Seewölfe Paket 27

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6.

Am nächsten Tag übernahmen die Arwenacks die beiden Schaluppen, und da war einiges zu tun, denn der gute Don Alonso hatte sich als Nicht-Seemann kaum um die beiden Schiffchen gekümmert und gestand auch, er habe keinerlei seemännische Praxis. Gleiches galt auch für seine „Truppe“ von zehn Mann.

Manila hatte dem kleinen Stützpunkt die beiden Schaluppen zwar als „Hafenflottille“ zur Verfügung gestellt, aber nicht dafür gesorgt, daß sie auch eine entsprechende Besatzung erhielten. In diesem Fall hatte Don Alonso ebenfalls die „Verwaltungshengste“ – wie er sich ausdrückte – in Manila angeschrieben und darum gebeten, ihm mindestens einen Bootsmann und fünf Seeleute je Schaluppe zu schicken. Aber auf diese Bitte hatte man noch nicht reagiert.

Hasard und seine Mannen dachten sich ihren Teil. In Manila schien ein feiner Schlendrian zu herrschen. Andererseits befanden sich die Philippinen weitab vom Mutterland Spanien, und Manila wiederum, Haupthafen und Hauptstadt auf der nördlichen Philippineninsel Luzon, lag an die sechshundert Meilen Luftlinie von Davao entfernt.

Carberry, enttäuscht darüber, daß Davao noch nicht einmal über eine Kneipe verfügte, meinte, dieses Kaff läge „am Arsch der Welt“. Damit hatte er zweifellos recht, obwohl ihn der Kutscher belehrte, das käme doch, bitte sehr, immer auf den Blickwinkel an. Genausogut könne man, wenn man jetzt Davao als Standort nähme, behaupten, Plymouth läge am „Dingsda der Welt“ – ähem!

Für einen Kaffer wie dich bestimmt! hatte der Profos gehöhnt und sich strikt geweigert, einen anderen Blickwinkel anzuerkennen. Außerdem irritierte ihn der riesige Vulkangipfel des Sandáwa, den man später Mount Apo nannte. Dieser Feuerberg, obwohl er längst erloschen war, beunruhigte ihn. Dieses Bergmonster ragte westlich von Davao über dem Regenwald in den Himmel und wirkte ziemlich unheimlich.

Der Profos spähte ungern hin. Da war er eigen. Und endlich einmal war er sich in diesem Fall einig mit Old O’Flynn und Smoky, die gleich ihm von Mißtrauen erfüllt waren, der Berg könne zu spucken anfangen. Denn vielleicht hatten die Dons gelogen, als sie behaupteten, der Vulkan sei erloschen. Dorthin aufgestiegen waren sie nämlich auch noch nicht. Wie wollten sie dann wissen, was da oben los war!

Leider gab Old Donegal keine „Schwanungen“ von sich, sondern begnügte sich mit einem düsteren Gesicht und zeitweiligem Kopfschütteln. Aber das beruhte darauf, daß er gemerkt hatte, wie Hasard nur darauf lauerte, ob er mit seinem „Sprücheklopfen“ loslegte. Und der alte Zausel hatte sich vorgenommen, seinen Schwiegersohn und Kapitän nicht unnötig zu reizen.

Hasard hatte die Arwenacks informiert, um was es ging. Und sie standen zu ihm: den Mijnheers gehört was auf die Finger geklopft, und das nicht zu knapp. Außerdem war der knubbelnasige Capitán mit dem Schmerbäuchlein ein feiner Kerl, hatte er doch der „tüchtigen“ Crew der „Santa Barbara“ ein Fäßchen Rum und fünf Fässer sehr guten spanischen Rotweins spendiert.

Und gestern abend hatten appetitliche Töchterchen der sieben ehrbaren Familien von Davao den Mannen noch appetitlichere Spanferkelchen serviert, was sogar der Kutscher und Mac Pellew mit Anerkennung vermerkt hatten – Mac mehr vom Anblick der „Töchterchen“ animiert war.

