Seewölfe Paket 27

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5.

Der Kommandant des kleinen spanischen Stützpunktes Davao am gleichnamigen Golf im Südosten von Mindanao hieß Don Alonso de Figuiera, und Hasard atmete ein bißchen auf, als er ihn kennenlernte. Nein, das war keiner von den knarschen Typen, den Wichtigtuern, die sich für Gott hielten und deren Aufgeblasenheit zumeist im krassen Mißverhältnis zu ihren sonstigen Fähigkeiten stand.

Don Alonso bekleidete den Rang eines Capitáns, wobei er zugleich Polizeichef und Bürgermeister von Davao war, was er selbst jedoch bezüglich seiner drei Ämter als Witz empfand. Seine „Truppe“ bestand aus ganzen zehn Mann, als „Hafenflotte“ verfügte er über zwei Einmast-Schaluppen, im „Gefängnis“, einem fensterlosen Zimmerchen in der Kommandantur, hatte noch nie jemand eingesessen, was sich daraus ergab, daß der Ort lediglich sieben ehrbare Familien beherbergte, und somit entfiel auch die Bürokratie einer Stadtverwaltung, denn bei sieben Häusern, einer Kommandantur mit Wohnbaracke für die „Truppe“ und einigen Lagerschuppen gab es nichts zu verwalten.

Eine Holzpier, in T-Form gebaut, bildete den Hafen von Davao. Dort auch stand der Capitán, Polizeichef und Bürgermeister – empfangsbereit, nachdem ihm die Annäherung einer spanischen Galeone gemeldet worden war. Er selbst winkte die „Santa Barbara“ sogar ein, am Kopf des T’s längsseits zu gehen – auf der Gegenseite des T’s waren nämlich innen die beiden Schaluppen vertäut. Und er beorderte auch ein paar Mannen, die Leinen der „Santa Barbara“ wahrzunehmen.

Er strahlte sogar – trotz des etwas traurigen Dackelgesichts, das Hasard sofort auffiel. Ein kleines Schmerbäuchlein hatte er, freundliche Augen und eine Knubbelnase.

Hasard ließ die Stelling ausbringen, ging an Land, stellte sich dem Señor vor und bedankte sich artig für das Wahrnehmen der Leinen.

„Endlich!“ sagte der Capitán, nachdem er sich gleichfalls vorgestellt hatte. „Endlich sind Sie da!“

„Wie meinen?“ fragte Hasard etwas verdutzt.

„Kommen Sie nicht aus Manila, um die Gewürzladungen zu übernehmen?“ fragte Don Alonso, gleichfalls etwas verdutzt.

„Aber nein, Señor Capitán“, erwiderte Hasard liebenswürdig. „In Manila bin ich mit der ‚Santa Barbara‘ noch nie gewesen. Wir sind im letzten Jahr aus Sevilla, beziehungsweise Cadiz, abgesegelt, haben Kap Hoorn gerundet und Lima angelaufen, wo wir unsere Ladung aus Spanien – Werkzeuge, Ackergeräte, Stoffballen und so weiter – auftragsgemäß abgegeben haben. Die ‚Santa Barbara‘ untersteht einer Reedergemeinschaft und einem Konsortium von Kaufleuten in Sevilla und hat den Auftrag, nach Entladung in Lima zu den Philippinen weiterzusegeln, um Gewürze einzukaufen und über den Indischen Ozean und das Kap der Guten Hoffnung wieder nach Sevilla zurückzukehren. Mindanao habe ich angelaufen, um Frischproviant und Trinkwasser zu übernehmen – wir sind damit etwas knapp geworden, nach der langen Reise über den Pazifik.“

„Oh, oh“, sagte Don Alonso betrübt. „Und ich hatte so sehr gehofft, daß Sie aus Manila kämen, Señor de Villacorta. Seit drei Monaten war kein Schiff da. Dabei platzen meine Lagerschuppen aus allen Fugen.“

„Wie das?“ fragte Hasard interessiert.

