Seewölfe Paket 30

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Sie hatten ihre Chance verpaßt, eine einmalige Chance vielleicht, denn es wäre den Dons wahrhaftig nicht schwergefallen, den Seewolf und seine Mannschaft zu fangen.

Als sie den Hafen verlassen hatten, begann bei den Arwenacks erst einmal das große Grinsen.

3.

Hasard kehrte in Gedanken noch einmal zu den Ereignissen der zurückliegenden Tage zurück.

Alles hatte so harmlos mit dem Proviantboot begonnen. Dort hatte jemand Don Juan de Alcazar erkannt und diese Neuigkeit sofort dem Generalkapitän überbracht, um sich die zehntausend Reales Kopfgeld zu verdienen.

Die Spanier hatten unglaublich schnell reagiert. Für sie war die Gelegenheit äußerst günstig gewesen, weil sie über viele Schiffe in diesem Seegebiet verfügten.

Eine Falle war aufgebaut worden – und in die waren die Arwenacks auch prompt und ahnungslos hineingelaufen.

Die Spanier hatten Don Juan erkannt und verhaftet. Sie würden ihn aburteilen und durch die Garotte hinrichten – wie es der ehrenwerte Don Miguel gehässig angekündigt hatte.

Ein Witz ist das, überlegte Hasard. Ausgerechnet Don Juan mußten sie schnappen. Dabei hatte er selbst fest damit gerechnet, daß sie es nur auf ihn abgesehen hatten. Mitten in der Höhle des Löwen waren sie unerkannt geblieben.

Für Don Miguel wäre der Fang des Seewolfes die Krönung seiner Laufbahn gewesen. Aber als Entschädigung hat er ja Don Alonso kennengelernt, dachte Hasard belustigt.

Er dachte an Don Juan und daran, wie es weitergehen sollte. Ein Plan zur Befreiung stand noch nicht fest, der mußte erst noch geboren werden.

Old Donegal stand neben ihm und verbreitete eine Weinfahne um sich, die man glatt als Fahnenflucht bezeichnen konnte. Der Alte blickte immer noch kichernd und händereibend zum Hafen zurück, wo die Kriegsgaleonen der Spanier langsam kleiner wurden.

„Vielleicht könntest du mir jetzt mal einen kleinen Überblick geben“, sagte Hasard. „Habt ihr etwas Wichtiges besprochen, du und dieser Don Miguel, oder nur herumsalbadert?“

In den Augen Old O’Flynns stand der Schalk.

„Ein bißchen gelabert haben wir auch“, gab er zu, „aber mitunter ging es doch sehr ernst zu. Es drehte sich natürlich alles um Juan.“

„Das kann ich mir denken. Du hast Don Miguel ja ganz schön belatschert, wie man so sagt.“

„Ja, er hat mir fast aus der Hand gefressen. Er kam gar nicht darüber hinweg, mit dem Sohn des Herzogs von Alba einen kleinen Plausch abhalten zu dürfen. Das hat ihn mächtig in seiner Ehre aufgemöbelt. Don Miguel ist ein Kerl, der zwar einen hohen Posten bekleidet, aber in die adligen Kreise leider nicht so recht vordringen kann, obwohl er ebenfalls zu diesen Stieseln gehört. Er möchte Eindruck schinden, mit aller Gewalt.“

„Den Eindruck erweckte er auch. Erzähle weiter.“

„Er bat mich ganz ernsthaft um Rat, Juan betreffend. Ich konnte ihm ja Madrid und Sevilla zum Glück ausreden.“

„Ja, das hast du hervorragend bewerkstelligt“, sagte der Seewolf anerkennend. „Er ist darauf hereingefallen.“

„Der Zweck war damit erfüllt. Wenn sie Juan nach Madrid bringen, haben wir nicht die geringste Aussicht, helfend eingreifen zu können.“

„Sehr richtig, Donegal.“

„Bringen Sie ihn nach Sevilla, dürfte es ebenfalls sehr schwierig für uns werden.“

„Auch goldrichtig“, sagte Hasard.

Mittlerweile hatten sich etliche Arwenacks um den Alten geschart und hörten interessiert zu. Es herrschte zwar immer noch Betroffenheit unter ihnen, weil das Schicksal Don Juans völlig ungewiß war. Aber so langsam begann sich ein spürbarer Optimismus auszubreiten. Andererseits waren die Arwenacks darüber belustigt, daß sie den Spaniern eins ausgewischt hatten.

