Seewölfe Paket 30

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8.

Eine Gruppe von ungefähr zwei Dutzend Leibwächtern warf sich dem Seewolf und seinen Männern in der Halle des Palazzo entgegen.

Säbelklingen blitzten und klirrten.

Blacky sah noch, daß der rabengesichtige Halunke unter den Verteidigern des Haupthauses war. Hasard nahm ihn sich vor und streckte ihn nach einem kurzen Säbelduell nieder.

Blacky zögerte nicht, sich unbemerkt abzusondern, als er in die Nähe der breiten Treppe geriet, die zum oberen Balustradengang führte. Es war ein Instinkt, der ihn leitete. Und das Verlangen nach Rache beseelte diesen Instinkt.

Er erreichte den Treppenabsatz und lief mit blankgezogenem Säbel nach links. Die Vermutung, daß sich Struzzo zumindest innerhalb der Mauern dieses Gebäudes aufhielt, lag nahe. Er hatte keinen Grund, sich an die Front zu begeben. Andere konnten für ihn die Kastanien aus dem Feuer holen. So war es im Falle des Don Marcello vermutlich immer gewesen.

Blacky stieß die Türen nacheinander auf.

Nur die halbe Strecke des Balustradenganges brauchte er hinter sich zu bringen.

Der Salon bestach durch einen brusthohen Kamin aus wertvollem weißem Marmor.

Blacky verharrte in der offenen Tür.

Don Marcello Struzzo stand vor dem Kamin. In seiner Rechten lag eine doppelläufige Pistole, deren Stahl mit silbern ausgelegter Gravur verziert war. Die Hand des Mannes mit dem kantigen Gesicht zitterte. Das Zittern übertrug sich auf die schwere Waffe. Alles zerrte an seinen Nerven. Der Kampfeslärm von der Landseite des Castello ebenso wie die Schreie und das Säbelklirren aus der Halle des Palazzo.

Blacky hielt den Säbel gesenkt.

Der Sarde starrte ihn an, als habe er es mit einem Gespenst zu tun.

„Du täuschst dich nicht, Struzzo“, sagte Blacky eisig. „Ich bin es wirklich.“

Das Gesicht des Don verzerrte sich. Er flüsterte einen Fluch.

„Mit gegebenen Tatsachen muß man sich keineswegs abfinden“, zischte er. „Laß den Säbel fallen und ergib dich, Engländer!“

Blacky lachte spöttisch. „Du willst mich als Geisel?“

„Allerdings.“

„Schlag dir das aus dem Kopf. Daraus wird nichts.“

„Den Säbel weg!“ kreischte Struzzo. „Oder ich schieße!“

„Tu’s“, entgegnete Blacky, und er wirkte dabei völlig gelassen. In Wahrheit waren seine Nerven zum Zerreißen angespannt. „In deinem Zitterzustand würdest du nicht mal einen Pottwal auf fünf Yards Entfernung treffen.“

„Schweig!“ schrie Struzzo. „Dies ist meine letzte Warnung! Weg mit dem Säbel!“ Er strengte sich höllisch an, die Doppelläufige ruhig zu halten. Doch je mehr er sich anstrengte, desto heftiger wurde sein Zittern.

Blacky hob den Säbel und ging einen Schritt auf den Sarden zu.

Don Marcello stieß einen schrillen Wutschrei aus. Sein Zeigefinger krümmte sich jäh. Er verriß die Waffe.

Im Krachen des Schusses duckte sich Blacky unwillkürlich.

Aber er spürte nicht einmal das Sengen des Geschosses. Die Kugel war irgendwo hoch über dem Türrahmen in die Wand geklatscht.

Ruhig setzte er seinen Weg fort.

„Das war nur ein Warnschuß!“ schrie der Don mit sich überschlagender Stimme. „Die nächste Kugel trifft!“

„Daran glaubst du wohl selbst nicht“, entgegnete Blacky voller Spott.

