Seewölfe Paket 11

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2.

Bantam – zu dieser Zeit bedeutendster Handelsplatz Javas und der Sundainseln, an der Nordwestecke der Insel der Feuerberge im Schutz der weiträumigen Bantambai gelegen – bot sich den Seewölfen als eine Stadt mit dunkelroten Ziegelmauern, weißen Minaretts und goldgelben Reisstrohdächern dar.

Eine Unzahl von Schiffen ankerte auf der Reede oder lag an den Bollwerken im Hafen vertäut. Da waren jene eigenartigen Doppelrumpffahrzeuge mit den wie Krebsscheren aussehenden Segeln neben arabischen Daus, chinesischen Dschunken und indonesischen Praus. Dazwischen wimmelten Sampans, Einbäume und Flöße. Und da fehlten vor allem nicht die Galeonen, Galeeren und Karakken aus Spanien, Portugal, den Niederlanden, ja sogar Frankreich und Dänemark.

Kaufleute aller seefahrenden Nationen schienen sich hier ein lukratives Stelldichein zu geben: Chinesen, Inder, Japaner, Portugiesen, Spanier, Niederländer, Araber, Franzosen, Türken, Griechen …

Denn es ging ja um handfeste Handelsinteressen. Hier, dicht an der Sundastraße zwischen Sumatra und Java, bildete Bantam eine Art Angelpunkt oder Drehscheibe zwischen Ost und West.

Hier war der Umschlagplatz für Gewürze, Edelhölzer, Seidenballen, Silberbarren, Porzellan, Elfenbein und was der Dinge mehr waren. Aber den Vorrang hatte der Gewürzhandel. Und wer das Gewürzmonopol an sich riß, hatte ausgesorgt.

Die Portugiesen waren die ersten gewesen, die regelmäßige Handelsfahrten hierher unternommen und mit den Sultanaten der Inselreiche Verträge abgeschlossen hatten, die es ihnen ermöglichten, den Gewürzhandel an sich zu reißen.

Mit Pfeffer, Muskat und Nelken erzielten sie in Europa Riesengewinne und konnten sich die Taschen stopfen.

Aber schon standen die Zeichen auf Sturm, denn was der eine hat, möchte auch der andere gern haben, was man allgemein mit dem Begriff des Neides oder Futterneides gleichsetzt. Den Briten war das noch nicht so aufgegangen, wohl aber den Niederländern, und die hatten recht derbe Ellenbogen, was ihren Eifer betraf, Handelsintrigen zu spinnen und den Portugiesen den bisher so sprudelnden Gewürzhahn abzudrehen. Was die Orang blanda, wie die Insulaner die Europäer nannten, für Schlitzohren waren, sprach sich sehr schnell herum.

Das waren die asiatischen Händler zwar auch, aber sie hatten nicht die lärmende Rücksichtslosigkeit der Orang blanda und erklärten auch nicht, die Heiden bekehren zu müssen.

Vorsichtig steuerte Pete Ballie die „Isabella“ mit dem Notruder über die Reede. Es ging auf den Abend zu. Im Windschatten von Kap Pontang verlor die „Isabella“ an Fahrt und glitt auslaufend und mit aufgegeiten Segeln auf eine freie Stelle der Pier zu.

Dort wurde sie vertäut.

An einem Bohlensteg quer hinter ihr lag eine niederländische Galeone. Auf der Reede hatte Hasard noch vier weitere niederländische Handelsfahrer registriert – bemerkenswert gut bestückt. Wie zum gerechten Ausgleich lagen fünf portugiesische Galeonen an den Bollwerken der weiteren Pier – je zwei im Päckchen nebeneinander und eine allein hinter den beiden Päckchen.

Über die Pier wehte ein Geruch von Moder, faulender Kopra und vergammeltem Fisch, vermischt mit den Düften irgendwelcher tropischer Gewürze. Neben dem Niederländer hinter der „Isabella“ stapelten sich auf der Pier Fässer und Ballen.

Das alles hatte Hasard mit einem Blick überflogen und auch festgestellt, daß sich hafeneinwärts in Höhe der fünf portugiesischen Galeonen eine Faktorei befand – vermutlich die der Portugiesen. Dahinter, westwärts, war eine Helling.

