Seewölfe Paket 30

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Blacky ergriff die Weinflasche und schenkte das Glas seines Gegenübers voll.

„Ich verstehe“, sagte er, während er in sein eigenes Glas nur ein paar Tropfen fließen ließ. „Du bist also der Meinung, daß die Engländer den künftigen Welthandel mit Tabak an sich reißen werden.“

„Vielleicht nicht auf die Dauer. Aber sie werden immer ein gewichtiges Wort mitzureden haben. Davon bin ich überzeugt.“

Blacky hob sein Glas und prostete ihm zu. „In Ordnung, und warum erzählst du mir das alles?“

Porfirio trank und senkte seine Stimme abermals zum Flüsterton. „Ich will in den Tabakhandel einsteigen, mein Junge. Und du könntest mir dabei helfen. Verstehst du? Knüpfe in England für mich Verbindungen an, werde mein Agent, mein Dolmetscher und, wenn du dich mit Gigliola gut verstehst, auch …“ Er grinste und winkte ab. „Lassen wir das. Zuviel Zukunftsmusik bringt Unglück. Halten wir uns an das, was wirklich greifbar ist. Und das ist der Tabak. Ich werde hier in Cagliari das Monopol haben, Blacky. Und wenn wir beide clever genug sind, bauen wir sogar das Monopol für ganz Sardinien auf. Wir werden unvorstellbare Gewinne einstreichen.“

Blacky stieß die Atemluft durch die Nase. „Es fällt mir schwer, das zu glauben, Porfirio.“

„Warum?“

„Ein gewisser Don Marcello Struzzo würde dir beim Gewinn-Einstreichen bestimmt nicht tatenlos zusehen.“

Porfirios Gesicht verlor an Farbe. Er leerte sein Glas in einem Zug und schob es Blacky zum Nachfüllen hin.

„Wir werden uns eben etwas einfallen lassen müssen“, sagte der Händler unsicher. Seine Zunge stieß beim Sprechen bereits kaum merklich an. „Klippen sind schließlich dazu da, daß man sie umschifft, nicht wahr?“

Blacky nickte, lächelte und bediente ihn mit einem vollen Glas.

3.

Die laue Luft des frühen Abends strich über den Hafen von Cagliari. Der Windhauch hätte kaum ausgereicht, um dem Dreimaster die Segel zu füllen. Eine Atmosphäre von Entspanntheit bestimmte das Geschehen in der Stadt.

Carberry spürte es genauso wie die Arwenacks, die sich seinem „Kommando“ angeschlossen hatten. Batuti, Smoky, Roger Brighton, Paddy Rogers, Gary Andrews, Jeff Bowie, Sam Roskill und Matt Davies schlenderten gemeinsam mit dem Profos durch die stadteinwärts führenden Gassen.

Wo sie auftauchten, verstummten Gespräche und richteten sich Blicke auf sie. Staunen und Bewunderung paarten sich in den Augen der Einheimischen, deren abendliches Leben sich auf Bänken oder Stühlen vor den Hauseingängen, unter Vordächern und in sonnenverbrannten Vorgärten abspielte. Besonders der Profos mit seiner riesenhaften Statur, der herkulisch gebaute Gambianeger und die beiden Männer mit den Hakenprothesen fielen auf.

Matt Davies, dessen Haar nach einer Nacht unter Haien vollständig ergraut war, trug am rechten Unterarm die von Ferris Tucker gefertigte Prothese mit dem spitzgeschliffenen Eisenhaken. Jeff Bowie trug einen ähnlichen Ersatz links. Piranhas hatten ihm vor Jahren die Hand abgefressen.

Die Cagliari-Einwohner, die den Arwenacks nachblickten, ahnten mit einem leichten Erschauern, was für Rauhbeine da an ihnen vorbeispazierten. Unschwer vorzustellen, wie diese Kerle selbst den Teufel und alle Naturgewalten herausforderten, wenn es sein mußte.

