Seewölfe Paket 27

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2.

Nur etwa eine knappe Stunde vor diesem letzten Ereignis – also noch vor Morgengrauen – ankerten die „Santa Barbara“ sowie die beiden Schaluppen aus Davao an einer Stelle, die sich etwa anderthalb Meilen nördlich des holländischen Lagers befand. Philip Hasard Killigrew war entschlossen, dieses Lager auszuheben, die Kerle gefangenzusetzen und dem Kommandanten des kleinen spanischen Stützpunktes Davao zu übergeben.

Nach Don Juans Bericht – er führte die eine Schaluppe aus dem spanischen Stützpunkt – waren die Niederländer nunmehr ohne Fahrzeuge. Nachdem die Arwenacks im Verlauf des Vortags zwei Schaluppen der Kerle versenkt beziehungsweise zerstört hatten, war in der Nacht von Al Conroy eine dritte Schaluppe vernichtet worden, und zwar während eines Feuerüberfalls von Don Juans Einmaster aus auf das Lager der Holländer. Und die vierte Schaluppe hatten die Kerle selbst infolge einer Verwechslung zum Wrack zerschossen.

Mithin waren die Kerle ohne schwimmende Untersätze, es sei denn, sie bauten sich Flöße zusammen. Von dieser Möglichkeit ging Hasard aus, und darum wollte er die Kerle packen, bevor sie mit den Flößen auf Nimmerwiedersehen verschwanden. Daß sich die Kerle zu Fuß absetzten, mußte er auch einkalkulieren, aber er ging von der allgemeinen These aus, die besagt, daß Seeleute einen Horror vor Fußmärschen hätten. Das entsprach einer englischen Weisheit, die verkündete, der Seemann schwinge sich lieber bei Sturm zehn Stunden lang von Mast zu Mast, als daß er auch nur fünf Minuten lang an Land die Füße schwinge.

Hasard irrte – und etwa drei Stunden später hätte er sich für diesen Irrtum ohrfeigen können.

Sie ankerten hinter einer nach Norden hochgekrümmten Landzunge, die ihnen die Gewähr bot, vom Lager der Holländer aus nicht gesehen zu werden. Die Landzunge war üppig mit hohen und dichten Bäumen bestanden, hinter denen die Masten unsichtbar blieben.

Auch ein nach Norden sichernder Posten konnte die heransegelnden Schiffe nicht sehen, wenn sie unter Land blieben. Aber die Arwenacks mußten mit einem solchen Posten rechnen, wenn sie sich an das Lager heranarbeiteten.

Bis auf eine Ankerwache auf jedem Schiff setzten die Mannen mit Beibooten an Land. Hasard teilte drei Trupps ein. Einer unter Führung Don Juans sollte das Lager umgehen und sich von Süden nähern, einer unter Führung Ben Brightons sollte sich von Westen heranpirschen und einer von Norden. Diesen Trupp übernahm Hasard selbst. Bei ihm befand sich Batuti, der schwarze Riese aus dem fernen Gambia.

Als Signal, daß alle drei Gruppen vor Ort waren und das Lager umstellt hatten, vereinbarten sie das Keifen des Eisvogels, das sie alle kannten. Das durchdringende hohe „Tiit“ war leicht nachzuahmen. Außerdem hauste dieser Fischchenfänger am Strand in den Mangroven, und es konnte durchaus sein, daß er aus irgendwelchen Gründen noch vor Sonnenaufgang loszeterte.

Don Juans Trupp würde den weitesten Weg haben. Er selbst schätzte, in einer guten halben Stunde am Ziel zu sein. Zusammen mit Ben Brightons Trupp verschwanden er und seine Mannen, darunter Carberry, landeinwärts im Dickicht.

Hasard lauschte und lächelte dann in sich hinein. Die Arwenacks bewegten sich auf sehr leisen Sohlen – und im Gegensatz zu den fußmüden Seeleuten waren sie auch gute Marschierer, wie sie oft genug bewiesen hatten.

