Seewölfe Paket 27

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8.

Er rief Batuti und Big Old Shane zu sich. Ein Plan war durch seinen Kopf gegangen.

„Ihr habt eure Langbögen dabei?“ fragte er.

„An Bord von Dans Schaluppe“, erwiderte Old Shane. „Du hast was vor, nicht wahr?“

„Gedankenleser! Ja, aber ihr sollt ablehnen, wenn euch die Sache zu riskant erscheint“, erwiderte Hasard.

„Dann leg mal los“, sagte Old Shane und blinzelte Batuti zu. Der blinzelte zurück.

„Wir greifen nach Mitternacht mit der ‚Santa Barbara‘ das Kastell an“, sagte Hasard. „In der letzten Nacht fiel mir auf, daß man von Norden her in das Kastell sehen kann. Batuti weiß das. Vermutlich werden die Kerle bei Alarm die Wehrtürme und den Wehrgang an den Palisaden besetzen, die zur See weisen. Ihr könntet sie mit Pfeil und Bogen unter Beschuß nehmen, zumindest die Kerle auf dem Wehrgang hätten keine Deckung. Auf den Wehrtürmen sind Zinnen, aber auch da schießt ihr aus der Überhöhung nach unten. Die Wehrtürme sind insofern wichtig, weil dort Kanonen und Drehbassen stehen. Was meint ihr?“

Batuti und Big Old Shane blickten sich an, nickten sich zu, und Old Shane sagte: „Wir holen unsere Waffen. Alles klar. Ich schätze, ihr holt uns dann von der Pier ab, eh?“

„Oh, ihr könnt natürlich auch auf der Insel bleiben und Plantagenbau betreiben, wenn ihr wollt“, sagte Hasard.

„So weit kommt’s noch“, knurrte Old Shane.

Hasard lachte. „Na klar holen wir euch ab, mein Alter.“

„Wir haben von Ferris Flaschenbomben an Bord der Schaluppen“, sagte Batuti. „Ich würde von den Dingern gern ein paar mitnehmen.“

„So viele ihr wollt.“

Die beiden zogen ab, um ihre Waffen zu holen.

Die Kerle waren inzwischen alle „versorgt“ worden. Carberry und Matt Davies schleppten Hosen und Stiefel ab und schleuderten sie am Strand weit hinaus ins Wasser. Die Stiefel blubberten auf Tiefe. Die Hosen trieben etwas, bis sie mit Wasser vollgesogen waren und ebenfalls absackten. Die Kerle waren so verteilt, daß keiner den anderen erreichen konnte. Jeder war an einen gefällten Stamm gefesselt. Sie würden Stunden brauchen, um sich zu befreien – wahrscheinlich die ganze Nacht. Mit Kopfschmerzen war das sowieso eine Sache für sich. Und nackte Sohlen waren für Schnelläufer im Dschungel ungeeignet.

Als Hasard mit den restlichen Mannen den Schauplatz verließ, dämmerte es. An der Schneise begegneten ihnen bereits Batuti und Old Shane, beide ziemlich bepackt.

Hasard stoppte und rieb sich die Nase.

„Da ist noch etwas, Freunde“, sagte er. „Ihr müßt damit rechnen, daß sich die Kerle im Kastell allmählich darüber wundern werden, wenn ihre Kumpane nicht mit den Gefangenen zur gewohnten Zeit zurückkehren. Ich schätze, sie werden dann jemanden losschicken, um nachsehen zu lassen, was los ist. Vielleicht könnt ihr diesen Jemand abfangen?“

„Das ging mir auch schon durch den Kopf, Sir“, sagte Batuti. „Na, wir werden sehen, was sich tun läßt. Ich weiß ja, wo dieser Jemand langgehen muß. Wird schon klappen.“

„Dann macht’s gut, ihr beiden“, sagte Hasard. „Viel Glück – und fangt erst mit eurem Beschuß an, wenn wir das Feuer eröffnet haben und die Kerle mit uns beschäftigt sind. Das ist dann eure Chance. Aber haut um Gottes willen ab, falls euch der Häuptling einen Trupp auf den Hals hetzt.“

„Ja-ja“, sagte Old Shane, „hat Papa noch mehr Ermahnungen, oder können wir uns jetzt schwingen?“

„Schwingt euch“, sagte Hasard.

Sie trennten sich. Und die Dunkelheit fiel über den Dschungel. Die beiden Schaluppen sah niemand, als sie die Bucht verließen, Segel setzten und auf Nordostkurs gingen.

Niemand?

