Seewölfe Paket 27

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3.

Nach dem Frühstück lösten die Mannen die Taue, mit denen der Hühnerverschlag vor der Rückwand der Back auf der Kuhl fest verzurrt war und schoben ihn mehr nach mittschiffs, damit Ferris Tucker vor allen Seiten herankonnte. Er hatte auf der „Santa Barbara“ in einer Last im Vorschiff Kupferblech gefunden, ein ideales Material, um den Unterbau des Verschlags zu verkleiden. Mit Big Old Shane schnitt er passende Stücke zurecht.

Indessen wurde Plymmie von den Junioren auf die Spur gesetzt – von der Stelle aus, wo am Fuß der Back die Reste der Holzsplitter lagen, die von den Ratten herausgenagt worden waren. Plymmie schnürte, die schnüffelnde Schnauze auf den Planken, kreuz und quer über die Kuhl und schien einzelne Spuren zu verfolgen. Aber alle Spuren führten einerseits letztlich dorthin, wo das Loch in der Rückwand des Verschlags genagt worden war, und andererseits zur Luke mittschiffs vorm Großmast, und zwar zu einer Stelle, wo sich am achteren Süllrand der Luke unter Deck ein Stützbalken befand.

„Na?“ fragte Vater Hasard seine Söhne.

„Die Biester“, sagte Philip junior, „sind vom Laderaum mittschiffs an dem Stützbalken hochgeklettert und um das achtere Lukensül herum auf die Kuhl gelangt.“

„Stimmt“, sagte Hasard junior, „die Lukengräting samt Persenning war ja die Nacht über entfernt worden, um die Unterdecksräume zu durchlüften. Durch die Gräting können sie normalerweise nicht, weil die Zwischenräume zu eng sind. Da passen nur Mäuse durch. Wenn wir Gräting und Persenning nicht abgenommen hätten, wäre das alles nicht passiert.“

Carberry schnaufte. „Wenn – wenn! Wenn ich Flügel hätte, wäre ich ’n Engelein!“

„Wohl eher ’n Drache!“ motzte Smoky, der vom Aufprall gegen die Nagelbank Schmerzen im Kreuz hatte und zur Zeit dem Profos ziemlich gram war.

Old Donegal stieg gleich voll mit ein, um Smoky zu unterstützen.

„Oder ’n Geier!“ sagte er.

Wenn sie gehofft hatten, der Profos würde reagieren und in die Luft gehen, dann hatten sie Pech gehabt. Carberry spuckte gelangweilt über Bord und übertönte die beiden Vergleiche.

Statt dessen sagte er: „Dann sollte Plymmie jetzt im mittleren Laderaum weiterschnüffeln, was, wie?“

So geschah’s auch. Eine Viertelstunde später hatte Plymmie den „Standort“ der Ratten geortet, nachdem sie Zwischendeck und die Räume des Unterdecks abgeschnüffelt hatte. Die Biester hockten zwischen den mittleren Bodenwrangen in der Bilge, an die kein Mensch herankonnte, es sei denn, man nahm das ganze Kielschwein bis zum Kiel auseinander, was ein Unding war.

Aber man konnte die Ratten aus ihrem Unterschlupf vertreiben, und das packten die Mannen an: Sie setzten die Bilge unter Wasser. Das geschah, indem sie eimerweise Wasser in die drei Pumpenschächte kippten – zwei Lenzpumpen befanden sich an Backbord und Steuerbord hinter dem Großmast, eine stand in Höhe des Besanmastes im Zwischendeck. Klar, das Wasser würden sie später wieder außenbords pumpen müssen, aber das mußte in Kauf genommen werden.

Als die Bilge überschwappte, ging der Rummel los.

Die Eierräuber und Huhntöter flitzten aus allen möglichen Ecken. Plymmie war die erste, die eine Ratte schnappte, ihr das Genick brach, sie im Fang hin und her schleuderte und dann losließ. Sinnigerweise flog sie Smoky an den Hals, der darob ein wüstes Gebrüll anstimmte.

