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Reise durch den Stillen Ozean

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XXV
VON SAN FRANCISCO NACH SALT LAKE CITY

Auf der Pacific Bahn. Die Sierra Nevada. Ein phänomenales landschaftliches Scheusal und ein überschwengliches Guidebook. Indianer. Die Mormonenstadt, das Tabernakel und das Mormonenthum. Eine Versammlung der Heiligen des jüngsten Tages. Ausflug nach Lake Point und Bad in dem grossen Salzsee. Camp Douglas.

Die Pacific Bahn beginnt nicht in San Francisco selbst, sondern drüben auf der andern Seite der Bai in Oakland. Man kauft sich das aus mehreren Abschnitten bestehende Ticket nach New York in einer der zahlreichen Agenturen San Franciscos, wobei man sich in acht zu nehmen hat, dass man nicht betrogen werde, indem die Fahrpreise einem gewissen Kurs unterliegen, und schifft sich Morgens um sieben auf der Oakland Ferry ein. Die Expresszüge nach Osten gingen damals täglich um halb acht Uhr von Oakland ab.

Der westliche Anfang dieser riesigen Pacific Bahn ist sehr bescheiden, ganz anders als bei uns, wo prachtliebende Verwaltungsräthe zum Schaden der nun jammernden Aktionäre die Endpunkte verhältnissmässig geringfügiger Bahnstrecken mit Marmorpalästen bezeichnen zu müssen glaubten. Der Amerikaner will eben nur, dass das Ding seinen Zweck erfülle, und frägt nicht wie es aussieht.

Ein Viadukt, fast eine Meile lang, aus Balkenwerk und mit doppeltem Schienengeleise, kommt von Oakland her über den Schlick des Ufers der Dampffähre entgegen. Wir steigen aus, schleppen uns hastig mit dem Handgepäck durch das Gewühl ebenfalls hastiger Mitpassagiere und Sleepingcars offerirender Neger, steigen in irgend einen Wagen des hinter russigen Kohlenschuppen fertig dastehenden Zuges und befinden uns auf dem berühmten, in allen Zungen der Erde als achtes Wunder gepriesenen Eisengürtel. Nach wenigen Minuten setzt sich der Zug in Bewegung. Kein Trompetchen, kein Pfeifchen, kein Fähnchen oder sonst ein Firlefanzchen, womit auf dem europäischen Kontinent dieser Akt gefeiert zu werden pflegt. Nicht einmal die Dampfpfeife entsetzt unsere unwagnerischen Ohren. Ein Ruck und wir fahren, und nur die Glocke auf der amerikanisch kolossalen und farbenreichen Lokomotive warnt, so lange es durch belebtere Gebiete geht, in langsamen Schwingungen begegnende Fuhrwerke.

Ueber den Viadukt und durch die Strassen von Oakland bimmelten wir so dahin. Dann gings schnelleren Tempos ins Freie und erwartungsvoll spähte ich aus dem Fenster nach den landschaftlichen Schönheiten, mit denen mir Kalifornien, ich weiss nicht auf Grund welcher gelesenen Schilderungen, ausgestattet sein zu müssen däuchte. Aber sie kamen nicht. War die Schlickzone, in der sich ein schmutziges Gesindel von Taschenkrebsen mit derselben Behaglichkeit wie an den vaterländischen Ufern des Jadebusens herumtrieb, überwunden, so erschien zunächst eine weite Alluvialebene mit zerstreuten Melonen- und Tomatofeldern, und in schmalen Wasserzungen, welche die Bai tief ins Land hineinstreckt, waren Fischer beschäftigt, künstlich angepflanzte Austern mittels eiserner Rechen einzuheimsen. Bald hatten wir diese letzten Vorposten des mir theueren Pacific Ocean hinter uns, man sah kein Wasser mehr, sondern nur dürre, staubige Stoppelfelder und hie und da eine Gruppe dürftiger, graugepuderter, laubarmer Bäume.

Bis nach Sacramento gab es im Zuge mehr Gesellschaft als angenehm war. Den Rauchwagen, der in Amerika zugleich als Sammelplatz des Lumpengesindels dient, beherrschten die Chinesen, von denen einige stillvergnügt lächelnd in chinesischen Unterhaltungsbüchern lasen, während die Mehrzahl blos rauchte und spuckte und klatschte und stank, die weissen Gentlemen reckten die Beine kreuz und quer nach allen vier Himmelsrichtungen in die Höhe, so dass man von den meisten nur die Stiefelsohlen sah, und im Drawing Room Car, der sich Nachts in den Sleeping Car verwandeln sollte, hatten Ladies und Kinder jeden Sitz in Beschlag genommen.