Mit einer sehr gut geformten und sehr glutäugigen und sehr jungen Señorita, Tochter des Schneiders, hätte er gern geschäkert, nur ein bißchen, aber da war ihm ausgerechnet sein „Blutsbruder“ Edwin Carberry auf die Zehen gestiegen und hatte ihm zugeraunt, der Kapitän hätte sich „amouröse Gegenleistungen“ deutlich und energisch verbeten, und das gelte für alle, denn es sei zu befürchten, daß der eine oder andere im Eifer des Gefechts vielleicht doch seine englische Identität verrate, was tunlichst zu vermeiden sei. Punktum!

Mac war heute noch sauer, was den Profos aber nicht weiter bekümmerte, weil er auf den beiden Schaluppen zugange war, um die „auf Vordermann“ zu bringen.

Hasard hatte auf Mithilfe der Dons verzichtet – in diesem Fall der zehn Soldaten –, die auch gar nicht gewußt hätten, wo anzupacken war. Und er hatte dem Capitán auch gesagt, er werde den Coup gegen die Axtschwinger mit seinen Männern unternehmen, die seien aufeinander eingespielt, vor allem was Aktionen auf See beträfe, und genau diese habe er unter anderem vor.

Das war ganz im Sinne der Arwenacks. Sie brauchten die Dons nicht als Mitstreiter – Gott bewahre! Die wären nur hinderlich gewesen – oder hätten die Ohren gespitzt, wenn man mal auf englisch fluchte.

„Da sind wir Betschwestern lieber unter uns“, hatte Carberry gesagt.

Roger Brighton, Takelmeister der Arwenacks und Bruder Ben Brightons, hatte eine Menge zu tun, um vergammeltes oder verrottetes Tauwerk auszuwechseln und neue Fallen und Schoten zu scheren. Und Will Thorne flickte oder ersetzte Segel, wo sich das als notwendig erwies. Al Conroy, Stück- und Waffenmeister der Arwenacks, kümmerte sich um die Armierung, vor allem um die Drehbasen, mit denen die Schaluppen bestückt waren. Und Ferris Tucker überprüfte die beiden Schiffchen von außen und innen, wobei er etwas verblüfft feststellte, daß sie aus einem eisenharten Holz gebaut waren, das er nicht kannte.

Oder sollte es das Holz sein, aus dem Thorfin Njals Viermaster „Eiliger Drache über den Wassern“, gezimmert worden war? Mein lieber Mann! Dann hatten die Dons hier zwei Schiffchen, von deren Güte sie nicht das geringste ahnten! Diese Planken waren immun gegen Drehbassenkugeln, wenn nicht gar gegen schwerere Kaliber. Außerdem fingen sie schwer Feuer. Schiffe aus diesem Holz waren kaum totzukriegen, und merkwürdigerweise mied sie auch der Schiffsbohrwurm.

Er würde das später mal ergründen müssen, meinte Ferris Tucker, als er Hasard über den Zustand der beiden Schaluppen Bericht erstattete und auf das Holz verwies, das vermutlich in diesem Bereich der Welt zu finden sei. Da könne es sich lohnen, sich mal umzuschauen und eine Ladung dieser Hölzer bei der Heimreise mitzunehmen.

Gegen Mittag dieses ersten Tages in Davao waren die beiden Schaluppen überholt. Hasard entschloß sich, mit ihnen auszulaufen und bei der Trimmfahrt gleichzeitig jene Küste zu erkunden, wo die Holländer ihre Kahlschläge betrieben.

Er übernahm selbst eine Schaluppe. Die andere führte Don Juan. Je fünf Arwenacks bildeten die Crew. Das reichte vollauf zur Bedienung des Riggs, denn diese Einmaster hatten nur Großsegel und Fock. Es waren handige Schiffchen, wie sich herausstellte. Sie liefen am Wind eine gute Höhe und entwickelten raumschots eine beachtliche Geschwindigkeit. Da sie vorn und achtern eingedeckt und auf beiden Seiten mit Schanzkleidern versehen waren, würde man nicht gleich den Schwanz einzuziehen brauchen, wenn es etwas stürmisch wurde.