Das ließ etwas in seinem Gegenüber zerreißen. Etwas, das die letzte Beherrschung in ihm aufrechterhalten hatte.

Sein zweiter Schuß war noch überhasteter als der erste.

Das Geschoß sirrte weit links an Blacky vorbei und zersprengte eine kleine Marmorstatue auf einem Wandsockel in tausend Stücke. Blacky sah es nur aus den Augenwinkeln heraus. Er achtete nicht weiter darauf.

Struzzos Gesicht war eine Fratze aus Angst und Wut. Er schleuderte die wertlose Pistole von sich und griff zum Dolch.

Blacky ging weiter auf ihn zu und fegte ihm die rasiermesserscharfe Waffe mit einem einzigen Hieb aus der Hand.

Struzzo wirbelte herum und riß einen Säbel an sich, der über dem Kaminsims aufgehängt war. Mit einer wilden Attacke stürmte er auf den breitschultrigen Engländer los.

Blacky gelang es geradezu mühelos, mit einem tänzelnden Schritt zur Seite auszuweichen.

Struzzo fing seinen Schwung ab und war im nächsten Sekundenbruchteil wieder zur Stelle. Mit waagerecht vorgereckter Klinge schnellte er auf den Gegner zu, der ihm immer unheimlicher wurde.

Blackys Reaktion funktionierte auch diesmal auf den Sekundenbruchteil genau. Struzzo lief in seinen Säbel hinein, wankte und kippte zur Seite weg.

Das Gefühl der gelungenen Rache, wie Blacky es sich vorgestellt hatte, entstand nicht.

Bevor er einen weiteren Gedanken fassen konnte, ertönte eine eisige Stimme von der Tür her.

„Danke, daß du mir die Arbeit abgenommen hast, Engländer. Ich werde allerdings nicht umhin können, dich mit einer Kugel dafür zu belohnen. Und in meinem Fall kannst du sicher sein, daß es keine zittrige Hand gibt, die dich rettet.“

Don Cesare di Montepulciano mußte hinter der Tür, auf dem Balustradengang, gelauert und alles mitgekriegt haben. Breit und massig füllte er den Türrahmen aus. In seiner Rechten lag ein Radschloßdrehling, ähnlich wie Hasard ihn verwendete. Gegen eine solche Waffe gab es kaum eine Chance.

Blacky erstarrte.

Sein Säbel steckte in Struzzos leblosem Körper. Und seine Pistole konnte er nicht ziehen, ohne daß Montepulciano den ersten Schuß abfeuerte.

Der schwergewichtige Toskaner trat näher, ohne den Drehling auch nur um ein Haar aus der Visierlinie zu nehmen.

Unten, in der Halle, wurde noch gekämpft.

An der Vorderseite des Anwesens versiegten die Schüsse.

Blacky hob die Hände und wich bis zum Fenster zurück. Am Rand seines Blickfelds konnte er sehen, daß da keine triumphierend brüllenden Horden waren, die auf den Hof des Palazzo vordrangen. Montepulcianos und Struzzos Kerle hatten sich gegenseitig niedergemetzelt. Die wenigen, die am Leben geblieben waren, hatten offenbar die Gunst der Stunde erkannt und sich für immer abgesetzt.

Und Don Cesare mußte in einem günstigen Moment von der Seite des Haupthauses her eingedrungen sein. Seine ursprüngliche Absicht war es wohl gewesen, den Hausherrn als Geisel zu nehmen. Jetzt blieb ihm nur Blacky, um sich gegen die Engländer durchzusetzen.

„Sie schaffen es nicht“, sagte Blacky und versuchte, äußerlich ruhig zu bleiben. „Meine Freunde werden jeden Moment hier sein.“

„Reines Wunschdenken“, entgegnete Don Cesare grinsend. „Außerdem werde ich mich freuen, sie zu sehen, denn sie werden miterleben, wie ich dich töte.“

Blacky blickte über seine Schulter.