Er winkte seine Söhne heran, die Plymmie zwischen sich hatten, und flüsterte: „Ihr übernehmt die Spitze. Paßt dabei auf Plymmies Reaktionen auf. Es ist mit einem Posten zu rechnen. Ich hoffe, euer Wauwau wittert den Kerl, bevor der uns entdeckt.“

Die beiden Junioren reagierten unisono, und zwar zog Jung-Hasard die linke Augenbraue und Jung-Philip die rechte Augenbraue hoch, beide taten es auf unnachahmliche Weise, und es besagte zweierlei: Erstens fanden sie die Bezeichnung „Wauwau“ reichlich unpassend für ihre geliebte Hundelady, und zweitens war es völlig selbstverständlich, daß Plymmie den Kerl witterte, bevor er merkte, daß was im Busch war.

Und Jung-Hasard flüsterte – es klang ziemlich spitz: „Du kannst dich auf Plymmie verlassen, Sir.“ Er betonte das Wörtchen „Plymmie“ und setzte es somit gegen das Wörtchen „Wauwau“.

Aber Vater Hasard sagte nur trocken: „Dann ist es ja gut.“

Da zogen sie noch einmal die jeweiligen Augenbrauen hoch, um ihre Mißbilligung auszudrücken, wandten sich um und setzten sich in Marsch, natürlich genauso auf leisen Sohlen wie Don Juans und Ben Brightons Mannen. Plymmie hatten sie wieder zwischen sich.

Die Wolfshündin schnürte los, teils die Nase am Boden, teils den Kopf erhoben und die Dreiecksohren steil aufgestellt. Geschickt umging dieses Trio Hindernisse wie die ausgreifenden Luftwurzeln der Mangroven, aber stets bewegten sie sich so, daß sie vor sich Deckungen hatten.

Hasard und sein Trupp folgten. Sie behielten Plymmie scharf im Auge. Einmal verharrte die Hündin. Aber sie blickte zurück, als prüfe sie, ob auch noch alle da seien. Sie wedelte ein bißchen mit dem Schwanz – und zog weiter. Hasard hatte den Eindruck, daß sie sich jetzt schneller voranbewegte, aber das mochte täuschen. Tatsächlich war es Plymmie, die einen auch für die Mannen gangbaren Weg durch das Gestrüpp des Strandgürtels fand.

Einmal sprang sie jäh vor – und Hasard sträubten sich die Haare in der Erwartung, den Schuß zu hören, der vielleicht einen seiner beiden Söhne traf und umriß. Und schon hatte er die Pistole im Anschlag.

Plymmie schnappte zu und beutelte etwas, das sie im Fang hatte.

O Heiland! Eine winzige Maus!

Batuti, dicht bei Hasard, grinste, aber das sah Hasard nicht.

„Scharf, eh?“ flüsterte er seinem Kapitän zu.

Der senkte die Waffe und stieß zischend die Luft aus. Er mußte sich gewaltig am Leibriemen reißen. Nervös war er, verdammt noch mal. Vielleicht hätte er doch nicht den Söhnchen die Spitze überlassen sollen …

Es ging schon weiter, bevor Hasard den Gedanken weiterspinnen konnte. Die Maus war davongeflogen und zwischen Wurzeln gelandet – ein ähnliches Schicksal erleidend wie die Ratten an Bord der „Santa Barbara“, die sie aus der Bilge verjagt hatten und unter denen Plymmie gewütet hatte.

Und das Lager rückte immer näher. Wenn überhaupt, dann mußte Plymmie hier und jetzt den Posten wittern.

Sie tat es nicht.

Sie setzte sich plötzlich quer auf den Hintern, beugte den Kopf nach rechts, hob den rechten Hinterlauf und bürstete sich hinter dem rechten Ohr. Sie tat es mit Genuß und sehr ausgiebig.