Sehr gut geeignet für die Küstenfahrt, urteilte Hasard, und bei guter Seemannschaft auch für die See steif genug. Don Juan war der gleichen Ansicht, als sie später ihre Erfahrungen austauschten und erwogen, solche Einmaster auch beim Bund der Korsaren einzusetzen, und zwar als Wachschiffe und Avisos.

Während der Fahrt südwärts an der Westküste des Golfes entlang überprüfte Dan O’Flynn an Bord von Hasards Schaluppe die Genauigkeit der mitgenommenen Karte, auf der Don Alonso die Kahlschläge markiert hatte.

Wer auch immer diese Karte gezeichnet hatte, er mußte ein guter Kartograph mit einem geschulten Auge gewesen sein. Gewissenhaft und genau waren Korallenriffs und Untiefen eingezeichnet und vermerkt, ebenso markante Punkte an Land, welche die Kreuzpeilungen erleichterten.

Etwas nördlich des letzten Kahlschlags war auf der Karte eine kleine Bucht dargestellt, die von einer palmenbestandenen Landzunge abgeschirmt wurde. Die Landzunge schob sich wie ein gekrümmter Finger von Süden her vor die Bucht und verdeckte mehr als die Hälfte von ihr.

Diese Bucht steuerten beide Schaluppen an. Hasard hatte sie anhand der Karte ausgewählt. Sie bot sich als Versteck und Ausgangspunkt beim Unternehmen gegen die Holländer in idealer Weise an. Sie gab Schutz gegen Sicht von der Wasserseite her, sie lag in der Nähe der zu erwartenden nächsten Holzfälleraktion, und sie war für die Holländer uninteressant, weil in ihrer Umgebung bereits alle Muskatnußbäume umgeschlagen worden waren. Die Kerle würden mit ihren Schaluppen vermutlich eine Stelle anlaufen, die eine knappe Meile südlich der Bucht lag.

Die Karte hatte nicht getrogen. Die Bucht erwies sich tatsächlich als ideales Versteck, als sie die Einfahrt nördlich der Landzunge passierten, voran Hasards Schaluppe, dahinter Don Juan. Sie hatten die Segel bereits weggenommen und glitten mit Riemenantrieb in die Bucht. Im Schanzkleid der beiden Schaluppen waren dafür Riemenpforten vorgesehen – ein nicht zu verachtender Vorteil dieser Einmaster bei Flaute oder besonderen Manövern wie in diesem Fall. Denn die Bucht war nicht groß genug, um unter Segeln in ihr zu manövrieren.

Sie brauchten nicht zu ankern. Das Wasser – es war von grünlicher kristallener Klarheit – hatte genügend Tiefe, so daß sie die beiden Schiffchen bis unmittelbar ans Ufer pullen und dort an Baumstämmen vertäuen konnten.

Dann sahen sie sich an Land um und drangen durch das Mangrovendickicht nach Süden zu jenem Bereich vor, wo die Holländer zuletzt gewütet hatten.

Aus der unmittelbaren Nähe wirkten die gefällten Muskatnußbäume noch beklagenswerter, zumal die Blüten und Blätter bereits welkten. Ein trostloser Anblick war das, darüber half auch der aromatische Duft nicht hinweg, der über dieser Stätte lag. Die gefällten Bäume bildeten mit ihren astreichen Kronen einen regelrechten Verhau.

Wer die reifen Früchte mit ihrem karminroten Mantel abernten wollte, hätte halsbrecherische Kletterpartien durch das Astgewirr unternehmen müssen, und doch wäre er an einen großen Teil erst gar nicht herangelangt, es sei denn, er würde Axt und Säge ansetzen, um sich vorzuarbeiten.

 

„Sieht so aus“, meinte Don Juan, „als hätten die Kerle dieses Durcheinander absichtlich geschaffen, um zu verhindern, daß auch nur eine Muskatnuß geerntet wird.“

Hasard nickte stumm und blickte dann zu den hohen schlanken Bäumen hinüber, die das nächste Opfer dieser Wüteriche werden sollten. Diesmal nicht, dachte er. Wir werden euch die Suppe gründlich versalzen, darauf könnt ihr euch verlassen.