Aufatmend bemerkte Hasard, daß dort kein Schiff aufgeslipt war. Wenn sie zu den Portugiesen gehörte, würde er wohl oder übel in der Faktorei anklopfen und sein Sprüchlein beten müssen. Oder hatten die Niederländer die Helling gebaut?

In seine Gedanken hinein räusperte sich Ben Brighton. Hasard wandte sich zu ihm um, während er gleichzeitig den Kutscher im Auge behielt, der bereits auf der Pier stand und gestikulierend mit zwei Chinesen feilschte, die ihm offensichtlich Fisch, Geflügel, Fleisch und Früchte zum Verkauf anboten. Sie hatten einen großen Karren dabei, auf dem ihr Angebot, in Kästen sortiert, ausgebreitet war.

„Ja, Ben?“ fragte er.

„Landgang, Sir?“ Ben Brightons graue Augen funkelten unternehmungslustig. „Ich hab den Männern bereits gesagt, daß wir Iren seien, aus Dublin. Und Carberry meinte, als echter Ire müsse er mal ausprobieren, ob der Reiswein besser als der irische Schnaps sei.“

„So, meinte er!“ Hasards Blick flog zur Kuhl, wo die Männer standen und erwartungsvoll zu ihm hochgrinsten. Nur Carberry nicht. Der tat, als betrachte er voller Entzücken die Rauchfahnen, die weit im Süden aus den Bergkegeln aufstiegen und träge westwärts zogen, der untergehenden Sonne entgegen.

Insel der Feuerberge, dachte Hasard. Vulkane, die sie von See her bereits gesehen hatten. Einige hatten nachts geleuchtet – wie Leuchtfeuer entlang der Südküste der Insel, faszinierend, auch etwas unheimlich. Tagsüber milderte sich dieser Eindruck. Da wirkten diese vulkanischen Bergkegel wie riesige Herde, auf denen Mahlzeiten für Giganten gekocht wurden.

„Hm“, äußerte sich Hasard. „Landgang, hm.“ Er trat an die Querbalustrade zur Kuhl und sagte sanft: „Ed?“

„Sir?“ Carberry drehte sich zu ihm um. Die rechte Seite seines wilden, zernarbten Gesichts wurde von der untergehenden Sonne rotgolden beleuchtet.

„Mit dem Reiswein, das geht klar“, sagte Hasard, weiterhin sanft. „Nur melde ich Bedenken an, was die Rauflust an Land gehender irischer Seeleute betrifft. Was meinst du dazu?“

Carberrys Blick wurde treuherzig.

„Wir sind nur fromme Pilger, Sir“, sagte er, „durstig von langer Fahrt, aber abhold jeder Gewalttat. In aller Demut werden wir uns beugen, wenn uns jemand auf die Zehen tritt, und um Vergebung bitten, daß unser nichtsnutziger Fuß jemandem im Wege stand. Ich werde auch meine Wange hinhalten und sagen: Bruder im Herrn, hau mir was aufs Maul, weil ich voller Sünde bin …“

Hasard wurde mißtrauisch und unterbrach den Profos. „Hast du schon was getrunken, Ed?“

„Nur die Muck Rum von der Abendration, Sir“, sagte Carberry und wedelte mit seiner rechten Pranke. „Und weil da zwei Kakerlaken drin ’rumschwammen, gestorben im Suff, händigte mir der Kutscher noch eine Muck aus, ohne Kakerlaken, weil mir nämlich so schlecht war von den Kakerlaken.“

„Hattest du sie denn verschluckt?“

„Das nicht, Sir, aber man weiß ja nie, ob Kakerlaken, wenn sie Rum getrunken haben, was von sich ausscheiden, vielleicht Durchfall oder so. Der Kutscher, der sonst alles weiß, konnte mir das auch nicht sagen. Und so bestand durchaus die Möglichkeit, daß der Rum verunreinigt war, Sir.“

„Sicher“, sagte Hasard tiefernst, trotz der grinsenden Männer, die dem Dialog lauschten. „Es ist ja auch so viel, was diese großen Tierchen ausscheiden. Hoffentlich hält dein Magen das aus, Mister Carberry. Oder soll ich mal mit dem Kutscher sprechen, ob es besser sei, dir Bettruhe zu verordnen? Kakerlakendurchfall im Magen eines Menschen soll nervöse Zuckungen, Sichttrübungen und Sprachschwierigkeiten auslösen. Hat dir der Kutscher das nicht gesagt?“

Carberry hatte etwas den Kopf eingezogen. Langsam drehte er ihn nach rechts zur Pier, wo der Kutscher immer noch mit den beiden Chinesen verhandelte.

