Seewölfe Paket 8

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6.

Weit nach Mitternacht, der Mond schien unverändert von einem klaren Himmel, wurden aus dem Ausguck der „Isabella“ vier langgestreckte Schiffe gesichtet.

Der blondhaarige Schwede Stenmark meldete sie aus dem Ausguck, auf den Hasard keine Sekunde lang verzichtete.

„Vier Galeeren!“ rief er zum Deck hinunter. „Sie laufen von der Küste auf uns zu.“

Im Nu war alles auf den Beinen. Hasard, der sich in seine Kammer zurückgezogen hatte, erschien fast gleichzeitig mit Ben Brighton auf dem Achterdeck, legte die Hand über die Augen und suchte die See ab.

Da krebsten sie heran, anfangs schwerfällig, als suchten sie mühsam nach dem Ziel, doch dann wurden sie immer schneller, änderten den Kurs und hielten auf die „Elizabeth Bonaventura“ zu.

„Kein Wunder“, sagte der Seewolf, „das Licht lockt sie magisch an. Sie scheinen es schon seit einer ganzen Weile bemerkt zu haben. Ben, Feuerbereitschaft, Anker auf! Klar Schiff zum Gefecht!“

„Aye, Sir! Alle Mann auf Stationen!“

Der Ruf hallte über das Deck, und von überall tauchten die Seewölfe auf, schnell und wendig wie Riesenameisen aus einem Bau erschienen sie und besetzten ihre Stationen.

Das Flaggschiff bot einen Anblick wie eine brennende Riesenfackel, die die Nacht ringsum erleuchtet.

Schiffslaternen brannten, Fackeln waren entzündet worden, überall flackerte Licht und tauchte das Schiff in Helligkeit.

Natürlich hatte das den Spaniern keine Ruhe gelassen, und so krebsten sie jetzt mit vier Galeeren heran, um sich der Beute zu bemächtigen.

Auf dem Vordeck der „Isabella“ wurde der Anker gehievt, die Männer legten sich hart in die Spillspaken, während in der Kuhl die Culverinen überprüft und einsatzbereit gemacht wurden. Kugeln und Pulverfässer wurden gemannt, die allgemeine Hektik lief nach einem genau ausgetüftelten Schema ab. Jeder hatte seinen ganz bestimmten Platz, jeder kannte seine Handgriffe im Schlaf, es saß alles auf Anhieb, ohne daß es großer Worte bedurft hätte.

Hasard blickte durch das Spektiv und nickte dem Gefechtsrudergänger Pete Ballie zu, der schon längst seinen Posten eingenommen hatte und am Ruder stand.

„Pete“, sagte er ruhig, „wir umsegeln die Sandbank und legen uns vor die Galeone. Sobald die Galeeren auf Schußweite heran sind, eröffnen wir das Feuer. Achte auf die Sandbank, damit es uns nicht so ergeht wie dem ehrenwerten Admiral. Ich möchte mich nicht bis auf die Knochen blamieren!“

„Aye, aye, Sir. Ich kenne sie jetzt noch besser, es wird uns nichts passieren“, versprach Pete.

Die Segel wurden gesetzt, die Doppelblinde blieb im Gei hängen, damit die Sicht besser war, und als der Anker vor dem Bug baumelte, nahm die „Isabella“ langsam Fahrt auf.

Auf den vier Galeeren standen Segel, die der Wind straff blähte.

Die Riemen tauchten nach wie vor ins Wasser, und der Seewolf glaubte das nervtötende Geräusch der Schlagmänner bis hierher zu hören.

Sie waren schnell und wendig, diese Galeeren. Sie wurden jetzt zu einer Kette auseinandergezogen und erhöhten die Fahrt.

Hasard sah zu der Galeone hinüber, die jetzt achterlich verschwand, und auf der alles wie erstarrt schien.

Im Schein der Laternen und Fakkeln erkannte er Francis Drake und fragte sich, wie dem Mann jetzt wohl zumute sein mochte. Er mußte sich noch hilfloser als ein Säugling fühlen, und ohne die „Isabella“ wäre er jetzt vermutlich eine leichte Beute der Spanier geworden.

Für Drake bedeutete das nicht gerade einen neuen Meilenstein auf dem Weg zum Erfolg. Er konnte wirklich nicht viel mehr unternehmen, als ein paar Kanonen abzufeuern. Jedenfalls war er total manövrierunfähig.

