Seewölfe Paket 8

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3.

„Sir“, sagte Hasard, „wir haben noch zwei, drei Stunden bis zum Sonnenuntergang und sollten uns sofort die Schiffe auf der Reede vornehmen, bevor wir weitere Unternehmungen planen.“

Die Kapitäne des englischen Verbandes waren in der Admiralskammer der „Elizabeth Bonaventura“ unter Vorsitz Francis Drakes versammelt. Dort hatte sie Drake zusammenrufen lassen – eine gute Viertelstunde nach seinem „Burgfrieden“ mit Kapitän Killigrew.

„Warum das?“ fragte Kapitän Robert Seymour mit arrogant hochgezogener linker Augenbraue, was seinem Gesicht das Ansehen eines beleidigten Gockels gab. Er war der Kommandant der „Dreadnought“, einer der vier Kriegs-Galeonen der königlichen Lissy.

Hasard trank einen Schluck vom Rotwein des Admirals und musterte den Kapitän mit seinen eisblauen Augen.

„Weil diese Schiffe sonst – wie bereits andere – die Reede verlassen und für uns nicht mehr erreichbar sein werden“, erwiderte er gelassen.

„Unsinn“, erklärte Kapitän Seymour, „davon habe ich nichts bemerkt, die ganze Reede ist noch voll von Schiffen.“

„Daß Sie davon nichts bemerkt haben“, sagte Hasard süffisant, „kann ich mir lebhaft vorstellen. Sie bemerkten ja auch nichts von dem Angriff der spanischen Kriegsgaleere, obwohl Sie mit Ihrer ‚Dreadnought‘ direkt hinter dem Flaggschiff lagen. Waren eigentlich Ihre Ausgucke besetzt, Mister Seymour?“

Der Kapitän fuhr von seinem Stuhl hoch. „Was erlauben Sie sich …“

„Ruhe!“ Der Admiral pochte energisch mit den Fingerknöcheln der rechten Hand auf die Eichentischplatte. „Ich bitte mir etwas mehr Zurückhaltung aus, Gentlemen, kann aber nicht verhehlen, daß der leise Tadel Kapitän Killigrews in vollem Maße zutrifft. Die Ausgucks Ihrer Schiffe, Gentlemen, haben in sträflicher Weise versagt und ihren Pflichten nicht genügt.“ Er räusperte sich, was bei ihm in der letzten Dreiviertelstunde besonders häufig geschah, und fügte hinzu: „Das gilt natürlich auch für die Ausgucks des Flaggschiffs, nicht wahr, Kapitän Fenner?“

Kapitän Fenner zog den Kopf ein und murmelte: „Jawohl, Sir, ich werde die Burschen zur Verantwortung ziehen.“

„So?“ sagte der Admiral gedehnt und starrte zur Decke hoch. „Ist es bei uns üblich geworden, daß auf unseren Schiffen nunmehr die Ausgucks die Verantwortung für die Schiffsführung übernommen haben, Mister Fenner?“

„N-nein, natürlich nicht, Sir.“ Kapitän Fenner duckte sich noch weiter und warf Hasard einen giftigen Blick zu.

„Sehr schön, Mister Fenner“, sagte der Admiral und schaute immer noch zur Decke hoch. „Dann frage ich mich wirklich, um was Sie sich als Kommandant der ‚Elizabeth Bonaventura‘ eigentlich kümmern, wenn nicht auch um die Überwachung der Pflichten eines Ausgucks.“ Der Admiral nahm den Blick von der Decke und ließ ihn über die betretenen Gesichter seiner Kapitäne wandern. „Ich sagte ‚Überwachung‘, Gentlemen, denn ein Kapitän kann unmöglich Stunde um Stunde jedes einzelne Detail an Bord seines Schiffes überprüfen. Dafür hat er seine Offiziere und seine Maaten, die sein verlängerter Arm sind. Aber wenn diese Männer bereits ihre Pflichten und Aufgaben vernachlässigen – ohne daß es der Kapitän bemerkt –, dann steht es schlecht um das Schiff. Und dann hat der Kapitän versagt, nicht seine Offiziere, Maaten und Seeleute.“

Die Kapitäne des Admirals stierten auf die, Tischplatte oder in ihre Rotweingläser, als gelte es, dort die Rätsel dieser Welt zu ergründen. Hasard saß ruhig zurückgelehnt und fixierte ein an der hölzernen Wandverkleidung fest verschraubtes kleines Ölgemälde, das Ihre Majestät, Elisabeth I., darstellte.