Doch, einer, und das war Jack Finnegan auf dem Felskegel der Insel Sarangani. Er hatte auch gesehen, wie seine Kameraden über die Aufseher hergefallen waren und sie niedergedroschen hatten. Diese Aktion war also gelungen. Er konnte seinen Beobachtungsposten räumen und Ben Brighton informieren. Wenn Hasard mit den Kameraden auf den beiden Schaluppen in die große Ankerbucht zurückkehrte, würde die „Santa Barbara“ bereits gefechtsklar sein.

Old Shane und Batuti marschierten über den Trampelpfad. Ihre Langbögen hingen auf ihren Rücken. Die Köcher, vollgepackt mit den verschiedenen Pfeilen, waren an ihre Gurte geschnallt. Dort steckten auch Pistolen. Jeder trug eine Muskete – und einen Sack mit Flaschenbomben. Ein Öllämpchen gehörte auch zu ihrer Ausrüstung.

An der alten, breitstämmigen Eiche, von der aus Hasard und Batuti die Bluthunde erledigt hatten, stoppte der Gambia-Mann und nickte Old Shane zu.

„Hier ist ein guter Platz, um den Jemand abzupassen und zu vernaschen“, sagte er. „Hasard und ich haben von da oben aus auch die Tierchen erwischt.“ Er zeigte zu den unteren Querästen hoch.

„Einverstanden“, sagte Big Old Shane.

Sie verstauten ihre Sachen seitlich des Pfades unter Buschwerk, so daß sie sich selbst jetzt frei bewegen konnten. Old Shane nahm unten Deckung, Batuti bestieg die Eiche und hockte sich auf seinen alten Platz – seinen „Stammplatz“.

Die beiden Männer brauchten nicht lange zu warten. Ihr „Jemand“ tauchte auf dem Plantagenweg auf. Er hatte eine Stallaterne dabei – sie war es, die Batuti und Old Shane sahen. Ein wanderndes Licht, das hin und her schwankte. Sehr hell war es nicht und außerdem unsinnig, weil es die Augen nicht auf die Dunkelheit einstellte. Der Kerl war sozusagen nachtblind.

Das Licht wanderte also heran, und es war sehr hübsch, wie gut sich der Kerl darbot – für jemanden, der die Absicht hatte, ihm ins Genick zu springen.

Wer sich auf diese Weise durch den nächtlichen Dschungel bewegte, mußte von allen guten Geistern verlassen sein. Er präsentierte sich nicht nur menschlichen, sondern auch tierischen Feinden. Eine hungrige Raubkatze würde sich von der Funzel nicht gestört fühlen, Batuti erst recht nicht.

Als der Kerl auf seiner Höhe war, sprang er ihm ins Kreuz und riß ihn zu Boden. Die Lampe ging zu Bruch und verlosch. Der Kerl verlosch auch. Batuti hatte einen unheimlich harten Jagdhieb.

Big Old Shane, zur Zeit „Reservist“, sagte: „Komm mir ziemlich überflüssig vor, schwarzer Mann.“

„Dann fessel ihn mal, weißer Mann“, sagte Batuti und zeigte die Zähne. „Und knebeln sollten wir ihn auch.“

„Und wohin mit ihm?“

„Seitwärts in den Dschungel, damit er nicht weiß, wo er sich befindet. Und auch an einen Baum, damit er nicht herumkriechen kann.“

Sie fesselten und knebelten den Kerl, nahmen ihm Messer und Pistole ab und banden ihn zusätzlich an einen umgestürzten Baum abseits des Pfades im wüsten Dickicht. Mit dem Pistolengriff empfing er noch eine Betäubung.

„Schade“, sagte Batuti. Er blickte sich um.

„Wieso das?“

„Ich hätte ihn gern in einem Ameisenhaufen deponiert.“

Shane starrte den schwarzen Riesen an. „Hör mal, das fände ich aber gar nicht freundlich.“

„Soll es auch nicht sein“, sagte Batuti grimmig. „Ich habe den Kerl erkannt. Er hat heute vormittag eine der Frauen mit der Peitsche bearbeitet. Die Frau war unter einem Sack zusammengebrochen, als sie von der Fleute zu den Schuppen ging, das heißt, sie ging nicht, sie taumelte bereits. Was meinst du wohl, wo beim Profos und mir die Galle stand?“

„Verstehe“, sagte Old Shane. „Diese Scheißkerle!“

Sie traten auf den Trampelpfad hinaus und nahmen ihre Sachen auf. Dann ging’s weiter. Batuti kannte ja den Weg. So erreichten sie jene Stelle, von wo aus sie in der letzten Nacht die Kerle im Innenhof beobachtet hatten.

