Das Blutsiegel von Isfadah (Teil 2)

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Sina

Die Nachricht, dass ihre liebste Schülerin nach Isfadah zurückgekehrt war, hatte Sina erst nach deren Tod erreicht.

An jenem schicksalhaften Abend hatte eine der jungen Wächterinnen an Sinas Tür geklopft. Sie hatte ihr mitgeteilt, dass ein Mann an der Pforte stand und sie dringend zu sprechen wünsche. Als Sina in ihm jenen Wärter erkannte, der Arko einst in ihrem Auftrag den Schlaftrank überbracht hatte, ließ sie ihn gewähren. Sie begaben sich an einen ungestörten Platz. Erst dann fragte sie nach dem Grund seines Kommens. Er erzählte ihr, was geschehen war. Sina wurde schwarz vor Augen. Nur seine schnelle Reaktion verhinderte, dass sie auf dem harten Steinboden aufprallte. Sie hatte an diesem Tag noch nicht die Gelegenheit dazu gehabt, nach den Proben von Finea und dem Prinzen zu sehen. Die Nachricht erwischte sie also mit voller Härte. Als sie sich einigermaßen von ihrem ersten Schrecken erholt hatte, ließ sie sich haarklein alles erzählen, was der Wärter ihr zu berichten hatte. Dann steckte sie ihm ein paar Münzen zu und entließ ihn dankend in die Nacht.

Bei ihrer Kontrolle stellte sie später jedoch überrascht fest, dass zumindest der kleine Ammon wohlauf war. Dieses dumme Mädchen! Warum hatte sie sich von dem Anschein täuschen lassen, der Junge wäre umgekommen? Sie musste doch gespürt haben, dass er noch am Leben war. Finea hatte zu früh aufgegeben.

Doch war das wirklich so? Letztendlich musste sich Sina eingestehen, dass es nichts geändert hätte, wenn Finea nicht zu diesem letzten, todbringenden Mittel gegriffen hätte. Niemand wäre dazu in der Lage gewesen, sie aus Farids Klauen zu befreien. Der einzige Unterschied hätte darin bestanden, dass sie statt eines sanften und schnellen Todes, einen qualvollen und langsamen gestorben wäre. Sie hatte das gewusst und war in der glücklichen Vorfreude gestorben, all ihre Lieben auf der anderen Seite wiederzufinden. Sina war sich sicher, dass Finea inzwischen mütterliche Gefühle für den kleinen Ammon entwickelt hatte. Dass sie und Arko ein Paar geworden waren, stand nach den Schilderungen des Wärters für sie außer Frage.

Die ganze Nacht hindurch lag sie wach und grübelte darüber nach, was sie jetzt tun sollte. Laut der Probe in Ammons Gefäß ging es ihm körperlich noch immer gut. Doch wo konnte er jetzt nur sein? Sie beschloss, zunächst nach dem Ort zu suchen, den ihr der Mann genannt hatte. 'Bluemare' hatte er gesagt. Sie würde dort hinreisen und die Nachbarn befragen. Vielleicht hatten sie den Jungen aufgenommen. Wenn nicht, dann war es wichtig zu wissen, was in der Zwischenzeit in Fineas Leben geschehen war. Sina glaubte, dass ihr diese Informationen helfen konnten, den Prinzen zu finden.

Kamir

Inzwischen war es nun schon zwei Wochen her, seit Kamir seine erste Verabredung mit Sarah gehabt hatte. Natürlich so, wie es sich geziemte, immer in Anwesenheit ihrer Mutter Amanda. Doch da diese offensichtlich sehr daran interessiert schien, dass die jungen Leute sich näher kamen, entfernte sie sich während der Spaziergänge immer auf die maximale, gerade noch schickliche Distanz. Kamir nahm dies dankbar zur Kenntnis. Sein Herz war verloren, seit er Sarah zum ersten Mal gesehen hatte. Er war überhaupt zum ersten Mal in seinem Leben wirklich verliebt. Das stellte er spätestens dann fest, als ihm bewusst wurde, dass er Sarah nicht im Bett haben wollte, ohne ordnungsgemäß mit ihr verheiratet zu sein. Er würde nichts tun, das in irgendeiner Form ihrer Ehre schaden könnte. Darum begnügte er sich damit, ihr ein sinnliches Lächeln zu entlocken, stundenlange Gespräche zu führen und sie mit kleinen Geschenken und Komplimenten zu überschütten.

