Seewölfe Paket 30

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„Laßt mich los! Warum haltet ihr mich hier fest?“ kreischte Manuel. „Ich bin nur als Bote hier erschienen.“

„Warum hast du es dann so eilig?“ fragte der Seewolf, und seine eisblauen Augen blitzten. Er hatte den Burschen noch immer an der Kutte gepackt. Ohne eine Antwort abzuwarten, fügte er hinzu: „Na, schön, Freundchen, ich schlage vor, daß wir nun ein ernstes Wörtchen miteinander reden.“

„Lassen Sie mich los, Señor, ich bin ein Mann der Kirche“, winselte Manuel, „ich habe wirklich nichts Unrechtes getan.“

„Das werden wir jetzt feststellen“, erwiderte Hasard. „Daß du ein Mann der Kirche bist, war die erste Lüge, und daß du nichts Unrechtes getan hast, war die zweite. Sobald du zum drittenmal lügst, lasse ich dich vor ein Kanonenrohr binden und mittels einer siebzehn Pfund schweren Kugel über die Dächer von Lissabon pusten.“

„Das halten wir bei uns immer so“, fügte Old O’Flynn hinzu und bedachte den Kuttenmann mit einem grimmigen Blick.

Die übrigen Arwenacks begannen, einen Kreis um Manuel und den Seewolf zu bilden. Ihre Mienen spiegelten eine wilde Entschlossenheit wider.

Das alles war zuviel für Manuels Nerven.

Kraftlos, wie ein Lumpenbündel, hing er an der Faust Hasards und zitterte wie Espenlaub. Wie er die Lage einschätzte, konnte er bestenfalls sein nacktes Leben retten. Mit diesen Männern war nicht zu spaßen, mit ihrem Kapitän schon gar nicht, das war deutlich zu sehen. Also blieb ihm gar nichts anderes übrig, als die Wahrheit zu sagen.

Hasard zog den Piraten noch näher zu sich heran.

„Von wem stammt der Erpresserbrief?“ fragte er, und seine Stimme klang eisig.

„Ich – ich …“ Manuel begann zu stottern, er versuchte, dem Blick des Seewolfs auszuweichen.

„Ich warte auf deine Antwort.“ Hasards Griff wurde fester.

„Ich werde alles sagen“, jammerte Manuel, „die ganze Wahrheit werde ich sagen, das schwöre ich …“

„Dann beantworte endlich meine Frage!“

„Gonzales – Antonio Gonzales hat mir den Brief gegeben und mich zu euch geschickt. Er – er ist unser Anführer und der Abt des Klosters – kein richtiger natürlich.“

„Ist der Mann, den wir vermissen, am Leben?“ fragte Hasard. „Und wo wird er festgehalten?“

„Ja, ja, er ist am Leben“, sagte Manuel hastig. „Gonzales und die anderen haben ihn zum Kloster gebracht.“

„Wo ist dieses Kloster, oder was immer ihr so nennen mögt?“

„Ein Stück flußaufwärts. Es liegt an einem stillen Seitenarm des Rio Tejo.“

„Und warum habt ihr ausgerechnet einen unserer Männer entführt?“

„Das – das weiß ich nicht so genau“, stotterte Manuel. „Ich kann’s mir nur denken.“

„Dann fang mal rasch an mit dem Denken!“

Manuel schluckte. „Einige von euch kauften auf dem Markt unser Lebenselixier. Dabei fiel wohl auf, daß sie ziemlich viel Geld bei sich hatten. Da dachte Gonzales, es sei eine Menge zu holen, wenn man den Kapitän …“

„Das reicht“, unterbrach ihn Hasard. „Wie du inzwischen bemerkt hast, habt ihr nicht den Kapitän erwischt. So, nun wirst du mir noch alles über euer merkwürdiges Kloster mitsamt den ‚Brüdern in Christo‘ erzählen. Und vergiß nicht – zwei Lügen hast du schon hinter dir. Bei der dritten wird es verdammt brenzlig für dich.“

Manuel hatte sich längst in sein Schicksal gefügt. In der Hoffnung, mit heiler Haut davonzukommen, plauderte er wie ein Buch. Auch daß Gonzales die Hände im Mädchenhandel stecken hatte, verschwieg er nicht.