„Bleibt also Cádiz“, meinte Old Donegal trocken. „Da kennen wir uns einigermaßen aus und können uns umhören. In Cádiz befindet sich auch die alte Hafenfestung, die gleich neben einem uralten Kloster liegt.“

„Du glaubst, man wird Juan dorthin bringen?“ fragte Hasard gespannt.

„Ich glaube es nicht, ich weiß es mit Sicherheit. Jedenfalls wird der ehrenwerte Don Miguel genau das veranlassen. Das hat er mir versprochen, weil ich mächtig auf die Pauke gehauen habe. Natürlich werde ich auch bei Hofe vorstellig und eine Audienz bei Seiner Allerkatholischsten Majestät haben.“

Ein paar Kerle begannen wieder breit zu grinsen, als sie sich Old Donegal bei Hofe vorstellten.

„Du bist ja direkt ein Genie“, sagte Hasard lachend. „Sicher hast du den armen Juan in allen Tonlagen verflucht.“

„Mußte ich doch, um glaubwürdig zu wirken, sonst hätte der Kerl mir das nie abgenommen. Ich habe den ganz großen Patrioten rausgehängt und allen Verrätern den Tod angedroht.“

„Wie bringen sie ihn denn nach Cádiz?“ fragte Hasard. „Auf einem ihrer Schiffe?“

„Oder segelt etwa die ganze Armada nach Cádiz?“ fragte Ben dazwischen.

„Die Schiffe bleiben in Gibraltar, bis auf die ‚Virginidad‘. Die läuft aber erst in einer Woche aus. Juan wird in einer bewachten Kutsche und großer Bedeckung nach Cádiz gebracht. Der Erste Offizier von Don Miguel reist mit, um das Hohe Gericht aufzuklären. Er ist mit etlichen Vollmachten ausgestattet.“

„Interessant.“ Hasard hatte eine steile Falte auf der Nasenwurzel.

„Hast du auch erfahren können, wann die Kutsche abgeht? Dann könnten wir vielleicht sogar auf dem Landweg noch etwas unternehmen.“

Old Donegal hustete unterdrückt. Die Arwenacks wurden von einer lieblichen Duftwolke eingenebelt. Der Wein lag spürbar in der Luft.

„Nein, das wußte der Señor selbst noch nicht. Erst soll Juan an Bord noch einmal verhört werden.“

„Ist denn ganz sicher, daß er mit der Kutsche nach Cádiz gebracht wird?“

„Das ist absolut sicher.“

„Auf dem Landweg läßt sich nichts unternehmen“, sagte Dan O’Flynn entschieden. „Wir werden alles tun, um Juan zu befreien, aber dabei müssen wir umsichtig vorgehen und nichts übereilen. Der Landweg ist zu unsicher, zumal wir nicht wissen, von wo aus und wann die Kutsche losfährt. Das Schiff irgendwo zu verstecken, ist ebenfalls ein Problem, denn die Schebecke fällt meilenweit auf.“

„Da gebe ich dir völlig recht, Dan“, sagte Hasard. „Wir werden einmal ausrechnen, wie weit es von Gibraltar nach Cádiz ist.“

„Auf dem Landweg werden es etwa sechzig oder siebzig Meilen sein“, erwiderte Dan, „mehr ganz sicher nicht. Der Seeweg ist dagegen beträchtlich länger und zeitraubender. Wir müssen die Südspitze Spaniens runden und haben die Strömung gegen uns. Haben wir im Atlantik später keinen günstigen Wind, dann ist die Kutsche wesentlich früher da als wir.“

„Sagen wir mal, siebzig Meilen über Land“, überschlug Hasard. „Das ist in drei Tagen ohne weiteres zu schaffen. Aber rechnen wir großzügigerweise ruhig vier Tage. Wir selbst schaffen es in vier Tagen nicht, wir brauchen vielleicht eine Woche, wenn der Wind ungünstig steht. Hoffentlich ist es dann nicht schon zu spät.“

Old O’Flynn schüttelte den Kopf.

