Seewölfe Paket 23

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2.

Ben Brighton begann, das Vorhaben gegen Arica eingehender mit seinen Männern zu erörtern. Daß sich genügend Freiwillige finden würden, stand außer Zweifel. Wäre es nach den Crews beider Schiffe gegangen, dann wären sie alle nach Arica aufgebrochen. Das aber war praktisch und auch vom strategischen Standpunkt her völlig unmöglich. Ben wußte genau, daß er den Trupp, der bis zu dem Hafen der Spanier vorstoßen würde, möglichst klein halten mußte, damit dieser auf keinen Fall Aufsehen erregte, ehe er die wichtigsten Details erkundet hatte.

Zur Zeit betrug die zahlenmäßige Stärke der beiden Schiffsmannschaften neununddreißig Mann. Hinzu kam Araua als das einzige weibliche Wesen an Bord der „Estrella de Málaga“ – und außerdem das „Viehzeug“, wie Carberry zu sagen pflegte: Plymmie, Arwenack, Sir John und die Legehennen im Verschlag der Back der „Estrella“.

Der Potosi-Trupp, der Ende November seinen langen Marsch begonnen hatte, bestand aus Hasard, Dan O’Flynn, Ed Carberry, Matt Davies, Gary Andrews, Stenmark, Pater David, Jean Ribault, Karl von Hutten, Fred Finley und Mel Ferrow. Außerdem begleitete den Trupp ein gewisser Pater Aloysius, der aus einem fernen, unbekannten Land namens Tirol stammte und als Bergführer offenbar hervorragend geeignet war.

Ein Dutzend Männer, die auch für das Arica-Unternehmen sehr gut geeignet gewesen wären, fiel also aus, und Ben hatte sich sehr genau zu überlegen, wen er losschickte.

„Hol’s der Henker“, sagte Mac Pellew, der als letzter an Bord der Karavelle aufenterte. „Nach Arica geht’s also? Wann denn? Heute nacht? Schießen wir dort alles in Schutt und Asche?“

„Du redest mal wieder totalen Unsinn“, sagte Smoky. „Und du kriegst immer alles in den falschen Hals.“

„Da geht es wieder los“, sagte Mac mit todtraurigem Gesicht. „Auf mir könnt ihr ja rumhacken, nicht?“

„Wir segeln nicht nach Arica“, sagte Smoky. „Wir gehen zu Fuß hin. Das ist ja wohl klar.“

„Klar ist das gar nicht“, sagte Mac beleidigt.

„Trübe ist es in deinem Kopf, Mac“, sagte Batuti grinsend. „So trübe wie in deiner Suppe.“

„Bitte sehr“, erklärte der Kutscher. „Für die Suppen bin ich verantwortlich.“

„Na, schon gut“, sagte Smoky. „Aber halte dir eins vor Augen, Mac. Wir wollen in Arica nicht als Verrückte wüten und uns sämtliche Kriegsschiffe an den Hals holen, ehe Hasard und seine Gruppe wieder zurück sind. Wir wollen heimlich vorgehen. Und wenn was passiert, dann sollen die Dons anschließend rätseln, wer ihnen das angetan hat.“

„Fein“, sagte Mac mit dem Versuch eines Grinsens, das selbst Plymmie zum Heulen gebracht hätte. „Nun weiß ich Bescheid. Wie nett, daß ihr mich immer auf dem laufenden haltet.“

„Du riechst so rauchig“, sagte Batuti. „Und du hast einen Anchoveta im Hemd, Mac.“

„Was? Einen was habe ich? Wo?“

„Im Hemd“, sagte nun auch Smoky. „Da, es stimmt wirklich. Du meine Güte, Mac.“

Mac blickte an sich hinunter. Tatsächlich – aus seinem Hemdausschnitt glotzte ein noch nicht geräucherter Fisch hervor. Ziemlich verlegen stopfte Mac ihn sich ganz ins Hemd, so daß er nicht mehr zu sehen war.

„So was“, brummelte er. „Wie konnte denn das passieren?“ Dann verschwand er in der Kombüse. Er hatte vorerst wieder mal die Nase voll. Das Schott knallte hinter ihm zu.

„Was ist da vorn los?“ fragte Ben. „Hört ihr alle her? Ich bitte mir Ruhe aus!“

„Aye, Sir“, sagte Philip junior. „Aber Mac Pellew fehlt noch, er ist eben mal in die Kombüse gegangen und lädt Anchovetas ab.“

„Er soll dabeisein“, sagte Ben, „wie ihr alle, außerdem habe ich keine Lust, alles zweimal zu sagen.“

Batuti hieb grinsend mit der Faust gegen das Kombüsenschott. „Mac, komm raus, Mann!“

Mac öffnete das Schott mit einem Fluch. „Was ist jetzt wieder los? Man hat mir vorgeworfen, daß ich stinke.“

„Nach Rauch und nach Fisch“, sagte Bill vergnügt.

