Seewölfe Paket 27

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3.

„Das sind vielleicht zwei seltsame Wald- und Wiesenzausel“, raunte der Profos dem Seewolf zu, während sie zu den Hütten marschierten. „Rennen hier im Jubel-Kaftan herum und spielen Steinschleuder-Kompanie. Hoffentlich müssen wir die beiden nicht noch als Ballast mitnehmen.“

„Wie meinst du das?“

„Vielleicht wollen sie von dieser Insel weg, und dann haben wir sie am Hals.“

„Das werde ich ihnen mit Sicherheit ausreden. Aber warten wir doch erst einmal ab.“

Die Hütte war sehr geräumig. Als sie eintraten, glaubten sie ihren Augen nicht zu trauen. Hier befand sich alles das an Einrichtungsgegenständen, was auf dem Wrack fehlte. Also hatten die beiden Dons das Wrack ausgeschlachtet. Nur den Kompaß hatten sie zurückgelassen, weil sie damit nichts anfangen konnten.

Don Ricardo nahm hinter einem Schreibpult Platz. Die ganze Einrichtung erinnerte an die Kapitänskammer einer Galeone.

Die „Gefangenen“ durften auf Kissen am Boden Platz nehmen. Dann winkte Don Ricardo den Corporal mit gekrümmtem Finger heran.

„Schicken Sie die Ordonnanz herein, Corporal“, sagte er. „Man möge den englischen Gesandten den besten Rotwein bringen.“

Die Arwenacks konnten sich das Grinsen nicht verkneifen. Jetzt waren sie schon Gesandte. Aber immerhin gab es Rotwein. Der Profos leckte sich genüßlich die Lippen.

Aldegonde grüßte zackig und verschwand.

Hasard sah ihm nachdenklich hinterher. Er war gespannt auf den dritten Mann, die Ordonnanz, den sie bisher noch nicht gesehen hatten. Wahrscheinlich hielt sich der Kerl in der anderen Hütte verborgen.

Nach einer Weile, in der Don Ricardo ungeduldig mit den Fingern auf der Platte herumtrommelte und die „Gesandten“ musterte, erschien die Ordonnanz.

Der Mann hatte einen langen schwarzen Bart, der reichlich verwildert wirkte. Seine Augen zwinkerten ständig nervös. Dieses Mal trug er keinen Jubel-Kaftan, wie Carberry die spanischen Uniformen respektlos bezeichnete. Er war in ein farbenprächtiges Wams gekleidet und trug weiche Stulpenstiefel. Auch einen Degen hatte er sich umgehängt, einen kleinen Zierdegen, der geradezu lächerlich wirkte.

In der Hand hielt er einen großen Krug. Dann begann er damit, kleine Zinnbecher zu verteilen, die er einem Schapp entnahm.

Der Kerl war kein anderer als Aldegonde, der jetzt als Ordonnanz auftrat. Hasard fragte sich, wie viele Rollen der Mann hier eigentlich noch spielen mußte.

Dann goß er „besten spanischen Rotwein“ ein, der sich allerdings als reines Quellwasser entpuppte. Dem Profos blieb gleich der erste Schluck im Hals stecken. Sein Gesicht war ein einziges Fragezeichen.

„Da könnte man glatt auf dem Kielschwein davonreiten“, stöhnte er.

Fünf Minuten sah Hasard dem Theater noch gelassen und amüsiert zu. Dann hatte er genug und stand auf.

Er donnerte die Faust auf das Pult, daß Don Ricardo fast vom Hocker fiel, so wuchtig fiel der Schlag aus. Aldegonde ließ vor Schreck den Krug fallen, zuckte heftig zusammen und salutierte.

Als Hasards Stimme dann wie Donnergrollen aufklang, wurden die beiden Helden immer kleiner und schüchterner.

„Schluß mit diesem lächerlichen Affenzirkus!“ dröhnte er. „Wir werden jetzt vernünftig miteinander reden, und zwar an Bord meines Schiffes. Und wenn ihr Kerle nicht bald zur Besinnung gelangt, dann lasse ich euch an der Rah hochziehen. Habt ihr das verstanden?“

Und ob sie das verstanden hatten! Don Ricardo wurde ganz bleich, Aldegonde malträtierte wieder sein Gestrüpp und zwinkerte.

„Wir – wir sollen mit an Bord?“ fragte er unbehaglich.