Ein Tunnel, ein paar schmutzige Flüsse, kahle Hügel, neublinkende Städtchen, chinesische Bahnarbeiter mit pilzförmigen Strohhüten, eine ungeahnte Menge von Staub und Dürre glitten vorüber. Die Sonne ging unter, der Vollmond ging auf, Tausende von Zikaden zirpten, so oft wir an einer der vielen kleinen Stationen hielten. Die Berge wurden nun höher, und wir fuhren in die Sierra Nevada hinein. Am nächsten Morgen war sie überwunden, die »Plains« lagen vor uns.

Man kann sich nichts Trostloseres denken, als diese Gegenden des äussersten nordamerikanischen Westens. Hat man das Unglück wie ich, sie von San Francisco aus und ohne Aufenthalt zu durchkreuzen, so passirt man die einzige höchstens zwölf Fahrstunden lange Naturschönheit, die Sierra Nevada, bei Nacht. Und auch bei Tag ist von der Sierra Nevada wohl nur wenig zu sehen. Denn fast ununterbrochen laufen die Schienenstränge unter Schneedächern hin, die bis auf die horizontalen Spalten zwischen den Brettern der Seitenwände nichts von einer Aussicht wahrnehmen lassen. Die Welt ist hier buchstäblich rechts und links mit Brettern vernagelt. Kommt dann endlich einmal eine Lücke, und freut sich das Auge der kühnen, spärliche Fichtenbestände tragenden Felsgründe und zackigen Berge, die wie ein Zauberbild plötzlich sich aufthun – eine halbe Minute, und wieder schiessen die öden, dunklen Bretterwände dicht vor dem Fenster vorüber.

Hat man auf solche Weise die Sierra Nevada genossen, so gelangt man in die gemeinste, niederträchtigste Landschaft der Erde, von deren Erbärmlichkeit keiner sich einen Begriff bilden kann, der nur die anmuthigen Gefilde des schönen Europa kennt.

Eine schmutzig gewordene Kalkgrube, vertrocknet, in lauter kleine Inselchen zerklüftet, bürstenartig besetzt mit dürren, verstaubten Artemisiabüscheln, bis ins Unendliche ausgedehnt – dies ist ungefähr der Boden, über den man zweimal vierundzwanzig Stunden im Tempo eines deutschen Bummelzuges, obgleich man »Express« fährt, sich durchquälen muss. Die kleinste Maus ist auf hundert Schritte bemerkbar, indem sie ein Staubsäulchen emporwirbelt. Staub, fressender alkalinischer Staub, dringt wolkenweise durch alle Oeffnungen in den Wagen, äzt Augen, Lippen und Nase wund, macht die Haut des Gesichts und der Hände spröde und rissig und erzeugt ein Gefühl, als ob man ersticken sollte. Man hat nicht einmal die Erleichterung des Schwitzens. Die durstige Atmosphäre lässt keine tropfbare Flüssigkeit aufkommen. Alles ist heiss und trocken.

Immer und immer frägt man sich wieder: »Wie ist es möglich, dass über dieses phänomenale landschaftliche Scheusal so wenig bei uns bekannt ist, ja dass vielfach gerade die günstigsten Vorstellungen über die Szenerien herrschen, durch welche die Pacific Eisenbahn führt?« Die Antwort darauf und zugleich eine Quelle unerschöpflicher Heiterkeit erhält man, wenn man sich von dem fliegenden Zeitungshändler, der den Zug begleitet, um zwei Dollars »Williams Pacific Tourist« kauft.

Das Buch ist eine echt amerikanische Lektüre. Es nennt sich selbst »the handsomest Guidebook in the World«, »the most beautiful Book of Western Scenery ever issued«, »the most complete, accurate and reliable Transcontinental Guide ever known«, »officially endorsed by the Pacific Rail Road Companies«. Den ersteren Qualitäten liegen etwa dreihundert Seiten Text, mit der unübertroffenen Sauberkeit amerikanischer Typographie gedruckt, und sehr viele theils mittelmässige, theils schlechte Holzschnitte zu Grund. Letztere Eigenschaft ist die beachtenswertheste. Wir haben es mit einem offiziellen Rhapsoden zu thun, der seine Inspirationen auf richtige Yankeeart aus der Kasse der Pacific Rail Road Companies bezogen hat. Mister Williams hat, wie er selbst in der Vorrede sagt, zum Zweck seines Buches neun Monate hier herumgereist, er hat vier grosse »Editorial Parties representing over 150 Journals and a total Circulation of over 3 000 000« zu den »Wonders of the West« geführt und ist in Folge dessen in der Stimmung, die Gegend, die uns scheusslich vorkommt, als »wonderful« und »overwhelming« zu preisen. Wenn die Leistungen der Pacific Rail Road Companies nur halbwegs proportional waren den Leistungen des Mister Williams, so muss dieser Edle schweres Geld gekostet haben.

