Seewölfe Paket 30

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Hasard und seine Männer grinsten.

„Wir warten noch ein bißchen“, sagte der Seewolf. Er schien die Ruhe in Person zu sein. Seine innerliche Anspannung war ihm nicht anzumerken.

„Drauf!“ schrie Olivaro. „Entern! Schießt sie nieder, die Hunde, stecht sie ab! Ich will ihre Köpfe!“ Er begriff nicht, warum die „Bastarde“ von der Schebecke nicht zurückfeuerten. Hatten sie etwa keine Munition?

Die Karavelle und die drei Schaluppen nahmen direkten Kurs auf die Schebecke. Sie versuchten, das Schiff der Seewölfe einzukreisen. Eine der Schaluppen ging platt vor den Wind und schoß wie ein Pfeil auf die Schebecke zu.

„Ich glaube, es wird Zeit, daß wir zurückschlagen“, sagte der Seewolf. „Was meint ihr, Freunde?“

„Von mir aus kann’s losgehen“, antwortete der Profos. Er rieb sich die Hände, daß die Knochen knackten.

„Alles bereit“, meldete auch Ferris Tucker, der liebevoll mit seinen Höllenflaschen hantierte.

„Brand- und Pulverpfeile klar!“ rief Big Old Shane, der mit Batuti auf dem Vordeck Posten bezogen hatte. Bei dem herrschenden Seegang konnten sie nicht – wie sie es sonst bei Gefechten taten – in den Groß- und Vormars aufentern.

„Feuer!“ rief der Seewolf.

Im Nu verwandelte sich die Schebecke in eine feuerspuckende Festung. Der Angriff erfolgte jäh und überraschend für die Piraten. Die 17-Pfünder dröhnten und spuckten, die Flaschenbomben wirbelten durch die Luft, und brennende Pfeile, von Batuti und Shane abgeschossen, huschten zu der Karavelle und den drei Schaluppen.

7.

In dieser Phase des entbrennenden Gefechts begriff Olivaro etwas von dem, was Guzman ihm kurz zuvor hatte auseinandersetzen wollen. Diese Fremden an Bord der dreimastigen Schebecke – das waren nicht irgendwelche hergelaufene Kerle vom Kaliber gewöhnlicher Schnapphähne.

Nein, die waren aus einem anderen Holz geschnitzt. Jetzt ging dem Bandenführer auch auf, warum Guzman mit seinen Kerlen gescheitert war, als er danach getrachtet hatte, den Hunden eine Falle zu stellen.

Aus dieser Einsicht rührte die Erkenntnis Olivaros, daß man den Kampf vielleicht doch etwas anders hätte beginnen sollen. Doch es war zu spät, noch Korrekturen an der festgelegten Taktik vornehmen zu können.

Die Gegner brachten ihre Waffen zum Einsatz und zogen sämtliche Register. An Bord der Schebecke krachte, dröhnte und donnerte es, und Feuer und Rauch, Eisen und Glas flogen und wirbelten nach allen Seiten.

Die Auswirkungen dieser explosionsartigen Entwicklung spürten als erste die Piraten an Bord jener Schaluppe, die sich dem Dreimaster am dichtesten genähert hatte. Die Piraten waren grimmig entschlossen, bei der Schebecke längsseits zu gehen, zu entern und somit ihrem Anführer zu zeigen, was in ihnen steckte.

Sie feuerten die Drehbassen ab. Dann griffen sie zu den Musketen, um Einzelschüsse auf die Gestalten abzugeben, die sie am Schanzkleid der Schebecke deutlich genug sehen konnten.

Doch es blieb bei dem Versuch. Eine Drehbassenkugel der Schaluppe hackte zwar ins Schanzkleid der Schebecke. Doch keiner der Arwenacks wurde verletzt. Sie warfen sich rechtzeitig in Deckung. Holz splitterte und wirbelte nach den Seiten weg, aber auch die Splitter trafen glücklicherweise keinen der Männer.

Eine der 17-Pfünder-Kugeln in dessen, in diesem Moment von den Arwenacks abgefeuert, schlug voll in die Schaluppe. Sie traf den Bug, und plötzlich waren der Bug und die dort in einer Gabellafette montierte Drehbasse wie weggewischt. Die Schaluppe torkelte herum, als sei der Rudergänger betrunken.

Sie hob das Heck aus den Fluten und ging auf Tiefe. Zwei Pfeile und eine Höllenflasche prasselten noch auf den Einmaster ein. Heulend und um Hilfe schreiend kippten die Galgenstricke ins Wasser. Die Flaschenbombe explodierte und riß auch noch das Heck der Schaluppe auseinander.