„Du läufst herum wie ein verliebter Trottel!“, eröffnete ihm Lester eines Tages in seiner ganz eigenen unverblümten Art. „Die Männer beginnen schon Witze über dein Balzverhalten zu reißen. Was ist los mit dir? Will die Kleine nicht in dein Bett oder warum bist du so lange damit beschäftigt, Süßholz zu raspeln. Mit deinem 'Dolch' ist doch hoffentlich alles in Ordnung, oder? Wenn nicht, dann hätte ich einen guten Tipp ...“

Er kam nicht dazu, seinen gutgemeinten Rat zu formulieren. Zu seiner Überraschung hatte Kamir ihn grob am Kragen gepackt.

„Hör zu, wenn ich auch nur ein weiteres unziemliches Wort von dir oder einem der Männer aufschnappe, welches Sarah verunglimpft, dann werdet ihr euch vor mir verantworten müssen. Und glaube mir, das bekommt keinem von euch!“

„Schon gut, schon gut, mein Freund“, versuchte Lester ihn zu beruhigen. Nicht, dass er keine Chance gehabt hätte, sich gegen Kamirs Attacke zu wehren. Doch ihm wurde spätestens jetzt klar, wie sehr es seinen Freund erwischt hatte und wie ernst es ihm mit Sarah war. Langsam nahm dieser seine Hände herunter und entfernte sich grußlos.

Lester ließ ihn gehen. Es war besser, Kamir würde sich zunächst einmal abreagieren, bevor er sich bei ihm entschuldigte. Er zweifelte auch keinen Moment daran, dass er dessen Absolution erhielt. Nachdenklich sah Lester ihm nach und schüttelte lächelnd den Kopf. Es schien wirklich so, als würde diese Frau es schaffen, den allseits beliebten Kamir zu einem treusorgenden Ehemann heranzuziehen. So wie Lester die Situation einschätzte, musste sich Kamir bald Gedanken darüber machen, wie er seinen Antrag formulieren sollte. Das würde ein schwarzer Tag für die ledigen weiblichen Bewohner bei Hofe werden. Schließlich war er zur Zeit der begehrteste Junggeselle hier.

Allerdings war auch noch nicht klar, was der König von der Wahl seines Bruders hielt. Immerhin wären Kamir und dessen künftige Söhne Farids legitime Nachfolger, wenn dieser kinderlos blieb. Er und Ismee waren nun schon lange genug verheiratet und noch immer unfruchtbar. Das sorgte hinter vorgehaltener Hand für allerlei Tratsch. Scheinbar sollte es ihnen nicht vergönnt sein, mit Kindern gesegnet zu werden.

Bei dem Gedanken, wie Farid bei Ismee lag, zog sich Lesters Herz zusammen. Es war ihm klar, dass ihm seine Eifersucht nicht zustand, doch was nutzte der Kopf, wenn das Herz verrücktspielte. Entschlossen begab er sich zu den Mannschaftsquartieren der Garde und lenkte sich bei einer anstrengenden Übungseinheit ab.

Kamir bereute schon kurze Zeit später seinen impulsiven Ausbruch. Umgekehrt war er schließlich nicht anders, im Umgang mit Lester und den anderen Männern. Er war berüchtigt für seine spitze Zunge, aber jeder wusste, dass er es nicht wirklich böse meinte. Ihm war klar, dass ihn Lester lediglich etwas sticheln wollte. Er lieferte ihm ja auch genügend Material für seine ironischen Bemerkungen. Im umgekehrten Falle hätte er auch nicht widerstehen können, den Freund zu necken. Er war Lester jedoch förmlich an den Hals gesprungen! So hatte er sich bisher noch nie aufgeführt. Es wurde Zeit, dass er Nägel mit Köpfen machte, Sarah seine Liebe gestand und um ihre Hand anhielt. Aber vorerst musste er mit Farid sprechen. Er würde sich die Hochzeit nicht verbieten lassen, hielt es aber dennoch für klug, sich den Segen seines Bruders vorher einzuholen. Vor allem, um Sarah jegliche Unannehmlichkeit diesbezüglich zu ersparen.