Spöttisch schien sie die sehr ehrenwerten Kapitäne samt Admiral aus ihren dunklen Augen zu mustern.

Na, dachte Hasard, schön bist du nicht, verehrte Lissy, aber doch irgendwie faszinierend, faszinierender als diese Runde von hochnäsigen Gockeln, von denen einige bis auf die Schultern reichende, in zierliche Locken gedrehte Perücken trugen, unter denen es ihnen jetzt bei der Strafpredigt ihres Admirals mächtig heiß wurde.

Wie aus weiter Ferne vernahm er die Stimme des Admirals.

„Oder meint einer der Gentlemen, ihr Admiral sei dafür zuständig, die Ausgucks zu kontrollieren?“

Schweigen, das Stieren auf den Tisch oder in die Rotweingläser wurde noch intensiver.

„Dieser sehr junge Kapitän Killigrew, Gentlemen“, fuhr der Admiral fort, „fragte mich vor etwa einer Dreiviertelstunde, ob die Schiffe Ihrer Königlichen Majestät von England jetzt mit Schlafmützen zur See führen. Mit Schlafmützen!“

„Unerhört!“ murmelte Kapitän Seymour.

„Wie bitte?“ fragte der Admiral.

„Äh – ich finde das unerhört, Sir“, erwiderte Kapitän Seymour gepreßt.

Der Admiral runzelte die Stirn. „Ausnahmsweise haben Sie einmal recht, Mister Seymour. Es ist wirklich unerhört, daß unsere Ausgucks Schlafmützen sind. Es ist nicht nur unerhört, sondern eine Schande. Das meinten Sie doch, nicht wahr?“

Kapitän Seymour wurde rot wie eine überreife Tomate und stotterte: „Nanatürlich, Sir.“

„Natürlich“, sagte der Admiral, und der Hohn in seiner Stimme war nicht zu überhören, „Ich danke Ihnen, Mister Seymour, daß Sie das als einziger in dieser Kapitänsrunde so klar und treffend ausgesprochen haben. Sagen Sie, Mister Seymour, wie würden Sie denn nun die Kapitäne bezeichnen, die eine Besatzung von Schlafmützen befehligen?“

Der Kapitän Seymour blieb stumm.

„Nun“, fuhr der Admiral fort und seufzte, „ich bemerke schon, daß ich Sie mit meiner Frage offensichtlich überfordere, Mister Seymour. Es ist ja auch peinlich, sich mit Trottel oder Oberschlafmütze oder Versager bezeichnen zu müssen, nicht wahr?“ Des Admirals Stimme wurde scharf. „Ich stelle folgendes fest, Gentlemen: Vor über einer Dreiviertelstunde verließ eine spanische Kriegsgaleere östlich unseres Standortes den Rio San Pedro und nahm Kurs auf das Flaggschiff. Zu diesem Zeitpunkt hätte sie gesichtet werden müssen. Nichts davon! Kein Mann an Bord unserer Schiffe, kein Offizier und kein Kapitän hielt es für nötig, einen Blick nach Feuerlee – in diesem Falle nach Osten – zu tun. Ein Schiff, das nicht zu unserem Verband gehört, die ‚Isabella‘ des Kapitän Killigrew, sichtete die Galeere, nahm die Verfolgung auf und konnte buchstäblich im letzten Moment verhindern, daß die ‚Elizabeth Bonaventura‘ gerammt und nach dem Rammstoß geentert wurde. Die Überraschung wäre perfekt gewesen, und ich überlasse es dem Scharfsinn der Gentlemen, darüber nachzudenken, was passiert wäre, wenn die Spanier mich in ihre Gewalt gebracht hätten. Erpressung wäre wohl noch die mildeste Folge gewesen.“

Der Admiral schwieg und seine scharfen grauen Augen wanderten von einem Kapitän zum anderen.

Hasard wunderte sich insgeheim. Merkte keiner der anwesenden Kapitäne, daß der Admiral kräftig dabei war, seine eigene Wäsche weiß zu waschen?

Doch, einer hatte es bemerkt: Viceadmiral William Borough, Kommandant der „Golden Lion“ – nach Hasards Ansicht der beste Seeoffizier in dieser Kapitänsversammlung, ein Mann mit Rückgrat, klarem Verstand und seemännischem Geschick.