Es ist bezeichnend für die Gegend, dass fast jeder zerbröckelte, röthlich verwitterte, gemeine Felsblock, der aus der unendlichen Kalkgrube über Mannshöhe herausragt, einen hochtrabenden Namen besitzt. So ein Felsblock hat meist eine gewisse Aehnlichkeit mit alten Ziegelmauern bei uns, die eben abgebrochen werden, ist gewöhnlich sehr unschön geformt, mit Einem Worte gemein. Mister Williams aber vermag das alles bezaubernd, entzückend, überwältigend zu finden und vor jedem derartigen Gebilde wollüstig die Augen zu verdrehen und ein halbes Dutzend frohlockender Bocksprünge zu machen.

Was müssen die armen Emigranten hier ausgestanden haben, als es noch keine Pacific Eisenbahn gab, als sie noch Monate und Monate lang mit Pferden und Karren sich über die endlose Alkaliwüste zu schleppen hatten. Wie viel Jammer und Elend mag hier gelitten, wie viel sehnsüchtige Seufzer mögen hier dem fernen Kalifornien entgegengeschickt worden sein. Und waren sie endlich am Ziel ihrer Qualen, wie oft wurde bitterste Enttäuschung ihr Lohn. Denn auch Kalifornien ist durchaus nicht das Land, wo überall Milch und Honig fliesst. Ein Dritttheil des Staates ist Wüste, und alle die ekstatischen Schilderungen seiner Schönheit und Fruchtbarkeit sind Uebertreibung und von den Pacific Rail Road Companies bezahlter, berechneter und bewusster Schwindel. Aber der Schwindel hat sich rentirt und zwar auf doppelte Weise. Denn es fahren jährlich auf dieser theuren Bahn nicht blos Tausende hoffnungsvoll von Osten nach Westen hinüber, sondern auch Tausende um Vieles ärmer und fluchend wieder zurück.

Der ganze tägliche Verkehr beschränkt sich auf vier Züge, je einen Express- und je einen Emigrantenzug ostwärts und westwärts. Erstere brauchen zwischen New York und San Francisco genau sieben Tage und sieben Nächte, letztere zwei bis drei Wochen. Auch der Expresszug hält auf allen Stationen, oft länger als begreiflich, und seine Schnelligkeit bleibt hinter dem bei uns mit diesem Ausdruck verknüpften Begriff der Eile weit zurück.

 

Von den Stationen sieht eine so ziemlich aus wie die andere. Täglich drei sind dadurch hervorragend, dass man eine halbe Stunde Zeit hat, die üblichen drei Mahlzeiten zu nehmen. Noch während wir in eine solche Breakfast- oder Dinner- oder Supper-Station einfahren, tönt uns von der Restauration eine Glocke oder ein Gong die Aufforderung zum Besuch in die Ohren. Sind zwei oder drei Konkurrenten vorhanden, so sucht jeder den anderen durch Lärm zu überbieten. Oft erfreut das Auge an solchen Oasen ein plätschernder Springbrunnen, der jedoch nur so lange spielt als der Zug hält, und etliche dünn belaubte Bäumchen, die sich bemühen einen grünenden Garten zu heucheln. Ein grosses Wasserreservoir hoch auf Pfählen errichtet, daneben ein kolossales blauweissrothes Windmühlenrad, welches zuweilen knarrend sich in Bewegung setzt um zu pumpen, ein Dutzend hölzerner Schuppen und drei oder vier Erdhütten von chinesischen Arbeitern bewohnt, ein Pferch zum Verladen von Rindvieh, gleich hinter der nächsten Ecke und überall ringsum die öde Steppe – dies ungefähr ist das Bild von all den kleinen Ansiedelungen, die sich bald Humboldt, Bismarck oder Sherman, bald Winnemuka oder Paiute nennen. Weissgekleidete Chinesen sind die Wärter der Tafel, an der Thür steht der Wirth und lässt sich beim Hinausgehen von den Gästen je einen Dollarzettel in die Hand drücken. Denn seit wir den Staat Nevada betraten, sind wir der kalifornischen Silber- und Goldwährung entrückt und wieder im Gebiete der Greenbacks. Auffallend häufig findet man hier in den Restaurationen als Zeugen des Mineralreichthums der Gegend schöne Sammlungen von Kupfer-, Silber-, Zinn-, Antimon- und Bleierzen hinter Glaskästen ausgestellt.