Heute wurde kein Schwein am Drehspieß gebraten. Das Tor war geschlossen. Auf dem einen Wehrturm am Tor lehnte ein Wachposten an einer Zinne und stierte trübsinnig vor sich hin. In einem der Gebäude wurde gelärmt. Dort hatten die Kerle wohl ihre Quartiere. Die Fleute lag noch an der Pier. Achtern, hinter den Bleiglasscheiben der Kapitänskammer, brannte Licht. Ein Posten stand an der Stelling, die von der Fleute auf die Pier führte.

Im Innenhof brannten drei Fackeln in den eisernen Halterungen. Sonst gab es nichts Nennenswertes zu sehen.

Die beiden Männer deponierten ihre Sachen und legten sie griffbereit. Sie hatten hinter Felsbrocken Deckung nach allen Seiten. Dieser Stand war so etwas wie ein Adlerhorst, eine ausgezeichnete Bastion mit Überblick über das Kastell und den Hafen samt der Schuppen. Nur die rückwärtige Front des Kastells lag im toten Winkel, was sie aber nicht störte.

Der Posten auf dem Wehrturm schaute immer häufiger landwärts nach Norden. Von dort über die Serpentine zum Hafen mußten die Kumpane mit den Gefangenen kommen. Aber niemand erschien. An Bord der Fleute wurde geglast.

Zweiundzwanzig Uhr!

Der Posten auf dem Wehrturm rief dem Posten an der Stelling etwas zu. Der zeigte klar und rief seinerseits etwas einem anderen Mann an Bord zu, jenem, der geglast hatte. Der marschierte ins Achterdeck.

Kurz darauf tauchte Pieter Hendrik Beeveren in Begleitung eines anderen stämmigen Mannes auf dem Achterdeck auf. Offenbar war der andere der Kapitän der Fleute.

Beeveren brüllte zu dem Posten auf dem Wehrturm hoch. Batuti und Old Shane brauchten keinen Übersetzer.

„Sind die immer noch nicht zurück?“

„Nein, Kapitän!“

„Scheiße! Was ist da los?“

„Weiß ich nicht, Kapitän!“

Der Kapitän Beeveren fluchte ordinär. Dann brüllte er: „Janzson soll zwei Kerle hinschicken, verstanden?“

„Jawohl, Kapitän!“ Der Posten verschwand durch eine Luke im Wehrturm, erschien unten in einer Tür und lief quer über den Innenhof, dorthin, wo der Lärm aus einem der Gebäude erklang.

Beeveren und der andere Kapitän zogen sich wieder ins Achterdeck zurück.

 

Old Shane und Batuti nickten sich nur zu, schoben ihre Sachen an der Rückseite ihrer Bastion unter die Felsen und verließen ihr Versteck. Zwischen Buschwerk und weiteren Felsbrocken eilten sie geduckt hinauf zum Serpentinenweg und weiter um jenen Hügel, wo der Weg in einer Gegenkehre verlief. Dort begann der weitere Anstieg zu den Plantagen. Es war vom Kastell aus nicht einzusehen.

Das war wichtig, wenn sie auch diese beiden Kerle, die ein gewisser „Janzson“ aussuchen sollte, abräumten. Der Posten auf dem Wehrturm durfte nichts bemerken.

Immerhin, an Beschäftigung für Batuti und Old Shane mangelte es nicht. Sie hatten mächtig zu tun.

Hinter Felsbrocken gingen sie in Deckung, der eine links, der andere rechts vom Aufstieg.

Knapp zehn Minuten später tauchten die beiden Kerle auf – ohne Beleuchtung. Sie fluchten und hatten schlechte Laune. Nachts durchs Gelände zu tapern, war nicht ihre Sache. Vielleicht hatten sie sich auch gerade in die Falle hauen wollen.

Na, für den Schlaf wollten Old Shane und Batuti schon sorgen, sogar für einen Langschlaf, aber den mit bösem Erwachen und Hummeln im Schädel.

Die beiden Kerle passierten die Felsbrocken.

Old Shane und Batuti glitten lautlos von hinten heran und schlugen mit den Pistolen zu.

Aus!

Auch diese Kerle wurden ihrer Waffen entledigt, gefesselt, geknebelt und weit abseits des Weges in einer Geröllhalde deponiert, und zwar so, daß sie zwei, drei Yards abstürzen würden, wenn sie sich bewegen oder loskriechen sollten. Da würde ihnen das Weiterkriechen vergehen.

Die beiden Mannen huschten zu ihrer Bastion zurück.

Nach Mitternacht.

Der Schatten schob sich von Osten her über die See heran. Der Wind hatte auf Nordwest gedreht.