„Das hat er mir nicht gesagt, der verlauste Mehlwurm“, knurrte er. Dann zuckte er zusammen, aber nicht, weil ihm Hasard nervöse Zukkungen angekündigt hatte, sondern weil ein behaarter Arm hinter dem Karren der beiden Chinesen auftauchte, in einen der Kästen langte und eine Kokosnuß entwendete.

Die beiden Chinesen konnten das nicht sehen, weil sie dem behaarten Arm den Rücken zuwandten. Aber der Kutscher bemerkte den behaarten Arm und kriegte seinerseits ebenfalls nervöse Zuckungen, die sich verstärkten, weil noch weitere drei Kokosnüsse verschwanden.

„Oh, verdammt“, murmelte Carberry, und die Kakerlaken waren vergessen.

Denn wem der behaarte Arm gehörte, war jedem der Seewölfe klar.

Arwenack, der Bordschimpanse, war auf der Pirsch, und wenn er erwischt wurde, konnten die Seewölfe nur so tun, als gehöre Arwenack nicht zur „Isabella“.

Zu allem Unglück segelte nun auch noch Sir John, der Arakanga-Papagei, im eleganten Gleitflug vom Großmasttopp zur Pier und landete auf dem Wagen, plusterte sich auf und bedachte die beiden Chinesen mit den ordinärsten Flüchen aus Carberrys Sprachschatz.

Und da zuckten jetzt die Chinesen zusammen. Sie verstanden zwar Sir Johns Sprache nicht, der ihnen empfahl, den Anker aufzuhieven, die Segel zu brassen und die Affenärsche zu kalfatern, was noch ziemlich harmlos war, aber sie begriffen, daß der schimpfende Papagei ihr Geschäft mit dem weißen Mann störte. Sir John war nahe daran, daß ihm von dem einen Chinesen der Hals umgedreht wurde. Schließlich konnte der nicht wissen, daß der Arakanga zur „Isabella“ gehörte.

Im letzten Moment entwischte Sir John den zupackenden Händen. Arwenack, bestückt mit vier Kokosnüssen, hatte das Durcheinander benutzt, um ebenfalls das Weite zu suchen – unbemerkt von den beiden Chinesen.

Aber ihnen fiel auf, daß plötzlich vier Kokosnüsse fehlten. Das ging nicht mit rechten Dingen zu. Eben noch war das Fach mit den Kokosnüssen voll gewesen, jetzt klaffte dort eine Lücke. Erregt begannen sie zu schnattern.

Hatte vielleicht der weiße Teufel die Kokosnüsse weggezaubert? Mißtrauische, dunkle Augen tasteten den Kutscher von oben bis unten ab. Aber bei dem beulte sich nichts, viel zu hager war seine Figur, seine Hände waren ebenfalls leer, genauso wie die beiden Segeltuchbeutel, die ihm als Marktkörbe dienen sollten.

 

Aber verlegen war er, weil er wußte, wer der Übeltäter war. Der klaute ja auch bei ihm alles Freßbare aus der Kombüse, aber dagegen konnte er in den meisten Fällen etwas mit dem Kochlöffel tun, indem er Arwenack was auf den Affenarsch klatschte, falls der nicht schnell genug war.

Hier nun lag der Fall anders – den Bordkameraden denunzieren, das fiel flach, das ging nicht, das wäre gegen die Bordehre. Und ein bißchen schämte sich der Kutscher auch. Kein Seewolf hatte es nötig, jemandem Kokosnüsse zu klauen, einem Zopfmann schon gar nicht. Arwenack war zwar kein Seewolf, sondern ein Affe, aber er gehörte zur Crew der „Isabella“. Und es war eine Schande, wenn einer aus der Crew an Land lange Finger machte.

Um sich aus der Affäre zu ziehen und dem weiteren Lamentieren der beiden Chinesen zu entgehen, kaufte der Kutscher den Vorrat an Schlachthühnern auf. Es waren zwölf Stück, wie er gezählt hatte. Da würde jeder ein halbes Brathuhn verspeisen können.

