meinen Gedanken und tippt sich an die Stirn, als trüge er eine Mütze. Er ist bereits an der Tür, als er stehen bleibt und sich zu mir umwendet. Er seufzt ein wenig.

»Du wirst nicht kommen, oder?«

Ich bringe ein ehrliches Lächeln zustande. Es fällt ihm offenbar leicht, sich in andere hineinzuversetzen. Elijah lächelt zurück, diesmal überlegen.

»Nun, es tut mir leid, dir das sagen zu müssen, aber wenn du nicht freiwillig kommst, lass ich nach dir schicken, und glaube mir, von den Jungs willst du nicht abgeholt werden – die tragen dich, wenn es nötig ist, nach unten.« Er nickt mir zum Abschied zu. »Wir möchten unsere Neuzugänge kennenlernen – mein Haus, meine Regeln. Bis gleich!«

Ich funkle ihn an, und kaum dass die Tür ins Schloss gefallen ist, mache ich sie wieder auf und knalle sie extralaut noch einmal zu. Irgendwie fühlt sich das besser an.

Schöner Mist!

Im wahrsten Sinne des Wortes!

Ich werde nicht hingehen!

Auf keinen Fall! Andererseits haben die Bewohner offenbar keine große Geduld mit mir. Als die Sonne glühend untergeht – zur Abwechslung regnet es heute Abend nicht –, wird es unten im Haus lauter und ich drücke mich enger an die Wand meines Zimmers, fest entschlossen, hierzubleiben. Ich bin nicht bereit. Ich kann das nicht.

Kaum dass die Türklinke sich ein Stück nach unten bewegt, springe ich alarmiert auf und stürze an dem Besucher vorbei, die Treppe runter in den Flur. Dann reiße ich panisch die Augen auf.

Wohin jetzt? Ich kenne mich noch nicht gut genug aus, verflixt! Abrupt bleibe ich stehen und sehe mich um. Links, rechts? Ich denke nicht lange nach, schlage einen Weg ein und laufe so schnell es geht weiter. Ich höre, wie es auf der Treppe laut poltert, meine Verfolger nähern sich. Die dürfen mich auf keinen Fall kriegen! Ich schlittere um die Ecke und sprinte durch einen kleinen Raum hindurch, angetrieben von den Stimmen hinter mir. Elijah kann sagen, was er will, ich habe nicht das geringste Interesse, den Rest des Hauses kennenzulernen. Zur Bekräftigung treibe ich meine Beine noch schneller an, auch wenn der Boden rutschig ist und ich drohe hinzufallen.

Da vorn!

Ich beiße mir auf die Lippen und werfe einen Blick über die Schulter: Ein großer Kerl mit blonden Haaren läuft an der Spitze meiner Verfolger und ist mir erschreckend dicht auf den Fersen. Ich sehe wieder nach vorn, bemerke zu spät die Tür, pralle dagegen, wobei ich sie aufstoße, und taumle dann in das Esszimmer.

Stocksteif bleibe ich stehen, den Mund leicht geöffnet, die Augen riesengroß. Da sitzen sie alle an einem langen Tisch und starren mich an. Die Dame mit dem vornehmen Haarknoten hat sogar noch die Gabel im Mund. Ich schlucke und will zurückweichen – ein zufriedenes Grinsen der jungen Männer hinter mir lässt mich erstarren. Zu meiner Linken ist eine große Fensterfront, gegenüber eine Koch­nische mit einem Tresen, auf dem sitzt eine junge Frau und knabbert an einem Brötchen. Sie sieht mich neugierig an.

Auf dem Tisch stehen allerlei Schalen und Teller mit Essen, ich hingegen habe nur einen kurzen Blick für sie übrig. Ein anderer Gedanke schiebt sich viel weiter in den Vordergrund.

Ich will hier weg!

So viele Elfen auf einem Fleck, so viele, die mich anstarren, ihre Blicke bohren sich in meine Haut. Ängstlich sehe ich mich um, weiche zurück, wobei ich fast gegen jemanden stoße. Meine Finger beben und meine Beine wollen sich sofort wieder in Bewegung setzen und davonstürmen.

