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Schlangen und Spinnen


Eine Braunschlange

Schlangen und Spinnen

Jeder, wirklich jeder, selbst die Australier, warnten uns vor Schlangen und Spinnen. Die Spinnennetze haben manchmal beeindruckende Größen, fast wie kleine Trampoline. Und wenn man eines übersieht, was häufig auf kleinen Waldpfaden vorkommt, klebt einem das Netz an Haaren, Kopf und Armen. Die Spinnen sind klein oder haben normale Größe im Vergleich zu den Spinnen in Deutschland. Manche sind silber oder gelbschwarz, fast schön, die meisten eklig hässlich.

Sabine kreischt jedes Mal, wenn sie sich im Netz verfängt, als wolle die Spinne sie fressen. Zur Beruhigung behaupte ich einfach, ich hätte gelesen, dass alle Spinnen, die Netze bauen, völlig harmlos seien. Nur die Spinnen, die auf dem Boden leben und Jagd machen, seien giftig und gefährlich. Mit dem kleinen Trick kriecht auch Sabine durchs Unterholz.

Später lese ich, dass ich zufällig recht hatte, die meisten Spinnen sind zwar giftig, aber nur eine einzige, die „Funnel-web Spider“, kann einen Menschen töten. Diese kommt nur in der Gegend um Sydney vor und baut keine Netze in Bäumen oder Sträuchern. Alle anderen Spinnen verursachen maximal schmerzhafte Bisse, ähnlich einem Wespenstich. Selbst die von den Australiern gefürchtete „Redback“, eine kleine Spinne mit einem roten Punkt auf dem Rücken, ist nur für Kinder gefährlich. Erwachsene sind nach einem Biss ein paar Tage krank, mit Kopfschmerzen und Erbrechen.


Spinnen: beeindruckend oder beängstigend?

Mit Schlangen ist es ähnlich. Die giftigsten Schlangen leben in Australien, aber in Indien sterben 50 Mal mehr Menschen je eine Million Einwohner durch Schlangenbisse als in Australien. Vor Schlangen haben wir schon deutlich mehr Respekt als vor Spinnen, aber erst einmal eine gesehen. Hätte sie sich nicht bewegt, hätten wir sie gar nicht bemerkt. Durch ihre grüngelbe Färbung war die zwei Meter lange Schlange ihrer Umgebung optimal angepasst. Als wir etwas dichter herankamen, flüchtete sie. Zum Glück hatte ich die Filmkamera in der Hand und konnte sie auf Video einfangen. Ich war so dicht dran, wie man sonst im Zoo an der Glasscheibe des Terrariums steht. Aber da die Glasscheibe fehlte, ist vieles vor Aufregung verwackelt und falsch fokussiert. Dabei hätte ich ganz relaxt sein können, im Reptilienführer lese ich am Abend, dass die Schlange harmlos ist, sofern man nicht mit einer Maus verwechselt wird.


Von: Burkhard

An: Thorsten

Lieber Thorsten,

jetzt sind wir sechs Wochen unterwegs. Die zehn Tage auf Fraser waren fast wie Urlaub. Mit dem Toyo über Urwaldpisten schaukeln, zu Fuß entlang kleiner Dschungelpfade zu kleinen Seen mit absolut glasklarem Wasser zum Baden. Der Vater des kleinen Jungen, der mit seinem Kipplaster die Schlammpfütze durchschritten hat, du erinnerst dich? Hat mich Abends zum Bier eingeladen, war ganz lustig. Allerdings müssen wir uns an das Aussie-Englisch erst noch gewöhnen.

Surfers Paradise ist nicht unser Ding. Hotelburgen, Schickimicki, und solche, die es gerne wären. Gut waren die letzten Tage entlang der Great Dividing Range. In den Wäldern sind wir nachts immer allein, von Possums, Kängurus und Schnabeligel abgesehen. Die Natural Bridge war etwas enttäuschend, vielleicht war sie zu einfach zu erreichen. Wenn ich nur über einen breiten Weg hin gehen muss, kann ich sie mir auch im Bildband angucken. Ich mag es, wenn ich mir den Aus- oder Anblick erarbeiten muss, wenn sich nach schwieriger, mühevoller Kletterei der Ausblick über die Berggipfel öffnet, wenn nach tagelanger Fahrt über staubige, öde Wüstenpisten plötzlich die grüne Oase im Tal vor mir liegt. Das ist der Anblick, den ich genieße, auch wenn das Bild nicht in einem Bildband gedruckt wird.

