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Reise durch den Stillen Ozean

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Die Mormonen rühmten sich stolz, ein Mikrokosmus für sich zu sein, alle ihre Bedürfnisse selbst zu decken und keine fremden Produkte zu benöthigen. Spuren dieses Strebens sind überall noch bemerkbar, aber vorwiegend die üblen Einflüsse desselben. Mit Abgeschlossenheit und ängstlichem Fernhalten des belebenden Anstosses von Aussen hat es noch kein Gemeinwesen weit gebracht. Nur ein Stagniren der Talente und Kräfte ist die Folge eines solchen Systems.

Ich würde den Abstecher nach Salt Lake City vielleicht gar nicht gemacht haben, wenn mich nicht der Salzsee selbst mit seinen zwanzig Prozent Salzgehalt gereizt hätte, in ihm ein Bad zu nehmen. Früher konnte man aus vier Tonnen seines Wassers eine Tonne Salz durch Abdampfen gewinnen, jetzt sind hierzu fünf Tonnen nöthig. Der See wird dünner, sein Niveau steigt, möglicherweise in Folge eines stetigen Emporrückens des ganzen Landes, dessen höher werdende Berggipfel den Wolken immer mehr Feuchtigkeit abzuzwingen vermögen.

Eine breite gelbe Marschzone, durch die sich der Jordan mit seiner grünen Einfassung von Weiden und Pappeln schlängelt, trennt die Stadt und den See, und um in ihm zu baden, muss man mit der Western Utah Eisenbahn zwei Stunden nach Lake Point fahren, wo die Berge unmittelbar an sein Ufer treten.

Die Western Utah Eisenbahn war erst seit kurzer Zeit im Gang und hatte noch keine starke Frequenz. Sie reichte bis zu einer etwa doppelt so weit als Lake Point entfernten Bleimine »Ophir City« und brachte täglich einen Zug hin und zurück. Wir fuhren so langsam, dass man nebenher hätte laufen können, die Lokomotive hatte nur drei offene Wagen zu schleppen, die mit Minergestalten besetzt waren.

Es war ein herrlich schöner Tag, wolkenlos wie fast alle hier zu Lande im Sommer und Herbst. Die Luft zitterte glühend über den malerischen kahlen Bergketten ringsum, deren warme Farben von einem wunderbar zarten Duft übergossen erschienen. Gegen Norden die prachtvoll tief blaue Fläche des anmuthig gebuchteten und mit Inselbergen besetzten Salzsees – einige im Vordergrund weidende Pferde und Rinder ausgenommen, der dunkelste Ton in der ganzen strahlenden baumlosen Landschaft, das satteste Blau, welches ich je gesehen. Eine mir neue Art weisslicher Moskitos gesellte sich sehr unwillkommen uns bei.

Da wo zwischen den Bergen und dem See nur mehr ein schmaler Saum für die Bahn bleibt, liegt Lake Point. Weiterhin dehnt sich das Ufer wieder zu einer dürrgebrannten sanft ansteigenden Ebene, in deren Hintergrund eine kleine Ortschaft liegt, während in dem Mittelgrund einzelne niedrige Gehöfte zerstreut sind. Staubwolken steigen allenthalben auf, von langsam sich vorwärts bewegenden Pünktchen, welche Reiter oder Wagen vorstellen, erzeugt.

Lake Point besteht nur aus einem zweistöckigen Hotel, einem in den See hinausragenden Pier für ein zu Vergnügungsfahrten bestimmtes Dampfboot, sowie mehreren Badehütten, und ist ein reizend stiller, einsamer Winkel. Nur selten unterbricht das Zwitschern eines Vogels die herrschende Ruhe. Heuschrecken schwirren über die gelben Grasstoppeln hin. Unter diesen sah ich häufig eine Art, welche ich anfangs für Trauermantelfalter hielt. Ganz dieselben schwarzen, gelbgeränderten Flügel, ganz derselbe flatternde aber ausdauernde Flug wie jene Schmetterlinge.

