Seewölfe Paket 22

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4.

Hasard stand zu diesem Zeitpunkt auf dem Achterdeck der „Caribian Queen“, nicht weit von Shane und Batuti entfernt. Dieses Mal sparte er nicht mit lobenden Worten, denn die beiden Teufelskerle stellten wirklich unter Beweis, daß sie ihr Metier verstanden. Keiner konnte mit diesem Bogen besser umgehen als sie, und keiner vermochte so viele Treffer zu erzielen. Alle Pfeile saßen im Ziel – eine erstaunliche Leistung.

Sofort erfaßte Hasard die Situation, als die eine Schaluppe abfiel und die andere in den Wind schoß. Er fuhr herum, mit dem Blick suchte er Siri-Tong. Sie stand am Steuerbordschanzkleid und sah zu ihm.

„Achtung!“ rief er ihr zu. „Die Lage solltest du jetzt nutzen!“

Auch sie hatte begriffen. „Anluven!“ rief sie. „Barba! Ruder legen, wir drehen nach Norden hoch!“

„Aye, Sir!“ stieß Barba grimmig hervor. „Sofort, Madam!“

Dann drehte sich der Bugspriet der „Caribian Queen“ nach Norden, und mit einem raschen, behenden Überstag-Manöver ging sie durch den Wind und segelte hart am Wind über Steuerbordbug an die Schaluppe Nummer zwei heran, auf der immer noch alles drunter und drüber ging.

„Klar zum Gefecht!“ rief Siri-Tong.

Längst waren die Geschütze wieder ausgerannt, und die Männer standen an den Kupferbecken mit den Luntenstöcken in den Händen bereit. Sie entfachten die Enden der Zündschnüre, blickten zu Siri-Tong und warteten ihren Befehl ab.

Der ertönte jetzt, denn der Zweidecker war nahe genug an die Schaluppe herangesegelt.

„Feuer frei!“ schrie Siri-Tong – und schon senkten sich die glimmenden Lunten auf die Bodenstücke der Kanonen.

Zu spät, viel zu spät reagierten die Kerle an Bord des Zweimasters. Sie schrien noch auf, gestikulierten und stürzten an die Waffen, aber der Beschuß war vernichtend.

Als erstes gerieten sie in das Drehbassenfeuer der Backbordseite des Zweideckers. Die Kugeln rasten über die Piraten hinweg, zerhackten das Rigg und rissen das Großsegel mitsamt der Gaffel nach unten. Da war es vorbei mit der Wendigkeit und Schnelligkeit der Schaluppe, sie konnte ihrem Gegner nicht mehr entwischen.

Mit den schweren Stücken der „Caribian Queen“, die jetzt dröhnend ihre Ladungen entließen, war das Schicksal der Schaluppe und ihrer Besatzung endgültig besiegelt. Es krachte und donnerte, knackte und splitterte, und Trümmerteile wirbelten durch die Luft. Ein einziger gellender Schrei ertönte noch.

Pater David blickte zu den Gestalten, die wie Puppen durch die Luft flogen und im Wasser landeten. Er bekreuzigte sich und sagte: „Gott sei ihren armen Seelen gnädig. Herr, vergib ihnen, denn sie wußten nicht, was sie taten.“

Das Grollen des Donners verebbte, Stille trat ein. Zerschossen ging die Schaluppe auf Tiefe. Nur wenige Atemzüge dauerte es, dann war sie verschwunden.

„Nun sinkt sie in Gottes tiefen Keller“, sagte Pater David. „Und dort finden diese Männer endlich ihre Ruhe.“

Mulligan stand neben ihm. „Ob das wohl jemals aufhören wird, Pater? Daß man sich gegenseitig an die Gurgel geht, meine ich.“

„Es liegt in der Natur des Menschen.“ Der Gottesmann war ein nüchterner und klarer Denker, der den Tatsachen ins Auge sah und die Realitäten nahm, wie sie waren.

„Auge um Auge, Zahn um Zahn, so steht es in der Bibel, nicht wahr?“ sagte Mulligan. „Aber man soll auch dem, der einen schlägt, die andere Wange hinhalten. Wie paßt das zusammen? Nein, das geht doch nicht. Das wird nie funktionieren.“ Er blickte zu der Schaluppe des Admirals, die inzwischen nur noch ein Punkt an der östlichen Kimm war. „Lieber wäre mir gewesen, wir hätten die andere Schaluppe erwischt. Auf der befindet sich nämlich dieser Kerl, dieser Hund von einem Admiral. Der verheizt seine Männer, und es ist ihm völlig egal. Aber wie lange sie noch mitmachen, weiß ich nicht.“

„Du glaubst, seine Crew könnte gegen ihn meutern?“ fragte Baxter.