Hasard stierte und wälzte Zweifel, ob Plymmie bei der Sache war. Außerdem meinte er zu bemerken, daß die beiden Lümmel bis zu den Ohren grinsten. Die amüsierten sich über ihre Lady, der das Fell hinterm Ohr juckte. Ein verdammter Floh, oder was?

Plymmie beendete ihre interessante Tätigkeit, reckte den Kopf, gähnte – mein Gott, die gähnte! – und hoppelte weiter.

Doch dann wurde sie unruhig – und schneller. Hasard sah, wie ihr seine beiden Söhne ins Nackenhaar griffen und sie bremsten. Aber sie wollte weiter und rebellierte, bis Jung Hasard einen scharfen Zischlaut ausstieß. Da legte sie sich flach auf den Bauch, aber die Ohren gespitzt und den Kopf in eine bestimmte Richtung gewandt.

„Laß mich vor, Sir“, flüsterte Batuti am Ohr Hasards.

Hasard nickte stumm. Mit einem kurzen Blick zurück sah er, daß seine Mannen zu Salzsäulen erstarrt waren, zu geduckt lauernden Salzsäulen, die Musketen im Hüftanschlag.

Batuti passierte das Trio, glitt geschmeidig weiter und verschwand in dem graugrünen Dunkel der Blätter, Lianen und sonstigen Schlinggewächse, die hier wucherten. Auch das geschah lautlos. Ebenso war kaum bemerkbar, daß da und dort eine Bewegung in der Blätterwand entstand, die nur einen winzigen Lidschlag lang andauerte.

Sie warteten, gespannt wie die Sehnen von schußbereiten Bogen, alle Sinne dorthin konzentriert, wohin Batuti verschwunden war.

Seine Rückkehr war weniger lautlos. In der bisherigen Stille wirkte sie fast brutal. Er brach wie ein Büffel aus dem Dickicht.

„Das Lager ist geräumt!“ rief er.

Hasard richtete sich aus der geduckten Haltung auf, überrascht, verblüfft.

„Bist du sicher?“

„Aye, Sir.“ Das klang endgültig.

Hasard blieb mißtrauisch. „Keine Falle?“

Batuti schüttelte den Kopf. „Sie haben fünf Tote zurückgelassen.“

„Das besagt nichts.“

„Mag sein.“ Batutis Zähne leuchteten. „Aber da sind viele Spuren. Sie führen nach Süden. Außerdem“, Batutis Hand deutete auf Plymmie, „sie hat eine Witterung für Tote und Lebende. Sie wollte die Toten beschnüffeln. Bei Gefahr hätte sie sich anders verhalten.“

„Stimmt“, sagte Philip junior und drehte sich zu seinem Vater um. „Plymmie hatte das längst spitz.“ Und dann haute er mit dem Knüppel drauf und fügte hinzu: „Sogenannte Wauwaus hätten das wohl erst übermorgen bemerkt – oder gar nicht.“

Hasard entspannte sich und winkte ab. „Schon gut, schon gut, Plymmie ist kein Wauwau, in Ordnung. Aber sie hat Flöhe.“

„Hat sie nicht!“ fauchte Hasard junior. „Mich juckt’s auch manchmal hinterm Ohr, aber nicht, weil dort Flöhe sitzen.“ Er ruckte den Kopf zu Bruder Philip. „Oder hab’ ich Flöhe?“

Bruder Philip feixte bis zu den Ohren. „Sowenig wie der Kapitän der ‚Santa Barbara‘ – oder soviel! Weiß man’s? Er krabbelt sich auch hin und wieder hinterm Ohr, nicht?“

„Genau!“ tönte das Bruderherz Hasard. „Du sagst es …“

„Diskutieren wir hier über Flöhe?“ fuhr Vater Hasard dazwischen.

