Seewölfe Paket 30

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5.

Mit Spiegeleiern und gebratenem Speck hatten der Kutscher und Mac Pellew ihren morgendlichen Beitrag zur Versöhnung geleistet. Die Zwillinge hatten in der Stadt frisches Brot eingekauft. Als Krönung des Ganzen gab es Kaffee. Die Bohnen, die aus der Türkei stammten, hatte der Kutscher in aller Frühe geröstet und dann gemahlen. Im Osmanischen Reich hatten die Arwenacks denn auch den Türkentrank kennen- und schätzengelernt.

„Daran kann man sich gewöhnen“, sagte Carberry, nachdem er einen vorsichtigen Schluck von dem brühheißen schwarzen Getränk genommen hatte.

„Das hebt einen drei Tage toten Seemann in die Stiefel“, erklärte Ferris Tucker grinsend.

„Und es öffnet dir die Klüsen sogar, wenn sie schwer wie Blei sind“, ließ sich Old Donegal Daniel O’Flynn vernehmen. „Die Türken schlürfen das Zeug immer dann, wenn sie noch oder schon wieder müde sind. Morgens, nachmittags, abends.“

„Damit sie ihre Suleikas beim Bauchtanz nicht verpassen“, sagte Batuti mit glucksendem Lachen.

Durch das offene Kombüsenschott beobachteten der Kutscher und Mac Pellew, wie die Zwillinge mit der dampfenden Kaffeekanne auf dem Hauptdeck hin und her eilten und gar nicht schnell genug nachschenken konnten.

„Gibt ihnen etwas, was möglichst bitter und unansehnlich ist, und sie werden begeistert sein“, sagte Mac Pellew mit sauertöpfischer Miene.

„Versuche, ihnen mit einer ausgefallenen Speise eine Freude zu bereiten, und sie werden so tun, als hättest du jeden einzelnen von ihnen persönlich beleidigt“, sagte der Kutscher und blickte seinen Mitstreiter an. „Daraus läßt sich eine einfache Folgerung ziehen: Koche immer das, was dir selbst zum Hals heraushängt, und du liegst goldrichtig!“

Mac Pellew nickte, und sein Gesicht verdüsterte sich. „Und da soll man noch von abendländischer Kultur sprechen! Der Verfall der Sitten, scheint mir, ist nicht mehr aufzuhalten. Bei der Eßkultur zeigt sich das doch zuerst.“

Seit er mit dem Kutscher in der Kombüse arbeitete, hatte er eine Menge gelernt, wobei der Kutscher wiederum von jenem Wissen profitierte, das er sich in den Jahren bei Sir Anthony Freemont in Plymouth angeeignet hatte.

Der Kutscher, dieser ernste und häufig etwas gestelzt sprechende Mann, hatte indessen auch an Bord der Schiffe des Seewolfs nie aufgehört, seine Allgemeinbildung zu vervollständigen. Nutznießer waren neben Mac Pellew vor allem die Söhne Philip Hasard Killigrews, denen der Kutscher neben ihrem Vater der denkbar beste Lehrmeister war.

Auf dem Achterdeck besprachen der Seewolf, Ben Brighton, Dan O’Flynn und Don Juan de Alcazar die einzelnen Positionen einer Liste, die Dan zusammengestellt hatte. Es ging um die Vorräte, die im Laufe dieses Tages eingekauft und an Bord geschafft werden sollten.

„Zehn Sack Mehl“, las Hasard kopfschüttelnd. „Nichts gegen die Nudeln, die der Kutscher uns vorgesetzt hat. Aber jetzt übertreibt er wohl doch ein bißchen.“

Die anderen lächelten.

„Die Zahl stammt noch von vorgestern“, erklärte Dan. „Da wußte er ja noch nicht, ob er mit seiner Pasta bei der Crew landet.“

Hasard grinste und änderte die Position auf fünf Sack Mehl. Bisweilen war es erstaunlich, zu welchem Enthusiasmus der so verschlossen wirkende Kombüsenmann fähig war. Was die Reaktion auf seine Kochtopfexperimente betraf, hätte man ihm mehr Feingefühl seitens der Arwenacks gewünscht. Andererseits konnte er nicht erwarten, daß sich die Männer von heute auf morgen zu Feinschmeckern entwickelten.

Die Mannen an Bord eines Seglers brauchten etwas Handfestes, damit ihnen der Mumm in den Knochen erhalten blieb. Und bei den Nudeln mit den wahrhaft hervorragenden Zutaten hatten sie eben das Gefühl gehabt, daß daran rein gar nichts handfest war.