Der Seewolf lockerte schließlich seinen Griff.

„Deine feinen Brüder werden wohl vergeblich hinter dem Altar von Santa Teresa nach unserem Geld suchen“, sagte er. „Du wirst uns zum Kloster begleiten und uns freundlicherweise deinen Komplicen vorstellen.“

Genau das hatte Manuel befürchtet.

„Sie werden mich umbringen“, jammerte er.

Die Seewölfe konnte er damit nicht beeindrucken. Sie lösten auf Hasards Geheiß die Taue von den Pollern und begannen mit dem Setzen der Segel. Die Gewißheit, endlich etwas zur Befreiung Edwin Carberrys unternehmen zu können, verschaffte ihnen ein Gefühl der Erleichterung.

Old Donegal schlich verschämt nach achtern.

„Und von diesen Spitzbuben haben wir beiden Idioten uns das Kräutergesöff aufschwatzen lassen“, raunte er Paddy Rogers zu. Danach schaute er geflissentlich geradeaus, denn es entging ihm nicht, daß Bill, der beim Einkauf dabeigewesen war, reichlich unverschämt in ihre Richtung grinste.

Wenn Edwin Carberry geglaubt hatte, in diesem feuchten Kellergewölbe allein zu sein, dann sah er sich bald getäuscht. Das erste, was er hörte, nachdem sich die Schnapphähne zurückgezogen hatten, waren Frauenstimmen.

Jetzt wirst du langsam alt, Ed, sagte er sich. Oder sollte es in diesem verdammten Kloster auch noch Nonnen geben?

Aufmerksam lauschte der Profos in das Halbdunkel des Verlieses. Es war ein kleiner, enger Raum, der an den Seiten von mächtigen Steinquadern begrenzt wurde. Hoch oben klaffte ein winziges Luftloch im Gemäuer, durch das auch spärliches Tageslicht hereinfiel. Es war kühl hier unten, und es roch nach Feuchtigkeit.

Eine Tür gab es nicht, dafür war die Öffnung mit dicken, teilweise verrosteten Eisengittern versperrt. Daran baumelte eine kräftige Kette, die mit einem Schloß versehen war. An Flucht war zunächst nicht zu denken, darüber war sich Carberry klar, zumal seine Hände nach wie vor auf den Rücken gebunden waren.

Wieder hörte er Frauenstimmen. Sie mußten ebenfalls aus diesem Gewölbe kommen. Die Stimmen wurden rasch lauter, mehrere Frauen redeten aufgeregt durcheinander. Er fand keine Erklärung dafür.

Er sollte dennoch eine erhalten. Denn von links drang jetzt nämlich eine gedämpfte Männerstimme an sein Ohr, die irgend etwas in portugiesischer Sprache rief. Er verstand nicht alles, aber trat an das Eisengitter und horchte in den Gang hinaus. Die Stimme mußte aus einem benachbarten Verlies stammen.

„Was immer du auch für ein armes Rübenschwein bist“, sagte er, „Spanisch verstehe ich besser.“

Der Mann sprach jetzt Spanisch.

„Ich heiße Felipe!“ rief er.

„Sehr schön“, antwortete Carberry, „aber ich kenne dich trotzdem nicht, Amigo. Bist du auch so eine Art Weihnachtsgans, die der fromme Haufen hier ausnehmen will?“

Die Stimme verneinte. „Bei mir ist nichts zu holen, aber die Piraten wollen mich als Sklaven an die Barbaresken verkaufen.“

„Aha“, sagte Carberry. „Und was sind hier das für Weiberstimmen?“

„Das sind Mädchen aus Santa Maria, einem Fischerdorf an der Atlantikküste. Die Mönche haben es vor einigen Tagen überfallen und mich und die Mädchen hierher verschleppt.“ Er berichtete in kurzen Worten, was geschehen war und was die Schnapphähne mit den Mädchen planten. „Und wer bist du?“ wollte er am Schluß wissen.

