Vom Kriege

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Werfen wir einen Blick auf die Verschiedenartigkeit der Menschen in Beziehung auf das Gemüt, so finden wir erstens solche, die sehr wenig Regsamkeit besitzen, und die wir phlegmatisch oder indolent nennen.

Zweitens sehr Regsame, deren Gefühle aber nie eine gewisse Stärke überschreiten, und die wir als gefühlvolle, aber ruhige Menschen kennen.

Drittens sehr Reizbare, deren Gefühle sich schnell und heftig wie Pulver entzünden, aber nicht dauernd sind; endlich viertens solche, die durch kleine Veranlassungen nicht in Bewegung zu bringen sind, und die überhaupt nicht schnell, sondern nach und nach in Bewegung kommen, deren Gefühle aber [74] eine große Gewalt annehmen und viel dauernder sind. Dies sind die Menschen mit energischen, tief und versteckt liegenden Leidenschaften.

Dieser Unterschied der Gemütskonstitution liegt wahrscheinlich dicht an der Grenze der körperlichen Kräfte, die sich in dem menschlichen Organismus regen, und gehört jener Amphibiennatur an, die wir Nervensystem nennen, die mit der einen Seite der Materie, mit der andern dem Geiste zugewendet scheint. Wir mit unserer schwachen Philosophie haben in diesem dunklen Felde nichts weiter zu suchen. Wichtig ist es uns aber, bei der Wirkung einen Augenblick zu verweilen, welche diese verschiedenen Naturen in der kriegerischen Tätigkeit haben, und inwiefern eine große Seelenstärke von ihnen zu erwarten ist.

Die indolenten Menschen können nicht leicht aus dem Gleichgewicht gebracht werden, aber freilich kann man das nicht Seelenstärke nennen, wo es an aller Kraftäußerung fehlt. Es ist aber nicht zu verkennen, daß solche Menschen eben wegen ihres beständigen Gleichgewichts im Kriege von einer gewissen einseitigen Tüchtigkeit sind. Es fehlt ihnen oft das positive Motiv des Handelns, der Antrieb, und als Folge davon die Tätigkeit, aber sie verderben nicht leicht etwas.

Die Eigentümlichkeit der zweiten Klasse ist, daß sie von kleinen Gegenständen leicht zum Handeln angeregt, von großen aber leicht erdrückt wird. Menschen dieser Art werden eine lebhafte Tätigkeit zeigen, einem einzelnen Unglücklichen zu helfen, aber von dem Unglück eines ganzen Volkes nur traurig gestimmt, nicht zum Handeln angeregt werden.

Im Kriege wird es solchen Männern weder an Tätigkeit noch an Gleichgewicht fehlen, aber etwas Großes werden sie nicht vollbringen, es müßte denn sein, daß in einem sehr kräftigen Verstande die Motive dazu vorhanden wären. Es ist aber selten, daß sich mit solchen Gemütern ein sehr starker, unabhängiger Verstand verbände.

Die aufbrausenden, aufflammenden Gefühle sind an sich für das praktische Leben und also auch für den Krieg nicht sehr geeignet. Sie haben zwar das Verdienst starker Antriebe, aber diese halten nicht vor. Wenn indessen in solchen Menschen die Regsamkeit die Richtung des Mutes und des Ehrgeizes hat, so wird sie im Kriege auf niedrigen Stellen oft sehr brauchbar aus dem bloßen Grunde, weil der kriegerische Akt, über den ein Führer der niederen Stufen zu gebieten hat, von viel kürzerer Dauer ist. Hier reicht oft ein einzelner mutiger Entschluß, eine Aufwallung der Seelenkräfte hin. Ein kühner Anfall, ein kräftiges Hurra ist das Werk weniger Minuten, ein kühner Schlachtenkampf ist das Werk eines ganzen Tages und ein Feldzug das Werk eines Jahres.

