Seewölfe Paket 8

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„Auf was warten wir dann?“ fragte der Junge mit der Soinua heftig.

„Ich stimme dafür“, meldete sich einer der Männer.

„Ich auch!“

„Ich ebenfalls!“

„Und ich …“

Erregung färbte die Stimmen. Hände wurden geballt, Augen entbrannten im Feuer jäher Entschlossenheit. Es war der Name gewesen, der ihre Zweifel besiegt hatte – der Name Benito Uvaldes, des Hafenkommandanten von Bilbao. Im Geiste sahen sie die mächtige graue Feste vor sich, die die Flußmündung bewachte und das Bild des Außenhafens Portugalete beherrschte. Kaum einer war unter ihnen, der in diesen Kerkern nicht einen Bruder, Vater, Sohn oder Freund wußte. Und der lange Kampf, dieser zermürbende, aussichtslose Kleinkrieg, hatte sie hart werden lassen. Hart gegen sich selbst, aber auch hart und gnadenlos gegen andere.

El Vascos tiefliegende dunkle Augen glühten.

Langsam stand er auf und blickte über das zerklüftete Plateau. Seine kleine, sehnige Gestalt erinnerte an federnden Stahl, und selbst die dunkle, verwitterte Haut schien sich straffer über den Wangenknochen zu spannen.

„Holà“, sagte er mit einer leisen, vibrierenden Stimme. „Wir brechen auf, sofort! Manuelo, die Pferde!“

7.

Mondlicht übergoß die See mit Silberglanz. Die Sterne funkelten wie Brillanten auf schwarzem Samt am Himmel, als die „Isabella“ gegen den Wind nach Westen kreuzte.

Die neue Vormarsrah war geriggt, das hatte Zeit gekostet, doch dafür würde die Galeone nicht mehr mit einem Handikap ins Gefecht gehen müssen, falls sie Spaniern begegnete. Und mit so einer Begegnung mußten sie hier im Golf von Biscaya, in gefährlicher Nähe der baskischen Küste, jederzeit rechnen.

In solchen Fällen hatten sich die Seewölfe sonst bisweilen als spanische Kauffahrer getarnt, doch das wäre hier vergebliche Mühe gewesen. Die Kunde von dem Gefecht, bei dem drei Galeonen Seiner Allerkatholischsten Majestät versenkt worden waren, mußte längst die Runde gemacht haben. Vielleicht wußten die Spanier sogar schon, wer da in ihren Gewässern aufräumte. Die „Isabella“ war kein alltägliches Schiff, und sicher gab es eine Menge Leute, die die Galeone von El Lobo del Mar auch einer bloßen Beschreibung nach sofort erkannten.

Ferris Tucker hatte die Wache auf dem Achterkastell übernommen.

Hasard saß zurückgelehnt auf einem Stuhl in seiner Kammer, die eisblauen Augen leicht zusammengekniffen. Prüfend wanderte sein Blick über die Gesichter von Dan O’Flynn, Old Donegal, Big Old Shane, Ben Brighton und Edwin Carberry.

Noch war kein Wort gefallen.

Aber sie wußten auch so, um was es ging. Schließlich hatten sie Augen im Kopf, um zu sehen, was Jan Joerdans, Friso Eyck und ihre Wassergeusen für Kerle waren. Ohren hatten sie auch, und was der Rest der Crew von der Sache hielt, war nicht geflüstert worden. Der Gedanke, daß die Spanier aufrechte Männer wie Marius van Helder in ihre Kerker schleppen würden, um sie langsam zu Tode zu foltern, damit sie ihre Kameraden verrieten – dieser Gedanke stank einfach zum Himmel.

„Gegen Cadiz ist Bilbao doch nur ein Drecknest“, knurrte Old O’Flynn nach einem langen Schweigen.

„Stimmt“, gab Dan seinem Vater ausnahmsweise recht.

„Und vier von den verdammten spanischen Waschzubern sind schon Treibholz“, merkte Ed Carberry an. „Himmelarsch, wer sind wir eigentlich? Vielleicht Memmen, die vor den krummen Dons den Schwanz einziehen, was, wie?“

„Wir wollen nach England“, stellte Hasard fest. „Und wir haben schon zu viel Zeit verloren.“

„Aber das Cadiz-Unternehmen hat die Spanier um Monate zurückgeworfen“, wandte Ben Brighton in seiner ruhigen, sachlichen Art ein. „Sie werden England nicht morgen und auch nicht übermorgen angreifen.“