Don Alonso seufzte sehr tief und ausgiebig, und nun wurde sein Dackelgesicht noch trauriger. Fast hätte er neben Mac Pellew bestehen und in Konkurrenz treten können.

„Dort lagern Gewürzballen, Señor Capitán“, sagte er betrübt und deutete zu den Schuppen. „Bis unter die Decke! Pfeffer, Nelken, Zimt, Muskat von unseren Ansiedlungen auf den Molukken. Die Gewürzladungen werden monatlich zu uns heraufverschifft, hier ausgeladen und gelagert, bis eine Frachtgaleone aus Manila eintrifft und alles übernimmt und nach Manila bringt, von wo die Ladungen dann in der Monsunzeit bei günstigen Westwinden zusammen mit chinesischem Porzellan, Seidenstoffen und Elfenbein in Konvois nach Mexiko verbracht werden. Ja, und jetzt hocke ich auf den Gewürzladungen, und diese Bastarde in Manila scheint es einen Dreck zu kümmern, ob diese kostbaren Güter verkommen …“ Er stoppte seinen Redefluß und sagte erschrocken: „Mein Gott, ich rede und rede – und Sie sind nach langer Fahrt gerade eingelaufen und brauchen Proviant und Trinkwasser! Entschuldigen Sie bitte, Señor Capitán. Natürlich können wir Sie mit allem versorgen. Man muß sich doch gegenseitig helfen.“

„Nur keine Eile, Señor de Figuiera“, sagte Hasard lächelnd. „Ich finde das alles sehr interessant und aufschlußreich. Ich muß mich entschuldigen, daß ich Sie noch nicht zu einem kleinen Begrüßungstrunk eingeladen habe. Wie wär’s? Wir stehen hier auf der Pier herum, dabei ist es in meiner Kapitänskammer viel gemütlicher!“

„Nein, ich lade Sie ein, Señor Capitán! Wie sich das gehört! Ich muß wirklich schon ziemlich durchgedreht sein, wenn ich die einfachsten Höflichkeitsformen derart mißachte. Schauderhaft, wie man nur an sich selbst denkt und dabei vergißt, was ein Kapitän und seine Mannschaft hinter sich haben, wenn sie von Sevilla über Kap Hoorn bis hierher gesegelt sind! Mein Gott, was für eine Reise! Darüber müssen Sie mir erzählen!“ Plötzlich kniff der Señor Comandante die Äuglein zusammen. „Sie müssen ein guter Kapitän sein, Señor de Villacorta, ein guter Kapitän mit einer guten Mannschaft und einem guten Schiff. Ich habe mir sagen lassen, daß es von zehn Schiffen allenfalls zwei schaffen, Kap Hoorn zu runden oder durch die Magellan-Straße und den Pazifik bis hierher zu segeln.“

„Nun ja“, meinte Hasard, „vielleicht haben wir Glück gehabt.“

„Das Glück der Tüchtigen …“

Eine krakeelende Stimme fuhr dazwischen. Auch Hasard zuckte zusammen und wappnete sich sofort für die passende Erklärung – daß ihnen nämlich dieses plärrende Vogelvieh zugeflogen sei, offenbar von einem englischen Schiff.

„Zicke-zacke – Pavianbacke – hosianna – Kruzifix – halleluja!“ schrie Sir Jöhnchen und schickte ein Gelächter hinterher. Er turnte auf der Fockrah herum und stieß den Kopf ruckend auf und ab.

Hasard hatte den Kopf zum Schiff gewandt und erdolchte Carberry mit dem eisigen Blau seiner Augen. Klar, der Profos hätte seinen Krakeeler vor dem Einlaufen unter Deck bringen müssen, um allen Scherereien aus dem Wege zu gehen. Und was tat der Kerl jetzt? Er plierte in die entgegengesetzte Richtung in die Luft, als sei er für Sir John nicht zuständig.

Na warte, dachte Hasard. Aber immerhin hatte Sir Jöhnchen darauf verzichtet, etwas aus seinem weniger feinen Sprachschatz zum besten zu geben, womit nicht gesagt war, daß er es nicht doch noch tun würde. Das wußte man bei ihm nie so genau. Und daß „Pavianbacke“ eine neue Version von „Affenarsch“ war, konnte Don Alonso ja nicht ahnen.