Aber gebrüllt wurde eh – und zugedroschen. Die Mannen hatten sich mit Spillspaken bewaffnet. Bob Grey allerdings nagelte eine Ratte mit einem Messerwurf auf den Bodenplanken fest, während Matt Davies und Jeff Bowie ihre Prothesenhaken einsetzten und Mac Pellew mit einem Schürhaken zuschlug.

Auf der ersten Strecke blieben fünf Ratten. Der nächste Gang würde an Oberdeck stattfinden. Denn jetzt sollten Unterdeck und Zwischendeck unter Rauch gesetzt werden. Klar, daß die Mehrzahl der Biester zwischen Kisten, Fässer und in sonstige Verstecke geflüchtet war, wo man sie auf Anhieb nicht erwischen konnte.

Die Mannen verteilten Kohlebecken in den Unterdecksräumen. Über die glühende Holzkohle – leider hatten sie kein Schwefel an Bord – wollten sie Schießpulver streuen, das einen beizenden Gestank entwickeln würde. Das war Al Conroys Idee gewesen, und Hasard hatte zugestimmt. In den Becken würde das Pulver nur hochpuffen. Es war ungefährlich.

Hasard kontrollierte die Aufstellung der Becken. Außerdem wurden wieder Pützen mit Wasser gefüllt, um sie sofort zur Hand zu haben, sollte sich irgendwo unvorhergesehen ein Feuerchen entwickeln.

Auf einer Pütz hockte Old O’Flynn, als sei er am Eierlegen.

„Ich brauche die Pütz!“ knurrte ihn Carberry an.

„Geht nicht“, erklärte der Alte.

„Dann bleib auf deinem Affenarsch sitzen und laß dich räuchern!“ fauchte Carberry. „Oder hast du noch nicht kapiert, was jetzt läuft?“

„Doch, das schon“, sagte Old Donegal verbissen, „aber ich hab ’ne Ratte gefangen – mit der Pütz. Und damit sie samt der Pütz nicht abhaut, hab ich mich draufgesetzt. Ich hab ihr sogar den Schwanz eingeklemmt. Hier – schau mal!“

Carberry bekam Stielaugen. Zwischen den Beinen von Old Donegal ragte unter dem Pützrand ein Rattenschwanz hervor – nackt und eklig.

Carberry schluckte. Dann ächzte er. Dieser Old Man fing Ratten mit der Pütz, und dann setzte er sich drauf. Nicht zu fassen!

Ein paar Mannen wurden aufmerksam und versammelten sich um den hockenden Old Donegal und Carberry.

„Was is’n los?“ erkundigte sich Mac Pellew.

„Der sitzt mit seinem Hühnerarsch auf ’ner Ratte“, erklärte Carberry.

„Hä?“ Und dann kriegte Mac ebenfalls stiere Augen, als er den Rattenschwanz entdeckte. Aber er faßte sich schnell, grinste wild und lästerte: „Laß ihn draufsitzen, Ed! Vielleicht knabbert das Vieh auch ein Löchlein in den Boden der Pütz – und dann ist was los!“

Und Mac stimmte sein Ziegengemecker an, weil er sich vorstellte, was dann los sein würde.

Carberry schaute verdutzt, dann begann er zu grinsen.

Aber auch Old Donegal hatte bestimmte Vorstellungen über das, was Mac Pellew eben angedeutet hatte. Da wurde er etwas blaß um die Nase.

Und er lüftete den Hintern an, um nachzuschauen, ob schon ein Loch im Pützboden sei.

Schwapp! Weg war der Schwanz. Die Druckentlastung hatte der Ratte genügt, den Schwanz einzuziehen.

„Schlagt das Vieh sofort tot!“ zeterte Old Donegal.

„Wie denn?“ höhnte der Profos. „Wenn du auf der Pütz am Brüten bist!“

Indessen rappelte es in der Pütz. Die Ratte, frei von der Beklemmung, karriolte in dem Hohlraum umeinander, als spiele sie Haschen.