Zum Entzücken der beiden Zopfträger bezahlte er mit einer kleinen Perle, die ausgereicht hätte, einen Hühnerhof zu gründen. Damit standen natürlich auch die vier verschwundenen Kokosnüsse nicht mehr zur Debatte.

Die beiden Zopfmänner waren hingerissen, kicherten, schnatterten, zelebrierten unzählige Verbeugungen und schienen bereit zu sein, den Kutscher mindestens in den Rang eines Kaisers einzustufen, was dem nun wieder peinlich war.

Er begann sich seinerseits zu verbeugen und zu versichern, daß er hocherfreut sei, im Fleische so hochvorzügliches Federvieh kaufen zu dürfen, und das löste nun wiederum allgemeine Heiterkeit auf der „Isabella“ aus, denn die Kratzfüße des Kutschers sahen zum Totlachen aus, zumal er dabei die bereits gerupften Eierleger in die beiden Segeltuchbeutel stopfte, daß da noch ein nackter Hals und dort zwei Hühnerbeine herausschauten.

Immerhin konnten sich die beiden Zopfmänner nun nicht mehr beschweren oder unter den anderen Chinesen das Gerücht verbreiten, sich vor dem fremden Segler zu hüten, denn da passierten unheimliche Dinge. Nein, die Bordehre war gerettet, auch wenn der Seewolf-Affe ein Spitzbube war.

Dem Kutscher stand der Schweiß auf der Stirn, als er über die Stelling an Bord marschierte, links und rechts einen Segeltuchbeutel mit dem gerupften Federvieh in der Hand.

Grinsende Gesichter empfingen ihn.

Carberry rieb sich schmatzend den Magen.

„Mhm“, sagte er, „gibt’s die Piephähne heute abend, Kutscher? Lecker gebraten und so?“

Der Kutscher musterte ihn mit einem vernichtenden Blick.

„Mister Carberry“, sagte er mit Würde, „dürfte ich dich sehr höflich darum bitten, künftig die Bordtiere in einen Käfig zu sperren, bevor ich an Land gehe, um Einkäufe zu tätigen. Dieser Sir John hat sich geradezu unflätig benommen und die beiden Chinesen in übelster Form beschimpft, und dieser Affe Arwenack hat sich wieder einmal an fremdem Eigentum vergriffen, was kein sehr gutes Licht auf die Moral, das Benehmen und die Disziplin an Bord eines englischen Schiffes wirft …“

„Irischen“, sagte Carberry.

„Wie bitte?“

„Auf die Moral, das Benehmen und die Disziplin an Bord eines irischen Schiffes“, sagte Ed Carberry. „Und auf einem irischen Schiff darf ein Papagei ruhig schimpfen und ein Affe klauen, das ist bei irischen Schiffen so, klar?“

„Nein, mir auch egal, was auf irischen Schiffen ist. Ich stelle nur fest, daß mich dein verdammter Sir John und der Spitzbube Arwenack in Teufels Küche hätten bringen können, wenn die beiden Zopfmänner den Diebstahl bemerkt oder Sir Johns Aufforderung verstanden hätten, sie mögen sich die Affenärsche kalfatern – von den anderen Unanständigkeiten ganz abgesehen. Das geht mir wirklich zu weit, Mister Carberry. Und ich frage mich, wer hier an Bord eigentlich der Profos ist.“

„So? Fragst du dich?“ Der Profos stemmte die Fäuste in die Hüften. „Ich will’s dir verraten, Mister Kutscher!“ Er reckte sein Rammkinn. „Ich bin’s. Aber leider kann ich nicht hinter Papageien herfliegen, weil ich keine Flügel habe. Und daß Affen Kokosnüsse klauen, ist ihr gutes Recht. Das haben bereits ihre Urahnen getan, sonst gäb’s nämlich keinen Arwenack mehr. Die leben von so was, verstehst du? Und jetzt wird ein Zopf daraus, da wir gerade von Zopfmännern sprechen. Deine Chinesen haben die Kokosnüsse geklaut, und Arwenack hat sich nur geholt, was ihm von Rechts wegen zusteht! So ist das nämlich, und das hat überhaupt nichts mit Moral, Benehmen oder Disziplin zu tun. Außerdem kann ich mich erinnern, daß Arwenack des öfteren mit Kokosnüssen erfolgreich irgendwelche Rübenschweine bombardiert hat, die uns an den Kragen wollten. Kokosnüsse sind seine Munition. Auch das hat er von seinen Urahnen gelernt, jawohl …“

Und so hielt der eiserne Profos eine flammende Verteidigungsrede für Papageien und Affen, insbesondere für Sir John und Arwenack, die mit der höhnischen Frage endete, ob er, der Kutscher, vielleicht Schiß vor den beiden Zopfmännern gehabt habe, nur weil Sir John „ein bißchen“ geplaudert und Arwenack „ein bißchen“ zugelangt habe.