„Und auch nicht nächsten Monat!“ Dan O’Flynn hatte sich vorgebeugt, seine blauen Augen blitzten. „Hasard, ich habe mich mit diesem Henk Soundso unterhalten, der mit der ‚Oranje‘ aus der Nordsee gekommen ist. Der Statthalter der spanischen Niederlande, Allessandro Farnese heißt er, soll dem alten Philipp schon lange damit in den Ohren liegen, die aufständischen Provinzen zurückzuerobern. Bis jetzt hat man ihn nicht von der Leine gelassen, weil er die Armada mit einer Invasionsarmee gegen Old England unterstützen soll. Aber wenn der Allerkatholischste Philipp nun zum Beispiel seinen Raubzug um ein halbes oder ein ganzes Jahr verschiebt …“

„… dann könnte es gut sein, daß sich die Spanier die Utrechter Union wieder unter den Nagel reißen“, vollendete Hasard. „Ich weiß das, Dan. Ich weiß auch, daß ein starker Geusenbund im Interesse Englands liegt und die Königliche Lissy die englischen Häfen für die Wassergeusen geöffnet hat.“

„Na also!“ brummte der Profos zufrieden.

„Wozu reden wir dann noch?“ fragte Old O’Flynn und stampfte ungeduldig mit dem Holzbein. „Wir gabeln die ‚Hoek van Holland‘ auf und legen mal eben Bilbao in Trümmer.“

„Ihr könnt es wohl nicht mehr abwarten, was?“ fragte Hasard sarkastisch.

Dan O’Flynn nickte ungerührt.

Edwin Carberry hob die Faust, als nehme er in Gedanken schon bei einem Spanier Maß.

Big Old Shane strich über seinen struppigen grauen Bart, blickte den Seewolf an und lächelte auf die gewisse Art, die Hasard immer an die alten Zeiten auf der Feste Arwenack erinnerte. Da hatte er notfalls jedem ein Schnippchen schlagen können – nur dem knorrigen alten Schmied nicht.

„Und du?“ fragte der bärtige Riese gelassen. „Willst du mir vielleicht erzählen, daß du anderer Meinung bist? Das glaubt dir vielleicht des Teufels Großmutter, aber dem alten Shane kannst du nichts vorerzählen.“

Hasard grinste schief.

Nein, er war durchaus nicht anderer Meinung, er war es von Anfang an nicht gewesen. Die Geusen hatten den Seewölfen geholfen, jetzt würden die Seewölfe den Geusen helfen. Gemeinsam mußte es ihnen gelingen, Marius van Helder aus den Händen der Spanier zu befreien – und wenn sie dazu die Hölle mit einem Eimer Wasser angreifen mußten.

„Wie ihr wollt“, sagte Hasard gelassen. „Legen wir also mal eben Bilbao in Trümmer. Aber so einfach wird das nicht, das kann ich euch flüstern. Ganz davon abgesehen, daß uns die Trümmer in Bilbao nichts nutzen, weil wir uns um die Festung in Portugalete kümmern müssen …“

Klatschend landete der Körper des Holländers im Wasser.

Juan Mendez sah ungerührt zu. Die „Maria de Navarra“ segelte am Wind Kurs Süd-Südwest, um Bilbao zu erreichen. Sieben Gefangene waren an Bord, und Capitan Mendez war zufrieden.

Die Männer der „Oranje“ standen auf der Kuhl, bewacht von Spaniern, die vor Haß keuchten und sich nur mit Mühe davon zurückhalten konnten, auch noch die letzten ihrer Gegner niederzumachen. Sie hatten ein Schiff und zwei Dutzend Männer verloren, völlig unbeschädigt war einzig die „Princesa Anna“ geblieben. Glühende Augen starrten auf die gefesselten, blutbesudelten Gestalten, und jeder Schrei aus dem Vorschiff, wo Feldscher die verwundeten Spanier behandelten, verstärkte die Wut in den Gesichtern der Bewacher.

Marius van Helder schwankte und hielt sich nur mühsam auf den Beinen. Trotz des gebrochenen Gelenks hatte man ihm die Hände auf den Rücken gebunden, von einem Schnitt rann Blut über seine Brust. Neben ihm kämpfte ein braunhaariger, kaum siebzehnjähriger Junge mit den Tränen: Der Mann, den die Spanier über Bord geworfen hatten, war sein Vater gewesen. Fünf weitere Geusen erwiderten trotzig die haßerfüllten Blicke der Spanier. Van Helders Augen glitten über die schwankenden, abgekämpften Gestalten. Kein einziger war unverletzt geblieben. Erschöpfung zeichnete ihre Gesichter, die Kleider hingen ihnen in Fetzen vom Körper, aber sie zeigten keine Furcht, obwohl sie nur zu genau wußten, was ihnen bevorstand.