Borough sagte mit eisiger Stimme: „Ich darf meine Männer, Offiziere und mich wohl von Ihren Vorwürfen ausklammern, Sir. Zu dem Zeitpunkt, von dem Sie sprachen, stand die ‚Golden Lion‘ im Südkanal zwischen Las Puercas und Cadiz. Die Mündung des Rio San Pedro ist von dieser Position aus nicht sichtbar. Im übrigen haben meine Gefechtsbeobachter den strikten Befehl, den gesamten Rundumbereich ständig unter Kontrolle zu halten. Ich verwahre mich in aller Form dagegen, daß meine Offiziere und Männer als Schlafmützen, Trottel oder Versager bezeichnet werden!“

Der Admiral hatte die Augen zusammengekniffen. „Sie standen im Südkanal, während wir Cadiz beschossen? Verdammt, was hatten Sie da zu suchen, Mister Borough, Sir?“

Der Viceadmiral lächelte kalt. „Die ‚Golden Lion‘ kämpfte die Batterien des Forts San Sebastian nieder, Sir. Es liegt mir nicht, Frauen und Kinder und alte Leute zusammenzukartätschen oder deren Häuser in Schutt und Asche zu legen. Ich kämpfe gegen Soldaten, nicht gegen unschuldige Menschen. Außerdem darf ich Sie wohl daran erinnern, Sir, daß ich Sie bei den letzten beiden Kapitänsbesprechungen hier in diesem Raum danach fragte, wie unser Verband beim Angriff auf Cadiz vorgehen solle. Ihre letzte Antwort lautete: dem Flaggschiff folgen und auf alle Spanier feuern. Nach meiner Auffassung über ein solches Unternehmen ist das eine sehr magere Befehlsausgabe, wobei Ihr Aufmarsch weder voraus noch achteraus noch seitwärts gesichert war. Ich betone in diesem Falle das Wort ‚seitwärts‘, denn die spanische Kriegsgaleere griff Ihr Flaggschiff von der Seite her an.“

„Was soll das heißen?“ fragte der Admiral scharf.

„Das soll heißen, daß Sie es versäumten, für eine genügende Flankensicherung zu sorgen, Sir. Ihre Vorwürfe bezüglich der Ausgucks mögen berechtigt sein, aber wenn Sie in einer Formation segeln, in der Ihre eine Flanke – die Feuerleeseite – ungedeckt ist, dann müssen Sie sich nicht wundern, wenn der Gegner an dieser Stelle angreift. Und das haben Sie zu verantworten, Sir, nicht die Kapitäne.“

Der Admiral bewahrte mühsam seine Fassung. „Soll das eine Kritik an meinen Maßnahmen sein, Mister Borough, Sir?“

„Sie haben doch gar keine Maßnahmen getroffen, Sir“, erwiderte Borough unerschrocken. „Aber bitte, wenn Sie meine Hinweise als Kritik auffassen, dann ist das Ihre Sache.“

„Sie steuern Kollisionskurs, Mister Borough, Sir“, sagte der Admiral drohend. „Denn Sie haben hier nicht zu kritisieren, sondern zu gehorchen. Ihr Alleingang im Südkanal war bereits eine Insubordination, wenn nicht deutliche Mißachtung meines Befehls, dem Flaggschiff zu folgen.“

 

„So?“ fragte der Viceadmiral mit kaltem Hohn. „Dazu darf ich feststellen, daß ich am Tampen des Verbandes hing. Oder hatten Sie eine Reihenfolge festgelegt? Nein, das hatten Sie nicht. Also bildete ich den Schluß, zumal sich die Kapitäne und Kommandanten der anderen Schiffe in die Haare gerieten, welche Positionen sie hinter dem Flaggschiff einnehmen sollten. Ich ließ ihnen als höflicher Mensch den Vortritt.“

Mit arroganter Stimme fragte Kapitän Seymour: „Sie waren wohl zu feige, die Degenspitze unseres Verbandes zu sein, Mister Borough, Sir?“

„Die Degenspitze?“ Der Viceadmiral grinste geringschätzig. „Diese Position übernimmt doch wohl ein Flaggschiff, oder?“

„Mein Schiff segelte hinter dem Admiral“, erklärte der Gockel Seymour und reckte die Brust, „um jederzeit bereit zu sein, dem Flaggschiff in gefährlichen Situationen beizustehen.“

„Wie im Falle der Kriegsgaleere, nicht wahr, mein lieber Seymour?“ sagte der Viceadmiral gemütlich. „Aber da waren Sie wohl zu sehr damit beschäftigt, Ihre Artillerie auf wehrlose Frauen und Kinder abzufeuern. Hatten Sie denn Verluste, mein Guter? Wurde Ihre Kanonade von der Stadt aus beantwortet?“