„So schnell geht das bei den Dons nicht“, sagte er, „wenn auch Don Miguel einen erstaunlichen Eifer an den Tag legt. Zuerst muß Juan vor ein Untersuchungsgericht, und selbst das wird ein paar Tage dauern, die er vermutlich in der Hafenfestung verbringt. Dann wird er vor ein Tribunal oder Militärgericht gestellt, und auch das dauert wiederum ein paar Tage. Bis dahin sind wir längst da.“

Old O’Flynn stellte sich das wesentlich einfacher vor als Hasard, der noch eine Menge Schwierigkeiten sah.

„Mit der Schebecke können wir uns nicht einmal bis in die Nähe von Cádiz wagen“, sagte er sachlich. „Das hat Dan schon angeschnitten. Cádiz ist ein scharf bewachter Handels- und Kriegshafen, in den wir sofort unangenehm auffallen würden.“

Dan O’Flynn hatte bereits eine Seekarte ausgebreitet. Was die Navigation betraf, da war er ebenso unschlagbar wie mit seinen scharfen Adleraugen.

„Wir könnten nach Rota segeln“, schlug er vor. „Außerhalb des Ortes gibt es zwei kleinere Buchten, wo wir die Schebecke verstecken könnten.“

„Das ist zu dicht in der Nähe von Cádiz“, entgegnete der Seewolf. „Von dort aus kann man nach Cádiz hinüberblicken. Wenn dort spanische Patrouillenboote aufkreuzen, kriegen wir Ärger. Besser wäre, wir blieben mit dem Schiff auf See und steuern die Küste mit unserer Jolle an.“

„Hast du schon einen Plan, Sir?“

„Einen ganz vagen, er ist noch nicht ausgereift. Aber uns bleiben ja noch ein paar Tage Zeit.“

„An wie viele Männer hast du bei dem Unternehmen gedacht?“ wollte Ben Brighton wissen. „Wir können dort schlecht, mit der ganzen Mannschaft erscheinen.“

Hasard lächelte und zog die Schultern hoch.

„Zwanzig oder mehr Männer haben gegen die zahlreichen Dons nichts in der Hand, keine Chance. Mit nackter Gewalt ist das Problem nicht zu lösen, auch nicht mit Blankwaffen oder Geschützen. Ich habe an zwei Mann gedacht“, sagte er zur Verblüffung der anderen.

„Zwei Mann?“ fragte Old Donegal, „ist das nicht entsetzlich wenig?“

„Du sagtest vorhin etwas von einem uralten Kloster. Liegt das direkt an der Festung?“

„Gleich daneben.“

„Mönche haben oft Zutritt zu den Gefangenen oder zu jenen, die zum Tode verurteilt sind. Es ist bei den Dons Brauch, daß die Todeskandidaten vor ihrer Hinrichtung eine Beichte ablegen. Das verwehrt man aus Glaubensgründen selbst dem ärgsten Feind nicht.“

„Stimmt“, erwiderte Old Donegal verblüfft. Seine Fahne duftete immer noch meilenweit. „Aber, was willst du damit sagen?“

„Gibst du eine Runde von dem köstlichen Wein aus, Donegal?“ fragte der Seewolf.

 

„Sicher“, murmelte der Alte verblüfft. „Ich dachte nur, er sei euch zu süß.“

„Ach was“, meinte der Profos, „süß oder nicht. Wir haben jedenfalls etliche schwerwiegende Gründe, einen zu lenzen. Außerdem stinkt deine Fahne meilenweit bis in den Atlantik. Wenn wir aber auch einen schlucken, dann fällt das nicht so auf. Das ist wie bei Knoblauch – alle oder keiner.“

Das war natürlich ein guter Grund. Edwin Carberry war um solche Begründungen noch nie verlegen, und so ging er auch gleich mit Feuereifer daran, eine der Kisten aufzuhebeln. Wann kriegte man schon so ein edles, adliges Tröpfchen, was, wie?

„Am besten schluckt jeder gleich eine Buddel“, schlug der Profos vor. „Dann besteht auch keine Gefahr der Ansteckung, wenn jeder aus seiner eigenen Buddel, gluckert.“

„Von wegen!“ zeterte Old O’Flynn los. „Das Zeug wird nicht gesoffen, sondern genossen. Das trinken wir aus unseren besten Humpen, die wir an Bord haben. Und von wegen Ansteckung, mein Lieber! Das ist nur wieder eine faule Ausrede. Schließlich haben wir nicht die Pest an Bord.“

So wurden also die besten Humpen und Gläser geholt. Der dunkelrote Wein roch schwer und süßlich. Es war allerbeste Qualität, wie sie nur den ganz hohen Chargen vorbehalten war.