Ich verfügte mich sofort in die dicke Salzlake des Sees und überzeugte mich von der bereits gelesenen Thatsache, dass man in ihr nicht untertauchen kann. Es war ein höchst sonderbares, fremdartiges Gefühl, so getragen zu werden. Gleichwohl würde ein des Schwimmens Unkundiger in dieser zwanzigprozentigen Flüssigkeit eben so sicher ertrinken wie in destillirtem Wasser. Das nachgiebige Medium sucht den Körper beständig horizontal zu legen, und bei der geringsten Bewegung dreht man sich um die eigene Achse, so dass das Gesicht und damit die Oeffnungen für die unentbehrliche Athemluft bald nach oben bald nach unten sehen, wenn man nicht durch zweckmässiges Benehmen dagegen anzukämpfen weiss. Ich fand es nicht schwer, durch sorgfältiges Biegen und Strecken des Körpers auch in aufrechter Stellung mit gekreuzten Armen das labile Gleichgewicht längere Zeit zu erhalten. Man steht dann im tiefen Wasser, nur bis zu den Brustwarzen eintauchend, wie eine lebende Senkwage. Weniger leicht und äusserst ermüdend fand ich das Vorwärtskommen. Ein Leander oder ein Kapitän Webb wäre im Grossen Salzsee von Utah kaum denkbar.

Noch eine andere Erfahrung wurde mir zu Theil. Wenn schon die Salzfluth des gewöhnlichen vierprozentigen Meeres abscheulich schmeckt, so ist dies hier noch viel intensiver der Fall. Bei meinen verschiedenen Experimenten geriethen mir etliche Tropfen durch die Nase in den Schlund, und ein sofortiger Brecherguss war die interessante, aber unangenehme Folge davon. Es soll auch, wie ich mich später erkundigte, noch keinem Menschen vergönnt gewesen sein, einen derartigen Reiz ohne solche Reaktion auf sich wirken zu lassen.

Eine Menge kleiner Krebse aus dem Geschlecht der Artemien tummelte sich um das Pier herum. Ich fing ihrer ein paar Dutzend, und da sie alle ziemlich tief schwammen, und die einzig mögliche Fangmethode mittels der luftgefüllten Flasche, die ich plötzlich umdrehte, so dass das Wasser und zugleich einzelne Thierchen hineinstürzten, umständlich und langweilig und die Temperatur des Sees sehr kalt war, so fror ich beträchtlich, und zähneklappernd entstieg ich dem lehrreichen Bade.

Als der primitive Bummelzug aus Ophir City am Abend mich wieder abgeholt hatte und wir nach Salt Lake City zurückdampften, brauchten wir für die kurze Strecke noch länger wie am Morgen. Einmal fuhren wir auf einer Zweigbahn in einen abseits gelegenen Sandbruch ein, um einen Sandwagen anzuhängen, und zweimal mussten wir mitten in der Ebene halten, zuerst weil ein Bauer seinen leeren Karren auf den Schienen hatte stehen lassen, bis der Lokomotivführer ihn in den Graben hinabschob, und dann weil drei Ochsen eigensinnig darauf bestanden, lustig mit hoch erhobenen Schwänzen vor uns her zu traben. Und während wir gerade im vollen Lauf waren, hatte ich doch noch immer Zeit genug, schnell herab zu springen, eine unvorsichtige Natter, die an der Böschung hinkroch, einzuheimsen, nachzulaufen und wieder aufzusteigen.

Ehe ich Salt Lake City für immer verliess, machte ich noch einen Spaziergang nach Camp Douglas.

Vor ungefähr dreissig Jahren, als Brigham Young sich stark und entfernt genug fühlte, der Regierung in Washington Trotz zu bieten, sandte diese mit riesigen Kosten ein Heer unter General Douglas aus, um ihn zu unterdrücken. Camp Douglas, das ehemals befestigte Lager der Expedition, auf einer die Stadt beherrschenden Höhe im Hintergrunde gegen die Berge zu gelegen, erzählt noch heute von jener Geschichte und beherbergt noch heute eine kleine Besatzung, obwohl die Macht des Mormonenthums längst gebrochen ist.

Links und rechts von der ansteigenden staubigen Strasse eilen tief verborgen unter staubbedeckten Artemisiabüscheln kleine Bäche herab, überraschend mitten in der dürren Wüste. Camp Douglas selbst ist wieder eine grüne Oase, ein schöner quadratischer Exerzierplatz mit Akazienbäumen bepflanzt und umgeben von Barackenkasernen und Offizierswohnungen mit sauberen blumenreichen Gärtchen davor. Am Eingang stehen die Wache und einige alte Geschütze. Der Posten hatte vier scharfe Patronen im Gürtel stecken, zu welchem Zweck, blieb mir bei der Abwesenheit eines Feindes und bei der sonstigen Gemüthlichkeit, mit welcher der Dienst betrieben zu werden schien, räthselhaft.