„Mit dem Thema hast du angefangen, Sir, nicht wahr?“ entgegnete Philip junior prompt. „Oder wie ist das?“

„Thema durch“, knurrte Vater Hasard. „Laßt Plymmie los. Ich möchte wissen, ob sie noch etwas entdeckt.“

 

„Such!“ rief Hasard junior. Sie entließen Plymmie mit einem Klaps auf die Schulter. Die Hündin schnürte davon.

Vater Hasard kratzte sich hinter dem Ohr, ziemlich nachdenklich. Und als ihm bewußt wurde, was er tat, ließ er die Hand hastig sinken. Vor ihm grinsten Batuti und die beiden Junioren, und als er sich umdrehte, war das bei seinem Haufen nicht anders. Die amüsierten sich auf seine Kosten. Weil er Flöhe hatte, nicht wahr? Aber, bei Gott, er hatte keine. Bande, verdammte!

Hasard räusperte sich und sagte: „Kann mir mal einer verraten, warum die Kerle abgezogen sind? Sie hätten uns hier eine schöne Falle stellen können, nicht wahr? Nehmen wir mal an, sie hätten es geschafft, uns nahezu lautlos abzuräumen. Dann wäre es ihnen auch nicht weiter schwergefallen, sich unsere Galeone und die beiden Schaluppen anzueignen. Warum haben sie das nicht getan?“

„Sie hatten die Schnauze voll“, sagte Dan O’Flynn, der Hasard am nächsten stand.

Hasard schüttelte den Kopf. „Das leuchtet mir nicht ein. Sie sind hier mit vier Schaluppen erschienen, haben also eine bestimmte Strecke auf dem Wasser zurückgelegt, und zwar von einem Stützpunkt aus, der wiederum auch nur auf dem Wasserweg zu erreichen ist. Sie sind auf den Besitz von Schiffen angewiesen. Ohne Schiffe hätten sie hier festgesessen – und sie saßen ja fest.“

„Vielleicht haben sie einen Stützpunkt ganz unten im Süden dieser Küste“, sagte Dan O’Flynn. „Und dorthin schlagen sie sich jetzt durch. Bei ihren Rodungsunternehmen bezüglich der Muskatnußbäume hier oben war’s natürlich bequemer, mit Schaluppen heraufzusegeln, statt sich durch den Verhau des Urwalds zu quälen, wo sie sich jeden Schritt mit Äxten und Messern erkämpfen müssen.“

„Kann sein, kann auch nicht sein.“ Hasard wiegte den Kopf. „Das sind doch gewalttätige Kerle, und wenn ich davon ausgehe, dann begreife ich nicht, daß sie den unbequemen und mühseligen Weg durch den Urwald nehmen, statt in der gewohnten Manier draufzuschlagen und sich unsere Schiffe zu schnappen.“

Hinter Hasard sagte Philip junior ziemlich kühl: „Sir, wenn ich mir einen Vorschlag erlauben darf: Vielleicht sollten wir darüber später diskutieren. Wie ich das sehe, schleichen sich unsere beiden anderen Trupps ziemlich nutzlos ans Lager, ich meine, ohne zu wissen, daß es bereits geräumt ist.“

Hasard blickte Don an und murmelte: „Die gehen mir heute auf den Geist, diese beiden Gentlemen. Offenbar halten sie mich für einen Trottel!“ Er drehte sich langsam um und fixierte seinen Sohn Philip. „Ich versuche, ein bißchen vorauszudenken, Mister Killigrew, wenn’s recht ist. Und Plymmie ist noch nicht zurück. Oder ist sie das?“

„Nein, Sir.“

Aber auch diese Runde ging an die Junioren, denn Philip hatte kaum ausgesprochen, da stellte sich die Hundelady ein, schwanzwedelnd und offenbar guter Laune.