Olivaro hatte vom Achterdeck seiner Karavelle aus alles genau beobachtet. Er preßte die Lippen zusammen. Sie waren ein blutleerer Strich. Nicht einen einzigen Fluch stieß er aus, so betroffen war er. Nie zuvor hatte er Männer mit solcher Vehemenz kämpfen sehen.

Guzman wagte nicht, auch nur eine Bemerkung von sich zu geben. Ebenso die Kerle auf dem Hauptdeck. Sie schwiegen – und bereiteten sich darauf vor, den Gegner massiv zu packen. Hastig wurden die leergeschossenen Kanonenrohre nachgeladen.

Die einzige Chance der Piraten schien darin zu liegen, die „fremden Hundesöhne“ in einem gemeinsamen Ansturm zu erledigen. Wenn Olivaro es sich recht überlegte, dann hatten sich die Kerle von der ersten Schaluppe sogar ausgesprochen dumm verhalten.

Sie hatten durch Heldenmut glänzen wollen. Aber sie waren gescheitert. Einzelunternehmen hatten keinen Sinn, das hatte schon Guzmans Niederlage in den Hügeln der Insel bewiesen.

So rückten die Karavelle und die beiden Schaluppen auf die Schebecke zu. Olivaro wollte sich den Gegner von Backbord achtern greifen. Wenn es gelang, im Kugelhagel Bord an Bord an die Schebecke heranzugleiten, war der Rest ein Kinderspiel. Flogen erst die Enterhaken, dann war das Schicksal der Fremden besiegelt. Olivaro war sicher: Er und seine Kerle waren im Nahkampf nicht zu schlagen.

„Achtung!“ brüllte Guzman plötzlich. „Brandpfeile!“

Die Pfeile stiegen von der Schebecke auf. Die Piraten konnten verfolgen, wie sie zum Himmel huschten, dann abkippten und sich auf die Schiffe senkten. Ausweichen konnten sie nicht. Jedes Manöver wäre zu langsam und zu schwerfällig ausgefallen.

„Deckung!“ brüllte Olivaro.

Die Pfeile hagelten auf die Decks und in die Takelung der drei Piratensegler. Plötzlich leckten Flammen aus den Segeln der Karavelle. Damit nicht genug. Einige Pfeile, die besonders dicke Schäfte aufwiesen, bohrten sich mit hartem Pochen in die Planken – und dann flogen sie krachend auseinander.

Fassungslos mußte Olivaro verfolgen, wie seine Kerle schreiend und fluchend von den Geschützen wegsprangen. Einige hielten sich die Gesichter oder die Leiber und krümmten sich auf den Planken.

Was war das? Welcher Art von Spuk bedienten sich die fremden Hunde?

„Sie sind Hexer!“ heulte einer der Kerle. „Sie stehen mit dem Teufel im Bund!“

„Maul halten!“ brüllte Olivaro zurück. „Feuer! Heizt ihnen ein! Schießt sie zusammen!“

Guzman begriff, daß aus dem Zusammenschießen nichts mehr werden würde. Obgleich die Karavelle und die beiden Schaluppen der Schebecke nun sehr nahe waren, hatten sie doch keine Möglichkeit, wirklich längsseits zu gehen und zu entern. Und auf Distanz ließ sich das Gefecht auch nicht mehr zugunsten der Bande entscheiden. Es war alles sinnlos. Die fremden Korsaren kehrten mit dem Eisenbesen aus – wie der Teufel persönlich.

Schon blitzte und zuckte es wieder von der Schebecke herüber. Kanonen dröhnten, Pfeile schwirrten, Flaschen taumelten durch die Luft. Olivaro sprang aufs Hauptdeck der Karavelle und trieb seine Kerle selbst zu größerer Eile an. Doch es nützte nichts. Sie konnten die Geschütze nicht schnell genug abfeuern und nachladen. Drüben, beim Feind, ging das alles rascher.

Außerdem hatte Olivaro jetzt das zusätzliche Problem, den Brand in der Takelage löschen zu müssen. Auf seine Flüche und Tritte hin sausten die Kerle in den Wanten hoch. Sie hieben mit nassen Schwabbern auf die Flammen ein oder kippten Wasser und Sand in die Feuernester. Aber da zischten wieder Pfeile heran. Heulend kippten die Piraten aus den Wanten. Einige knallten aufs Deck, andere landeten im Wasser.