„Sie werden nicht einmal eine Kugel aus dem Lauf kriegen“, sagte er.

Don Cesare di Montepulciano lachte schallend.

„Du glaubst, auf diesen uralten Trick falle ich herein? Mein Gott, für was hältst du mich, daß du annimmst, ich wäre so einfältig!“

Er krümmte den Zeigefinger.

Es krachte tief und wummernd. Das typische Schußgeräusch des Drehlings.

Blacky hatte sich vorsorglich zu Boden fallen lassen.

Er verspürte keinen Einschuß, und er hörte keine Kugel, die irgendwo in die Wand klatschte.

Statt dessen vernahm er das schwere Fallgeräusch eines menschlichen Körpers.

Blacky rappelte sich auf.

Don Cesare di Montepulciano lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Teppich. Der Drehling war ihm aus der Hand gefallen.

Hasard hob die Waffe auf, die der seinen so sehr ähnelte.

„Er hat die Kugel nicht aus dem Lauf gekriegt, Blacky.“

Der breitschultrige Engländer nickte und lächelte. „Ich muß mich schon wieder bedanken. Verdammt, das ist jetzt das zweite Mal, daß du im letzten Augenblick …“

Der Seewolf winkte ab.

Sie verließen den Palazzo.

Die Streitmächte der beiden Dons hatten sich gegenseitig aufgerieben. Für die Arwenacks bestand kein Anlaß, sich länger am Schauplatz des blutigen Geschehens aufzuhalten. Sie kehrten auf die Schebecke zurück und nahmen Kurs auf den Hafen von Cagliari. Denn dorthin mußten sie noch einmal. Zum einen mußten sie endlich die Positionen auf ihrer Vorratsliste abhaken. Und zum anderen gab es niemanden an Bord, der Blacky nicht jenen letzten Besuch gönnte, ohne den er die Stadt unmöglich verlassen konnte.

Dunkelheit hatte sich über die Stadt gesenkt. Die Abendluft war mild, und überall in Cagliari hielten sich die Menschen im Freien auf. Einige feierten überschwenglich, andere verbrachten die Stunden zwischen Tag und Morgen in aller Stille bei einer Flasche Wein.

Aus dem Hof des kleinen Hauses drangen die, lärmenden Stimmen bis in die Kammer hinauf. Blacky konnte Gigliola ohne Nachdenken sagen, wem jede einzelne Stimme gehörte. Edwin Carberry, Ferris Tucker, Batuti …

Porfirio Nócciolo hatte sich nicht davon abbringen lassen, die Arwenacks für den Abend einzuladen. Er hatte zwei Schweine am Spieß gebraten und eine Batterie von Weinfässern auf dem Hof aufbauen lassen.

Der Seewolf hatte schließlich zugestimmt.

Die Menschen in Cagliari waren von einer doppelten Geißel befreit. Und gerade Vater und Tochter Nócciolo hatten Grund, sich darüber zu freuen.

Niemand hatte auf Blacky und Gigliola geachtet, als die beiden sich zurückgezogen hatten.

„Hör mal!“ hauchte Gigliola und schmiegte sich an Blacky. „Kennst du diese Stimme?“

Blacky brauchte nicht lange die Ohren zu spitzen.

Denn die Stimme übertönte die meisten anderen. „Du kannst es mir glauben, Hasard, dem Tabak gehört die Zukunft! Laß uns einen Vertrag schließen. Du wirst mein Handelsagent in England und sorgst dafür, daß ich den Tabak kriege, den ich hier absetzen kann. Ich werde das Monopol für Sardinien haben! Kein Don Marcello kann mich jetzt noch daran hindern! Natürlich beteilige ich dich am Gewinn und …“

 

Blacky stand auf und schloß das Fenster.