Old Donegal geriet außer sich und brüllte, als hinge ihm das Biest bereits am Achterschinken und knabbere ihn an. Dazwischen dröhnte das Gelächter der Mannen, Macs Ziegengemecker, und auch Plymmie bellte wie verrückt. Sie hatte gespitzt, was sich in der Pütz befand, und raste um Old Donegal herum, so daß der noch rammdösiger wurde.

Der Zirkus Killigrew war ein zweites Mal in Gange, in diesem Fall mit Old Donegal im Mittelpunkt. Doch das verwunderte niemanden.

Wenn einer von seiner Ehehälfte eine Bratpfanne auf den Schädel bekam, mit siebzig Jahren noch einen Sohn zeugte, bei einer Rutschfahrt eine Tropfsteinhöhle entdeckte, mit seiner „Empress“ Korallenriffs auf die Hörner nahm, sich mehrere Male das Holzbein und zur Abwechslung auch einmal das gesunde Bein brach – weil er noch als alter Kerl in den Wanten herumgeturnt war – dann konnte es sich bei einem solchen Lebenskünstler nur um Old Donegal Daniel O’Flynn handeln.

Dem alten Zausel passierten die haarsträubendsten Geschichten, die er entweder selbst provozierte, oder er schlitterte voll hinein, weil er sich mal wieder was in den Kopf gesetzt hatte.

Der andere alte Mann an Bord war Will Thorne, der Segelmacher. Aber was für ein Unterschied zwischen den beiden! Will Thorne war gelassen, bescheiden, unauffällig, ein eher bedächtiger, stiller Mann mit der Würde des Alters. Dagegen machte sich Old Donegal allzu häufig selbst zum Narren – so auch jetzt.

Will Thorne wäre nie mit einer Pütz auf Rattenjagd gegangen, geschweige denn, er hätte sich als Wächter draufgesetzt, so ihm ein Fang mit der Pütz gelungen wäre.

Das Ganze war also mal wieder typisch Old O’Flynn, und so grotesk wie die meisten Ereignisse, in die er verwickelt war.

Dabei hatte er sich selbst in die Klemme gebracht, denn bei aller Komik konnte die Sache sogar gefährlich werden. Die in der Pütz gefangene Ratte war im wahrsten Sinne des Wortes in die Enge getrieben – und wie Ratten da reagierten, war allen bekannt, auch Old Donegal.

Mit Rattenbissen wäre nicht zu spaßen, hatte der Kutscher einmal verkündet. Bei einer Blutvergiftung könnten sie sogar tödliche Folgen haben.

Wenn Old Donegal jetzt aufsprang – was mit dem Holzbein sowieso nicht schnell genug ging –, dann konnte es tatsächlich passieren, daß die tobende Ratte die Pütz umkippte, ihn möglicherweise in ihrer Todesangst attackierte und sich in ihn verbiß.

Dan O’Flynn hatte Erbarmen mit seinem Alten, obwohl er sich darüber ärgerte, was der sich wieder eingebrockt hatte. Aber Familie hält eben zusammen, nicht wahr?

Er stellte hinter Old Donegal den Fuß auf die Pütz, tippte ihm auf die Schulter und sagte: „Du kannst jetzt aufstehen, es passiert nichts.“

„Wird auch Zeit, daß du mir hilfst!“ fauchte der Alte wütend. „Eine Schande, wenn ein Sohn den Vater solange in Lebensgefahr schweben läßt und dazu auch noch dämlich grinst!“

„Ich halte es eher für eine Schande, daß du dich mal wieder wie ein kompletter Narr aufführst“, entgegnete Dan. „Denn nur ein Narr oder Idiot setzt sich auf eine Pütz, unter der eine Ratte gefangen ist. Ich schätze, in einer Stunde hätte sie sich durch das Holz genagt. An so was denkt man vorher, nicht erst, wenn andere darüber ihre Witze reißen.“

 

Der alte Zausel stemmte sich fluchend hoch, drehte sich dann um, funkelte seinen Sohn an und blaffte: „Wie sprichst du denn über deinen Vater, du Lümmel? Sofort entschuldigst du dich bei mir!“

O Gott, dachte Dan O’Flynn, jetzt geht diese Leier wieder los. Gleich droht er mir, mich mit seinem verdammten Holzbein zu verdreschen …

„Oder du kriegst es mit dem Holzbein!“ polterte Old Donegal.