„Du bist van Helder?“

Juan Mendez’ Stimme klang wie ein Peitschenhieb. Der Geusenkapitän spuckte aus und warf das fast weiße Haar zurück. Einer seiner Männer lachte – ein schnelles, hartes Lachen.

„Welche Ehre!“ stieß er auf spanisch hervor. „Sie halten uns für van Helders Höllenhunde! Weißt du nicht, daß dessen Schiff ‚Wappen von Oranien‘ hieß und im Kanal sank, Spanier?“

Unsicherheit malte sich in den Zügen des Capitans.

Marius van Helder warf seinem langen blonden Stückmeister einen raschen Blick zu und lächelte. Aber er bezweifelte, daß die freche Lüge die Spanier täuschen konnte.

Juan Mendez biß die Zähne zusammen.

Er starrte die Gefangenen an. War es möglich, daß er sich getäuscht hatte? Daß sie alle auf ein Märchen hereingefallen waren – ein Märchen, das ein Mann unter der Folter erfunden hatte, um der unerträglichen Qual ein Ende zu bereiten?

Mendez fauchte vor Wut. Er mußte es wissen! Er mußte genau wissen, wer dieser stolze, unerschrockene Mann mit dem ausgebleichten Haar und der silbernen Münze auf der Brust war: irgendein Geusenkapitän – oder der legendäre Marius van Helder.

Mit einem Ruck riß der Spanier den Degen aus der Scheide.

Die nadelscharfe Spitze berührte die Haut an van Helders Kehle. Kein Muskel zuckte in dem harten, kantigen Gesicht. Juan Mendez sog scharf die Luft durch die Zähne.

„Wer bist du?“ fauchte er. „Nenn deinen Namen, holländischer Bastard!“

Van Helder schwieg.

Er rührte sich nicht und verriet mit keinem Wimpernzucken den Schmerz, der von der gebrochenen Hand durch seinen Körper tobte. Erst als Mendez auf ihn zutrat, warf er den Kopf in den Nacken und spie seinem Gegner mitten ins Gesicht.

Der Capitan hielt den Atem an.

Mit dem Handrücken wischte er den Speichel weg. Er zitterte vor Haß. Aber er beherrschte sich, denn er wußte, daß sein Opfer nur darauf wartete, einen raschen Tod zu finden.

 

„Pedro! Diego!“ zischte er. „Nehmt euch den Jungen vor! Vielleicht fällt seinen Freunden die richtige Anwort ein, wenn er an der Rahnock baumelt.“

Stille.

Der Junge straffte trotzig den Rükken und trat einen Schritt vor. Er war bereit zu sterben. Zwei der Spanier machten Anstalten, sich auf ihn zu stürzen, doch die ruhige Stimme des Geusenkapitäns ließ sie innehalten.

„Hört auf! Habt ihr keinen Funken Menschlichkeit mehr in euch, daß ihr euch an einem halben Kind vergreift? Ich bin Marius van Helder …“

8.

„Land ho! Land genau voraus!“

Der Morgen dämmerte bereits, als Bills Stimme durch das Plätschern der Wellen und das Knirschen der Rahen und Blöcke schnitt. Hasard hatte keine Minute geschlafen – zu groß war die Gefahr, auf Feinde zu treffen, zufällig oder weil die Spanier bereits die „Isabella“ jagten. Die Überlebenden der „Anneke Bouts“ und der Verwundete der „Oranje“ hätten ihren Schlaf nötig gebraucht, doch bei ihnen waren es Erregung und neu erwachte Hoffnung, die sie an Deck hielten, in endlose Gespräche mit den Seewölfen vertieft. Hasard hatte zugehört und die hundert Fragen vernommen, die die Geusen zu dem fast schon legendären Cadiz-Unternehmen stellten. Und auch sie selbst hatten erzählt, auch bei ihnen gab es Legenden dieser Art, Berichte, die düstere, faszinierende Bilder beschworen.

Die Entsetzung der Stadt Leyden war eine solche Legende.

Schiffe, die bei Nacht über das Wattenmeer segelten, was kein Spanier je gewagt oder auch nur für möglich gehalten hätte. Dunkle Schatten, von Fischern und ortskundigen Lotsen geführt, den wenigen Prielen folgend, tief ins Land hinein. Ein überflutetes Land, denn die Holländer hatten ihre Deiche durchstochen, um die verhaßten Spanier zu ersäufen. Wo die Schiffe nicht weitergelangten, stiegen die Männer mit den Geusenpfennigen auf der Brust in schnelle, wendige Flachboote um. Sie kannten das Land und tauchten überall auf, wo der Feind sie am wenigsten erwartete.