Dann kehrte er zu der hübschen jungen Frau zurück, die ihn mit ausgebreiteten Armen erwartete …

ENDE


1.

Mit versteinert wirkendem Gesicht lauschte der Fischer Domingo Calafuria dem Grölen und Lachen der Piraten. Er ballte die Hände zu Fäusten und biß die Zähne aufeinander. Es fiel ihm schwer, seine Wut und Ohnmacht zu beherrschen.

Rodrigo, sein Sohn, hockte neben ihm auf dem Boden. Er hatte die Knie an den Leib gezogen und hielt die Beine mit den Händen umklammert. Der Haß verzerrte seine Züge.

Asuncion, die Frau des Fischers, und Pamela, Rodrigos Schwester, hatten sich auf einem der primitiven Nachtlager ausgestreckt. Asuncion bewegte einen Rosenkranz zwischen ihren Fingern und betete leise. Das Mädchen weinte verhalten vor sich hin.

„Diese Teufel“, flüsterte Domingo Calafuria. „Wenn sie doch alle sterben würden.“

„Den Gefallen werden sie uns nicht tun“, murmelte Rodrigo. „Seit zwei Wochen haben sie unser Dorf besetzt und erfreuen sich bester Gesundheit.“

„Sie wohnen in unseren Häusern, essen unsere Nahrung, trinken unseren Wein, schänden unsere Frauen“, sagte Domingo. „Sie schlagen uns, wenn wir uns auflehnen. Sie töten uns, wenn ihnen danach ist.“

„So ist es Pablo ergangen“, sagte Rodrigo. „Er stach einen der Hunde mit seinem Messer nieder, dann versuchte er, Olivaro zu erledigen. Aber Olivaro war schneller. Seine Klinge traf Pablo ins Herz.“

„Hör doch endlich auf“, sagte Pamela. Sie wandte den Männern ihr tränennasses Gesicht zu. „Ich kann es nicht mehr ertragen. Lieber will auch ich sterben.“

„Rede keinen Unsinn“, sagte ihr Bruder. „Bislang haben sie uns verschont.“

Asuncion Calafuria unterbrach ihr Gebet.

„Sie tun es sicherlich nicht aus purer Nächstenliebe“, erwiderte sie gedämpft. „Wenn sie wieder eins ihrer sündigen Feste feiern, werden sie auch uns holen.“

„Lieber sterbe ich“, sagte Pamela noch einmal.

„Es gibt nur einen Weg“, murmelte Rodrigo. „Wir müssen uns befreien und fliehen.“

„Wie willst du das anstellen?“ fragte seih Vater.

„Mir fällt schon noch etwas ein.“

„Urbano hat es versucht“, gab Pamela zu bedenken. „Urbano ist ein mutiger Mann. Sie haben ihn gefaßt und halb totgeschlagen. Er ringt noch immer mit dem Tod.“

Sie schwiegen und lauschten dem Wind, der mit zunehmender Kraft über die Dächer der Häuser orgelte. Das Rauschen der See war deutlich zu vernehmen. Draußen braute sich ein schwerer Sturm zusammen.

Domingo wußte, daß es ein Orkan werden würde. Er war in diesem Dorf geboren und aufgewachsen und hatte schon mit vier Jahren auf den Planken gestanden. Er spürte die See mit jeder Faser seiner Nerven und hatte einen unterschwelligen Instinkt für jede Entwicklung.

Domingo Calafuria und seine Familie hockten in dem Keller unter dem größten Haus des Dorfes. Über ihnen lärmten Olivaro und die Piraten. Die Kerle wußten, daß beim Sturm so manches Schiff die Insel anlaufen würde.

Jede Bucht war als Nothafen recht – aber kein Seemann ahnte, daß im Süden von Mallorca eine blutrünstige Bande lauerte, die auf solche Beute nur wartete.