„Ja, es passiert euch nichts, mein Wort darauf. Aber unterlaßt dieses dämliche Theater. Es mag zwar sein, daß euch die Einsamkeit ein bißchen verwirrt hat, aber jetzt steht ihr Tatsachen gegenüber, und die solltet ihr endlich, verdammt noch mal, akzeptieren. Ich bin der Kapitän der ‚Santa Barbara‘, Philip Hasard Killigrew.“

„Unsere Namen stimmen“, sagte Don Ricardo zögernd. „Nur unsere Ränge nicht. Wir spielen nur so Theater, um nicht durchzudrehen.“

„Verstehe. Ich respektiere sogar, daß die Insel spanischer Besitz ist. Aber viel werdet ihr damit nicht anfangen können. Gehen wir, ich glaube, ihr habt eine Menge zu erzählen.“

Die beiden Dons schlichen geknickt hinter ihnen her. Immer wieder blickten sie sich verstohlen um.

Als sie an der Flagge vorbeigingen, blieb Ricardo stehen.

„Das ist unsere Insel“, sagte er eigensinnig. „Spanischer Besitz. Die Flagge und unsere Anwesenheit beweisen es.“

„Ja, schon gut. Wir wollen die Insel gar nicht.“

„Ihr dürft sie behalten“, sagte der Profos großzügig. „Und das Meer um die Insel schenken wir euch auch noch.“

Er grinste immer noch über die beiden wunderlichen Vögel, die jetzt in die Jolle stiegen und auf der Ducht Platz nahmen. Mit gemischten Gefühlen sahen sie zu der „Santa Barbara“.

Dort standen staunend die anderen Seewölfe am Schanzkleid und blickten ihnen neugierig entgegen.

Verlegen und schüchtern standen die Dons etwas später auf der Kuhl.

„Da sind unsere Überlebenden“, sagte Hasard. „Bring ihnen einen Schluck Rotwein, Mac.“

Die Dons nahmen auf der Kuhlgräting Platz und wurden von den anderen umringt. Als Mac den Rotwein brachte, wurden sie ganz kribbelig und griffen gierig zu. Sie hatten seit Jahren keinen Schluck Rotwein mehr getrunken.

„Nun mal schön der Reihe nach“, sagte der Seewolf. „Ihr habt nichts zu befürchten. Was hat es mit dieser Insel und dem Wrack auf sich? Was ist hier geschehen?“

Während er das fragte, wurde auf dem Achterdeck geglast. Die Reaktion Aldegondes war erstaunlich. Kaum hörte er den Glockenton, schon sprang er auf, als hätte ihn eine Hornisse gestochen. Dann salutierte er zackig, blickte heroisch zum Achterdeck und setzte sich wieder auf die Gräting.

Das große Grinsen ging unmerklich um. Der Bärtige hatte zweifellos einen noch größeren Tick als der andere. Sein merkwürdiges Gebaren wiederholte sich zum großen und heimlichen Vergnügen der anderen alle halbe Stunde. Bei jedem Glasen sprang er wie ein Kastenteufel auf und salutierte. Der Teufel mochte wissen, was das zu bedeuten hatte.

„Diese Inseln sind spanischer Besitz“, sagte Ricardo. „Das ist eine amtliche Tatsache, Señor Capitán.“

Hasard wollte gerade abwinken, doch Ricardo sprach schon weiter, und diesmal wurde es interessanter.

„Sie befinden sich auf den Islas Marquesas des Mendoza“, sagte Ricardo stolz.

„Ein schöner Name“, lobte Hasard. „Haben Sie ihn sich selbst ausgedacht?“

„Nein. Die Inseln wurden im Jahre fünfzehnhundertsiebenundsechzig von unserem Landsmann Alvaro Mendana de Neyra entdeckt. Er benannte sie nach der Frau seines vizeköniglichen Auftraggebers, der Marquesa de Mendoza. Wir waren bei der damaligen Expedition als Schiffsjungen dabei, durften aber nicht an Land.“

Hasard war verblüfft. Den vizeköniglichen Auftraggeber de Mendoza gab es tatsächlich. Er hatte von ihm gehört, und auch Don Juan kannte die Marquesa vom Namen her.

„Das kann tatsächlich stimmen“, sagte er verwundert. „Wie viele Inseln gibt es denn?“

„Elf größere und noch ein paar kleine. Damals wurden nicht alle erforscht. De Neyra wollte zurückkehren, aber wir haben ihn nie mehr gesehen. Vermutlich ist er inzwischen gestorben.“

„Wie lange sind Sie auf dieser Insel?“ erkundigte sich Hasard.