„Hölle und Teufel!“ schrie Olivaro. „Ich bringe euch alle um, ihr Ratten, wenn ihr nicht kämpft!“

Guzman mußte trotz der prekären Lage unwillkürlich grinsen. Gab sich Olivaro immer noch falschen Hoffnungen hin? Hier hatte er einen Gegner gefunden, an dem er sich die Zähne ausbiß. Er konnte nur noch eins tun – kapitulieren oder die Flucht ergreifen. Vielleicht ließen die Korsaren die Bande dann in Ruhe.

Eine Höllenflasche polterte in die eine Schaluppe und platzte mit einem berstenden Krachen auseinander. Gleich darauf wirbelten noch zwei Wurfgranaten. Die eine war für die zweite Schaluppe bestimmt, die andere für die Karavelle. Gleichzeitig grollten die Kanonen. Und Pfeile flogen, als stünden drüben auf dem Vordeck des Gegners gleich ein Dutzend Männer mit Bögen bereit.

„Achtung!“ schrie Guzman.

Olivaro hörte nicht auf ihn. Er schickte sich gerade an, eins der Geschütze selbst auszurichten und zu zünden. Da flog eine Flaschenbombe auf ihn zu.

Erst im letzten Augenblick registrierte der Piratenführer das „Objekt“, wie es haarscharf an ihm vorbeihuschte und auf den Planken landete. Die Flasche rollte zum gegenüberliegenden Schanzkleid, nach Steuerbord.

„Aufheben!“ brüllte Olivaro einem seiner Kerle zu.

Der Kerl war so dumm, es zu tun. Er nahm die Flasche auf und traf Anstalten, sie außenbords zu schleudern – da explodierte sie. In das Krachen der Detonation mischte sich das schrille Schreien des Kerls.

Ein Kanonenschuß des Gegners bereitete der zweiten Schaluppe das Ende. Die erste war durch die Höllenflasche so schwer leckgeschlagen, daß sie sank. Die Kerle sprangen ins Wasser und schwammen zur Karavelle. Dort kämpften Olivaro, Guzman und die letzten Kerle auf verlorenem Posten. Über ihnen loderten die Segel. Flammennester fielen auf die Decks und entfachten auch die Planken.

Guzman stolperte vom Achterdeck auf die Kuhl.

„Olivaro!“ schrie er. „Wir sind verloren!“

„Halt dein Maul!“ fuhr ihn Olivaro an.

„Gib auf!“

„Niemals!“

„Es hat keinen Zweck mehr!“ Guzman stürzte sich auf seinen Anführer und versuchte, ihn zu Boden zu reißen. Er wollte verhindern, daß auch die letzten Kerle in diesem aussichtslosen Gefecht über die Klinge sprangen.

 

Olivaro schüttelte Guzman ab und fuhr zu ihm herum.

„Du Hund!“ heulte er. „Meuterer!“ Dann hatte er seinen Säbel in der Hand und schlug zu.

Guzman sank getroffen zusammen und rutschte langsam über die Planken des stampfenden und schlingernden Schiffes. Er konnte sich nirgends festhalten. Seine Hände waren kraftlos.

Auch du wirst dran glauben müssen, Olivaro, dachte er noch. Es war die letzte Überlegung, die seinen Geist beschäftigte. Dann starb er.

Im Schlupfwinkel der Piraten war der Feuerschein, der von der Stätte des Gefechts hochzuckte, deutlich zu erkennen. Selbstverständlich konnten die Kerle auch die dunklen Wolken Pulverqualm sehen, die vom Wind fortgetragen wurden.

Corvo grinste triumphierend und rieb sich die Hände. „Da seht ihr’s mal wieder. Olivaro ist manchmal unausstehlich. Aber wenn’s ans Kämpfen geht, versteht er sein Geschäft.“

Die drei anderen Wächter, die neben Corvo im Zentrum des Dorfplatzes standen, schienen ihrer Sache nicht ganz so sicher zu sein.

„Es könnte auch umgekehrt sein“, meinte einer von ihnen im Grollen der Kanonen und dem Schreien der Sterbenden und Verletzten. „Daß nämlich unsere Leute die Jacke vollkriegen.“

Corvo spuckte aus und schnitt eine Grimasse. „Das glaubst du doch selber nicht. Vier Schiffe gegen eins – da weiß ich schon vorher, wer der Sieger ist. Das ist ein Zuckerlecken für Olivaro.“

„Klar“, sagte ein dritter Schnapphahn, aber ganz überzeugt klang auch seine Stimme nicht.