„Ein christlicher Seefahrer“, erwiderte der Profos. „Man hat mich für einen steinreichen Kapitän gehalten und möchte ein saftiges Lösegeld erpressen.“

„Und du bist nicht reich Kapitän?“

„Nein, ich bin überhaupt keiner.“

„Oh, dann wird die Sache schwierig.“

„Mag sein“, meinte der Profos. „Aber ich habe etwas, das nützlicher ist, als eine Schiffsladung voller Klunkerchen.“

„Und was?“

„Kameraden, auf die ich mich voll und ganz verlassen kann. Und wie ich die blaukarierten Affenärsche kenne, wird denen bestimmt etwas einfallen.“

9.

Trotz kühler Märznächte sorgte die Sonne tagsüber für einen blauen Himmel und angenehme Wärme.

Diesen Umstand genossen nicht nur die Fischer, die mit ihren Booten zum Fang ausgelaufen waren, sondern auch die Seewölfe, deren Schebecke den Hafen von Lissabon unbehelligt verlassen hatte und ein Stück den Rio Tejo hinaufgesegelt war.

„Wie weit ist es noch bis zu eurem Kloster?“ wollte Hasard von Manuel wissen.

„Höchstens noch drei Meilen.“

„Gut, dann können wir schon bald nach einem geeigneten Ankerplatz Ausschau halten.“

Der Gefangene, dessen Angst und Nervosität ständig wuchs, wurde wieder unter Deck gebracht, und Hasard gab Ben Brighton einen Wink.

„Wir werden wie besprochen vorgehen, Ben“, sagte er. „Am besten, ihr bereitet euch schon vor.“

„Aye, Sir“, antwortete Ben Brighton.

Wenig später stand der kleine Trupp bereit, mit dem er in der Nähe der Klosterruine an Land gehen sollte. Dan O’Flynn, Big Old Shane, Ferris Tucker, Jack Finnegan und Bob Grey gehörten dazu.

Sie wollten die falschen Mönche mit der gleichen Strategie aufs Kreuz legen, die sie gemäß dem, was der schlotternde Manuel ausgesagt hatte, selbst oft bei ihren Überfällen angewandt hatten.

Die Mannen sollten sich unter dem Kommando Bens von der Landseite her an das alte Gemäuer pirschen. Hasard würde indessen mit der Schebecke in die stille Bucht segeln und zunächst die Karavelle der Piraten unter Beschuß nehmen. Während die überraschten Schnapphähne versuchen würden, ihr Schiff zu retten, sollte Ben mit seinen Männern in das Kloster eindringen und den entführten Profos samt den Mädchen, von denen Manuel gesprochen hatte, befreien.

Im übrigen blieb den Arwenacks nur die Hoffnung, daß sich dieser Plan, der recht vielversprechend aussah, auch in die Tat umsetzen ließ.

Hasard und Ben Brighton nahmen das Ufer des breiten Flusses immer wieder durch die Spektive in Augenschein. Schließlich war es so weit, daß die Stelle in Sicht geriet, an der der Seitenarm abzweigte.

Manuel, den man noch einmal kurz an Deck gebracht hatte, bestätigte den Arwenacks, daß die Abzweigung in jene stille Bucht führte, an deren Ufer das Kloster lag.

 

„Gut“, sagte Hasard mit einem prüfenden Blick auf den Gefangenen. „Dann wollen wir also davon ausgehen, daß alle deine Angaben stimmen. Solltest du noch etwas davon korrigieren wollen, dann hast du jetzt die letzte Gelegenheit dazu.“

Manuel schüttelte den Kopf. „Ich habe die volle Wahrheit gesagt, Señor.“

„Na schön, dann werden auch wir uns an unser Versprechen, dein Leben zu schonen, gebunden fühlen.“

Eine geeignete Stelle zum Ankern war rasch gefunden. Ein Boot wurde abgefiert, und Ben sowie die fünf anderen Männer wurden zum Ufer gepullt. Der kleine Trupp war bis an die Zähne bewaffnet. Musketen, Steinschloßpistolen, Messer und Degen gehörten zu ihrer Ausstattung. Ferris Tucker hatte zudem eine seiner Flaschenbomben dabei und Big Old Shane seinen Bogen.