Philip Hasard Killigrew hörte still und stumm zu, um seine Autorität nicht zu strapazieren. Außerdem wußte er, wer jetzt Old Donegal aufs Dach steigen würde. Der Profos!

Der röhrte auch schon los: „Jetzt halt aber die Luft an, Mister O’Flynn! Wenn ich dein Sohn wäre, hätte ich dich auf dem Töpfchen sitzen lassen, bis du grün und blau gewesen wärst, du – du Rattenbrüter! Und es wäre dir recht geschehen, wenn die Ratte ordentlich was von deinen Hinterbacken gefrühstückt hätte, obwohl ich bezweifle, daß sie davon satt geworden wäre, denn viel hast du mit deinem Hühnerarsch ja nicht zu bieten. Aber deinen Sohn auch noch anzustänkern, nachdem er dir geholfen hat, das ist wirklich das Letzte vom Letzten!“

„Ich verbitte mir jegliche Einmischung in meine Familienangelegenheiten!“ bollerte Old Donegal und stampfte mit dem Holzbein auf.

„Familienangelegenheit?“ Der Profos schob den Kopf vor, als habe er sich verhört. „Was hat das denn mit ’ner Familienangelegenheit zu tun, wenn du so dusselig bist, dich auf ’ne Pütz zu setzen, unter der ’ne Ratte herumkaspert, he? Gehört das Biest zu deiner Familie? Vielleicht sollte Dan mal das Töpfchen lüften, damit du die Ratte familienfreundlich begrüßen kannst!“

„Untersteh dich!“ Das galt dem „Lümmel“, aber vorsichtshalber zog sich Old Donegal hinter einen Stützbalken zurück.

Dan hatte immer noch den rechten Fuß auf der Pütz, unter der die Ratte weiterhin herumtobte. Tatsächlich mußte er kräftig mit dem Fuß drücken, um zu verhindern, daß die Ratte sie fortbewegte oder umkippte. Plymmie wetzte vor der Pütz hin und her, knurrte sie an und war mächtig in Rage.

„Immer wenn’s mulmig wird“, dröhnte Carberry, „geht der Admiral in Deckung!“

„Ich laß mich doch nicht von ’ner Ratte beißen!“ schrie Old Donegal. „Bin ich blöd?“

„Blöd genug, um dich auf eine solche zu setzen!“ lästerte der Profos. „Was meinst du, was die auf dich scharf ist, weil du ihr den Schwanz eingeklemmt hast! Die geht dir glatt an die Hose, saust hoch und beißt dir ein Ohrläppchen ab!“ Er spähte zu Dan. „Wie packen wir’s jetzt an, ohne daß sie türmt?“

„Ich schätze, Plymmie erwischt sie, wenn ich die Pütz etwas ankippte“, erwiderte Dan.

„Ich hau mit dem Schürhaken drauf“, sagte Mac Pellew, vom Jagdfieber gepackt. „Oder soll ich ’ne Bratpfanne holen?“

Da wurde der Kutscher energisch. „Einspruch! In der Bratpfanne pflege ich Spiegeleier und Speckscheiben zu braten!“

„Ich schlag ja mit der Rückseite zu“, maulte Mac Pellew.

„Die Bratpfanne wird nicht dazu benutzt“, erklärte der Kutscher kategorisch. „Ratten sind Krankheitsüberträger. Damit ist überhaupt nicht zu spaßen.“

„Was übertragen die denn?“ erkundigte sich Old Donegal hinter dem Stützbalken hervor.

Carberry dröhnte: „’n kalten Arsch mit Schneegestöber – bei einem, der mit dem Hintern auf ’ner Ratte gesessen hat!“

„Da war eine Pütz dazwischen!“ schrie Old Donegal.

„Ach ja?“ fragte Carberry katzenfreundlich, linste zum Kutscher und erklärte, als sei er Experte in solchen Fragen: „Aber der Pütz ist das völlig Wurscht, ob sie Krankheiten überträgt. Die tut das einfach, genauso, wie das eine Bratpfanne tut – wie wir eben gehört haben.“

„Alles Quatsch“, erklärte Old Donegal.