Dann wurde einer gelenzt, und gleich noch einer auf das Wohl des ehrenwerten Don Alonso Alvarez de Toledo, den durchlauchten Sohn des Herzogs von Alba, der sich sicherlich im Grab umgedreht hätte, würde er von Old O’Flynns Auftritt gewußt haben.

„Wir werden also List und Tücke anwenden und auf unseren reichen Erfahrungsschatz zurückgreifen“, sagte Hasard zwischen zwei kleinen Schlucken. „Die Einzelheiten besprechen wir noch, und zwar ausführlich. Es muß alles gut vorbereitet werden. Wir können nicht die Festung in Cádiz stürmen, Don Juan heraushauen und davonsegeln. Das wäre zu einfach.“

„Dann wird dich also nur ein Mann begleiten“, sagte Dan nachdenklich. „Denn daß du dabeisein wirst, steht wohl außer Frage.“

Hasard setzte den Humpen vorsichtig ab. Er nickte flüchtig.

„Ja, zwei Mann, der Kutscher und ich“, erwiderte er zur Verblüffung der anderen.

Der Profos hatte schon einen leuchtenden Blick drauf, doch der erlosch recht schnell.

„Der Kutscher?“ fragte er langgezogen. „Ich dachte da an mich.“

„Nimm es mir nicht übel, Ed, aber der Kutscher ist nun mal der geeignetere Mann, ohne deine Leistungen zu schmälern. Du gibst keinen überzeugenden Padre oder Mönch ab. Der Kutscher hat noch einen weiteren Vorteil: Er spricht ein sehr gepflegtes Spanisch und beherrscht außerdem Latein, was uns sehr helfen wird.“

„Hm, das sehe ich ein“, murmelte der Profos, ohne beleidigt zu sein. Er zog auch keinen Flunsch, wie das sonst üblich war, denn hier ging es um ein Menschenleben, um einen guten Freund, der jetzt nicht mehr unter ihnen Weilte, und dem neben einer grausamen Folter auch noch der sichere Tod bevorstand.

„Und wie soll das vor sich gehen?“ fragte Dan begierig.

„Ich weiß es noch nicht genau. Zunächst werden der Kutscher und ich als Fischer getarnt nach Cádiz gehen, damit wir nicht auffallen. Fischer gibt es sehr viele, und das erforderliche Rüstzeug werden wir uns schon besorgen. Was weiter geschieht, muß zunächst einmal die Lage der Dinge ergeben, das hängt von den besonderen Umständen ab.“

An Steuerbord wurden die Kalkfelsen jetzt flacher.

Hasards Blick war nachdenklich auf das vorüberziehende Land gerichtet. Die Schebecke kämpfte gegen die Strömung des Atlantiks an, die kraftvoll ins Mittelmeer drückte.

Von den Magoten war keiner zu sehen, die sonst immer zwischen den Felsen turnten. Vielleicht hielten sie Siesta wie der Schimpanse Arwenack auch, der dösend unter dem Focksegel auf der Gräting des Stauraumes hockte.

Algeciras tauchte auf, ein verschlafen wirkender Ort. Die Bahia de Algeciras wurde noch vom abfallenden Gibraltarfelsen flankiert. Der Ort erweckte den Eindruck, als hielten sämtliche Einwohner ein Nickerchen. Außer ein paar kleinen Fischerbooten gab es in der Bucht nichts zu sehen.

Nur sehr langsam versank der Dschebel Al Tarik achteraus, und immer noch kämpften sie gegen die stärker werdende Oberflächenströmung an. Mitunter entstand der Eindruck, sie bewegten sich nicht vom Fleck.

Achteraus war alles „sauber“. Kein spanisches Schiff zeigte sich, niemand folgte ihnen.

Bald würde der Atlantik sie aufnehmen und der „Ententeich“, wie der Profos das Mittelmeer nannte, hinter ihnen liegen.

4.

Don Juan de Alcazar hatte sich stur gezeigt und verweigerte bei dem Verhör durch den Generalkapitän jede Aussage. Das brachte den hohen Herrn sehr in Harnisch, und er drohte dem Spanier ein paar Male die Peitsche und hochnotpeinliche Folter an.

Doch auch das ließ Don Juan unbeeindruckt. Er habe ihm nichts zu sagen, ließ er Don Miguel kühl wissen.