„Sie hat nichts entdeckt, Sir“, sagte Hasard junior mit einer gewissen Süffisanz in der Stimme und fügte an: „Wenn’s recht ist.“

„Beim nächstenmal“, sagte Vater Hasard so ein bißchen klirrend, „solltet ihr wohl besser beim Kutscher oder bei Mac in der Kombüse Gemüse putzen oder Töpfe schrubben oder Will Thorne beim Flicken von Segeln zur Hand gehen.“

„Aye, Sir, sehr gern“, erklärte Philip junior, „dann mußt du natürlich auf den Wauwau verzichten, mit dessen Verhaltensweise nur Hasard und ich vertraut sind – wenn’s recht ist!“

„Ah!“ sagte Vater Hasard. „Jetzt hab’ ich’s kapiert. Ihr hackt auf mir herum, weil ich eure Plymmie als Wauwau bezeichnet habe.

Stimmt’s?“

„Aye, Sir, stimmt“, erwiderte Hasard junior. „Und weil du ihr Flöhe ans Fell gejubelt hast.“

„Ich bitte um Entschuldigung“, sagte Vater Hasard, „wenn’s recht ist.“

„Aye, Sir, ist recht“, sagte Philip junior.

Und damit war diese Sache zwischen dem Vater und seinen beiden Söhnen entschieden. Aber Vater Hasard war sich darüber klar, daß ein unbedachtes Wort genügte, seine beiden Sprößlinge in eine Resistenz zu bringen, die einem weiß Gott die Schuhe ausziehen konnte.

Verdammt, verdammt, dachte er, da mußt du scharf aufpassen, Vater Hasard. Sie zeigen dir die Zähne – und nicht mal schlecht. Und da grinste er.

Und da sie ihren Vater genau im Visier hatten, grinsten sie ebenfalls.

Wie Verschwörer, diese drei, dachte Dan O’Flynn, und er ärgerte sich, daß er sie beneidete. Denn da war in seinem Kopf die Frage aufgetaucht, ob er auch einmal solche Söhne haben würde – straff und gerade, scharf im Verstand, zäh und unbeugsam, wenn es sein mußte, und von geschmeidiger Eleganz beim Rückzug mit dem Florett, mit dem die Franzosen fochten.

In seine Gedanken hinein sagte Hasard: „Wir gehen zum Lager vor, aber bleibt vorsichtig, Leute, und verteilt euch.“

So waren sie die erste Gruppe in dem verlassenen Lager, und während Don Juans und Ben Brightons Trupps herangerufen wurden, ließ Hasard bereits Gruben für die fünf Toten ausheben und die Gerätschaften einsammeln, die von den Niederländern zurückgelassen worden waren.

Batuti verfolgte inzwischen die Spuren der Kerle und stieß auf Don Juans Trupp, der dort verhielt, wo die entwurzelte Kokospalme lag. Aber der Kerl, den Don Juan und Gary Andrews dort während ihrer nächtlichen Aktion betäubt, gefesselt und hinter dem Stamm angebunden hatten, war verschwunden. Nur die gekappten Fesseln waren noch da, achtlos hingeworfen.

Na gut, diesen Burschen hatten die Kerle also entdeckt und befreit. Und dann waren sie weitermarschiert, nach Süden. Eine breitgetrampelte Spur im Sand zeigte die Marschrichtung. Batuti verfolgte sie nicht weiter, sondern kehrte mit Don Juans Trupp zum Lager zurück, wo auch bereits Ben Brightons Trupp eingetroffen war.

Es wurde allmählich heller.

Don Juan de Alcazar hatte sich in dem Lager umgeschaut. Nach dem nächtlichen Beschuß von seiner Schaluppe aus war er ja mit Gary Andrews an Land gepirscht, und sie waren beide unmittelbare Zeugen des Dramas geworden, als die Kerle bar jeder Vernunft aufeinander losgedroschen hatten. Jetzt stand er bei den fünf Toten und starrte auf sie hinunter.

„Das verstehe ich nicht“, murmelte er.