„Kein Quatsch“, sagte der Kutscher, hüstelte und fügte hinzu: „Ich muß natürlich berichtigen, daß Ratten nicht in der Lage sind, einen – äh – ein Gesäß mit Schneegestöber in einen kalten Zustand zu versetzen, weil die Erzeugung von Kälte anderen physikalischen Gesetzen unterliegt. Dennoch hat die ärztliche Wissenschaft herausgefunden – und das meinte wohl Mister Carberry –, daß Ratten gewisse Seuchen verbreiten, die kaum aufzuhalten sind, schon gar nicht von Pützen oder Bratpfannen. Im Gegenteil – es ist zu vermuten, daß von Ratten berührte oder verunreinigte Gegenstände dem Menschen schädlich sind. Darum empfehle ich auch, diese Pütz, in der die Ratte noch gefangen ist, später außenbords zu werfen – genauso, wie ich empfehle, keine Ratte anzufassen.“

„Und was ist mit Plymmie?“ fragte Hasard junior scharf. „Sie hat bereits eine Ratte getötet – hat sie also berührt.“

„Gute Frage, Söhnchen“, erwiderte der Kutscher gelassen, „aber du kannst Plymmie bei diesem Problem ausklammern. Es gibt Tiere, die sind gegen Krankheiten gefeit, von denen Menschen befallen werden. Sie sind dagegen resistent, also widerstandsfähig. Frag mich nicht, warum das so ist. Ich weiß es nicht, aber die Wissenschaft wird es eines Tages herausfinden. Jedenfalls brauchst du dich um Plymmie nicht zu sorgen. In Ordnung?“

„Danke, Sir“, sagte Hasard junior. „Dann sollten wir bei dieser Ratte unserer Plymmie den Vortritt lassen. Sie erledigt das besser als wir.“

„Einverstanden.“ Das sagte Vater Hasard, nickte seinem Söhnchen zu, blickte zu Dan O’Flynn und fragte: „Scheust du dich, die Pütz etwas anzukippen, Dan?“

„Nein“, erwiderte Dan lächelnd. Und dann sagte er scharf: „Plymmie, paß auf! Pack sie!“

Er zog den Fuß zurück und drückte auf die Kante, die ihm zugewandt war. Plymmie lauerte geduckt, jetzt ein Standbild. Sie hatte genau begriffen, was jetzt passieren würde. Ihre bernsteinfarbenen Augen waren auf die Pütz gerichtet, die Ohren aufgestellt. Ihr Fang war geschlossen. Trotzdem sah es aus, als grinse sie.

Die Dan abgewandte Seite der Pütz kippte etwas hoch. Die Ratte schoß heraus wie ein Blitz, für die Augen der Mannen nur ein huschendes Etwas, das Mac Pellew weder mit Schürhaken noch mit Pfanne erwischt hätte. Er wäre zu langsam gewesen.

Anders Plymmie. Sie war noch schneller als die Ratte. Ein Zuschnappen, ein heftiges Schütteln, und auf der Strecke blieb die sechste Ratte. Ihre Gnadenfrist unter der Pütz war abgelaufen.

Mac Pellew packte sie mit dem Schürhaken in die Pütz zurück, henkelte die Pütz an den Haken und trug sie samt der Ratte nach oben, wo er sie außenbords schleuderte.

„Jetzt kann die Ratte Bötchen fahren“, murmelte er, „obwohl sie das nicht verdient hat.“ Tatsächlich schaukelte die Pütz aufrecht im Wasser und trieb gemächlich davon.

Paddy Rogers warf die andere Jagdbeute über Bord, die er mit einem Kehrblech eingesammelt hatte.

„Wenn die Ratten von Bord gehen, sinkt das Schiff“, sagte er tiefsinnig und hatte schwere Denkerfalten auf der Stirn. „Das hat eben Old Donegal verkündet.“

„Der redet heute sowieso nur Stuß“, entgegnete Mac kopfschüttelnd. „Außerdem gehen die Ratten nicht von Bord, sondern werden gegangen, wobei sie mausetot sind.“

„Dann sinkt unser Schiff nicht?“ fragte Paddy hoffnungsfreudig.