„Natürlich nicht“, erwiderte Kapitän Seymour von oben herab. „Der Feind hatte unserem trefflichen Feuer nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen.“

„Na, wie sollte er auch, mein lieber Seymour! Es wäre städtebaulich wirklich ein Novum, in die Bürgerhäuser Kanonen einzubauen, woraus folgert, daß Sie mit Ihrer Degenspitze an völlig nutzlosen Stellen herumgestochert haben!“

Der Admiral schaltete sich wieder ein, ziemlich gereizt.

„Das zu beurteilen, steht Ihnen nicht zu, Sir!“ fauchte er.

Jetzt wurde der Viceadmiral massiv.

„Ich wurde von diesem Perückenkapitän der Feigheit bezichtigt und stelle dazu fest, daß nur zwei Schiffe echte Feindberührung hatten – die ‚Isabella‘ des ausgezeichneten Kapitäns Killigrew und meine ‚Golden Lion‘. Mit echter Feindberührung meine ich das Gefecht mit einem wehrhaften, soldatischen Gegner, bei dem mir selbst die Kugeln um die Ohren fliegen, nicht aber das sinnlose Draufloshämmern auf Häuser, in denen Frauen und Kinder wohnen, die sich nicht wehren können. Eine solche Kriegsführung ist eines Soldaten Ihrer Majestät der Königin unwürdig!“

In der Admiralskammer brach tumultartiger Lärm los. Noch während er tobte, stand Hasard mit lächelnder Gelassenheit auf – ein Riese, der sich etwas ducken mußte, um mit dem Kopf nicht gegen die Dekkenbalken zu stoßen.

Der Lärm verstummte. Verärgerte, empörte, wütende Gesichter starrten zu ihm hoch – mit Ausnahme des Viceadmirals.

Hasard sagte: „Ich darf mich empfehlen, Gentlemen. Mein Vormars wurde zerschossen, und eine Menge Arbeit wartet auf mich. Im übrigen teile ich Viceadmiral Boroughs Ansichten über eine Kriegsführung, die Frauen und Kinder und Wehrlose verschont. Statt deren Häuser zu zerschießen, sollte man sein Feuer besser auf die Forts und Batterien konzentrieren …“

„Sie schaffen es ja noch nicht einmal, eine Kriegsgaleere zu versenken!“ unterbrach ihn Kapitän Seymour höhnisch. „Sie lassen diese Galeere sogar noch davonrudern!“

„Richtig, Mister Seymour, ich bewundere bei Ihrer sonstigen Schlafmützigkeit, daß Sie das bemerkt haben“, erwiderte Hasard ruhig. „Offensichtlich reicht aber Ihr Verstand nicht aus, eine solche Handlungsweise zu begreifen. Ich erkläre es Ihnen gern. Galeeren werden mittels der Muskelkraft angeketteter Sklaven vorangetrieben. Ein angeketteter Mann ist für mich ein wehrloser Mann. Wenn ich eine Galeere versenke, dann verurteile ich diesen Mann zu einem erbärmlichen, furchtbaren Tod. Ich bin kein Henker und erst recht kein Mörder.“

„Pah!“ erklärte Kapitän Seymour. „Das sind doch alles nur Verbrecher! Abschaum ist das, Gesindel …“

Hasard umrundete mit zwei Sätzen den Tisch, packte den Perückenkapitän am Kragen, riß ihn hoch, schüttelte ihn und drückte ihn mit eiserner Faust gegen einen hölzernen Stützpfosten.

„Sagten Sie Gesindel, Sie Hampelmann?“ fauchte er. „Dann lassen Sie sich von Admiral Drake erklären, welche Männer mein Bootsmann und ich vor über sieben Jahren als Rudersklaven von einer spanischen Galeere befreiten! Das waren gute, tapfere englische Seeleute, die kämpfend und zum Teil schwerverwundet vor der irischen Küste in spanische Hände gefallen waren! Bei Gott, Scheißkerle wie Sie sollten wie räudige Hunde davongejagt werden, Sie sind eine Beleidigung für die englische Marine!“

Und dann klatschten zwei Ohrfeigen, und dem Kapitän flog die Perükke vom Kopf. Aus der Perücke stieg eine Puderwolke. Die Kopfhaut des sehr ehrenwerten Kapitäns hingegen war recht grau. Und da er auf dem Kopf geschwitzt hatte, war das Grau da und dort der helleren Hautfarbe gewichen, woraus zu schließen war, daß Robert Seymour, Kommandant Ihrer Majestät Schiff „Dreadnought“, mit Wasser und Seife auf Kriegsfuß stand und daher keineswegs als ein Muster der Reinlichkeit bezeichnet werden konnte.