„Was meinst du?“ fragte Hasard.

Don Juan deutete auf die Toten. „Das sind fünf – aber es waren nur zwei, als die Prügelei vorbei war und Gary und ich zu unserer Schaluppe zurückkehrten.“ Er drehte sich zu Gary Andrews um, der gerade vier Äxte heranschleppte. „Wie viele Tote waren es, als wir uns absetzten, Gary?“

„Zwei“, erwiderte der hagere Mann und strich sich eine hellblonde Strähne aus der Stirn.

„Es sind fünf.“

Gary legte die Äxte zu den bereits eingesammelten anderen Werkzeugen und trat näher. „Fünf? Hm – drei mehr. Es waren drei Kerle von der Schaluppen-Crew, die an Land über ihren Kapitän herfielen und ihn zusammenschlugen.“

Don Juan kniff die Augen zusammen. „Du meinst, dieses Ungetüm von Kapitän hat sich an ihnen gerächt, als er wieder bei Besinnung war?“

„Genau das. Es würde zu seiner bisherigen Verhaltensweise passen. Er regiert seine Kerle mit eiserner Faust – das haben wir doch erlebt. Da kann er sich’s nicht bieten lassen, von seinen Kerlen angegriffen zu werden. Das wäre ein Zeichen von Schwäche.“

„Ich stimme Gary zu“, sagte Hasard, der aufmerksam zugehört hatte, „vorausgesetzt, es hat sich so abgespielt. Aber wenn dem so ist – und wir sollten das getrost unterstellen –, dann haben wir ein weiteres Mosaik im Charakterbild dieses Mannes. Er scheut sich nicht, drei seiner Männer zu töten – drei! –, um sein Prestige zu wahren. Dieser Kerl ist ein Ungeheuer. Das zu wissen, sollte uns veranlassen, noch vorsichtiger zu sein. Der Kerl geht über Leichen – auch über die seiner eigenen Männer.“

Don Juan nickte und sagte: „Wenn er sich so was leistet, ist zu vermuten, daß er auf die Anzahl seiner Kerle keine Rücksicht zu nehmen braucht. Er muß noch mehr unter seiner Befehlsgewalt haben als jene, die hier ihre Äxte schwangen oder die vier Schaluppen bemannten.“

Hasard starrte über das Wasser und sagte nachdenklich: „Sollen wir das noch packen? Unser Ziel ist China. Daß wir uns für die Spanier schlagen, ist sowieso absurd. Gut, wir haben die Kerle von hier vertrieben, vier Schaluppen stehen auf ihrer Verlustseite. Sollte das nicht reichen? Sind wir vielleicht die Büttel oder Handlanger oder Ausputzer für das mächtige Spanien, das alles an sich raffen muß, sich hier offenbar überfressen hat? Kann mir mal einer darauf eine Antwort geben?“

„Im Prinzip hast du recht“, sagte Don Juan zurückhaltend.

„Ah ja, und sonst?“

Don Juan deutete auf die gefällten Muskatnußbäume. „Dort liegt die Antwort. Es geht nicht darum, den Handlanger für das mächtige Spanien zu spielen – wie du es nanntest –, sondern darum, diesen Barbaren, von denen die Natur geschändet wurde, das Handwerk zu legen.“

„Daraus schließe ich, daß diese Aktion gegen die Holländer für dich noch nicht beendet ist“, sagte Hasard. „Richtig?“

„Stimmt.“

Und Ben Brighton sagte: „Wir haben noch nie halbe Sachen gemacht, sondern alles bis zum Ende durchgefochten.“

„In Ordnung, Ben“, entgegnete Hasard, „dann verrate mir mal, wo wir weiterfechten sollen. Mir ist nicht bekannt, wohin sich die Kerle abgesetzt haben. Schau dir mal das Kartenmaterial von Capitán de Figuiera an! Dieses riesige Gebiet mit allen seinen Inseln, Inselchen und Tausenden von Buchten! Ich weiß verdammt nicht, wo ich da mit dem Suchen anfangen soll. Ich weiß nur, daß ich dafür keine Zeit verplempern will – und eine solche Suche kann Monate dauern.“