Es war Abend, und die grosse Flagge, die von der Spitze eines hohen Mastes wehte, sollte niedergeholt werden. Die ganze Besatzung, etwa hundert Mann, lauter Artillerie, versammelte sich in Reih und Glied zum Appell. Vier Offiziere stülpten weisslederne Handschuhe über die Finger und rasselten mit ihren Säbeln, mehrere Soldaten trugen statt des Käpis einen Schlapphut. Die Sonne ging glühend unter. Die Wache trat ins Gewehr, ein Trompetensignal, ein Trommelwirbel, ein Kanonenschuss, und das Sternenbanner stieg langsam und gravitätisch herab.

Unten im weiten ebenen Thale lag friedlich die Stadt mit ihren rechtwinkligen Blöcken von Häusern und Gärten, die vom Schein des wolkenlosen Abendhimmels glitzernde Fläche des Salzsees und der Silberfaden des Jordanflusses. Ringsum die blauen Berge. Nach Osten zieht sich der Telegraphendraht in einen Sattel hinauf. Er geht noch den alten Weg, den einst die Auswandererzüge nach Kalifornien genommen haben, ehe die Pacific Railroad existirte.

XXVI
VON SALT LAKE CITY NACH NEW YORK

Frömmigkeit und Prellerei. Emigrantenzüge. Die Prairien. Omaha. Eine unangenehme Nacht. Präsidentenwahl zum Zeitvertreib. Niagara Fall und Stadt. Das Amerikanische und das Kanadische Ufer. Praktischer Sinn der Niagarenser. Herbstliche Färbung.

Ogden ist ungefähr halbwegs zwischen San Francisco und Omaha. Von hier an heisst die Bahn Union Pacific und die Passagiere haben hier die Wagen zu wechseln. Die Leiter dieser Linie scheinen mit grosser Frömmigkeit begnadet zu sein. Denn in jedem Wagen liegt eine Bibel auf. Ich habe aber nie jemand darin lesen sehen. Die Mucker befolgen die nämliche Politik wie die Schneider und Quacksalber. Es bleibt doch immer ein Weniges hängen, auf diesem psychologischen Moment beruhen ebensowohl die überall herumgestreuten Traktätlein und Bibeln, als die überall an die Felsen geklecksten Reklamen.

Als ich in Ogden einstieg, um weitere drei Tage Pacific Bahn abzubüssen, kam der Gepäckmann, nahm mir meine Flinte ab und sagte, ich müsse einen Dollar zahlen dafür dass er sie aufbewahre. Ich war empört über solche Zumuthung, die ich für einen plumpen Schwindel hielt. Und doch war der gute Gepäckmann in seinem Recht. Denn als ich mich bei dem nächsten Superintendent in Evanston beschwerte und frug, was denn dieser Dollar eigentlich zu bedeuten habe, ob Strafe oder Zoll oder Extrafracht, nachdem ich für mich und meine Koffer bereits Alles bezahlt, wurde mir die Antwort zu Theil, die Direktoren der Linie hätten ihren Bediensteten das Privilegium gegeben, jede Flinte der Passagiere aufzubewahren und dafür einen Dollar zu berechnen.

 

Es war gewiss eine ganz lobenswerthe Vorsicht den Passagieren ihre Waffen einzusperren, in einer Gegend, die vor noch nicht sehr langer Zeit dem Auswurf des Erdballs als Sammelplatz und Schlupfwinkel diente, wo vor Kurzem noch Mord und Todtschlag die Tagesordnung beherrschte und die Hälfte der Bevölkerung »in den Stiefeln«, das heisst auf dem Wege des Todtgeschossen-, Todtgestochen-, Todtgeschlagen- oder auch Lynchweise-gehenktwerdens starb. Dafür aber noch Bezahlung zu verlangen, war eine schmähliche Prellerei. Von Omaha bis Chicago auf der Rock Island Pacific kostete die Flinte abermals einen Dollar Privilegium.

Da die Gegend wieder zu abscheulich und trostlos wurde, um sie anzusehen, nahm ich wieder Mister Williams Pacific Tourist zur Hand, um mich wenigstens an den Schilderungen der mir unfassbaren Schönheiten schadlos zu halten.

Im Thal von Uintah zeigten sich einzelne Fichten auf den Bergen, und Schneestreifen schmückten die Furchen ihrer Gipfel. Im Vordergrunde eine Geröllebene, durch die sich schmutzige Bäche ziehen, gelbe Weiden und Pappeln an den Ufern. Ein Emigrantenkarren stand unten am Bahndamm. Die Pferde waren ausgespannt und weideten das spärliche dürre Gras ab. An einem Feuer sass die Frau mit zwei zerlumpten Kindern und kochte, unweit davon am Rande eines Wasserlaufs sass der Mann und hielt eine Angelruthe in die trübe Flüssigkeit. Ob diese weisse Zigeunerfamilie westwärts oder ostwärts wanderte, war nicht zu entscheiden.