Der Posten auf dem Wehrturm döste.

Die beiden Kapitäne saßen immer noch in der Achterdeckskammer der Fleute. Vermutlich soffen sie dort.

Und der Schatten glitt näher und näher, eine Dreimast-Galeone namens „Santa Barbara“. Ihre Stückpforten waren geöffnet, die Culverinen ausgebrannt. Sie wirkte bedrohlich und wie ein Gespensterschiff. Es schien, als segele sie allein. Nur ein einsamer Mann stand auf dem Achterdeck, ein sehr großer Mann. Aber sie war nicht unbemannt, diese Galeone. Die anderen Kerle – sie nannten sich „Arwenacks“, denn das war auch ihr Kampfruf – lauerten an den Stücken hinter dem Schanzkleid der Steuerbordseite.

Die Galeone segelte über Backbordbug, Querabstand zur Küste nur an die vierzig Yards.

Jetzt passierte sie die Fleute, und da flogen plötzlich torkelnde Dinger durch die Luft, die dünn beschwänzt waren. Und diese Schwänze glühten. Die Dinger senkten sich auf die Fleute, sechs, sieben Stück.

Und dann krachten sieben Explosionen.

Von da ab war die Hölle los.

Drehbassen begannen zu hämmern, Culverinen krachten. Ihre Flammenzungen leckten auf das Kastell zu. Kugeln schlugen in die Palisaden, Holz barst, aus einem Wehrturm brach Mauerwerk.

Der Posten auf dem Wehrturm am Tor breitete plötzlich die Arme aus, stürzte kopfüber auf die Palisaden und spießte sich auf. Aber er war schon vorher tot, von einer Musketenkugel getroffen.

Aus dem Achterdeck der Fleute rasten die beiden Kapitäne, Beeveren löste sich, sprang auf die Kuhl hinunter und stürmte über die Stelling an Land.

„Überfall!“ brüllte er. „Alarm! Schießt zurück, ihr verfluchten Hunde! Schießt!“

Und er rannte zu dem Tor. Doch es war verschlossen. Wie ein Irrer hämmerte er gegen die Bohlen.

„Aufmachen, ihr Idioten!“

Die Fleute sackte nach Backbord. Auf dieser Seite hatte sie ein Loch in der Bordwand – genau in der Wasserlinie. Der Kapitän tobte auf dem Achterdeck herum. Auf seinem Schiff herrschte totale Wuhling.

Aus dem Gebäude des Kastells stürmten die Kerle, zum Teil halb angezogen. Einer öffnete das Tor. Beeveren rannte ihn über den Haufen, faste zu einem Wehrturm und verschwand darin. Auf der Plattform erschien er wieder und begann an einer Kanone zu hantieren.

Fast gleichzeitig hoben Batuti und Big Old Shane ihre Langbogen, visierten und ließen die Pfeile los.

Pieter Hendrik Beeveren, mehrfacher Mörder und Frauenschänder, lebte noch genau fünf Sekunden. Er bäumte sich auf, als beide Pfeile in seinen Rücken fuhren, torkelte über die Plattform, geriet zwischen zwei Zinnen und stürzte in den Innenhof ab.

Die Kerle heulten auf.

Einige stiegen auf den Wehrgang, Musketen in den Fäusten, andere besetzten Drehbassen oder erschienen auf den Wehrtürmen bei den Kanonen, um sie schußfertig zu machen und zu richten.

Doch da zischten ihnen lange Dinger zwischen die Beine, und diese Dinger explodierten. Und da taumelte einer herum und umkrampfte einen Pfeil, der in seiner Brust steckte. Da, noch einer! Doch dem steckte der Pfeil im Hals. Und einer stürzte vom Wehrgang!

Die Galeone hatte gehalst und fuhr ihren zweiten Angriff.

Ihre Breitseite, jetzt von Backbord, brüllte auf und hieb ihr Eisen in das Kastell. Palisaden flogen davon wie dünne Hölzchen, Mauerwerk barst, Schreie, Flüche, Kreischen.

Die Kerle auf der Fleute rannten davon. Ihr Schiff krängte fast bis zum Schanzkleid. Irgendwann würden die Leinen brechen oder die Poller aus den Verankerungen reißen. Und dann würde das Schiff an der Pier absaufen – eine Schmach für ein Schiff, denn Schiffe sterben auf See – im Kampf gegen die Elemente oder im Gefecht mit dem Gegner.

Der Kapitän blieb auf dem Achterdeck, wenigstens der. Und er schüttelte drohend die Faust zu dem fremden Schiff. Eine Musketenkugel riß ihn herum, er rutschte über das schräge Deck und kippte außenbords.