In der Great Dividing Range unternahmen wir eine solche, ich nenne es mal Erkundungstour, entlang eines moosigen glitschigen Bachlaufes. Immer volle Konzentration, dass man nicht ausrutscht und ins Wasser fällt, immer Ausschau nach Schlangen und Echsen. Und dann der kleine Wasserfall in unberührter Natur. Das Bild und ein paar vom Bachlauf habe ich dir angehängt.

Grüße an den Sohnemann

Burkhard


Der beste Kaffee in Manly


Sydney by Night

Der beste Kaffee in Manly

Eine kleine Teerstraße bringt uns zurück zum Pacific Highway und dieser führt direkt nach Sydney. Zeit, mal wieder unsere E-Mails zu checken. Eine hört sich ganz gut an:

„Hi ihr beiden,

ich verfolge seit ein paar Jahren eure Reisen auf eurer Webseite. Afrika ist unser nächstes Ziel, in ein paar Monaten werden wir unseren Land Rover nach Südafrika verschiffen. Ihr müsstet ja jetzt auf dem Weg nach Sydney sein, vielleicht habt ihr Lust auf einen Gedanken- und Informationsaustausch. Ihr seid eingeladen, mal vorbeizukommen, wir können euch in Sydney unser Gästezimmer anbieten.

Hoffentlich bis bald, Michael“


Geteert zurück zum Pacific Highway

Natürlich haben wir Lust, Gedankenaustausch ist gut, Informationsaustausch noch besser. Und an Infos zu Australien, insbesondere von jemandem, der selbst mit einem 4x4 Fahrzeug reist, sind wir immer interessiert.

Nur, so wie wir aus dem Busch kommen, können wir unmöglich jemanden besuchen. Eine intensive Körperreinigung ist nach den Tagen im Dschungel unumgänglich.

Australien ist das Land der Roadtrains, der großen Distanzen, die mit gigantischen Lastzügen zurückgelegt werden. Die Trucker haben das gleiche Problem, müssen ja auch gelegentlich Staub, Dieselöl und Ruß abwaschen. Auf dem nächsten Rasthof frage ich einen Fahrer, wie sie das Problem handhaben. „Too easy, an jeder großen Tankstelle, an jedem Truckstop gibt es kostenlose Duschen, du gibst deinen Autoschlüssel als Pfand und bekommst den Schlüssel für eine Duschkabine.“

„Kostenlos?“, frage ich ungläubig.

„Hey, Mann, wenn ich tanke, pumpe ich 1600 Liter Diesel ab, da ist doch wohl eine Gratisdusche drin.“

Tausendsechshundert Liter kriege ich in den Toyo zwar nicht rein, aber den Tipp probieren wir gleich mal aus. Die Duschen sind im Gebäude des Autobahnrestaurants und die Dame, die Pappbecher im Akkord mit heißem Kaffee befüllt und an eine Busladung Touristen ausgibt, bestätigt, was der Trucker gesagt hat: „Die Duschen sind für jedermann kostenlos. Ihr müsst auch nicht tanken oder Kaffee trinken, das ist einfach Service. Wollt ihr einen oder zwei Schlüssel?“

„Einer genügt.“

Im Keller des Restaurants gehen vom breiten Gang zehn Türen ab, die mit großen Zahlen durchnummeriert sind. Wir haben die Nr. 3. Der Schlüssel passt und es öffnet sich ein kleines Badezimmer. Waschbecken mit Fön und Seifenspender, Garderobe, Stuhl, Tisch und Dusche. Beleuchtet mit unschönen Neonröhren, aber Radiomusik. Alles absolut sauber, aber davon kann man in Australien in der Regel ausgehen. Zum Schluss noch einen Kaffee und ein Stück Kuchen im Restaurant, denn so ganz für lau wollen wir den Service doch nicht nutzen.