Das tat Hasard auch nicht.

Noch in das schreckerstarrte Schweigen hinein sagte er: „Ich muß mich korrigieren – in der Marine Ihrer Majestät der Königin fahren nicht nur Schlafmützen zur See, sondern auch Schweinigel. Und so was wagt, ehrliche, saubere Seeleute zu beleidigen und Abschaum und Gesindel zu nennen.“ Angewidert wandte Hasard den Blick und schaute den Admiral an, in dessen Gesicht es wetterleuchtete. „Fürwahr, Sir, ich muß mich wundern, mit was für Kapitänen Sie sich umgeben – mit Ausnahme Viceadmiral Boroughs. Ich bin hier wohl wirklich überflüssig.“

„Sind Sie jetzt fertig?“ fragte der Admiral eisig.

„Allerdings.“

„Dann gebe ich Ihnen genau eine Viertelminute Zeit, sich bei Kapitän Seymour zu entschuldigen.“ Der Admiral drehte eine kleine Sanduhr um, die vor ihm stand.

Hasard verschränkte die Arme vor der Brust und lächelte amüsiert, während er den ausrinnenden Sand beobachtete.

Als der Sand ausgelaufen war, fragte er: „Und jetzt?“

„Betrachten Sie sich als unter Arrest stehend“, sagte der Admiral schneidend. „Vor einem Bordgericht werden Sie Ihre Unverschämtheiten zu verantworten haben.“

„Sie vertragen die Wahrheit nicht, Drake“, sagte Hasard verächtlich. „Wenn ich jemals Achtung vor Ihnen hatte, dann mußte ich wohl mit Blindheit geschlagen gewesen sein. Ich hätte es wissen müssen. Damals, auf der ‚Golden Hind‘, deckten Sie ja auch einen Meuchelmörder, genauso wie Sie sich jetzt auf die Seite eines schwachsinnigen Großmauls stellen. Sie wollen mich vor ein Bordgericht zerren? Dazu müssen Sie mich erst einmal haben!“

„Wache!“ brüllte der Admiral.

Hasard war mit einem Satz bei dem Schott und knallte von innen die beiden schweren Riegel vor. Er drehte sich um und lehnte sich leicht dagegen. Sein scharfgeschnittenes, braungebranntes Gesicht hatte sich verändert. Es drückte einen unbezähmbaren Willen aus, eine wilde Entschlossenheit, sich zur Wehr zu setzen.

Seine eisblauen Augen bohrten sich in die Augen des Admirals.

„Na los, Drake“, sagte er, und jetzt klirrte wieder Eisen in seiner Stimme, „versuchen Sie’s doch mal. Oder brauchen Sie einen Handlanger? Wie wär’s mit Ihnen, Seymour?“ Hasards eisblaue Augen funkelten den Kapitän an. „Sie faselten doch was von Degenspitze. Jetzt haben Sie Gelegenheit, Ihrem bedrängten Admiral zu helfen …“

Hinter Hasard wurde gegen das Schott gewummert.

„Sir! Die Wache ist zur Stelle!“ rief eine Stimme.

„Hauen Sie ab!“ rief Hasard, zog seine doppelläufige Reiterpistole und richtete sie auf den Admiral. „Bestellen Sie Mister Carberry von der ‚Isabella‘, der unten an der Jacobsleiter im Beiboot wartet, er möge sich sofort hier beim Admiral melden. Das ist ein Befehl!“

„Jawohl, Sir.“ Schritte entfernten sich.

Viceadmiral Borough grinste breit. Die anderen Gentlemen saßen wie Holzfiguren. Kapitän Seymour lehnte mit wackligen Knien an dem Stützpfosten. Der Schweiß zog neue, helle Bahnen auf seiner Kopfhaut, tropfte vom Kinn auf den weißen Rüschenkragen und hinterließ dort wiederum dunkle Flecken.

Keuchend sagte der Admiral: „Nehmen Sie diesen Mann fest, Mister Seymour!“

„Er – er bedroht uns mit einer Pistole, unser – unser aller Leben ist in – in höchster Gefahr.“ Jetzt kriegte der Kapitän auch noch Zuckungen im Gesicht.