„Ich bin mal gespannt, was die Schebecke geladen hat“, sagte Corvo. „Wir erfahren es ja gleich.“

„Übrigens“, bemerkte der vierte Wächter. „Wir wissen immer noch nicht, warum Olivaro den englischen Kapitän und das Frauenzimmer am Leben gelassen hat.“

Corvo wandte ihm das Gesicht zu. „Da hast du recht. Aber wollen wir wetten, daß wir es gleich herauskriegen? Die Gelegenheit ist jetzt günstig.“

„Olivaro hat dich gewarnt“, entgegnete sein Nebenmann. „Du sollst das Mädchen nicht anrühren.“

Corvo kicherte. „Wer spricht denn von Anrühren? Oh, ich werde sie nicht mal schief anschauen, verlaß dich drauf.“ Er stieß den Kerl an. „Los, komm mit. Wir unterhalten uns ein wenig mit den beiden Engländer-Bastarden.“

„Und wir?“ fragte der dritte Kerl. Sein Kumpan schaute finster drein. Er wäre auch gern mitgegangen zu den Engländer-Bastarden.

„Ihr bleibt hier und haltet Augen und Ohren auf“, sagte Corvo. „Wir sind gleich wieder zurück. Und das Lager darf nicht unbewacht bleiben.“

„Die Fischer haben die Hosen voll“, widersprach der vierte Pirat. „Bei dem Gefechtslärm trauen die sich nicht, sich in ihr Dorf zu schleichen.“

„Das kann man nie wissen“, sagte Corvo mit einem Gesichtsausdruck, der darauf schließen ließ, daß er sich für einen überaus intelligenten Menschen und alle anderen für Schwachköpfe hielt.

Corvo und der zweite Pirat schritten zu der Hütte, in der Burl Ives und Farah Acton gefangengehalten wurden. Lauernd blickten sie sich nach allen Seiten um. Auf See tobte weiterhin das Gefecht. Hier, im Dorf, war alles ruhig und friedlich.

Corvo öffnete die Tür der Hütte und streckte seinen Kopf etwas vor. Er mußte an die Bemerkungen denken, die Guzman nach dem Überfall auf die Engländer-Karavelle von sich gegeben hatte. Es mußte schon was dran sein. Olivaro verheimlichte seiner Bande etwas. Vielleicht hatte der Kapitän Geld. Oder das Mädchen. Sie wollte sich freikaufen.

Ja, das mußte es sein. Und wenn sie das Geld nicht bei sich hatte, dann verwahrte sie es in ihrer Heimat. Und Olivaro, dieser dreimal verfluchte Hundesohn, hatte vor, mit den Geiseln nach England zu segeln und sich das Geld zu holen.

„Mann, ist das hier dunkel“, sagte der Kerl hinter Corvos Rücken.

„Warte, ich zünde ’ne Lampe an“, brummte Corvo. Er trat ein und pirschte durch den Raum. Fast stieß er sich die Hüfte am Tisch. Er fluchte und griff nach der Öllampe.

Plötzlich war ein Schatten hinter Corvo, aber es war nicht sein Cumpan. Corvo spürte die Gefahr mehr, als er sie sah, und er griff zur Waffe. Doch der Angreifer war schneller. Er stach mit einem Messer zu. Gleichzeitig preßte er Corvo eine Hand gegen den Mund.

Corvo sank zu Boden. Er wollte noch schreien, aber kein Laut drang aus seinem Mund. Ein glühendheißes Feuer fraß ihn von innen auf, Corvo krümmte sich auf den Bohlen und sah, hörte, fühlte, roch, schmeckte nichts mehr.

„Was is’n los?“ murmelte Corvos Kumpan. Er verharrte im Türspalt, kniff die Augen zusammen und versuchte, etwas zu erkennen. Da, neben dem Tisch, war das nicht Corvo?

Der Mann, den der Pirat schwach erkannte, war Domingo Calafuria. Er hatte Corvo niedergestochen, und jetzt ahmte er dessen Stimme nach.

„Ach, ich habe mich bloß gestoßen“, brummelte er. „Komm her.“

Der Pirat fiel auf den Trick herein und näherte sich dem Tisch.

„Wo ist denn die Lampe?“ fragte er.

Es war die letzte Frage, die er in seinem Leben stellte, denn in diesem Augenblick war Rodrigo hinter ihm – Rodrigo, der hinter der Tür gelauert hatte.

Ein schwerer Hieb traf den Schnapphahn im Nacken. Er krachte auf die Knie und stöhnte. Aber er hatte noch die Energie, das Entermesser zu zücken und zu Rodrigo herumzufahren. Rodrigo war auf der Hut. Er warf sein Messer – und auch dieser Feind war außer Gefecht gesetzt.