„Vielleicht seit sieben oder acht Jahren. So genau weiß ich das nicht mehr.“

Die Verblüffung bei den Arwenacks wurde noch größer.

„Erstaunlich“, murmelte Hasard beeindruckt. „Das hätte ich nie geglaubt.“

„Aber es ist eine Tatsache, Señor Capitán.“

Der Seewolf nickte zustimmend. Die Geschichte klang echt und konnte durchaus stimmen.

„Und Sie sind ganz allein auf der Insel – oder gibt es noch Eingeborene?“

„Auf dieser Insel nicht. Wir sind die einzigen Bewohner.“

„Und das Wrack?“ fragte Hasard kopfschüttelnd.

„Es war unser Schiff, die Galeone ‚Exploración‘, ein Forschungsschiff im vizeköniglichen Auftrag. Wir waren wieder dabei. Die Insel sollte nach und nach ausgebaut werden, aber dazu kam es nicht mehr. Wir liefen nachts auf einer der Marquesas-Inseln im Sturm auf ein Riff. Die Galeone kenterte, nur sechs Mann überlebten.“

„Aber das Wrack liegt doch hier“, wandte Hasard ein, „und nicht auf einer der anderen Inseln.“

„Das stimmt. Der Sturm hob es später vom Riff und jagte es über das Meer. Später ist es hier gestrandet.“

„Dann befanden Sie sich also auf der anderen Insel?“

„Auf der, die man von hier als schmalen Strich erkennen kann.“

Alle zuckten zusammen, als wieder geglast wurde und Aldegonde wie ein Wilder aufsprang und salutierte. Als sei nichts geschehen, nahm er anschließend wieder Platz.

Mac Pellew, der mit offenem Mund zuhörte, schenkte den beiden wundersamen Dons Rotwein nach. Er hatte ihn ein bißchen mit Wasser gestreckt, denn die Kerle lebten jahrelang in Abstinenz und vertrugen nicht viel.

„Wie gelangten Sie denn auf diese Insel?“

„Mit Hilfe von ein paar Trümmerstücken, aus denen wir ein Floß bauten“, erklärte Ricardo. „Wir sind geflohen, weil es auf der anderen Insel Menschenfresser gibt. Sie haben einen von uns gefangen, getötet und dann …“

Der Spanier schüttelte sich, als er daran dachte. Aldegonde preßte beide Hände auf den Magen und wurde käsig. Das Erlebnis hatte einen tiefen Eindruck bei ihnen hinterlassen.

„Wir hatten noch zwei Pistolen, und es gelang uns, ein paar von den Menschenfressern zu erschießen. Sie hatten noch nie Weiße gesehen und – auch noch nie einen Knall aus einer Waffe gehört. Das hielt sie uns ein paar Tage vom Leib, bis wir fliehen konnten.“

 

„Kannibalen“, sagte Ferris Tucker schaudernd. „Nicht zu fassen, daß es die auf den friedlich scheinenden Inseln gibt.“

„Wie ging es weiter?“ wollte Don Juan wissen.

„Wie gesagt, wir konnten fliehen. Aber einen von uns haben die Haie geholt, als das Floß kenterte. Da waren wir nur noch vier Mann. Als wir diese Insel erreichten, starb nach ein paar Tagen unser Rudergänger Miguel am Fieber, und später erwischte es den Koch. Nur wir beide haben überlebt.“

Hasard sah wieder das Wrack vor sich und die vielen Skelette darin.

„Da gibt es noch ein paar Ungereimtheiten“, sagte er. „Wenn ihr auf ein Riff gelaufen seid, wobei die meisten ertranken, weshalb liegen dann die Skelette der Seeleute in dem Laderaum? Das paßt doch überhaupt nicht zusammen.“

Ricardo nickte betrübt. Der andere blickte ergeben auf die Planken.

„Das sieht nur so aus“, erwiderte er. „Als wir auf das Riff liefen, lebten die meisten anderen noch. Wir sind über Bord gegangen bei dem Sturm. Dann war die Galeone plötzlich verschwunden – und mit ihr ein Teil der Besatzung. Sie ertranken unterwegs. Der Sturm muß das Schiff ein paarmal unter Wasser gedrückt und wieder aufgerichtet haben. Etliche haben versucht, schwimmend den Strand zu erreichen. Wir fanden fast jeden Tag angeschwemmte Leichen, aber wir hatten nicht den Mut und die Kraft, sie zu beerdigen. Wir haben die Toten an Bord gehievt und sie in den Laderaum geworfen, wo sie noch heute ruhen.“

„Eine seltsame Art der Bestattung“, meinte Hasard, „und nicht gerade eine christliche. Aber das geht uns nichts an.“

„Wir hätten sie auf dieser Insel nicht beerdigen können“, sagte Aldegonde. „Dann wären ihre Seelen umgegangen und hätten uns in Angst und Schrecken versetzt.“

Old O’Flynn wurde hellhörig. Das war genau sein Thema. Sein Granitgesicht verhärtete sich, er nickte zustimmend.