Bei der reißenden Schnelligkeit ihrer Gefühle ist es solchen Menschen doppelt schwer, das Gleichgewicht des Gemüts zu behaupten, daher verlieren sie häufig den Kopf, und dies ist für die Kriegführung die schlimmste ihrer Seiten. Aber es würde gegen die Erfahrung sein, zu behaupten, daß [75] sehr reizbare Gemüter niemals stark, d. h. auch in ihren stärksten Regungen im Gleichgewicht sein könnten. Warum sollte auch das Gefühl für die eigene Würde in ihnen nicht vorhanden sein, da sie in der Regel den edleren Naturen angehören. Dies Gefühl fehlt ihnen selten, es hat aber nicht Zeit, wirksam zu werden. Hinterher sind sie meist von Selbstbeschämung durchdrungen. Wenn Erziehung, Selbstbeobachtung und Lebenserfahrung sie früh oder spät das Mittel gelehrt haben, gegen sich selbst auf der Hut zu sein, um in Augenblicken lebhafter Anregung sich des in ihrer Brust ruhenden Gegengewichts noch bei Zeiten bewußt zu werden, so können auch sie einer großen Seelenstärke fähig sein.

Endlich sind die wenig beweglichen, aber darum tief bewegten Menschen, die sich zu den vorigen wie die Glut zur Flamme verhalten, am meisten geeignet, mit ihrer Titanenkraft die ungeheuren Massen wegzuwälzen, unter welchen wir uns bildlich die Schwierigkeiten des kriegerischen Handelns vorstellen können. Die Wirkung ihrer Gefühle gleicht der Bewegung großer Massen, die, wenn auch langsamer, doch überwältigender ist.

Obgleich solche Menschen nicht so von ihren Gefühlen überfallen und zu ihrer eigenen Beschämung fortgerissen werden wie die vorigen, so wäre es doch wieder gegen die Erfahrung, zu glauben, daß sie das Gleichgewicht nicht verlieren und blinder Leidenschaft nicht unterwürfig werden könnten; dies wird vielmehr immer geschehen, sobald ihnen der edle Stolz der Selbstbeherrschung fehlt, oder sooft er nicht stark genug ist. Wir sehen diese Erfahrung am häufigsten bei großartigen Männern roher Völker, wo die geringe Verstandesausbildung immer ein Vorherrschen der Leidenschaft begünstigt. Aber auch unter den gebildeten Völkern und in den gebildetsten Ständen derselben ist ja das Leben voll solcher Erscheinungen, wo Menschen durch gewaltsame Leidenschaften fortgerissen werden, wie im Mittelalter die auf Hirschen angeschmiedeten Wilddiebe durchs Gehölz.

Wir sagen es also noch einmal: ein starkes Gemüt ist nicht ein solches, welches bloß starker Regungen fähig ist, sondern dasjenige, welches bei den stärksten Regungen im Gleichgewicht bleibt, so daß trotz den Stürmen in der Brust der Einsicht und Überzeugung wie der Nadel des Kompasses auf dem sturmbewegten Schiff das feinste Spiel gestattet ist.

Mit dem Namen der Charakterstärke oder überhaupt des Charakters bezeichnet man das feste Halten an seiner Überzeugung, sie mag nun das Resultat fremder oder eigner Einsicht sein, und mag sie Grundsätzen, Ansichten, augenblicklichen Eingebungen, oder was immer für Ergebnissen des Verstandes angehören. Aber diese Festigkeit kann sich freilich nicht kundtun, wenn die Einsichten selbst häufigem Wechsel unterliegen. Dieser häufige Wechsel braucht nicht die Folge fremden Einflusses zu sein, sondern er kann aus der eigenen fortwirkenden Tätigkeit des Verstandes hervorgehen, deutet dann aber freilich auf eine eigentümliche Unsicherheit [76] desselben. Offenbar wird man von einem Menschen, der seine Ansicht alle Augenblicke ändert, wie sehr dies auch aus ihm selbst hervorgehen mag, nicht sagen: er hat Charakter. Man bezeichnet also nur solche Menschen mit dieser Eigenschaft, deren Überzeugung sehr konstant ist, entweder weil sie tief begründet und klar, an sich zu einer Veränderung wenig geeignet ist, oder weil es, wie bei indolenten Menschen, an Verstandestätigkeit und damit an dem Grunde zur Veränderung fehlt, oder endlich, weil ein ausdrücklicher Akt des Willens, aus einem gesetzgebenden Grundsatz des Verstandes entsprungen, den Wechsel der Meinungen bis auf einen gewissen Grad zurückweist.