Hasard blickte ihn nicht an, und auch Drake vermied es, seinem Blick zu begegnen. Noch waren sie nicht miteinander fertig, es würde noch ein weiteres Tänzchen geben.

Hasard gab dem Waffenmeister Al Conroy noch einmal letzte Informationen.

„Wir segeln auf sie zu, feuern die vorderen Drehbassen ab, Al, lassen dann eine Breitseite folgen, wenden, und setzen die achteren Drehbassen ein. Anschließend kriegen sie noch die andere Breitseite zu spüren.“

Conroy verstand. Genauso hätte er auch gehandelt, und er verschwand wieder wie ein Blitz.

Batuti und der graubärtige Waffenschmied Big Old Shane enterten fast gleichzeitig auf, unter den Armen ihre mächtigen Bögen, die auf unglaublich weite Distanz die verheerenden Brandpfeile verfeuern konnten.

Ferris Tucker war damit beschäftigt, seine gefürchteten Höllenflaschen zu überprüfen und zu verteilen, die unter den Gegnern Panik verbreiteten. Gleichzeitig lud er die Gestelle mit den chinesischen Brandsätzen, dem unlöschbaren Höllenfeuer.

Hasard ließ noch einmal den Profos rufen.

„Ich bitte mir allerstrengste Disziplin aus, Ed“, sagte er, „und möchte kein unnötiges Gebrüll hören. Die Männer sind auf ihren Posten und wissen, was sie zu tun haben. Wir führen einen nächtlichen Blitzangriff, und wir werden uns bemühen, so sauber und schnell zu kämpfen, daß Drake die Spucke wegbleibt.“

„Aye, aye, Sir!“ Wir werden es ihm zeigen, daß wir unseren Namen zu Recht tragen, Sir! Drake soll staunen!“

Der Profos verschwand fast lautlos.

Auf der ersten Galeere blitzte es einmal kurz auf, ein Schuß löste sich und rollender Donner fegte über die See.

Sie hielten sich jetzt so, daß sie höchstens im Bereich einer Breitseite lagen, und jederzeit davonjagen konnten, falls die „Isabella“ drehte.

Die Kugel donnerte mehr als zweihundert Yards von der Galeone entfernt ins Wasser und riß eine kleine Fontäne hoch.

„Imponiergehabe“, sagte Hasard verächtlich. „Nur ein Einschüchterungsversuch der Spanier.“

Er gab Batuti und Big Old Shane ein Zeichen, und sofort darauf flogen zwei glühende Pfeile durch die Nacht. Schnurgerade zogen sie ab, suchten sich ihren Weg durch die Luft und fielen in einem Bogen nach unten.

Der erste Pfeil traf, der zweite verfehlte die eine Galeere nur um ein paar Yards.

Der brennende Pfeil bohrte sich ins Deck, die Pulverladung entzündete sich und bildete einen kleinen Glutball.

Männer eilten herbei und versuchten das Feuer zu löschen. Es gelang auch sofort, aber schon folgten der dritte und der vierte Pfeil. Diesmal trafen beide und erneut loderten kleine Feuer auf.

Hasard gab ein Zeichen.

Tucker hielt die glimmende Lunte an zwei der chinesischen Brandsätze. Augenblicke später wurde die Nacht von einem infernalischen Schrillen und Heulen zerrissen. Wie glühende Schlangen sausten die Brandsätze pfeifend, kreischend und mißtönend auf ihrer Bahn davon.

Bei den Galeeren zerplatzten sie in der Luft, und nun folgte das, was den Männern auf Drakes Flaggschiff einen kalten Schauer nach dem anderen über den Rücken jagte.

Sie hatten etwas Ähnliches noch nie erlebt. Starr und unbeweglich sahen sie auf das einmalige Schauspiel. Niemand sprach auch nur ein Wort. Das Geschehen schlug sie in ihren Bann.

Ein Vorhang aus roten, blauen und grünen Flammen entstand in der Luft, dicht über zwei Galeeren. Prasselnd und knackend fiel ein farbenprächtiger Feuerregen nieder und setzte zwei der Galeeren schlagartig in Brand.

Ein Inferno tobte plötzlich los, und die Brände, die jetzt aufflackerten, wurden immer zahlreicher.

Das Segel der ersten Galeere verging in einem Feuersturm, es lohte auf und verschwand. Das zweite Segel begann zu glühen, bis es eine Flammenwand schlagartig überzog. Gleichzeitig wurde der Bug in blutrotes strahlendes Licht getaucht.