Doch der Capitán freute sich. Nach seiner ersten Verblüffung lachte er sehr herzlich und meinte, daß dieser sprachbegabte hübsche Papageienvogel bei der Eintönigkeit langer Seereisen doch sicherlich sehr unterhaltsam sei und für Abwechslung sorge.

Das konnte Hasard bestätigen, und er dachte: Wenn du wüßtest, was wir mit diesem lieben Tierchen schon alles erlebt haben – noch vor einer halben Stunde ging es um das Thema, ob die Muskatnuß geeignet sei, dem Sir John zu einem Harem zu verhelfen und sein Liebesleben zu aktivieren. Aber das konnte er dem Capitán ja schlecht erzählen.

Er sagte nur – um vorzubeugen: „Wir haben den Papagei erst sei Lima an Bord und vermuten, daß er vorher auf einem englischen Schiff gewesen ist, denn er kennt sehr viele englische Ausdrücke und Wörter, die“ – er spähte zu Carberry und hob die Stimme – „die nicht gerade salonfähig sind, ganz im Gegenteil, man muß sich schämen, wenn man die hört. Aber diese englischen Seeleute sollen ja dafür bekannt sein, daß sie nur Unflätigkeiten von sich geben. Allerdings – der Kerl, von dem dieser Papagei die ordinäre Sprache gelernt hat, muß wohl über einen ganz besonderen Sprachschatz dieser Art verfügt haben. Anders kann ich mir das nicht erklären.“ Und Hasard sah mit Genugtuung, daß der Profos einen ziemlich roten Kopf hatte. Recht so, dachte er, schäm dich nur, mein lieber Ed. Und solltest du dich ärgern, dann kratzt mich das auch nicht weiter.

Und der Capitán Don Miguel Lopez de Villacorta alias Philip Hasard Killigrew grinste hintergründig.

Eine Viertelstunde später saß er mit Ben Brighton, Don Juan und Dan O’Flynn, die er dem Capitán als seine „Offiziere“ vorgestellt hatte, in der Kommandantur Don Alonsos. Man trank einen süffigen Rotwein, und Don Alonso merkte nicht, daß er von dem Kapitän der „Santa Barbara“ geschickt ausgehorcht wurde.

Jedenfalls atmete Hasard auf, als er hörte, daß es mit der Präsenz spanischer Kriegsschiffe in Manila nicht weit her sei – ein nicht unwichtiger Faktor für die Arwenacks, wenn sie nach Übernahme des Proviants und Trinkwassers nordwärts an den Ostküsten der Philippinen entlang nach China segeln. Man weiß ja immer gern schon vorher, mit was man möglicherweise rechnen muß.

Und dann horchen Hasard und seine drei „Offiziere“ auf, als Don Alonso fast erzürnt fortfährt: „Das ist es doch gerade, warum ich die Galeone aus Manila so dringend erwarte. Ich habe Hilfe angefordert, weil ich hier auf verlorenem Posten stehe. Mit zwei Schaluppen und zehn Mann kann ich mich nicht wehren. Wir sind ja keine Selbstmörder, nicht wahr? Aber Manila denkt gar nicht daran, diesen Stützpunkt zu verstärken. Entweder hat man uns bereits abgeschrieben und sagt, der kleine Capitán de Figuiera soll doch zusehen, wie er klarkommt, oder es stehen tatsächlich keine Schiffe nebst Mannschaften und Seesoldaten zur Verfügung.“ Der Capitán schnaufte empört. „Wenn die Kerle auch noch Davao angreifen, dann kann ich nur kapitulieren!“

„Welche Kerle?“ fragte Hasard.