Noch jetzt also giebt es abenteuerliche Existenzen, die trotz der Bahn in der alten beschwerlichen, langsamen Art durch die öden Wildnisse reisen. Später einmal in der Dunkelheit passirten wir ein grösseres Lager von Emigranten mit mehreren Wachtfeuern.

Bedauerlicher Weise kam auch hier wieder die Nacht, als wir den zweiten landschaftlich genussreichen Abschnitt der Bahn, die durch Ausläufer der Rocky Mountains hergestellte Unterbrechung der ewigen Gegend, passirten. In aller Frühe des nächsten Morgens dehnte sich die monotone Ebene der Laramie Prairien vor uns, und im Laufe des Vormittags hielten wir an der Station Sherman, 8242 Feet oder 2510 Meter über dem Spiegel des Meeres. Dies ist der höchste Punkt der Bahn, von dem aus das Land gegen Osten abzudünen beginnt. Sherman war auch damals für mich der höchste Punkt, den ich je erreicht hatte.

Fast alle die elenden primitiven Stationen, durch die wir nun fuhren und an denen wir leider auch hielten, hatten hochtrabende Namen. Nur eine einzige und nicht die schlechteste hiess, wie sie eigentlich insgesammt heissen sollten, nämlich Miser. Etwa zwanzig Blockhütten sind in einer Reihe neben den Schienen aufgepflanzt. Weissgemalte Bretterfronten mit bombastischen Aufschriften in grossen Lettern und allen Farben sollen ihre wahre Natur maskiren. »City Emporium« nennt sich zum Beispiel so ein Bauwerk. Ein Stiefel hängt vorne heraus, und ein krummbeiniger schäbiger Kerl mit einer Schnapsnase und einem Pfeifenstummel steht unter der Thüre. »Drinking Saloon, Drinks 12½ Cents«, worunter aber hier zu Lande 15 Cents zu verstehen sind, da es keine einzelnen Cents und noch viel weniger halbe giebt, lautet der Titel einer anderen, die bei uns zu schlecht für eine Almhütte wäre. Biegt man um die nächste Ecke der Ortschaft, so ist man bereits in der dürrgebrannten Wüste, die auf- und ab undulirend, bis zum Horizont sich ausdehnt, und über welcher sehr wirkungsvoll schöne blaue Berghäupter mit Schneeflecken emportauchen. Hie und da sind vielleicht noch ein paar umzäunte Vierecke für Rinder, umzäunt in jener amerikanischen Art, die ganze Balken zickzackförmig in einander legt, eben so viel Zaunmaterial als Boden verschwendend.

Immer weiter und weiter geht unsere Fahrt. Aber nicht etwa mit der erwarteten rasenden Schnelligkeit des Amerikanerthums, sondern so langsam und mühselig, dass ein deutscher Bummelzug uns einholen könnte. Links und rechts hat die Gluth der Lokomotive einige Grasstoppeln angezündet. Die prasselnden Flammen schreiten jedoch nicht weit, denn es weht kein Wind, und die Stoppeln ragen einzeln und inselweise aus dem trockenen staubigen Schlammboden. Zuweilen lassen sich in der Ferne weidende Antilopen sehen, in kleine Gesellschaften von vier oder sechs Stück vereinigt. Sie nehmen keine Notiz von uns, wenn sie nicht gerade sehr nahe sind, und dann gallopiren sie eilig über die nächste Terrainwelle.

In Medicine Bow kampirte ein kleines Kommando Soldaten unter Zelten und führte offenbar ein sehr armseliges Dasein. Zwei Wachen standen auf beiden Seiten unter Gewehr, als ob der Feind in der Nähe sei. Es war eben wieder einmal Indianerkrieg in den Black Hills, und in Laramie lagerte noch mehr Militär. Auch Bäume gab es hier, sie schienen sich aber nicht wohl zu fühlen.