Der Kutscher blieb ihm die Antwort schuldig, weil Smoky, der ganz achtern Trossen klariert hatte, einen Mann meldete, der soeben die niederländische Galeone hinter der „Isabella“ verlassen und Kurs auf die „Isabella“ genommen habe.

Offenbar wollte der was.

Dieser Mann war groß und stiernackig, hatte ein Gesicht wie ein Hauklotz und ein Benehmen wie die Axt im Walde. Außerdem schwitzte er.

„Kapitän an Bord?“ raunzte er Matt Davies an, der an der Stelling Posten bezogen hatte.

Matt konnte ihn verstehen, weil die Frage auf englisch gestellt wurde. Es war ein etwas kehliges und unsauberes Englisch, aber durchaus verständlich.

Getreu seiner Rolle als irischer Seemann stellte sich Matt ein bißchen dämlich und erwiderte: „Hä?“

„Kapitän an Bord?“ brüllte ihn der Stiernackige an.

Matt Davies hauchte auf seinen Prothesenhaken, der ihm die rechte Hand ersetzte, und begann ihn aufmerksam zu polieren, obwohl es da kaum etwas zu polieren gab. Der scharfgeschliffene Haken war immer blitzblank, genau wie bei Jeff Bowie, dem anderen Prothesenträger der Crew. Beide waren furchtbare Nahkämpfer.

„Ich habe etwas gefragt!“ brüllte der Stiernackige, sein Hauklotzgesicht war inzwischen hochrot angelaufen.

Ruhig und in brüchigem Englisch erwiderte Matt: „Wer hat was gefragt?“

„Pieter de Jonge, Kapitän der ‚Zwarte Leeuw‘, Kommodore der hier versammelten niederländischen Schiffe!“ brüllte der Stiernackige. Matt Davies wurde mit Blicken aus blaßblauen Augen erdolcht, was ihn aber keineswegs erschütterte. „Und ich habe gefragt“, brüllte de Jonge, „ob der Kapitän an Bord sei!“

„Kannst du nicht etwas leiser sprechen, Kapitän?“ fragte Matt Davies höflich. „Wir Iren sind nämlich nicht schwerhörig.“

„Iren? Wieso Iren?“ schnauzte der Kapitän. „Ihr seid doch Engländer!“

„Nicht daß ich wüßte. Seh ich vielleicht so aus?“ Matt drehte sich um und deutete auf Batuti, der grinsend am Steuerbordschanzkleid lehnte, die Ellenbogen aufgestützt. „Sieht der schwarze Mann dort vielleicht wie ein Engländer aus?“ fragte er.

Kapitän de Jonge musterte Batuti verächtlich. „Das ist ein dreckiger Nigger, aber kein verdammter Ire!“ Plötzlich grinste er gemein. „Ihr handelt mit den Niggern, wie? Also seid ihr doch Engländer.“ Und dann wurde ihm wieder bewußt, daß er sich schon viel zu lange von einem Kerl aus dem gemeinen Schiffsvolk aufhalten ließ, der ihm im übrigen nicht den geringsten Respekt zollte, und darum schnauzte er: „Ich will den Kapitän sprechen, verdammt noch mal. Wird’s bald, Mann? Beweg dich, sonst laß ich dich mal an diesem Ding hier riechen!“ Er hielt Matt die rechte Faust unter die Nase.

Das hätte er nicht tun sollen. Matts Haken schlang sich plötzlich um sein Handgelenk und zog die Hand mit unheimlicher Kraft nach unten, obwohl de Jonge sich gegen den Zug stemmte.