„Die Holländer!“

„Die Holländer?“ Hasard schüttelte den Kopf. „Das verstehe ich nicht, Señor Capitán. Wieso die Holländer?“

 

„Sie haben sich auf den Molukken festgesetzt, diese Brüder“, erwiderte Don Alonso. „Und es sieht ganz danach aus, als seien sie scharf darauf, das Gewürzmonopol an sich zu reißen. Sie gehen mit teuflischer Schläue vor. Dort, wo spanische oder portugiesische Gewürzbesitzungen sind, fallen sie über die Plantagen her und zerstören Pflanzen und Ernte. Damit nicht genug, sie überfallen auch unsere kleineren Handelsfrachter, die Gewürzladungen von den Molukken hierher nach Davao bringen, verprügeln Kapitäne und Mannschaften oder töten sie, wenn sie sich wehren, oder verschleppen sie auf ihre Plantagen, wo sie Frondienste leisten müssen.“ Don Alonso hob sein Rotweinglas und trank.

Hasard dachte: Na so was! Fast hätte er gelacht, und er sah, daß es zumindest Ben und Dan nicht anders erging. Sie hatten Mühe, ihre Heiterkeit zu verbergen. Nur Don Juan runzelte die Stirn.

Nun ja, welchen Nichtspanier erheiterte es nicht, wenn er hörte, Spanier müßten „Frondienste“ leisten. Gemeinhin war es ja umgekehrt, nicht wahr? Wenn Hasard an die Hölle von Juchitán dachte, wo seine Mannen und er, an Ketten gefesselt, Zwangsarbeit hatten leisten müssen – und unter was für Bedingungen! –, dann war verständlich, daß sie jetzt fast so etwas wie Schadenfreude empfanden.

Und doch – und doch! Etwas störte Hasard und ihm wurde im ersten Moment nicht bewußt, was es war.

Don Alonso setzte sein Glas ab und sagte erbittert: „Auch bei uns schlagen sie zu – im wahrsten Sinne des Wortes: Sie schlagen mit der Axt zu! Sie fällen die Muskatnußbäume an der Westküste unseres Golfes, Muskatnußbäume, die wir bisher abernten konnten. Wissen Sie, Señores, daß diese Bäume an die neun bis zehn Jahre brauchen, um zu wachsen und dann die kostbare Muskatnuß als Frucht hervorzubringen? Neun bis zehn Jahre! Können sie ermessen, was es bedeutet, wenn solche Bäume brutal gefällt werden?“

„Ah!“ sagte Hasard gedehnt. „Ich beginne zu verstehen. Die spanische oder portugiesische Konkurrenz im Gewürzhandel, speziell der Handel mit den Muskatnüssen, wird auf diese Weise abgewürgt – mit einem Schaden, der neun bis zehn Jahre braucht, um ihn zu beseitigen.“

„Genauso ist es“, sagte Don Alonso dumpf. „Sie wollen den europäischen Markt beherrschen, diese Mijnheers, und sie schrecken nicht davor zurück, mit den Äxten einen Kahlschlag zu betreiben. Sie vergreifen sich an dem, was Gott hat wachsen lassen. Sie begnügen sich nicht mit dem, was sie auf ihren Plantagen erwirtschaften, sondern legen auch Hand an das an, was wir ernten wollen – damit sie die Preise in Europa bestimmen können.“

„Warum stellen Sie keine Wachen bei den Muskatnußbäumen an der Küste auf, Señor Capitán?“ fragte Don Juan.

„Ich sagte doch, daß ich hier nur über einen Trupp von zehn Mann verfüge“, erwiderte Don Alonso gepreßt. „Soll ich den vielleicht verheizen? Und soll ich den Angehörigen in Spanien dann schreiben, ihr Vater, Bruder oder Sohn fiel in treuer Pflichterfüllung, weil er einen Muskatnußbaum verteidigte? Es sind an die vierzig, fünfzig Kerle, die mit schnellen, wendigen Schaluppen an der Küste landen und über die Bäume herfallen. Sie kommen nachts. Aber meine zehn Männer können nicht Nacht für Nacht an der Küste Wache schieben, das geht über ihre Kräfte. Sicher, ich könnte auf die männlichen Zivilisten zurückgreifen, aber das sind Tischler, Schuster, Schneider – eben Handwerker, aber keine Soldaten.“