„Ganz recht“, murmelte er dumpf. „Die Seelen wären rastlos über die Insel gewandert. So aber sind sie im Rumpf des Schiffes gefangen und können ihn nicht verlassen.“

„So ist es“, bestätigte Ricardo. „Genau das war der Grund. Jetzt sind sie für immer und ewig gebannt. Deshalb sind wir auch so weit von dem Wrack weggezogen. Wir haben alles mitgenommen, was sich noch an Bord befand, wirklich alles. Deshalb haben wir auch heute noch Uniformen, Helme und alles, was wir brauchen.“

Hasard dachte sich seinen Teil über die beiden abergläubischen Kerle, die in ihrer Ansicht noch von Old O’Flynn bestärkt wurden. Die beiden Dons waren mehr als abergläubisch, deshalb hatten sie das Wrack auch gemieden.

„Wir haben den Kompaß aus dem Wrack ausgebaut“, sagte Hasard. „Das war das einzige, was wir noch vorfanden.“

„Den konnten wir nicht brauchen. Sie können ihn gern behalten.“

„Vielen Dank“, sagte Hasard ironisch. Er hatte auch nicht vor, ihn wieder herauszugeben. „Wann sind Sie denn das letzte Mal bei dem Wrack gewesen?“

„Nie mehr“, versicherte Ricardo. „Nachdem wir alles ausgeräumt hatten, schlugen wir immer einen großen Bogen um das Wrack, denn dort wimmelt es nur so von Geistern. Haben Sie denn nichts bemerkt?“

„Ich persönlich habe noch nie einen Geist gesehen, und mich hat ebenfalls noch nie eine Seele erschreckt.“

„Aber mich“, sagte Old O’Flynn im Brustton der Überzeugung. „Das war mal bei …“

„Später, Donegal! Das müssen wir jetzt nicht unbedingt ausführlich behandeln. Haben Sie diese Insel denn im Verlauf der vielen Jahre wenigstens gründlich erforscht?“

Die beiden bestätigten das mit einem Kopfnicken.

„Bis auf die Umgebung von dem Wrack. Wir waren auch schon auf dem Berg, sogar ganz oben. Aber die andere Ecke haben wir immer gemieden. Es gibt außer uns niemanden auf der Insel. Wir haben uns auch Gärten weiter hinten im Tal angelegt. Früchte und Wasser gibt es im Überfluß. Aber nur ganz selten mal Fleisch, wenn wir einen Vogel fangen. Sonst leben wir von Fisch, Früchten und Gemüse.“

„Wie haben Sie sich Ihr weiteres Leben auf dieser Insel vorgestellt? Sie können doch nicht ewig hierbleiben.“

„Warum nicht?“ fragte der Bärtige erstaunt. „Uns geht es doch gut. Wir warten ab.“

„Auf was warten Sie?“

„Irgendwann wird Señor Alvaro Mendana de Neyra hierher zurückkehren, falls er nicht gestorben ist. Dann nimmt er uns mit.“

„Oder ich werde Gouverneur oder Vizekönig von den Inseln“, warf Ricardo hastig ein. „Seine Allerkatholischste Majestät wird uns unsere Treue und unser Ausharren sicherlich hoch belohnen.“

„Das wird er ganz sicher“, pflichtete Hasard bei. Die beiden schienen eine recht hohe Meinung von Seiner Allerkatholischsten Majestät zu haben.

Hasard wollte ihnen diesen Glauben auch nicht zerstören. Sie hatten sich jahrelang damit beschäftigt und lebten in der Erwartung, die vermutlich eine große Enttäuschung werden würde.

Jetzt ist auch endlich das Rätsel um das Wrack gelöst, dachte Hasard. Eine einfache und simple Erklärung. Es steckte kein Geheimnis dahinter.