Durch verschachtelte Gassen, die mit beträchtlicher Steigung stadteinwärts führten, erreichten die Arwenacks die kleine Piazza. Die Giebelseiten der Häuser waren dem gepflasterten Platz zugewandt. Platanen spendeten Schatten für die Eingänge und Fenster der Häuser. Über die Dächer an der Nordwestseite fiel der Blick auf das bergige Landesinnere. Heitere Stimmen erfüllten die Piazza. Bei mindestens einem Drittel der Gebäude handelte es sich um Schenken der unterschiedlichsten Art.

Carberry und seine Begleiter sahen sich kurz um.

Sie brauchten nicht lange zu überlegen.

Eine Trattoria mit einem Dutzend langer Tische vor der Hausfront war genau richtig für sie. Noch nicht einmal die Hälfte der Tische war besetzt, und die Signorinas, die dort ohne männliche Begleitung ausharrten, sahen zum Anbeißen aus. Die schmachtenden Blicke, die sie herüberwarfen, waren gut eingeübt – was ebenso mit der Nähe des Hafens zu tun haben mußte wie die Anwesenheit der Signorinas überhaupt.

„Kurs auf die Ladys!“ entschied Carberry.

Die Männer fügten sich willig seinem Kommando.

An den Tischen vor der Trattoria herrschte eindeutig Frauenüberschuß. Die wenigen Seeleute, die der Sprache nach aus Sizilien und Spanien stammten, reichten an Zahlenstärke nicht aus, um die Unterhaltung der Ladys zu gewährleisten – wozu in erster Linie eine gewisse Zahlungskraft gehörte.

Die Arwenacks, das sagte der weiblich-fachmännische Blick auf Anhieb, waren nicht nur verteufelt prächtige Mannsbilder, sondern sie sahen auch ganz danach aus, daß sie die Puppen tanzen lassen konnten.

Der Profos und seine Gefährten suchten sich einen Tisch ganz vorn aus, unmittelbar an der Piazza. Der Inhaber erschien zusammen mit einem Gehilfen, um sich nach ihren Wünschen zu erkundigen. Die Arwenacks entschieden sich für Rotwein, Schinken und frisches weißes Brot.

Der geräucherte Schinken, zum knusprigen Brot in hauchzarte Scheiben geschnitten, zerging auf der Zunge. Und der Rotwein rann so sanft in die Kehle, daß die Männer an englisches Bier, schottischen Whisky und karibischen Rum keinen Gedanken mehr verschwendeten.

Die weibliche Gesellschaft ließ nicht lange auf sich warten.

Kichernd und schnatternd, hüftenwiegend und glutäugig schoben sich die Signorinas heran. Eine Verständigung, die ohnehin nicht möglich schien, erübrigte sich vorerst. Gesten genügten. Die Wahl einer drallen Brünette fiel nach kurzem und tiefem Blickkontakt auf Carberry. Sie ließ sich neben ihm auf der Bank nieder.

Der Gehilfe des Inhabers brachte neue Trinkbecher und nachgefüllte Weinkrüge. Die Stimmen der Arwenacks und auch der übrigen Seeleute wurden lärmender und ausgelassener. Die Signorinas kreischten gelegentlich, wenn eine allzu vorwitzige Hand in Gegenden vordrang, deren Erkundung zu diesem Zeitpunkt noch nicht genehm war.

Carberry hatte inzwischen herausgefunden, daß seine Brünette auf den Namen Consuela hörte und einen spanischen Vater und eine sardische Mutter hatte. Consuela beherrschte ein paar spanische Wörter. Indem sie sich an den großen Mann mit dem Narbengesicht schmiegte, gestand sie ihm, daß er ihr mächtig gut gefalle. Er blickte sie grinsend von der Seite an, um den Wahrheitsgehalt ihrer Äußerung zu prüfen.

Mindestens zur Hälfte, so stellte er fest, stimmte es. Das Prachtweib war eine Sünde wert.

Consuela strich mit den Fingerkuppen über seine Armmuskeln.