Ein letztes Winken, und die Mannen verschwanden flink in dem niedrigen Buschwald, der in Ufernähe begann und sich weit landeinwärts zog.

Der Seewolf ließ in Abstimmung mit dem Stückmeister die Schebecke ohne jegliche Hektik gefechtsklar machen.

„Wir brauchen nichts zu überstürzen“, sagte er zu Al Conroy. „Ben muß mit seinen Mannen erst am Ziel sein, bevor wir losschlagen. Wenn man uns zu früh entdeckt, ist alles in Frage gestellt.“

Al sorgte dafür, daß die Schebecke mit der gewohnten Gründlichkeit in eine schwimmende Festung verwandelt wurde. Da man sich nicht nur auf die Wirksamkeit der schweren Culverinen verlassen wollte, ließ er auch Musketen, Pistolen und Tromblons ausgeben.

Bill, der dem Kutscher dabei half, die kleinen Holzkohlebecken auf die Geschütze zu verteilen, warf Old Donegal einen ironischen Blick zu.

„Alle deine Falten sind ja noch da, Mister O’Flynn“, sagte er. „Oder hast du den Piratentrunk noch gar nicht probiert?“

Der Alte hob drohend seine Krücke. „Verzieh dich, du Grünschnabel, sonst gibt’s rote Ohren. Meine Falten gehen dich überhaupt nichts an. Du bist ja nur neidisch, weil du noch keine hast und mit glatten, rosigen Apfelbäckchen durch die Welt laufen mußt. Außerdem – wenn ich das dürre Knochengerippe, das mir das Gesöff verkauft hat, erwische, werde ich den Kerl in seiner Knoblauchbrühe ersäufen.“

Nachdem Old O’Flynn Dampf abgelassen hatte, nahm er Kurs auf eine der achteren Drehbassen.

Hasard ließ nach einer angemessenen Zeitspanne den Anker hieven. Der Wind, der aus südlicher Richtung wehte, füllte die Lateinersegel, und die Schebecke nahm Fahrt auf.

Die Umgebung bot einen friedlichen Anblick. An den Flußufern regte sich nichts, auch Fischerboote waren weit und breit nicht zu sehen. Lediglich ein großer Vogelschwarm überquerte den Fluß in großer Höhe.

Auf das Kommando des Seewolfs hin wurden die Segel nachgetrimmt, nachdem Pete Ballie Ruder gelegt hatte. Die Schebecke fiel nach Backbord ab und glitt in den Seitenarm, den Manuel benannt hatte.

„Alle Mann auf Stationen!“ befahl Hasard, als die kleine Bucht vor ihnen auftauchte. „Unser Freund hat wohl doch nicht zuviel versprochen.“

Als erstes stach ihnen die zweimastige Karavelle ins Auge, die in Ufernähe an der Ankertrosse schwoite. Wie es den Anschein hatte, wurde sie nicht einmal bewacht. Offenbar hatten die Kapuzenmänner in dieser friedlichen Gegend noch niemals Ärger gehabt.

Ein kurzes Stück vom Ufer entfernt, von dichtem Buschwald umrahmt, ragten die Mauern des halbzerfallenen Klosters in den Himmel.

„Eine richtige Idylle“, meinte Al Conroy. „Da tut’s einem direkt leid, in dieser Stille einen Feuerzauber zu veranstalten.“

Hasards Spektiv war auf das Kloster gerichtet, aber nirgends rührte sich etwas.