„Das lasse ich mir nicht nachsagen!“ stieß Mac erbost aus.

„Hör auf“, sagte Ben. „Waschen kannst du dich nachher immer noch. Jetzt hör erst mal her.“

„Aye, Sir!“

„Folgendes“, sagte Ben. „Wir müssen als erstes Arica genau erkunden und feststellen, wo wir die Dons am empfindlichsten treffen können.“

„Doch wohl an ihren Pulverlagern“, sagte Shane mit grollendem Baß. „Wenn die in die Luft fliegen, gibt’s ein hübsches Feuerwerk. Eigentlich sollten wir damit bis zum Jahreswechsel warten, aber so lange Zeit haben wir wohl nicht, schätze ich.“

„Die Munitionsdepots sind das Ziel Nummer eins“, sagte Ben.

„Und die Vorratslager am Hafen?“ fragte Ferris Tucker.

„Die natürlich auch. Weiter: Wir müssen in Erfahrung bringen, welche Schiffe im Hafen liegen, wie sie bewacht sind und welche Stärke die Hafenbatterien haben.“ Ben hielt kurz inne, dann fuhr er fort: „Kurzum, alles, was für uns wichtig ist, muß ausgekundschaftet werden. Dazu sollte ein Trupp nach Arica einsickern, der sich damit befaßt.“

„Sehr gut“, sagte Jan Ranse, der jetzt am Großmast stand. „Und unser Trupp soll sich dann still und friedlich wieder zurückziehen, wie ich annehme?“

Ben grinste. „Wenn die Situation es erfordert, ja. Ich stelle mir da Gefahren wie das Anrücken einer Stadtgarde oder verschärfte Kontrollen vor.“

„Völlig klar“, sagte Smoky. „Wir dürfen kein übermäßiges Risiko eingehen.“

„Aber nehmen wir mal an, die Situation erfordert ganz was anderes“, sagte Le Testu. „Beispielsweise sofortige Aktion. Was dann?“

„Der Trupp wird eigenständig handeln“, erwiderte Ben. „Er hat freie Hand. Er wird aus Männern bestehen, die sich schnell auf jede Lage einzustellen verstehen und Entscheidungen von einem Moment auf den anderen treffen können.“

„He, Gordon“, sagte Albert zu Gordon McLinn. „Du wirst, glaube ich, nicht nach Arica gehen.“

McLinns Schläfenadern schwollen an. „Wie meinst du das? He, was soll das heißen?“

„Beruhige dich“, entgegnete Roger Lutz gelassen. „Es bedeutet, daß Albert noch vor dem Dunkelwerden im Räucherofen landet, wenn er seine freche Klappe nicht halten kann.“

„Sollte es sich ergeben, dann ist gegen eine Sabotageaktion nichts einzuwenden“, sagte Ben. „Aber nur, wenn die absolute Sicherheit des Trupps gewahrt bleibt und für Anonymität und Tarnung gesorgt ist.“

„Dafür wird gesorgt!“ rief Smoky. „Wann marschieren wir los?“

„Der Trupp wird eine Jolle benutzen“, sagte Ben.

„Ha!“ stieß Mac Pellew hervor. „Da hast du’s! Du kriegst auch immer alles in den falschen Hals, Mister Smoky!“ Er wollte lachen, aber es klang eher wie ein Jaulen.

„Na gut“, sagte Smoky. „Also auf nach Arica per Jolle!“

„Noch ein Wort zu der möglichen Sabotageaktion“, sagte Ben. „Unser Ziel sollte es dabei sein, den Spaniern jede Möglichkeit zu nehmen, mittels ihrer Feuerwaffen aktiv zu werden.“

„Feuerwaffen“, sagte der Kutscher nachdenklich. „Das impliziert Kanonen, Gewehre und Pistolen.“

„Was hast du gesagt?“ fragte Paddy Rogers. „Was für ein Wort war das?“

„Implizieren bedeutet soviel wie einschließen.“

„Wer soll eingeschlossen werden?“ fragte Paddy mit verdutzter Miene. „Die Dons? In Arica?“

„Du wirst auch nicht mit nach Arica segeln“, murmelte Albert, doch er enthielt sich eines lauten Kommentars, weil Roger Lutz bereits wieder zu ihm blickte.

„Also“, sagte Ferris. „Wo kein Pulver ist, kann kein Blei und Eisen fliegen. Ist das richtig?“

„Ich bewundere deinen Scharfsinn“, sagte Ben.