Jetzt aber zurück auf den Highway und zu Michael.

Michael und seine Lebenspartnerin Sira wohnen in Manly, einem Vorort von Sydney. Die Adresse liegt in einem Villenviertel, gepflegter englischer Rasen, in den Zufahrten und Garagen stehen Jaguar, Rolls Royces und S-Klassen.

Einen kleinen Hügel hinauf und direkt vor dem Haus ist sogar ein Parkplatz für die Mini-Pistenkuh frei. Sira erwartet uns bereits und geleitet uns ins Wohnzimmer. Es ist eigentlich kein Zimmer, sondern ein offener Wohnbereich. Genial ist die Glasfront zum Ozean hin. Unverbaubare Aussicht. Der Blick schweift über den kleinen Vorort, über den Sandstrand und über schäumende Wellen bis zum Horizont. Sira öffnet das große Fenster und klatscht zweimal in die Hände, wir warten ein paar Sekunden. Kaum zu glauben, ein weißer Kakadu stürzt herbei um sich ein Stück Banane aus ihrer Hand abzuholen. „Das klappt nicht immer, aber wenn er in der Nähe ist und das Klatschen hört, holt er sich ein Stück Obst.“ Inzwischen hat Michael das Telefonat in seinem Büro beendet und kocht Kaffee für alle.

Sira zeigt uns das Gästezimmer, eine kleine Suite mit eigenem Bad und kleinem Balkon mit Meerblick.

Die Unterhaltung beim Kaffee mit Michael macht Spaß. Endlich jemand (der Erste), der nicht überängstlich ist und schon einiges selbst gefahren ist.

Bisher waren die Informationen der Australier wenig brauchbar: „Ihr könnt die Simpson Desert nicht allein durchqueren, ihr braucht unbedingt ein zweites Auto, schließt euch einem Convoy an.“ Wir reisen grundsätzlich allein. Wir werden auch die Simpson Desert allein durchqueren.

 

„Ihr braucht unbedingt eine Winch.“ Brauchen wir nicht.

„Meldet euch bei der Polizei und hinterlasst dort euren Routenplan.“ Wir haben keinen Zeitplan und wenn doch, teilen wir das keinem mit.

„Passt auf die Schlangen auf.“

Solche Ratschläge kann man in die Tonne kloppen. Ihr Informationsgehalt ist gleich Null. Michael hingegen ist ein guter Informant, weil er viele Gebiete selbst abseits der Pisten gefahren ist. Von ihm bekommen wir die Infos, die wir brauchen: Wie hoch ist der Durchschnittsverbrauch seines Land Rovers in den unwegsamen Gebieten? Das erleichtert unsere Kalkulation für den Dieselvorrat.

„Ich habe die GPS-Koordinaten der Camps der Madigan-Expedition, ist es möglich der Expeditionsroute mit einem Geländewagen zu folgen und gibt es dort Wasserlöcher, die nicht in den Detailkarten verzeichnet sind?“ Michael ist gut informiert, engagiert sich in einem Offroad-Club und ist jede freie Minute mit seinem Land Rover TD5 im Busch. Neben den Fakten sind vor allem seine Fotos sehr informativ. Wir können uns nun ein Bild von dem Gelände machen und so das Risiko besser einschätzen. Ähnliche Fragen haben Michael und Sira zu Afrika.

Manly Sydney Harbour

Die Glut leuchtet rot in der Dämmerung, Michael legt ein paar Filetsteaks auf den Grill und ein fast schwarz scheinender Rotwein kreist im Glas, in der Ferne rauscht das Meer.

„Wie kommt man nach Manly?“, frage ich Michael, der wahrscheinlich Anfang 40 ist. „Mein Vater war Kampfjetpilot bei der Bundeswehr und während seiner Dienstzeit sowohl in England als auch in den USA stationiert. Ich wuchs dort zweisprachig auf, zu Hause sprachen wir Deutsch, in der Schule und mit Freunden Englisch.