„Meins nicht“, sagte Viceadmiral Borough gemütlich und streckte die Beine aus.

Der Admiral fuhr zu ihm herum. „Ich befehle Ihnen, diesen Mann festzunehmen, Mister Borough, Sir!“

Der Viceadmiral zuckte mit den Schultern. „Ich sehe keinen Grund, zumal ich der Ansicht bin, daß hier weiß Gott kein Anlaß vorliegt, den sehr ehrenwerten und tapferen Kapitän Killigrew vor ein Bordgericht zu stellen. Kapitän Killigrew ist ein freier Mann und untersteht nicht Ihrer Disziplinarordnung, Sir. Wenn er sich gegen eine Festnahme zur Wehr setzt, dann ist das sein gutes Recht. Ich finde es im übrigen ziemlich beschissen, einen Mann, der Sie und Ihr Flaggschiff gerettet hat, derart zu behandeln. Seymour müßte sich bei Kapitän Killigrew entschuldigen – nicht umgekehrt.“

„Wollen Sie mich etwa belehren?“ fuhr der Admiral hoch.

„So ist es, Sir“, erwiderte Borough ruhig, „denn Ihre Fehler beginnen sich in beängstigender Weise zu häufen …“

Erneutes Wummern unterbrach ihn.

„Carberry zur Stelle, Sir!“ ertönte die mächtige Stimme des Profos.

Hasard schob die beiden Riegel zurück und öffnete das Schott. Carberrys wuchtige Gestalt tauchte auf. Mit einem Blick sah er die Pistole in Hasards Faust – und schon zog er seine aus dem breiten Gürtel.

„Gibt’s Ärger, Sir?“ fragte er beachtlich leise.

„Ein bißchen, Ed. Der Admiral wollte mich festnehmen lassen und vor ein Bordgericht stellen.“ Hasard grinste.

„Der soll bloß“, sagte der Profos drohend und betrat die Admiralskammer. Er hatte keinerlei Hemmungen, und sein Blick war mörderisch, mit dem er die Runde der Kapitäne streifte, bis er den Admiral „ins Visier“ nahm. Da wurde sein Blick nicht nur mörderisch, sondern von greller Wildheit. Und seine massige Gestalt duckte sich, als sei er bereit, wie ein Tiger über den Tisch zu springen, um dem Admiral an die Gurgel zu gehen.

„Immer mit der Ruhe, Ed“, sagte Hasard sanft.

„Wie? Was? Der will dich festnehmen und vor ein Bordgericht stellen?“ grollte der Profos der „Isabella“. „Warum? Weil du und wir sein Scheißflaggschiff davor bewahrten, zur Hölle zu gehen, wo es hingehört?“ Der Profos schlich auf den Tisch zu, und die sehr ehrenwerten Kapitäne drückten sich in ihre Stühle zurück, als sei dieser fürchterliche Profos mit dem häßlichen, zernarbten Gesicht und dem Rammkinn ein Barbier, der mit gewetztem Messer auf ihre Kehlen losging. Und auch der Admiral rutschte mit seinem Stuhl zurück.

Aber Carberry sagte ganz leise und sehr besänftigend: „Hör zu, Mister Drake, Sir, für uns Arwenacks bist du ein paar Nummern zu klein. Uns schaffst du nicht, uns schaffst du niemals, denn sollte Kapitän Killigrew von deinen Rübenschweinen je auch nur ein Haar gekrümmt werden, dann wird jeder Mann der ‚Isabella‘-Crew zur Bestie. Und dann machen wir deine ‚Elizabeth Bonaventura‘ zur Wildsau, die in keine Suhle mehr paßt. Ist das klar?“

„O Gott“, ertönte die Stimme des Kapitäns Seymour, „o Gott, was ist das denn für ein Wüstling?“ Er umklammerte mit nach hinten verschränkten Armen den Sützpfosten, um nicht in die Knie zu gehen.

Carberry fuhr zu ihm herum. „Halt’s Maul, Mister, hier redet der Profos der ‚Isabella‘ …“ Er stutzte und schob den Kopf vor. „Bist du Kapitän oder was?“

„Kommandant der ‚Dreadnought‘, bitte sehr.“

„Scheißschiff, wenn der Kommandant einen Kopf wie eine Jauchetonne hat! Noch nie gewaschen, was, wie? ‚Dreadnought‘? ‚Dreadnought!‘ Lag die nicht hinter dem Flaggschiff, als die Dons mit der Galeere angriffen?“

„Jawohl“, sagte Kapitän Seymour gehorsam, und es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte „Sir“ hinzugefügt.