„Starker Mann!“ hauchte sie voller Bewunderung.

„Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben“, entgegnete er auf Spanisch und grinste dazu.

Consuela kicherte und hielt sich die Hand vor den Mund. Plötzlich verstummte sie, als hätten ihre Stimmbänder auf einmal alle Kraft verloren.

Auch die anderen wurden still. Überall auf der Piazza versickerten die Gespräche. Nur die Arwenacks und die übrigen Seeleute, die nicht aus Cagliari stammten, begriffen nicht auf Anhieb, was los war.

Carberry sah Consuela an, und dann blickte er auf die Piazza, wohin ihre dunklen Augen starr gerichtet waren. Die restlichen Männer von der Schebecke wurden ebenfalls in diesen Sekunden aufmerksam.

Jene, auf die sich alles Interesse konzentrierte, stolzierten von stadteinwärts auf die Piazza. Dreizehn geschniegelte Affen, wie Carberry nach raschem Zählen feststellte.

Auf Anhieb fühlten sie sich als Beherrscher der Szene. Das zeigten allein ihre hoch erhobenen Nasen, die blasierten Mienen und die gespreizte Art ihres Gangs. Alle dreizehn trugen blitzblanke Schnallenschuhe, weiße Strümpfe, dunkle Beinkleider und silber- und golddurchwirkte Oberbekleidung. Auch ihre Pistolen und Dolche hatten überwiegend ziselierte Griff stücke.

Wie es das Verhängnis wollte, steuerten die Geschniegelten ausgerechnet auf jene Trattoria zu, vor der sich die Arwenacks niedergelassen hatten.

Der Anführer, der seine Anweisungen mit knappen Handbewegungen gab, war ein mittelgroßer, breitschultriger Kerl mit düsterem Vollbart. Er zog sein Barett vom Kopf, und eine kurzgeschorene schwarze Haarmatte wurde sichtbar, als er zu einem freien Tisch in der Nähe der Arwenacks wies.

Die Geschniegelten ließen sich nieder. Ihre Sprache klang so geziert wie ihr gesamtes Auftreten. Der Inhaber der Trattoria eilte mit zwei Gehilfen herbei, und alle drei mußten vor lauter Verbeugungen Mühe haben, mitzukriegen, was die hochwohlgeborenen Gäste bestellten. Weinkrüge wurden herbeigeschleppt, Brot in flachen Körben, die mit weißen Tüchern ausgelegt waren. Den Schinken servierte der Inhaber persönlich auf silbernen Platten.

„Scheint so, als ob die Kerle vor Geld stinken“, sagte Carberry gallig.

Die Arwenacks grinsten und nickten zustimmend.

Consuela legte warnend den Zeigefinger auf die Lippen. Eine unerklärliche Anspannung hatte sie und ihre Gefährtinnen erfaßt.

Die bevorzugten Gäste des Hauses waren mit allen Gaumengenüssen versorgt. Der bärtige Anführer sah sich kurz um. Dann schnalzte er zweimal mit den Fingern.

Die Signorinas, die den Arwenacks und den anderen Seefahrern Gesellschaft leisteten, sprangen auf und eilten zum Tisch der Geschniegelten, wo sie sich neben den Kerlen niederließen und sich bereitwillig den gierigen Händen aussetzten.

Carberry sprang auf und hieb mit der Faust auf den Tisch, daß es krachte.

„Ho, ho!“ brüllte er und fuhr auf spanisch fort, das die meisten hierzulande verstanden: „Scheint so, als ob ich meinen eigenen Augen nicht mehr trauen kann, was, wie? Ihr seid auf der Stelle wieder hier, Signorinas, oder wir holen euch!“

 

Die Geschniegelten bedachten ihn nur mit einem flüchtigen Blick und nahmen keine weitere Notiz. Consuela, von dem Bärtigen mit Beschlag belegt, schüttelte den Kopf und versuchte dem Profos mit verzweifelter Miene zu verklaren, daß man sich um Himmels willen nicht mit diesen Männern anlegen dürfe.