Marius van Helder und Friso Eyck sprengten ein spanisches Munitionsdepot in die Luft, und das Krachen schien die ganzen Niederlande zu erschüttern.

Schleusen wurden zerstört, Befestigungen niedergebrannt. Kanonendonner erfüllte die Häfen – und wenn die spanischen Galeonen die Geusenschiffe verfolgten, verschwanden sie wieder zwischen den Inseln, in den Schlupfwinkeln einer wilden, zerrissenen Küste, die den Gegnern unüberwindliche Hindernisse entgegenstellte.

Erst im Bunde mit den Wassergeusen gelang es Wilhelm von Oranien, die bedrängte Stadt Leyden zu befreien und den Nachfolger des blutigen Alba zurückzuwerfen.

Friso Eyck war dabeigewesen. Auch Marius van Helder. Aber das lag lange zurück. Noch hielten die Generalstaaten stand, doch wenn es Philipp II. gelang, mit der Armada England zu besiegen, würde auch den freien Niederlanden die Stunde schlagen.

Der Ruf aus dem Ausguck beendete schlagartig die murmelnden Gespräche.

Hasard enterte in die Besanwanten und spähte mit dem Spektiv nach Westen. Schroffe Felsen ragten über die Kimm, ein unregelmäßig geformter, flach auslaufender Buckel. Hinter der Klippe, die wie ein aufwärts gebogenes Horn in den grauen Dunst ragte, mußte die versteckte Bucht liegen, von der Jan Joerdans gesprochen hatte.

Eine knappe Stunde noch.

Hasard ließ über Stag gehen, straff blähten sich die Segel, als der Wind sie über den anderen Bug faßte. Die „Isabella“ lag mit Steuerbordhalsen auf Nordwestkurs und pflügte mit schäumender Bugwelle durch den grauen Atlantik. Der Profos tobte über die Kuhl und fluchte abwechselnd über den krächzenden Sir John und die „müden Heringe“, denen er die Haut streifenweise von einem gewissen edlen Körperteil zu ziehen drohte, der in der Anatomie der Heringe gar nicht vorkam. Noch einmal nahm das Wendemanöver die Aufmerksamkeit der Wache in Anspruch – und mit dem letzten Kreuzschlag glitt die „Isabella“ auf die abenteuerlich schmale Einfahrt zu.

Zwischen den Felsen glänzte das Glas eines Spektivs im Morgenlicht.

Minuten vergingen, dann richteten sich Gestalten in ihren Deckungen auf, winkten und schwenkten die Arme. Jan Joerdans’ Meergeusen hatten die Galeone des Seewolfs erkannt. Schon schallten Rufe herüber und war die Wiedersehensfreude aus den Stimmen herauszuhören. Aber Hasard nahm es kaum wahr, da er gespannt die schmale Einfahrt zwischen den Felsenriffen anpeilte.

„Mann, Mann“, murmelte Ben Brighton neben ihm. „Und da sollen wir durch?“

„Die ‚Hoek van Holland‘ ist auch durchgesegelt, oder?“

„Na ja …“

Hasard zuckte mit den Schultern und kniff die Augen zusammen. Wenn der Wind nicht drehte, und das würde er sicher nicht, konnten sie den verdammten Felsspalt da drüben gut anliegen. Von den paar Gischtfahnen am Strömungsluv abgesehen, war das Wasser dunkel und glatt – keine Untiefen, keine Klippen, an denen sich die Galeone den Bauch aufschlitzen konnte. Es war eine regelrechte Fahrrinne, die in die Bucht führte, und Hasard stieß erleichtert die angehaltene Luft aus.

„Etwas abfallen“, befahl er. „Gei auf Fock, Großsegel und Blinde! Fier weg Besan!“

„Frage Kurs?“ ertönte Pete Ballies Stimme aus dem Ruderhaus.