„Um das Tauwerk müßten wir uns noch im Laufe des Vormittage kümmern“, sagte Ben.

Der Seewolf nickte. Über diesen Punkt war keine Diskussion nötig. Ben hatte in der Stadt einen Seiler aufgetrieben, der außergewöhnliche Qualitätsarbeit leistete. Bereits vor zwei Tagen hatte der Mann den Auftrag erhalten, neues Tauwerk für das, was an Bord der Schebecke auszumustern war, zu liefern. Daß der Seiler den Termin einhalten würde, stand außer Frage.

„Will Thorne hat um einen neuen Vorrat an Garn gebeten“, sagte Hasard. „Da wir vom Segeltuch letztlich alle abhängen, brauchen wir darüber nicht zu diskutieren, denke ich.“ Er blickte kurz in die Runde.

Die Männer nickten.

Hasard wollte sich wieder der Liste zuwenden.

Ein scharfes, gebrülltes Kommando ertönte vom Kai her, wo bereits Betrieb herrschte. Ochsen zogen schwere Lasten auf zweirädrigen Karren. Pferdegespanne brachten Tonnenladungen von Gütern, und kleine Einmaster und einfache Lastkähne wurden in den Hafenbecken bewegt, um ihre Liegeplätze zum Leichtern von Schiffsladungen einzunehmen.

Der Seewolf hob den Kopf und wandte sich um. Seine Gefährten folgten seinem Beispiel.

Das Kommando hatte einer Marschformation gegolten, die in diesem Augenblick vom Kai her auf die Pier der Schebecke einschwenkte.

Die Männer an Bord des Dreimasters glaubten, ihren Augen nicht zu trauen.

Vierzig Kerle.

An ihrer Spitze marschierte jener Mann, der am frühen Morgen die kleine Gruppe befehligt hatte. Alle trugen die gleiche Kleidung, die dadurch wie eine Uniform wirkte. Und alle waren mit Pistolen und Säbeln bewaffnet.

Der Marschtritt der Kolonne dröhnte auf der Pier.

Auch die Arwenacks auf dem Hauptdeck wurden aufmerksam. Ungläubig blinzelnd richteten sie sich auf. Widerwillig verzogen sie die Gesichter, weil ihnen die letzten Schlucke des Türkentranks vermiest wurden.

Hasard rollte die Liste zusammen und gab sie Dan, der sie unter seinem Gürtel verstaute. Die Augen des Seewolfs verengten sich.

„Dieser Montepulciano scheint ein ziemlich anmaßender Bursche zu sein“, sagte er rauh.

„Wie man’s nimmt“, entgegnete Ben und zog die Schultern hoch. „Anscheinend vertraut er nicht auf seine Macht, auf das Gewicht seines Wortes. Deshalb schickt er uns seine Meute auf den Hals. So kann man es auch deuten.“

Hasard nickte und wandte sich nach vorn. Er brauchte keine Worte zu verlieren. Eine Handbewegung genügte. Al Conroy, Luke Morgan, Bob Grey und die Zwillinge waren bereits unterwegs, um Pistolen und Munition an Deck zu holen. Angesichts der waffenstarrenden Meute mußte man mit dem schlimmsten denkbaren Fall rechnen.

Der Seewolf wandte sich der Pier zu und trat an die Verschanzung. Ben, Dan und Don Juan folgten ihm.

Da war niemand, der die Marschkolonne aufhielt. Keine Stadtgarde, kein Hafenkapitän.

Noch dreißig Schritte trennten die Männer Don Cesare di Montepulcianos von der Schebecke. Hasard und seine Gefährten beobachteten, wie sich die Crew der in unmittelbarer Nähe liegenden Schiffe unter Deck verzogen. Montepulciano schien in der Stadt und im Hafen schalten und walten zu können, wie er wollte.

Im Handumdrehen waren die ersten Männer auf dem Hauptdeck mit Pistolen ausgerüstet. Carberry verhielt sich ausnahmsweise ruhig, während sie sich an die pierseitige Verschanzung begaben und die Einschüssigen in aller Eile luden.

„Abteilung – halt!“ brüllte der Anführer.

Das Schrittedröhnen endete längsseits. Auf einen Schlag war die Kolonne zum Stehen gelangt.

„Reeechts – um!“

Nach dem Schwenker, den sie wie ein einziger, Mann ausführten, blickten die Kerle in zehn Pistolenläufe. In jedem Sekundenbruchteil gesellten sich weitere hinzu. Die Gesichter der Arwenacks über dem Schanzkleid spiegelten grimmige Entschlossenheit.