Doch solche Hinweise drangen in den Schädel Carberrys beim besten Willen nicht vor. Und bei seinen Gefährten verhielt es sich kaum anders.

Er stand auf. „Sieht so aus, Freunde, als ob dies ein gemütlicher Abend wird.“

Die Arwenacks grinsten und erhoben sich ebenfalls.

Am Nachbartisch führten die Geschniegelten näselnd ihre Gespräche und betätschelten dabei die bereitwilligen Ladys.

Der Profos hielt seine Gefährten noch für einen Moment zurück.

„Consuela!“ rief er dröhnend. „Habt ihr nicht gehört? Was fällt euch ein, einfach abzuhauen? Ich zähle bis drei. Wenn ihr dann nicht wieder hier seid …“ Er ließ den Rest seiner Drohung unausgesprochen, damit jeder, den es anging, sich seinen Teil denken konnte.

Consuela verdrehte entsetzt die Augen.

Die Geschniegelten taten noch immer, als wären sie die einzigen Gäste der Trattoria.

„Eins!“ donnerte die Stimme des Profos.

Der Bärtige unterbrach mit unwilliger Miene das Gespräch mit seinem Nebenmann und hob den Kopf, als sei eine vorwitzige Mücke an seiner Nase vorbeigeschwirrt.

Consuela und ihre Gefährtinnen sahen aus, als würden sie am liebsten im Erdboden versinken.

„Zwei!“

Batuti und Smoky setzten sich als erste in Bewegung – langsam, scheinbar noch zögernd. Matt Davies folgte dem Beispiel des Gambianegers und des muskulösen Decksältesten. Wie unbeabsichtigt hob Matt seine Rechte mit der furchterregenden Hakenprothese.

Consuela sprang als erste auf und nahm mit einem spitzen Schrei Reißaus. Die anderen folgten ihr im Abstand von Sekundenbruchteilen.

„Drei!“ brüllte Carberry und stemmte die Fäuste in die Hüften.

Mit gespielter Verwunderung blickte er den Signorinas nach, die in die nächstgelegene Gasseneinmündung flohen. Ihre Angstschreie und die trippelnden Schritte waren noch zu hören.

„Ja, hat man da Töne!“ sagte der Narbenmann kopfschüttelnd. „So was von Ungehorsam!“

Der Bärtige bereitete sich nicht einmal die Mühe, aufzustehen. Die anderen taten noch immer, als seien die Arwenacks Lebewesen von einer fremden, minderen Art, die zu beachten sich nicht lohne.

„Ihr seid ein unverschämtes Pack“, nuschelte der Anführer durch seinen finsteren Bart. Sein Spanisch war perfekt. „Dafür müßt ihr bestraft werden.“

Wie aus dem Nichts lag plötzlich eine silbern verzierte Radschloßpistole in seiner Rechten. Er spannte den Hahn und stützte den Kolben der Waffe auf die Tischplatte.

Die beiden Männer, die ihm gegenübersaßen, wichen auseinander und unterhielten sich weiter. Für sie schien es die unbedeutendste Nebensache zu sein, die da am Rande geregelt werden mußte. Unangenehm war bestenfalls die Tatsache, daß der weibliche Zeitvertreib das Weite gesucht hatte.

Carberry blinzelte ungläubig in die großkalibrige Laufmündung der kostbaren Waffe.

„Tu das Ding weg, Mann“, sagte er, nachdem er sich von seiner Überraschung erholt hatte, „oder dir passiert ein Unglück.“

Der Bärtige grinste spöttisch und zog durch. Das Reibrad schnurrte.

Der Profos stand regungslos. Er duckte sich nicht einmal.

Der Schuß krachte.

Um Fingerbreite sirrte die Kugel über seinen kantigen Schädel weg.

Der Bärtige zog die Brauen zusammen.