„Recht so! Bill, bist du augenkrank, oder hat’s dir die Sprache verschlagen?“

„Meine Augen sind in Ordnung, Sir!“ rief der Schiffsjunge etwas vorwitzig. „Nur die Felsen sind nicht durchsichtig.“

„Und die Marswanten haben sich in Luft aufgelöst, was?“

„N-nein, Sir.“ Das klang schon etwas kleinlauter. Hastig richtete sich Bill auf der Plattform auf und enterte ein Stück höher, um besser sehen zu können. „Die ‚Hoek van Holland‘ liegt hinten in der Bucht mit der Breitseite zur Einfahrt“, meldete er. „Wir haben Platz genug, Sir.“

„Na also! Marssegel weg, sobald wir durch sind! Pete, du hältst etwas nach Backbord und dann nach Steuerbord. Wir fahren einen Halbkreis und legen uns schräg hinter die ‚Hoek van Holland‘.“

„Aye, aye, Sir.“

Langsam glitt die „Isabella“ unter Fock- und Großmarssegel auf die Bucht zu.

„Gei auf Marssegel!“ hallte Hasards Kommando.

Das letzte Tuch wurde weggenommen, die Enge zwischen den hochragenden Klippen schien die Galeone aufzusaugen wie ein gieriger Rachen. Dann erweiterte sich die Einfahrt zu einer großen, fast kreisrunden Bucht, die völlig geschützt lag.

Pete Ballie legte Ruder.

Seine grauen Augen kniffen sich zusammen. Unter dem struppigen blonden Haar wurde das Gesicht zur Maske und entspannte sich wieder, als die „Isabella“ herumschwang und in einem perfekten Halbkreis dahin lief, wo der Seewolf sie haben wollte.

„Fallen Anker!“ rief Hasard. „Gut gemacht, Pete!“

Der Rudergänger wurde rot und strahlte. Auf der Back brüllte Ed Carberry die Ankergasten an, in drei Teufels Namen endlich mehr Lose zu geben. Der Anker faßte Grund, die Trosse kam steif und zeigte dann voraus, als die „Isabella“ etwas achteraus sackte.

An Deck der „Hoek van Holland“ sah die Ankerwache dem Manöver zu, an Land erschienen Jan Joerdans’ Männer auf dem breiten Sandstreifen zwischen den Felsen. Der Geusenkapitän blieb ruckartig stehen, als er Friso Eyck und die anderen erkannte. Hasard sah die hellen Augen aufflackern, die Hände zu Fäusten werden. Jan Joerdans begriff sofort, was die Anwesenheit seiner Landsleute auf der „Isabella“ bedeutete, aber damit kannte er noch nicht die ganze Wahrheit.

Die erfuhr er erst, als sich die Männer am Strand gegenüberstanden.

Henk Bakker berichtete, der Mann von der „Oranje“.

Seine Stimme zitterte, obwohl er die Katastrophe jetzt schon mehrmals geschildert hatte. Die Worte tropften eigentümlich tonlos in die tiefe Stille. Jan Joerdans wurde bleich, und die Gesichter seiner Männer versteinerten.

„Marius“, murmelte der Geusenkapitän. „Mein Gott …“

„Er lebt“, sagte Henk Bakker. „Ich bin ganz sicher, daß er lebte, als die Spanier ihn gefangennahmen.“

„Bist du auch sicher, daß er einen schnellen Tod im Kampf nicht vorgezogen hätte?“

Die Worte klangen bitter. Wut und Schmerz zuckten über das hagere Gesicht, und Hasard hob beschwichtigend die Hand.

„Auch die Spanier bauen ihre Festungen nur aus Steinen“, sagte er ruhig. „Solange van Helder lebt, können wir ihn wieder herausholen.“

Joerdans’ Kopf ruckte herum.

„Wir?“ echote er tonlos.

Hasard lächelte. Seine Zähne blitzten.

„Wir“, bestätigte er. „Bilbao ist bekanntlich ein Zentrum des spanischen Schiffsbaus. Und es liegt eindeutig im Interesse Englands, die Armada ein bißchen zu dezimieren.“

Jetzt huschte auch über Jan Joerdans’ bleiches Gesicht ein Lächeln.

„Was zweifellos gelingen wird! Ich habe noch nie etwas Ähnliches gesehen wie diese – diese chinesischen Raketen.“

„Raketen?“ echote Friso Eyck, der das Gefecht gegen die fünf spanischen Galeonen nicht miterlebt hatte.

„Unlöschbares Feuer!“

„Ein Teufelszeug …“

„Es war wie die Hölle. Nichts kann ein Schiff mehr retten, das von so einem Ding getroffen wird. Ihr hättet es sehen sollen.“

Von allen Seiten prasselten Erklärungen auf Henk Bakker, Friso Eyck und die Überlebenden der „Anneke Bouts“ ein.