Endlich kam ein kleines Excitement, die Dale Creek Schlucht nämlich, über die eine äusserst verdächtige Brücke, 40 Meter hoch, 200 Meter lang und aus Holzfachwerk, führt. Der Zug bremste seinen Lauf zu der Geschwindigkeit eines Fusswanderers, dann gings behutsam und sachte auf das morsche Gestell. Die Balken krachten und stöhnten, und das ganze Gebäude, die Brückenpfeiler, das Schienengeleise und unser Zug fingen an hin und her zu wackeln, dass man sich unwillkürlich an den Sitzpolstern festhielt. Nach Mister Williams ist die Brücke »one of the Wonders on the great Transcontinental Route«, und diesmal hatte er Recht.

Bald darauf kam ein einsames Haus in der baumlosen Ebene, welches unter den Passagieren ebenso viel Aufregung verursachte, wie auf hoher See ein Schiff in Sicht. Alle drängten sich an die Fenster um es zu sehen. Interessant wären mir die unglückseligen Geschöpfe gewesen, die es bewohnten und von denen keine Spur zu entdecken war.

Sehr oft unterbrechen Schneegallerien das Tageslicht. Man fährt dann eine Viertelstunde im Dunkeln und sieht weiter nichts als die dünnen Striche Sonnenschein, die durch die Spalten zwischen den Brettern vorbeiblitzen, was übrigens ungefähr eben so amüsant ist als der Anblick der unverhüllten Landschaft. Merkwürdig war mir, dass diese Schneegallerien fast mitten in der Ebene die Eisenbahn überdeckten, an Stellen, die nur ganz unbedeutende Einsenkungen zeigten. Wir hatten auch manchmal weite Umwege um solche flache Mulden zu machen. Allerdings mag der nivellirende Sturmwind, der im Winter über die Steppen braust, gerade in diesen scheinbar so geringen Vertiefungen genug Schnee zusammenfegen, und die Reste vertrockneter Bäche, die sich wie Muren durch sie hinziehen, deuten auf mächtige Wassermengen.

Auf der Station Sidney im Staate Nebraska, von welcher aus der nächste Weg zu den gerade nördlich gelegenen Black Hills abgeht, und zu der wir am zweiten Abend gelangten, trieben sich viele Indianer herum. Es waren regierungsfreundliche Rothhäute unter weissen Offizieren, lauter jugendlich kräftige Gestalten mit scharfgeschnittenen Zügen. Man hatte ihnen eine Art Uniform und Waffen gegeben, die ihnen viel Freude zu machen schienen, indem sie stolz und grimmig mit dem Säbel rasselten, den Revolver im Gürtel. Die meisten trugen grosse Ringe in den Ohren. Einer hatte schwarz und weisse Federn daran befestigt, einem anderen baumelte eine Schnur mit einem Hasenschwänzchen auf der Schulter herum. Ihre Gesichter waren nicht bemalt wie die der übrigen Indianer die ich gesehen. Wachtfeuer brannten neben dem Stationsgebäude, zu denen die wilde Soldateska eine überaus genussreiche malerische Staffage lieferte.

Am Mittag des 9. Oktober mussten wir nach Omaha kommen. Als ich mich Morgens von meinem Lager erhob, war noch nichts von der Annäherung an das Bereich der Kultur zu merken. Immer noch dieselbe trostlose Ebene. Kein Baum oder höchstens ein paar verkrüppelte. Ueberall kurzes, gelbgedörrtes, mit Staub überzogenes Büffelgras, welches indess auch unsere europäischen Rinder gern fressen sollen, wie mir mein Nachbar sagte.

Wenige Stationen vor Omaha begegneten wir einem westwärts fahrenden Zug, aus dessen Fenstern eine Menge Indianergesichter uns anstarrten.

Farmen und Getreidefelder treten auf. Etwas wie Waldesduft dringt in die Nase, die drei Tage lang nichts als Staub zu kosten bekommen hat. Laubbäume und Gebüsch in Menge, ein wirklicher kleiner Wald, und wir sind in Omaha.

Omaha ist jetzt eine Stadt von vielleicht 25 000 Einwohnern und für den europäischen Reisenden hauptsächlich dadurch interessant, dass es der Endpunkt der Union Pacific ist, dass man hier Züge wechselt, und dass hier das Gepäck mit einer beispiellosen Rohheit umgeladen und »recheckt« wird. Dies geschieht drüben am anderen Ufer des schmutziggelben Missouri, über den eine lange eiserne Brücke führt, in Council Bluffs, welches eine Vorstadt von Omaha darstellt, obwohl es bereits zu Iowa gehört. Der Missouri trennt diesen Staat von Nebraska.