„Schick deine Strolche los“, sagte er bissig. „Sie sollen die Weiber zurückholen, und zwar ein bißchen schnell.“ Er legte die Radschloßpistole auf den Tisch und ließ sich die Waffe seines Nachbarn zur Rechten geben. „Die nächste Kugel trifft. Darauf kannst du dich verlassen.“

Erneut blickte der Profos in eine Mündung.

Aber diesmal brauchte er sich nicht erst darüber aufzuregen. Die überhebliche Art, wie der Bärtige die Einschüssige in Anschlag brachte, war das Einsatzzeichen für die Arwenacks.

Etwas zischte an Carberrys linker Schulter vorbei.

Der Bärtige schrie auf. Die Pistole fiel aus seinen schlagartig kraftlosen Fingern auf die Tischplatte. Aus seinem rechten Oberarm ragte der Griff eines Messers. Sein Schrei wollte nicht enden. Es war mehr Wut als Schmerz darin.

Die Arwenacks stürmten los, als die Geschniegelten eben im Begriff waren, ihrer Überraschung Herr zu werden und aufzuspringen.

Sam Roskill, der das Messer geschleudert hatte, wechselte einen Blick mit dem Profos und grinste. Dann erntete Sam einen anerkennenden Prankenhieb auf die Schulter, daß er das Gefühl hatte, unangespitzt in den Boden gerammt zu werden.

Der Bärtige schrie noch immer und krümmte sich über der Tischplatte.

Carberry flankte um das Kopfende des langen Tisches herum und versetzte dem Schreihals eine schmetternde Ohrfeige. Es kehrte Ruhe ein – bis auf die erstickten und gurgelnden Laute der elegant gekleideten Signori, die sich unvermittelt angehoben fühlten, ehe sie aus eigener Kraft vollends aufspringen konnten.

Während sich der Profos den Nebenmann des Anführers schnappte, war Sam Roskill zur Stelle und zupfte den übernächsten von der Sitzbank, einen wangenbärtigen Schönling, der an seiner Pistole zerrte, um sie aus dem Futteral zu reißen. Er schaffte es nicht mehr. Sam hieb ihm die Hand weg und legte ihn mit zwei weiteren trockenen Schlägen flach.

Den übrigen Geschniegelten erging es ähnlich schmerzhaft.

Carberry beförderte seinen Mann mit dem Profoshammer ins Reich der Träume. Batuti hatte einen hageren Burschen erwischt, den er mühelos anhob, vom Tisch wegtrug, dann fallen ließ und mit wenigen brettharten Hieben zu Boden hämmerte.

Matt Davies setzte seine Hakenprothese ein, um seinem Gegner den Arm mit der schon schußbereiten Waffe herunterzureißen. Der Mann schrie gellend, bis Matt ihn mit einem Hieb der Linken neben die Sitzbank schleuderte.

Nur noch minutenlang waren die trockenen Laute von Fausthieben, scharrende Stiefelsohlen und kurze Schmerzensschreie zu hören, die sofort erstickt wurden.

Dann war der Bärtige der einzige, der noch auf seinem Platz hockte, wimmernd vor Schmerzen, den Kopf auf der Tischplatte. Alle anderen lagen ausgestreckt in der unmittelbaren Umgebung, mit der eleganten Kleidung auf dem von Weinlachen benetzten Steinpflaster.

Die Seefahrer an den anderen Tischen stierten staunend.

Carberry schickte Roger Brighton und Gary Andrews los, damit sie Consuela und ihre Gefährtinnen zurückholten.

Der Bärtige schrie noch einmal gellend auf, als Sam Roskill ihm das Messer aus dem Oberarm zog und an seinem kostbaren Wams reinigte. Carberry brachte den Mann mit einer erneuten Ohrfeige zum Schweigen. Da er stark blutete, gab der Profos Sam und Paddy einen Wink, ihm einen Notverband anzulegen. Die Männer erledigten es im Handumdrehen.

Der Profos packte den kreidebleich gewordenen Anführer am Kragen und zog ihn zu sich heran.