„Ja.“

„Das würde unser kleines Problem ganz von allein lösen“, meinte Pater David.

Inzwischen hatten die Männer der drei Crews aufgeatmet, und auch die Rote Korsarin und Araua zeigten erleichterte Mienen. Die Bedrohung durch die Zweimastschaluppen hatte sich zu einer permanenten Gefahr auszuweiten gedroht, aber jetzt schien sie vorläufig gebannt zu sein. Der Admiral hatte zwei von seinen ursprünglich drei Schiffen verloren – wenn er jetzt noch einmal einen Angriff wagte, mußte er wirklich den Verstand verloren haben.

„Eins steht fest“, sagte der Seewolf lächelnd, als sich Shane und der Gambia-Mann zu ihm umwandten. „Deine Idee hat eine glänzende Feuerprobe bestanden, Shane.“

„Danke. Na ja, so toll war’s nun auch wieder nicht. Vielleicht kann man an der Methode auch noch einiges verbessern“, sagte der graubärtige Riese bescheiden und auch ein bißchen verlegen.

„Jetzt hat auch der Admiral die Hosen voll“, sagte Batuti. „Und wir sind ihn los.“

„Nicht zu früh triumphieren“, warnte Hasard. „Es sind immer noch alle Möglichkeiten offen, vergeßt das nicht, und man darf nie etwas ausschließen.“

„Ja, sollte uns denn eine einzige Schaluppe noch Kopfzerbrechen bereiten?“ rief Juan.

„Möglich wäre es“, erwiderte Siri-Tong. „Aber das lassen wir auf uns zukommen. Im übrigen sollten wir uns die Sache mit dem Bogen für künftige Fälle merken. Es ist wirklich gut, daß dir das eingefallen ist, Shane.“

„Ja, ja“, sagte der und wurde noch etwas verlegener. „Aber es hätte nicht so gut geklappt, wenn Al nicht auf die Sache mit der Bleibeschwerung hingewiesen hätte.“

„Natürlich, ein Lob steht auch unserem Al zu“, sagte Hasard. „Die Pfeile waren vorn ballistisch hervorragend getrimmt, das habe auch ich gesehen.“

„Es war mein Einfall, aber Shane hat das Blei drauf genagelt“, sagte Al.

„Mann, ihr seid alle ganz schön bescheiden“, sagte Dan O’Flynn, der inzwischen längst wieder an Deck war. „Aber wie ist das, wollen wir unseren Sieg nicht gebührend feiern? Hab’ ich vorhin nicht was von einer Extraration Rum gehört? Oder täusche ich mich?“

„Her mit dem Rum!“ rief die Rote Korsarin – und vorn, in der Kombüse, waren Gerumpel und ein paar saftige Flüche zu vernehmen. Schließlich stolperte Cookie ins Freie und sagte: „Verdammt noch mal, Mac hat mir schon wieder auf die Füße getreten.“ Die Flasche Rum und einige Mucks hatte er aber dabei.

„Mit Absicht?“ fragte Jeff Bowie grinsend.

„Nein, mit voller Wucht.“

„Die Kombüse ist zu voll“, sagte Carberry. „Das habe ich vorhin schon festgestellt. Aber auf mich hört ja keiner.“

„Fangt jetzt nicht wieder damit an!“ rief die Rote Korsarin. „Ich will von der Kombüse nichts mehr hören, verstanden?“

„Aye, aye“, brummelten die Männer – und dann wurde der Rum ausgeteilt, und sie stießen lachend miteinander an.

„Eins kommt bei der Geschichte mit dem Langbogen noch hinzu“, sagte Jean Ribault auf dem Achterdeck. „Bei Pfeil und Bogen ist die Schußfolge natürlich erheblich schneller als bei den Feuerwaffen. Das hat sich deutlich ausgewirkt.“

„Ja“, pflichtete Hasard ihm bei. „Bei unseren Kanonen und Musketen haben wir das umständliche Auswischen und Nachladen, das viel zuviel Zeit erfordert. Es gibt zwar Waffen wie den Radschloß-Drehling und den Schnapphahn-Revolverstutzen, aber die sind auch noch nicht der Weisheit letzter Schluß.“

„Am besten sind da noch die Drehbassen“, sagte Al Conroy. „Weil sie hinten geöffnet werden, ist man mit dem Nachladen etwas schneller fertig.“

„Aber auch das Will gelernt sein“, sagte Siri-Tong. „Eine ungeschickte Ladenummer kann da sehr viel verpatzen.“

„Ob das Problem eines Tages wohl noch mal gelöst wird?“ fragte Karl von Hutten, der gerade zu ihnen getreten war.