Die Pfeile der beiden tödlichen Schützen holten einen nach dem anderen ein. Und als sie sich in den toten Winkel verkrochen, fielen Flaschen in den Innenhof, die explodierten und ihre furchtbaren Ladungen verstreuten wie Blunderbusse mit Trichtermündungen.

Beim dritten Angriff flog das Tor auseinander, die ersten Palisaden begannen zu brennen. Das Kastell verwandelte sich in ein rauchendes Trümmerfeld. Und der fremde Gegner gab und gab nicht auf. Er war erbarmungslos und zerhämmerte das Kastell Stück um Stück.

Wer durch das Tor zu fliehen versuchte, der gelangte nicht weit – die Pfeile waren schneller …

Gegen vier Uhr morgens nahm die „Santa Barbara“ die beiden Schaluppen an der Bucht der Insel Sarangani auf. Zu diesem Zeitpunkt stand eine Flammensäule im Südwesten, und eine Detonation rollte über die See. Da war der Pulverturm des Kastells in die Luft geflogen.

Die drei Schiffe steuerten nordwärts.

Am Nachmittag brachte Don Juans Schaluppe die acht jungen Badjao-Frauen und die fünf anderen an Land, dort, wo Igna und seine Leute standen und winkten.

Dann setzten die drei Schiffe ihre Fahrt nach Davao fort. Don Alonso de Figuiera, der Kommandant des kleinen Stützpunktes, fiel Hasard buchstäblich um den Hals. Und am Abend wurde gefeiert. Auch die zwölf befreiten weißen Gefangenen waren dabei. Sie würden im Stützpunkt bleiben, um sich zu erholen. Und später würden sie die beiden Schaluppen bemannen, denn es waren Seeleute eines spanischen Handelsseglers, der von der Beeveren-Bande geentert, geplündert und versenkt worden war. Sie waren die einzigen Überlebenden.

Don Alonso bat Hasard, die Gewürze mitzunehmen, die sich in Davao stapelten, und nach Manila zu bringen, wo sie längst hätten sein sollen.

„Gern“, erwiderte Hasard höflich. „Es wird mir eine Ehre sein, Señor Capitán.“

Sie übernahmen die Gewürze und verließen am nächsten Tag den kleinen Hafen von Davao. Da stand die ganze „Einwohnerschaft“ an der Pier und schwenkte die Tücher. Und die Arwenacks winkten zurück.

Im Golf fragte Ben Brighton seinen Kapitän: „Willst du nach Manila segeln, um das Zeug abzugeben?“

„Ich? Bin ich verrückt?“

Ben verstand überhaupt nichts mehr. „Aber wieso …“

„Gar nichts ‚wieso‘, mein Guter. Die Gewürze empfinde ich als Belohnung für unsere guten Taten, und die Leute in Manila werden vergeblich auf die Gewürzladungen aus Davao warten. Denn wir segeln ja nach China, nicht? Und da können wir das Zeug vielleicht gegen schönes Feuerwerk eintauschen. Oder nicht?“

„Das ist Betrug!“

„So?“ sagte Hasard schnippisch, legte die Hände aufs Kreuz und marschierte zur Steuerbordseite …

ENDE


1.

De Canares blickte im Dunkel des engen Schiffsraumes sein Gegenüber an, den jungen Joan Marinho. Marinho war erst sechzehn. Er litt am meisten unter den Grausamkeiten. Lange würde er nicht mehr durchhalten, das wußte de Canares. Aber wer von ihnen hatte noch die Energie, diesen Teufeln in Menschengestalt zu trotzen?

Lareto sprach kein Wort mehr. Er stierte nur vor sich hin. Toninho war in wenigen Tagen zu einem Wrack geworden. Nicht besser ging es Rodrigo und Costales. Und Barilla, dieser Riese von Kerl? Auch ihn hatten sie an Leib und Seele gebrochen. Zuerst hatte er Widerstand geleistet. Dafür hatten sie ihn grün und blau geprügelt. Jetzt wagte er nicht mehr, sich zur Wehr zu setzen.

„He“, sagte de Canares mit heiserer Stimme. „Von diesem Dreck hat uns keiner was erzählt, als wir auf dem Elendskahn angeheuert haben, was?“

„Hör auf“, erwiderte Joan Marinho. „Ich will von der ‚Sao Paolo‘ nichts mehr wissen.“

„Ja, halt’s Maul, Vinicio“, sagte nun auch Barilla.