Hasard starrte in sein Rotweinglas. Einiges ging ihm durch den Kopf. Merkwürdig war nur, daß seine Schadenfreude verflogen war. Irgend etwas stieß ihm gallebitter auf. Plötzlich sah er wieder die gefällten Bäume vor seinem geistigen Auge. Bäume, die neun bis zehn Jahre brauchten, um Früchte zu tragen. Gott hat sie wachsen lassen, hatte der Capitán gesagt. Jetzt lagen sie dort, kreuz und quer durcheinander wie Soldaten auf einem Schlachtfeld – Gefallene. Nie mehr würden sie Frucht tragen.

Was maßen sich diese Holländer an? dachte Hasard. Und er dachte an gewisse Feudalherren, die es spaßig fanden, durch die Felder der Bauern, zu reiten und das Korn niederzutrampeln. Und der Bauer, der sich empörte, weil man das vernichtete, was durch seine Hände Arbeit entstanden war, diesen Bauern züchtigte man mit der Peitsche, hohnlachend und die Macht des Zwingherren auskostend. Er konnte sich ja nicht wehren, dieser miese Winzling von Schollenbrecher, dieser Rübenbauer, dieser Hungerleider – hahaha!

Hasard hob die Augen und begegnete dem Blick Ben Brightons. Es war ein sehr nachdenklicher Blick. Eine stille Frage lag darin. Oh, dieser Ben Brighton! Der schien mal wieder sehr genau zu wissen, was seinen Kapitän beschäftigte.

Seine stille Frage lautete: Packen wir’s an, Sir?

Und was antwortete Hasard stumm? Mann, mach mich nicht wild! Geht uns das was an, wenn die Mijnheers den Dons den Muskatnußhandel abwürgen? Sollten wir nicht froh sein, daß sie’s tun? Die kämpfen eben auf ihre Art gegen die Spanier, von denen sie ja auch lange genug gezwiebelt worden waren. Denk mal an den Herzog von Alba, mein lieber Ben, an diesen Tyrannen, der Hunderte von Niederländern dem Schafott ausgeliefert hat!

Und Ben fragte stumm: Würden wir Muskatnußbäume bei unserem Kampf gegen die Spanier umlegen, Sir?

„Nein, verdammt noch mal!“ sagte Hasard laut und wütend.

Nur Ben lächelte. Don Juan, Dan und der Capitán schauten Hasard verwundert an.

„Wie bitte?“ fragte Don Alonso.

„Ach, nichts“, murmelte Hasard, „mir ist das so herausgefahren.“

Ben Brighton, dieser Schurke, sagte mit undurchdringlichem Gesicht: „Mein Kapitän ärgert sich über die gefällten Muskatnußbäume, Señor de Figuiera, und da bin ich ganz seiner Meinung. Wir haben die Zerstörungen an der Küste übrigens gesehen, als wir Davao ansteuerten. Ein übles Bild. Dort ist meiner Meinung nach etwas Sinnloses geschehen. Mir ging eben durch den Kopf, was wohl wäre, wenn man nicht Muskatnußbäume vernichtete, sondern – nun – Tiere, die man abschlachtet, weil man nicht will, daß sie einem Land Gewinn bringen, den man aber selbst kassieren möchte.“ Ben räusperte sich. „Zum Beispiel Schafe, von denen wir Fleisch und Milch erhalten, aber ganz besonders Wolle. Das wäre dann Tiermord, nicht wahr? Aber ich kann das noch überspitzen und das, was ich meine, auch auf den Menschen selbst beziehen. Das wäre dann Völkermord. Was ich damit sagen will: verwerflich, ja verbrecherisch ist alles Tun, das aus niederen Motiven heraus etwas Lebendes abtötet oder vernichtet. Wir hatten allerdings Ratten an Bord, denen wir versuchten, den Garaus zu bereiten, weil sie die Eier unserer Bordhühner gefressen und ein Huhn totgebissen hatten.“