Elijah erhebt sich am Kopfende des Tisches.

»Ah, wie schön, dass du hergekommen bist. War gar nicht schwer, oder?« Er zwinkert den jungen Männern hinter mir zu, die lachen, und auch die Menschen am Tisch kichern. Ich sehe Celdon, der seinen Mund zu einem Grinsen verzieht, und muss an den Zusammenstoß heute Morgen denken. Schnell blicke ich zur Seite.

»Meine Freunde, das ist …« Er erwartet wohl, dass ich meinen Namen sage, wobei ich mir lediglich auf die Lippen beiße und demonstrativ zur Seite sehe. Auf die hölzernen Dielen am Boden. Auf die hohen verglasten Fenster. Auf den massiven Tisch, an dem so viele Leute Platz finden. Keiner von ihnen gibt auch nur einen Mucks von sich. Elijah schnippt mit den Fingern.

»Wie heißt du noch gleich?«

Ich hebe betreten die Schultern.

»Keine Sorge, wir finden schon einen Namen für dich. Also, wie viele schon mitbekommen haben, ist diese junge Dame letzte Nacht hier eingetroffen. Sie hat weder Hab noch Gut und braucht dringend eine Bleibe.«

Sein Lächeln ist wieder freundlich, dagegen wirkt seine Haltung angespannt. Fast schon, als wäre er ein wenig nervös. Warum? Ich dachte, das wäre sein Haus, also ist die Sache ohnehin entschieden. Weshalb klingt es so, als versuchte er die anderen zu überzeugen? Elijahs Worte hängen im Raum und ich bemerke, wie die Anwesenden unruhige Blicke tauschen. Ich selbst ziehe die Schultern hoch und versuche, nicht auf die klopfenden Herzschläge zu hören, die laut und schwer in meinen Ohren dröhnen.

»Will sie sich unserer Organisation anschließen?«, wirft die Frau mit dem strengen Haarknoten ein. Ich sehe auf und jetzt sind alle abwartenden Blicke auf mich gerichtet. Verstohlen blinzeln sie zu mir herüber, keiner wagt es, mich direkt anzustarren.

Außer Celdon.

Sein offensiver Blick traktiert mich, fest und überlegen. Die dunkel­braunen Augen blitzen.

Doch die Worte der Frau erhalten eine größere Aufmerksamkeit als er von mir. Sich der Organisation anschließen? Wie bitte? Ich entdecke die kleinen Feen, die auf mich zufliegen. Layla setzt sich auf meine Schulter und raunt mir zu: »Sag nichts, sie nehmen nur Leute auf, die ihnen helfen können.«

»Ja, sie gehören alle zur Organisation.«

Schön, nur was ist die Organisation? Sollte man das nicht wissen, bevor man sich irgendetwas anschließt? Ich blicke fragend zu den kleinen Flattermädchen hinauf, die ihrerseits meinen Blick meiden. Nur Lindariel winkt rasch ab.

»Das erfährst du noch. Sicher bald.«

»Ich denke, wir können uns sicher sein, dass von ihr keine Gefahr ausgeht, Aramet, zudem besitzt sie außergewöhnliche Fähigkeiten, die sie mit uns teilen möchte, nicht wahr?«

Elijahs Lächeln gilt nun wieder mir und meine Augen weiten sich.

»Sag einfach Ja«, zischt Leolynn. Ich nicke vorsichtig. Von was für Fähigkeiten redet er? Dem Anschleichen, von dem er vorhin gesprochen hat? Das kann wohl kaum so außergewöhnlich für sie sein …

»Wunderbar!« Elijah klatscht in die Hände. »Wer hat etwas gegen die Aufnahme in unsere kleine Familie?« Er sieht sich um. Ich sehe auf den Boden, trotzdem weiß ich, dass einige Hände erhoben wurden, vielleicht auch die von Celdon. Sein Vater seufzt.

»Ja, Dalia?«

Ich höre einen Stuhl über den Boden schrappen. Er hinterlässt einen feinen Kratzer auf dem Holz.