„Ihr dürft euch jetzt davonschleichen“, sagte er mit einer Freundlichkeit, der jeder anhören konnte, daß sie keine war. „Und ich rate euch dringend, Amigos, laßt euch nicht wieder blicken! Sonst ziehen wir euch lausigen Affenärschen die Haut in Streifen ab und hängen sie da oben zum Trocknen auf.“ Er deutete auf die weit ausladenden Äste einer Platane ganz in der Nähe.

Der Bärtige schluckte und schwieg. Fassungslos stierte er auf seine Kumpane, wie sie sich mühselig und stöhnend aufrappelten.

Eine Minute später waren sie so weit, daß sie ihre Zeche bezahlen und davonwanken konnten.

Roger und Gary kehrten mit den Signorinas zurück.

„Jetzt feiern wir unsere Helden!“ rief Consuela begeistert, als der Bärtige und seine Kerle außer Hörweite waren.

„Hab doch gewußt, daß es noch ein gemütlicher Abend wird“, brummte Edwin Carberry und ließ sich von der Brünetten das Rammkinn kraulen.

„Es ist wie ein Traum“, flüsterte Gigliola und schmiegte sich fest an den muskulösen Körper des Mannes.

Er lächelte nur und strich mit den Fingerspitzen über ihr Gesicht. Er wußte, was sie meinte, denn er empfand es ebenso. Ein freundlich aussehender Mond lugte mit seinem blassen Schmunzeln in das kleine Kammerfenster und verteilte einen Hauch von Licht. Gigliola und Blacky hatten die Bettdecke beiseite geworfen. Die matte Helligkeit verlieh ihren nackten Körpern, ihrer Haut einen seidigen Schimmer.

Gigliolas Kammer war ein Ort geworden, der sich für sie beide von der übrigen Welt gelöst hatte. Selbst Blacky hatte das Gefühl, daß nichts anderes mehr eine Rolle spielte – wenigstens in diesen Stunden nicht. Er verschwendete keinen Gedanken an die Schebecke, an die Arwenacks und an alles, was für ihn noch bis vor kurzem wichtig gewesen war.

Ebensowenig kümmerte es ihn, daß im Erdgeschoß der Hausherr selig schlummerte. Selbst wenn Porfirio Nócciolo nicht vom Wein benebelt gewesen wäre, hätte er vermutlich nichts dagegen gehabt, daß seine Tochter in dieser Nacht auf die Gesellschaft des schwarzhaarigen Mannes aus dem glorreichen England nicht verzichten wollte.

Blacky grinste, ohne daß Gigliola es sehen konnte.

Porfirio hatte den Kopf voller Tabak. Bestimmt träumte er von seinen Handelsplänen, und wahrscheinlich hatte er schon morgen eine Strategie entwickelt, wie man den Machtanspruch des Don Marcello Struzzo umgehen konnte. Natürlich würde sich nichts von dem, was der Alte plante, in die Tat umsetzen lassen.

Gigliola hatte nur gelacht, als Blacky von dem Gespräch mit ihrem Vater berichtete. Er habe schon immer himmelstürmende Geschäftsideen gehabt, hatte sie gesagt, aber er sei eben nach wie vor Fisch- und Gemüsehändler.

Dieser Umstand hatte Blacky in der Tat zu denken gegeben.

Er räusperte sich. „Ich habe eine trockene Kehle“, sagte er. „Ein Schluck vom Wein des Hauses würde mir jetzt guttun.“

Gigliola bewegte sich neben ihm, umfaßte die Härte seiner Schultern und zog sich zu ihm hoch, so daß sie ihn küssen konnte.