Olivaro und seine Kerle überfielen jedes Schiff, schnitten der Mannschaft die Gurgeln durch und plünderten alles aus. War der Segler gut in Schuß, dann rissen sie sich auch diesen unter den Nagel.

So war Olivaros kleiner Verband, der aus einer Karavelle und drei Einmast-Schaluppen bestand, allmählich gewachsen. Die Piraten kannten weder Skrupel noch Gnade. Wer ihnen in die Hände fiel, war zum Tode verdammt.

Natürlich hätten die Schnapphähne auch die Fischer einen nach dem anderen niedermetzeln können, als sie eines Tages beschlossen hatten, das Dorf zu besetzen und zu ihrem festen Stützpunkt zu wählen. Doch Olivaro hatte es sich anders überlegt.

Die Fischer und ihre Familien wurden noch gebraucht. Hin und wieder durften einige von ihnen zum Fang auslaufen – selbstverständlich unter Bewachung. So war die Verpflegung der Meute gesichert.

Die Frauen und Mädchen kochten, putzten und wuschen für die Piraten – und sie dienten der Bande zum Vergnügen. Olivaro hatte zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Er hatte einen hervorragenden Schlupfwinkel gefunden, und er verfügte über Sklaven, die jede Arbeit für ihn und seine Kumpane erledigten.

Was wollte er noch mehr?

Gold, Silber, Geld und Juwelen – das wollte Olivaro. Er wartete auf den Beutezug seines Lebens, auf den großen Coup. Irgendwann mußte er glücken. Dann brauchte Olivaro nie mehr zu „arbeiten“. Er konnte sich irgendwohin zurückziehen und ausruhen. Huren, saufen und fressen – das würden dann seine einzigen Aktivitäten sein.

Von dieser Zukunft träumten auch seine Spießgesellen. Sie hatten großes Vertrauen in Olivaro. Er war nicht nur ein erstklassiger Kämpfer, er hatte auch Grips. Die Pläne für die Raids, die sie durchführten, stammten immer von ihm.

Er war ein Meister im Tüfteln und wußte stets die richtige Strategie und Taktik in Anwendung zu bringen. Er würde die Bande zum Erfolg und zum Reichtum führen.

Im Nachlassen des Tageslichtes pfiff und heulte der Sturmwind über die Küste. Die schwarzen Wolken verdunkelten den Himmel vollends – es wurde stockfinster. Donner grollte in der Ferne. Blitze zuckten wie gespenstische Irrlichter. Die See schwoll an, das Rauschen der Brandung verwandelte sich in ein dumpfes Dröhnen.

„Wenn die Hunde heute nacht das Dorf verlassen, nutzen wir die Chance“, sagte Rodrigo. „Sie werden nur wenige Wachtposten zurücklassen.“

„Du willst es mit den Kerlen aufnehmen?“ fragte sein Vater.

„Du etwa nicht?“

„Wir haben keine Waffen“, sagte Domingo.

„Ein Messer, das ich vergraben habe“, erwiderte sein Sohn.

„Das reicht nicht.“

„Vater“, sagte Rodrigo. „Ich lasse nicht zu, daß sie uns weiterhin demütigen und schinden. Die Sturmnacht ist unsere große Gelegenheit. Wir dürfen nichts unversucht lassen.“

„Da hast du recht“, murmelte der Fischer.

„Wollt ihr euch umbringen?“ fragte Asuncion. Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen.

„Nein“, entgegnete Rodrigo. „Wir wollen retten, was noch zu retten ist. Wir müssen nur zusammenhalten. Gemeinsam sind wir eine kleine Streitmacht. Ein einzelner schafft es nicht.“

„Ich verstehe“, sagte Pamela. Sie kroch zu ihrem Bruder. Stolz und Entschlossenheit funkelten plötzlich in ihren Augen. „Jetzt ist mir alles klar. Ich bin mit dabei und helfe euch, wo ich kann.“

Asuncion Calafuria keuchte erschrocken. „Ist das dein Ernst, Pamela? Ich begreife nicht, was …“