„Du hast recht, Al“, sagte er dann, „wir werden die Schwarzröcke leider etwas erschrecken müssen.“

Von da ab lief alles ziemlich rasch.

Auf ein Handzeichen des Seewolfs hin senkten sich die brennenden Lunten auf die Zündkanäle. Grelles Feuer stach aus den Rohren von drei der insgesamt sechs Kanonen der Backbordseite. Pulverdampf wölkte auf, und brüllender Donner verwandelte die Bucht in einen tosenden Hexenkessel.

Zwei der schweren Kugeln krachten voll in die Backbordseite der Karavelle und hinterließen dicht über der Wasserlinie riesige schwarze Löcher. Die dritte Kugel – ein Weitschuß, für den Al Conroy das Rohr der Culverine höher ausgerichtet hatte – hieb in unmittelbarer Nähe des Klostergebäudes in die Erde und ließ eine prächtige Dreckfontäne aufspritzen.

Das war gewissermaßen die Kriegserklärung der Seewölfe, die fest entschlossen waren, Edwin Carberry und die entführten Mädchen aus den Verliesen zu holen.

Die Wirkung blieb nicht aus.

Zahlreiche Männer in schwarzen Mönchskutten, aber auch solche, die keine Kutte trugen, stürzten aus dem Gebäude und eilten mit lautem Gebrüll, Musketen und Pistolen schwingend, zur Bucht.

Sie wollten offensichtlich so schnell wie möglich die „São Pedro“ erreichen, um sich mit ihren Geschützen zur Wehr zu setzen. Um jeden Preis aber wollten sie verhindern, daß ihr Schiff zusammengeschossen wurde, denn sie waren in jeder Beziehung darauf angewiesen.

Damit taten sie genau das, was die Arwenacks von ihnen erwarteten.

„Laßt sie ruhig an Bord ihres Schiffes gelangen“, sagte Hasard. „Sobald sie die Kanonen ausrennen, verarbeiten wir die Karavelle zu einem Haufen Kleinholz.“

„Das kommt mir ziemlich bekannt vor!“ sagte Ben Brighton, als die Geschütze zu wummern begannen. Die Mannen blickten sich grinsend an.

Dem ersten Teil ihres Planes war demnach Erfolg beschieden. Jetzt mußte der zweite und schwierigere Teil in Angriff genommen werden.

Ben und seine Männer warteten noch einen Augenblick, bis das laute Gebrüll der Piraten zu hören war, dann brachen sie aus dem dichten Gestrüpp hervor, in dem sie sich schon eine Weile verborgen gehalten hatten.

Es waren höchstens fünfzig Schritte, die sie von der Rückseite des alten Gemäuers trennten. Die Aufmerksamkeit der Piraten konzentrierte sich voll auf die Bucht, und genau diesen Umstand hatten die Arwenacks einkalkuliert.

Ferris Tucker, der rothaarige Riese, hielt die harmlos aussehende Flaschenbombe in der Hand, das kleine Flämmchen, das er unmittelbar vor dem Losstürmen mittels Flint und Feuerstein entzündet hatte, fraß sich unaufhaltsam an der Lunte entlang.

In geduckter Haltung, die Musketen schußbereit in den Fäusten, huschten die Männer über das von hohem Gras und niedrigem Buschwerk bewachsene Gelände – genau auf jenen verriegelten Hintereingang zu, den Manuel ausführlich beschrieben hatte.

An der Bucht krachten jetzt die Musketen. Offenbar wollten die Piraten die Zeit bis zur Gefechtsbereitschaft ihrer Karavelle nicht ungenutzt verstreichen lassen.

„In Deckung!“ brüllte jetzt Ferris Tucker.

Ben Brighton, Dan O’Flynn und Big Old Shane warfen sich, wie abgesprochen, hinter der verwitterten Mauer eines Vorbaus auf den Boden. Jack Finnegan und Bob Grey verschwanden hinter der Umfassungsmauer eines alten Ziehbrunnens.