Der Seewolf sah, daß etlichen Kerlen mulmig zumute wurde. Doch da war ihre zahlenmäßige Überlegenheit, die ihnen Mut einflößte.

Sämtliche Arwenacks waren in dieser Sekunde mit Pistolen ausgerüstet. Arwenack, der Schimpanse, und Sir John, der Papagei, waren unter Deck gebracht worden. Lediglich Plymmie, die Wolfshündin, durfte bei den Zwillingen bleiben. Mit gesträubtem Nackenhaar und leisem Knurren ließ sie deutlich erkennen, daß sie ihren Teil zur Verteidigung des Schiffes beitragen würde.

Al Conroy wuchtete ein geladenes Drehbassenrohr in eine der schwenkbaren Gabellafetten, richtete die Mündung auf die Montepulcianokerle und hielt die glimmende Lunte hoch.

Der Anführer erbleichte. Aber er riß sich zusammen.

„Signor Killigrew!“ rief er scharf und versuchte, seine Stimme so energisch wie möglich klingen zu lassen. „Ich hatte Ihnen im Namen Don Cesares Order erteilt, den Hafen von Cagliari zu verlassen. Wie ich sehe, haben Sie nicht vor, diese Order zu befolgen.“

„Sie sehen richtig“, erwiderte der Seewolf und grinste. „Was Sie außerdem sehen dürften, sind unsere geladenen Waffen. Sollte auch nur einer von Ihnen zur Pistole greifen, blasen wir Ihren ganzen Haufen mit gehacktem Blei und mit Rundblei von der Pier. Begriffen?“

Der Anführer nickte. Sein Adamsapfel ruckte auf und ab. Er rang mit sich um eine Entscheidung. Und dann tat er das einzig Denkbare, was er noch tun konnte, ohne sein Gesicht zu verlieren.

Er brüllte einen Angriffsbefehl.

Mit bloßen Fäusten stürmten die Kerle auf die Verschanzung der Schebecke los.

Ihr Anführer hatte richtig kalkuliert: Die Engländer feuerten nicht auf Gegner, die ihrerseits keinen Schuß abzugeben gedachten. Blitzschnell, während sich die Montepulcianokerle mit Angriffsgebrüll gegenseitig anfeuerten, entspannten die Arwenacks ihre Pistolen und stießen sie unter die Gürtel.

Den ersten Ansturm der zahlenmäßig weit überlegenen Angreifer vermochten sie nicht abzublocken. Als lärmende menschliche Masse flutete die Meute zur Verschanzung und darüber hinweg. Der Anführer war mitten unter ihnen, alles andere als ein Feigling.

 

Unter den eisenharten Fäusten der Arwenacks segelte etwa ein Drittel der Kerle direkt vom Schanzkleid aus auf die Decksplanken und wurde damit der Mühe enthoben, sich auf den Beinen zu halten.

Die übrigen zwei Drittel jedoch erreichten die gegenüberliegende Seite der Schebecke, wo sie sich sammelten.

Atemzüge lang starrten sich die gegnerischen Parteien an. Zwischen ihnen lagen die Bewußtlosen, von denen sich einige stöhnend zu bewegen begannen. Der Anführer schrie seinen nächsten Befehl. Ein verhängnisvoller Befehl, wie sich herausstellen sollte.

Die Angreifer zogen blank. Ihre Klingen blitzten im Licht der Morgensonne.

Der Seewolf hatte seinen Säbel im nächsten Moment aus der Scheide, und die Männer folgten seinem Beispiel.

Auf einigen der Schiffe in der Nähe waren Gesichter mit großen Augen zu sehen. Aus sicherer Deckung heraus beobachteten Seeleute fassungslos, was sich abspielte. Jeder einzelne von ihnen war bereit, sich blitzschnell in Sicherheit zu bringen, falls die Luft doch noch bleihaltig werden sollte.

Für die Montepulciano-Meute gab es kein Zurück mehr. Der Anführer schrie den Angriffsbefehl. Mit flirrenden Klingen stürmten die Kerle quer über die Decks der Schebecke.

Auf halbem Weg warfen sich ihnen die Arwenacks entgegen. Für die Männer, die aus der Toskana nach Sardinien gekommen waren, schien es, als würden sie gegen eine Mauer anrennen – eine Mauer, die noch dazu mit sausenden Säbelhieben reagierte.

Das helle Klirren, mit dem Klingenstahl auf Klingenstahl prallte, war im Hafen von Cagliari weit zu hören.