Für einen blitzartigen Überfall war das Gelände wie geschaffen. Unterholz und Buschwerk boten gute Deckungsmöglichkeiten. Ja, blitzartig würden sie zuschlagen müssen, denn die Kerle waren vermutlich in der Überzahl. Aber wenn man sie gleichzeitig von allen Seiten packte, dann sollte die Überraschung klappen. Bisher waren sie bei ihrer miesen Tätigkeit ungeschoren geblieben und fühlten sich vermutlich sicher. Das war ihre Schwachstelle.

Oder sollte man sie schon abfangen, bevor sie überhaupt mit ihren Schaluppen landeten?

Don Juan schien ähnliche Überlegungen anzustellen, denn er fragte: „Was meinst du, wie wir’s anpacken?“

Hasard grinste. „Schlag du was vor!“

„Ich?“

„Ja. Du hast doch sicher schon eine Idee. Oder nicht?“

Don Juan wiegte den Kopf. „Ich dachte nur daran, man müßte die Kerle derart verprügeln, daß ihnen der weitere Appetit auf das Umlegen von Muskatnußbäumen ein für allemal vergeht.“

„So schnell vergeht der nicht“, sagte Hasard, „auch wenn sie Dresche beziehen. Diese Mijnheers können ganz schön stur sein. Denk mal an den Kampf gegen euch, der geführt wird, seit Philipps Vater Karl meinte, den Niederländern die Ketzerei austreiben zu müssen, was bisher weder dem Vater noch dem Sohn gelungen ist. Die Mijnheers haben euch ganz schön die Zähne gezeigt.“ Hasard stutzte. „He! Sag mal, hast du einen besonderen Pik auf die Niederländer?“

„Nein.“

„Was dann?“ bohrte Hasard.

„Mann, ich habe etwas gegen diesen Wahnsinn, daß diese Kerle Bäume umlegen, nur um in einem anderen Teil der Welt, Tausende von Meilen von hier entfernt, einen Profit zu erzielen. Ich begreife das nicht! Ich will es auch gar, nicht begreifen. Wegen Gold schlagen sich die Menschen die Köpfe ein. Jetzt ist es eine Muskatnuß! Was denn noch alles, verdammt noch mal?“

„Oh!“ sagte Hasard gelassen. „Perlen, Silber, Edelsteine und – wie wir hörten, – Pfeffer, Zimt, Nelken. Ich schätze, das läßt sich beliebig erweitern. Da braucht nur ein Schlauer irgend etwas X-Beliebiges für wertvoll zu erklären, woran man sich bereichern kann, und schon geht der Rummel los. Und wenn man dann dieses X-Beliebige dort vernichtet, wo ein anderer darüber verfügt oder es ausbeutet, dann kann man die Preise diktieren. Genial, nicht?“

„Zum Kotzen!“ fauchte Don Juan.

„Das auch“, sagte Hasard.

Er hatte kaum ausgesprochen, da stieß Dan O’Flynn einen scharfen Pfiff aus und rief: „Schaluppen! Unten im Süßen!“

Hasard fuhr herum.

Tatsächlich segelten Schaluppen längs der Küste nach Norden hoch. Einmaster. Vier zählte Hasard.

„Zurück zur Bucht!“ zischte er. „Aber hinter dem Buschgürtel, damit uns die Kerle nicht sehen!“

Der Buschgürtel zog sich vor der Zone der Muskatnußbäume bis zu dem Mangrovenfilz an der Bucht hin und bot gute Deckung, wenn man sich gebückt fortbewegte. Hasard ging davon aus, daß man sie noch nicht entdeckt hatte, es sei denn, einer der Kerle auf den Schaluppen hatte die scharfen Augen Dan O’Flynns. Die Schiffe waren noch an die acht Meilen entfernt. Sie hoben sich deutlich auf dem Wasser ab. Aber von ihnen aus Köpfe und Schultern zwischen dem Grün des Uferdickichts zu erkennen, war kaum möglich.

Sie verschwanden wie ein Spuk und erreichten die Bucht.

„Macht die Drehbassen gefechtsklar“, befahl Hasard, „ebenso die anderen Schußwaffen.“

„Du willst angreifen?“ fragte Dan O’Flynn.