Er fand ihn in seinem Beratungszimmer über irgendwelchen Landkarten. Als Farid ihn bemerkte, rollte er diese eilig zusammen. Kamir konnte sich des Gefühles nicht erwehren, dass sein Bruder etwas vor ihm verheimlichte. Als König des Landes stand es ihm allerdings zu, seine Geheimnisse zu haben. Da Kamir im Moment in bittender Position hier war, verkniff er sich die spitze Bemerkung, die ihm bereits auf der Zunge lag.

„Kamir, schön dich zu sehen!“ Farid trat übertrieben freundlich und mit offenen Armen auf ihn zu.

'Ja, er hat mit Sicherheit irgendetwas zu verbergen. Und scheinbar etwas Gewichtiges ...', dachte Kamir bei sich und gab sich der ungewohnt herzlichen Begrüßung hin. „Was kann ich für dich tun?“, fragte Farid nun.

„Ich habe eine persönliche Bitte an dich.“ Kamir holte tief Luft und schloss die Augen. Dann sah er seinem Bruder fest ins Gesicht und sagte: „Ich möchte dich um die Erlaubnis bitten, Sarah, der Tochter deines neuen Baumeisters, den Hof machen zu dürfen, um sie später um ihre Hand zu bitten.“

Farid sah ihn eine Weile nachdenklich an. Dann legte er den Kopf schief und verschränkte die Arme vor der Brust. „Soweit ich weiß, machst du ihr schon lange den Hof. Und ich kann das verstehen, denn sie ist ein Prachtweib. Doch bisher hast du mich nie um Erlaubnis gefragt, wenn du ein Weib in dein Bett holen wolltest. Und was soll das mit der Hochzeit? Du musst ja nicht gleich die Stute kaufen, nur weil du sie mal reiten willst.“

Kamir musste an sich halten, um nicht, wie zuvor bei Lester, die Kontrolle zu verlieren. Dies wäre hier ganz und gar nicht dienlich. Farid würde nie verstehen, was es bedeutete, die Ehre einer Frau zu achten und sie mit dem eigenen Leben zu verteidigen. Auch wenn Kamir ihm seine Gefühle für Ismee nicht gänzlich absprach, war ihm längst klar, dass sein Bruder zu echter Liebe, so wie sie unter normalen Menschen vorkam, nicht fähig war. Er musste sogar die wenigen Personen, die ihm nahestanden, unter seinen Willen zwingen. Wenn er jemandem befehlen könnte, ihn zu lieben, dann würde er dies mit Sicherheit tun.

„Um es mit deinen Worten zu sagen: Ich habe nicht vor, die Stute zu reiten und dann dem Stallknecht zu überlassen! Ich will Sarah zu meiner Frau und zur Mutter meiner Kinder machen. Darum bitte ich dich um deine Zustimmung. Ich weiß, dass sie nicht von adligem Geblüt ist, doch das war unsere Mutter auch nicht. Darum hoffe ich auf deine Großzügigkeit.“ Demütig senkte er den Blick. Farid bemerkte es wohlwollend, vermisste er doch sonst bei seinem kleinen Bruder derartigen Respekt.

 

„Also gut. Du hast meine Erlaubnis. Ich wünsche dir viel Erfolg. Ehrlich gesagt zweifle ich nicht im Geringsten daran, dass du deinen Willen bekommst. Die Mutter der Kleinen scheint regelrecht versessen darauf zu sein, dich zu ihrem Schwiegersohn zu machen. Sie würde dir Sarah sicher direkt in dein Schlafgemach führen, wenn du deine Braut zuvor 'prüfen' wolltest.“

Kamir dankte ihm und verließ so schnell wie möglich den Raum. Er wusste nicht, ob er noch mehr Beleidigungen Farids, gegen seine Angebetete und deren Familie, aushalten würde, ohne ihm das Wort zu verbieten. Obwohl er zugeben musste, dass Farid im Bezug auf Amanda nicht ganz unrecht hatte. Sie war dennoch Sarahs Mutter und es widerstrebte ihm, derartige Aussagen kommentarlos hinzunehmen.