„Alles klar“, sagte Al Conroy. „Ein tüchtiges Stück Arbeit wäre es, den Dons das ganze Pulver unter dem Hintern in die Luft zu jagen. Oh, das würde ich mir schon zutrauen.“

„Wer führt nun den verdammten Erkundungstrupp?“ fragte Luke Morgan ungeduldig. „Und wer gehört ihm an? Ich melde mich natürlich auch freiwillig.“

Ben zwinkerte plötzlich den Männern der „San Lorenzo“ zu.

„Wäre das nicht mal eine Sache für euch?“ fragte er.

„Das wäre nicht schlecht“, erwiderte Jan Ranse. „Ich hätte nichts dagegen einzuwenden.“

„Wir auch nicht!“ rief Roger Lutz und Grand Couteau wie aus einem Mund.

„Aber als Experten sollten Ferris Tucker und Al Conroy mit dabeisein“, fügte Ben noch hinzu.

„Recht so!“ rief Piet Straaten. „Los, auf geht’s, wie besorgen es den Dons! Das haben sie schon lange verdient! Und vielleicht halten sie in Arica Indios gefangen, die befreit werden müssen!“

„Wir können gleich aufbrechen!“ schrie Donald Swift.

„Augenblick mal“, sagte Shane zu Ben. „Ist das dein Ernst?“

„Ja.“

„Und wir sollen hierbleiben und Daumen drehen?“

„Es gibt auch noch andere Möglichkeiten, sich zu betätigen“, entgegnete Ben lachend. „Beispielsweise könnten wir die ‚Estrella‘ aufklaren.“

Shanes Miene war verkniffen. „Was gibt es denn hier noch aufzuklaren? Der Kahn blitzt vor Sauberkeit, das Rigg ist in Ordnung. Wir werden uns höllisch langweilen, das schwöre ich dir.“ Er war wirklich enttäuscht und verbarg es nicht. Inständig hatte er gehofft, mit Ferris Tucker und einigen anderen nach Arica aufbrechen zu können – eine Abwechslung in der Monotonie des langen Wartens auf Hasards Trupp.

Aber Ben Brighton ließ sich nicht beeinflussen. Er war der Kommandant an Bord der „Estrella“, alle hörten auf seinen Befehl. Was Arica betraf, so hatte er seine Entscheidung bereits getroffen, und er wich nicht mehr davon ab – aus einigen plausiblen Gründen.

Es sollten und durften nicht immer die Männer des Seewolfs sein, die „bestimmte Arbeiten“ verrichteten. Man sollte auch den „Vengeurs“, wie Jean Ribaults Männer von den Arwenacks genannt wurden, ruhig einmal den Vortritt lassen. Von dieser Voraussetzung ging Ben jetzt aus. Er sprach es natürlich nicht offen aus, zeigte sich aber als geschickter und diplomatisch begabter Schiffsführer, der von seinem Kapitän Hasard eine Menge gelernt hatte.

 

Jetzt waren eben mal die Vengeurs an der Reihe. Außerdem brauchten sie auch eine Motivation, denn sie waren in der letzten Zeit ein wenig verunsichert worden.

Da war die Sache mit ihrem Koch Eric Winlow gewesen, die ihnen immer noch in den Knochen steckte. Für Winlows Schlamperei waren sie von den Arwenacks, vor allem von Carberry, ziemlich verhöhnt worden.

Und auch die Geschichte mit Roger Lutz und der Galeone der Komödianten war alles andere als eine ruhmreiche Begebenheit gewesen. Irgendwie brauchte die Crew eine Selbstbestätigung, und Ben wollte ihnen eine entsprechende Chance dafür geben.

Ferris Tucker nahm Shane auf dem Achterdeck beiseite.

„Hör mal“, sagte er halblaut. „Reg dich nicht auf, wir werden das Kind auch ohne dich schaukeln.“

„Das glaube ich dir gern“, erwiderte der graubärtige Riese. „Und was tue ich? Ich stehe mir hier inzwischen die Beine in den Bauch.“

„Stehen solltest du schon, aber über den Dingen.“

„Findest du? Du hast gut reden. Du bist ja mit dabei.“

„Das spielt keine so große Rolle“, sagte Ferris. „Aber denk auch mal an die Sache mit Carrero.“

„Ja?“

„Den haben wir gestellt, und Montbars hätte sich am liebsten in den Hintern gebissen, als er ihn mit der Jolle entwischen ließ.“

„Ist schon gut“, sagte Shane. „Und ich bin ja auch kein Narr. Die Burschen sollen ruhig mal wieder unter Beweis stellen, was in ihnen steckt, es kann nicht schaden.“

Ferris grinste und hieb ihm auf die Schulter. „Weißt du was? Ich habe gar nichts dagegen, zusammen mit Al fachmännischer Berater des Trupps zu sein. Die Führung kann getrost einer der Le Vengeurs übernehmen.“

Bens Gedanken bewegten sich in der gleichen Richtung, aber er wollte, daß Jan Ranse an Bord der „San Lorenzo“ blieb.