Die zwei Galeeren gerieten aus dem Rudertakt, es wurde nicht mehr gepullt, man hörte Männer vor Angst brüllen und schreien.

Anscheinend wurden sie von ihren Ketten befreit, denn die Riemen hingen im Wasser, und an Deck erschienen mehr Leute, als zur normalen Besatzung eigentlich gehörten.

Die ersten Männer sprangen über Bord, als die beiden brennenden Galeeren zusammenstießen, und durch den Anprall einen wilden Funkenregen erzeugten.

„Drehbassen und Breitseite!“ rief der Seewolf.

Die vorderen drehbaren Geschütze schwenkten herum und entluden ihren verheerenden Eisenhagel.

Fast gleichzeitig, die „Isabella“ schwang gerade herum um die beiden anderen Galeeren anzuvisieren, donnerte die Breitseite los, ließ die Galeone stark krängen und eine Wand aus Rauch entstehen, die langsam zum Achterdeck trieb.

Hasard stand hochaufgerichtet auf dem Achterkastell. Sein Gesicht war unbewegt, er hustete nicht, als die Qualmwolke kurz das Deck einhüllte und langsam verwehte.

Aber drüben hatte es viermal eingeschlagen. Einer der Galeeren wurde ein Teil des Bugs weggefetzt, die andere erhielt zwei Treffer mitschiffs oberhalb der Wasserlinie und drehte sofort ab, riesige klaffende Löcher im Rumpf.

Sofort fuhr die „Isabella“ das nächste Manöver.

Segel nachtrimmen, Hartruder und klar bei erneuter Breitseite.

Sie war überflüssig.

Der blitzartige Angriff hatte die Spanier in Panik gebracht. Sie dachten nur noch an Flucht, als auch auf der dritten Galeere heller Feuerschein aufzuckte.

Hier schien der Teufel persönlich heranzusegeln und seine glosende Hölle auszuspeien, sein schwefliges Feuer, das alles versengte und verbrannte.

Die Spanier sahen ihr einziges Heil nur noch in rascher Flucht. Die letzte noch fast intakte Galeere wurde zum Land getrieben, gepullt von Sträflingen, die keinen Schlagmann mehr brauchten, die ihr Leben in Gefahr sahen und alles gaben, was sie an Kräften noch hatten.

Shanes letzter Brandpfeil erwischte sie allerdings noch, und nun zuckte auch dort ein kleines Feuer auf und breitete sich schnell aus.

 

Damit war das Gefecht beendet. Der Seewolf hatte nicht vor, die angeschlagenen und brennenden Galeeren weiter zu verfolgen. Er hatte dafür gesorgt, daß der hilflosen „Elizabeth Bonaventura“ nichts passiert war und der Angriff der Spanier blitzschnell, sauber und präzise zurückgeschlagen wurde, und zwar so, daß es nichts zu bemängeln gab.

Insgesamt hatten die vier Galeeren sieben Schuß abgefeuert, zu mehr hatte es nicht gereicht.

Sie pullten zur Küste zurück, halb zerstört und unbrauchbar, und sie würden sich mit Sicherheit hier nicht mehr blicken lassen.

„Klart auf!“ rief Hasard. „Wir kehren auf denselben Platz zurück und gehen dort vor Anker. Ich nehme an, der Admiral wird erneut sehr beschämt sein.“

Er wußte nicht, wie recht er mit seinen Worten hatte, denn auf dem Flaggschiff gab es einen Mann, der den Seewolf sehr gut kannte.

Der Koch Mac Pellew, der sauertöpfische, ewig mißgelaunte und pessimistische Eigenbrötler, sah aus schmalen Augen und mit zusammengekiffenen Lippen dem Angriff zu und schüttelte immer wieder fassungslos den Kopf.

Mac Pellew war nicht zum Lachen geboren, er sah immer so aus, als hätte er gerade ein Faß Essig verschluckt, aber jetzt bemerkten die beiden Hilfsköche des Flaggschiffes, wie sich sein Mund öffnete, seine Zahnstummel sichtbar wurden und er die Lippen zu einem Grinsen auseinanderriß, das direkt schauerlich wirkte.

„Ha“, hörten sie ihn schadenfroh murmeln, „der zeigt es denen aber! Das ist noch ein Kerl, ein richtiger, harter.“

„Was brabbelst du da dauernd?“ fragte einer der Hilfsköche. „Hast du Zahnschmerzen, weil du dein Maul so aufreißt?“

„Schnauze“, brummte der übelgelaunte Koch, und schickte einen gallebitteren Blick zum Achterkastell wo Drake wie ein Denkmal aus Stein stand und mit verkniffenem Gesicht dem Angriff zusah.