Nun liegen im Kriege in den zahlreichen und starken Eindrücken, welche das Gemüt erhält, und in der Unsicherheit alles Wissens und aller Einsicht mehr Veranlassungen, den Menschen von seiner angefangenen Bahn abzudrängen, ihn an sich und anderen irrezumachen, als dies in irgendeiner anderen menschlichen Tätigkeit vorkommt.

Der herzzerreißende Anblick von Gefahren und Leiden läßt das Gefühl leicht ein Übergewicht über die Verstandesüberzeugung gewinnen, und in dem Dämmerlicht aller Erscheinungen ist eine tiefe, klare Einsicht so schwer, daß der Wechsel derselben begreiflicher und verzeihlicher wird. Es ist immer nur ein Ahnen und Herausfühlen der Wahrheit, nach welcher gehandelt werden muß. Darum ist nirgends die Meinungsverschiedenheit so groß als im Kriege, und der Strom der Eindrücke gegen die eigene Überzeugung hört nie auf. Selbst das größte Phlegma des Verstandes kann kaum dagegen schützen, weil die Eindrücke zu stark und lebhaft und immer zugleich gegen das Gemüt mit gerichtet sind.

Nur die allgemeinen Grundsätze und Ansichten, welche das Handeln von einem höheren Standpunkt aus leiten, können die Frucht einer klaren und tiefen Einsicht sein, und an ihnen liegt sozusagen die Meinung über den vorliegenden individuellen Fall gewissermaßen vor Anker. Aber das Halten an diesen Resultaten eines früheren Nachdenkens gegen den Strom der Meinungen und Erscheinungen, welchen die Gegenwart herbeiführt, ist eben die Schwierigkeit. Zwischen dem individuellen Fall und dem Grundsatz ist oft ein weiter Raum, der sich nicht immer an einer sichtbaren Kette von Schlüssen durchziehen läßt, und wo ein gewisser Glaube an sich selbst notwendig ist und ein gewisser Skeptizismus wohltätig. Hier hilft oft nichts anderes als ein gesetzgebender Grundsatz, der, außer das Denken selbst gestellt, dasselbe beherrscht; es ist der Grundsatz, bei allen zweifelhaften Fällen bei seiner ersten Meinung zu beharren und nicht eher zu weichen, bis eine klare Überzeugung dazu zwingt. Man muß stark sein in dem Glauben an die bessere Wahrheit wohlgeprüfter Grundsätze, und bei der Lebhaftigkeit der augenblicklichen Erscheinungen nicht vergessen, daß ihre Wahrheit von einem geringeren Gepräge ist. Durch dieses Vorrecht, welches wir in zweifelhaften Fällen unserer früheren Überzeugung geben, durch dieses [77] Beharren bei derselben gewinnt das Handeln diejenige Stätigkeit und Folge, die man Charakter nennt.

Wie sehr das Gleichgewicht des Gemütes die Charakterstärke befördert, ist leicht einzusehen, daher auch Menschen von großer Seelenstärke meistens viel Charakter haben.

Die Charakterstärke führt uns zu einer Abart derselben, dem Eigensinn.

 

Sehr schwer ist es oft, im konkreten Falle zu sagen, wo die eine aufhört und der andere anfängt, dagegen scheint es nicht schwer, den Unterschied im Begriffe festzustellen.

Eigensinn ist kein Fehler des Verstandes; wir bezeichnen damit das Widerstreben gegen bessere Einsicht, und dieses kann nicht ohne Widerspruch in den Verstand als das Vermögen der Einsicht gesetzt werden. Der Eigensinn ist ein Fehler des Gemütes. Die Unbeugsamkeit des Willens, diese Reizbarkeit gegen fremde Einrede haben ihren Grund nur in einer besonderen Art von Selbstsucht, welche höher als alles andere das Vergnügen stellt, über sich und andere nur mit eigener Geistestätigkeit zu gebieten. Wir würden es eine Art von Eitelkeit nennen, wenn es nicht allerdings etwas Besseres wäre; der Eitelkeit genügt der Schein, der Eigensinn aber beruht auf dem Vergnügen an der Sache.