Später studierte ich in London Ökonomie, also Wirtschaft. Als Investmentbanker arbeitete ich zunächst in Frankfurt, dann in London und New York. Eine Bank in Sydney machte mir ein gutes Angebot und so kam ich nach Australien. Die Arbeitsbedingungen sind gut, hinzu kommt das angenehme Klima, die Freizeitmöglichkeiten und überhaupt der Lifestyle Australiens. In Sydney kaufte ich meine erste Eigentumswohnung, inzwischen sind noch ein paar dazu gekommen, die alle vermietet sind, und da war es doch nur konsequent, dass wenn ich hier lebe, hier arbeite, hier investiere, auch die australische Staatsbürgerschaft beantrage.“

Sira ist chinesischer Abstammung, ihr Vater kam als Goldgräber nach Australien und hatte Glück. Ihre Familie besitzt ebenfalls ein paar vermietete Immobilien in Sydney. Sira pendelt zwischen Äthiopien, Brasilien und Guatemala, sie ist Rohkaffeeeinkäuferin für eine Rösterei. Das erklärt auch den guten Kaffee, den wir bei ihr bekommen haben.

Sydney, die schönste Stadt der Welt?


Die Sydney Harbour Bridge

Sydney, die schönste Stadt der Welt?

Nein, Sydney ist nicht die Hauptstadt, aber es ist die Stadt, die jeder kennt. Und was kennt man in Sydney? Eigentlich nur das Opernhaus.

Dabei hat Sydney so viel zu bieten, dass man sich einen Satz Schuhsohlen ablaufen könnte. Man könnte sich den Fischmarkt ansehen, in Chinatown asiatische Spezialitäten probieren, die dort auf engstem Raum angeboten werden. Man könnte durch den Botanischen Garten spazieren, sich im Paddy’s Market über drei Etagen durch billigen Kleinkram, Klamotten und Souvenirs drängen. Man könnte auch was für die Bildung tun, sich das Nationalmuseum ansehen oder das Aboriginal Kunstmuseum oder das Powerhouse Museum. Natürlich auch durch die Kirchen laufen, das Theater und den Zoo besuchen und die Bücher der Stadtbibliothek lesen.

Interessant wäre vielleicht auch das Rotlichtviertel Kings Cross, zum einen wegen der Mischung aus Bahnhofsviertel und Reeperbahn, aber vor allem weil es hier eine Tiefgarage gibt, in der Traveller ihre gebrauchten Schlitten und andere Reiseausrüstung verscherbeln.

Wäre unsere Tochter dabei, wäre natürlich das Nationalmuseum Pflicht. Aber so können wir uns auf das Wesentliche konzentrieren: Opernhaus, Harbour Bridge, Skyline und Fish and Chips.

Bei Sira und Michael sind wir erst nachmittags aufgebrochen. So geht es erst mal darum, in Sydney einen kostenlosen Platz für die Nacht zu finden. „Lass uns zum Zoo fahren, da gibt es bestimmt nachts jede Menge freie Parkplätze“, mutmaßt Sabine. Nur wenige hundert Meter entfernt bietet sich eine bessere Möglichkeit. In einem Ausflugslokal bei Bradleys Head wird Hochzeit gefeiert. Der öffentliche Parkplatz steht voller Autos und mit Sicherheit werden hier in den frühen Morgenstunden, wenn die Feier sich dem Ende neigt, einige mit dem Taxi nach Hause fahren. Unsere Mini-Pistenkuh wird gar nicht auffallen. Von Bradleys Head ist der Blick auf Sydney beeindruckend. Opernhaus, Skyline und Harbour Bridge auf einem Bild. Die Sonne verschwindet unspektakulär im Dunst hinter den Hochhäusern. Das Grau am Firmament wechselt zu Schwarz und immer mehr Lichter erleuchten die Metropole.