Mit Stolz sah ich, wie mein deutscher Koffer, dem ich nicht mehr viel zutraute, die schwere Probe, ohne Umstände kurz aus dem Wagen auf die steinerne Platform herabgeworfen zu werden, ruhmvoll bestand, während einige amerikanische Kollegen erlagen und platzend ihren Inhalt dem Hohngelächter der fröhlichen Packknechte preisgaben.

In Council Bluffs spaltet sich die Pacific Bahn in drei Zweige. Drei Züge stehen neben einander bereit, um nach Uebernahme der Passagiere sofort gleichzeitig in verschiedenen Richtungen abzudampfen. Ich bestieg den mittleren, der über Rock Island nach Chicago ging. Die Gegend wurde nun hübscher als je, und ich war auch jetzt nach der dreitägigen ästhetischen Hungerkur für landschaftliche Anmuth viel empfänglicher denn je. Niedrige Wälder mit jungen Eichen die daraus hervorragen, wie man sie in Frankreich so oft sieht, wechselten mit Farmen, Obstgärten und abgeheimsten Getreidefeldern, auf denen rothe Kürbisse in der Sonnenhitze zeitigten. Alles sehr hausbacken und gewöhnlich, lange nicht so schön wie unsere deutschen Forste und unsere deutschen Fluren, aber die Wirkung des Kontrastes machte bescheiden und dankbar. Die Policemen auf den Stationen hatten jetzt wieder Uniformen, nicht mehr blos einen metallenen Stern auf der Brust wie westlich von Omaha.

Zwischen Davenport auf dem einen und Rock Island auf dem anderen Ufer wälzt sich der Mississippi dem Süden zu, ebenso schmutzig gelb wie sein Bruder Missouri und landschaftlich eben so reizlos wie dieser. Auf einer eisernen Brücke überschreiten wir ihn und betreten den Staat Illinois.

Bis Omaha waren nur wenige Passagiere im Zuge gewesen, und wir hatten uns dabei recht wohl befunden. Jetzt wurde es aber ungemüthlich. Wir fuhren »Express« und hielten trotzdem auf allen Stationen, die Wagen füllten sich immer mehr mit Menschen, die kamen und gingen. Ich hatte unglücklicherweise mein Bett und damit auch die Berechtigung zum Gebrauch des vollständig besetzten Saloon Cars einer Dame abtreten müssen und war somit gezwungen, die Nacht auf einem gewöhnlichen Sitz unter dem gewöhnlichen Eisenbahnpöbel zuzubringen, da es von nun an nur mehr Eine Klasse gab.

Ich bin niemals mit einer widerlicheren Menschensorte in Berührung gekommen als in jenen vierundzwanzig Stunden, in denen ich das nördliche Illinois durchkreuzte. Der ungebildete Durchschnittsamerikaner ist bekanntlich ein geborener Lümmel und rücksichtslos gegen Andere aus Grundsatz. Er hat eine gewisse Vorliebe, Anderen auf die Füsse zu treten, Andere zu rempeln und sich gerade dahin zu setzen, wohin ein Anderer eben seinen Hut gelegt hat. Lässt man irgend einen Gegenstand zu Boden fallen, gleich hat er seine Stiefel darauf und mit einer staunenswerthen Flinkheit hat er ihn vollgespuckt. Von all diesen Liebenswürdigkeiten erfuhr ich reichliche Proben, und ich müsste eben so ekelhaft werden wie jener Theil des souveränen Volkes von Illinois, in dessen Mitte ich jene vierundzwanzig Stunden zuzubringen hatte, wollte ich zu schildern versuchen, was man in solcher Gesellschaft von der nationalen Leidenschaft des Spuckens allein erleben kann.

Die demokratische Gleichberechtigung Aller ist gewiss ein sehr schöner Gedanke. Wenn nur nicht die Geruchswerkzeuge und andere Empfindungsorgane so oft gegen die Praxis desselben protestirten. Auch der amerikanische Frauenkultus ist zweifellos eine schöne Sache. Wenn nur nicht hier zu Lande jede feiertäglich geputzte Stallmagd, die auf zehn Schritt nach ihrem nützlichen Berufe duftet, eine Lady zu sein und ladyhafte Ansprüche machen zu müssen glaubte. Ich sehnte mich lebhaft nach unserem europäischen, sonst so verwerflichen Kupeesystem, bei dem man doch wenigstens nur mit sieben unangenehmen Subjekten zusammengesperrt werden kann.