„Ich schlage Gustave Le Testu als Anführer des Arica-Trupps vor“, sagte er. „Le Testu verfügt, was Operationen an Land betrifft, über einschlägige Erfahrungen.“

Le Testu lachte. „Das kann man wohl sagen. Ist es vermessen, zu verlangen, daß mich auch mein Freund Montbars begleitet? Ja – und auch Albert sollten wir mit dabeihaben. Der gibt mit seinem Buckel immerhin einen feinen und daher unbeachteten Spion ab.“

„Langsam, langsam“, sagte Jan Ranse. „Wir haben das ja noch gar nicht beschlossen.“

„Wer hat andere Vorschläge?“ fragte Ben.

„Wie wäre es mit Piet Straaten?“ fragte Tom Coogan.

„Abgelehnt“, entgegnete Jan Ranse. „Piet bleibt mit mir an Bord der ‚San Lorenzo‘. Ihr dürft nicht vergessen, daß wir gefechtsklar und kampffähig bleiben müssen. Die Schiffe sind bereits unterbemannt. Wenn wir noch den Trupp abziehen, der nach Arica segelt, wird es fast kritisch. Es ist daher nur logisch, daß wir die besten Seekämpfer und Kanoniere an Bord behalten.“

„Richtig“, sagte Ben. „Und auch aus diesem Grund sollten wir den Arica-Trupp so klein wie möglich halten. Wir müssen ständig damit rechnen, daß sich Dons in unsere Bucht verirren. Wir müssen in der Lage sein, uns mit ihnen zu schlagen.“

„Ein kleiner, aber schlagkräftiger Trupp also“, sagte Le Testu. „Keine Angst, wir werden das schon hinkriegen. Auch zu dritt, wenn es sein muß.“

„Kommen wir zur Sache“, sagte Jan Ranse. „Unsere Ratsversammlung soll nicht ewig dauern. Wer ist mit Le Testu als Gruppenführer einverstanden?“

Die Arme flogen hoch, keiner enthielt sich der Stimme, keiner war dagegen. Le Testu grinste. Montbars hatte ebenfalls ein dünnes Grinsen aufgesetzt. Albert rieb sich kichernd die Hände.

„Das gibt Spaß“, sagte er. „Und die Dons werden sich wundern.“

„Weiter“, sagte Le Testu. „Sind alle dafür, daß ich Montbars und Albert mitnehme?“

„Ja!“ riefen die Männer, und Pierre Puchan fügte noch hinzu: „Wir sind besonders froh, daß wir Albert für ’ne Weile los sind.“

„Ihr könnt mich alle gut leiden, was?“ zischte Albert.

„Das ist schon immer so gewesen“, erwiderte Pierre fröhlich. „Seit wir uns kennen, nicht wahr?“

„Als meine weiteren Begleiter schlage ich Roger Lutz und Grand Couteau vor“, sagte Le Testu. „Das dürfte reichen.“

„Nimm auch Donald Swift noch mit“, sagte Jan Ranse. „Dann seid ihr sechs Mann, und es kommen noch Ferris Tucker und Al Conroy hinzu, also seid ihr insgesamt acht Mann. Meiner Ansicht nach ist das die richtige Zahl.“

„Das finde ich auch“, sagte Ben. „Nicht zuviel und nicht zuwenig.“

Wieder wurde abgestimmt, wieder waren die Männer einer Meinung. Der Trupp war zusammengestellt. Natürlich war auch Piet Straaten ein wenig enttäuscht, daß er nicht mit nach Arica segelte, aber er sah andererseits auch ein, was Jan Ranse sagte. Ständig mußte man für ein Gefecht gegen spanische Schiffe gerüstet sein. Die Erfahrung der vergangenen Wochen hatte gezeigt, wie ratsam es war, ständig auf der Hut zu sein. Die Wachsamkeit durfte keine Stunde nachlassen.

Ben Brighton besprach die letzten Einzelheiten des Unternehmens mit Le Testu, Ferris und Al.