Sobald er weit genug von Farid entfernt war, verschaffte er sich mit einem derben Schimpfnamen gegen ihn Erleichterung und atmete auf. Jetzt stand seinem Vorhaben nur noch eines im Wege: Sarahs Wille. Er war sich bisher noch nicht ganz sicher, ob es nur Freundlichkeit oder romanische Gefühle waren, die sie ihm entgegenbrachte. Er wusste nur eines, dass er genau diese Frau haben wollte. Sie war klug, schlagfertig und humorvoll. Ganz zu schweigen von ihrer Schönheit und der unschuldigen Anziehungskraft.

Kurz entschlossen ging er in die Bibliothek, nahm sich ein Blatt Papier und eine Feder und schrieb Sarah eine Botschaft. Diese verschloss er mit seinem Siegel, welches er stets als Ring am Finger trug, und übergab sie einem Diener. Er erteilte ihm die Order, Sarah den Brief nur persönlich und ohne Aufsehen zu überbringen.

Als er später zum Abendessen die Halle betrat, nahm er geistesabwesend Lesters Entschuldigung entgegen. Er versicherte dem Freund nervös, dass er ihm keineswegs gram sei und bat ihn seinerseits um Verzeihung, wegen seiner Überreaktion. Damit war die Angelegenheit für beide erledigt und sie aßen schweigend. Kamir stocherte abwesend auf seinem Teller herum, hielt jedoch inne, als Sarah und ihre Eltern endlich den Saal betraten. Mit klopfendem Herzen sah er sie an. Beinahe unmerklich nickte sie ihm zu und ihm fiel bei dieser unauffälligen Geste ein ganzes Gebirge vom Herzen. Erleichtert aß er seinen Teller leer und antwortete auf Lesters Fragen.

Nach Sonnenuntergang wartete er im Schlossgarten nervös auf seine Angebetete. Er hatte sie in seinem Brief gebeten, ihn an der großen Weide zu treffen. Allein! Diese sollte ihnen Schutz vor unerwünschten Blicken bieten. Nach einer halben Stunde sank seine Hoffnung, dass sie überhaupt noch kommen würde. Als er gerade gehen wollte, hörte er das Knacken eines Astes in seiner Nähe. Reflexartig legte er seine Hand auf den Dolch an seinem Gürtel. Doch dann erkannte er die eindeutigen Umrisse einer Frau, die auf ihn zutrat.

„Kamir, seid Ihr hier?“, fragte sie mit flüsternder Stimme.

„Ich bin hier drüben.“ Mit ein paar Schritten war er bei ihr und trat dicht an sie heran. „Danke, dass Ihr mir Euer Vertrauen schenkt und mich hier trefft.“

Sie senkte kurz den Blick und sah ihn dann, unter ihren dichten schwarzen Wimpern hervor, verschüchtert an. Im Mondlicht gewahrte er ihre dunklen Augen fragend auf sich gerichtet.

„Ich habe keinen Moment an Eurer Ehrenhaftigkeit gezweifelt, Lord Kamir. Jedoch hörte ich schon das ein oder andere, das mich hätte davon abhalten müssen, eurem Wunsch nachzugeben. Ihr seid kein Mann, der schönen Frauen abgeneigt ist ... Dennoch, meine Neugier war stärker.“ Sie zuckte entschuldigend mit den Schultern. „Wahrscheinlich meine größte Schwäche.“

Er lachte leise. „Ein Glück für mich.“ Er näherte sich ihr noch mehr und war schließlich so dicht vor ihrem Gesicht, dass er ihren warmen Atem spürte. „Und was würdet Ihr tun, wenn ich Euch doch in unehrenhafter Absicht herbestellt hätte?“ Er hatte es noch nicht ganz ausgesprochen, da spürte er etwas Spitzes zwischen seinen Beinen, direkt an seiner empfindlichsten Stelle.

„Ich bin neugierig, aber nicht dumm!“, stellte sie unschuldig fest.

Er konnte nicht anders: Ungeachtet dessen, dass er ihr gemeinsames Versteck verraten könnte, begann er laut zu lachen. „Genau das ist es, was Euch in meinen Augen so unwiderstehlich macht. Ihr könnt einen immer wieder überraschen!“ Er schüttelte den Kopf und entfernte sich ein paar Schritte von ihr. „Eigentlich wollte ich ... Aber vergessen wir dies für heute. Ich glaube, es ist nicht der richtige Moment dafür.“ Noch immer wurde seine Stimme von Lachen gefärbt.