„Mir scheint“, flüsterte sie, „daß du dich gern bedienen läßt.“

„In jeder Beziehung“, erwiderte er leise. „Aber den Wein würde ich auch selber holen, wenn ich wüßte, wo ich ihn finde.“

„Keine Sorge“, entgegnete sie kichernd. „Ich habe mir vorgenommen, dich zu verwöhnen. Aber vielleicht solltest du dir in diesem Fall die Belohnung erst verdienen.“

Sie stieß einen kleinen Schrei aus, als er sie in den Hüften packte, ein Stück hochhob und sie im nächsten Atemzug langsam auf sich niedersinken ließ. Ihre Stimme versiegte, und sie schlang die Arme um seinen Kopf.

Etwas krachte.

Jäh füllte es den kleinen Raum wie mit einem Donnerschlag aus.

Blacky spürte, wie Gigliola über ihm zusammenzuckte und vor Schreck erstarrte.

Er selbst überwand den Schreck schneller, aber da war die junge Frau, die ihn mit ihrem atemberaubenden Körper behinderte.

Dem Krachen folgte ein Splittern von Glas. Scherben klirrten zu Boden.

Tür und Fenster waren gleichzeitig aufgebrochen worden.

Blacky schaffte es fast, sich von der angstgelähmten Gigliola freizukämpfen.

Aber die Gestalten waren bereits zur Stelle. Daß sie nach dem Lärm jetzt auf leisen Sohlen huschten, erschien Blacky widersinnig. Ihm fiel jedoch ein, daß sie diese Lautlosigkeit gebraucht hatten, um in das Haus einzudringen und sich unbemerkt anzuschleichen.

Er wollte vom Bett hochfahren und nach seinen Waffen greifen.

Zu spät.

Vier Kerle waren in diesem Sekundenbruchteil neben dem Bett, und sie gingen kein Risiko ein. Mit den Kolben ihrer Pistolen schlugen sie zu.

Blacky hörte noch, wie Gigliola vor Entsetzen schrie und gleich darauf mit einem Fausthieb zum Verstummen gebracht wurde. Dann explodierte grellfarbener Schmerz vor seinen Augen. Auch die schwächere Schmerzexplosion eines zweiten Hiebes nahm er noch wahr. Im nächsten Augenblick versank er in tiefe Bewußtlosigkeit, die ihm jegliche Empfindung ersparte.

Als er erwachte, durchfuhr ihn etwas von der Kälte eines Eiszapfens. Etwas das schlimmer war als körperlicher Schmerz.

„Gigliola!“ stöhnte er und tastete mit beiden Händen um sich. Sehen konnte er noch nichts.

In seiner unmittelbaren Umgebung, so weit seine Hände reichten, war nur Stein. Rauhe Platten mit Fugen dazwischen. Ein Fußboden.

 

Das Heulen des Windes drang in sein Bewußtsein.

Gigliolas Nähe war zu berauschend gewesen. Um so grausamer drang es jetzt in sein zurückkehrendes Bewußtsein, auf welche Weise er von ihr weggerissen worden war. Ohnmächtige Wut packte ihn.

Und damit setzten die Schmerzen in seinem Kopf ein.

Es hämmerte und dröhnte, als hätte sich eine fremde Macht in seinem Kopf eingenistet, um ihn von innen zu sprengen. Wahrnehmungen und Gedanken wurden betäubt. Er lag regungslos auf dem Rücken, rührte sich nicht und versuchte, die Schmerzen zu überwinden. Dazu mußte er die Wut bezwingen, die sein Blut in Wallung brachte.

Nach Minuten, die ihm wie Ewigkeiten erschienen, hatte er sich an das Hämmern und Dröhnen so weit gewöhnt, daß es seine Sinne nicht länger lahmlegte.

Langsam, mit beträchtlicher Mühe, drehte er sich auf den Bauch und kroch so weit, bis er mit den Händen gegen eine Wand stieß. Jetzt hörte er wieder das Heulen des Windes. Es war kalt. Er begann zu frieren, Zugluft strich über ihn hinweg. Abermals drehte er sich herum, lag eine Sekunde lang schwer atmend auf dem Rücken und fing dann an, sich aufzusetzen.

Es war eine höllische Anstrengung.

Die Kerle mußten ihn halb totgeschlagen haben.