„Monate?“ sagte Dan O’Flynn lächelnd. „Das sehe ich anders, Sir. Wir haben zwei Möglichkeiten. Wir können uns hier auf die Lauer legen und die Axtschwinger in Empfang nehmen, wenn sie zum nächsten Kahlschlag erscheinen. Und ich schätze, die geben nicht auf. Die andere Möglichkeit wäre, dem Schrat auf die Zähne zu fühlen oder ihn ein bißchen zu kitzeln, damit er uns das verrät, was wir wissen wollen.“

Ach ja, der Schrat! Dieses Muskelmonster war von Don Juan, Hasard und Dan O’Flynn überwältigt worden. Der Kerl hatte das holländische Lager nach Norden hin absichern sollen. Jetzt befand er sich in der Vorpiek der „Santa Barbara“, doppelt und dreifach gefesselt, denn dieser Kraftmensch war so stark wie mehrere Ochsen. Nur sein Kinn war aus Glas – wie Carberry festgestellt hatte.

Carberry hob auch sogleich den Kopf und sagte: „Sir, das ist ein guter Vorschlag von Dan. Ich werde das übernehmen und dem lieben Kerlchen verklaren, was anliegt.“

„Und dann spuckt er dich wieder an, wie?“ sagte Hasard, daran erinnernd, daß der Schrat das schon einmal getan hatte. Aber das war ihm überhaupt nicht bekommen.

„Soll er“, sagte Carberry großzügig, „Spucke kann man abwaschen. Außerdem tut sie nicht weh – im Gegensatz zu meiner Flosse!“ Und er hob diese „Flosse“, die das gleiche Ankerklüsenformat hatte wie die Pranken Pete Ballies, des Gefechtsrudergängers der Arwenacks.

Hasard seufzte. „Na gut. Wir können’s ja mal versuchen, den Kerl zu befragen. Aber ich habe nicht den Eindruck, daß der uns was verrät – und ein strenges Verhör lehne ich ab, zumal er uns dann vermutlich anlügt.“

„Mal sehen“, meinte Carberry.

Sie begruben die fünf Toten, die Pieter Hendrik Beeveren bei der Auszahlung der Heuer seitens seiner Auftraggeber wieder auferstehen lassen würde, Hasard sprach ein kurzes Gebet, und dann kehrten sie an Bord ihrer Schiffe zurück. Die Gerätschaften nahmen sie mit.

Inzwischen war die Sonne im Osten aufgegangen. Und es war Old O’Flynn an Bord der „Santa Barbara“, der dem holländischen Waldschrat – sein Name lautete Marten de Groot – einen Aufschub verschaffte.

Denn Old O’Flynn wies mit düsterer Miene nach Süden und verkündete: „Rauchwolken!“

Es stimmte. Trotz der Abschirmung hinter der Landzunge waren weit unten im Süden Rauchwolken zu sehen, die aufstiegen und vom Westwind nach Osten getrieben wurden.

Hasard erstarrte, und sein Gesicht wurde kantig.

„Verflucht!“ murmelte er erbittert. „Daß ich daran nicht gedacht habe!“

„Was ist los?“ fragte Don Juan und kehrte aufs Achterdeck zurück. Er hatte gerade zu seiner Schaluppe abentern wollen, die bereits längsseits der „Santa Barbara“ gebracht worden war.

„Dort unten im Süden“, sagte Hasard, „wo die Rauchwolken aufsteigen, müssen die Pfahlbauten der Badjao liegen – und deren Boote!“

Auch Don Juans Gesicht verhärtete sich. Er begriff sofort, was Hasard meinte.

„Mein Gott“, murmelte er, „diese Teufel!“