„Ihr brecht noch am Nachmittag auf“, sagte er. „Natürlich nehmt ihr genügend Waffen, Pulver, Kugeln und Proviant mit. Ihr werdet die Jolle noch vor Arica verstecken und euch zu Fuß in die Stadt begeben.“

„Das ist klar“, sagte Le Testu. „Es wäre ganz gut, wenn wir wüßten, wie die Stadt angelegt ist, aber es geht auch ohnedem. Wir müssen nur herauskriegen, wo sich die Tore befinden und wo die Stadtfeste, falls es eine gibt, das ist erst mal das Wichtigste.“

Ben lächelte und zog etwas aus der Tasche seines Wamses. „Ich bin ja auch einmal oben im Tal von Tacna gewesen, um mich vorzustellen, wie ihr wißt. Nun, Pater Franciscus war so freundlich, mir eine Karte von Arica anzufertigen.“ Er faltete die Zeichnung auseinander und deutete mit dem Finger darauf. „Hier – der wohl wichtigste Punkt ist der Morro de Arica, eine Befestigungsanlage am Südende des Hafens.“

Le Testu stieß einen leisen Pfiff aus. „Sehr gut. Das erleichtert uns natürlich einiges.“

„Wie Pater Franciscus mir berichtet hat, ist der Morro de Arica überhöht gelegen“, erklärte Ben. „Damit beherrscht er die Hafenbucht.“ Er händigte Le Testu die Karte aus, und dieser zeigte sie herum. Danach faltete er sie zusammen, steckte sie ein und bedankte sich bei Ben.

„Großartig“, sagte Roger Lutz grimmig, nachdem er einen Blick auf die Karte geworfen hatte. „Dann haben wir also zwei Zeichnungen, nicht wahr?“ Er holte noch einmal die Skizze zum Vorschein, die Anacoana angefertigt hatte und wies sie seinen Kameraden vor. „Sollte jemand in Arica diesen Kerl entdecken, dann gibt er mir sofort Bescheid, klar?“

„Ja“, entgegnete Le Testu. „Aber du weißt, daß dies nicht unsere vordringliche Aufgabe ist, Roger. Du wirst dich genau nach meinen Befehlen richten.“

„Selbstverständlich“, sagte Roger. „Das ist völlig klar. Du brauchst dir in der Hinsicht keine Sorgen zu machen.“

Am Nachmittag verließ der achtköpfige Trupp mit der Jolle die Felsenbucht. Die Männer winkten ihren Kameraden an Bord der Schiffe noch einmal zu, dann verschwanden sie durch die Ausfahrt. Der letzte, von dem sie sich durch Zeichen verabschiedeten, war Jeff Bowie, der zu diesem Zeitpunkt gerade Wache an Land ging. Er hob die Hand und ließ sie wieder sinken.

„Viel Glück“, sagte er, „und viel Erfolg, Leute, und laßt euch von den Dons nicht packen.“

Wird schon schiefgehen, dachte er.

3.

Die Entfernung von der Flußmündung des Tacna bis nach Arica betrug nach den Berechnungen, die die Männer angestellt hatten, etwa fünfundzwanzig Meilen, wenn man dem Verlauf der Küste folgte. Le Testu und sein Trupp fanden bald heraus, daß sie sich nicht verkalkuliert hatten.

„Kurz nach Mitternacht werden wir dort sein“, sagte Ferris Tucker. „Vorausgesetzt, der Wind schläft nicht ein.“

„Den üblen Streich wird er uns ja wohl nicht spielen“, sagte Grand Couteau. „Er ist die ganzen Tage über nicht eingepennt, warum sollte er es jetzt tun?“

„Die Natur ist unberechenbar, das weißt du wohl“, sagte Roger Lutz. „Aber auf ein bißchen Glück dürfen wir ja wohl hoffen.“

Bei stetigem Südwestwind erreichten sie ihr Ziel tatsächlich, als Mitternacht gerade verstrichen war, am 16. Dezember also. Schweigend beobachteten sie die Lichter, die sie schon aus einiger Entfernung sehen konnten. Sie glitzerten und schienen sich zu bewegen, aber das war eine optische Täuschung.

„Da hätten wir also Arica“, sagte Le Testu. „Die Lage scheint ruhig zu sein. Patrouillenboote der Dons kann ich nicht entdecken.“

„Die können immer noch auftauchen“, murmelte Montbars. „Beschwör es lieber nicht.“

„Oder sie kontrollieren die Küste mit Spähtrupps“, sagte Al. „Möglich ist alles.“

„Das glaubst du doch selber nicht“, sagte Donald Swift. „Die Dons sitzen um diese Zeit lieber in ihren Kaschemmen und lassen sich mit Wein vollaufen.“

Le Testu entblößte seine weißen Zähne. „Zu der Version neige ich auch. Das heißt aber noch lange nicht, daß wir unvorsichtig sein dürfen. Wir sind jetzt noch eine Meile von Arica entfernt, schätze ich. Wir sollten uns einen geeigneten Landeplatz suchen.“

Sie nahmen Kurs auf das Ufer und stießen wenig später auf eine kleine Bucht. Sie bargen das Segel und legten an, und dann unternahmen Le Testu und Montbars einen kurzen Erkundungsgang.