„Ich will es dir erklären“, sagte ihr Mann. „Setz dich hier zu uns und laß uns beraten. Ich habe eine Idee. Wir wollen den Plan besprechen und alles zurechtlegen. Noch haben wir Zeit genug.“

Das Tosen des Sturmes nahm immer mehr zu. Bald war das Lachen und Johlen der Piraten nur noch wie aus weiter Ferne zu vernehmen. Olivaro und dessen Kumpane hörten nicht einen Bruchteil dessen, was unter ihnen die Gefangenen in ihrem Verlies beratschlagten.

Der Sturm setzte die Schebecke gefangen. Er zerrte an ihr, beutelte sie durch und stieß sie in immer tiefere Wellenschluchten. Der Wind heulte wie tausend Wölfe, und die Brecher donnerten gegen die Bordwände. Wasser und Gischt schlugen über das Oberdeck, als leerten Giganten ihre riesigen Kübel über dem Dreimaster aus.

Philip Hasard Killigrew und seine Mannen hatten das Schlechterwerden des Wetters rechtzeitig genug registriert. Aber der Seewolf hatte sich in den Kopf gesetzt, wenigstens noch Mallorca zu erreichen, dort eine geschützte Bucht zu suchen und vor Anker zu gehen.

Die Männer hatten Sardinien hinter sich gelassen. Der Kurs lag auf West-Süd-West an, Richtung Meerenge von Gibraltar. Hasard wollte das Mittelmeer jetzt so schnell wie möglich verlassen, dann die Iberische Halbinsel runden und durch den Golf von Biskaya nordwärts heim nach England segeln.

Es war ein Ziel, mit dem er der Crew aus dem Herzen sprach. Auch sie konnten jetzt kaum erwarten, nach England zurückzukehren und – unter anderem – mal wieder bei dem dicken Nathaniel Plymson in der „Bloody Mary“ von Plymouth tüchtig die Mäuse auf dem Tisch tanzen zu lassen.

Doch der Weg nach Hause war ein Kurs mit Hindernissen. Überall, wo die Männer landeten, gab es Ärger und Verdruß. In der Türkei und in Griechenland wären sie um ein Haar vor die Hunde gegangen. In Venedig war der Teufel losgewesen.

Nicht besser hatte es in Süditalien und auf Sizilien ausgesehen. Auf Sardinien waren die Arwenacks ohne ihr Zutun in eine Blutrache-Affäre verwickelt worden. Kein Wunder, daß sie nicht das geringste Interesse hatten, noch länger im Mittelmeer zu verweilen.

Jetzt aber, im Toben und Wüten des Sturmes, stellte sich Hasard die Frage, ob er nicht doch eine Fehlentscheidung getroffen hatte. Wäre es nicht klüger gewesen, die Insel Menorca anzulaufen?

Routinemäßig hatten die Mannen alle erforderlichen Vorkehrungen getroffen, um sich und das Schiff gegen Sturm und Unwetter abzusichern. Sie hatten die Luken und Schotten verschalkt, die Kanonen festgezurrt und die Manntaue gespannt.

Vorsichtshalber hatte der Seewolf beim Heraufziehen des Orkans auch die Sturmsegel setzen lassen – was sich jetzt als kluge Entscheidung erwies. Die Böen rissen und rucksten wie verrückt an dem Tuch. Die Masten bebten und knarrten. Um die normale Besegelung wäre es zu diesem Zeitpunkt längst geschehen gewesen. Der Sturm hätte sie in Fetzen gerissen.

Ben Brighton, Hasards Erster Offizier und Bootsmann, hatte sich unter Deck noch einmal mit dem vorhandenen Kartenmaterial befaßt. Jetzt erschien er wieder an Oberdeck und hangelte in den Manntauen auf seinen Kapitän zu.

„Sir!“ schrie er.