„Da kann er sich was abschneiden, der Sir Admiral“, brabbelte er vor sich hin. „Immer wenn er in der Scheiße sitzt, kann der Seewolf ihn raushauen. Haha, erst läuft er auf, daß mir die Pfannen und Töpfe um die Ohren fliegen, und dann muß er noch beschützt werden.“

Seine Stimme wurde verächtlich. Mac Pellew war bekannt dafür, daß er kein Blatt vor den Mund nahm und immer ruhig blieb.

„Kanalratte“, hörten die entsetzen Hilfsköche ihn murmeln, und einer bedeutete ihm durch Zeichen, er möge still sein, weil in diesem Augenblick Kapitän Thomas Fenner herantrat.

Aber Mac Pellew dachte gar nicht daran, er sah den Kapitän auch nicht.

„Große Töne kotzen“, ereiferte er sich mißmutig. „Die Hände auf den Hintern halten und hin und her laufen, das kann er. Soll er doch jetzt mal zeigen, was er kann, dieser Sir Admiral! Der Seewolf – das wäre ein Admiral.“

Fenner riß den Koch mit einem Ruck herum und sah ihm in die Augen.

„Ich lasse Sie einpökeln, Kerl!“ schrie er. „Was sind das für ketzerische Reden? Was faseln Sie da? Sie haben wohl die Neunschwänzige noch nicht ausprobiert?“

Mac Pellew sah ihn sauer an. Er kriegte weder einen roten Schädel, noch regte er sich auf.

„Ich sage nur die Wahrheit“, erklärte er. „Oder ist der Killigrew vielleicht aufgebrummt? Wir waren das doch! Und was hätten wir wohl gegen die Galeeren ausgerichtet, Sir?“

„Zusammengeschossen, natürlich!“ schrie Fenner.

Mac Pellew kicherte, dann wandte er sich ab und ignorierte die Worte des Kapitäns, indem er ihn einfach stehen ließ und in seiner Kombüse verschwand.

Aber selbst da meckerte er weiter, brummte vor sich hin, fluchte auf Drake und dessen Unvermögen und verstummte schließlich nach einer Weile.

„Melden Sie mir den Mann morgen früh!“ sagte er zu dem Bootsmann. „Aber vergessen Sie das nicht!“

„Aye, aye, Sir, ich werde ihn melden!“

Fenner kehrte zum Achterkastell zurück. Dort stand Drake, sah durch ihn hindurch und schien überhaupt nichts wahrzunehmen.

„Das war also sein Trumpf“, sagte Fenner. „Dieses merkwürdige Feuer. Was mag es nur sein?“

„Das weiß ich nicht, Mister Fenner“, antwortete Drake eisig. „Ich bin nicht an Bord des Flaggschiffes, um herauszufinden, mit welchen Finten und Tricks dieser Killigrew arbeitet. Haben Sie mich verstanden?“

„Selbstverständlich, Sir. Ich wollte nur bemerken, daß es ziemlich schnell ging, die Galeeren in die Flucht zu schlagen.“

„Die Bemerkung sei Ihnen gestattet“, sagte Drake, und seine Stimme klang immer noch eiskalt.

Er dachte nicht im Traum daran, mit Fenner darüber zu diskutieren, wie der Seewolf es geschafft hatte, diese vier angriffslüsternen Spanier zu vertreiben.

Erst als der Anker der „Isabella“ klatschend ins Wasser fiel und die ranke Galeone ihren vorherigen Platz wieder einnahm, zuckte der Admiral zusammen.

Was in seinem Innern vorging, wußte niemand, man sah es ihm auch nicht an, aber die Männer deuteten diesen steinernen Gesichtsausdruck ganz richtig. Der Seewolf hatte dem Admiral imponiert, allerdings war Drake nicht der Mann, der das offen zugab. Er stritt und haderte lieber mit sich selbst herum, als seine Gefühle zu offenbaren.

Lange stand er so, unbeweglich, fast starr, rang mit sich und seinem Gott und zog seine Konsequenzen.

Wäre der Seewolf nicht gewesen, so sagte er sich, dann hätte es hier ein Blutbad gegeben, und das hätte hauptsächlich auf dem Flaggschiff stattgefunden.