Rasch kehrten sie wieder zu den anderen Männern zurück.

„Wir haben eine Hütte gefunden“, sagte Le Testu. „Sie ist leer. Für uns dürfte sie der ideale Unterschlupf sein.“

„Nichts wie hin“, sagte Ferris. „Aber wir sollten uns auch die nähere Umgebung ein wenig anschauen. Es wäre dumm, in eine Falle von irgendwelchen Küstenhaien zu stolpern.“

Die Hütte, die sich nur knapp zwanzig Schritte vom Ufer entfernt in einem Dickicht befand, wurde von dem gesamten Trupp inspiziert.

Als sie im Inneren standen, sagte Al leise: „Der Bau scheint in Ordnung zu sein.“

„He, hier hängen ja Netze!“ raunte Grand Couteau.

„Sicherlich haben hier einmal Fischer gewohnt“, sagte Le Testu.

„Hier ist eine Tür“, sagte Donald Swift. „Wo geht’s denn da hin?“

Er öffnete die Tür. Sie führte in einen Anbau, in dem sie auf zerrissene Netze, Reusen und Angelgeschirr stießen. Ihre Augen hatten sich inzwischen gut auf die Dunkelheit eingestellt, und sie untersuchten alles eingehend.

„Also, das eine ist sicher“, sagte Le Testu. „Die Hütte steht schon seit Monaten leer.“

„Was den Bewohnern wohl zugestoßen ist“, sagte Albert. „Ob sie in einem Sturm umgekommen sind? Möglich ist es.“

„Wir werden es nie erfahren“, sagte Al. „Aber ungewollt erweisen sie uns noch einen großen Dienst. Dann mal los! Richten wir es uns so gemütlich wie möglich ein.“

Ferris war wieder ins Freie getreten und sah sich aufmerksam überall um. Er kehrte zu den Kameraden zurück und meldete: „Es gibt einen kleinen Bach, nicht weit entfernt. Er fließt in die Bucht. Ich habe das Wasser probiert, es schmeckt gut.“

„Und wenn es vergiftet ist?“ fragte Albert.

„Dann fällt Ferris gleich tot um“, sagte Roger Lutz. „Und dich stecke ich dann mit dem Kopf nach unten in den Bach, weil ich deine dusseligen Reden nicht mehr hören kann.“

Albert zog es vor, zu schweigen.

Die Hütte eignete sich wirklich hervorragend als Standquartier, wenn sie auch etwas baufällig war. Allein die Tatsache, daß sie in einem Gebüsch stand, war von großem Vorteil, denn Le Testu und seine sieben Begleiter konnten sicher sein, daß sie auch bei Tag nicht entdeckt wurden, weder von der Wasser- noch von der Landseite. Der Bach versorgte sie mit dem erforderlichen Trinkwasser. Was wollten sie mehr? Besser hätten sie es nicht treffen können.

Sie kehrten zu der Jolle zurück, legten den Mast um und zogen das Boot an Land. Mit vereinten Kräften schleppten sie es in das Dickicht und hinter die Hütte, so daß es von See aus ebenfalls nicht zu sehen war.

Die Männer setzten sich in der Hütte zusammen, und Le Testu ließ eine Flasche Wein kreisen, die er von Bord der „San Lorenzo“ mitgenommen hatte.

„Wir bleiben erst mal hier“, sagte er. „Nach Mitternacht noch in Arica Erkundungen vorzunehmen, ist zu riskant.“

„Ja“, pflichtete Montbars ihm bei. „Wenn es etwas früher gewesen wäre, hätten wir uns in die eine oder andere Kneipe schleichen und den Gesprächen lauschen können.“

 

„Oder eine Señorita anquatschen können“, sagte Donald Swift. Sofort bekam er seinen üblichen verträumten Blick.

„Schlag dir das aus dem Kopf“, sagte Le Testu. „Wir sind nicht deswegen unterwegs, vergiß das nicht.“

„Einen Vorteil hätten wir, wenn wir jetzt noch aufbrechen würden“, sagte Al. „Wir hätten den Schutz der Dunkelheit.“

„Morgen früh müssen wir darauf verzichten“, sagte Le Testu. „Aber dann herrscht in den Straßen und Gassen mehr Betrieb, und wir fallen weniger auf als jetzt.“

„Ja, das sehe ich ein“, sagte Al.