Aufgeregt gingen die Stimmen durcheinander. Augen funkelten, Hände wurden geballt – jäh war die Verzweiflung in neue, wilde Entschlossenheit umgeschlagen. Das Bild eines brennenden Hafens, einer zusammenstürzenden Festung befeuerte die Phantasie der Männer, und ihre Stimmen senkten sich zum verschwörerischen Flüstern, während sie dem Lagerplatz der Geusen an einer geschützten Stelle der Insel zustrebten.

Im Osten ging die Sonne auf und übergoß Felsen, Sträucher und wildes Gras mit strahlender Helligkeit.

Bis auf die Ankerwachen hatten sich die beiden Crews um ein kleines, rauchloses Feuer versammelt. Der Kutscher, Koch und Feldscher auf der „Isabella“, sah neugierig dem holländischen Smutje zu, der zerlegte Fische und alle möglichen Wurzeln in einen Kessel mit kochendem Wasser warf. Hasard, Ben Brighton, Big Old Shane und Jan Joerdans lehnten etwas abseits an den Klippen. Friso Eyck hockte auf einem Steinbrocken und zeichnete mit einem Stöckchen Figuren in den sandigen Boden. Nach und nach gesellten sich noch ein paar andere dazu: Joerdans’ Steuermann Pieter Ameland, Henk Bakker, der sich fast völlig von seinen Verletzungen erholt hatte, Old O’Flynn und der rothaarige Ferris Tucker. Hasards Blick wanderte zu den Klippen, wo seine Söhne in Gesellschaft von Dan und Bill herumturnten – wahrscheinlich auf Entdeckungen aus.

„Bilbao liegt ziemlich weit oberhalb der Nervión-Mündung, nicht wahr?“ fragte Ben Brighton.

„Fast zehn Meilen“, bestätigte Joerdans. „Die Flußmündung wird von der Festung in Portugalete kontrolliert.“

„Ist es sicher, daß die Gefangenen dorthin gebracht werden?“ erkundigte sich Hasard mit gerunzelter Stirn.

„Nicht völlig sicher.“ Jan Joerdans lächelte flüchtig. „Aber wir können es in Erfahrung bringen, wir haben Freunde in Portugalete.“

„Freunde unter den Spaniern?“ fragte Ferris Tucker ungläubig.

„Sie sind Basken. Sie hassen die Spanier nicht weniger als wir, jedenfalls viele von ihnen. Die baskischen Provinzen haben immer Sonderrechte genossen, aber jetzt fürchten sie, daß der Machtanspruch des spanischen Königs auch über ihre Eigenständigkeit hinwegrollen wird. Es gibt eine Rebellenbewegung, die für die Loslösung des Baskenlandes von Spanien kämpft – nach dem Vorbild der niederländischen Generalstaaten.“

„Und diese Rebellen werden die Geusen unterstützen?“

„Sie haben es immer getan. Und sie sind immer gut informiert und haben eine Menge Rückhalt unter der Bevölkerung. Auf jeden Fall werden sie wissen, in welchen Kerker die Spanier ihre Gefangenen geworfen haben. Es gibt da sogar einen Geheimgang, durch den man in die äußere Festungsanlage gelangen kann.“

„Hört sich an wie die Einfachheit selber“, sagte Ferris Tucker mißtrauisch.

„Die Einfachheit selber? Das werden Sie nicht mehr glauben, wenn Sie erst einen Blick auf die Festung geworfen haben.“ Jan Joerdans wischte sich das krause braune Haar aus der Stirn und kniff die Augen zusammen. „Zuerst müssen wir herausfinden, wo genau die Gefangenen stecken, das heißt, daß wir nach Portugalete hineinmüssen. In den inneren Festungsbereich kann man nur eindringen, wenn man vorher, ein Loch in die Mauer schießt. Und selbst damit sind wir noch längst nicht in den Kerkern oder Folterkammern. Wie wir das anstellen sollen, ob es überhaupt möglich ist – ich weiß es nicht.“

 

„Nichts ist unmöglich“, sagte Ferris Tucker schlicht.

„Und was nicht geht, wird gehend gemacht“, erklärte Old O’Flynn und klopfte beziehungsreich auf sein Holzbein, um zu dokumentieren, daß es für jedes Problem eine passende Lösung gäbe.

„Auf Stützen werden wir sowieso stehen“, sagte Hasard trocken. „Ich schlage vor, wir warten die Dunkelheit ab, verholen uns in eine Bucht in der Nähe der Flußmündung und schicken erst mal einen Spähtrupp an Land. Oder hat jemand eine bessere Idee?“

Niemand hatte Einwände.

Die Blicke der Männer wanderten nach Süden, wo irgendwo im Sonnenglast die spanische Küste lag.