Skyline in der Dämmerung

Seltsame Hochzeitsfeier oder wird in Australien immer so gefeiert? Die Hochzeit ist pompös aufgezogen, drei schwarze Maserati Limousinen, Fotografen und Filmcrew, doch ab 22 Uhr leert sich der Parkplatz. Eine Stunde später ist unser lila Toyo der einzige Wagen auf der Teerfläche, unsere Tarnung ist abgereist (später erfahren wir, dass viele Restaurants nur eine Öffnungslizenz bis 23 Uhr haben, Feierlichkeiten daher oft sehr früh enden).

Aber Tarnung wäre gar nicht erforderlich gewesen. Es stört keinen und es kommt keiner, der Parkplatz ist auch von der Straße nicht einsehbar, man (Polizist) müsste schon gezielt fahnden, ob dort jemand die Nacht verbringt. So schlafen wir dort auch die folgenden beiden Nächte.


Standesgemäßer Parkplatz unter der Harbour Bridge

Am nächsten Morgen parken wir den Toyo unter der Harbour Bridge. Der Parkplatz ist mit 60 Cent pro Stunde billig und man darf sieben Stunden parken. Von hier kann man zu Fuß über die gigantische Stahlbrücke gehen. 30.000 Tonnen wiegt allein der Stahlbogen, nur zur Vorstellung, das sind etwa 30 komplette Güterzüge. 1923 wurde beschlossen, die Brücke zu bauen. Neun Jahre war das Schlagen der mehr als sechs Millionen Nieten zu hören. Die Brücke sollte aber nicht nur den Hafen überspannen und eine wichtige Verkehrsanbindung sein, sie sollte die längste Einbogenspannbrücke der damaligen Zeit werden. 503 Meter lang. Was für ein Pech, was für eine Trauer, nur wenige Monate vor Fertigstellung wurde in New York die Bayonne Bridge eröffnet, und die ist 60 Zentimeter länger.

Natürlich haben wir die Brücke bei der Reiseplanung auf vielen Bildern aus allen möglichen Perspektiven gesehen, aber in Realität ist sie beeindruckender, als wir sie uns vorstellten. Das will was heißen, oft ist die Realität kleiner und „normaler“, als sie von Fotografen dargestellt wird.

Ein paar Treppenstufen bringen uns auf die Brücke und beim Marsch auf die andere Seite haben wir unser nächstes Ziel, das weltberühmte Opernhaus, nur die „Opera“ genannt, immer im Blick. 45 Minuten später stehen wir vor dem Bauwerk mit der weltberühmten Dachkonstruktion.

Ich könnte mir vorstellen, dass es das Bauwerk ist, das Architekten und Bauherren die meisten schlaflosen Nächte bereitet hat. Sechs Jahre sollte der Bau dauern. Fünf Jahre dauerte es allein, die Dachkonstruktion zu planen und zu berechnen. Bei Baubeginn war keinem der Verantwortlichen klar, ob man das Dach überhaupt so bauen kann, wie es sich der Architekt vorstellte. Irgendwann gingen wohl die Nerven durch und man hat den 37-jährigen dänischen Architekten gefeuert. Sein berühmtes Bauwerk hat Jørn Utzon nie gesehen. Als man ihn rausschmiss, verließ er Australien und kehrte nie mehr zurück. Statt sechs baute man 15 Jahre, und die Hiobsbotschaften der Kostensteigerung werden den Stadtkämmerer wohl oft nachts senkrecht im Bett stehen lassen haben. Die Baukosten lagen 14 mal so hoch wie veranschlagt. Einwände wegen der Kosten wurden als Knickrigkeit bezeichnet.


Das Sydney Opera House

Wir könnten jetzt auf die Plattform des AMP Centrepoint Tower fahren und in 173 Metern Höhe eine Rundum-Aussicht über die Hochhäuser der Stadt genießen. Ja, könnte man machen, wir laufen jedoch zurück zu Millers Point, wo der kleine Toyota auf uns wartet. Unterwegs ein verlockendes Angebotsschild: “Only today, Fish and Chips five Dollar, take away.”