„Ich will aber nicht schweigen“, sagte de Canares. „Und ich möchte, daß ihr euch immer wieder auf das eine besinnt. Wir müssen hier raus. Wir müssen de Norimbergo fassen. Koste es, was es wolle. Und wenn wir ihn um die ganze Welt jagen müssen.“

„Fängst du wieder mit der Leier an?“ murmelte Costales.

„Alles Quatsch“, brummte Toninho. „Den Capitán sehen wir nicht wieder. Wir verrecken hier wie die Ratten.“

„Laßt mich weitersprechen“, sagte de Canares.

„Tu, was du willst“, entgegnete Barilla. „Aber es nutzt nichts. Wir sollten den Tatsachen ins Auge sehen.“

„Das tue ich auch“, entgegnete de Canares. „Ich bin noch nie im Leben von einem Kerl so angeschissen worden wie von de Norimbergo. Er hat uns alle verraten und verkauft.“

„Als wir ihn in Lissabon getroffen haben, hätten wir nicht so gutgläubig sein sollen“, sagte Costales mit müder, brüchiger Stimme. „Er hat uns beschwatzt. Es ist unsere eigene Schuld.“

Barilla schnaufte zornig. „Da bin ich aber anderer Meinung. De Norimbergo hat uns allen was vorgegaukelt. Auch die älteren Seeleute an Bord des verfluchten Seelenverkäufers haben nicht gewußt, was eigentlich los war.“

Marinho seufzte. „Als uns die Augen aufgingen, war es zu spät.“

„Im ersten Sturm soff der Kahn fast ab“, sagte de Canares, vor dessen geistigem Auge die Geschehnisse noch einmal abliefen. „Wir haben Glück gehabt, daß wir überhaupt lebend hier in China angekommen sind.“

„Besser wär’s gewesen, wenn wir abgesoffen wären“, meinte Toninho. „Oder an der Ruhr krepiert wie die fünf armen Schweine, die wir in die See geworfen haben.“

„Einer hatte Skorbut“, sagte Barilla. „Und Skorbut kriegt man, wenn die Bordverpflegung nicht reichhaltig genug ist. Alles die Schuld von de Norimbergo, diesem Hundesohn!“

„Der Teufel soll ihn holen“, zischte Rodrigo. „Dem Drecksack wünsche ich die Pest an den Hals!“

„Wer konnte auch ahnen, daß er die verrottete ‚Sao Paolo‘ in Macao hinter unserem Rücken verhökert, von dem Geld ein kleineres Schiff kauft und mit nur drei Mann wieder abhaut, ohne uns die Heuer zu zahlen“, sagte de Canares. „Ich hätte es ihm nicht zugetraut. Trotz allem schien er ein ordentlicher Kapitän zu sein.“

„Ein Blender!“ stieß Barilla aufgebracht hervor. „Das sind die Schlimmsten! Wenn ich ihn kriege, drehe ich ihm ganz langsam den Hals um!“

„Da saßen wir nun in Macao“, murmelte Joan Marinho. „Ohne Geld, ohne Arbeit. Ohne Schiff. Keiner wollte uns haben. Wir haben es ja überall versucht. Kein Kapitän wollte uns in seine Musterrolle aufnehmen.“

„Und die Gardisten“, sagte Costales. „Habt ihr die vergessen? Die haben uns ja ständig belauert. Wenn man da zu lange herumlungert, sperren sie einen ein.“

„Wenn wir doch bloß eine Heuer auf einer lausigen Gemüse-Dschunke gefunden hätten“, sagte de Canares. „Damit wäre uns ja schon geholfen gewesen. Wir wären nach Shanghai getörnt, und da hätten wir schon eine neue Arbeit gekriegt.“

 

„Hoffentlich stimmt das überhaupt“, brummte Barilla. „Der Kerl, der uns das in Macao erzählt hat, war wahrscheinlich auch so ein Lügner. Ich glaube keinem mehr.“

„In Shanghai erhält man leichter eine Heuer als in Macao“, sagte Rodrigo. „Das hat mir sogar in Lissabon mal ein alter Seemann verraten.“

Toninho entgegnete: „Vergiß es. Was nutzt es noch? Wir erreichen Shanghai nicht mehr.“

„Ausgerechnet diesen Zopfmännern mußten wir in die Hände fallen“, klagte Marinho.