Noch hatten sie einen ganzen Tag vor sich – und im Augenblick erschienen ihnen diese endlosen Stunden des Wartens als der schlimmste Teil des ganzen tollkühnen Unternehmens.

Bei Einbruch der Dämmerung glitten die „Isabella“ und die „Hoek van Holland“ aus der Bucht, fielen ab und rauschten mit halbem Wind genau nach Süden.

Die Geusen übernahmen die Führung, da sie in der Bucht, die sie anlaufen wollten, schon öfter Vorräte und Wasser von den baskischen Rebellen übernommen und gegen Waffen eingetauscht hatten. Die „Isabella“ segelte im Kielwasser der „Hoek van Holland“. Hasard stand auf dem Achterkastell und warf ab und zu einen Blick zum Niedergang hinunter, wo sich Big Old Shane wie ein urzeitlicher Riese vor den Zwillingen aufgebaut hatte.

Im roten Widerschein der sinkenden Sonne schien sein grauer Bart zu flammen. Er hatte beide Hände in die Hüften gestemmt und dehnte den mächtigen Brustkasten. Der Seewolf fragte sich unwillkürlich, wie es eigentlich kam, daß dieser gewaltige Kerl trotz seines wilden Äußeren nie wirklich zum Fürchten aussah.

Die blitzblauen Augen der Kinder jedenfalls waren voller Vertrauen auf ihn gerichtet.

„Ihr wißt, wohin wir segeln?“ fragte er sehr langsam und sehr deutlich.

„Ja“, sagte der kleine Hasard.

„Spanien“, fügte sein Bruder hinzu.

„Ihr wißt auch, daß die Spanier unsere Feinde sind und uns deshalb nicht bemerken dürfen? Wenn sie uns kriegen, werden sie …“

Shane stockte. Wahrscheinlich zögerte er, die kindlichen Gemüter mit blutrünstigen Vorstellungen zu belasten. Aber die kindlichen Gemüter der Zwillinge waren recht realistisch geartet.

„Wenn uns Spanier bemerken, holt uns Teufel lotweise“, sagte Hasard junior. Er mußte ein paarmal zu oft in Ed Carberrys Nähe die Ohren gespitzt haben.

„Krrch“, machte Philip und vollführte die Geste des Halsabschneidens, was er zweifellos dem schwarzen Herkules Batuti abgeschaut hatte.

„Heiliger Bimbam“, murmelte Shane erschüttert.

„Bimbam?“ fragte Philip interessiert.

Big Old Shane raufte sich nicht den Bart, sondern zog die Brauen zusammen, was sofort den nötigen Ernst wiederherstellte.

„Wir sind uns einig, daß die Spanier die ‚Isabella‘ nicht bemerken dürfen“, stellte er fest. „Also hat absolute Ruhe zu herrschen. Ihr beiden bleibt in eurer Kammer. Kein Lärm, kein Unsinn, keine dummen Streiche! Ist das klar?“

„Klar“, sagte Philip.

„Klar“, bestätigte Hasard.

„Dann ab mit euch! Ich komme später und erzähle euch alles genau, in Ordnung?“

„In Ordnung.“

Das erklang zweistimmig. Die Zwillinge wandten sich um und marschierten ins Achterkastell. Hasard lächelte. Wenn er Shane und die beiden Jungen beobachtete, fiel ihm meist seine eigene Kindheit auf Arwenack ein. Und der kurze, markige Kernspruch, mit dem der graubärtige Schmied so oft seine wilde, noch kindlich-ziellose Auflehnung gegen die Killigrew-Sippschaft gezügelt hatte: „Wer gegen den Wind pißt, kriegt nasse Hosen …“

Der alte Shane hatte schon gewußt, was er tat. Eines Tages war Philip Hasard Killigrew, der Bastard, das Findelkind mit der spanischen Mutter und dem deutschen Vater, dann soweit gewesen, daß er keine „nassen Hosen“ mehr kriegte. Da hatte er nämlich den alten Sir John, als er mal wieder Ohrfeigen austeilte, kurzerhand ins Hirschgeweih über dem Kamin von Arwenack gehängt und die Brüder, von denen er bis dahin stets schikaniert worden war, jämmerlich verprügelt.

Der Seewolf grinste in der Erinnerung an jenen denkwürdigen Abend.

Sein Blick tastete prüfend über das dunkle Wasser. Die Küste rückte näher, und wenig später glitten die „Isabella“ und die „Hoek van Holland“ auf die versteckte Bucht im Osten von Bilbao zu.

Nur ein paar Fischerhütten lagen in der Nähe.