Wir sagen also: die Charakterstärke wird zum Eigensinn, sobald das Widerstreben gegen fremde Einsicht nicht aus besserer Überzeugung, nicht aus Vertrauen auf einen höheren Grundsatz, sondern aus einem widerstrebenden Gefühl entsteht. Wenn diese Definition uns auch, wie wir schon eingeräumt haben, praktisch wenig hilft, so wird sie doch verhindern, den Eigensinn für eine bloße Steigerung der Charakterstärke zu halten, während er etwas wesentlich Verschiedenes davon ist, was derselben zwar zur Seite liegt und mit ihr grenzt, aber so wenig ihre Steigerung ist, daß es sogar sehr eigensinnige Menschen gibt, die wegen Mangel an Verstand wenig Charakterstärke haben.

Nachdem wir in diesen Virtuositäten eines ausgezeichneten Führers im Kriege diejenigen Eigenschaften kennengelernt haben, in welchen Gemüt und Verstand zusammen wirken, kommen wir jetzt zu einer Eigentümlichkeit der kriegerischen Tätigkeit, welche vielleicht als die stärkste betrachtet werden kann, wenn es auch nicht die wichtigste ist, und die ohne Beziehung auf die Gemütskräfte bloß das Geistesvermögen in Anspruch nimmt. Es ist die Beziehung, in welcher der Krieg zu Gegend und Boden steht.

Diese Beziehung ist erstens ganz unausgesetzt vorhanden, so daß man sich einen kriegerischen Akt unserer gebildeten Heere gar nicht anders als in einem bestimmten Raum vorgehend denken kann; sie ist zweitens von der entscheidendsten Wichtigkeit, weil sie die Wirkungen aller Kräfte modifiziert, zuweilen total verändert; drittens führt sie auf der einen [78] Seite oft zu den kleinsten Zügen der Örtlichkeit, während sie auf der andern die weitesten Räume umfaßt.

Auf diese Weise ist es, daß die Beziehung, welche der Krieg zu Gegend und Boden hat, seiner Tätigkeit eine hohe Eigentümlichkeit gibt. Wenn wir an die andern menschlichen Tätigkeiten denken, die eine Beziehung zu jenem Gegenstande haben, an Garten- und Landbau, an Häuser- und Wasserbauten, an Bergbau, an Jägerei und Forstbetrieb, so sind alle auf sehr mäßige Räume beschränkt, welche sie bald mit genügender Genauigkeit erforschen können. Der Führer im Kriege aber muß das Werk seiner Tätigkeit einem mitwirkenden Raume übergeben, den seine Augen nicht überblicken, den der regste Eifer nicht immer erforschen kann, und mit dem er bei dem beständigen Wechsel auch selten in eigentliche Bekanntschaft kommt. Zwar ist der Gegner im allgemeinen in demselben Fall; aber erstlich ist die gemeinschaftliche Schwierigkeit doch immer eine solche, und es wird der, welcher ihrer durch Talent und Übung Herr wird, einen großen Vorteil auf seiner Seite haben, zweitens findet diese Gleichheit der Schwierigkeit nur im allgemeinen statt, keineswegs in dem einzelnen Fall, wo gewöhnlich einer der beiden Kämpfenden (der Verteidiger) viel mehr von der Örtlichkeit weiß als der andere.

Diese höchst eigentümliche Schwierigkeit muß eine eigentümliche Geistesanlage besiegen, welche, mit einem zu beschränkten Ausdruck der Ortssinn genannt wird. Es ist das Vermögen, sich von jeder Gegend schnell eine richtige geometrische Vorstellung zu machen und als Folge davon sich in ihr jedesmal leicht zurechtzufinden. Offenbar ist dies ein Akt der Phantasie. Zwar geschieht das Auffassen dabei teils durch das körperliche Auge, teils durch den Verstand, der mit seinen aus Wissenschaft und Erfahrung geschöpften Einsichten das Fehlende ergänzt und aus den Bruchstücken des körperlichen Blicks ein Ganzes macht; aber daß dies Ganze nun lebhaft vor die Seele trete, ein Bild, eine innerlich gezeichnete Karte werde, daß dies Bild bleibend sei, die einzelnen Züge nicht immer wieder auseinanderfallen, das vermag nur die Geisteskraft zu bewirken, die wir Phantasie nennen. Wenn ein genialer Dichter oder Maler sich verletzt fühlt, daß wir seiner Göttin eine solche Wirksamkeit zumuten, wenn er die Achseln zuckt, daß ein findiger Jägerbursche darum eine ausgezeichnete Phantasie haben sollte, so wollen wir gern einräumen, daß nur von einer sehr beschränkten Anwendung, von einem wahren Sklavendienst derselben die Rede ist. Aber wie weniges dies auch sei, es muß doch von dieser Naturkraft entnommen werden, denn wenn sie ganz abgeht, dann wird es schwer werden, sich die Dinge in ihrem Formenzusammenhange bis zur Anschauung deutlich vorzustellen. Daß ein gutes Gedächtnis dabei sehr zu Hilfe komme, räumen wir gern ein; ob aber das Gedächtnis dann als eine eigene Seelenkraft anzunehmen ist, oder ob es eben in jenem Vorstellungsvermögen liegt, das Gedächtnis für diese Dinge besser zu fixieren, müssen wir um [79] so mehr unausgemacht lassen, als es überhaupt schwer scheint, diese beiden Seelenkräfte in manchen Beziehungen getrennt zu denken.