„Sollen wir vielleicht Däumchen drehen und zuschauen, wenn sie die Äxte schwingen?“ fragte Hasard zurück.

„Vielleicht sind es gar nicht die Mijnheers“, sagte Dan.

„Das wird sich ja herausstellen“, entgegnete Hasard. „Und jetzt quassel nicht soviel, sondern kümmere dich um unser Schiffchen, Señor O’Flynn!“

„Si, si, Señor Capitán“, sagte Dan und feixte.

Don Juan blieb bei Hasard in der Deckung der Mangroven, um zu beobachten, was sich bei den Schaluppen tat. An Bord seiner Schaluppe kümmerte sich Al Conroy um die Waffen. Außer dem Stückmeister der Arwenacks befanden sich dort noch Gary Andrews, Pete Ballie, Mac O’Higgins, genannt „Higgy“, sowie Bob Grey. Bei Hasard waren außer Dan O’Flynn noch Carberry, Stenmark und die beiden Zwillinge an Bord.

„Pech gehabt“, sagte Hasard etwas verbissen und setzte den Kieker ab, durch den er zu den Schaluppen gespäht hatte.

„Wieso das?“ fragte Don Juan.

„Auf jeder Schaluppe sind an die zehn Kerle – mithin also vierzig. Wir sind zehn, beziehungsweise zwölf. Ein bißchen wenig, um große Töne spucken zu können. Aber konnte jemand ahnen, daß diese Burschen die Frechheit aufbringen, am hellichten Tag aufzukreuzen?“

„Sind es denn Holländer?“

„Schau sie dir an.“ Hasard reichte Don Juan das Spektiv.

Der spähte hindurch und schwenkte die Schaluppen ab. Dann nickte er und murmelte: „Ziemlich wüste Gesellen, wie?“

„Mönche auf einer Pilgerfahrt wären mir lieber“, erwiderte Hasard gallig. „Außerdem ärgert mich, daß wir auf unsere nächtliche Überraschung verzichten müssen. Da hätten wir ausgezeichnete Chancen gehabt, die Kerle das Fürchten zu lehren. Aber jetzt? Mit zwölf Mann hoch? Und dann noch bei Tage?“

„Einer von uns könnte Verstärkung heranholen“, schlug Don Juan vor.

„Und in der Zwischenzeit legen die Kerle vierzig oder fünfzig Bäume um, was?“ schnappte Hasard. „Ich könnte das nicht mitansehen. Schon beim ersten Axthieb würde bei mir das passieren, was du mit Kotzen bezeichnet hattest.“

„Da hast du recht. Scheiße, verdammte!“

„Kein Widerspruch. Du sagst es.“

Hinter ihnen schwang sich Dan O’Flynn wieder an Land und meldete: „Schiffchen gefechtsklar, Señor Capitán!“

Und von Bord der anderen Schaluppe meldete Al Conroy: „Wir ebenfalls!“

Hasard und Don Juan zeigten klar und widmeten sich wieder den heransegelnden vier Schaluppen. Sie liefen in schräg versetzter Kiellinie. Auf den Schanzkleidern waren Drehbassen montiert. Die Kerle an Bord, die Don Juan als „ziemlich wüste Gesellen“ bezeichnet hatte, wirkten tatsächlich so, als ließen sie sich nicht die Butter vom Brot klauen. Das waren ruppige, bärtige Gestalten, und es war ihnen anzusehen, daß sie es verstanden, wie die sprichwörtliche Axt im Walde zu hausen.

Hasard machte sich nichts vor. Das waren harte Gegner, die als gefährliche Schnapphähne auch in die Karibik gepaßt hätten. Daß sie ihr seemännisches Handwerk verstanden, lag auf der Hand. Wer mit der einen Hälfte seiner Grenze Nordsee-Anlieger war, dem wuchsen die Seebeine von kleinauf. Und die Nordsee war weiß Gott kein Ententeich.