„Dann bringen Sie diesen verräterischen Bastard augenblicklich nach Cádiz, Don Pedro, wie es besprochen wurde. Sie haften mir persönlich für die Auslieferung, und Sie erhalten von mir einige Sondervollmachten, damit es keine Verzögerungen gibt.“

Don Pedro stand stramm. Er war der Erste Offizier an Bord, ein Mann von schlanker Statur mit einem dreieckigen Bart am Kinn, buschigen schwarzen Augenbrauen und einem grimmig und kalt wirkenden Gesicht. Die dunklen Augen über einer etwas gekrümmten Nase blickten eiskalt und durchdringend.

Don Pedro war ein Mann, der mit großer Härte durchgriff. Er war auch ein fanatischer Anhänger seines Königs, und so wußte der Generalkapitän Don Juan de Alcazar bei ihm in besten Händen. Sein Erster würde sich eher vierteilen lassen, als daß einem Kerl wie de Alcazar die Flucht gelang.

In Gibraltar hatte es sich bei Behörden und Militär längst herumgesprochen, wer der Obrigkeit da in die Hände gefallen war. Entsprechend waren die Sicherheitsmaßnahmen vorbereitet worden.

Zwei Beamte der Casa de la Diputación, ernste Männer, die einen Sitz in der Provinzregierung hatten, erschienen persönlich bei Don Miguel, um mit den Augen des Gesetzes über allem zu wachen.

Don Pedro erhielt mehrere versiegelte Schreiben, die ihm überall Tür und Tor öffnen würden.

In der Frühe des nächsten Morgens wurde der Gefangene aus dem finsteren Verlies der Vorpiek geholt.

Schwarze Bartschatten standen in Don Juans Gesicht. Als er ins Helle trat, kniff er die Augen zusammen, um sie an das Sonnenlicht zu gewöhnen.

Don Pedro musterte ihn kalt und verächtlich.

„Sie werden unter scharfer Bewachung nach Madrid gebracht“, erklärte er knapp. „Alles Weitere wird dort entschieden. Sollten Sie sich zu einem Fluchtversuch entschließen, wird man lediglich Ihre Leiche oder Ihren Kopf an den spanischen Hof bringen. Das ist alles.“

Don Juan traf es wie ein Hammerschlag, als er die Worte hörte. Er hatte fest damit gerechnet, nach Cádiz überstellt zu werden, wie Don Miguel das mit Old O’Flynn besprochen hatte. Da muß etwas schiefgegangen sein, überlegte er. Hatte man den Alten und seine Rolle als spanischer Edelmann durchschaut?

Er ließ sich nichts anmerken. Ruhig und gefaßt stand er da und ließ sich weitere Ketten anlegen. Um ihn herum wimmelte es von Seesoldaten, Bewaffneten und Stadtpolizisten. Auch zwei Kerle der Casa de la Diputación waren dabei, wie er an den Uniformen sah.

Nach Madrid, überlegte er fieberhaft. Das bedeutete, daß er direkt dem Hof überstellt wurde, und das bedeutete gleichzeitig, daß die Arwenacks davon sicherlich nichts wußten. Sie würden ihn in Cádiz vermuten und warten – sehr lange warten und dabei doch nur ins Leere vorstoßen.

Was war da nur passiert?

Sie stießen ihn vorwärts, und er sah aus den Augenwinkeln noch, wie der Erste Offizier von einem der Beamten zur Seite genommen wurde. Was sie sprachen, konnte er leider nicht hören, aber es hätte ihn sehr erleichtert, wenn er es gewußt hätte.

„Es war doch vereinbart worden, daß der Mann nach Cádiz gebracht werden soll“, sagte der Beamte erstaunt. „Warum wurde das buchstäblich in letzter Minute geändert?“

Don Pedros Lippen waren so dünn wie die Seite eines Messers, sein flüchtiges Lächeln kalt wie Gletschereis. Seine Augen lachten nicht mit, es war ein bloßes Verziehen seiner Mundwinkel.