Vater und Sohn Calafuria schüttelten sich rasch die Hände.

„Gratuliere“, flüsterte Domingo. „Das hast du gut hingekriegt. Sag jetzt den anderen Bescheid, und wir führen Teil zwei unseres Planes aus.“

„Sofort.“

Von unten, aus dem Keller, in dem die Familie Calafuria selbst gefangen gewesen war, ertönte eine Männerstimme. Burl Ives hatte sich entschlossen, den Geräuschen auf den Grund zu gehen, die oben erklungen waren. Alles hatte sich ganz nach einem Kampf angehört.

„Wer ist da?“ fragte er.

Farah klammerte sich an seinem Arm fest. Sie hatte gräßliche Angst, und es gelang ihr nicht, das Zittern in ihren Knien zu bezwingen.

Domingo stieß seinen Sohn mit dem Ellenbogen an.

„Das sind die beiden Gefangenen“, raunte er. „Verstehst du, was der Mann sagt?“

„Kein Wort.“

Sie öffneten die Luke so leise, wie es möglich war, und Domingo flüsterte: „Versteht ihr Spanisch?“

„Ein bißchen“, entgegnete Burl Ives.

„Wir sind Freunde“, erklärte Domingo mit gedämpfter Stimme. „Wir haben soeben zwei Piraten außer Gefecht gesetzt. Wir wollen euch befreien.“

„Das kann nicht wahr sein“, sagte der Kapitän.

Er übersetzte Farah, was der Spanier gesagt hatte, und sie sank überglücklich in seine Arme.

Kurz darauf standen die beiden neben ihren Rettern. Rodrigo war unterdessen ins Freie gehuscht und hatte die anderen Fischer verständigt. Einer nach dem anderen betraten sie die Hütte, allen voran Hernán Zorba. Wie Verschwörer schüttelten sie Ives und dem Mädchen die Hände.

„Es sind noch zwei Piraten auszuschalten“, sagte Rodrigo.

„Nur zwei?“ fragte Ives. „Mit wem schlagen sich die anderen herum?“ Aufmerksam lauschte er dem Gefechtslärm.

Domingo setzte dem Kapitän auseinander, was sich zugetragen hatte, und Ives begriff nahezu alles. Wieder erklärte er es Farah Acton. Dann wandte sich der Kapitän an Domingo, Rodrigo und die anderen Fischer und wies auf die beiden toten Piraten.

„Ich habe eine Idee“, sagte er.

Aufmerksam lauschten die Fischer dem, was er ihnen in seinem gebrochenen Spanisch auseinanderzusetzen versuchte.

Etwas später gewahrten die Posten eine Gestalt, die in einer Gasse auftauchte und ihnen zuwinkte. Die Kerle hoben die Musketen und ließen sie sofort wieder sinken.

„Das ist Corvo“, sagte der eine.

In der Tat schien es sich um den raubvogelgesichtigen Schnapphahn zu handeln. Doch in Wirklichkeit handelte es sich bei dem Mann um Domingo. Er hatte sich Corvos Sachen angezogen, und noch einmal imitierte er treffend genau dessen Stimme.

„Kommt her!“ stieß er heiser hervor. „Wir haben Geld gefunden, ’ne ganze Schatulle voll!“

Von der Schatulle wußten die Fischer, weil Ives sie darüber aufgeklärt hatte. Das Zauberwort genügte, um die Gier der beiden Galgenvögel zu wecken.

„Los!“ zischte der eine dem anderen zu. „Nichts wie hin! Corvo will mit uns teilen. Das ist mehr als gerecht.“

Ja, Corvo schien mit einemmal ein feiner Kerl zu sein. Ein Kamerad, wie es ihn sonst nur ganz selten gab. Wie leicht hätten er und der andere sich die Schatulle unter den Nagel reißen können. Aber nein, sie wollten ehrlich mit ihren Spießgesellen teilen. Den beiden Kerlen wurde es richtig warm ums Herz, als sie zu dem vermeintlichen Corvo rannten.

Um so größer war die Überraschung.

Kaum waren die beiden Piraten in der Gasse, da fielen die Fischer und Kapitän Burl Ives über sie her. Die Kerle hatten keine Chance.

Und der Gegner kannte keine Gnade. Erst als die beiden tot am Boden lagen, zeichnete sich eine Spur von Genugtuung auf den Gesichtern der Fischer ab.

„Du weißt nicht, was diese Hunde uns angetan haben“, sagte Domingo zu Burl Ives, während er sich die Sachen des toten Corvo wieder abstreifte, als klebe, die Pest an ihnen.