Daß Übung und Verstandeseinsicht dabei sehr viel tun, ist nicht zu leugnen. Puységur, der berühmte Generalquartiermeister des berühmten Luxemburg, sagt, daß er sich anfangs in diesem Punkt wenig zugetraut, weil er bemerkt, daß wenn er die Parole weit zu holen gehabt, er jedesmal den Weg verfehlt habe.

Es ist natürlich, daß auch die Anwendungen dieses Talents sich nach oben hin erweitern. Müssen der Husar und Jäger bei Führung einer Patrouille in Weg und Steg sich leicht finden, und bedarf es dafür immer nur weniger Kennzeichen, einer beschränkten Auffassungs- und Vorstellungsgabe, so muß der Feldherr sich bis zu den allgemeinen geographischen Gegenständen einer Provinz und eines Landes erheben, den Zug der Straßen, Ströme und Gebirge immer lebhaft vor Augen haben, ohne darum den beschränkten Ortssinn entbehren zu können. Zwar sind ihm für die allgemeinen Gegenstände Nachrichten aller Art, Karten, Bücher, Memoiren, und für die Einzelheiten der Beistand seiner Umgebungen eine große Hilfe, aber gewiß ist es dennoch, daß ein großes Talent in schneller und klarer Auffassung der Gegend seinem ganzen Handeln einen leichteren und festeren Schritt verleiht, ihn vor einer gewissen inneren Unbehilflichkeit schützt und weniger abhängig von andern macht.

Ist diese Fähigkeit der Phantasie zuzuschreiben, so ist dies auch fast der einzige Dienst, welchen die kriegerische Tätigkeit von dieser ausgelassenen Göttin fordert, die ihr übrigens eher verderblich als nützlich ist. -

Wir glauben hiermit diejenigen Äußerungen der Geistes- und Seelenkräfte in Betracht gezogen zu haben, welche durch die kriegerische Tätigkeit der menschlichen Natur abgefordert werden. Überall erscheint der Verstand als eine wesentlich mitwirkende Kraft, und so wird es denn begreiflich, wie das in seinen Erscheinungen so einfache, wenig zusammengesetzte kriegerische Wirken von Leuten ohne ausgezeichnete Verstandeskräfte nicht auf eine ausgezeichnete Art geleistet werden kann.

Hat man diese Ansicht gewonnen, so ist man nicht mehr genötigt, das Umgehen einer feindlichen Stellung, eine an sich so natürliche, tausendmal dagewesene Sache, und hundert ähnliche für das Werk großer Geistesanstrengung zu halten.

Freilich ist man gewohnt, den einfachen tüchtigen Soldaten als einen Gegensatz zu denken zu den meditativen, oder erfindungs- oder ideenreichen Köpfen und den in Bildungsschmuck aller Art glänzenden Geistern; auch ist dieser Gegensatz keineswegs ohne Realität, aber er beweist nur nicht, daß die Tüchtigkeit des Soldaten bloß in seinem Mute bestände, und daß es nicht auch einer gewissen eigentümlichen Tätigkeit und Tüchtigkeit des Kopfes bedürfte, um nur das zu sein, was man einen guten Degen nennt. Wir müssen immer wieder darauf zurückkommen, [80] daß nichts gewöhnlicher ist als Beispiele von Männern, die ihre Tätigkeit verlieren, sobald sie zu höheren Stellen gelangen, denen ihre Einsichten nicht mehr gewachsen sind; wir müssen aber auch immer wieder daran erinnern, daß wir von vorzüglichen Leistungen reden, von solchen, die Ruf in der Art von Tätigkeit geben, der sie angehören. Es bildet daher jede Stufe des Befehls im Kriege ihre eigene Schicht von erforderlichen Geisteskräften, von Ruhm und Ehre.