„Mit Sicherheit“, erwiderte Ribault. „Aber das wird wohl noch ein paar Jahrzehnte dauern.“

„Jahrhunderte“, sagte Hasard. Er hatte seine Muck geleert und warf wieder einen prüfenden Blick zur östlichen Kimm. „Aber darüber sollten wir uns jetzt keine Gedanken machen. Der Admiral ist verschwunden. Wir können unsere Reise fortsetzen.“

„Sollte der Narr wirklich noch mal auftauchen, kriegt er einen Pfeil in den Achtersteven“, sagte Shane. „Sollte er wirklich so dumm sein, kommt er nicht mehr mit heiler Haut davon.“

„Laßt uns in Ruhe abwarten, was weiter geschieht“, sagte die Rote Korsarin.

Jean Ribault mußte unwillkürlich grinsen. „Ich sage, daß er doch ein hartnäckiger Verehrer ist, dieser Admiral. Er ist vernarrt in dich.“

„Ich bin entzückt!“

„Ich meine, er steigt vielleicht doch noch an Bord und versucht, dich zu verführen“, fuhr Ribault unbeirrt fort. „Was tust du dann?“

„Ja, was tue ich dann wohl?“

„Nimm mal an, er bedroht dich mit einer Pistole oder so.“

„Das heizt mal wieder deine schmutzige Phantasie an, was?“ stieß sie aufgebracht hervor. „Aber das sieht dir ähnlich. Hör bloß auf, mich damit anzuöden. Ich finde das kaum noch lustig.“

„Aber, Madam!“ rief Barba mit seiner dröhnenden Baßstimme. „Wir würden dich doch verteidigen – alle Mann!“

„Zur Hölle mit dem Admiral“, sagte Siri-Tong und übersah Hasards Lächeln. „An die Arbeit jetzt! Alle Mann auf ihre Posten! Wir gehen wieder auf Kurs Südsüdwest!“

Kurze Zeit darauf lag die „Caribian Queen“ wieder auf ihrem alten Kurs und pflügte bei anhaltendem Wind aus Nordosten die See. Die Männer verrichteten ihren normalen Decksdienst und stellten dabei die unterschiedlichsten Überlegungen an.

Hatte Campos die Nase voll? Oder hatte er die Lektion immer noch nicht begriffen? Nun, sie wußten nicht, wie der Kerl sich verhalten würde, aber die nächsten Stunden würden zeigen, wie weit sein Starrsinn und seine Verbohrtheit gingen.

 

Mit finsterer Miene hockte Luis Campos auf der achteren Segellast seiner Schaluppe. Dieser schlanke und geschmeidige Mann trug ein schwarzes Spitzbärtchen, kleidete sich wie ein Pfau und benahm sich dabei auch sehr gespreizt. Was Frauen betraf, hielt er sich für unwiderstehlich. Er stammte aus Portugal und hatte in der Karibik eine Horde von nahezu vier Dutzend Schnapphähnen aus aller Herren Länder um sich versammelt. Sie waren Abenteurer und Deserteure, entlaufene Sklaven oder ganz einfach auch Faulpelze und Glücksritter, die sich einbildeten, auch ohne Arbeit schnell reich zu werden.

Campos war ein größenwahnsinniger, aber nichtsdestoweniger gefährlicher Mann, verschlagen und ohne Skrupel, dabei aber auch ziemlich intelligent. Er ließ sich mit „Admiral“ anreden, und die Kerle kuschten vor ihm, weil er sehr schnell mit dem Messer bei der Hand war. Er verstand sich aufs Kämpfen und auch auf die Seemannschaft, denn bevor er sich der Piraterie verschrieben hatte, war er auf verschiedenen Handelsfahrern Erster Offizier gewesen.

Doch der Traum vom schnellen Geld, von einem großen Schiff und einer schönen, wilden und rassigen Frau schien vorerst ausgeträumt zu sein. Für jene, die ihr Leben gelassen hatten, war alles vorbei. Sie würden nie wieder in Kneipen mit Huren zusammenhocken, kühne Pläne schmieden und große Töne spucken. Sie waren tot, und an ihnen hatten nur noch die Haie ihre Freude.

Der Admiral trauerte nicht um sie. Kerle wie sie waren bei ihm Mittel zum Zweck. Er benutzte sie, um selbst sein Ziel zu erreichen. Wenn er reich genug war, würde er sie alle ausbooten. Sie waren allesamt primitive, geistlose Kerle, wertlose Kreaturen in seinen Augen, die nichts taugten. Was bedeutete es schon, wenn sie krepierten?