Dennoch fand sich auch jetzt niemand, der es wagte, sich in die Auseinandersetzung einzumischen.

Die hell schmetternden Stahlgeräusche nahmen zu und wurden überlagert von Schreien. Unterdrückte Schmerzenslaute und verbissenes Keuchen gingen im Toben des Säbelkampfes unter.

Der Anführer der Montepulciano-Meute hatte sich von Anfang an auf den Seewolf konzentriert, als würde er dadurch am besten in der Lage sein, den Kampf im Sinne seines Auftraggebers zu entscheiden.

Hasard trieb einen untersetzten Burschen mit einer scharfen Attacke von sich weg. Mit einem Nachsetzen brachte er den Mann zu Fall. Noch im selben Atemzug stieß der Anführer in die Lücke, indem er von seiner Auseinandersetzung mit Ben Brighton kurzerhand abließ. Verblüfft blickte der Erste Offizier seinem Gegner nach, da es im ersten Moment schien, als wolle der Mann die Flucht ergreifen.

Für den Seewolf war es keine überraschende Wende. Er hatte gespürt, wie der Mann mit den feinen grauen Strähnen im Haar immer wieder versucht hatte, an ihn heranzukommen. Jetzt, endlich, hatte er es geschafft, und er schien froh darüber zu sein. Das war seinem wildentschlossenen Angriffsschrei zu entnehmen. Den Säbel zu einem Beidhandhieb erhoben, stürmte er auf den Seewolf los.

Hasard setzte alles auf eine Karte, unterlief den Angriff mit einer Gegenattacke und blockte den Hieb des anderen ab, indem er die herabzischende Klinge mit einem aufwärts gerichteten Hieb abfing.

Der Mann ächzte vor Anstrengung und Enttäuschung. Hasard rammte ihm die freie Linke vor den Brustkasten und brachte ihn ins Taumeln. Der Anführer der Meute wankte rückwärts und versuchte vergeblich, die Bewegung abzufangen.

Der Seewolf brauchte sich kaum noch zu beeilen, um ihm den Säbel endgültig aus den Händen zu schlagen. Der Mann stieß einen schrillen Wutschrei aus, als er seine Blankwaffe in hohem Bogen davonfliegen und vor der Heckverschanzung auf die Planken scheppern sah. Hasard trieb den Wankenden bis an die Backbordverschanzung und setzte ihm die Säbelspitze unter das Kinn.

Der Mann erstarrte.

Im selben Moment war der Kampf entschieden.

„Ergebt euch!“ schrie der Anführer auf italienisch. Er stieß es durch die nur knapp geöffneten Zähne, denn mit dem nadelfeinen Stahl, der in seine Haut drückte, wagte er keine heftige Bewegung.

Die Kerle, deren noch kampffähiger Haufen ohnehin auf ein knappes Dutzend zusammengeschmolzen war, wichen zurück und ließen die Säbel sinken. Sie sahen erleichtert aus. Die Bewußtlosen und Verwundeten zu ihren Füßen sprachen eine allzu deutliche Sprache.

„Verschwindet!“ sagte der Seewolf leise und drohend. „Und laßt euch hier nie wieder blicken. Nächstes Mal könnte es passieren, daß wir euch tatsächlich mit gehacktem Blei begrüßen.“

Ben Brighton nahm dem Mann die kostbare Pistole ab und warf sie ins Hafenbecken. Auf dem Hauptdeck taten Carberry und die anderen es ihm nach. Sämtliche Schußwaffen gingen auf Tiefe. Der sehr ehrenwerte Don Cesare di Montepulciano würde Taucher einsetzen müssen, wenn er die teuren Einschüssigen wieder ans Tageslicht holen wollte.

Der Anführer zog mit seinen Kerlen in aller Eile ab, ohne noch eine Silbe von sich zu geben.

Zwei Verwundete, die nicht in der Lage waren, sich aus eigener Kraft aufzurappeln, blieben einfach zurück.

„Sauber, sauber, diese Säbelrassler“, sagte Carberry, während er den Davoneilenden kopfschüttelnd nachblickte.

Während die Arwenacks an Deck Ordnung schafften, kümmerten sich der Kutscher und Mac Pellew um die Verwundeten. Einer der beiden Italiener, untersetzt und dunkelblond, hatte eine Stichwunde im rechten Oberschenkel. Den anderen, einen hageren Schwarzhaarigen, hatte eine Klinge in die Hüftgegend getroffen. Der Kutscher säuberte die Wunden, legte beiden saubere Verbände an und verabreichte ihnen einen stärkenden Kräutertrank.