„Außerdem haben wir Zeit“, sagte Ferris.

„Ich schlage vor, wir genehmigen uns eine Mütze voll Schlaf“, sagte Le Testu. „Morgen – oder vielmehr heute früh – sind wir dann frisch und ausgeruht.“

„Und munter“, sagte Grand Couteau. „Und wir finden die Pulverdepots der Dons auf Anhieb, wetten?“

„Ich an deiner Stelle würde nicht zu optimistisch sein“, warnte ihn Roger Lutz. „Sobald wir Arica betreten, kann es unliebsame Überraschungen geben. Keiner wird uns auf Anhieb entlarven, aber wenn wir Pech haben, kriegt man leicht heraus, daß wir keine Spanier sind.“

„Los, schlaft jetzt erst mal“, sagte Le Testu. „Macht es euch so bequem wie möglich. Wer übernimmt die erste Wache?“

„Ich“, erwiderte Montbars.

„Gut. Auf einen Posten wollen wir nicht verzichten, sicher ist sicher.“ Le Testu legte noch fest, wer die nächsten Wachen übernehmen sollte, dann baute er sich ein einfaches Lager zurecht und rollte sich darauf zusammen. Binnen kurzer Zeit war er eingeschlafen.

Neben ihm streckten sich auch die anderen auf ihren Schlafstellen aus. Montbars, der vor der Hütte seinen Posten bezog, lauschte ihrem Schnarchen und grinste ein bißchen. Wer schläft, sündigt nicht, dachte er, und mit den Señoritas ist nichts, ihr habt’s ja gehört.

Etwas später unternahm er einen kleinen Rundgang. Er konnte den kleinen Bach gurgeln und plätschern hören. Einmal vernahm er auch ein Knacken im Unterholz eines nahen Waldes und ging in Lauerstellung. Dann sah er einen Nachtvogel, der aufstieg und kurz darauf verschwand. Er grinste wieder und beendete seinen Rundgang.

Vampire, dachte er, hier soll es sie geben. Richtige Blutsauger, die nachts ihre Verstecke verlassen und nicht nur Tiere, sondern auch Menschen anfallen.

Gibt es sie oder gibt es sie nicht? Er beschloß, die anderen danach zu fragen. Diese Neue Welt war ein seltsames Land, das immer neue Rätsel und Wunder bot. Nur die Spanier waren hier fehl am Platze, wie sie auch in Le Testus, Montbars’ und Alberts Heimat, der Bretagne, nichts zu suchen hatten.

Man sollte sie ins Meer treiben, dachte Montbars, als er sich in der Nähe der Hütte niederließ und auf das schwärzliche Wasser der Bucht blickte.

Le Testu war früh auf den Beinen und trat zu Grand Couteau hinaus, der inzwischen Wache hatte.

„Wie sieht’s aus?“ fragte er ihn.

„Die ganze Nacht ist ruhig verlaufen.“

„Und es wird ein schöner Tag, was?“

„Schön sonnig“, brummte Grand Couteau. „Zu Hause liegt jetzt Schnee, und die Leute schlagen sich im Wald ihre Weihnachtsbäume. Hier gibt es nicht eine einzige lausige Tanne, scheint mir.“

„Hast du Heimweh?“

Grand Couteau blickte Le Testu an und grinste. „Das nicht. Aber ich kann mir Weihnachten nun mal schlecht ohne Schnee vorstellen. Und ohne Nadelbaum. Das ist alles.“

Le Testu ging zum Bach und wusch sich. Als er zur Hütte zurückkehrte, waren fast alle aufgestanden, bis auf Donald Swift und Albert.

Donald beugte sich über Albert, berührte dessen Schulter und flüsterte: „He – bist du tot?“

Albert wandte den Kopf und sah ihn böse an. „Ich bin sehr lebendig und fühle mich sauwohl. Das paßt dir wohl nicht, was?“

„Kannst du keinen Spaß vertragen?“

„Gib mir mal einen Zweig, damit ich mich unter der Achselhöhle kratzen kann.“

Montbars blickte die beiden nachdenklich an. „Was meint ihr, gibt es hier Vampire?“

„Was für Dinger?“ fragte Albert entsetzt. „Diese Biester, die einem das Blut aussaugen?“

„In Tacna hat’s sie nicht gegeben, warum sollen sie hier sein?“ fragte Donald ziemlich verständnislos.