Das Problem indes war die Tatsache, daß er jetzt nur noch eine Schaluppe und eine Crew von zwanzig Kerlen hatte. Seine kleine Flotte existierte nicht mehr, obwohl sie doch so wendig und wehrhaft gewesen war. Eben: Der Gegner war hart und mächtig und ließ sich nicht überrumpeln.

Unter diesem Aspekt schien es vernünftiger zu sein, schleunigst nach Tortuga zurückzukehren und sich zu verkriechen. Die Schmach war groß genug, und es würde einige Zeit dauern, bis die Bande die Niederlage überwunden hatte und für neue Taten zu haben war.

Aber es gab dabei noch eine Gefahr – daß nämlich die letzten Getreuen, die ihm geblieben waren, „fahnenflüchtig“ wurden und ihn im Stich ließen. Dann saß er ganz allein da und würde einige Schwierigkeiten haben, neue Leute für seine Unternehmungen zu finden. Und neue Schaluppen? Wie sollte er die bekommen? Kaufen konnte er sie nicht, es fehlten ihm dazu die Mittel. Aufbringen konnte er sie nur, wenn er eine ausreichend starke Mannschaft zusammen hatte.

Wie er es auch drehte und wendete, die Rückkehr nach Tortuga war eine Niederlage, und zwar auf der ganzen Linie. Sollte er sich in eine andere Richtung wenden, vielleicht nach Kuba segeln oder nach Florida? Auch das brachte nichts Konkretes, höchstens noch mehr Unsicherheiten und Ungewißheiten.

Campos gab sich einen innerlichen Ruck. Warum umkehren? Es wäre der größte Fehler gewesen, den er hätte begehen können. Für ihn gab es nur eine Chance: Er mußte das Eisen schmieden, solange es noch heiß war. Nein, er steckte nicht auf. Sein Stolz war verletzt, er wollte Revanche. Er mußte seinen letzten Kerlen beweisen, wie verwegen und kühn er war. Der nächste Vorstoß mußte zu einem vollen Erfolg für sie werden.

Dafür, so nahm er sich jetzt schon vor, würde er sorgen. Er war nicht der Mann, der sich durch zwei Schlappen entmutigen ließ. Er hielt verbissen und hartnäckig an seinem Vorhaben fest. Und wie würde er das Weib mit den schwarzen Haaren behandeln, wenn er sie erst vor sich hatte? Auf die Planken würde er sie zwingen, und sie mußte sich ihm, ihrem neuen Herrn und Gebieter, öffentlich unterwerfen, sonst ließ er sie vor aller Augen nackt auspeitschen. Und die anderen? Wer sich zur Wehr setzte, würde erschossen oder kielgeholt werden. Alle anderen würde er in Ketten legen lassen.

So war das: Er, Luis Campos, der Admiral, brauchte nur das Achterdeck dieses Höllenschiffes mit den zwei Batteriedecks zu entern und das Weib als Geisel zu nehmen. Dann hatte er sie alle in der Hand – alle.

Aber vorher mußte er an Bord seiner Schaluppe für reinen Tisch sorgen. Die Kerle hatten den Schwelbrand im Laderaum gelöscht, ein paar kleine Schäden behoben und sich davon überzeugt, daß der Zweimaster noch intakt war. Jetzt lungerten sie mit mürrischen Mienen auf dem Deck herum.

El Gordo spuckte ausdauernd ins Wasser, die anderen, murrten und fluchten. Ein krausköpfiger Kreole warf ständig giftige Blicke zu Campos hinüber, ein anderer spielte auf höchst verdächtige, bedenkliche Weise mit dem Heft seines Messers.

Glaubt bloß nicht, daß ihr meutern könnt, dachte der Admiral. Da habt ihr euch verrechnet, und zwar gründlich.

Er hatte den Zustand der Niedergeschlagenheit überwunden und fühlte frische Energien in sich zurückkehren. Er erhob sich und suchte mit dem Blick nach dem Ausguckposten im Bug. Der Kerl – ein Ire aus Cork – versuchte, wegzusehen. Am liebsten wäre er wohl außenbords gesprungen, wenn nicht die Haie gewesen wären.

Wenn die Hunde frech werden, statuiere ich ein Exempel, dachte der Admiral.

Laut sagte er: „Du – Ire! Komm her! Ich hab’ mit dir zu reden!“

Der Ire wandte sich zu ihm um und hob sein Kinn etwas an. Er fühlte sich in die Enge getrieben, aber jetzt brach auch der Stolz in ihm durch – und die ganze Sturheit seiner Rasse.