Das Rezept und die Zutaten stammten noch von einem indianischen Medizinmann aus Florida. Seine Funktion als Feldscher war der ganze Stolz des Kutschers, die medizinische Vorbildung verdankte er seiner früheren Tätigkeit bei Doc Freemont. Ein Umstand, der so manchen Mann aus der Crew des Seewolfs schon vor ernsten Folgen schwerer Verwundungen bewahrt hatte.

Hasard ließ die beiden Toskaner zu sich auf das Achterdeck bringen. Beide konnten sich bereits wieder auf den Beinen halten – wenn auch äußerst mühselig.

„Feine Gefährten habt ihr“, sagte der Seewolf mit seinem makellosen Italienisch.

„Das haben wir gemerkt“, erwiderte der Untersetzte. „Wir sind Ihnen zu Dank verpflichtet, Signor. Ein anderer an Ihrer Stelle hätte uns verbluten lassen.“

„Hierzulande scheinen merkwürdige Gepflogenheiten zu herrschen“, entgegnete Hasard. „Aber wie dem auch sei – ich möchte etwas über Don Cesare di Montepulciano erfahren.“

Die Toskaner wechselten einen Blick. Der Schwarzhaarige nickte kaum merklich. Der Untersetzte übernahm es wieder, zu antworten. „Wir wollen uns bedanken, Signor Killigrew. Es ist so, daß sich einer Ihrer Männer in der Gewalt von Don Marcello Struzzo befindet.“ Er beschrieb das Äußere des Gefangenen.

„Blacky!“ entfuhr es dem Seewolf. „Woher, in aller Welt, wißt ihr das? Wer ist Struzzo?“

„Der Todfeind von Don Cesare. Beide haben sich Blutrache geschworen, und es sterben deswegen ständig Männer, die sich auf die eine oder die andere Seite geschlagen haben. Wir haben Spione in Don Marcellos Reihen – ebenso, wie sich seine Spione bei uns eingenistet haben werden. Don Marcello hält Ihren Mann, den Sie Blacky nennen, für einen von Don Cesare beauftragten Mörder.“

Der untersetzte Toskaner schilderte alle Einzelheiten, die durch die bei Struzzo eingeschleusten Spione mitgeteilt worden waren. Die Informanten hatten ebenfalls geglaubt, daß Blacky wirklich ein von Montepulciano beauftragter Todesbote war, der aus dem italienischen Mutterland angereist war. Sie waren überzeugt gewesen, ihrem Auftraggeber Don Cesare einen wertvollen Dienst zu erweisen.

Don Cesare di Montepulciano hatte sich indessen über den Irrtum seines Todfeinds halb totgelacht. Was aus dem Engländer wurde, interessierte Don Cesare natürlich nicht im geringsten.

Hasard ließ sich noch kurz über die Machtverhältnisse Struzzo-Montepulciano und über die örtlichen Gegebenheiten in Cagliari unterrichten. Dann bot er den beiden Verwundeten an, sie von zwei Crewmitgliedern zum nächsten Arzt an Land bringen zu lassen, damit sie weiter gegen Wundbrand und Fieber versorgt wurden.

Aber die Toskaner verzichteten auf erneute Hilfe. Sie fühlten sich kräftig genug, den kurzen Weg allein zu bewältigen. Sie hatten überdies keinen Zweifel daran gelassen, daß für die Männer an Bord der Schebecke jede Minute kostbar war.

Der Seewolf ließ die Männer auf dem Hauptdeck antreten.

Außer ein paar Schrammen und Beulen hatte es keine nennenswerten Blessuren gegeben. Überdies war die Mannschaft nahezu vollzählig. Die letzten Heimkehrer vom Landgang hatten sich noch vor dem Frühstück eingefunden.

Der einzige, der fehlte, war Blacky.

Auf Anweisung des Seewolfs trafen die Arwenacks in aller Schnelle die Vorbereitungen zum Ankeraufgehen.

6.

Der Schweiß rann. Don Marcello Struzzo in Strömen über die nackte Haut. Er hatte sein Wams und das Hemd aus weichem Leder abgestreift, um sich höchstpersönlich als Folterknecht zu betätigen.

Keuchend erhob er sich von der großen Handkurbel, mit der er den Gefangenen ein Stück höher gehievt hatte.

Blacky hing kopfüber an einem Deckenbalken der Folterkammer. Seine Handgelenke waren durch Eisenschellen und Ketten mit in den Fußboden eingelassenen Stahlringen verbunden.