„Wir können nur eins tun“, sagte Hasard, „und zwar, ihnen den Spaß an der Holzhackerei zu vermasseln. Wenn sie damit anfangen, sind sie abgelenkt. Das ist der Moment, zuzuschlagen. Der Wind ist ablandig. Wir segeln an ihrer Landestelle vorbei und decken ihre Schaluppen mit unseren Drehbassen ein. Es müßte zu schaffen sein, wenigstens zwei Schaluppen so anzuschlagen, daß sie zumindest gefechtsuntauglich sind. Dann haben wir es noch mit den beiden anderen Schaluppen zu tun, die uns wahrscheinlich verfolgen werden. Da können wir es darauf ankommen lassen, ob wir den Kampf annehmen. Wir müssen nicht. Wir können ein bißchen die Hacken zeigen, also ausreißen, und abwarten, was sie tun. Wenn sie uns nicht weiter verfolgen, kehren wir wieder um und bieten uns an.“

„Du willst sie ärgern, wie?“ fragte Don Juan.

„Klar will ich das. Ärgern und ablenken. Wir müssen sie zwingen, daß sie sich mit uns beschäftigen – statt mit den Muskatnußbäumen. Oder hast du einen besseren Vorschlag?“

Don Juan schüttelte den Kopf. „Nein, deine Taktik ist gut, sie ist das Bestmögliche in unserer Situation.“

Eine halbe Stunde später ließen die Holländer ihre vier Schaluppen auf den Strand auflaufen, der dort seicht verlief. Es war genau jene Stelle, wo landeinwärts der Kahlschlag aufhörte und die ungefällten Bäume begannen.

Die Kerle sprangen in das flache Wasser und zogen die Schaluppen höher auf den Sand, so daß sie wie zu einer Parade nebeneinander aufgereiht waren, und zwar ziemlich dicht, was die Trefferquote der Drehbassenschüsse erhöhen würde, wie Hasard zufrieden feststellte.

Die Kerle lärmten und lachten und führten sich ganz so auf, als gehöre ihnen dieser Küstenstrich. Sie schienen sich völlig sicher zu fühlen.

Die Schaluppen wurden ausgeräumt. An einer Stelle sammelten sich langstielige Äxte und Eisenkeile an. An einer anderen Stelle wurde ein Faß aufgebockt. Daneben bereiteten ein paar Kerle eine Feuerstelle vor.

Und dann staunten die drei Beobachter doch, als die Mijnheers anfingen, Zelte zu errichten.

„Die wollen sich hier offenbar häuslich niederlassen“, sagte Don Juan verbiestert. „Das ist ja wohl der Gipfel der Unverschämtheit.“

„Ist doch praktischer“, sagte Hasard. „Da brauchen sie nicht immer hin und her zu segeln, sparen Zeit und können die Bestände an Muskatnußbäumen hier in einem Aufwasch aus der Welt schaffen. Das nenne ich nützliches Wirtschaften.“ Er hob die Hand, als Don Juan aufbrausen wollte. „Nun reg dich nicht gleich auf, alter Freund. Man muß das doch ganz sachlich sehen. Außerdem läßt es Rückschlüsse zu – zum Beispiel den, daß die Kerle einen guten Planer haben müssen, einen, der nüchtern nachgedacht und sich gesagt hat, wenn die Spanier seit soundso vielen Monaten noch nicht auf unsere Kahlschläge reagiert haben, dann sollten wir jetzt davon abgehen, unsere Unternehmungen nachts durchzuführen. Wenn wir bei Tageslicht mit der Axt arbeiten, schaffen wir die Kahlschläge in kürzerer Zeit als nachts. Ist doch klar. Oder etwa nicht?“

„Du gehst mir auf den Nerv mit deiner Sachlichkeit“, knurrte Don Juan.

Hasard und Dan O’Flynn grinsten sich an. Der gute Don Juan war wohl doch noch etwas empfindlich, wenn es um eine spanische Sache ging, die wie in diesem Fall seitens seiner Landsleute absolut sauber und nicht leicht zu beanstanden war. Denn gegen das Abernten von Muskatnüssen zum Zwecke der Geschmacksbereicherung von Speisen war nichts einzuwenden. Nein, hier waren ausnahmsweise einmal nicht die Spanier die Sünder und Bösewichte, sondern die Holländer, und denen wäre Don Juan am liebsten gleich an die Gurgel gesprungen, ohne lange zu fackeln.