„Mit mir?“ fragte er. „Warum?“

„Das weißt du sehr genau.“

„Erklär’s mir mal.“

„Du hast auf deinem Posten gepennt“, sagte der Admiral kalt und schritt über das Deck auf ihn zu. „Und jetzt reißt du auch noch das Maul auf? Du bist wohl nicht mehr ganz richtig im Kopf, was?“ Sein Zorn war wieder da, steigerte sich und suchte nach einer Gelegenheit zum Ausbruch. Campos wußte – er mußte sich irgendwie abreagieren.

„Ich? Gepennt?“ Der Ire schüttelte wild den Kopf. „Das kannst du mir nicht anhängen! Ich hatte die Augen offen!“

Campos war bei ihm und versetzte ihm einen Stoß vor die Brust. Der Ire prallte mit dem Rücken gegen das Schanzkleid und verzog das Gesicht zu einer Grimasse des Schmerzes und des Hasses.

„Das laß ich mir von dir nicht gefallen!“ brüllte er. „Wir wären fast alle verreckt – aber das ist nicht meine Schuld gewesen!“

5.

Rasend vor Wut stürzte sich der Admiral wieder auf den Iren und trieb ihn mit zwei wuchtigen Hieben bis zum Bug. Er hatte seine Beherrschung verloren und sah rot.

„Du hast mit offenen Augen geschlafen, du Hund!“ schrie er ihn an. „Du hättest sonst merken müssen, daß der verfluchte Zweidecker seine Fahrt verlangsamt hatte und wir ihm aufsegelten!“

„Nein!“

„Und du hättest auch den ersten Pfeilschuß sehen und melden müssen!“

„Ist nicht wahr!“ schrie der Ire. „Das ging alles viel zu schnell!“

„Ich bring dich um!“ brüllte Campos und schlug noch einmal mit der Faust zu.

Der Ire kippte um und wollte sich wieder aufrappeln, schaffte es aber nicht. Plötzlich war sein Widerstand dahin – und er hatte Angst vor Campos, der sein Messer zückte. Warum hatte er sich überhaupt mit ihm angelegt? Hätte er nicht kuschen sollen, wie er es sonst tat? Welcher Teufel ritt ihn?

„Jetzt paß mal auf“, sagte der Admiral eiskalt. „Ich stopf dir ein für allemal dein loses Maul, und dann ist es aus mit der Meckerei und dem Fluchen, du Drecksack.“

„Moment!“ sagte El Gordo hinter seinem Rücken. „Ganz so ein blöder Hund ist der Ire nun auch wieder nicht. Das mit den Pfeilen ging nicht mit rechten Dingen zu. Die Chinesenhure hat einen Hexenmeister an Bord. Wie sonst könnte ein Pfeil derart weit fliegen und auch noch explodieren? Brandpfeile explodieren nicht.“

„Das stimmt“, sagte der Kreole. „Die brennen nur.“

„Vielleicht waren die Schäfte der Pfeile mit Pulver gefüllt“, sagte einer, den sie nur Cimarron nannten. „Das heißt, sie mußten vorher ausgehöhlt werden. Ja, so könnte es gewesen sein.“

Aber auf ihn hörte niemand. Die Kerle waren mehr oder weniger davon überzeugt, daß „was Übersinnliches“ und ein „Teufelsspuk“ mit im Spiel gewesen wären.

Auch Campos war die Reichweite des Bogenschusses nicht geheuer, denn die hätte er nie und nimmer für möglich gehalten. Dennoch stand für ihn fest, daß der Ire geschlafen hatte. Er trat mit dem Fuß nach ihm und schwang das Messer drohend in der Luft.

„Nein!“ schrie der Ire.

„Laß ihn in Ruhe, Admiral“, sagte El Gordo. „Alles hat er verdient, nur das nicht.“

Campos fuhr zu ihm herum. „Halt du dich raus, verstanden?“

„Warum sollte ich?“ fragte El Gordo.

Der Kreole fragte: „Wieso kann unsereins hier nicht mal seine Meinung sagen?“

„Der ganze Dreck wäre auch passiert, wenn der Ire aufmerksamer gewesen wäre“, sagte einer der Kerle.

Der Ire witterte eine Chance. Er richtete sich jetzt doch wieder auf, hielt sich am Vormast fest und atmete ein paarmal tief durch. Nein, er gab sich noch nicht geschlagen! Diesem aufgeblasenen Hurensohn Campos mußte einmal gründlich der Marsch geblasen werden.