»Wir wissen überhaupt nichts über sie! Was, wenn sie eine Spionin ist?«

»Wussten wir denn am Anfang mehr über dich?«, gibt Elijah prompt zurück. Sie verstummt.

»Wer noch? Iain?«

»Sie hat nicht mal einen Namen! Sieh mal, wie sie sich bewegt, als hätte sie uns noch nie gesehen, und ihre Augen erst! Das ist keine Elfe, das sehen wir alle.«

»Auch kein Mensch!«, wirft sofort jemand anderes dazwischen, ein junger Mann mit rötlichen Haaren und einem kurzen Bart. Er hat ein wettergegerbtes Gesicht und stählerne Augen. »Und keine Hexe und auch sonst nichts, was ich kenne. Was ist sie?«

Obwohl sie über mich sprechen, wagt aus einem unerfindlichen Grund keiner, zu mir herüberzusehen. Immer wieder gleiten ihre Blicke wie eine eisige Berührung über mich, bleiben nicht hängen, huschen rasch wieder zurück. Es fühlt sich an, als würden sie mich zurückstoßen, genau wie ihre harten Worte. Abweisend und kalt. Weil ich anders bin. Ungewöhnlich und sicher gefährlich.

Unheimlich.

»Ich sagte bereits, dass sie besonders ist«, gibt Elijah jedoch mit einem Schulterzucken zurück. Die Bedenken der anderen lassen ihn offenbar kalt. Doch sofort werden neue Proteste laut.

»Ja, wer weiß, ob das gut oder schlecht ist?«

»Niemand, und deswegen warten wir ab! Liam?«

»Mann, Elijah, jetzt benutze deinen Kopf, ein namenloses Mädchen, das sich wie ein Tier benimmt? In diesem Haus? Wie schnell könnten uns denn die Späher entdecken?«

Mehr und mehr Stimmen erfüllen die Luft, sie werden lauter und ich unterdrücke das Bedürfnis, mir die Ohren zuzuhalten. Es ist schrecklich und sie reden sich mehr und mehr in Rage, während Elijah jedem Einwand widerspricht.

Celdons Stimme zerschneidet den Raum: »Genau! Es sind noch weitere Späher in den umliegenden Dörfern gesichtet worden. Was passiert wohl, wenn sie sie entdecken?! Dann geht es uns an den Kragen!«

»Es muss keiner von ihr erfahren«, beharrt Elijah, was Celdon schnauben lässt.

»Was, wenn uns jemand verrät? In diesen Zeiten weiß man ohnehin nicht, wem man noch trauen soll!«

»Nicht alle stehen auf der Seite der Königin!«, kommt es von seinem Vater.

»Sieh sie dir an. Sieht sie etwa normal aus?«

»Was ist denn noch normal?« Elijah haut mit der Faust auf den Tisch, sodass ich heftig zusammenfahre. Sein Blick ist hart geworden, seine Stimme ernst und unnachgiebig. Weshalb setzt er sich nur so für mich ein? Erinnert er sich doch an mich?! Warum sagt er das nicht, warum gibt er mir kein Zeichen?

»Ich gebe Celdon recht«, verkündet derjenige, der Iain genannt wurde. »Es ist unheimlich, wie sie sich verhält! Ich habe mitbekommen, dass sie gestern ohnmächtig geworden ist und dabei komische Sachen vor sich hin gemurmelt hat. Und Celdon meinte, sie sei bei dem Anblick des Bettes völlig wahnsinnig geworden! Das ist einfach unnatürlich.«

Lindariel lässt sich auf meiner Schulter nieder und vergräbt das Gesicht in ihren Händen, während Layla mir fürsorglich über das Haar streicht. Diese Berührung zieht einige misstrauische Blicke auf sich, als könnten die Bewohner nur schwer glauben, dass die Feen mir zugeneigt sein sollen. Schon ergreift Elijah wieder das Wort.