Mac sagte überhaupt nichts. Er verdrehte nur die Augen über soviel Einfalt und stieg wieder nach unten.

„Was der nur hat“, murmelte Paddy.

Fünf Minuten später hatten sich alle Mann an Oberdeck verteilt und standen auf der Lauer. Im Unterdeck und im Zwischendeck qualmten die Kohlebecken. Aus Grätings und Luken stieg Rauch auf. Es stank, als befände sich die „Santa Barbara“ in einem schweren Gefecht. Arwenack hatte sich schimpfend auf den Vormars verzogen, Sir John saß im Topp des Hauptmastes und, äugte mißtrauisch zum Deck hinunter.

Don Philipp schmetterte seinen Hahnschrei, und es klang, als krähe er zum Halali. Er war ziemlich erregt und schlug mit den Flügeln.

Die erste Ratte raste aus dem Vordeck. Hinter ihr sauste eine Spillspake nieder, kraftvoll von Pete Ballie geführt. Sie traf noch den Schwanz der Ratte und plättete ihn auf hauchdünnes Format. Das Biest überschlug sich mit einem schrillen Quietschen und fegte durch ein Speigatt außenbords.

„Die Ratten gehen von Bord!“ brüllte Old Donegal.

„Dann solltest du gleich hinterherspringen!“ donnerte der Profos.

Aber etwas anderes passierte. Die Ratte kehrte wieder um und schwamm zur Bordwand zurück. Sie hatte also nicht die Absicht, „von Bord zu gehen“, überhaupt nicht, das Schiff schien ihr sicherer als das Wasser.

Damit war Old Donegal widerlegt, was ihm keineswegs paßte. Schließlich ging es um seinen guten Ruf als „Hinter-die-Kimm-Späher“.

„Diese Ratten sind auch nicht mehr das, was sie mal waren“, erklärte er großspurig. „Verweichlicht sind die, zu faul, um an Land zu schwimmen. Das ist es. Na ja, sind ja auch spanische Ratten, keine englischen …“ Er verstummte – bis auf das Ächzen, das er noch hören ließ.

Die Ratte mit dem geplätteten Schwanz war auf dem Schanzkleid an Steuerbord aufgetaucht, wassertriefend, und schien zu überlegen, wohin sie sich wenden sollte.

Ein Heumacher mit der Spillspake – dieses Mal schlug Jack Finnegan zu – schmetterte sie außenbords, für immer und ohne Rückkehr.

„Donegal“, ließ sich Hasard vernehmen, „spar dir deine Sprüche über verweichlichte oder spanische oder englische Ratten. Das ist blanker Unsinn, und wir sind alle nicht dumm genug, einen solchen Unsinn für bare Münze zu nehmen.“

Old Donegal setzte zu einer Erwiderung an, aber zu diesem Zeitpunkt flitzten gleich sechs Ratten übers Deck, und die Mannen wurden mächtig aktiv, Plymmie ebenfalls.

Eine Ratte turnte in den Backbordgroßwanten hoch, wurde aber von Plymmie im Sprung noch am Schwanz erwischt und über Bord befördert. Eine andere huschte über den Bugspriet und stürzte sich gleich freiwillig ins Wasser – oder sie übersah mit ihren vom Qualm getrübten Augen, daß dort „Ende der Fahnenstange“ war.

„Aufpassen, daß die Biester nicht an Bord zurückklettern!“ rief Hasard.

Plymmie beutelte schon wieder eine Ratte, und als sie losließ, flog das Biest Old Donegal zwischen die Beine.

„Hilfe!“ brüllte der Alte.

„Hab dich nicht so!“ fuhr ihn Carberry an. „Das ist sowieso ’ne spanische Ratte, die zu faul ist, dich zu beißen!“

Neben ihnen drosch Smoky die Spillspake wie eine Baumaxt auf ein huschendes Etwas, schlug aber daneben. Dafür ging die Spillspake in die Binsen und zerbarst.