„Ist nur so ’ne Frage von mir“, sagte Montbars. „Ist mir heute nacht eingefallen.“

„Die Tiere soll es geben“, sagte Le Testu, der gerade eintrat. „Karl von Hutten hat es mir mal gesagt. Das sind größere Fledermäuse mit dolchspitzen Zähnen. Sie übertragen die schlimmsten Krankheiten wie Pest und Cholera.“

„Das reicht mir“, sagte Albert. Er stand auf und schüttelte sich. „Warum brechen wir nicht endlich nach Arica auf?“

„Nach dem Frühstück geht es los“, sagte Le Testu.

Sie wagten es, in dem Steinofen der Hütte ein Feuer zu entfachen und Wasser zu kochen. Jeder hatte seine Muck dabei, und zu dem heißen Wasser gab es einen kräftigen Schuß Rum. Ferris Tucker verteilte Schiffszwieback und Speck. Schweigend kauten die Männer darauf herum.

„Wir bilden Zweiergruppen“, sagte Le Testu anschließend. „Die Gruppen brechen nacheinander auf. Montbars, du bist mit mir zusammen. Ferris, du gehst mit Al. Roger und Grand Couteau bilden die dritte Gruppe. Albert und Donald, ihr bleibt hier bei der Hütte als Wachtposten zurück.“

„Was?“ stieß Albert erbost aus. „So war das aber nicht vereinbart!“

„Willst du gegen meine Befehle motzen?“ fragte Le Testu – und Montbars sah Albert derart durchbohrend an, daß dieser es wieder mal vorzog, seinen Mund zu halten.

Die Männer traten vor der Hütte zusammen, und Le Testu gab seine vorläufig letzten Anweisungen. „Ferris und Al – ihr werdet euch speziell mit dem Morro de Arica beschäftigen.“

„Klarer Fall“, sagte Ferris. „Morros sind unsere Spezialität.“

„Denkt auch an die sonstigen Hafenbatterien.“

„Uns entgeht so leicht nichts, keine Sorge“, sagte Al.

„Montbars und ich richten unser Augenmerk auf Munitions- und Vorratslager“, sagte Le Testu. „Roger und Grand Couteau, ihr habt festzustellen, wie stark das Stadtgefängnis besetzt ist und wie es bewacht wird.“

„Ja, Monsieur“, sagte Roger Lutz. „Und vielleicht läuft uns bei der Gelegenheit auch unser Freund, der Hurensohn von einem Sargento, über den Weg.“

„Du weißt, wie meine Order lautet“, sagte Le Testu noch einmal. „Jeder Ärger muß vermieden werden. Was das Stadtgefängnis betrifft, ist es wichtig für uns, zu erfahren, ob die Dons wieder Arbeitskräfte für den Transport nach Potosi sammeln.“

„Was sehr wahrscheinlich ist“, sagte Ferris. Von dem Unternehmen zur Sklavenerfassung im Tacna-Tal wußten sie ja, daß Trupps aus Arica losgeschickt worden waren – oder noch unterwegs waren –, um Sklaven einzutreiben. Irgendwo mußten die armen Teufel zusammengepfercht werden, und da tippte Le Testu eben ganz einfach auf das Gefängnis von Arica.

„Spätestens vor Einbruch der Dunkelheit sollten die drei Trupps wieder bei der Hütte sein“, sagte Le Testu. „Dann können wir hier weitere Schritte beraten. Das ist alles. Viel Erfolg, und paßt auf euch auf.“

Sie zogen nacheinander los, als erste Le Testu und Montbars, dann Ferris und Al, dann Roger Lutz und Grand Couteau. Es war inzwischen ungefähr zehn Uhr.

Albert blickte ihnen nach, bis sie im Gebüsch verschwunden waren.

„Na, dann wünsche ich einen schönen Tag“, sagte er zu Donald. „Wollen wir hier über Vampire quatschen oder uns blöd anglotzen – oder hast du einen besseren Vorschlag?“

Donald grinste. „Ich habe Würfel dabei. Wie wär’s mit einer Runde?“

Alberts Augen nahmen einen besonderen Glanz an. „Das hättest du aber auch gleich sagen können. Um was würfeln wir?“

„Meinetwegen um deinen Buckel.“

„Ich hab’ doch gar keinen richtigen – ach, hör auf. Mußt du mich auch noch auf den Arm nehmen?“

„Ich werde es nicht tun“, versprach Donald. „Los, ich stifte einen Silberling als Einsatz. Aber aufgepaßt, unsere Wachsamkeit darf nicht nachlassen.“

„Das tut sie auch nicht“, sagte Albert. Er blickte sich aufmerksam nach allen Seiten um, ehe er nach den Würfeln griff und sie in den hohlen Händen durcheinanderschüttelte. Dann ließ er die Würfel in den Sand fallen. Alle drei zeigten die Eins.

„Wie findest du das?“ fragte Albert.