„Es ist nichts geändert worden, Señor Batista. Natürlich wird der Verräter nach Cádiz überstellt. Ich lasse ihn absichtlich im unklaren, damit er nicht weiß, wo er sich befindet. Er soll ruhig annehmen, er sei auf dem Wege nach Madrid. Bei einem unvorhergesehenen Zwischenfall dürfte ihn das sehr verwirren.“

„Ah, ich verstehe“, sagte der Mann von der Casa. „Sie wollen ihm natürlich nicht die hauchdünne Chance einer Möglichkeit geben. Sehr vernünftig, Don Pedro.“

„Nicht einem Vaterlandsverräter wie ihm“, sagte Don Pedro. „Er gehört an den Galgen, zur öffentlichen Inaugenscheinnahme. Seine Leiche soll im Wind schaukeln, und alle sollen ihn verhöhnen. Die Garotte ist zu schade für den Kerl.“

„Aber sein Tod dauert länger.“

„Es gibt Henker, die das Hängen sehr in die Länge ziehen können.“

„Bei der Garotte auch“, sagte der Mann von der Casa genüßlich. „Ich bin sicher, daß er an den richtigen Mann gerät.“

„Ich werde dazu jedenfalls tun, was ich kann.“

Davon war der Beamte der Casa überzeugt. Er grüßte knapp und ging zu der Kutsche hinüber, vor der sich ein Dutzend bewaffnete Männer aufhielten.

„Laufen müßte der Kerl“, sagte einer der Soldaten erbost. „Aber nein, die adligen Herrschaften werden gefahren oder getragen, obwohl sie dem eigenen Land den Krieg erklärt haben.“

Don Juan ließ die Bemerkungen gleichgültig über sich ergehen. Was wußten die Kerle schon von ihm und seinem Handeln? Sie hatten nicht die geringste Ahnung, um was es eigentlich ging. Seine Motive waren für sie ein Buch mit sieben Siegeln, und sie hatten es auch nie im Leben begriffen.

Der Spanier blinzelte in das helle Sonnenlicht. Er lauschte aufmerksam den Gesprächen der Offiziere, um herauszuhören, was mit den Arwenacks geschehen war. Er vernahm jedoch kein Sterbenswörtchen darüber. Niemand erwähnte die Männer von der Schebecke. Das bedrückte ihn sehr, und er sann darüber nach, was wohl passiert sein mochte. Die Arwenacks waren jedenfalls losgesegelt, das stand fest. Oder hatten seine Landsleute die Schebecke in eine andere Bucht verholt? Auch das konnte er nicht herausfinden, denn jetzt forderte ihn eine barsche Stimme zum Einsteigen auf.

Bevor er einstieg, sah er noch, daß mehr als ein Dutzend Soldaten der Kutsche Geleit gaben. Vierzehn Bewacher waren es insgesamt, außer Don Pedro und den beiden Kutschern. Sie alle waren beritten. Sechs Soldaten setzten sich vor die zweispännige Kutsche, der Rest ritt hinterher.

Don Juan stieg ein und erhielt von Don Pedro einen Tritt.

Wuterfüllt fuhr er unglaublich schnell herum. Die Arme mit den Ketten hoben sich blitzschnell. Der Erste Offizier wich erschrocken einen Schritt zurück und richtete die Pistole auf ihn.

„Schließt den Kerl an den Querholm der Kutsche“, befahl er mit bleichem Gesicht. „Der ist ja gefährlicher als tausend Nattern.“

„Tun Sie das nicht noch einmal“, sagte Juan de Alcazar drohend.

Zwei Mann schlossen ihn mit einer zusätzlichen Kette im Innern der Kutsche an. Er konnte sich nur noch sehr knapp bewegen.

Don Pedro nahm in der geräumigen Kutsche ihm gegenüber Platz. Sein Gesicht war verkniffen, seine Augen blickten tückisch.

„Losfahren!“ befahl der Erste.

Die Kutsche ruckte an. Don Pedro stand auf und zog die Vorhänge vor die Scheiben, bis im Innern Dämmerlicht herrschte. Aus seiner Position konnte Don Juan draußen nichts sehen. Don Pedro hingegen hatte einen begrenzten Ausblick.

Pferdegewieher war zu hören, ein paar Stimmen, das Klirren von Waffen. Etliche Spanier trugen Hellebarden und waren zusätzlich mit Musketen und Pistolen bewaffnet.

Die beiden Männer in der Kutsche musterten sich feindlich. Don Juan dachte an Flucht, er dachte aber auch über die Aussichtslosigkeit eines solchen Versuches nach. Er war gefesselt und unbewaffnet, und er hatte mehr als ein Dutzend berittener Kerle gegen sich, die vor Waffen nur so starrten.