Aber das tat Edwin Carberry, und er wurde plötzlich sehr förmlich.

„Sir“, sagte er, „als zweites Schiff der Linie, das ein Flaggschiff zu dekken hat, hätte man besser eine Kuh hinterhersegeln lassen sollen, die hätte schärfere Augen gehabt!“

Viceadmiral William Borough lachte dröhnend. Die Kapitäne saßen mit verstörten Gesichtern da. Und der Admiral begriff, daß er handlungsunfähig war. Dieser Killigrew hatte ihn elegant ausmanövriert. Nicht nur ihn – die Kapitäne waren wie gelähmt. Ein einziger Mann hatte über zwanzig Kapitäne in Schach gehalten! Nicht einer hatte gewagt, gegen ihn vorzugehen. Er, der Admiral, hatte einen Befehl gegeben und war nicht in der Lage, diesen Befehl auch durchzusetzen.

 

Und mit dem Erscheinen dieses furchtbaren Carberry hatte sich das Blatt endgültig gewendet. Oder nicht? Sollte er das ganze Schiff alarmieren, um diese beiden Kerle überwältigen zu lassen?

Dieser verdammte Killigrew schien Gedanken lesen zu können, denn er sagte: „Versuchen Sie nicht, uns aufzuhalten oder daran zu hindern, von Bord zu gehen, Sir. Es würde ein Blutbad geben. Nach dem, was mir hier von Ihnen geboten wurde, habe ich keinerlei Veranlassung mehr, auf jemanden Rücksicht zu nehmen. Das ist eine Warnung, eine ernste Warnung, denn im Gegensatz zu Ihren Schlafmützen sind meine Männer zur Zeit gefechtsbereit. Sag’s ihm, Ed, damit er nicht denkt, daß ich bluffe.“

Grinsend erklärte Carberry: „Unser Kapitän hatte so einen Riecher, daß es hier Stunk geben könne. Das ist so seine Art, Unvorhergesehenes möglichst auszuschalten. Nun, alle Waffen der ‚Isabella‘ sind feuerbereit und auf das Flaggschiff gerichtet – nicht auf die Besatzung wohlgemerkt, aber auf so heikle Stellen wie das Ruder oder den Bugspriet, den unser Stückmeister ja bereits einmal mit einem sauberen Schuß abrasierte …“

„Wie bitte?“ fragte Viceadmiral Borough verblüfft. „Sie hatten mit der ‚Elizabeth Bonaventura‘ Gefechtsberührung? Oder habe ich mich verhört, Mister Carberry?“

„Keineswegs, Sir …“

„Das war ein Versehen!“ fiel ihm Admiral Drake schroff ins Wort. „Schweigen Sie, Profos!“

Carberry wirbelte herum und funkelte den Admiral an. „Was soll ich? Schweigen? Hier soll wohl was vertuscht werden? Das könnte dir so passen, Sir! Aber alle sollen es hören, daß du oben bei den Berlenga-Inseln scharf darauf warst, die ‚Isabella‘ zu vernaschen. Aber da kriegte dein Flaggschiff fix was auf die Schnauze, und danach manövrierte dich Kapitän Killigrew auf die Sände, von denen wir dich dann herunterholen mußten, weil ihr es aus eigener Kraft nicht fertig brachtet. Jawohl, so war das, und mit Ruhm beklekkert hast du dich bestimmt nicht, Sir. Und vielleicht darf ich auch daran erinnern, daß die ‚Isabella‘ in der betreffenden Nacht, in der die ‚Elizabeth Bonaventura‘ auf Dreck saß und nicht loskam, vier spanische Galeeren in die Flucht jagte, die dem festsitzenden Flaggschiff zu Leibe rükken wollten!“ Carberry redete sich in Wut. „Seitdem sind wir ständig damit beschäftigt, für dieses verdammte Flaggschiff das Kindermädchen zu spielen und dabei unser Leben zu riskieren. Mir reicht’s, Mister Drake, Admiral, Sir! Bis hier oben steht mir das!“ Carberry deutete den Pegel seines Gemütszustandes in Höhe seines Rammkinns an. „Das schmeckt mir vielleicht! Das Maul aufreißen, meinen Kapitän vor ein Bordgericht stellen wollen! Mir den Mund verbieten!“ Und wieder wurde er förmlich, der Profos. „Was denken Sie eigentlich, wer Sie sind? Vielleicht der liebe Gott? Admiral! Daß ich nicht lache! Da ist mein Kapitän mehr Admiral als Sie. Und weil Sie das wissen, hakken Sie auf ihm herum, Sie Admiral, Sie! Nannten die Spanier Sie jemals ‚El Draque‘, den Drachen? Die müssen blind gewesen sein. Weil Sie nämlich kein Drache, sondern eine miese Filzlaus sind …“