Ihre Augen wurden schmal und sie musterte ihn eindringlich. „Was wolltet Ihr? Ich bin nicht mitten in der Nacht aus meinen Gemächern geschlichen, um mich dann hier von Euch auslachen zu lassen.“

Sofort verstummte er und wurde ernst. „Ich lache Euch keineswegs aus. Es ist eher die Situation, die mich erheitert. Ich hatte vor, Euch heute meine Liebe zu gestehen und statt des innig erhofften Kusses, bekomme ich von Euch einen Dolch an den ...“ Er brach den Satz ab, als er die Veränderung bemerkte, die mit ihr vorging. Sie ließ die zierliche Klinge sinken und sah ihn forschend an. So standen sie eine Weile bewegungslos da, bis er ihr anbot, sie zurückzubringen. Doch statt sich in Richtung Schloss umzudrehen, trat sie entschlossen auf ihn zu und presste unbeholfen ihre Lippen auf die seinen. Völlig überrumpelt davon, dass sie die Initiative ergriff, entzog er sich für einen Moment. Doch als er sich der Bedeutung dieser forschen Geste bewusst wurde, legte er seine Arme fest um ihren schmalen Leib und zeigte ihr, wie ein richtiger Kuss zu sein hatte. In seinem Inneren explodierten die Gefühle und er ließ erst wieder von ihr ab, als sie ihn sanft von sich schob. Erregt und völlig außer Puste sahen sie sich an. „Ja, so etwas in der Art hatte ich mir vorgestellt“, sagte er leise.

„Ich mir auch“, gab sie keck zurück. Wieder versanken sie in einem langen leidenschaftlichen Kuss. Als er später bemerkte, dass sein Unterleib drohte, seinen Verstand lahmzulegen, ließ er von ihr ab. „Es ist besser, wir gehen jetzt zurück, sonst brauchst du am Ende deinen Dolch doch noch.“

Sie lachte verlegen, was sie für ihn noch anziehender machte. Spontan ging er auf die Knie und fragte: „Sarah Zorban, bist du damit einverstanden, dass ich deinen Vater um die Erlaubnis bitte, um deine Hand anhalten zu dürfen?“

Sie sah ihn fassungslos an, noch immer den kleinen Dolch in der rechten Hand. Als ihr dies bewusst wurde, steckte sie ihn fahrig in die dazugehörige Scheide, die sie zwischen ihren Rockfalten fand. Dann sah sie ihn lächelnd an und hielt ihm beide Hände entgegen. „Natürlich bin ich einverstanden!“ Sie zog ihn hoch und sie standen noch lange, schweigend und überwältigt von diesem Moment, eng umschlungen da.

Schon am nächsten Tag setzte Kamir sein Vorhaben in die Tat um. Wie erwartet gab es bei Sarahs Vater keine Probleme. Freudig erteilte er ihnen seinen Segen und Kamir kniete schon einen Moment später erneut vor seiner Braut. Glücklich steckte er ihr den Ring an, den er zum Zeichen seiner Liebe hatte anfertigen lassen. Sarahs Mutter sorgte dafür, dass der ganze Hof schon vor der offiziellen Verkündung von der Verlobung wusste. Man reagierte allseits positiv auf die Neuigkeit - bis auf ein paar gekränkte weibliche Seelen.

Als Kamir Ismee von der geplanten Hochzeit in Kenntnis setzte, gratulierte sie ihm von Herzen. Doch er hatte es kaum ausgesprochen, als Lina mit entsetztem Gesichtsausdruck ausrief: „Das geht nicht! Das kannst du nicht! Du sollst doch mich heiraten, wenn ich alt genug bin!“

Kamir ging in die Hocke. „Ach Lina, das war doch nur ein Spiel! Ich bin doch viel zu alt für dich. Aber wir bleiben die besten Freunde! Daran wird sich nichts ändern. Ich dachte, du könntest Sarahs Brautmädchen sein. Sie würde sich bestimmt freuen und ich mich auch.“

Er stellte mit einer gewissen Verwunderung fest, dass sich der Ausdruck in Linas Gesicht in blanke Qual verwandelte. Ihm wurde schmerzhaft bewusst, dass er diesem kleinen Mädchen, das er liebte wie seine eigene Schwester, gerade das Herz gebrochen hatte.