Eine sehr große Kluft liegt zwischen einem Feldherrn, d. h. einem entweder an der Spitze eines ganzen Krieges oder eines Kriegstheaters stehenden General, und der nächsten Befehlshaberstufe unter ihm, aus dem einfachen Grunde, weil dieser einer viel näheren Leitung und Aufsicht unterworfen ist, folglich der eigenen Geistestätigkeit einen viel kleineren Kreis läßt. Dies hat denn veranlaßt, daß die gewöhnliche Meinung eine ausgezeichnete Verstandestätigkeit nur in dieser höchsten Stelle sieht und bis dahin mit dem gemeinen Verstande auszureichen glaubt; ja, man ist nicht abgeneigt, in einem unter den Waffen ergrauten Unterfeldherrn, den seine einseitige Tätigkeit zu einer unverkennbaren Geistesarmut geführt hat, ein gewisses Verdummen zu erblicken und bei aller Verehrung für seinen Mut über seine Einfalt zu lächeln. Es ist nicht unser Vorsatz, diesen braven Leuten ein besseres Los zu erkämpfen; dies würde nichts zu ihrer Wirksamkeit und wenig zu ihrem Glück beitragen, sondern wir wollen nur die Sachen zeigen wie sie sind, und vor dem Irrtum warnen, daß im Kriege ein bloßer Bravo ohne Verstand Vorzügliches leisten könne.

Wenn wir schon in den niedrigsten Führerstellen für den, welcher ausgezeichnet sein soll, auch ausgezeichnete Geisteskräfte fordern und diese mit jeder Stufe steigern, so folgt daraus von selbst, daß wir eine ganz andere Ansicht von den Leuten haben, welche die zweiten Stellen in einem Heere mit Ruhm bekleiden, und ihre scheinbare Einfalt neben dem Polyhistor, dem federtätigen Geschäftsmann, dem konferierenden Staatsmann soll uns nicht irremachen an der ausgezeichneten Natur ihres werktätigen Verstandes. Freilich geschieht es zuweilen, daß Männer den Ruhm, welchen sie sich in niedrigen Stellen erworben haben, in die höheren mit hinüberbringen, ohne ihn wirklich dort zu verdienen; werden sie nun in diesen nicht viel gebraucht, kommen sie also nicht in die Gefahr, sich Blößen zu geben, so unterscheidet das Urteil nicht so genau, welche Art von Ruf ihnen zukommt, und so tragen solche Männer oft dazu bei, daß man einen geringen Begriff faßt von der Persönlichkeit, die in gewissen Stellen noch zu glänzen vermag.

Es gehört also von unten herauf zu den ausgezeichneten Leistungen im Kriege ein eigentümlicher Genius. Mit dem Namen des eigentlichen Genius pflegt aber die Geschichte und das Urteil der Nachwelt nur diejenigen Geister zu belegen, die in den ersten, d. h. in den Feldherrnstellen geglänzt haben. Die Ursache ist, weil hier allerdings mit einemmal die Forderungen an Verstand und Geist sehr gesteigert werden.

[81] Um einen ganzen Krieg oder seine größten Akte, die wir Feldzüge nennen, zu einem glänzenden Ziele zu führen, dazu gehört eine große Einsicht in die höheren Staatsverhältnisse. Kriegführung und Politik fallen hier zusammen, und aus dem Feldherrn wird zugleich der Staatsmann.

Man gibt Carl XII. nicht den Namen eines großen Genies, weil er die Wirksamkeit seiner Waffen nicht einer höheren Einsicht und Weisheit zu unterwerfen, nicht damit zu einem glänzenden Ziele zu gelangen wußte; man gibt ihn nicht Heinrich IV., weil er nicht lange genug gelebt hat, um mit seiner kriegerischen Wirksamkeit die Verhältnisse mehrerer Staaten zu berühren und in dieser höheren Region sich zu versuchen, wo ein edles Gefühl und ritterliches Wesen nicht soviel über den Gegner vermögen, wie bei der Besiegung eines inneren Geistes.