„Man muß“, sagte Hasard, „einen Gegner immer kühl analysieren, sonst unterlaufen einem Fehler. Wenn es ein letzter Fehler war, folgt nur noch die Himmelfahrt.“

„Jaja“, maulte Don Juan. Er war wirklich gereizt.

Hasard runzelte die Stirn, sagte aber dennoch freundlich: „Juan, wenn wir nachher kämpfen, dann denke bitte daran, daß du die Verantwortung für ein Schiff und eine Mannschaft hast.“

„Weiß ich.“

„Dann ist es ja gut“, sagte Hasard. „Aber wenn du nachher den wilden Stier spielst, nur um deine Aggressionen loszuwerden, dann ziehe ich dir die Ohren lang – so wir uns wiedersehen. Hast du verstanden?“

Don Juan biß sich auf die Lippen und erwiderte: „Aye, aye, Sir, verstanden. Ich bin ein Hitzkopf, wie?“

„Das hast du gesagt. Aber richtig, wir brauchen einen kühlen Kopf, wenn wir uns mit den Kerlen einlassen.“

„Du sprachst eben von dem ‚guten Planer‘“, sagte Don Juan. „Aber so gut ist der gar nicht.“

„Wieso nicht?“

„Für die Holländer wäre es ein Spaziergang, Davao zu überfallen und die kleine Stützpunktbesatzung in die Hölle zu jagen. Sie könnten sich dort festsetzen und brauchten die Muskatnußbäume nicht mehr zu fällen, sondern nur noch abzuernten.“

„Ein guter Einwand“, sagte Hasard. „Aber vermutlich wissen die Mijnheers nicht, wie schwach der Stützpunkt besetzt ist.“

„Entschuldige bitte, Hasard“, sagte Don Juan, „aber daraus kann ich nur den Schluß ziehen, daß die Käsefresser weder einen guten Planer haben noch nüchtern nachdenken. Wer den einzigen Stützpunkt des Gegners im weiten Umkreis nicht erkundet, handelt einfach dumm. Für mich sind das Hornochsen.“

„Mag sein, daß es stimmt, was du sagst“, meinte Hasard, „aber auch Hornochsen würde ich nicht unterschätzen. Sind wir uns in diesem Punkt einig?“

 

„Einverstanden.“

Inzwischen hatten die „Mijnheers“ weiter ausgepackt, auch Kisten und Säcke, in denen sie offenbar Lebensmittel hatten. Es sah ganz so aus, als hätten sie die Absicht, sich erst einmal zu stärken, bevor sie die Äxte schwangen. Auf der Kochstelle wurde ein Feuerchen entfacht. Allerdings waren ein paar, andere Burschen damit beschäftigt, die Äxte zu schärfen. Vielleicht futterten sie schichtweise.

Bei dem ganzen Haufen gab ein stiernackiger, rotgesichtiger Kerl den Ton an, ein Kerl wie ein Hackklotz bis hin zum Kinn, auf dem man Holz spalten konnte. Unter dem knappen, vorn weit offenen Hemd, das eine blondbehaarte Brust freigab, wölbten sich Muskelberge. Mit den langen Affenarmen konnte er sich in den Kniekehlen kratzen.

Einmal war er verärgert und langte einem der Kerle ein Ding an die Ohren. Das Klatschen war bis zu den Mangroven zu hören. Dan O’Flynn war es, der dabei ein bißchen zusammenzuckte. Der Kerl überkugelte sich in einer Sandwolke. Und als er sich wieder aufgerappelt hatte, törnte er wacklig ins Wasser, weil ihm wohl der Durchblick fehlte oder abhanden gekommen war. Die anderen Holzhacker lachten sich halbtot.

Das hätte Carberry sehen müssen, dachte Hasard.

Indessen palaverte der Hackklotz bereits mit einem anderen Waldschrat herum, deutete nach Norden und schien ihm Anweisungen zu erteilen.