Dorthin folgte ihnen Ferris mit einem mächtigen Hechtsprung, nachdem er die Flaschenbombe schwungvoll in Richtung Eingang geschleudert hatte.

Kaum hatten die Männer mit ihren Körpern den Boden berührt, zuckte ein greller Blitz an der Rückseite des früheren Klosters hoch. Das Krachen, Splittern und Bersten, das folgte, vermischte sich mit dem Dröhnen des Musketen- und Tromblonfeuers an der nahen Bucht.

Den Hintereingang mit der verriegelten, dicken Eichentür gab es nicht mehr. Dunkler, beißender Qualm verteilte sich zusammen mit einer Staubwolke in der Luft und gab den Blick frei auf die ehemalige Türöffnung, die jetzt nur noch einem riesigen Loch in der Mauer glich.

Ben und seine Mannen verloren keine Zeit.

Sie verließen ihre Deckung und stürmten mit einsatzbereiten Waffen über die Stein- und Holztrümmer hinweg – geradenwegs hinein in die Höhle des Löwen.

Dort wurde ihnen auf Anhieb klar, daß nicht alle Schnapphähne zur Bucht geeilt waren. Einige wenige waren offensichtlich im Schlupfwinkel geblieben.

Drei Kerle, die keine Mönchskutten trugen, tauchten in dem langgestreckten Gang auf und versuchten, den Arwenacks den Weg zu versperren. Einer von ihnen hob seine Steinschloßpistole, um zu feuern.

Aber Bob Grey war schneller. Noch bevor der Pirat durchziehen konnte, zischte ein Messer durch die Luft und bohrte sich in seine Brust. Die schwere Pistole entglitt seiner Hand und polterte auf den gestampften Lehmboden. Sein lebloser Körper sank in sich zusammen.

Um die beiden anderen kümmerten sich inzwischen Dan O’Flynn und Big Old Shane.

Dan hatte sich einem der Kerle mit einem Sprung entgegengeworfen und wuchtete ihm den Kolben seiner Muskete gegen den Leib. Der verludert aussehende Bursche wurde von den Beinen gefegt, als hätte ihn eine Kanonenkugel getroffen.

Auch Big Old Shane erwies sich als Meister schneller Reaktion. Während Ben Brighton, Ferris Tucker und Jack Finnegan bereits über die am Boden liegenden Kerle hinwegsetzten und in Richtung der Verliese stürmten, wuchtete er die mit beiden Fäusten hochgestemmte Muskete nach unten – direkt auf den ausgestreckten Arm seines Gegners. Das Messer, das ihm dieser in die Brust stoßen wollte, wurde durch den Gang geschleudert. Der Kerl stieß einen lauten Schrei aus und torkelte mit schmerzverzerrtem Gesicht gegen die Wand.

Unten im Kellergewölbe, wo sich auch die Verliese befanden, bot sich den Arwenacks wider Erwarten kaum noch Gegenwehr.

Ein hochaufgeschossener, spindeldürrer Kerl in Mönchskutte unternahm zwar noch den Versuch, sich den Engländern, die die Steintreppe hinunterstürmten, in den Weg zu stellen, aber der Fausthieb, den ihm Jack Finnegan unters Kinn setzte, war zuviel für ihn.

Die Wucht des Schlages schleuderte ihn ein Stück zurück und warf ihn rücklings in einen riesigen Holzbottich, der mit einer grünlichen, nach Knoblauch und Kräutern stinkenden Brühe gefüllt war. Offenbar lagerte man das Gebräu zur Kühlung im Keller.

Mit dem letzten Verteidiger des Klosters brauchten sich Ben und seine Mannen gar nicht erst anzulegen. „Bruder Alfonso“, der sich während der Abwesenheit der anderen heimtückisch zu den Verliesen geschlichen hatte, um an dem verhaßten Kerl, der ihm einst in der Karibik das Hinterteil versengt hatte, Rache zu üben, ließ freiwillig die Pistole fallen. Er ergab sich mit lautem Jammern und bot den Fremden, in denen er zurecht Männer des Seewolfs vermutete, freiwillig die Kerkerschlüssel an.