Vielleicht hatten sie ihn tatsächlich für tot gehalten. Himmel, das konnte bedeuten, daß sie ihn in eine Gruft geworfen hatten – in ein gemauertes Geviert mit einer Granitplatte obendrauf!

Panik erfaßte ihn, und sofort setzten die Schmerzen wieder heftiger ein. Keuchend zwang er sich zur Ruhe. Noch konnte er atmen, und da war auch dieser Luftzug. Er sagte sich, daß er während seiner Bewußtlosigkeit längst erstickt wäre, wenn es sich tatsächlich um eine dicht abgeschlossene Gruft gehandelt hätte.

Nach einer wiederum quälend langen Zeitspanne schaffte er es endlich, sich mit dem Rücken an der Wand hochzuschieben.

Sitzend hielt er inne und wartete, bis sein Atem langsamer ging und auch die Schmerzen wieder geringer wurden. Sie mußten ihm mörderische Schläge verpaßt haben. Doch sie konnten ihn nicht wirklich für tot gehalten haben. Sie mußten seinen Herzschlag und seinen Atem festgestellt haben.

Also hatten sie einen Grund, ihn am Leben zu lassen.

Ihm wurde bewußt, daß er die ganze Zeit über die Augen offen gehabt hatte. Aber erst jetzt wich ein tief schwarzer Schleier, der sein Sehvermögen fast völlig ausgeschaltet hatte. Er sah das Mondlicht und hätte einen Freudenschrei ausstoßen können. Doch dieses Mondlicht hatte nichts von jener anheimelnden Wärme, die in Gigliolas Kammer geherrscht hatte. Es war kalt und abweisend, und es wurde in kurzen Zeitabständen von Wolken verdüstert, die der Wind vorübertrieb.

Blacky wußte nicht, wieviel Zeit vergangen war, als seine Kräfte endlich zurückkehrten und er den Schmerz bis auf einen geringen Rest bezwingen konnte. Er richtete sich vollends auf und taumelte noch ein wenig, stand dann aber sicher auf den Beinen.

Der Raum, in dem er sich befand, war rund. Es gab vier schmale Fenster, die von außen vergittert waren. Zwei Fenster waren undicht, die Zugluft, die er wahrgenommen hatte, strömte in scharfen kleinen Stößen herein. Der Fußboden bestand aus jenen Steinplatten, die er bereits ertastet hatte. Was sich über der Decke aus dunklen Brettern befand, konnte er nicht herausfinden – vermutlich das Dach.

Denn es war eine Turmkammer, in die sie ihn gesteckt hatten.

Draußen konnte er das Meer sehen. Ein auflandiger Nachtwind hatte dem Wasser deutliche weiße Schaumkronen aufgesetzt.

Landeinwärts befanden sich Gebäude und Parkanlagen. Ein Castello. Einzelheiten waren in der geringen Helligkeit nicht zu erkennen.

In der Mitte der Turmkammer stieß Blacky mit der Fußspitze gegen eine Kante. Er ging in die Knie, um tastend herauszufinden, was es war. Seine Fingerkuppen berührten Holzbohlen von zwei Zoll Stärke.

Eine Luke, ebenfalls kreisrund wie der ganze Raum.

Vorsichtig hob er die Luke an, nur um Handbreite.

Aus unendlich scheinender Tiefe drang ein Tosen und Gurgeln herauf.

Blacky spähte durch den Lukenspalt. Etwas Eisiges kroch über den Rücken.

Nur undeutlich, durch den weißschäumenden Gischt wenig erhellt, ließen sich Einzelheiten erkennen. Es schien aber eindeutig, daß der Turm über einem Felsenkamin gebaut war. Insgesamt mußte er eine Tiefe von mindestens 200 Fuß haben. Dort unten brodelte und schäumte das Wasser über die Uferklippen.

Blacky schloß die Luke.

Das Tosen war nicht mehr zu hören.

Es änderte nichts daran, daß seine Zukunft alles andere als rosig aussah.