Er hatte das Gefühl, schon jetzt um einen Inch gewachsen zu sein. Dabei war Don Marcello noch nicht einmal bis zum Äußersten gegangen. Ihm fehlte schlicht die Ausdauer eines routinierten Henkersknechts, der mit den teilweise mühsam zu bedienenden Marterinstrumenten Tag für Tag umging.

Struzzo hatte es anfangs gemeinsam mit Cóstola versucht. Sie hatten den breitschultrigen Engländer – auf alle nur erdenkliche Weise gepiesackt – von den Nagelschuhen bis hin zur glühenden Kohle.

Nichts hatte Blacky dazu bewegen können, auch nur einen Schmerzenslaut von sich zu geben.

Struzzo und Cóstola waren drauf und dran gewesen, an ihrem Verstand zu zweifeln. Dann war Struzzo auf die teuflische Idee verfallen, den Gefangenen kopfüber aufzuhängen und zu strecken.

Nach der letzten gemeinsamen Anstrengung, dem Engländer die Fußschellen mit den speziellen Haken anzulegen und ihn Stück für Stück in die Senkrechte zu kurbeln, hatte sich Cóstola zurückgezogen und auf einem Schemel in der Nähe der Tür niedergelassen, um wieder zu Kräften zu gelangen. Fortwährend wischte er sich mit einem großen weißen Taschentuch den Schweiß von der Stirn.

Blacky wandte alle innere Energie auf, um sich von einem möglichen Blutstau im Gehirn nicht unterkriegen zu lassen. Die Schultergelenke schienen ihm der verletztlichste Teil seines Körpers zu sein. Er war sicher, daß es dem Schweinehund Struzzo über kurz oder lang gelingen würde, ihm die Arme auszureißen.

Für ihn stand Struzzo auf dem Kopf.

Und Cóstola schien mit seinem Schemel unter der Decke zu kleben.

Don Marcellos Schnallenschuh fuhr auf ihn zu.

Blackys Reflexe funktionierten noch. Er zog den Kopf zur Seite. Die vergoldete Messingschnalle riß sein Ohrläppchen blutig. Don Marcello stieß einen Fluch aus, unternahm aber keinen zweiten Versuch, dem Gefolterten das Gesicht zu verunstalten.

Blacky fühlte die Wärme des Bluts, wie es in seine Ohrmuschel lief. Er hätte in diesem Augenblick etwas darum gegeben, sich bei dem Hundesohn mit einem Tritt in den Allerwertesten zu bedanken. Aber dieser Wunsch würde kaum in Erfüllung gehen.

Die Aussichten standen ausgesprochen schlecht.

Don Marcello wandte sich ab und holte etwas, das an der Wand neben der Tür aufgehängt war. Emiliano Cóstola ließ einen anerkennend-staunenden Laut hören. Don Marcello kehrte mit dem Ding zurück. Blacky sah jetzt, daß es eine Lanze war.

Struzzo legte ihm die Spitze von oben auf die Unterseite der Kinnlade. Langsam hob er die Lanze an, bis der Schaft fast senkrecht war.

„Was glaubst du“, sagte er höhnisch, „wieviel Eigengewicht so ein Landsknechtsinstrument hat?“

„Es würde reichen“, antwortete Blacky, „um mich selbsttätig zu töten.“

„Oho!“ rief Struzzo ölig. „Du hast deine Lage verteufelt gut erkannt, Engländer. Wie wäre es, wenn du die Konsequenzen daraus ziehst und endlich redest?“

Blacky überlegte nur noch einen Moment. Struzzo konnte die Quälerei noch stundenlang fortsetzen, bevor er ihn umbrachte oder umbringen ließ. Andererseits zeigte der Don deutlich Anzeichen von Erschöpfung. Vielleicht legte er eine Pause ein. Unter solchen Umständen konnte er, Blacky, neue Kräfte schöpfen. Allerdings nur dann, wenn er sich in einer bequemeren Lage befand.

 

„Einverstanden“, sagte Blacky. „Ich rede. Es geht aber flüssiger, wenn ich wie ein normaler Mensch auf meinen Füßen stehe.“

Don Marcello Struzzo lachte zufrieden und erleichtert. Er schnaufte und nahm die Lanze weg. „Gut, gut. Unsereins ist kein Unmensch.“ Er wandte sich um. „Emiliano! Los, hilf mir noch mal!“

Sie kurbelten ihn abwärts, bis er auf dem Fußboden lag. Dann stellten sie ihn an die Wand, der Tür gegenüber, wo sich eiserne Ösen befanden, an denen sie seine Hand- und Fußgelenke befestigten.