Okay, das nehmen wir mit. Kurz später sitzen wir mit zwei Riesenfischfilets und einem gigantischen Berg Pommes auf einer Parkbank vor unserem Auto. Im Blick die Skyline, Opera und Harbour Bridge. Sydney ist eine der schönsten Städte, die wir bisher gesehen haben, vielleicht die schönste Stadt der Welt. Ob die Bewohner von Sydney das wissen? Ahnen tun sie es bestimmt.

Aber die Stadt hat auch Schattenseiten. Diese Schattenseiten werden mit Videokameras bewacht und davon scheint es viele zu geben. Ständig haben wir das Gefühl, beobachtet zu werden, weil gerade irgendwo eine Kamera schwenkt. Und es ist tatsächlich so: Während wir unseren Fisch verdrücken, klettert ein junger Mann vielleicht Mitte zwanzig auf das Dach des Fähranlegers und macht einen Kopfsprung ins Hafenbecken. Vier Minuten später erreichen drei Polizeiwagen, aus unterschiedlichen Richtungen kommend, fast zeitgleich den Tatort und nehmen den Mann mit. Der Kopfsprung hat keine Minute gedauert, aber die Polizei kriegt es mit.

Auf Parkplätzen der Innenstadt ist die Parkzeit oft begrenzt, zum Beispiel auf zwei Stunden.

„Brauche ich eine Parkscheibe oder lege ich einen Zettel mit der Uhrzeit hinter die Scheibe?“, fragte ich beim ersten Mal noch irritiert einen Passanten. „No worries, stell dein Auto einfach ab, der Platz wird videoüberwacht und nach zwei Stunden wirst du abgeschleppt. Die Stadtverwaltung weiß genau, wie lange welches Auto wo steht. Too easy.“

Ihr werdet es mir nicht glauben, aber ich habe in Australien noch nie falsch geparkt. Die Strafen sind drastisch. Parkzeitüberschreitung in Brisbane: 160 Dollar. Kein Parkticket gelöst: 200 Dollar. Auf die Harbour Bridge geklettert: 3000 Dollar. Hundekot im Park nicht aufgesammelt: 500 Dollar. Die Strafen werden bei jedem Verbots- oder Gebotsschild gleich mit angeschlagen. Macht Eindruck, aber ich trete lieber mal in Hundescheiße, als durch einem Park zu laufen, wo jeder Hund beim Kacken videoüberwacht wird.


Historisches Schiff

Alles unter Wasser


Nach tagelangem Dauerregen zurück an der Küste

Alles unter Wasser

Wir verlassen Sydney. Wieder bietet sich die Alternative, entweder die touristische Route entlang des Ozeans oder die abenteuerliche Route über die Great Dividing Range mit ihren riesigen Waldgebieten zu wählen. Strand und Ozean reizt uns nicht so sehr, also fällt die Entscheidung für den Dschungel. Das heißt, bevor die Kompassnadel das große S zeigt, fahren wir erst einmal knapp 200 Kilometer nach Westen. Graue Wolken hängen tief am Horizont und bald ziehen wir eine Gischtfahne hinter uns her. Der Scheibenwischer läuft auf Stufe zwei. Es ist der Beginn von tagelangem Dauerregen. Von wegen trockenster Kontinent. Wenn es mal eine halbe Stunde nur nieselt, statt zu schütten, hebt das gleich die Stimmung. In unserem kleinen Wohnmobil läuft das Kondenswasser innen an den Scheiben runter, die Handtücher trocknen nicht mehr, alles wird klamm und feucht. Vier Tage warten wir auf einer Lichtung im Wald auf besseres Wetter. Dann noch einmal drei Tage auf einem Caravan Park, aber nichts ändert sich. Dummerweise habe ich den Regenschirm, den unser Vorbesitzer im Land Cruiser gelassen hatte, gleich am ersten Tag weggeschmissen. „Den brauchen wir nie“. Jetzt habe ich bei BIG W einen neuen gekauft.