Dieser Mann beschämte ihn erneut zutiefst, und Drake bemühte sich ständig, seine eigenen Gefühle zu analysieren.

Wie es den Anschein hatte, blieb ihm nichts anderes übrig, als den beschwerlichen steinigen Weg zu gehen und Killigrew um etwas zu bitten, was ihm zutiefst zuwider war.

Drake betrachtete die Dinge auch etwas nüchterner. Ohne fremde Hilfe, in diesem Fall die Hilfe Killigrews, kam er nicht mehr flott, und das konnte er sich in seiner Eigenschaft als Führer des Verbandes einfach nicht leisten.

Es würde ein bitterer, dorniger Weg für ihn werden, aber er mußte ihn gehen, ob er wollte oder nicht, es gab keine andere Alternative für ihn.

Er gab sich einen Ruck, straffte sich und verließ das Achterkastell.

Sein Gesicht war eine Maske, und er preßte die Zähne so hart aufeinander, daß es schmerzte.

Sollte Killigrew seinen Triumph haben, sollte er über ihn dominieren oder ihn herablassend behandeln, es ging nicht anders, er würde ihn bitten müssen.

In der Kuhl überzeugte er sich noch einmal, wie weit die Arbeiten fortgeschritten waren. Sie schritten überhaupt nicht fort, es ging nicht voran, das Flaggschiff lag wie ein Wal auf dem Trockenen fest, der sich aus eigener Kraft nicht mehr freizuschwimmen vermochte.

Die Mannschaften wichen vor Drake zurück, sobald er aufkreuzte, senkten die Köpfe und gaben eine Gasse frei.

Kühl blickte er sich um, dann krümmte er den Zeigefinger und winkte den Profos herbei.

„Sir!“ schrie der Profos überlaut und nahm Haltung an.

„Brüllen Sie nicht so“, sagte Drake ruhig. „Suchen Sie acht Leute aus, lassen Sie das große Boot damit bemannen. Sofort, Profos, Beeilung!“

„Aye, aye, Sir!“

Drake deutete mit der Hand zur „Isabella“ hinüber.

„Sie fahren mit dem kleinen Boot voraus, Profos, und melden Killigrew meine sofortige Ankunft!“

„Aye, aye, Sir!“

Dem Profos ging erst jetzt der Sinn der Worte auf, er sah den Admiral verwirrt an, blickte dann ebenfalls zu der Galeone des Seewolfs und fragte: „Sagten Sie Killigrew, Sir?“

„Wenn Sie nicht mehr gut hören, Profos, dann sind Sie für den Decksdienst untauglich. Sie werden dann ab sofort Dienst in der Kombüse tun!“

„Aye, aye, Sir!“

Der Profos schwang sich in das kleine Boot, ergriff die Riemen und begann wie ein Wilder zu pullen.

Drake folgte ihm gemessen, in voller Uniform, den Blick ausdruckslos und abweisend nach vorn gerichtet.

7.

Das Deck war aufgeklart, blitzschnell, wie Hasard es angeordnet hatte. Es sah so aus, als wäre in den letzten Stunden nichts geschehen.

„Jetzt scheint es ernst zu werden“, sagte Brighton, als er den Profos des Flaggschiffes und dahinter das große Boot erkannte, die beide auf sie zuhielten.

„Drake persönlich“, sagte der Seewolf fast andächtig. „Ich hätte es nicht geglaubt, ihn als Bittsteller zu sehen, kann mir aber vorstellen, was in dem Mann vorgeht. In seinem Innern muß ein chaotisches Durcheinander herrschen.“

Diesmal lachte niemand, als der Profos die Bordwand erreichte und nach oben blickte.

„Der Admiral, Sir!“ schrie er.

Hasard, Ben Brighton und Dan O’Flynn warfen sich einen bedeutsamen Blick zu.

Hasard nickte und unterstrich seine Bereitwilligkeit durch eine knappe Handbewegung.

Gleich darauf ging das größere Boot bei der „Isabella“ längsseits, und Francis Drake bestieg die Jakobsleiter.

An Bord der schlanken Galeone hatte es sich blitzschnell herumgesprochen, wer da gerade erschien. Aber die Seewölfe standen nicht neugierig herum, sondern verhielten sich still und abwartend, jeder befand sich auf seinem Posten, als sollte das Schiff augenblicklich in Gefechtszustand versetzt werden.

Drake erschien mit völlig ausdruckslosem Gesicht. Er hatte sich vorzüglich in der Gewalt, streifte Hasard mit einem kühlen Blick und sah sich schnell um.