„Diesen Kannibalen sollte man mal einen Besuch abstatten“, meinte der Profos. „An mir werden sich die Burschen glatt die Zähne ausbeißen und sich die Kiefer verrenken. Haben die sich denn auf dieser Insel schon mal blicken lassen?“

„Nein, hier waren sie noch nicht.“

„Schade“, sagte der Profos bedauernd, „ich habe schon lange keine Menschenfresser mehr so richtig verprügelt. Segeln wir dort mal hinüber, Sir?“

Hasard schüttelte ablehnend den Kopf.

„Was interessieren uns die Kannibalen! Wir haben andere Sorgen, als Menschenfresser zu verprügeln. Zu was auch? Wir segeln weiter, und zwar morgen bei Tagesanbruch.“

Hasard wandte sich wieder an die beiden Dons.

„Können wir Ihnen irgendwie behilflich sein? Möchten Sie vielleicht zu einer anderen Insel?“

Die beiden wehrten hastig ab.

„Vielen Dank, Señor Capitán. Wir bleiben lieber hier, denn hier wissen wir genau, was wir haben.“

„Fehlt es Ihnen an Werkzeugen oder anderen Utensilien?“

Auch daran herrschte kein Mangel, denn beide schüttelten die Köpfe.

„Wir haben für den Rest unseres Lebens Werkzeuge aller Art. Das einzige, äh – entschuldigen Sie, vielleicht könnten Sie uns etwas Wein überlassen. Dann könnten wir mal wieder so richtig feiern.“

Hasard stimmte lächelnd zu. Im Geist stellte er sich die Feier der beiden einsamen Dons vor. Die Burschen würden sich mit aller Gewalt besaufen und drei Tage lang einen Kater haben. Dann würden sie auch wieder Generalkapitän, Corporal und Ordonnanz spielen. Oder Gouverneur und Vizekönig. Aber das war ihre Sache.

Mac Pellew brachte ein kleines Fäßchen Rotwein und ein Fäßchen mit Rum an Deck, nachdem Hasard zustimmend genickt hatte. Die Freude der beiden merkwürdigen Gestalten kannte keine Grenzen.

„Ed und Ferris können es an Land bringen“, sagte Hasard.

Nach einer Weile verabschiedeten sich die Dons artig, höflich und sehr zuvorkommend. Dann baten sie Ed und Ferris, ein paar Säcke oder Körbe mitnehmen zu dürfen, leere natürlich.

Danach wurden die Dons an Land gepullt, und die beiden Seewölfe begleiteten sie zu ihrer Hütte.

Hasard sah ihnen lange nach.

„Eigenartige Leute“, sagte er, „aber das bringt wohl die Einsamkeit mit sich. Ich möchte nicht jahrelang auf einer relativ kleinen Insel sitzen.“

Ed und Ferris waren noch keine hundert Yards gegangen, als das seltsame Spielchen der beiden erneut seinen Anfang nahm. Ricardo war wieder Generalkapitän und ließ Aldegonde das auch spüren, indem er ihn herumkommandierte.

Der Profos war am Feixen. Ferris verbiß sich nur mühsam das Lachen, als das Ritual mit vollem Ernst weiterging.

„Holen Sie den Quarter- oder Proviantmeister, Corporal“, schnarrte Don Ricardo. „Er soll die beiden Gesandten und mich zu den Feldern begleiten.“

„Ich fürchte, er hat gerade Freiwache, Señor Generalkapitän“, wagte Aldegonde zu widersprechen.

„Holen Sie ihn, ob Freiwache oder nicht. Ein Proviantmeister hat nie Freiwache zu haben.“

Aldegonde verschwand in der kleinen Hütte, und nach ein paar Minuten hatte er den Proviantmeister aufgetrieben.

Er hatte sich umgezogen. Ein funkelnder Helm bedeckte seinen Schädel, und um den wilden Bart hatte er ein Stück Band geschlungen und ihn so in Fasson gebracht. Der Bart sah jetzt wie ein borstiger, schlecht zurechtgedrehter Pinsel aus und stand Aldegonde fast waagerecht vom Kinn ab. Das ließ ihn ungemein lächerlich erscheinen.

„Solche Bärte hatten die eingemachten Mumien am Nil“, raunte der Profos. Er fuhr sich mit der Hand dreimal unters Kinn und streckte sie dann nach vorn, um anzudeuten, wie weit dem Kerl der Bart vom Gesicht abstand.

Ferris grinste jetzt auch bis an die Ohren.

Der „Proviantmeister“ schritt fröhlich voraus. Es ging etwa zweihundert Yards in das Tal hinein bis zu einem Knick.