Vorerst war jeder weitere Gedanke an eine Flucht zwecklos. Er lehnte sich in die Ecke zurück und war nach kurzer Zeit eingeschlafen, was Don Pedro maßlos ärgerte. Dieser Verräter schlief in aller Seelenruhe, und er selbst mußte bei der langweiligen Fahrt wach bleiben. Außerdem tat der Kerl so, als ginge ihn das alles nichts an. Der schien überhaupt keine Nerven zu haben, obwohl er genau wußte, was ihm in Kürze bevorstand.

 

Während er die Pistole auf Don Juan richtete, stieß er ihn mit dem Stiefel an.

Don Juan war sofort hellwach.

„Hier wird nicht gepennt“, knurrte Don Pedro. „Sie befinden sich nicht auf einer Spazierfahrt.“

„Das dachte ich mir fast“, sagte Don Juan, „deshalb brauche ich vermutlich keine Passage zu bezahlen.“

Er lehnte sich wieder zurück und schloß die Augen, bis das Spiel sich wiederholte und Don Pedro ihn erneut ärgerlich anstieß.

„Ich habe nur die Augen geschlossen, um Ihren Anblick nicht länger ertragen zu müssen“, sagte er ruhig.

„Das können wir recht bald ändern“, erwiderte Don Pedro tückisch. „Ich werde Sie von dem Anblick befreien.“ Er lachte kurz und stoßartig auf.

Etwas später gab er den Befehl zum Halten an den Kutscher. Der ganze Troß stoppte.

Don Pedro stieg aus.

„Nehmt ihm die Fußfesseln ab und verbindet ihm die Augen!“ befahl er einem Soldaten. „Dann schließt ihn mit einer weiteren Kette hinten an die Kutsche an. Der Kerl wird renitent und aufsässig. Das Laufen wird ihm guttun.“

Don Juan sah gerade noch, bevor sie ihn aus der Kutsche zerrten, daß sie sich auf einem staubigen ausgefahrenen Weg in einem größeren Olivenhain befanden. Dann wurde es auch schon dunkel, als sie ihm die Augen verbanden.

Don Pedro ließ seine Boshaftigkeit an dem Hilfslosen aus.

„Jetzt können Sie weiterpennen, Sie Bastard. Und vergessen Sie nicht das Laufen. Es geht jetzt lustig über Stock und Stein.“

Er hörte die Soldaten lachen. Sie freuten sich offenbar darüber, daß er ein bißchen gequält wurde.

Gleich darauf wurde die Fahrt fortgesetzt. Don Juan fühlte plötzlich einen brennenden Schmerz am Kopf. Den Knall hörte er gleichzeitig. Im ersten Augenblick glaubte er, einer der sadistischen Kerle hätte auf ihn geschossen, dann erkannte er seinen Irrtum.

Es war einer der beiden Kutscher, der anscheinend ebenfalls seine sadistische Ader entdeckt hatte oder auf Befehl Don Pedros so handelte.

Er spielte „Glückstreffer“, wie die Kerle das höhnisch nannten. Hin und wieder schlug er mit der langen Peitsche vom Kutschbock aus nach hinten. Manchmal traf er, mitunter aber knallte die Lederschnur an die Wand der Kutsche. Wenn er traf, stieß er ein meckerndes Gelächter aus, in das der andere Kerl mit einfiel.

Die Pferde liefen schneller. Don Juan wurden fast die Gelenke aus den Schultern gerissen. Er wurde von einer Seite zur anderen gezerrt, wenn die Kutsche über Unebenheiten rumpelte, und er mußte höllisch schnell laufen, um nicht hinzufallen.

Er biß die Zähne zusammen und rannte in absoluter Dunkelheit dahin. Er sah nichts, nicht einmal einen Streifen Dämmerlicht.

Nach einer Weile begann er schneller zu atmen und dann zu keuchen, weil er als Seemann das Laufen nicht gewohnt war. Schweiß perlte auf seiner Stirn und sickerte in die Augenbinde.

Dann zuckte er wieder zusammen, wenn ihn unerwartet die Peitschenschnur traf und einen Striemen auf seiner Haut hinterließ. Jedesmal war dann das Lachen zu hören.

„Seht mal unseren Laufburschen an“, hörte er die höhnischen Bemerkungen der Soldaten hinter sich. „Der rennt sogar schneller als die Gäule.“

Wieder ein Peitschenhieb, der einen roten Strich auf seiner linken Wange hinterließ.