„Ich kann es mir vorstellen“, erwiderte Burl Ives leise.

Er brauchte nur daran zu denken, was Farah Acton hätte widerfahren können, und schon teilte er den Haß und die Rachsucht der Fischer.

8.

Olivaro kämpfte auf verlorenem Posten. Die Karavelle brannte lichterloh. Das Feuer vernichtete die Segel, die Planken waren heiß. Es knackte und krachte im Schiffsleib. Olivaro wußte, was das bedeutete. Das Schiff sank. Es gab nur noch eine Rettung – in die See springen.

Die Kerle, die noch am Leben waren, hörten nicht mehr auf Olivaros Kommando. Sie stürzten sich ins Wasser und schwammen davon. Zum Ufer. Auch die wenigen Überlebenden der Schaluppen trachteten danach, zurück zur Insel zu gelangen.

Die Schebecke der Seewölfe glitt an der lodernden Karavelle vorbei. Hasard gab seinen Männern das Zeichen, mit dem Schießen aufzuhören. Das Gefecht war entschieden. Sie vergeudeten jetzt nur ihre Munition. Schweigend sahen die Mannen zu, wie die Karavelle zu sinken begann.

Mit haßverzerrter Fratze blickte Olivaro zur Schebecke. Nie würde er das Gesicht dieses Hünen vergessen, der mit verschränkten Armen auf dem Achterdeck stand. Das war der Kapitän! Ein Lumpenhund, ein vom Teufel besessener Bastard! Was, zur Hölle, hatte ihn bewogen, ausgerechnet die Südküste von Mallorca anzulaufen?

Der Sturm, der Sturm – Olivaro verfluchte den Moment, in dem er sich grinsend und beutegierig die Hände gerieben hatte. Gewiß, er hatte die englische Karavelle „Samanta“ überfallen und ausplündern können. Aber jetzt dies – die totale Niederlage! Nie würde er diese Schmach überwinden! Nie!

Doch es gab noch einen letzten Lichtblick. Die Schatulle! Olivaro hatte sie in der Hütte der Calafurias versteckt. Ein sicheres Plätzchen. Olivaro konnte sich das Geld holen, die Geiseln mitnehmen und zum Inneren der Insel verschwinden. Mallorca war groß. Dort oben, in den Bergen, fanden ihn die Gegner sicherlich nicht.

Er konnte sich mit seinen Gefangenen so lange verstecken, bis die Luft wieder rein war. Dann würde er seinen ursprünglichen Plan zur Durchführung bringen: mit Burl Ives und Farah Acton nach England reisen. Nach allem, was der englische Kapitän ihm berichtet hatte, gab es dort eine Menge Geld zu holen.

Der Feind schien kein großes Interesse daran zu haben, auch noch die letzten Piraten abzuknallen. Olivaro hatte erwartet, daß die Hunde mit Musketen auf die im Wasser Schwimmenden feuern würden. Doch er irrte sich. Die Waffen schwiegen. Nur das Knistern und Knacken der Flammen war noch zu vernehmen. Es klang unheimlich.

Keinen Augenblick räumte Olivaro ein, daß es sich um einen fairen Zug des Gegners handeln könnte. Das Wort Fairneß existierte in seinem Sprachschatz nicht. Er dachte anders. Für den Feind gab es nichts mehr zu holen, also verzichtete er darauf, ein Zielschießen auf die Schiffbrüchigen zu veranstalten.

Olivaro traf seine Entscheidung. Die Karavelle sank. Er wäre ein Narr, noch an Bord zu bleiben und mit ihr unterzugehen. Zum Teufel mit der Karavelle! Was kümmerte sie ihn noch! Er würde sich bald ein besseres Schiff besorgen.

Ohne Guzman und die anderen Toten noch eines Blickes zu würdigen, sprang Olivaro in die Fluten, das Klatschen, das er verursachte, als er eintauchte, ging in dem Prasseln und Knacken der Flammen unter.

 

Allmählich krängte die Karavelle nach Backbord. Gleichzeitig tauchte ihr Bug ins Wasser. Langsam ging das Schiff auf Tiefe. Es zischte und qualmte, und eine dicke schwarze Wolke stand über dem Schauplatz des Geschehens.

Olivaro tauchte, solange die Luft in seinen Lungen es zuließ. Dann ließ er sich zur Oberfläche tragen, hob den Kopf aus dem Wasser und schöpfte Atem. Eine Woge rollte heran. Er schloß den Mund, um nicht Wasser zu schlucken. Die Welle spülte über ihn hinweg.