Nur mühsam hielt Lina ihre Tränen zurück. „Ich werde ganz sicher nicht ihr Brautmädchen. Und ich werde ganz sicher nicht mit zu eurer Hochzeit gehen. Ich hasse diese Sarah und dich auch!“ Mit diesen Worten rannte sie aus dem Zimmer. Kamir wollte ihr nachlaufen, doch Ismee hielt ihn zurück. „Lass sie! Ich werde dann nach ihr sehen. Sie muss sich damit abfinden, auch wenn es schwerfällt.“

Kamir zog die Stirn in Falten und schüttelte verständnislos den Kopf. „Was ist los mit ihr? Sie ist noch ein kleines Mädchen. Sie kann das alles doch unmöglich ernst genommen haben.“

Ismee lächelte ihr bezauberndes Lächeln und legte ihm eine Hand an die Wange. „Da täuscht du dich, mein Lieber. Auch im Herzen eines kleinen Mädchens kann schon die Liebe der späteren Frau reifen. Für Lina ist gerade ihre Zukunft zerstört worden. Sie war sich so sicher, dass sie irgendwann deine Frau sein würde. Zeit spielt für sie noch keine Rolle. Und wenn du ehrlich bist, gehörst du wirklich noch nicht zu den Greisen, wenn sie eines Tages ins heiratsfähige Alter kommt. - Das hat sie sich übrigens schon ausgerechnet. Aber trotz allem solltest du dich davon jetzt nicht einschüchtern lassen. Sie muss und wird begreifen, dass im Leben nicht alles so läuft, wie sie sich das vorstellt. Also geh jetzt zu deiner Braut und genieße deine Verlobungszeit. Um Linas gebrochenes Herz kümmere ich mich.“ Mit sanfter Gewalt schob sie ihn zur Tür und brachte ihn zum Gehen.

Dann machte sie sich auf, um Lina zu suchen. Sie fand sie in ihrem Zimmer, zusammengerollt neben dem Bett. Das Mädchen wimmerte laut und zuckte dabei heftig. Ismee ließ sich neben sie auf den Boden sinken und legte ihr die Hand auf das braune Haar. Mit einem heftigen Schluchzen warf sich das Kind in ihre Arme. Eine Weile strich Ismee ihrer Tochter nur sanft über den Kopf. Es zerriss ihr fast das Herz, sie so zu sehen.

„Lina, du darfst Kamir nicht hassen, nur weil er sich verliebt hat. Und auch Sarah hat nichts getan, das dieses Gefühl rechtfertigt. Dein Schmerz tut mir leid. Aber aus verletztem Stolz heraus, sollte man niemanden hassen. Und wenn du ehrlich bist, hast du Kamir immer noch lieb. Er dich übrigens auch. Kamir ist nun mal ein erwachsener Mann und du ein kleines Mädchen. Wenn du älter bist, lachst du darüber und wirst mit deinem Traumprinzen vor den Altar treten und glücklich 'Ja' sagen. Aber bis dahin ist es noch eine lange Zeit. Mach dir dein kleines Herz noch nicht mit solchen Dingen schwer!“ Lina hörte schließlich mit dem Weinen auf.

„Ich werde keinen anderen heiraten! Niemals!“, flüsterte sie mit entschlossener Stimme. Sie gab ihre kindliche Hoffnung nicht auf, Kamir eines Tages doch noch zum Mann zu bekommen. Doch davon sagte sie ihrer Mutter nichts. Die Erwachsenen nahmen sie nicht ernst. Das hatte sie heute wieder zu spüren bekommen. Sie nahm sich vor, mit keinem mehr jemals über diese Dinge zu reden.

Die Hochzeit fand drei Monate später statt. Die Trauung war für die Mittagszeit angesetzt. Der traditionelle Gang zum Tempel entfiel, da Kamir nur Farids Halbruder war und dieser die jahrhundertealte Tradition eh abgeschafft hatte. Kamir stand am Fenster und hielt sein Gesicht in die Strahlen der Vormittagssonne. Er genoss deren angenehme Wärme und dachte an seine Braut. Bei dem Gedanken, sie in der kommenden Nacht endlich ganz besitzen zu können, hoben sich automatisch seine Mundwinkel. Ja, er war glücklich!