Dem Admiral entging nichts. Er sah, daß das Schiff bereits aufgeklart war und die Männer abwartend auf ihren Stationen standen.

Auf Zucht und Ordnung hält der Seewolf, das muß man ihm lassen, dachte er. Sein Blick wanderte weiter und suchte die Stelle, von der man die eigenartigen Feuerpfeile abgeschossen hatte, aber er konnte nichts entdecken, was auch nur entfernt darauf hingedeutet hätte. Merkwürdig, wie sie das getan hatten, er begriff es nicht.

Drake gab dem Seewolf nicht die Hand, aber er sah ihm in die Augen und straffte sich. Zu seinem Leidwesen bemerkte er allerdings auch, daß sich der Seewolf durch seine Position als Admiral keineswegs beeindrukken ließ.

„Darf ich Sie nach achtern bitten, Sir?“ fragte Hasard.

Drake nickte und bewegte sich mit hölzern wirkenden Schritten auf das Achterkastell zu.

In der hell erleuchteten Kapitänskammer bat Hasard den Admiral, Platz zu nehmen.

Drake tat es sichtlich widerwillig und behielt sein ernstes abweisendes Gesicht bei.

„Sie haben mich nun genügend beschämt, Kapitän Killigrew, und Sie haben es auch ausgekostet“, begann Drake die Unterhaltung. „Ich glaube, ich kann es Ihnen nicht verübeln, außerdem weiß ich, daß ich in Ihrer Schuld stehe. Ich bin also hier, um Sie an Ihr Hilfsangebot zu erinnern und Sie zu bitten, mir zu helfen.“

„Ja, Sir“, sagte Hasard. „Ihr Kapitän pochte auf Rechte und Befehle, denen ich mich nicht unterstellen kann. Ich denke, Sie verstehen mich, Sir!“

„Vielleicht, Kapitän Killigrew. Ich kenne Ihren unbändigen Freiheitsdrang, ich bin mehrfach damit konfrontiert worden.“

Hasard lehnte sich zurück und warf einen Blick in die kühlen grauen Augen des Admirals. Sein Gesicht mit dem sauber gestutzten Bart lag im Halbschatten der Lampe, so daß sich die Regungen darauf nur schlecht ablesen ließen. Hasard wußte trotzdem, wie es um den Admiral stand. Er balancierte auf dem schmalen Grat, sein Gesicht zu verlieren und war nicht in der Lage Befehle zu erteilen, er mußte um etwas bitten, und dieses Bitten entsprach überhaupt nicht seiner Natur. Es war ihm fremd, und daher kostete es ihn unsägliche Überwindung.

Hasard wollte das demoralisierende Spiel auch nicht, unnötig in die Länge ziehen, denn Drake hatte längst jenen Punkt erreicht, da es ihm gallebitter aufstieß.

„Ich habe Hilfe zugesagt und halte dieses Angebot auch weiterhin aufrecht, Sir. Wir können gleich mit der Arbeit beginnen. Außerdem werde ich veranlassen, daß mein Schiffszimmermann Ihnen einen neuen Bugspriet zimmert. Schließlich haben wir ihn auch weggeschossen.“

Drake zuckte unmerklich zusammen. Dieser Killigrew mochte sich jetzt eben vielleicht nichts dabei gedacht haben, aber es saß dennoch wie eine kleine Ohrfeige, dachte er erbittert. Jedenfalls wurde er immer wieder an das blamable Verhalten erinnert.

Er wollte einwenden, daß sein eigener Zimmermann sich bereits mit dem Bugspriet beschäftige, aber wenn er an den rothaarigen Hünen Ferris Tucker dachte, dann wußte er auch, daß dem niemand das Wasser reichen konnte.

Schließlich nickte er und wollte aufstehen.

Hasards fast beiläufige Worte ließen ihn jedoch wie angenagelt sitzen bleiben.

 

„Wir haben bereits einen spanischen Mittelmeer-Verband außer Gefecht gesetzt, Sir“, sagte er ruhig. „In Spanien kocht und brodelt es, Gerüchte schwirren herum, daß ein englischer Verband unterwegs sei. Die Agenten und Spitzel haben nicht geschlafen, man munkelt so allerlei.“

Drake kniff die Augen zusammen und drehte den Kopf. Sofort war der alte Jäger wieder munter.