»Na und? Schämt ihr euch denn gar nicht?! Diese Frau ist ganz auf sich allein gestellt, hat nichts, außer vielleicht uns. Und ihr gebt ihr keine Chance? Ihr stoßt sie einfach aus? Stellt euch vor, ich hätte das mit euch gemacht! Irgendeinem von euch die Tür vor der Nase wieder zugeschlagen und euch ausgesperrt. Wie hätte euch das gefallen, hm?« Elijah könnte brüllen, das wäre in jedem Fall eindrucksvoll, stattdessen spricht er mit einem Mal ruhig. Unheimlich ruhig. Er braucht nicht zu schreien, seine Worte lösen auch ohne es ein betretenes Schweigen aus, viele verlegene Blicke auf den Boden und schwitzige Hände. Elijah starrt alle eindringlich an, doch keiner kann dem Blick aus seinen klaren blauen Augen standhalten.

»Das dachte ich mir. Jeder hier hat eine faire Chance erhalten. Jeder hier wurde ungeachtet seiner Vergangenheit und dem, was er durch­gemacht hat, aufgenommen. Weil uns nämlich das von ihnen unterscheidet. Wir haben ein Herz. Wir haben Mitleid. Oder irre ich mich da? Seid ihr auch schon so abgehärtet und kaltblütig, dass ihr eure Gesichter von dem Leid anderer abwendet? So viele brauchen unsere Hilfe. Jeder von euch hat sie gebraucht und jetzt braucht diese Frau sie.«

 

Seine Rede schafft es, selbst Celdon, der als Letzter verbissen aufrecht dagesessen hat und seinen Vater entschlossen anstarrte, ein­knicken zu lassen. Sein Blick zuckt noch einmal zu mir herüber, dann sieht er jedoch demonstrativ zur Decke empor, die Arme verschränkt. Elijah tut ihm diese Geste nach und ich habe mir nie zuvor so sehr gewünscht, an einem anderen Ort zu sein.

Ich hätte nicht herkommen sollen.

Es fühlt sich alles entsetzlich falsch an. Diese Abneigung, diese offene Feindseligkeit. Was habe ich ihnen nur getan? Noch nie habe ich so deutlich gespürt, dass etwas an mir anders ist. Nach einem angespannten Schweigen ist schließlich eine leise, aber feste Stimme zu vernehmen: »Wieso schützt du sie so sehr, Elijah?«

Mindestens ein Dutzend Personen sind inzwischen aufgestanden und funkeln einander wütend an. Elijah rauft sich die Haare. Mit seinem Messer zeigt er auf Celdon, der die Arme verschränkt hat und ihn ansieht.

Totenstille.

Elijah und die ältere Frau mit den grauen, von silbrigen Strähnen durchzogenen Haaren und dem grob gewebten Stofftuch um die Schultern wechseln einen raschen Blick. Ihre Augen sind zwar trüb, dafür hat sie statt schwarzer silberne Pupillen und düstere Iriden. Ihr Blick ruht auf mir.

»Ich denke, das habe ich klar genug ausgedrückt. Jeder, der hierherkommt, hat es verdient, dass ich ihn schütze. Wer jetzt noch was zu meckern hat, kann seine Sachen packen und verschwinden. Fragen?!«

Keiner sagt etwas. Na wunderbar. Die mögen mich nicht, ich mag sie nicht und wir müssen miteinander klarkommen. Klingt ja viel­versprechend.

Elijah jedoch hat beschlossen, die angespannte Stimmung im Raum zu ignorieren. Er nickt mir freundlich zu, das Grinsen ist zurückgekehrt.

»Dann ist es abgemacht. Du bleibst hier. Ab jetzt gehörst du zu uns und wir sind aufeinander angewiesen. Vertragt euch!«

Damit setzt er sich hin und nimmt einen großen Bissen von seinem Brot, die wütenden Gesichter der anderen beachtet er nicht und nach und nach wird es wieder ruhiger. Alle setzen sich und essen weiter, die Gespräche kommen rasch wieder in Gang und es wird ausgelassen gelacht – ich werde nicht weiter mit Aufmerksamkeit bedacht, als hätte ich den Raum verlassen. Betont sehen sie weg. Nur die unsicheren Blicke zweier junger Kinder huschen hin und wieder zu mir herüber und ein unangenehmes Kribbeln lässt mich zur Seite blicken. Es juckt mich, diese Bewegung auszuführen.