Nur eines trübte seine Vorfreude erheblich: Lina hatte, seit dem Vorfall in Ismees Gemächern, kein Wort mehr mit ihm geredet. Zwar spürte er die Blicke des kleinen Mädchens, wenn sie meinte, sie blieben unbemerkt, doch immer wenn er Lina ansprechen wollte, lief sie davon. Er musste sich unbedingt mit ihr aussöhnen, bevor er zum Altar schritt. Sie war einer der wichtigsten Menschen in seinem Leben und das wollte er ihr noch einmal sagen.

Entschlossen machte er sich auf den Weg. Er fand sie schließlich, wie erwartet, an ihrem Lieblingsplatz auf den Wehranlagen. Dort saß sie mit angezogenen Beinen zwischen den Zinnen des Wehrganges. Diese waren breit genug, dass sie dort Platz fand, ohne zu dicht am Abgrund zu sitzen. Ismee durfte nicht wissen, dass Lina sich über ihr Verbot hinwegsetzte und noch immer sehr oft hier war. Leise schlich er an sie heran. Trotz des schönen Wetters wehte eine ordentliche Brise. Die Beflaggung machte knatternde Geräusche, weshalb sie ihn erst hörte, als er sie ansprach.

„Wie lange willst du noch vor mir davonlaufen?“, fragte er.

Sie sah demonstrativ in die Ferne und ignorierte ihn, wie immer.

 

„In wenigen Stunden ist meine Hochzeit. Mein größter Wunsch ist es, dass alle Menschen, die ich liebe, daran teilhaben. Wenn du nicht kommst, wird es niemals der Tag werden, den ich mir erträumt habe. Du bist mir wichtig! Ich heirate Sarah, aber du bist meine beste Freundin und ich hoffe, dass du das auch weiterhin bleibst. Und glaube mir, Freundschaften halten oft länger als jede Liebe.“ Er hielt ihr die Hand hin, doch sie blieb stur. „Wie du willst!“, sagte er leise und seine Enttäuschung war ihm deutlich anzuhören. Er wandte sich ab und ließ sie allein.

Als er später am Altar stand und seinen Blick erwartungsvoll über die Gäste in der Halle schweifen ließ, sah er, dass der Platz neben Ismee noch leer war. Sie saß mit Farid auf einem Zwischenpodest, das der königlichen Familie vorbehalten war. Lina fehlte. Ismee sah sich immer wieder um und zuckte missmutig mit den Schultern. Dann, in letzter Sekunde, eilte Kamirs beste Freundin zwischen den wartenden Menschen hindurch nach vorn. Unter dem erleichterten, aber dennoch tadelnden Blick ihrer Mutter, setzte sich das Mädchen auf seinen Platz. Nur kurz zuckten ihre Augen zu Kamir hinüber, doch das genügte ihm als Friedensangebot oder wenigstens als Waffenstillstand. Ihm war klar, dass dieses stolze Geschöpf eher die Strafe ihrer Mutter auf sich genommen hätte, als unfreiwillig hier zu sein. Sie sah sehr hübsch aus, obwohl sie sich in aller Eile fertig gemacht hatte. Wenn sie eines Tages erwachsen wäre, würde sie sicher sehr schön sein. Dann würde er, gemeinsam mit Sarah und ihren drei oder vier Kindern, zusehen, wie Lina ihrem glücklichen Ehemann zugeführt wurde. Doch den wollte Kamir zuvor auf Herz und Nieren prüfen.

Jetzt fehlte nur noch Sarah.

Und da war sie auch schon. Die wartende Menge hatte eine breite Gasse freigehalten, durch die sie von ihrem Vater geführt wurde. Sie war atemberaubend schön und Kamir musste bei ihrem Anblick schlucken. Sie trug ein weißes Kleid, das dezent mit silbernen Stickereien verziert war. Es war schlicht geschnitten und zeigte nur wenig Dekolleté, dennoch wirkte sie wie die Versuchung selbst auf Kamir. Ihr schwarzes Haar war sorgfältig aufgesteckt und wurde von vielen kleinen Diamanten verziert.