„Hör zu, du Käsefresser“, knurrte Matt, „wenn du dich hier aufpusten willst, bist du bei mir genau richtig. Ich könnte dich zum Beispiel an diesem Eisenhaken riechen lassen, aber wenn deine Nase Bruch ist, riechst du nichts mehr. Also sei friedlich. Bei uns meldet man sich höflich an Bord und bittet, den Kapitän sprechen zu dürfen. Hier wird nicht herumgebrüllt, und mir hast du schon gar nichts zu befehlen, ich gehör nicht zu deinem Schiffsvolk. Wenn du als Kapitän angesprochen werden willst, dann benimm dich auch so. Ist das klar?“

Dieser stiernackige Niederländer sah aus, als platze er im nächsten Moment. Dazu brauchte er ein paar Atemzüge, um nach Luft zu schnappen.

Inzwischen stand Hasard an der Stelling und sagte kühl: „Ich bin der Kapitän. Mein Name ist Killigrew. Was wünschen Sie, Kapitän de Jonge?“

„Ich will Sie sprechen“, sagte de Jonge keuchend.

„Bitte sehr – ich höre.“

„Hier etwa?“

„Wo sonst?“ fragte Hasard knapp.

Das war natürlich ein Affront. Kapitäne unterhielten sich nicht im Beisein des Schiffsvolks, aber auf der „Isabella“ war das eben anders, denn die Seewölfe waren als Schiffsvolk zugleich auch Eigner der Galeone und hatten von daher durchaus das Recht, zuzuhören.

Natürlich konnte de Jonge das nicht wissen, und es ging ihn auch gar nichts an, aber Hasard hatte keine Lust, darüber lange Erklärungen abzugeben, abgesehen davon, daß ihm dieser niederländische Kapitän in keiner Weise gefiel. Der Wortwechsel mit Matt sagte genug.

„Was ich mit Ihnen zu besprechen habe, geht den Pöbel nichts an“, schnarrte de Jonge. „Führen Sie mich also in Ihre Kapitänskammer, Killigrew!“

Hasard verschränkte die Arme vor der Brust und sagte sehr betont und sehr ruhig: „Ich denke nicht daran, de Jonge. Wer von den Männern dieses Schiffes als ‚Pöbel‘ spricht, muß es sich gefallen lassen, selbst als Pöbel behandelt zu werden. Mit Pöbel habe ich nichts zu besprechen, schon gar nicht in meiner Kammer.“

„Das werden Sie noch bereuen!“ Der stiernackige Kapitän kochte vor Wut.

„Wenn das eine Drohung sein sollte, dann warne ich Sie“, sagte Hasard immer noch beherrscht, aber in seinen eisblauen Augen lag ein Ausdruck, der den niederländischen Kapitän einen Schritt zurücktreten ließ.

Sein Blick irrte von Hasard weg und glitt über die Männer, die stumm auf der Kuhl oder dem Achterdeck standen. Ja, sie standen einfach nur so da, etwas lässig, aber dennoch sprungbereit. Da waren Kerle dazwischen, die aussahen, als hätten sie mit des Teufels Großmutter bereits ein paar Tänzchen gehabt. Das waren keine Duckmäuser. Die drückten das Kreuz durch, und wenn ihnen jemand auf die Zehen trat, dann fakkelten sie nicht lange.

So oder ähnlich verliefen die Gedanken des Kapitäns, das war seinem Gesicht deutlich anzusehen. Zuletzt war es sehr wachsam, wechselte dann aber jäh in ölige Freundlichkeit.

„So war es doch nicht gemeint, mein lieber Kapitän Killigrew“, sagte er und zwang sich zu einem vertraulichen Grinsen. „Nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich ein bißchen auf den Busch geklopft habe, aber in diesem lausigen Hafen muß man sehr aufpassen, mit wem man an einer Pier zusammenliegt. Einem Posten von mir, der an der Stelling Wache ging, wurde nachts die Kehle durchgeschnitten – vermutlich von einem dieser dreckigen Portugiesen, die sich hier aufführen, als gehöre ihnen Java. Darum lasse ich auch meine vier anderen Schiffe draußen auf der Reede ankern.“ Er räusperte sich. „Sie sind Ire, Kapitän Killigrew?“

Hasard nickte stumm.