Die Fischer, hatte Jan Joerdans versichert, unterstützten die baskischen Rebellen und würden Augen und Ohren verschließen. Die „Hoek van Holland“ rauschte als erste mit gerefften Segeln durch die Einfahrt. Die „Isabella“ folgte ihr, und wenig später lagen die beiden Schiffe so sicher wie in Abrahams Schoß in der Bucht vor Anker.

Jan Joerdans und Friso Eyck pullten mit dem Boot herüber.

Beide wollten an dem Spähtrupp-Unternehmen teilnehmen – auch das ein Zeichen dafür, daß sie aus dem gleichen Holz geschnitzt waren wie Philip Hasard Killigrew, der in solchen Fällen ebenfalls selbst in der vordersten Linie stand. Er hatte Sam Roskill und Al Conroy als Begleiter ausgewählt, weil die beiden als Spanier durchgehen konnten. Das war ein Gesichtspunkt, den die Geusen offenbar nicht bedacht hatten, und Friso Eyck fuhr sich etwas unsicher durch das flachsfarbene Haar.

„Nuß-Extrakt“, sagte der Kutscher weise. „Dann bist du wenigstens kein blonder Spanier. Komm mit in die Kombüse.“

Zehn Minuten später zeigte Friso Eycks helles Haar ein tiefes Braun, das niemandem auffallen würde.

Die fünf Männer gingen ins Boot.

An Bord der „Isabella“ sahen ihnen die Seewölfe nach, von der „Hoek van Holland“ die Geusen. Das Klatschen der Riemen klang durch die Nacht. Sam Roskill, der ehemalige Karibik-Pirat, belegte die Vorleine an einem Felsblock, und Sekunden später standen die Männer zwischen den Klippen.

Zwei Meilen mußten sie bis Portugalete, dem Außenhafen von Bilbao, zu Fuß zurücklegen.

Was dort auf sie wartete, konnten sie nur ahnen.

Der Hafenkommandant von Bilbao hieß Benito Uvalde und war ein untersetzter, fetter Mann, der die angenehmen Seiten des Lebens zu schätzen wußte.

Ihn interessierte es nicht im mindesten, ob jemand Katholik, Calvinist, Hugenotte oder was auch immer war. Ihn scherte auch nicht der Wunsch der Basken, als das selbständige und durchaus nicht spanische Volk zu leben, das sie waren. Benito Uvalde, anerkannter Bastard eines kastilischen Granden, verdankte Spanien seinen Aufstieg, war sich seiner eigenen zweifelhaften Stellung bewußt, was Blut und katholische Moraltheologie betraf, und tat deshalb alles, um sich als getreuer Diener Seiner Allerkatholischsten Majestät zu erweisen.

Dazu gesellte sich ein böser Hang zur Grausamkeit, der ihn die Vorführung der holländischen Gefangenen in seinen Räumen in der Festung genießen ließ.

Uvalde haßte die niederländischen Rebellen.

Er haßte sie vor allem deshalb, weil selbst die Angehörigen des niederen, teilweise ziemlich verschuldeten Adels, die die Spanier so verächtlich als „Geusen“, als Bettler bezeichneten, in der gesellschaftlichen Hierarchie noch über ihm standen. Marius van Helder war ein solcher Mann: Graf von Geburt, auf dem Stammsitz seiner Familie in Helder aufgewachsen, geachtet von allem Anfang an – und jetzt ein Vagabund zur See, mit dem man ungestraft umspringen durfte, wie man wollte. Benito Uvalde sah in das starre, stolze Gesicht und malte sich im Geist bereits den Dank der Krone aus, wenn es ihm, Uvalde, gelingen würde, rechtzeitig die zweifellos finsteren Pläne der Wassergeusen zu entschleiern.

„Du bist van Helder?“ fragte er.

„Ja.“

Mehr kam nicht. Ein knappes Wort, dem Spanier förmlich vor die Füße gespuckt. Marius van Helder stand reglos und fühlte allmählich, wie der Schmerz von der gebrochenen Hand gegenstandslos wurde, weil er seine Sinne abstumpfte. Er wußte, was ihm bevorstand: die Folter, der er irgendwie standhalten mußte. Denn noch war die Sache der Geusen nicht verloren, noch konnten sie sich hier an Spaniens Küsten sammeln, um dem Gegner einen entscheidenden Schlag zuzufügen. Einen Schlag, der dann vielleicht als Funke im Pulverfaß wirken oder zumindest dazu beitragen würde, in den freien Niederlanden den Widerstand gegen Allessandro Farneses Eroberungspläne zu stählen.

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