„Das weiß man also“, sagte er leise. „Weiß man auch, aus wie vielen Schiffen dieser Verband besteht und wer ihn befehligt?“

„Das entzieht sich meiner Kenntnis, Sir. Ich selbst ahne es. Was ist aus Ihrem Verband geworden?“

„Ein schwerer Sturm hat ihn zersprengt, der Verband ist auseinandergerissen worden, doch nach meiner Schätzung wird er im Laufe des morgigen Tages, spätestens übermorgen, querab von Lissabon bei dem vereinbarten Treffpunkt eintreffen. Ich hoffe, daß alle Schiffe diesen Stürm überstanden haben. Was weiß man über diesen Verband noch, Kapitän Killigrew?“

„Nur, daß man ein Unternehmen gegen spanische Häfen plant, wie gemunkelt wird.“

Drake versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, doch der Seewolf sah, wie es hinter seiner Stirn arbeitete und der Admiral fieberhaft überlegte.

„Wir müssen so schnell wie möglich von dieser Sandbank herunter“, sagte der Admiral. „Wenn der Verband im Laufe des morgigen Tages den Treffpunkt erreicht, und ich sitze dann immer noch fest, dann …“

Dann, mein Lieber, bist du bis auf die Knochen blamiert, dachte Hasard. Du willst es nur nicht zugeben und schützt jetzt Eile vor, Besorgnis bis ins Uferlose.

Drake sprach nicht weiter. Er erhob sich abrupt, verschränkte die Hände auf dem Rücken und begann ungeduldig zu wandern. Vor den bleiverglasten Heckscheiben blieb er stehen und sah, den Rücken Hasard zugewandt, hinaus. Der Seewolf sah Drake als untersetzte Silhouette gegen das Mondlicht, und im Hintergrund das aufgebrummte Schiff, auf dem sich Männer vergeblich abmühten, es wieder flott zu kriegen.

Sie gaben nicht auf, zäh und verbissen schufteten sie noch immer, versuchten es erneut und hatten doch keine Hoffnung, jemals aus eigener Kraft freizukommen.

Drakes Gedanken kreisten augenblicklich um einen ganz bestimmten Punkt. War es möglich, daß dieser Seewolf ihn schon einmal angegriffen hatte, überlegte er. Waren sie aufeinander losgegangen, ohne zu wissen, wen sie vor sich hatten? So wie jetzt vor ganz kurzer Zeit? Fast glaubte er es, doch seine Gedanken rissen jäh ab, als Hasard das Schott der Kammer aufriß und nach Ed Carberry und Ben Brighton rief.

Carberry, durchfuhr es Drake, der narbengesichtige Profos, durch den alles in die Brüche gegangen war. Was sollte der denn hier?

Wieder einmal begann Drake, sich ausgesprochen unwohl zu fühlen, und als die beiden Männer kurz danach eintraten, wandte er sich nur sehr langsam um.

Der Profos stand im angelehnten Schott. Er schlug die Augen vor Drake nicht nieder, und der Admiral hielt diesem ruhigen überlegenen Blick nicht lange stand. Himmel, dachte er, was war nur aus diesen Kerlen geworden! Er hatte erwartet, einen ziemlich undiziplinierten Haufen vorzufinden, eine Horde Seezigeuner, aber er entdeckte das genaue Gegenteil.

Das Schiff befand sich in einem einwandfreien blitzsauberen Zustand, die Kerle waren sauber gekleidet und benahmen sich durchaus dizipliniert, zurückhaltend und korrekt, fast eisig höflich, dabei aber durchblicken lassend, daß sie vor ihm, dem Admiral, keinen Respekt empfanden. Sie akzeptierten ihn lediglich und wußten, daß er auf ihre Hilfe angewiesen war.

Diese Erkenntnis war für Drake wiederum bitter, und so streifte er den Seewolf mit einem langen nachdenklichen Blick.

„Sir?“ fragte Carberry und schob sein Rammkinn vor.

„Wir beginnen unverzüglich mit der Arbeit“, sagte Hasard. „Ben wird das Bergungskommando zusammenstellen, und du wirst es leiten. Ed!“

Drake wurde so steif, als hätte er einen Ladestock verschluckt. Sein Gesicht verfärbte sich leicht, und sein Atem ging etwas schneller.

Verdammt! Dieser Seewolf war impertinent genug, ausgerechnet dem Profos Carberry das Bergungskommando zu übergeben! Ausgerechnet Carberry, seinem ehemaligen Profos, diesen Kerl vom gemeinen Schiffsvolk, den er einmal abwertend weit hinter John Doughty gestellt hatte.