De Jonge zwinkerte ihm zu. „Ich hätte gewettet, daß Sie Engländer sind. Na?“ Er zwinkerte wieder. „Vielleicht sind Sie’s doch?“

„Was veranlaßt Sie zu dieser Annahme?“

Der Kapitän grinste dreckig. „Ganz einfach. Sie geben sich als Iren aus, um bei den Dons und Portugiesen nicht anzuecken, die sich in diesem Winkel der Erde – wie überall – ja aufspielen, als seien sie die Herren. Wird Zeit, daß diese Brüder mal zurechtgestutzt werden, und da sollten Niederländer und Engländer eigentlich zusammenhalten.“

„Wir sind friedliche Handelsfahrer, Kapitän de Jonge“, sagte Hasard kühl.

„Na, na!“ Der Kapitän lachte scheppernd und drohte mit dem Finger. „Ich glaube eher, daß Sie ein ganz Pfiffiger sind. Getarnt als Ire können Sie bei den verdammten Portugiesen Gewürze einkaufen, stimmt’s? Darum haben Sie Bantam angelaufen. Meine Hochachtung, Respekt, Respekt, mein lieber Kapitän Killigrew. Sie haben Schneid …“

„Schneid nicht, aber Ruderbruch“, sagte Hasard lakonisch. „Darum sind wir hier.“

„Na so was!“ Der Kapitän staunte. „Das ist mir gar nicht aufgefallen, als Sie hier so elegant in den Hafen segelten.“

 

„Ich habe einen ausgezeichneten Rudergänger.“

„Das wird es wohl sein.“ Der Kapitän betrachtete nachdenklich die „Isabella“. „Ein schönes Schiff“, sagte er. „Schätze, Sie sind sehr schnell, wie?“

„Zum Ausreißen reicht’s immer“, sagte Hasard.

Der Kapitän lachte wieder, dieses Mal dröhnend. „Ein köstlicher Witz! Sie sehen nicht so aus, als würden Sie vor etwas ausreißen, mein Lieber!“ Seine Augen verengten sich plötzlich. „Hören wir auf, Katze und Maus zu spielen …“

„Sind Sie die Maus?“ unterbrach ihn Hasard.

„Ich weiß nur, wer Sie sind, mein Freund“, erwiderte de Jonge ziemlich scharf, „und darum kann ich Sie zwingen, sich auf meine Seite zu stellen. Oder wäre es Ihnen lieber, wenn ich der portugiesischen Faktorei eine Nachricht zuspiele, daß soeben ein gewisser Sir Philip Hasard Killigrew, genannt der Seewolf, mit seiner berühmt-berüchtigten ‚Isabella‘ in den Hafen von Bantam eingelaufen sei?“

Hasard lächelte. „Angenommen, ich sei jener Seewolf, von dem Sie sprechen. Weiter angenommen, Sie verraten das den Portugiesen. Was ist dann?“

„Sie wandern hinter Gitter. Einen solchen Fang lassen sich die Portugiesen und die Dons nicht entgehen. Und dann sind Sie reif für den Galgen!“

„Und was haben Sie davon, de Jonge?“

„Ich reiß mir Ihr Schiff unter den Nagel – samt Mannschaft natürlich. Dann habe ich sechs Schiffe unter meinem Kommando und mit Ihrer ‚Isabella‘ ein verdammt gutes Schiff. Und dann jage ich die Portugiesen, die sich hier festgesetzt haben, zum Teufel, daß es nur so raucht – und Bantam wird niederländisch.“

„Und Sie der Gouverneur, nicht wahr?“

„Natürlich.“

„Na, das ist aber fein“, meinte Hasard gelassen. „Nur taugt die ‚Isabella‘ zur Zeit nicht zum Kriegspielen – wegen des Ruderschadens. Sie muß aufgedockt werden, weil sie ein neues Ruder braucht. Für Gefechte ist sie mit dem Notruder ungeeignet, es sei denn, Sie haben die Absicht, dieses schöne Schiff – wie Sie vorhin selbst sagten – sinnlos zum Wrack werden zu lassen.“

„Aber nicht doch, mein Lieber. Beheben Sie den Schaden, und dann schlagen wir gemeinsam gegen die Portugiesen los.“

„Und was hab ich davon?“ fragte Hasard freundlich.

Brutal sagte de Jonge: „Ich bewahre Sie vorm Galgen.“

Hasard verbeugte sich leicht. „Zu gütig. Ich werde Ihnen ewig zu Dank verpflichtet sein, Kapitän de Jonge.“ Die Ironie in Hasards Stimme war kaum bemerkbar.