An manchen Städten und Städtchen gings vorüber, von denen noch nichts in der Geographie steht, die aber doch schon viele tausend Einwohner haben, und in denen ein emsiges Leben von qualmenden Fabriken, von dampfenden Maschinen, von Kanälen, Strassen und Brücken voller Verkehr pulsirt. Bremen (sprich »Brümmin«) hiess eine Station und erinnerte durch die flache, monoton grüne Weidelandschaft und einige Windmühlen an ihre Pathe, das deutsche Bremen. Eine andere hiess Joliet. Der Schaffner rief »Eioleiet«, was jedoch für ein unkundiges Ohr auch »How do you like it« klingen konnte. Joliet ist, wie schon der Name sagt, eine Ansiedlung französischer Abkunft.

 

Mein ursprünglicher Plan war gewesen, einen oder zwei Tage in Chicago zu bleiben. Ich gab ihn auf, um die lästige Reise so bald als möglich hinter mir zu haben, und fuhr gleich wieder weg. Nur den Niagara durfte ich mir nicht schenken. Ich war wahrscheinlich zum ersten und letzten mal in seiner Nähe.

Ich sah somit von Chicago nur einige Aussenstrassen, durch welche die Lokomotive langsam mit der Glocke bimmelte, und einige Masten und Getreideelevatoren, welche das süsse Meer des Lake Michigan repräsentirten.

Zwischen Chicago und Buffalo in den Staaten Indiana und Ohio bevölkerte ein weit besseres, anständigeres Publikum unseren Zug als im Staate Illinois. Es war viel die Rede von der bevorstehenden Präsidentenwahl, und von allen Seiten ertönten die Schlagworte Tilden und Hayes. Eine mir neue Art von Unterhaltung wurde veranstaltet. Man wettete auf die Chancen der beiden Gegenkandidaten unter den Passagieren, vertheilte Stimmzettel und hielt eine Probewahl. Die Republikaner siegten mit einer sehr geringen Majorität. Grosse Begeisterung und nicht endenwollende Cheers auf Hayes brausten durch sämmtliche Wagen des Zuges, bis wir in Cleveland angekommen waren, wo die Meisten ausstiegen.

Schon gestern, als ich noch in Illinois war, hatte ich viel von Wahlen, von Tilden und Hayes gehört. Und da ich noch nicht wusste, um was es sich handelte, frug ich meinen Nachbarn, einen alten stupid aussehenden Farmer. »Ach, die wollen den Governor von Illinois wählen« war die Antwort. Auch er hatte noch keine Ahnung von der Präsidentenwahl.

Wir fuhren das ganze südliche Ufer des Erie-Sees entlang, manchmal so dicht an seinem Rande, dass wir die Brandung hörten und den aufspritzenden Schaum der sich brechenden Wellen sahen. Einige weissglänzende Segel glitten über die grüne Fläche im Strahle der Morgensonne dahin. Das Land war eben und brach am Ufer mit horizontalen Schichtungsflächen, die an den Solenhofener Schiefer erinnerten, senkrecht hinab. Eichenwälder und Obstgärten wechselten mit Feldern von türkischem Korn, dessen Fruchtähren bereits abgeschnitten waren, und zwischen dem rothe Kürbisse lagen, aus welchen man einen beliebten Kuchen, den Pumpkin Pie, fertigt. Farmen, zierliche Landhäuser und zierliche Dörfchen, alle aus Holz, waren hineingestreut.

Von Buffalo im Staate New York bog ich, wie gesagt, nach Niagara ab. In zwei Stunden war ich am Ziele dieser Seitenexkursion, stieg aus und begab mich sofort nach dem Wasserfall.

Kaum hat man den Bahnhof verlassen und befindet sich in der Stadt, so schlägt der brausende Donner der grossen Sehenswürdigkeit ans Ohr. Dieses Naturwunder beherrscht hier Alles. Ihm verdankt die Stadt Niagara ihre Entstehung und ihre Existenz. Es giebt hier keine Industrie, die sich nicht auf den Wasserfall und den Fremdenverkehr bezöge. Und Tag und Nacht bekundet er weithin tosend seine Nähe.

Am anderen Ende einer breiten fast nur aus Hotels und Kaufläden mit allerhand Souvenirschnickschnack zusammengesetzten und merkwürdig todten Strasse ist der Eingang zu ihm und kostet einen Vierteldollar. Auf einer Säule davor steht ein steinerner amerikanischer Soldat, aus Anlass irgend einer gloriosen Begebenheit verurtheilt, seine traurige Gestalt den Augen aller Vorüberwandelnden preiszugeben. »Prospect Park« heisst der umzäunte, von Restaurationen und Photographenbuden bevölkerte Hain, den man zunächst betritt, und von dessen felsigem Rande aus man den ersten Anblick des gewaltigen sich in eine fünfzig Meter tiefe Schlucht stürzenden Stromes geniesst.