Dahinter lagen Felder, bei deren Anblick den beiden buchstäblich die Sprache wegblieb.

Sie hatten Süßkartoffeln angebaut, Rüben, Bohnen, Tomaten, Zwiebeln, Knoblauch und noch vieles mehr.

„Donnerwetter“, sagte Carberry. „Das ist aber ein Ding. Die haben ja mächtig gerackert, die Kerlchen.“

Die beiden Dons begannen zu ernten, indem sie wahllos alles aus dem Boden rupften, was ihnen gerade in die Hände geriet. Die Säcke füllten sich mit Gemüse aller Art.

Danach begann der Rückmarsch. Jetzt schleppten sie das Zeug zu viert und brachen unter der Last fast zusammen. Als alles im Boot verstaut war, wollten die beiden Arwenacks sich bedanken, aber der Generalkapitän wehrte ab.

„Nur kein Aufsehen, meine Herren“, sagte er. „Sie sind uns dafür nur eine kleine Gefälligkeit schuldig. Falls Sie nach Spanien segeln, gehen Sie bitte höchstpersönlich zu Seiner Allerkatholischsten Majestät, und überreichen Sie ihm dieses Schreiben, verbunden mit ein paar herzlichen Worten.“

Aus dem Ärmel seiner Uniformjacke zog Don Ricardo einen Umschlag und überreichte ihn feierlich Ferris Tucker.

„Da steht alles drin. Geben Sie ihn aber nur persönlich ab.“

„Ja, natürlich“, sagte Ferris erschüttert. „Nur persönlich, falls wir den König von Spanien sehen.“

Don Ricardo klopfte ihm gönnerhaft auf die Schulter, reichte dem verdatterten Profos die Hand und entließ die beiden Männer dann mit huldvollem Kopfnicken. Aldegonde riß die Hacken zusammen und salutierte. Gleich darauf salutierte er nochmals, als die Schiffsglocke erklang.

Sehr würdevoll drehten die beiden Spanier sich um und verschwanden hinter den Kokospalmen.

Der Profos kratzte sich den Schädel.

„Hm, wenn ich das nicht selbst erlebt hätte, würde ich es nicht glauben. Na ja, pullen wir zurück. Ich muß das alles noch einmal genau überdenken.“

An Bord war das Erstaunen allerdings groß, als die Säcke nach oben gehievt wurden und das Gemüse zum Vorschein kam. Der Kutscher hüpfte vor Freude auf der Kuhl herum, als er die Köstlichkeiten sah.

Ferris gab Hasard inzwischen den Umschlag und grinste.

„Vom Generalkapitän. Aber nur persönlich dem König von Spanien zu übergeben, falls wir dorthin segeln. Merkwürdig, mitunter sind die Kerle ganz vernünftig, aber dann fangen sie wieder an zu spinnen. Was tun wir mit dem Schrieb?“

„Wir werden ihn später öffnen, denn es ist ziemlich unwahrscheinlich, daß wir nach Spanien segeln und noch unwahrscheinlicher, daß wir dem lieben Philipp begegnen. Lassen wir die Dons also bei ihrem verwirrten Glauben. Sie bringen Wunschdenken, Wirklichkeit und Vorstellungen völlig durcheinander. Vielleicht steht auch in dem Brief überhaupt nichts drin.“

„Ja, vermutlich sind sie dem König böse und reden nicht mehr mit ihm. Deshalb kriegt er nur noch leere Seiten geschickt.“

An diesem Tag wurden noch einmal Langusten, Krebse und Fische gefangen, bis es dunkel wurde.

Da zeigte sich noch einmal am Strand Don Ricardo mit seinem bärtigen Corporal.

In feierlicher Prozession marschierten sie zu dem eingerammten Flaggenstock. Don Ricardo brüllte den Corporal an, und der stand vor dem Flaggenmast und salutierte ein ums andere Mal. Danach wurde er vom Generalkapitän wortreich zusammengestaucht und mußte die Flagge einholen. Sie wurde erst in der Frühe des nächsten Morgens wieder gehißt.

Der „Santa Barbara“ schenkten die beiden wunderlichen Knaben bei der Prozession keinen einzigen Blick.

 

Als die Flagge eingeholt war, klemmte sie sich Aldegonde unter den Arm. Dann mußte er vor Don Ricardo hermarschieren, der lautstark den Tritt angab.

Die Seewölfe sahen ihnen grinsend nach.