„Warum muß es denn immer an uns liegen?“ stieß er hervor. „He? Sollen wir immer die Schuld haben? Nur wir? Du nicht?“

Campos drehte sich langsam wieder zu ihm um. „Sprichst du mit mir?“

„Ja.“

„Weißt du, was du bist? Ein renitentes Schwein. Was du hier anzettelst, ist Meuterei“, sagte Campos. „Dafür hänge ich dich auf.“

„Kritik kannst du wohl nicht vertragen“, sagte El Gordo.

„Willst du neben ihm baumeln?“ fragte Campos, ohne den Kopf zu wenden und den Blick von dem Iren zu nehmen.

El Gordo lachte glucksend. „Das dürfte schwierig werden. Ich bin zu schwer. Ich fall’ überall runter, von Rahen, Gaffeln und Baumästen.“

Die anderen lachten ebenfalls. Der Ire, durch die unerwartete Rückendeckung seiner Kumpane wieder mutig geworden, schrie Campos entgegen: „Die Chinesenhure und ihre Bande sind zu stark! Die sind ein paar Nummern zu groß für uns! Das sind ganz ausgekochte Kämpfer, denen man besser aus dem Wege geht!“

„Hast du die Hosen voll?“ brüllte Campos. „Wie voll? Bis zum Gürtel? Ja, das merke ich. Du stinkst! Vor Angst!“

„Dann stinken wir alle“, sagte El Gordo. „Denn keiner von uns hat vor, sich noch mal mit dem Weib anzulegen.“

„Lieber hauen wir ab“, sagte der Kreole.

„Bevor wir alle krepieren“, fügte Cimarron hinzu.

Luis Campos ruckte bei diesen Worten zusammen. Was er bereits geahnt hatte, trat jetzt ein. Sie waren sich einig und lehnten sich gegen ihn auf. Das war tatsächlich Meuterei, die er im Keim ersticken mußte. Er mußte um jeden Preis seine Autorität wahren, sonst war er verloren. Sie würden ihn über Bord werfen und selbst das Kommando übernehmen.

Campos wich einen Schritt zurück, drehte halb den Kopf und richtete den Zeigefinger seiner freien Hand auf El Gordo.

„Vorsicht“, warnte er ihn. „Du spielst mit deinem Leben. Ihr anderen auch. Seid ihr denn alle des Teufels, euch so aufzuführen?“

„Nein“, erwiderte El Gordo. „Wir haben bloß die Schnauze voll, nicht nur die Hosen.“

„Sieh mal an“, sagte der Admiral höhnisch. „Aber zu Anfang, als alles noch so leicht aussah, wart ihr mit Feuer und Flamme dabei.“

„Ja, stimmt“, sagte der Kreole. „Aber jetzt nicht mehr.“

„Und doch werden wir wieder angreifen“, sagte Campos. „So schnell gebe ich eine Beute nicht auf.“

„Ohne uns!“ schrie der Ire.

„Zur Hölle mit der Chinesenhure“, sagte El Gordo.

Den Kerlen waren inzwischen auch klar geworden, daß ihr Admiral nicht nur auf den Zweidecker, sondern insbesondere auf das teuflische Weib mit den schwarzen Haaren scharf war. Zwar würde er das Weib dann auch ihnen – dessen waren sie ziemlich sicher – zum Zeitvertreib überlassen, wenn er erst einmal mit ihr fertig war und es tüchtig mit ihr getrieben hatte. Doch bei der Alternative Zeitvertreib oder sehr schneller Tod zogen sie es doch vor, einem recht langen Leben den Vorrang zu geben.

„Der Preis ist zu hoch“, sagte Cimarron. „Wir können auf das Weib verzichten.“

„Ich nicht“, sagte Campos. Er wunderte sich selbst darüber, wie ruhig er in diesem Moment war. „Ich will sie haben. Sie gehört mir.“

„Das ist doch Quatsch“, sagte El Gordo.

 

„Ich höre jedes Wort, das du sagst“, erwiderte der Admiral. „Und ich merke mir alles, verlaß dich drauf.“

„Ohne uns!“ schrie der Ire noch einmal. „Wir segeln nach Tortuga zurück!“

„Kein Zeitvertreib mit einem noch so rassigen Weib ist es wert, dafür Kopf und Kragen zu riskieren“, sagte der Kreole. „Das ist hier die allgemeine Ansicht, Admiral, will dir das nicht in den Kopf?“

„Gib es auf!“ brüllte der Ire. „Wir sind in der Mehrheit!“

In diesem Augenblick reagierte Campos. Er duckte sich nur etwas, seine rechte Hand bewegte sich blitzschnell, und das Messer flirrte durch die Luft. Der Ire hatte es erwartet, glaubte aber, darauf vorbereitet zu sein. Er versuchte, noch rechtzeitig genug auszuweichen. Aber die Klinge war schneller. Sie traf ihn in die Brust, und er sank mit einem ungläubigen Ausdruck im Gesicht auf den Planken in sich zusammen.