Um fühlen zu lassen, was hier alles mit einem Blick umfaßt und richtig getroffen sein will, verweisen wir auf unser erstes Kapitel. Wir sagen: der Feldherr wird zum Staatsmann, aber er darf nicht aufhören, das erstere zu sein; er umfaßt mit seinem Blick auf der einen Seite alle Staatsverhältnisse, auf der andern ist er sich genau bewußt, was er mit den Mitteln leisten kann, die in seiner Hand liegen.

Da hier die Mannigfaltigkeit und die unbestimmte Grenze aller Beziehungen eine große Menge von Größen in die Betrachtung bringen, da die meisten dieser Größen nur nach Wahrscheinlichkeitsgesetzen geschätzt werden können: so würde, wenn der Handelnde dies alles nicht mit dem Blick eines die Wahrheit überall ahnenden Geistes träfe, eine Verwicklung von Betrachtungen und Rücksichten entstehen, aus denen sich das Urteil gar nicht mehr herausfinden könnte. In diesem Sinne hat Bonaparte ganz richtig gesagt, daß viele dem Feldherrn vorliegende Entscheidungen eine Aufgabe mathematischer Kalküls bilden würden, der Kräfte eines Newton und Euler nicht unwürdig.

 

Was hier von höheren Geisteskräften gefordert wird, ist Einheit und Urteil, zu einem wunderbaren Geistesblick gesteigert, der in seinem Fluge tausend halbdunkle Vorstellungen berührt und beseitigt, welche ein gewöhnlicher Verstand erst mühsam ans Licht ziehen, und an denen er sich erschöpfen würde. Aber diese höhere Geistestätigkeit, dieser Blick des Genies würde doch nicht zur historischen Erscheinung werden, wenn die Gemüts- und Charaktereigenschaften, von denen wir gehandelt haben, ihn nicht unterstützten.

Das bloße Motiv der Wahrheit ist in dem Menschen nur äußerst schwach, und darum immer ein großer Unterschied zwischen dem Erkennen und Wollen, zwischen dem Wissen und Können. Den stärksten Anlaß zum Handeln bekommt der Mensch immer durch Gefühle, und den kräftigsten Nachhalt, wenn man uns den Ausdruck gestatten will, durch jene Legierungen von Gemüt und Verstand, die wir in der Entschlossenheit, Festigkeit, Standhaftigkeit und Charakterstärke kennengelernt haben.

[82] Wenn übrigens diese erhöhte Geistes- und Gemütstätigkeit des Feldherrn sich nicht in dem Totalerfolg seines Wirkens kundtäte und nur auf Treue und Glauben angenommen würde, so würde sie nur selten zur historischen Erscheinung werden.

Was von dem Gange der kriegerischen Ereignisse bekannt wird, ist gewöhnlich sehr einfach, sieht sich einander sehr ähnlich, und niemand, der sich an die bloße Erzählung hält, sieht von den Schwierigkeiten, die dabei überwunden wurden, etwas ein. Nur hin und wieder kommt in den Memoiren der Feldherren oder ihrer Vertrauten oder bei Gelegenheit einer besonderen historischen Forschung, die sich auf ein Ereignis verbissen hat, ein Teil der vielen Fäden an das Tageslicht, die das ganze Gewebe bilden. Die meisten Überlegungen und Geisteskämpfe, welche einer bedeutenden Ausführung vorhergehen, werden absichtlich verborgen, weil sie politische Interessen berühren, oder geraten zufällig in Vergessenheit, weil sie als bloße Gerüste betrachtet werden, die nach Vollendung des Baues weggenommen werden müssen.

Wollen wir nun endlich noch, ohne uns an eine nähere Bestimmung der höheren Seelenkräfte zu wagen, einen Unterschied in der Verstandeskraft selbst gelten lassen, nach gewohnten Vorstellungen, wie sie sich in der Sprache fixiert haben, und uns dann fragen, welcher Art von Verstand dem kriegerischen Genius am nächsten angehört, so wird uns sowohl der Blick auf den Gegenstand als auf die Erfahrung sagen, daß es mehr die prüfenden als schaffenden, mehr die umfassenden als einseitig verfolgenden, mehr die kühlen als die heißen Köpfe sind, denen wir im Kriege das Heil unserer Brüder und Kinder, die Ehre und Sicherheit unseres Vaterlandes anvertrauen möchten.