Der Seewolf wandte sich ihm zu.

„Wie sieht es aus?“ brüllte er. „Ist Mallorca noch weit entfernt?“

„Etwa zwanzig Meilen!“

„Und Menorca?“

„Die Insel liegt viel weiter nördlich!“ erwiderte Ben im Jaulen und Orgeln des Sturmes. „Mindestens fünfzig Meilen!“

Hasard atmete auf – trotz der bedenklichen Lage. Seine Berechnungen stellten sich nun doch als richtig heraus.

Der Kurs der Schebecke lag viel zu weit südlich versetzt, um Menorca als Nothafen in Betracht zu ziehen. Mallorca war weitaus näher. Und die größte Insel der Balearen bot sicherlich auch weitaus mehr Schutzmöglichkeiten als ihre kleineren Schwestern.

Der Sturm gewann die Oberhand gegen die Schebecke und zerfetzte ihre Segel. So trieb das Schiff in der schwarzen, kochenden See, praktisch vor Topp und Takel lenzend. Der Dreimaster raste in abenteuerlicher Fahrt rauschende Wasserhänge hinab, drohte in tosenden Abgründen zu versinken, taumelte wie betrunken zu neuen Wogenkämmen hoch und setzte seine wankende Reise fort, bis sich wieder eine Schlucht öffnete.

Die Mienen der Männer waren verbissen und besorgt. Selbst Carberry, dem Profos, war das Fluchen vergangen. Sie alle wußten, was es hieß, wenn die Schebecke dem Wetter nicht standhielt. Sie würden untergehen mit Mann und Maus. England würden sie nicht wiedersehen.

Doch Mallorca war nah. Die Arwenacks setzten ihre ganze Hoffnung in die Chance, die Südküste zu erreichen und dort eine einigermaßen geschützte Bucht zu finden. Sie taten alles, den Kurs zu halten. Es war dunkel wie in der finstersten, mondlosen Nacht.

Nur zu leicht konnte man die Orientierung verlieren. Die Kompaßnadel zitterte, als wolle sie jeden Augenblick zerbrechen. Andere Hilfsmittel gab es nicht. So blieb den Männern nur ihr Instinkt – und der war ausgezeichnet. Sie hatten zuviel Erfahrung und zu viele Jahre auf See verbracht, um sich jetzt von der Richtung abbringen zu lassen.

Keiner wußte genau, wie spät es war, als der Sturm sie gegen die Südküste der großen Insel warf. Mitternacht oder noch später? Vielleicht war es auch schon zwei Uhr morgens – egal! Wie ein Pfeil schoß der Dreimaster an gefährlichen Felsen vorbei.

Dan erkannte sie im buchstäblich letzten Moment. Pete Ballie, der Rudergänger, konnte nur noch ganz knapp den Kurs korrigieren. Um ein Haar entging die Schebecke dem drohenden Schicksal, aufzubrummen und zu zerbersten.

 

Die Mannen sahen sich untereinander an.

„Das war knapp!“ schrie Ferris Tucker.

„Höllisch knapp!“ fügte Old Donegal Daniel O’Flynn hinzu.

„Kreuzdonnerwetter, aber wir haben die Küste vor uns!“ brüllte der Profos.

Richtig, die tückischen Riffe kündeten von der Nähe der Küste. Wie eine Barriere waren die Felsen an dieser Stelle dem Land vorgelagert. Sie wirkten als Wellenbrecher. Hinter der Unterwasserfalle wurde das Wasser zusehends ruhiger. Die Fahrt der Schebecke normalisierte sich. Pete Ballie war wieder Herr über das Ruder. Sicher steuerte er den Dreimaster jetzt zwischen den Felsen hindurch, die Dan ihm anzeigte.

Über dem Zentrum der Insel tobte sich ein Gewitter aus. Blitze zuckten, Donner grollte. So sichteten die Männer der Schebecke die Südküste von Mallorca – ein graues, unförmiges Gebilde, das alles andere als einladend wirkte.