Grund genug für Carberry, Smoky anzublöken, nicht gleich das ganze Schiff zu demolieren. Als Smoky Minuten später mit einer neuen Spillspake fast den Hühnerverschlag zertrümmerte, über dessen Dach eine Ratte sauste, sah Carberry rot, weil er dem Decksältesten unterstellte, er hätte es gar nicht auf die Ratte abgesehen, sondern Don Philipp den Kopf einschlagen wollen. Außerdem lag er mit Smoky ja schon seit dem Morgen im Clinch, und daß der Hundesohn ihn als „Drache“ bezeichnet hatte, war auch noch nicht vergessen.

So ließ denn der Profos seinen „Hammer“ fliegen, dieses fürchterliche Ding, das noch keiner weggesteckt hatte, als wär’s nur ein Wattepuster gewesen. Die meisten traten für eine Weile von dieser Welt ab. Und wenn sie in diese Welt wieder zurückkehrten, dann geschah das voller Schmerzen und keineswegs voller Glück, die Sonne strahlen zu sehen.

Smoky wurde voll getroffen, am Kinn. Er segelte ab und wickelte sich um den Großmast, den er kraftlos umarmte, bis er dann abrutschte und schließlich über der Nagelbank wie ein nasses Hemd hängenblieb.

„Ed, Ed“, sagte Hasard mit leisem Tadel und auch etwas Besorgnis. „Mußte das sein? Und was ist, wenn du ihm die Kinnlade verschoben hast?“

„Die schieb ich ihm wieder gerade“, versicherte der Profos. „Und das mußte sein, weil der Kerl absichtlich danebengehauen hat, um das Dach vom Verschlag zu zerlegen und auf Don Philipp ein Attentat zu verüben.“

„Absichtlich? Na, ich weiß nicht“, meinte Hasard.

„Wenn er’s nicht absichtlich getan hat“, erklärte der Profos, „dann ist das noch schlimmer, Sir. Dann ist er zu dämlich, um mit ’ner Spillspake umzugehen, die er womöglich einem von uns auf den Kopf drischt. Das ist gemeingefährlich, Sir. Der bringt es fertig und räumt unsere ganze Crew ab. Aber die Ratten läßt er sausen. So einer ist das!“

Sekunden später zeigte der Profos ein unheimliches Reaktionsvermögen – und Treffsicherheit. Da fegte eine ziemlich große Ratte im Zickzack quer über die Kuhl und dann am Steuerbordschanzkleid entlang nach achtern. Aber noch vor dem Niedergang zum Achterdeck flog ihr ein Belegnagel ins Kreuz und zerbrach ihr das Rückgrat.

 

Carberry hatte sich den Belegnagel gegriffen und hinter der Ratte hergeschleudert.

„Donnerwetter“, sagte Hasard, „ein exzellenter Wurf, Ed. Oder war das ein Zufallstreffer?“

Das ließ sich der Profos nicht zweimal fragen. Wortlos warf er den nächsten Belegnagel. Der räumte eine Ratte ab, die auf der Back auf dem Steuerbordpolier hockte und Männchen baute, als prüfe sie, ob jetzt die Luft besser sei. Das war sie zweifellos, aber diese Erkenntnis nutzte der Ratte nichts mehr.

„Respekt, Respekt“, sagte Hasard. Und der Profos strahlte.

Auf der Strecke blieben dreizehn Ratten.

Im Zwischendeck fanden die Mannen nochmals zwei, nachdem sie gelüftet hatten. Offenbar waren die Biester in dem Qualm erstickt. Ob in der Bilge welche ersoffen waren, konnte nicht festgestellt werden. Aber die Jagd mußte sich gelohnt haben, denn fürderhin blieb der Hühnerverschlag ungeschoren.

Bleibt noch zu erwähnen, daß Smoky in den nächsten Tagen mit einem farbigen und verschwollenen Kinn herumlief und dem Profos aus dem Wege ging. Und er regte sich auch nicht mehr auf, wenn Don Philipp lauthals krähte oder das Hühnervolk am Gackern war.