 

Schade, wir haben in einem Bildband so tolle Bilder von den „Three Sisters“, einer Felsformation ganz in der Nähe, gesehen, jetzt ist alles grau und in Nebel gehüllt. Nach sieben Tagen endet der Regen, der Nebel steigt auf, die Sonne scheint. Was tut das gut. Lüften, Bettzeug trocknen und ein paar Bilder von den „Three Sisters“ gelingen auch. Abends schüttet es schon wieder. Egal, jetzt reicht’s, wir setzten die Reise fort. Es geht über schlammige Waldwege, dem Land Cruiser macht’s Spaß und was dem Cruiser Spaß macht, gefällt auch uns. An den Stellen, wo wir unbedingt fotografieren wollen, warten wir mehrere Tage für ein paar Sonnenstrahlen, so zum Beispiel an den Kanangra Walls.


Die Three Sisters in den Blue Mountains


Blick in die Tiefe an den Kanangra Walls

Kanangra Walls

An der senkrechten Abbruchkante des Boyd Plateaus bietet sich ein spektakulärer Blick in die Schluchten und Canyons des Sandsteingebirges der Blue Mountains. Die Berge erscheinen tatsächlich blau, was auf die ätherischen Öle zurückzuführen ist, die die an den Hängen wachsenden Eukalyptuswälder an die Luft abgeben; diese Öle reflektieren das Blau des Himmels.

Die Nachrichten im Radio werden von Stunde zu Stunde dramatischer. Niederschlagsmengen werden bekanntgegeben und Ortschaften genannt, deren Bewohner sich zur Evakuierung vorbereiten müssen. Die Flüsse im Tal treten über die Ufer und die flachen Ebenen laufen voll Wasser. So gesehen, geht es uns hier oben auf dem Gebirgskamm ganz gut. Kein Australier hat zu dieser Jahreszeit solche Regenmassen erlebt. Normalerweise ist jetzt die Zeit der höchsten Waldbrandgefahr. Viele Waldgebiete werden dann gesperrt und einzelne Gehöfte vorsorglich wegen der Feuergefahr evakuiert. Jetzt stehen alle Indikatoren auf grün, das heißt, man darf im Wald sogar Lagerfeuer entzünden.


Infotafeln über das aktuelle Waldbrandrisiko

In Australien zeigen Tafeln die Waldbrandgefahr in sieben Stufen an. Jede Farbe bedeutet bestimmte Verhaltensregeln. Zum Beispiel grün: Waldbrandgefahr sehr gering, man darf fast überall Feuer machen, bis hin zu rot: katastrophal hoch, niemand darf in den Wald, und diejenigen, die ihre Häuser oder Wochenendhäuser im Wald haben, müssen diese verlassen. In den Ortschaften sind Schweißarbeiten und grillen auf Gas oder Kohle verboten.

Es ist so nass, dass wir kaum trockenes Holz finden, um abends ein Feuer zu entfachen, und wenn es endlich brennt, sitzen wir im Qualm. Hier oben können wir recht entspannt die Nachrichten aus unserem Autoradio verfolgen. Nach und nach werden die Landstraßen und Zufahrten in den Tälern unter uns geschlossen und immer mehr Orte evakuiert. Wir haben Lebensmittel für ein paar Wochen an Bord und unser Biosystem hat es wohl schon geahnt und in den letzten Monaten vorsorglich Chips und Cola in ein paar Speckpolster verwandelt.

Wir sind beeindruckt, wie professionell die Australier die Katastrophe managen. Die lokalen Radiosender senden unentwegt Statusberichte, welche Ortsteile sich zur Evakuierung vorbereiten müssen, welche Ortsteile evakuiert werden, welche Straßen noch passierbar sind. Dazwischen immer wieder Wetterberichte mit erwarteten Niederschlagsmengen und Wasserstandspegel für die nächsten Stunden. Die Evakuierten werden in Turnhallen und Schulen untergebracht. Unterricht findet verständlicherweise in diesen Tagen nicht statt. Der Highway wird gesperrt. Wir bleiben im Wald auf der Berghöhe, zum Glück spielt Zeit bei uns keine Rolle.