„Na, na, na“, sagte Dan O’Flynn, „das geschah bei uns aber nicht aus niederen Motiven oder um Gewinn zu erzielen. Wir haben damit auch niemanden geschädigt, aber damit rechnen müssen, daß die Ratten weiterhin Eier vertilgen oder gar an die Hühner herangehen. Ich schätze, das ist ein ziemlicher Unterschied zu den zitierten Beispielen Muskatnußbaum, Schaf und Mensch.“

Ben Brighton lächelte still vor sich hin. Dann sagte er: „Ich wollte nur andeuten, daß wir uns verdammt hüten sollten, anmaßend zu sein – als Menschen – und darüber zu befinden, was leben und was nicht leben darf. Wer sind wir denn? Etwa die Herren über diese Welt, die nicht wir, sondern ein Schöpfer geschaffen hat? Trotzdem nehmen wir uns heraus, über Tod und Leben zu entscheiden oder alles auszubeuten, was uns nützlich erscheint. Dabei steckt in der Nützlichkeitserwägung unter anderem der hemmungslose Wunsch, sich auch zu bereichern. Das trifft nun keinesfalls auf unseren Feldzug gegen die Ratten zu. Aber was die Holländer mit der Vernichtung der Muskatnußbäume betreiben, das ist Mord an der Natur aus eigensüchtigen Motiven.“

„Wollen Sie mir gegen die Kerle helfen?“ fragte Don Alonso aufgeregt.

Ben Brighton war ein Fuchs. Er erwiderte: „Das müssen Sie meinen Kapitän fragen, Señor de Figuiera.“

Eine paradoxe Situation! Da verlangte dieser schlitzohrige Ben Brighton – schlitzohrig, jawohl! – nicht mehr und nicht weniger, als daß sich die Arwenacks auf die Seite der Dons stellten und den Holländern ans Leder gingen, statt diese als Bundesgenossen im Kampf gegen Spanien zu empfinden. So was Verrücktes!

Hasard drehte den Spieß um. „Was meinen denn mein Zweiter und Dritter Offizier dazu, he?“ Und er blickte erst Don Juan und dann Dan O’Flynn an – als Zweiter und Dritter hatte er sie dem Capitán vorgestellt.

„Ich bin dafür, Capitán de Figuiera zu helfen“, sagte Don Juan gemessen.

„Ich auch“, erklärte Dan O’Flynn, ein Funkeln in den hellen scharfen Augen.

„Señores!“ sagte Hasard streng zu seinen drei „Offizieren“. „Sie scheinen zu vergessen, daß wir friedliche Handelsfahrer und mitnichten Soldaten sind. Außerdem bin ich den Eignern in Sevilla gegenüber für die ‚Santa Barbara‘ verantwortlich. Ich darf sie nicht in einem Gefecht gegen die Holländer aufs Spiel setzen.“

„Das brauchen Sie gar nicht, Señor Capitán“, sagte Don Alonso eifrig und mit glänzenden Augen. „Ich stelle Ihnen meine beiden Schaluppen zur Verfügung – bitte, helfen Sie mir. Ich weiß, daß Sie ein tüchtiger Mann sind – wer eine Galeone von Spanien bis hierher segelt, muß ein tüchtiger Mann sein. Und ich habe mir Ihre Männer angesehen, Don Miguel! Ich glaube, die können ziemlich kräftig zulangen. Das war jedenfalls mein Eindruck.“

Und wie die zulangen können, mein guter Don Alonso, dachte Hasard fast belustigt, vor allem, wenn sie euch Spaniern auf die Zehen treten dürfen!