Dann wurde die Kutsche hart nach rechts gerissen. Don Juan war darauf nicht vorbereitet, zudem sah er nichts. Der Ruck erfolgte so unerwartet und heftig, daß er strauchelte. Er fing sich noch einmal, dann hörte er die Räder wild über Steine rumpeln.

Über einen dieser Brocken stolperte er und stürzte. Genau das hatte er unbedingt vermeiden wollen, denn jetzt begann eine entsetzliche Tortur. Erbarmungslos wurde sein Körper an den Ketten mitgeschleift und geschunden. Kurzes Strauchwerk zerkratzte ihm das Gesicht, Steine und Dreck rissen seine Haut auf. Unzählige Schrammen trug er innerhalb kürzester Zeit davon.

Ein paar Minuten wurde er mitgeschleift und schrammte hart über den Boden. Dann hielt die Kutsche.

Don Juan konnte sich nur sehr mühsam aufrichten. Er hatte das Gefühl, als sei jeder einzelne Knochen in seinem Leib gebrochen.

Einer der Kerle nahm ihm die Augenbinde ab. Er blickte in Don Pedros kalte Fischaugen.

„Ein beschwerlicher Weg nach Madrid“, sagte er höhnisch. „Aber dort wird man Sie schon wieder aufpäppeln. Schließlich sollen nur gesunde Männer dem Henker überstellt werden.“

Don Juan hörte die Worte wie aus weiter Ferne. Sein Körper brannte und schmerzte höllisch. Von der Stirn sickerte ihm ein dünner Blutfaden in die Augen.

Aus halbzusammengekniffenen Augen blickte er in den Himmel. Dann mußte er wieder in die Kutsche steigen und wurde angekettet.

Don Juan lächelte sehr zum Ärger des Offiziers, denn er hatte etwas entdeckt, als man ihm für einen Augenblick die Augenbinde abgenommen hatte. Ganz sicher war das Don Pedro entgangen.

Don Juan hatte sich in diesem winzigen Augenblick sehr schnell orientiert. Einen derart scharfen Blick hatte er erst bei den Seewölfen entwickelt. Früher wäre ihm das nicht aufgefallen.

Die Sonne stand noch fast im Osten. Die Kutsche aber bewegte sich genau in westnordwestlicher Richtung. Hätte sie Kurs auf Madrid genommen, so folgerte Don Juan logisch weiter, dann müßte sie sich in nordnordwestlicher, fast nördlicher Richtung, bewegen. Das war aber nicht der Fall, wie er eindeutig erkannt hatte.

Er grinste noch mehr. In westnordwestlicher Richtung lag einwandfrei Cádiz, aber nicht die Hauptstadt des Landes.

Man hatte ihm also bewußt etwas Falsches mitgeteilt – und offenbar nur aus dem Grund, ihn zu verwirren.

„Ihr überhebliches Grinsen wird Ihnen noch vergehen!“ brüllte Don Pedro, den die Ruhe und Gelassenheit mächtig aufregte. Er hätte Don Juan lieber winselnd auf den Knien vor sich gesehen. Aber der Kerl war unbeugsam und unglaublich hart.

„Ich wüßte nicht, daß das Grinsen in unserem Land auch noch verboten ist“, sagte er. „Oder wird man deshalb vor das Inquisitionsgericht gestellt?“

Am Nachmittag stoppte die Kutsche erneut. Sie hielt vor einer armselig aussehenden Herberge. Den Soldaten und Bewachern wurde Verpflegung, Wasser und Wein gebracht.

Für Don Juan gab es auch Wasser – eine kleine Muck voll. Einer der Soldaten brachte es ihm. Als Don Juan danach greifen wollte, zog der Soldat die Hand zurück und goß ihm das Wasser ins Gesicht.

„Kühlt doch schön, was?“ fragte er grinsend.

„Du erbärmliche Ratte“, sagte Don Juan. „Du fühlst dich offenbar als ganz großer Held.“

Sie brachten ihm nichts zu essen. Erst am späten Abend erhielt er einen Kanten Brot und einen Schluck Wasser.

Er mußte die Nacht in der Kutsche verbringen, während die meisten Bewacher und Don Pedro in einer Finca übernachteten. Posten umstellten die Kutsche, ein Feuer wurde entzündet. An Flucht war überhaupt nicht zu denken.