Es ist überwältigend, berückend, in die kolossalen Massen zu schauen, die rastlos ohne Ende sich heranwälzen und in ihrer ganzen mächtigen Dicke von mindestens sechs Meter mit weiter Wölbung in den Abgrund sich hinunterbeugen. Auf halbe Höhe prallt diesem Wassergewölbe von unten herauf der glänzende Gischt entgegen, zu phantastischen, ewig wechselnden, ewig kämpfenden Formen geballt. Man fühlt sich unwillkürlich versucht, Kaulbachs Hunnenschlacht in sie hineinzumalen. Das Grossartige des Phänomens spottet jeglicher Beschreibung.

Ein thurmartiger Vorbau nähert sich so sehr dem Bug des Stromes, dass wir ihn mit der Hand zu greifen wähnen. Feiner Staubregen wirbelt ins Gesicht, brüllender Donner erfüllt die Luft und macht die eigene Stimme unhörbar. Wir können uns den Scherz erlauben, so laut als möglich zu schreien – der Nebenstehende merkt nichts davon.

Die Umgebung des durch eine Insel in zwei grössere Abtheilungen geschiedenen Falles ist flach, und ihr ruhiger hausbackener Charakter lässt eine so schroffe Unterbrechung im Lauf des Niagara gänzlich unmotivirt. Erst eine Viertelstunde oberhalb beginnt der bisher gesetzt und würdevoll durch die Ebene fliessende Strom zu schäumen und zu rumoren und über Felsblöcke zu hüpfen, und verräth dadurch seine wilden Absichten. Die plötzlich und unvermittelt sich aufthuende Schlucht ist sein Werk, seit Jahrtausenden nagt er langsam und stetig an dem harten Gestein, und der Fall schreitet nach rückwärts fort. Dieses Rückwärtsschreiten soll im Jahre etwa ein drittel Meter betragen, so dass er in 70 000 Jahren den Erie See erreichen und tiefer legen wird.

Die Wände der Schlucht sind nahezu senkrecht. Durch einen geneigten Schacht stellen zwei auf- und nieder steigende Wagen die Verbindung zwischen oben und unten her, und mit überraschender Schnelligkeit schweben in ihnen die ängstlich sich festhaltenden Passagiere hinab. Für diejenigen, die sich den Fall auch von hinten betrachten wollen, sind unten Führer und wasserdichte Anzüge bereit.

Wir vertauschen in einer Hütte die ganze Bekleidung gegen Wachstuchhose und Wachstuchjacke, ziehen ein paar plumpe Gummistiefel an und stülpen einen Südwester aufs Haupt. Dann klettern wir in dieser ungeschlachten Vermummung, angestaunt von Ladies und Kindern und belächelt von ähnlich uniformirten Gestalten, die zurückkommend uns begegnen, über schlüpfrige Felsen und über schlüpfrige Stege, um das Opfer eines niederträchtigen Humbugs zu werden.

Dichter und heftiger wird der Regen, Windstösse pfeifen von allen Seiten, die Wasser brüllen und donnern, unter den Füssen zittert die Erde. Wir vermögen nichts mehr zu sehen, hundert stechende Tropfen peitschen Gesicht und Hände wie bei einem Orkan auf See, nur dass das Wasser nicht salzig schmeckt. Wir tasten uns blindlings am schwanken Geländer und am Arme des Führers vorwärts auf einem schmalen Brett in unbekannte Regionen hinein, um uns die tobenden Elemente. Wir sehnen uns nach dem Moment, die Augen öffnen zu dürfen, aber vergebens. Das Duschbad wird immer wüthender, und der Führer kehrt um und zieht uns mit sich. Gehorsam und schweigend folgen wir ihm, denn zu sprechen hat keinen Sinn.

In die Hütte zurückgelangt, wo man sich endlich wieder hören kann, erklärt er, dass wir den Fall nun auch von hinten gesehen hätten, verlangt für den Anzug einen halben Dollar und für seine Bemühung ein Trinkgeld nach Belieben, und reicht uns Handtücher dar, das genossene Vergnügen von unserem Körper zu trocknen. Nun begreifen wir, warum die Begegnenden so eigenthümlich gelächelt, und lächeln nun selbst über neue Opfer.