Sie blickte demütig zu Boden, ganz wie es der Brauch von einer keuschen Braut verlangte. Erst als sie fast bei Kamir angelangt war und nur er in ihr Gesicht sehen konnte, verwandelte ihr Blick sich in pure Liebe. Eine heiße Welle der Zuneigung durchlief seinen Körper. Voller Dankbarkeit nahm er die Hand seiner Braut aus der ihres Vaters und konnte es kaum erwarten, dass sie den göttlichen Segen erhielten.

Nach dem öffentlichen Akt schritten die jungen Eheleute, Seite an Seite, durch den Gang nach draußen. Dort hatten sich Kamirs Männer versammelt und zu einem Spalier aufgestellt. Das Paar ging unter den gezückten Säbeln hindurch und dankte ihnen für die erwiesene Ehre.

Dann wurde festlich getafelt und gefeiert. Die Köche hatten sich selbst übertroffen. Es gab alles, was das Herz begehrte.

Nach dem Abendessen eröffneten sie den Ball. Während einer Tanzpause entdeckte Kamir Lina, die in der hintersten Ecke des Saales saß und missmutig das Treiben beobachtete. Er ging zu ihr und stellte sich eine Weile schweigend neben sie. Ohne sie dabei anzusehen, sagte er: „Schön, dass du es dir doch noch überlegt hast. Das werde ich dir nie vergessen.“ Nun sah er sie doch an und ging auf die Knie. „Freunde, für immer?“, fragte er leise. Statt eine Antwort zu geben, erwiderte sie seinen Blick mit großen Augen, in denen Tränen schimmerten. Plötzlich fiel sie ihm euphorisch um den Hals und klammerte sich fest an ihn. „Für immer und ewig!“, flüsterte sie zurück. Er nahm sie erleichtert in seine Arme und strich ihr übers Haar.

So fand sie wenig später Ismee vor. Sie lächelte Kamir zu, bevor sie in strengem Tonfall das Wort an ihre Tochter richtete. „Hier bist du also! Die Kinderfrau hat sich darüber beklagt, dass du ihr schon seit geraumer Zeit davonläufst. Du solltest um diese Zeit längst in deinem Bett sein. Sag jetzt 'Gute Nacht' und sei ein braves Mädchen!“

Lina löste sich unwillig von Kamir und ging an der Hand der Kinderfrau hinaus. Er sah ihr lächelnd nach, bevor er zurück zu seiner wunderschönen Braut ging, um sie erneut zum Tanzen zu holen.

Kurz nach Mitternacht war das Fest vorbei und endlich waren sie allein. Kamir betrat das Brautgemach. Seine Paradeuniform hatte er bereits gegen einen bequemen Hausmantel getauscht. Das Zimmer war in Kerzenlicht getaucht und exotische Blumen verströmten ihren Duft. Sarah stand am Fenster und hatte ihm den Rücken zugewandt. Sie trug ein Nachthemd, das an eine Toga erinnerte. Kamir genoss den Anblick, den der durchscheinende Stoff ihm bot. Langsam trat er hinter sie und küsste ihren Hals. Sie schloss die Augen und legte mit einem leisen Stöhnen den Kopf zur Seite, um ihm mehr Platz für seine Liebkosungen zu bieten. Und er verstand ihre Geste. Er ließ sich Zeit dabei, sie in die Liebe einzuführen. Sie küssten sich zunächst zärtlich, dann fordernd. Mit ein paar Handgriffen hatte er sie von ihrem Hemd befreit und entledigte sich auch seiner Sachen. Er trug sie zum Bett, ohne den Kuss zu unterbrechen. Er verwöhnte ihren gesamten elfenhaften Körper mit voller Aufmerksamkeit. Sie stöhnte und drängte ihn schließlich in die richtige Position, um den Akt zu vollziehen. Er ließ sich nicht lange bitten und kam ihrem Wunsch nach. Nachdem Sarah kurz zusammengezuckt war, hatte er sich zurückgehalten. Doch nur einen Augenblick später geriet sie schließlich wieder in Bewegung und sie fanden sofort einen gemeinsamen Rhythmus. Er hatte schon lange bei keiner Frau mehr gelegen und war dankbar dafür, als er schließlich, in einem ekstatischen Schwall, alle Anspannung verlor.

Später lagen sie eng aneinandergeschmiegt und schliefen glücklich ein.