Noch während draußen die Waffen dröhnten, wurden die Vorhängeschlösser an den dicken Eisengittern geöffnet.

„Endlich!“ brummte Carberry mißgelaunt, als er seine Arwenacks erkannte. „Hättet ihr nicht ein bißchen schneller sein können? Das hinterfurzige Miststück hätte mich doch glatt durch das Gitter hindurch erschossen.“

„Wir haben ihm den Spaß verdorben“, erwiderte Ben. „Wo sind die Mädchen, Ed?“

„Das verrate ich erst, wenn ihr mir diese verdammten Fesseln abgenommen habt. Ein anständiger Christenmensch braucht schließlich seine Bewegungsfreiheit.“

Dieses Problem war rasch gelöst. Wenig später waren auch Felipe, der junge Fischer aus Santa Maria, sowie Margarida und die anderen Mädchen befreit. Viele von ihnen weinten vor Freude – vor allem die hübsche, schwarzhaarige Margarida, die sich Felipe an die Brust warf.

„Kaum hat man das Kerlchen aus dem Käfig gelassen, wird es schon wieder verwöhnt“, sagte Carberry nicht ohne Neid.

„Los jetzt“, rief Ben Brighton. „Wir haben keine Zeit zu verlieren.“

Die Arwenacks und die befreiten Gefangenen eilten zur Steintreppe, um das düstere Gewölbe zu verlassen. Der Profos ließ es sich natürlich nicht nehmen, den vor Angst bebenden „Bruder Alfonso“ am Kragen zu packen.

„Schade, daß ich jetzt kein Kohlebecken zur Hand habe“, sagte er mit einem fürchterlichen Grinsen. „Ich hätte dir gern ein paar feine heiße Holzkohlestückchen in die Kutte gefüllt, und diese unten zugebunden. So aber kann ich dir nur zu einem erfrischenden Bad verhelfen.“

Er hob den zappelnden Kerl hoch und wuchtete ihn in den Bottich mit der grünen Kräuterbrühe, in der bereits der dürre Rodrigo schwamm.

Ungehindert gelangten die Seewölfe und die befreiten Gefangenen hinter das Gebäude. Dort setzte Big Old Shane verabredungsgemäß einen jener Feuerwerkskörper in Brand, die sie aus China mitgebracht hatten. Er steckte das Ding auf einen Pfeil und schoß ihn mit seinem Bogen hoch in die Luft.

Die Mädchen schrien auf, für sie konnte das kleine Feuerwerk, das sich hoch oben entfaltete, nur Teufelsspuk sein. Selbst Felipe schlug tief beeindruckt ein Kreuzzeichen.

 

„Das war nur ein Signal für unsere Kameraden auf dem Schiff“, erklärte Ben Brighton beruhigend. „Sie wissen jetzt, daß hier alles gutgegangen ist.“

Der kleine Trupp setzte sich mitsamt seiner weiblichen Begleitung in Bewegung, um durch den Buschwald zu jener Stelle zurückzukehren, an der man an Land gegangen war. Sobald die Schebecke dort auftauchte, würde man an Bord gehen und – so war es jedenfalls geplant – den vor Angst schlotternden Manuel laufenlassen.

Kaum waren sie in das üppige Grün eingetaucht, begann in der Bucht abermals das Donnern der Culverinen.

„Das ist das Abschiedsgeschenk“, sagte Ferris lakonisch. Und er hatte recht damit, denn es war unverkennbar eine Breitseite gewesen, die auf der Schebecke abgefeuert worden war.

Was niemand erwartet hatte, geschah: Eine fürchterliche Explosion ließ urplötzlich schwarze Wolken über der Bucht aufsteigen, die an das Aussehen eines riesigen Pilzes erinnerten.

„Sie müssen die Pulverkammer getroffen haben“, sagte Ben Brighton. „Da wird von der ‚São Pedro‘ nicht mehr viel übriggeblieben sein …“

ENDE

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