Celdon starrt mich unverwandt an. Seine Augen blitzen und seinen Mund umspielt ein falsches Grinsen. Es ist nicht amüsiert und offen wie das seines Vaters. Es ist verächtlich.

»Na bitte!«, raunt Layla in mein Ohr. »Was die für einen Aufstand machen müssen …«

Mit ihrer kleinen zarten Hand klopft Leolynn mir auf die Schulter.

»Lass dich bloß nicht einschüchtern, das wittern die.« Layla greift nach einer Traube und beißt ab. Sie ist so groß wie ihr Kopf. Mir ist der Appetit gründlich vergangen, trotzdem kommt Elijah mit einem Brötchen auf mich zu. Er muss wohl die unzähligen Fragen in meinen Augen lesen können, hebt jedoch nur die Schultern.

»War einfacher, als ich dachte«, meint er leichthin. Wie kann er nur derart ruhig bleiben, wenn alle mich derartig ablehnen? Ich starre ihn entgeistert an, er hingegen geht nicht weiter darauf ein.

»Hier, iss auch etwas. Das auf dem Tisch ist Suppe aus Neumondkresse – Dalia backt und kocht hervorragend.« Damit deutet er auf eine der jüngeren Frauen. »Sie kümmert sich darum, dass wir alle etwas zwischen die Zähne bekommen. Zwischen den Mahlzeiten kannst du im Grunde genommen machen, was du möchtest, aber an den Vormittagen lege ich Wert darauf, dass ihr alle ein wenig unterrichtet werdet.« Er blickt mich streng an, als ahne er, dass ich mich dagegen sträuben werde. »Auch du. Unser Land befindet sich zurzeit in einer … Krisensituation.« Er mach eine unbestimmte Hand­bewegung und will offensichtlich nichts weiter dazu sagen, denn hastig spricht er weiter: »Was jedoch nicht bedeutet, dass wir alle im Chaos versinken. Es gibt für jeden hier noch einiges zu lernen. Wie man überlebt, zum Beispiel.«

Ich versuche zu nicken, auch wenn meine Blicke die ganze Zeit über den Raum absuchen. Ich habe Angst, jeden Moment könnte jemand aufspringen und mich angreifen.

»Gut. Ich hoffe, du lernst die anderen im Laufe der Zeit kennen, und gerade mit unseren Fähigkeiten scheinst du mir nicht allzu vertraut zu sein – auch das wird dir sicher bald besser auffallen.« Er zwinkert mir zu und drückt mir den gebackenen Teig in die Hand. Dann setzt er sich wieder an seinen Platz und unterhält sich mit seinem Sitznachbarn.

Nachdenklich drehe ich das Brötchen in meiner Hand hin und her. Ob es wohl vergiftet ist? Ich bin wohl zu paranoid – überall vermute ich Gefahren. Denn selbst wenn alle anderen mich nicht mögen, Elijah hat soeben bewiesen, dass er mich hierbehalten möchte, sonst hätte er sich nicht für mich eingesetzt. Also ist es vielleicht an der Zeit, es zu versuchen. Zaghaft beiße ich ab. Kaum dass ich es aufgegessen habe, steckt mir eine der Feen ein zweites zu.

»Es gibt einen Küchendienst, kannst du auf dem Plan dort vorn nachlesen. Wenn derjenige mit dem Abwasch und Abräumen fertig ist, ist die Küche leer.«

»Ganz genau, dann kann man problemlos unbemerkt an die Speise­kammer kommen, wenn man die gemeinsamen Mahlzeiten umgehen möchte!«

Sie stupsen mich verschwörerisch an und flattern dann auf den Fenstersims. Mir bleibt der Bissen im Halse stecken. Bei dem Versuch, nicht zu husten, um keine Aufmerksamkeit zu erregen, laufe ich knallrot an. Layla hält inne und klopft mir hilfsbereit auf den Rücken.

Ich beschließe, vor allem die Feen näher im Auge zu behalten, denn sie sind nicht annähernd so naiv, wie sie zunächst wirken.

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?