Wieder tauchte Olivaro auf, schüttelte den Kopf und holte noch einmal Luft. Dabei blickte er zu der brennenden, sinkenden Karavelle und zu der Schebecke. Er schwor den Gegnern blutige Rache und wünschte ihnen die Pest an den Leib. Voll ohnmächtiger Wut mußte er verfolgen, wie die Karavelle endgültig unterging.

Von Bord der Schebecke ertönte ein Ruf: „Arwenack!“

Olivaro verstand nicht, was das zu bedeuten hatte, und er wußte auch nicht, welcher Sprache sich die Hunde bedienten. Aber eines begriff er. Es handelte sich um den Siegesruf der Bastarde. Als er weiterschwamm, klang das Wort wie Hohn in seinen Ohren: „Arwenack! Ar-we-nack!“

Olivaro hatte seine Mühe, sich durch die Fluten zu arbeiten. Sie zogen und zerrten an seinem Körper. Eine Strömung, die ablandig verlief, setzte ihm stark zu. Immer wieder wollte sie ihn hinaustragen. Alles schien gegen ihn zu sein. Er mußte auch an die Haie denken.

Haie waren in diesem Bereich des Mittelmeeres zwar nicht so häufig anzutreffen wie anderswo. Aber bei Sturm zogen sie oft vom Atlantik durch die Meerenge von Gibraltar herüber. Dann fraßen und zermalmten sie alles, was ihnen zwischen die Zähne geriet.

Olivaro hörte einen Schrei. Nicht weit entfernt – vielleicht zwanzig Yards – riß ein Kerl die Arme hoch. Einer der Kumpane! Olivaro stieß einen Fluch aus. Waren die Haie da?

Der Kerl brüllte „Hilfe!“ und zappelte wie verrückt.

Olivaro dachte nicht daran, ihm Beistand zu leisten. Ihm ging es nur darum, die eigene Haut zu retten, sonst nichts.

Olivaro schwamm weiter. Voll Grausen dachte er daran, daß die Haie auch ihn vielleicht bereits verfolgten. Panik ergriff ihn. Er ging unter, schluckte Wasser, schoß wieder hoch und spuckte das Wasser aus.

Nein, dachte er, paß auf, verlier nicht die Nerven!

Hinter ihm war der Kerl untergegangen. Jetzt fiel es Olivaro wieder ein: der Bursche war ein miserabler Schwimmer. Das mußte der Grund für sein Geschrei sein. Er konnte sich nicht mehr halten. Na, sollte er absaufen! Olivaro konnte auf den Kerl verzichten.

Wild kämpfte Olivaro gegen die Drift an. Endlich gelang es ihm, ihrer Herr zu werden. Er geriet in die Brandung. Die rauschenden Fluten spülten ihn an den Strand. Hier blieb er zunächst auf dem Bauch liegen. Dann kroch er ein Stück weiter, drehte sich auf den Rücken und atmete tief durch.

Gerettet, dachte er, ich lebe!

Plötzlich vernahm er links hinter sich ein Geräusch. Sofort fuhr er hoch und griff nach der letzten Waffe, die ihm geblieben war – sein Messer.

Aus dem Ufergestrüpp schoben sich Gestalten hervor. Drei Kumpane. Sie hatten es ebenfalls geschafft, an Land zu schwimmen. Langsam näherten sie sich ihrem Anführer. Sie blickten finster drein. Einer von ihnen stieß einen üblen Fluch aus.

Die Brandung beförderte eine weitere Gestalt auf den Sand. Der Kerl rappelte sich auf, entdeckte die anderen und lief zu ihnen. Noch ein Überlebender!

„Na also“, sagte Olivaro. „Wir sind dem Teufel noch mal von der Schippe gesprungen.“

„Wir sind erledigt“, sagte einer der Kerle.

„Das ist alles deine Schuld, Olivaro!“ zischte ein anderer.

„Und weißt du, was die Hunde der Schebecke jetzt tun?“ schrie der, der soeben eingetroffen war. „Sie segeln zum Dorf, murksen Corvo und die anderen ab und vereinnahmen unseren Schlupfwinkel!“

Daß Corvo und die drei übrigen Wächter des Fischerdorfes bereits tot waren, ahnte keiner von ihnen. Olivaro mußte jedoch an seine wertvolle Schatulle denken. Die durfte keiner außer ihm haben! Er mußte vor den Feinden im Dorf sein!

„Los, wir laufen zum Dorf“, sagte Olivaro.