„Es war schon waghalsig von uns, zu Fuß nach Norden aufzubrechen“, sagte Toninho. „Was haben wir uns denn eingebildet? Na schön, aus Macao kamen wir einfach nicht weg. Aber zu Fuß nach Shanghai latschen? Lachhaft! Das hätten wir nie geschafft. Wir hätten den ersten Kahn, den wir in irgendeinem lausigen Fischernest entdeckt hätten, geklaut, das schwöre ich euch.“

„Deswegen sind wir noch lange keine Galgenstricke“, erwiderte de Canares. „Wir hätten aus einer Notlage heraus gehandelt.“

„Hätten, hätten“, sagte Barilla verächtlich. „Was nutzt das jetzt noch? Die Zopfmänner haben uns geschnappt. Wir sind ihnen regelrecht in die Arme gelaufen.“

„Sie hatten uns eine Falle gestellt“, sagte Costales. „Sie müssen uns schon eine Weile im Dschungel belauert haben. Dann sind sie uns nachgeschlichen und haben uns niedergeschlagen und an Bord ihrer verdammten Dschunke geschleppt.“

„Und da hocken wir nun mehr tot als lebendig“, sagte Rodrigo. „Alles Reden hat keinen Sinn. Die Hunde werden uns abmurksen.“

„Wer sind sie?“ fragte Marinho mit bebender Stimme. „Gehören Sie zur chinesischen Marine? Gibt es hier so was überhaupt?“

„Nicht in dem Sinne wie bei uns“, entgegnete de Canares. „Und die gelben Hurensöhne sind keine Soldaten des Kaisers, da bin ich sicher.“

„Also doch Piraten, wie ich vermutet habe“, sagte Barilla.

„Auch das nicht“, meinte de Canares.

„Was dann, zum Henker? Dämonen? Blutsauger?“

„Ich halte sie für Fanatiker“, erklärte de Canares. „Habt ihr nicht das Bildnis gesehen, das sie oben an die Wand der Hütte gemalt haben?“

„Pfui Teufel“, sagte Toninho. „So was Scheußliches habe ich noch nie gesehen.“

„Was soll das sein?“ fragte Costales. „Ein Ungeheuer.“

„Ein Affe“, erwiderte de Canares. „Ich vermute, sie verehren ihn als eine Art Götzen.“

„Heiden“, sagte Barilla. „Wahrscheinlich sogar Kannibalen. Die fressen uns auf, sage ich euch.“

„O Gott, nein“, flüsterte Marinho. Er bekreuzigte sich.

„Der Anführer heißt Fong Chen Huan“, fuhr de Canares fort. „Ich habe gehört, wie die Chinesen diesen Namen genannt haben. Mehr kann ich aber auch nicht verstehen. Sicher ist aber, daß dieser Fong ein blutrünstiger Fanatiker ist.“

„Der uns allen die Gurgeln durchschneiden wird“, brummte Barilla. „Das ist das Ende vom Lied. Na schön, Vinicio, du bist der schlauste von uns. Nicht umsonst hast du’s zum Bootsmann gebracht. Aber was nutzt es uns noch, zu wissen, daß die Kerle irgendeiner verrückten Sekte angehören? Nichts.“

„Sie sind Fremdenhasser“, sagte de Canares. „Ich glaube, sie verfolgen alle Weißen, die hier auftauchen. Vielleicht wollen sie ihr Land von Ausländern säubern.“

„Wahnsinn“, murmelte Rodrigo. „Aber so, wie du es sagst, könnte es schon sein, Vinicio. Das bedeutet, wir sind nicht die ersten, die von diesen Verrückten verschleppt werden.“

„Und wir werden auch nicht die letzten sein“, murmelte de Canares.

Kurze Zeit darauf stellte sich heraus, daß Vinicio de Canares sich nicht täuschte. Das Gezeter der Chinesen an Oberdeck der dreimastigen Dschunke hatte dieses Mal nicht den Zweck, die Gefangenen zu peinigen.

Fong Chen Huan und seine dreißig Kerle hatten ein Boot gesichtet, das in der See trieb. An Bord befanden sich zwei erbärmliche Gestalten – weiße Männer.

Fong ließ Kurs auf das Boot nehmen.

Fong Chen Huan rieb sich mit höhnischem Grinsen die Hände und entblößte seine weißen Zähne. Sein Blick war auf das Boot mit den Fremden gerichtet. Weiße Teufel, dachte er.

Nur etwas mehr als fünf Fuß groß war Fong. Sein Äußeres wirkte eher schwächlich. Er war mager und schien nur aus Knochen zu bestehen. Selbst sein sichelförmiger Schnauzbart war dürr. Aber der erste Eindruck auf Menschen, die ihn nicht kannten, täuschte über sein wahres Wesen.

Fong steckte voller Willenskraft, suggestiver Macht und Grausamkeit. Er war der Inbegriff des charismatischen Führers. Selbst der größte und wildeste Kerl wagte nicht ihm zu trotzen. Fong brach jeglichen inneren Widerstand bei anderen Menschen. Außerdem beherrschte er die Fähigkeit der Hypnose.