Cóstola hatte die Lanze an ihren Platz zurückgebracht.

Erwartungsvoll standen die beiden Männer dem Gefangenen gegenüber. Struzzo zog seinen Dolch, um Blacky damit zu kitzeln. Der Mann mit dem kantigen Gesicht setzte einen boshaften Gesichtsausdruck auf und fuhr mit der Daumenkuppe, über die Klinge, die scharf wie ein Rasiermesser zu sein schien.

„Ich höre“, sagte Don Marcello.

Blacky räusperte sich, um den trockenen Kloß loszuwerden, der sich in seinem Hals gebildet hatte.

„Ich bin der Kaiser von China“, sagte er.

Struzzo und Cóstola kriegten eine Art Maulsperre. Ihre Augen schienen aus den Höhlen quellen zu wollen.

„Ich bin heimlich nach Sardinien gereist“, fuhr Blacky fort, „um mir hier die Mittelmeersonne auf den Bauch scheinen zu lassen. Bis vor ein paar Stunden hat es mir ganz gut gefallen, aber jetzt ist es ungemütlich geworden.“

Don Marcello trat mit einem schnellen Schritt auf ihn zu, stieß den Dolch senkrecht hoch und drückte die Plattseite der Klinge auf Blackys Nasenspitze.

„Interessant!“ zischte er mit mühevoller Beherrschung. „Und deine Schlitzaugen? Hat dir die ein Quacksalber im Reich der Mitte wegoperiert?“

„Ich wollte nicht extra darauf hinweisen“, erwiderte Blacky. „Aber Sie haben es natürlich glasklar erfaßt, Don Marcello. Meine Tarnung als Ihresgleichen ist einfach perfekt, nicht wahr? Sogar die Hautfarbe habe ich …“

„Halt den Mund, Hurensohn!“ brüllte Struzzo unvermittelt. „Jetzt reicht es!“ Sein Knie ruckte hoch.

Furchtbarer Schmerz explodierte von Blackys Körpermitte aus.

Der nächste Hieb, der seinen Kopf traf, erlöste ihn davon. Abermals versank er in den schwarzen Abgrund der Bewußtlosigkeit.

Die Bewegungen eines Bootes, verursacht durch schwachen Wellengang, holten ihn in die Wirklichkeit zurück. Er wollte die Augen öffnen, doch die Sonne blendete ihn. Nach und nach drangen Geräusche in sein Ohr.

Poltern.

Es rührte von harten Stiefelsohlen her.

Und von schweren Lasten, die geschleppt und abgesetzt wurden.

Es war also nicht nur der Wellengang, der die Bewegungen des Bootes hervorrief. Blacky spürte die Spanten und Planken, auf denen er lag. Seine Arme waren auf dem Rücken zusammengeschnürt. Statt der Ketten aus der Folterkammer hatten sie ihn mit Stricken gefesselt. Auch die Fußgelenke waren aneinandergebunden.

Es gelang ihm, den Kopf ein Stück zur Seite zu drehen und die Lider einen Spaltbreit zu öffnen.

Er lag vor einer Ducht und konnte darunter hervorspähen.

Das Poltern war hinter seinem Rücken. Jemand wuchtete seine Lasten auf der Bugplattform auf und ab. Daß es sich um eine Plattform handelte, folgerte Blacky aus dem hohlen Klang der Geräusche.

Auf der Achterducht saßen Don Marcello Struzzo und Emiliano Cóstola in trautem Beieinander. Beide grinsten in zufriedener Eintracht und betrachteten das Bild, das sich ihnen bot.

Weitere Bestandteile dieses Bildes waren zwei ebenfalls Gefesselte, die zwischen den beiden Duchten vor Struzzo und Cóstola angebunden waren. Dunkelhaarige Männer, die das Geschehen hinter Blacky mit vor Entsetzen geweiteten Augen beobachteten.

„Welch eine Freude!“ rief Don Marcello höhnisch. „Unser hochwohlgeborener Gast, der Kaiser von China, weilt wieder unter uns!“

Cóstola stimmte ein albernes Kichern an.