„Zieht ihm das Messer raus“, sagte der Kreole. „Schnell!“

Campos griff nach seinem Säbel, riß ihn heraus und fuhr zu der Crew herum.

„Zu spät!“ schrie er. „Der ist bereits in der Hölle!“

Erst jetzt sahen die Kerle, daß der Ire tot war. Seine gebrochenen Augen waren blicklos in den Himmel gerichtet.

Der Admiral ließ den Säbel durch die Luft pfeifen.

„Nun los doch!“ sagte er. „Gordo als erster. Du hast doch so ein großes Maul, nicht wahr?“

El Gordo schluckte, sein Blick war wie hypnotisiert auf den toten Iren gerichtet. Daß Luis Campos soweit gehen würde – damit hatte er nicht gerechnet.

„Ich habe dir was befohlen!“ sagte Campos scharf.

El Gordo bewegte abwehrend die Hände. „Schon gut, Admiral. Das eben – war nicht so gemeint.“

„Nicht? Sondern wie?“

„Wir sind nur ein bißchen erschrocken“, sagte der dicke Mann.

„Ach? Und ihr wollt nach Tortuga zurücksegeln?“

„Warum geben wir’s ihm nicht?“ stieß der Kreole hervor. „Gemeinsam sind wir eine Macht, er kann nichts gegen uns ausrichten.“

Der Admiral stand unvermittelt neben El Gordo, und die Säbelklinge zischte durch die Luft. Der Kreole hatte plötzlich einen blutigen Strich auf der nackten Brust.

„Willst du es mit mir aufnehmen?“ fragte Campos. „Dann los! Wir können anfangen!“

Der Kreole wich zurück. „Ich – ich habe das nur spaßig gemeint.“

„Eine merkwürdige Art von Humor hast du“, höhnte der Admiral. Er wußte bereits, daß er wieder Herr der Situation war. „Du nimmst also alles zurück und behauptest das Gegenteil. Wolltest du das sagen?“

„J-ja.“

„Und du, Gordo?“

„Ich auch“, erwiderte El Gordo hastig.

Cimarron und die anderen riefen: „Wir ebenfalls!“

„Um so besser“, sagte der Admiral im Tonfall größter Genugtuung. „Dann sind wir uns ja wieder mal einig. Ich hatte keinen Zweifel, daß es so sein würde. Los jetzt, auf eure Posten! Wir haben schon genug Zeit verloren. Wir gehen wieder auf Gegenkurs!“

El Gordo beugte sich über den toten Iren. „Und er? Was wird aus ihm?“

„Was soll aus einem Toten schon werden?“ sagte Campos hämisch. „Ein toter Ausguck ist ein schlechter Ausguck, nicht wahr? Und er taugt auch sonst nichts mehr. Werft ihn ins Wasser. Ich will ihn nicht mehr sehen! Wird’s bald?“

„Das Messer“, sagte der Kreole.

Campos war mit zwei Schritten wieder bei El Gordo, bückte sich und riß dem Toten das Messer aus der Brust. „So, jetzt habe ich es wieder. Nimm ihm noch die Waffen ab, von mir aus auch die Stiefel. Dann weg mit ihm.“

Kurz darauf flog der Ire ins Wasser und sackte weg. Man ging auf Gegenkurs – wenn auch mit zusammengebissenen Zähnen und verstecktem Trotz. Sie saßen in der Falle und waren ihrem Admiral ausgeliefert – auf Gedeih und Verderb. Sie hatten immer noch Angst vor ihm und seinem Messer und Säbel, wie sich gezeigt hatte, und aus diesem Grund hatte er ihrer aller Leben in der Hand.

„Da vorn ist was!“ rief plötzlich der Kreole, der auf Campos’ Befehl hin jetzt den Posten des Ausgucks im Bug übernommen hatte. „Da schwimmt was!“

„Leute von uns“, sagte El Gordo. „Aber sie schwimmen nicht, sie hocken auf einer Luke oder Gräting, scheint mir.“

Der Admiral nahm sein Spektiv zu Hilfe und erkannte durch die Optik, daß es sich tatsächlich um vier Gestalten handelte, die auf einer Gräting kauerten.

Diese vier waren reichlich demoralisiert – nicht nur wegen des Verlustes ihrer Schaluppe, an deren Untergangsstelle sie noch trieben und sich mit Mühe und Not hatten retten können, sondern auch wegen der Haie, die sich an ihren Kumpanen bedient und auch bereits die Gräting attackiert hatten.