Kein Zweifel, die Fremden in dem Boot waren Schiffbrüchige. Als sie sahen, daß die Dschunke auf sie zusteuerte, hoben sie die Hände und winkten. Ihre Bewegungen waren müde und schwach. Sie mußten schon längere Zeit in ihrer Jolle zugebracht haben.

Fong warf einen langen Blick durch sein Spektiv und erkannte, daß das Boot weder über Riemen noch über ein Segel verfügte. Es trieb in der See. Weit war die Küste nicht mehr entfernt, aber man konnte sie nicht sehen. Die beiden weißen Männer ahnten also nicht, daß die Rettung viel näher war, als sie wahrscheinlich annahmen.

Sie ahnten auch nicht, daß sie an Bord der Dschunke alles andere als Hilfe erwartete. Welcher Pirat zeigte schon Interesse an zwei erbarmungswürdigen Wesen, die kaum noch einen Fetzen auf dem Leib hatten?

Fong ließ das Spektiv sinken und lachte leise. Er kannte das. Die Dschunke wirkte äußerlich so harmlos wie ein Frachtsegler. Das war eine vorzügliche Tarnung.

Kurze Zeit später glitt die Dschunke mit aufgeholten Mattensegeln bei dem Boot längsseits. Hände streckten sich den Schiffbrüchigen entgegen, Fongs Männer hievten die beiden an Bord. Anschließend wurde auch das Boot geborgen. Es befand sich in einem annehmbaren Zustand. Fong Chen Huan war der Meinung, daß er es gebrauchen könnte.

Die beiden Fremden – dunkelhaarige Männer mit struppigen Bärten – hatten gerade noch Zeit, sich an Deck der Dschunke umzuschauen. Sie sahen das Porträt des Affen an der Wand der Hütte – und spürten die Atmosphäre des Hasses und der Feindseligkeit, die sie umgab. Sie waren vom Regen in die Traufe geraten. Aber es war zu spät, zu fliehen.

Schon stürzten sich die Chinesen auf sie.

„Nein!“ stieß der eine Mann hervor. „Laßt mich los!“

„Was wollt ihr?“ keuchte sein Kamerad. „Wir haben euch nichts getan!“

Spanier, dachte Fong. Er trat mit verschränkten Armen auf sie zu. Seine Kerle prügelten mit ihren Peitschen auf die beiden neuen Gefangenen ein. Fong stoppte sie mit einer herrischen Gebärde.

Die Schiffbrüchigen versuchten verzweifelt, sich loszureißen, aber acht Chinesen hielten sie an den Armen fest. Sie hatten nicht die geringste Chance zur Flucht.

„Yang kuei tzû“, sagte Fong, dann übersetzte er es in die spanische Sprache: „Fremde Teufel!“ Er beherrschte sowohl Spanisch als auch Portugiesisch. Fong ging davon aus, daß der Feind am besten zu schlagen war, wenn man seine Sprache und seine Gewohnheiten kannte. „Ihr habt nicht das Recht, in unser Reich einzudringen. Ihr verseucht uns mit eurem stinkenden Atem und euren Krankheiten. Wir werden nicht dulden, daß ihr uns überrennt.“

„Wer bist du?“ schrie der eine Gefangene. „Wir kennen dich nicht! Wir befinden uns in einer Notlage! Das Gesetz der See schreibt vor, daß …“

„Euer Gesetz“, schnitt Fong ihm schroff das Wort ab, „ist das Gesetz der Teufel! Wir verachten und bespucken es. Nach unserem Gesetz seid ihr Dreck, den man vernichten muß.“

„Pedro“, sagte der zweite Gefangene. „Der ist verrückt.“

„Mann, wo sind wir hier nur gelandet?“ flüsterte sein Kamerad.

„Auf der Dschunke der himmlischen Gerechtigkeit“, erklärte Fong grinsend. „Willkommen an Bord. Ich werde euch bevorzugt behandeln lassen, weil ihr so freundlich seid.“

Der zweite Gefangene versuchte es mit einem Appell an Fong Chen Wuans Vernunft.

„Señor“, sagte er. „Mein Name ist Carlos Gerado, und das ist mein Freund Pedro Molina. Wir sind ehrliche Seeleute, keine Schnapphähne oder Plünderer, wie du vielleicht denkst. Wir führen nichts Arges im Schilde. Unser Schiff, die ‚Santa Teresa‘, ging in einem Sturm unter, und zwar südlich von Formosa.“

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