Don Marcello brachte ihn mit einer Handbewegung zum Verstummen. „Vor Antritt Ihrer letzen Reise, Majestät, darf ich Ihnen die Einzelheiten erläutern“, sagte er salbungsvoll. „Vor sich sehen Sie zwei Gefangene, die wir schon vor längerer Zeit geschnappt haben. Sie stammen aus der Gefolgschaft eines gewissen Don Cesare di Montepulciano, den Sie natürlich nicht kennen werden.“ Er grinste breiter und räusperte sich. „Es spielt aber für den weiteren Verlauf des Geschehens keine Rolle. Von entscheidender Bedeutung ist vielmehr, daß sowohl wir, die Beteiligten, als auch gewisse Unbeteiligte ihre Freude an dem besagten Geschehen haben werden. Zu den Unbeteiligten zählt in erster Linie der schon erwähnte Don Cesare. Aber auch sein gesamter Freundeskreis wird nicht wenig erbaut sein über das, was man ihm berichten wird.“ Struzzo deutete auf die beiden Gefangenen vor ihm. „Diese werten Signori haben die ausschließliche Aufgabe, ihrem Dienstherrn Montepulciano zu berichten, was sie gesehen haben. Und das, hochverehrte Majestät aus dem Reich der Mitte, wird in wenigen Minuten beginnen. Mehr verrate ich Ihnen im Moment nicht. Schließlich soll es auch für Sie eine nette kleine Überraschung werden.“

Cóstola kicherte abermals. Diesmal ließ Struzzo ihn gewähren.

Das Poltern hinter Blacky hörte auf.

Statt dessen schwankte das Boot stärker.

Die Seestiefel eines stämmig gebauten Mannes wurden neben ihm sichtbar. Gleich darauf der ganze Kerl. Er sah aus wie ein Henkersknecht. Außer den Seestiefeln war er nur mit einer speckigen Hose bekleidet. Der Mann hatte eine Glatze und zum Ausgleich der fehlenden Haarpracht einen Vollbart.

„Fertig, Don Marcello“, sagte er, wobei er einen halben Schritt vor Blacky stehenblieb.

„Gut, gut“, antwortete Struzzo mit gönnerhaftem Nicken. „Dann wollen wir in aller Ruhe beginnen. Jegliche Eile ist überflüssig. Schließlich haben wir alle ein Interesse daran, das Ereignis zu genießen – einschließlich derjenigen, die nur mittelbar beteiligt sein können.“ Mit der gelassen herrischen Handbewegung eines römischen Imperators forderte er den Bärtigen auf, sein Werk fortzusetzen.

Blacky wurde von zwei kräftigen Fäusten gepackt und auf die Beine gestellt. Der Henkersknecht drehte ihn um, so daß er die Bugplattform sehen konnte. Die starken Planken bildeten eine große dreieckige Fläche von schätzungsweise zwei Quadratyards Ausmaß.

Blacky hatte das Gefühl, daß das Blut in seinen Adern zu Eis erstarrte. Auf der Plattform lagen zwei Felsbrocken von jeweils mindestens zwei Fuß Durchmesser.

Die Felsbrocken waren in der oberen Hälfte durchbohrt. Durch die Löcher waren Eisenstangen geschoben, an deren zu Ösen gebogenen Enden Ketten befestigt waren. Lange Ketten. Der Henkersknecht hatte sie ordentlich aufgerollt.

Blacky versteifte sich.

Der Bärtige spürte es.

„Wenn du dich wehrst“, knurrte er, „kriegst du eins auf die Rübe. Es hilft dir alles nichts. Klar?“

Blacky nickte. Seine Kehle war wie zugeschnürt. Er mußte bei Bewußtsein bleiben. Vielleicht gab es noch eine Chance – in letzter Minute. Oder in letzter Sekunde. Wenn er diese Chance erhalten sollte, dann würde er sie nutzen. Und lieber durch eine Kugel oder eine Klinge sterben als auf diese grauenhafte Weise, die Struzzo für ihn vorgesehen hatte.

„Eine wahrhaft kaiserliche Seebestattung!“ rief der Don mit hohntriefender Stimme.

Cóstola stimmte von neuem sein kindisches Kichern an.

Der Bärtige stieß Blacky auf die Bugplattform.

Blacky sah sich um. Eine Küstenlinie war nirgendwo zu sehen. Struzzo war also weit genug hinausgefahren, um keine unerwünschten Zeugen zu haben. Der Zweimaster, der sein Schiff sein mußte, lag etwa eine Kabellänge entfernt vor Anker. Auch Fischerboote waren nirgendwo in der Nähe zu sehen.

Die Eisenglieder klirrten, als der Henkersknecht die erste Kette hochhob und das Ende um Blackys Hüfte schlang.

Unter Vollzeug rauschte die Schebecke auf die offene See hinaus.