Einer seiner Kerle lachte höhnisch. „Damit sie uns auch abknallen, was?“

„Hau doch ab, Olivaro“, sagte sein Nebenmann. „Du bist eine Null. Mit dir wollen wir nichts mehr zu tun haben. Du kannst noch froh sein, daß wir dich nicht abstechen. Du hast die ganze Bande verheizt. Und was ist dabei rausgekommen? Nichts.“

Ohne jegliche Vorwarnung warf sich Olivaro auf den Kerl. Er stach zweimal mit dem Messer zu. Blutend sank der Kerl auf den Strand. Olivaro fuhr zu den anderen herum.

Die drei trafen Anstalten, sich auf ihren Anführer zu stürzen. Aber sie bezwangen sich. Sie wußten, wie stark Olivaro war und wie gut er mit dem Messer umzugehen verstand.

„Was ist?“ fuhr Olivaro die Kerle an. „Hat noch einer was zu vermelden? Los, kommt doch her!“

Sie zögerten.

Er lachte. „Da seht ihr’s, was für feige Hunde ihr seid. Memmen! Mir wollt ihr die Schuld geben? Ihr habt versagt! Nur euch und den anderen dreckigen Bastarden, die jetzt tot sind, habe ich es zu verdanken, daß wir gegen die Feinde verloren haben.“

„Das stimmt nicht!“ begehrte einer der drei auf.

Olivaro war mit einem pantherhaften Satz bei ihm und drückte ihm die Messerklinge gegen die Gurgel. „Sag das noch mal!“

„Ich …“

„Los, wiederhole es!“ brüllte Olivaro.

„Nein, so habe ich das nicht gemeint!“ stöhnte der Kerl.

„Sondern?“

„Es ist unsere Schuld!“

„Was denn?“

„Daß wir verloren haben!“

Olivaro ließ das Messer sinken und blickte zu den beiden anderen. „Habt ihr noch was zu stänkern?“

„Nein“, antworteten sie gleichzeitig.

„Wer nicht pariert, wird niedergestochen wie ein Schwein“, sagte Olivaro eiskalt. „Ich lasse mich von euch Hurensöhnen nicht beschimpfen, ist das klar?“

„Jawohl“, murmelten die drei.

„Los, jetzt, ab zum Lager!“ befahl Olivaro.

Er lief los, und die drei Piraten folgten ihm. Olivaro hatte wieder einmal bewiesen, daß er mit eiserner Hand zu regieren verstand. Auch wenn er eine gewaltige Niederlage hatte einstecken müssen, so war er doch noch immer der Anführer.

Die Kerle hatten gar keine andere Wahl. Sie mußten gehorchen. Meutern hatte keinen Sinn, abhauen auch nicht. Olivaro würde sie einen nach dem anderen töten. Und das Risiko wollten sie nicht eingehen. Sie wollten leben.

Olivaro wußte, daß er eine Menge Zeit verloren hatte. Aber noch konnte er es schaffen, den Schlupfwinkel vor den Feinden zu erreichen. Wie ein Besessener hastete er die Hügel hinauf und raste durch den Wald. Die Schatulle, dachte er immer wieder, ich muß sie wiederhaben!

Die Schebecke kreuzte gegen den Wind. Hasards Bestreben war es jetzt, so schnell wie möglich den Hafen der Piraten zu erreichen. Er wollte auch die letzten Piraten, die dort möglicherweise lauerten, vertreiben. Nach allem Dafürhalten schien es sich bei dem Dorf um eine Fischersiedlung zu halten.

Batuti hatte sich bestimmt nicht geirrt, als er von der Korkeiche Ausschau gehalten hatte. Folglich hatten die Piraten die Fischer entweder getötet, als sie das Dorf vereinnahmt hatten, oder aber sie hatten sie vertrieben. Es gab noch eine dritte Möglichkeit: Die Fischer und ihre Familien wurden von den Piraten gefangengehalten.

Über diesen Punkt wollte sich der Seewolf unbedingt Gewißheit verschaffen. Wenn es Menschen gab, denen er helfen konnte, dann sah er es als seine Pflicht an, dies zu tun.

Das Dorf und der Hafen gerieten in Sicht. Am Ufer waren die Boote zu erkennen. Sonst gab es keine anderen Wasserfahrzeuge – den Verband der Piraten hatten die Arwenacks ja vernichtet.

„Da sind Menschen!“ meldete Bill.

Er spähte scharf durch den Kieker. Die rollenden Schiffsbewegungen erleichterten es ihm nicht gerade, Einzelheiten zu erkennen.

„Piraten?“ rief der Seewolf.

„Nein, Sir! Das scheinen eher Fischer zu sein!“