„Wir haben es geschafft!“ stieß Carberry grollend hervor. „Hölle, wir haben dem Teufel wieder mal ein Ohr abgesegelt!“

„Ich an deiner Stelle würde nicht zu früh triumphieren!“ rief Old O’Flynn.

„Ach, hör doch mit deinem Scheiß auf!“ schrie Big Old Shane. „Wenn’s nach deinen Orakeln ginge, wären wir längst abgesoffen – schon im Chinesischen Meer!“

„Viel hätte ja auch nicht gefehlt“, versetzte der Alte bissig.

„Beim Henker, halt das Maul, Donegal!“ brüllte der Profos. „Sonst stopfe ich es dir mit zwei Pfund Kabelgarn!“

Die Männer mußten unwillkürlich lachen. Die Gefahr war gebannt, die Ordnung und das Gleichgewicht waren an Bord wiederhergestellt.

Der Profos fluchte, Old Donegal lästerte, und auch Mac Pellew hatte wieder die übliche miesgrämige Miene aufgesetzt. Alles in Ordnung – sie brauchten jetzt nur noch eine „passende“ Bucht zu suchen.

Gegen ein Uhr morgens entdeckten sie eine kleine, von schützenden Hügeln umgebene Bucht. Ohne zu zögern, ließ der Seewolf hier vor Anker gehen. Die Schebecke lag einigermaßen ruhig und schwoite an der Ankertrosse. Der Sturm heulte und jaulte wie ein Heer von Dämonen über die Masten hinweg.

Hasard zog Bilanz. Verletzt war keiner der Männer. Sie waren erschöpft, aber unversehrt. Jetzt galt es, das Schiff zu untersuchen. Ferris Tucker und Big Old Shane übernahmen diese Aufgabe. Nach einer ausgiebigen Inspektion des Rumpfes kehrten sie auf das Achterdeck zurück, und der rothaarige Riese meldete: „Wir haben drei Lecks, Sir.“

„Unter der Wasserlinie?“ wollte der Seewolf wissen.

„Zwei davon.“

„Kannst du sie abdichten?“

„Nur notdürftig.“

„Dann tu das“, sagte Hasard. „Blacky, Pete, Jack, Paddy, Matt und Higgy – ihr geht Ferris zur Hand. Sten und Sam, ihr lenzt das Leckwasser. Morgen früh sehen wir dann weiter. Wenn alles nichts hilft, müssen wir den Kahn aufslippen.“

„Das wird nicht unbedingt erforderlich sein“, erwiderte Ferris. „Aber wir haben nicht genug Ersatzplanken an Bord. Ich schätze, wir müssen an Land und frisches Holz für Planken und Spieren schlagen.“

„Das werden wir morgen in aller Ruhe erledigen“, sagte der Seewolf.

Old O’Flynn beäugte mit wachsendem Mißtrauen die Küste. „Da müssen wir uns aber höllisch vorsehen. Hier gibt es sicherlich Schnapphähne. Mallorca soll von Piraten geradezu verseucht sein, habe ich mal gehört.“

„Wann? Vor fünfzig Jahren?“ fragte Higgy kichernd, aber der Alte tat so, als hätte er es nicht gehört.

„Es ist klar, daß wir nur schwer bewaffnet an Land gehen“, sagte Hasard. „Und die Schebecke wird klar zum Gefecht sein, wenn unser Trupp loszieht, um Bäume zu schlagen.“

Ben richtete den Blick zum Himmel. „Erst mal kann davon keine Rede sein. Der Sturm hat es in sich. Es ist nicht gesagt, daß er morgen schon vorbei ist. Vielleicht müssen wir uns auf eine längere Wartezeit einrichten.“

„Es bleibt uns nichts anderes übrig“, entgegnete der Seewolf. „Wir haben keine andere Wahl.“