Das hatten weder der Profos noch Hasard jemals vergessen, und schon gar nicht Drake in seiner Starrköpfigkeit, auch wenn er sich nicht gern daran erinnerte.

Jetzt aber brachen die alten Wunden wieder auf, und er mußte auch diese moralische Ohrfeige zähneknirschend einstecken. Innerlich kochte er vor Wut als der Profos Haltung annahm und ihn selbst nur mit einem kurzen gleichgültigen Blick streifte.

„Aye, aye, Sir!“ schrie Ed mit seiner Donnerstimme.

Dann drehte Ben Brighton sich um, und der Profos folgte ihm. Sein mächtiges Kreuz füllte den gesamten Rahmen des Schotts aus.

„Carberry ist ein sehr guter Mann mit viel Erfahrung“, sagte Hasard im Plauderton, und Drake glaubte die feine Ironie aus den Worten deutlich heraus zu hören.

Am liebsten hätte er diesen Killigrew in den Schlund eines Zwanzig-Pfünders gesteckt und weit hinaus auf die See geschossen.

„Sie werden das am besten beurteilen können, Kapitän Killigrew“, sagte er gepreßt, „obwohl ich an Ihrer Stelle dem Bootsmann Brighton das Kommando überlassen hätte. Aber ich will Sie nicht bevormunden, und ich glaube, Ihre Beweggründe auch zu verstehen.“

Sein Mund verzog sich zu einem entsagungsvollen Lächeln, doch seine Augen blieben ernst und kühl. Es war nicht mehr als ein bloßes schmerzliches Verziehen seiner Lippen.

Er rang sich mühsam die weiteren Worte von den Lippen.

„Ich stehe in Ihrer Schuld, Mister Killigrew. Es war eine Glanzleistung, wie Sie den Angriff dieser spanischen Galeeren abgewehrt haben. Ich glaube“, setzte er leise hinzu, „wir hätten kein sehr gutes Bild abgegeben, eben wegen unser äußerst prekären Lage.“

„Meine Mannschaft ist gut aufeinander eingespielt und hat auch die nötige Erfahrung“, antwortete Hasard, und wiederum sah er, wie Drake leicht zusammenfuhr.

Himmel, er wollte nicht ständig Ohrfeigen verteilen, doch alles, was er sagte, kriegte Drake in den falschen Hals und empfand es als Arroganz oder Überlegenheit. Verdammt, war seine, Drakes Mannschaft, nicht ebenfalls gut aufeinander eingespielt?

Nein, sie war es zweifellos nicht, wie er vor sich selbst zugeben mußte. Es war ein zusammengewürfelter Haufen teilweise mit, teilweise ohne Erfahrung, und die Seewölfe hatten ihnen Jahre voraus, die nicht mehr aufzuholen waren. Das hatten sie ihm immer wieder knallhart bewiesen.

Drake gingen immer wieder die Meldungen im Kopf herum, wonach längst bekannt war, daß sich ein englischer Verband den spanischen Häfen näherte, um sie zu überfallen. Das bereitete ihm Sorgen, aber mit dem Seewolf wollte er jetzt nicht weiter darüber diskutieren, es blieb keine Zeit mehr. Sie mußten von der Sandbank herunter, und zusammen würden sie es auch schaffen, davon war er überzeugt.

Auf dem Deck war inzwischen Gepolter zu hören. Boote wurden abgefiert, Kommandos erklangen und Schritte polterten. Die „Isabella“ war jäh zum Leben erwacht.

„Wir sehen uns später“, sagte Drake. „Im Augenblick danke ich Ihnen für Ihre Hilfe, Mister Killigrew.“

„Keine Ursache, Sir. Das Kommando unter Carberry wird sein Bestes tun, das verspreche ich Ihnen.“

Drake verschluckte sich fast, als er aus der Kammer trat. Er sah den Profos an Deck stehen und staunte über die Schnelligkeit, mit der alles vonstatten ging.

Ja, dachte er beklommen, in dem narbengesichtigen Burschen hatte er wirklich einen guten Mann verloren, da halfen alle inneren Ausflüchte nicht. Das war ein Kerl aus Eisen, auch wenn er zehnmal zum niederen Schiffsvolk zählen mochte. Drake entsann sich jedenfalls nicht, einen gleichwertigen Mann an Bord zu haben.

Gemessen und würdevoll bestieg er das Boot und ließ sich zur „Elizabeth Bonaventura“ zurückpullen.