„Ed, das reicht“, unterbrach ihn Hasard ruhig. „Es hat auch gar keinen Zweck, denn er begreift es nicht. Ein Mann, der die Umstände unseres Zusammentreffens bei den Berlenga-Inseln verschweigt, tut es deswegen, weil er Angst hat, seinen Glorienschein zu verlieren. Aber den hat er hier vor Cadiz erst recht verloren. Wir haben damit nichts mehr zu schaffen.“ Er lächelte dem Viceadmiral zu und verließ mit Ed Carberry die Admiralskammer.

Eine schweigende Runde blieb zurück. Immerhin waren einige Gesichter sehr nachdenklich geworden. Der Admiral sah aus, als habe er Essig getrunken.

Einzig Kapitän Seymour, nun nicht mehr von einer Pistole bedroht, fühlte sich wieder stark, nachdem er sich die Perücke schief über den schmutzigen Kopf gestülpt hatte.

„Eine Unverschämtheit!“ stieß er hervor. „Eine Frechheit! Man hätte diese beiden Kerle überwältigen müssen!“

„Halten Sie doch den Mund, Sie Idiot!“ sagte der Admiral bissig. „Wegen Ihnen ist es zu dieser Auseinandersetzung gekommen, Sie Degenspitze!“ Des Admirals Stimme wurde wütend. „Auf Ihren Quatsch über die Galeerensklaven konnte Killigrew gar nicht anders reagieren, denn es waren seine Leute, die er damals mit meiner Genehmigung von einer spanischen Galeere herunterholte. Zu Ihrer Kenntnis: Die Spanier pflegen mit Vorliebe englische Gefangene als Rudersklaven auf ihre Galeeren zu stecken, aber auch sogenannte Ketzer, niederländische Rebellen wie die Geusen oder schlicht Männer, die sie pressen. Daran sollten Sie denken, wenn sie mit einer Galeere ins Gefecht geraten.“

„Aber – aber wieso sollte er sich dann bei mir entschuldigen?“ fragte der Kapitän fassungslos.

„Weil ich wußte, daß er es nicht tun würde!“ brüllte der Admiral. „Und ich hätte einen Grund gehabt, ihn festzusetzen!“ Er hieb die Faust auf die Tischplatte. „Aber selbst dazu waren Sie nicht in der Lage, Sie Schlappschwanz! Und wo blieb Ihre Ehre? Zwei Ohrfeigen empfingen Sie – und jede Menge Beleidigungen, Gründe genug für ein Duell auf Degen oder Pistole, um eine solche Schmach nicht auf sich sitzen zu lassen.“

„Ja, ja“, sagte Viceadmiral Borough so vor sich hin, „wie der Herr, so das Gesinde.“

„Wollen Sie mich provozieren, Mister Borough, Sir?“ fragte Drake schneidend.

„Aber nicht doch, Sir“, erwiderte der Viceadmiral gelassen, „ich meine nur, daß ein Führer nie einen Befehl geben sollte, den er nicht selbst in der Lage ist, auszuführen. Sie hätten Kapitän Killigrew doch selbst festnehmen oder überwältigen können, oder? Und wenn Sie es nicht tun, was verlangen Sie dann von Kapitän Seymour?“

Der Admiral wich einer Antwort aus. Abrupt stand er auf und sagte: „Es ist genug geredet worden, handeln wir jetzt. Die Reede muß von feindlichen Schiffen gesäubert werden. Gehen Sie ankerauf. Mein Befehl lautet: Vernichten Sie spanischen oder portugiesischen Schiffsraum, oder entern und beschlagnahmen Sie die Ladegüter, wenn sie ihnen wertvoll erscheinen. Vorwärts, Gentlemen!“

„Und wer sichert wen?“ fragte der Viceadmiral.

„Das ist völlig überflüssig. Wir sind bereits Herren der Lage.“

„Ah so“, sagte der Viceadmiral und verließ kopfschüttelnd die Admiralskammer.