Als sie die heransegelnde Schaluppe bemerkten, hoben sie die Hände und winkten. Ihre Stimmen klangen heiser und brüchig.

„Hilfe!“

„Hierher! Holt uns hier weg!“

„Wir drehen bei und bergen sie von der Gräting ab“, sagte der Admiral. „Wir können sie als Verstärkung noch gebrauchen.“

So näherte sich der Zweimaster der Gräting, und wenig später streckten sich den vier Schiffbrüchigen hilfreiche Hände entgegen.

„Los, rüber mit euch!“ rief Campos. „Beeilung! Wir haben unsere Zeit nicht gestohlen!“

„Tores“, sagte El Gordo zu einem der Kerle, die an Bord der Schaluppe überenterten. „Du bist das?“

„Ja“, erwiderte Tores, ein wuchtig gebauter Spanier, mit grimmiger Miene. „In Fleisch und Blut. Aber bald wär’s aus gewesen, wenn ihr nicht erschienen wärt.“

„Gibt es noch andere Überlebende?“ fragte Campos.

„Nein“, sagte Tores. „Die meisten waren gleich tot, als sie uns mit den Drehbassen und Kanonen befeuerten. Von den anderen sind drei von den Haien verschlungen worden.“ Er schüttelte sich. „Und uns hat das auch geblüht.“

Daß sie aber vom Regen in die Traufe geraten waren, begriffen sie erst kurz darauf – als sie vernahmen, daß der Admiral die Absicht hätte, dem Zweidecker auch weiterhin zu folgen. Einer von ihnen, ein dürrer Kerl namens Alain, drehte beinah durch, als er es erfuhr.

„Wahnsinn!“ schrie er. „Gegen die Kerle dieser schwarzen Hexe besteht nicht die geringste Chance! Zwei Schaluppen haben wir bereits verloren!“

„Der Gegner ist in der Überzahl!“ rief Tores.

„Ein Enterversuch ist reiner Selbstmord!“ schrie Alain.

Der Admiral musterte ihn kalt. Dieses Mal hielt er sich zurück. Er konnte nicht noch ein Exempel statuieren, außerdem war die Gefahr einer Meuterei noch nicht wieder vorhanden. Im übrigen brauchte er jetzt jeden Kerl, wenn er wirklich Erfolg mit seinem neuerlichen Angriff auf den Zweidecker haben wollte.

Deshalb deutete er nur auf die Gräting, die achteraus hinter ihnen zurückblieb, aber noch zu sehen war.

„Meinetwegen“, sagte er. „Ihr könnt gern wieder dorthin zurück, von wo wir auch abgeborgen haben. Wenn ihr nicht an Bord bleiben wollt, halte ich euch nicht.“

Alain schüttelte sich vor Grauen. „Auf die Gräting zurück? Nein, niemals.“

Tores blickte Campos aus geweiteten Augen an. „Das kannst du nicht von uns verlangen. Das wäre glatter Mord, Admiral.“

„Ich verlange es nicht von euch“, sagte Campos. „Ich biete es euch nur an. Und wage nicht noch einmal, von Mord zu sprechen. Ich habe noch keinen Kameraden umgebracht oder in den Tod getrieben, merk dir das. Alles, was ihr mit mir unternehmt, geschieht freiwillig, klar?“

„Klar“, murmelten Tores und Alain. Ihr dritter Kumpan aus der Schaluppe Nummer zwei stieß in diesem Moment einen entsetzten Laut aus und wies mit bebendem Arm auf die Gräting.

„Da!“ schrie er. „Ein Hai!“

Die Kieker wurden auseinandergerissen und herumgereicht, jeder warf einen Blick hindurch. El Gordo stand mitten auf dem Deck, und seine starken Finger schlossen sich um das Rohr, als wolle er es zerquetschen.

„Ein Hai“, sagte er. „Ein grauer, verfluchter Hai. Und was für ein Riesenbiest.“ Plötzlich stockte ihm der Atem, denn er verfolgte deutlich, wie sich das Maul des Hais, mit nadelspitzen, messerscharfen Zähnen bewehrt, aus dem Wasser schob und aufklaffte.

„Hölle“, sagte der Kreole. „Das gibt es nicht. Er verbeißt sich in die Gräting.“

„Santa Maria“, stammelte Alain. „Steh uns bei.“

„Keine Sorge“, sagte der Admiral mit spöttisch verzogenem Mund. „Hier greift er uns nicht an. Aber jetzt auf der Gräting zu sitzen, wäre verdammt schlecht.“