Aber nicht nur die Behörden, wie Polizei und Feuerwehr, sind professionell, auch die Bürger verhalten sich vorbildlich. Keine Blockaden, keine Plünderungen, keine Panik. Viele sind schon vorzeitig zu Freunden gereist oder haben einfach den Wohnwagen angekuppelt und sind auf einen vor Überflutungen geschützten Caravan Park gefahren.

Sofort werden Spendenkonten eingerichtet und spenden kann man ganz einfach im Supermarkt. Beim Bezahlen an der Kasse nennt man der Kassiererin einen Spendenbetrag, den sie in die Kasse tippt. Bei Beträgen über zwei Dollar druckt das Kassensystem zusätzlich zum Kassenzettel auch gleich eine Spendenquittung aus. Viele runden ihre Supermarktrechnung auf und verzichten auf das Wechselkleingeld. Alles nur kleine Beträge, aber vermutlich kommt so mehr rein als bei jedem anderen Spendenaufruf.

Ein schönes Beispiel wie professionell die Katastrophe gemanagt wurde, zeigt sich in der Kritik, die von Bürgern in einem Radiointerview geäußert wurde. Man glaubt es nicht, aber der Hauptkritikpunkt war die zu einseitige Ernährung in der Turnhalle, es gab zu wenig frisches Obst und Gemüse, des Weiteren zu wenig Toiletten und Duschen und zu wenig Spielsachen für die Kleinen.

Anstatt angesichts der Kritik in schallendes Gelächter auszubrechen, entschuldigt sich der Bürgermeister ernsthaft für fehlendes Kinderspielzeug und die überwiegende Versorgung aus Konservendosen.

Der Regen lässt nach, hört aber nicht auf. Kalt ist es geworden. Das Leben im Mini-Wohnmobil wird von Tag zu Tag qualvoller. Die Enge nervt, man kann nicht mal die Beine ausstrecken. Einfach mal einen Tee zu kochen bedeutet Räumerei. Computer, Landkarten und Bücher wegräumen, Kocher auspacken und aufbauen. Anschließend Kocher wegpacken, Computer und Bücher aus der einen in die andere Ecke räumen. Es scheint, als würde unser Hausrat und alles, was wir haben, ständig auf zwei Quadratmetern rotieren, und wir mittendrin. Am schlimmsten ist die Feuchtigkeit. Nicht nur, dass Handtücher, Hose und Jacke nicht mehr trocknen, das ist normal. Auch das Bettzeug, Polster, Mehl, Zucker, einfach alles wird klamm. Wir müssten unbedingt heizen und lüften, am besten, das Auto in die Sonne stellen. Aber wir wollen nicht klagen, anderen läuft im Tal die Wohnung voll Wasser, bei uns wird es nur klamm.

Nach vier Tagen ist die Straße im Tal wieder für Geländewagen passierbar. Vielleicht ist es an der Küste besser. Der Wetterbericht im Internet zeigt an der Küste Regen und Sonne und vor allem wärmere Temperaturen. Also zurück zur Küste, dann doch die Touristenroute. Wie schön, der Scheibenwischer läuft nur noch im Intervallbetrieb. Das Wetter an der Küste entspricht genau den Symbolen der Wetterkarte: Regen, Sonne und dunkle Wolken. Schon besser als Dauerregen, vor allem weil endlich unser Bettzeug und Handtücher wieder richtig trocken sind. Ach, was ist es für ein schönes Gefühl, in ein trockenes Bett zu kriechen.


Känguru im Futtermodus …

Obwohl wir im Touristengebiet unterwegs sind, finden wir jeden Abend grandiose Plätze mit Blick auf den Ozean für uns ganz allein. Man darf halt keine Angst vor Kratzern im Lack haben und muss den Toyo auch mal durch fast zugewachsene Wege schicken. Die Kängurus und Wallabies werden in dem Gebiet offensichtlich schon lange nicht mehr gejagt, sie lassen mich mit der Kamera auf 20 Meter herankommen und grasen ganz ungestört weiter. Endlich ein paar richtig gute Bilder von Australiens Nationaltier, wohl das einzige Nationaltier auf der Welt, auf das man schießen darf.

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