Er sagte: „Haben Sie eine Ahnung, aus welcher Ecke diese Axtschwinger aufkreuzen, Don Alonso? Ich meine, haben die Kerle hier irgendwo ein Versteck, einen Stützpunkt, einen Hafen? Wenn sie Schaluppen benutzen, dann deutet das darauf hin, daß sie nicht von weither kommen, nicht wahr?“

Don Alonso schüttelte betrübt den Kopf. „Das haben wir bisher noch nicht ergründen können – nicht bei der Vielzahl der Inseln und Inselchen dieses Archipels. Für eine Spähertätigkeit kann ich auch keinen meiner Soldaten entbehren. Wir wissen nur, daß die Kerle immer von Süden herauf segeln.“

„Warum setzen Sie nicht Eingeborene als Späher ein?“ fragte Hasard. „Wir sahen einige Filipinos mit Auslegerbooten und außerdem an der Westküste ein paar Pfahlbauten und Hausboote.“

„Das sind die Orang Laut oder Badjao, die ‚Meerleute‘ oder ‚Seemenschen‘“, erwiderte Don Alonso. „Sie sind nicht seßhaft, sondern leben mehr oder weniger auf ihren Wasserfahrzeugen und vagabundieren durch die Gebiete der Sulu-See und der Mindanao-See. Sie haben eine Scheu vor uns und wollen mit uns nichts zu tun haben, ganz abgesehen davon, daß sie selbst auch von den Holländern überfallen wurden. Diese Badjao haben sehr hübsche Frauen – begehrte Lustobjekte für diese Kerle, von denen sie schlichtweg geraubt werden, wobei sie die Leutchen allerdings auch ausplündern, weil sie wissen, daß viele Badjao die Perltaucherei betreiben.“ Don Alonso seufzte. „Ich hätte die Badjao gern als Bundesgenossen, aber sie lehnen nach diesen üblen Erfahrungen alle Weißen ab, was ich ihnen nicht verdenken kann. Im übrigen sind sie ausgesprochen friedfertig. Wären sie es nicht, hätten sich die Mijnheers schon blutige Köpfe geholt.“

„Muskatnußbäume vernichten, Handelsfahrer überfallen, die Besatzungen zum Frondienst pressen, Perlen stehlen und Frauen rauben – eine saubere Liste ziemlich übler Taten“, meinte Ben Brighton. „Nicht wahr, Señor Capitán?“ Er blickte Hasard an.

Hasard nickte. „So ist es, verehrter Primero. Da kann einem mal wieder die Galle hochsteigen.“ Er wandte sich an Don Alonso. „Was ich brauche, das ist eine gute Seekarte mit den Küstengebieten um Mindanao. Haben Sie so etwas? Vielleicht sogar eine Spezialkarte des Golfes von Davao?“

„Haben wir“, sagte Don Alonso eifrig, stand auf, ging in einen Nebenraum und kehrte mit einer großen, mit Schweinshaut überzogenen Mappe zurück. Als er sie vor Hasard auf den Tisch legte, mußte er die Arme ausbreiten, um sie aufzuklappen. „Alles Karten von den Inseln der Philippinen und natürlich auch speziell von Mindanao, die obenauf liegen. Hier auf der ersten habe ich sogar angekreuzt, welche Stellen an der Golfwestküste von den Kerlen bereits heimgesucht wurden. Hier in der Bucht von Digos haben sie begonnen und arbeiten sich nach Süden vor. Sie fangen immer dort an, wo sie zuletzt aufgehört haben.“

„Methodische Leute“, murmelte Hasard und beugte sich zusammen mit Ben, Don Juan und Dan über die Karte, die exakt den Küstenverlauf darstellte. „Da brauchen wir die Brüder ja nicht lange zu suchen, sondern können uns dort auf die Lauer legen, wo sie ihren nächsten Kahlschlag vornehmen werden. Wie ist das, tauchen sie in regelmäßigen Zeitabständen auf, Don Alonso?“

 

„Alle drei bis vier Tage.“

„Und wann erwarten Sie den nächsten Besuch?“

„Die Kerle müßten übermorgen nacht erscheinen“, erwiderte Don Alonso und fügte gallig hinzu: „Bisher waren sie leider immer pünktlich.“

„Leider?“ Hasard pochte mit den Handknöcheln auf den Tisch. „Die Kerle sollen mich kennenlernen, wenn sie unpünktlich sind! Bei einer solchen Sache darf man doch wohl Pünktlichkeit erwarten. Sonst soll sie der Teufel holen!“

Da lachten die Männer.