Aber de Jonge hatte sie wohl doch herausgehört. Mit der Arroganz, die er bereits Matt Davies gegenüber gezeigt hatte, sagte er: „Ich warne Sie, Killigrew! Wenn Sie Zicken versuchen, erfährt der Portugiese in der nächsten Stunde, wer Sie sind. Glauben Sie ja nicht, Ihr Schiff bliebe unbeobachtet. Jeder Ihrer Schritte wird überwacht. Meine Spitzel – auch unter diesen Inselkanaken – sind überall.“

„Gut, daß ich das weiß“, sagte Hasard ungerührt. „Im übrigen müssen Sie erst mal beweisen, daß ich kein Ire bin. Wie wär’s denn, wenn ich den Spieß umdrehe? Ich brauche nur zur portugiesischen Faktorei zu gehen und den lieben Leuten dort zu erzählen, daß Sie die Absicht haben, Bantam für sich zu vereinnahmen. Wird mir dann der Ire geglaubt oder nicht?“

„Das werden Sie nicht tun!“ fauchte der Kapitän.

„Und warum nicht?“

„Weil ich es verhindern werde.“

Hasard lachte. „Sie sind ein Idiot, de Jonge! Ich muß zu den Portugiesen gehen, um sie sehr höflich darum zu bitten, ihr Dock benutzen zu dürfen. Ohne Dock keine Reparatur, ohne neues Ruder kein Gefecht auf Ihrer Seite. Und noch etwas: Falls Sie mich daran hindern sollten, die Faktorei aufzusuchen, garantiere ich Ihnen eine Schlacht hier auf der Pier, daß sich die Portugiesen die Hände reiben werden. Weder ich noch die Männer dieses Schiffes sind erpreßbar. Merken Sie sich das! Und jetzt hauen Sie ab, Sie Gouverneur, oder ich lasse Sie als gemeingefährlichen Verrückten hier an Ort und Stelle in Ketten legen!“

Der niederländische Kapitän duckte sich, als habe er die Absicht, Hasard anzuspringen. Nur war da Matt Davies, der immer noch vor ihm stand und die Stelling versperrte. Und Matt Davies begann, liebevoll seinen Prothesenhaken zu streicheln. Ganz sachte fuhr seine linke Hand über den Haken hin und her.

Und er sagte: „Verschwinde, du Käsefurz, oder ich raspele mir von dir ein paar Scheiben ab. Bestell das auch deiner Käse-Crew. Uns Iren droht man nicht. Wer es dennoch tut, muß lebensmüde sein.“

Der Kapitän Pieter de Jonge marschierte ab – wutschnaubend, explosiv geladen. Niemand konnte es verhindern, daß er stolperte. Das war Arwenacks Werk.

Der war nämlich über die Achterleinen aufs Achterdeck geturnt, hatte irgendwo seine geklauten Kokosnüsse deponiert, eine aber behalten. Hinter der Steuerbordgalerie hatte er sich hingehockt und dem Wortwechsel gelauscht. Zwischendurch hatte er mit einem Nagel zwei Augen oben in der Nuß ausgestochen und die Milch getrunken.

Vielleicht paßte ihm die Stimme des niederländischen Kapitäns nicht, vielleicht auch spürte er, daß von diesem Mann etwas Bedrohliches ausging.

Jedenfalls verzichtete er auf das Fleisch der Kokosnuß und warf sie dem Kapitän geschickt zwischen die Füße, als der achtern vorbeimarschierte.

Pieter de Jonge stolperte und schlug der Länge nach hin. Die Kokosnuß rollte über die Pier und klatschte zwischen Kai und Schiff ins Wasser.

Und Arwenack hüpfte keckernd auf der Galerie auf und ab und betrommelte seinen Bauch. Sir John fehlte auch nicht. Der turnte auf der Achterleine herum und verriet, daß er die englischen Kraftausdrücke bestens beherrschte – von der irischen Sprache hatte er noch nichts mitgekriegt. Von wem auch!

Dem Kapitän de Jonge wurde von Sir John mitgeteilt, daß er eine algerische Wanderhure sei.

Zu diesem Zeitpunkt mußte der niederländische Kapitän gedacht haben, daß diese „Isabella“ Verrückte beherbergte. Als er sich wieder aufgerappelt hatte und zu seinem Schiff eilte, sah es wie eine Flucht aus.