Etwas ganz Unschätzbares sind die Waschzimmer auf allen Stationen und zwar geräumige, reinliche Waschzimmer mit grossen Waschschüsseln und einem Ueberfluss von Wasser, der nichts zu wünschen lässt. Neben jedem Becken liegt ein Stück vortrefflicher Seife, und ausgiebige, bettlakengrosse Handtücher auf Rollen hängen an den Wänden. Wer die Kosten dieses höheren Kulturzustandes trägt, ob die Bahn oder der Restaurateur, weiss ich nicht, aber keinem Menschen fällt es in Amerika ein, für solche selbstverständliche Bedürfnisse Zahlung zu verlangen. Wie viel wirklich vornehmer sind doch diese elenden Wüstenstationen als unsere glänzenden Eisenbahnhöfe, die in Bezug auf gewährte Reinlichkeit mehr den Anschauungen jenes polnischen Juden entsprechen, der einmal verwundert äusserte »Es ist doch sonderbar, dass man sich hie und da die Hände wäscht aber nie die Füsse«.

In Humboldt sah ich meine ersten sechs Indianer, sechs braune, schmutzige und zerlumpte Kerls mit finsterem Gesichtsausdruck und langen straff heruntergekämmten Haaren, graue Filzhüte auf dem Kopf und rothe Decken um die Schultern. Auch zwei alte runzelige Squaws mit einigen halbnackten Kindern eilten herbei und machten sich sofort daran, die Passagiere des Zuges abzubetteln, indess die Männer keine Notiz von uns nahmen.

Von nun an fehlten diese sogenannten Rothhäute fast auf keiner Station, aber nirgends kamen mir mehr als höchstens ein Dutzend zu Gesicht. In Winnemuka waren sie schon ächter. Dort hatten die meisten ihre dunklen Wangen mit Zinnober geschminkt, und selbst ein über und über schmieriger Säugling, welchen eine Squaw in dem bekannten Holzgestell mit Dach auf dem Rücken schleppte, trug seine kleine Stumpfnase mit einem Zinnobertupfen verziert, während die Spuren seiner Ausscheidungen eine aus mehreren Schichten gebildete breite Linie über den Rock der Mutter herab gezeichnet hatten.

Ein Mann von etwa vierzig Jahren ragte gebieterisch hervor, eine stattliche stylvolle Erscheinung voll Trotz und Grimmigkeit in den scharfgeschnittenen Zügen. Gegen ihn waren alle die Anderen nur skrophulöses Gesindel. Der Kinnriemen an seinem Hute war mit Silberplättchen beschlagen, in der Hand hielt er eine Flinte.

Später, zu Battle Mountain, trat in der Bemalung eine zur Ornamentik verfeinerte Mode auf. Quer über Wangen und Nase wechselten horizontale rothe und gelbe Streifen, letztere in einem Falle sogar noch regelmässig mit rothen Punkten besetzt. So unsauber und nachlässig der sonstige Anzug war, in diesen Gesichtsmalereien herrschte die grösste Akkuratesse und Symmetrie. Gerne hätte ich die braunen Söhne der Wildniss sprechen gehört, aber sie unterbrachen niemals ihr düsteres Schweigen, wenn ich sie zu belauschen wünschte, ganz anders als die lustigen Südsee-Insulaner. Ausser zwei hübschen Mädchen in reinlicher europäischer Tracht, die mir zu Ogden begegneten, sah ich kein einziges Indianerindividuum, welches Neigung verrieth, sich mit der Zivilisation auszusöhnen.

Der dritte Morgen der Reise dämmerte mir an den Ufern des grossen Salzsees. Schon gestern Abend waren allenthalben Bergzüge aufgetreten, isolirt aus der Ebene ragend. Endlich erscheinen auch wieder Bäume, und wir fahren in die Hauptstation Ogden ein, die zweite Stadt der Mormonen, von wo sich die Bahn nach Salt Lake City abzweigt.

Mit Ogden wird die Gegend wieder einigermassen menschlich geniessbar und bleibt es auch während der zwei Stunden langsamer Fahrt bis Salt Lake City.

Es giebt zwar keine Bäume ausser künstlich gepflanzten, aber doch sind die zahlreichen Gehöfte bereits mit einem nach zweitägiger Entbehrung doppelt anmuthigen Grün umgeben. Selbst die Berge sind mit eigenthümlichem Farbenreiz geziert. Grosse Flecken von duftig rosarothem Heidekraut überziehen die Gipfel, graugrün und gelb ist der übrige Boden, ein kaltes Weiss bezeichnet die schroffen Abstürze der Felsen. Rechts dehnt sich die dunkelblaue salzige Fläche des Sees innerhalb flacher und sumpfiger Ufer. Salzinkrustationen bedecken die ausgedörrten Tümpel an seinem Rande.

Das weite, sanft zu den Höhen ansteigende Thal bevölkert sich mit einer Menge zwischen Gärten zerstreuter freundlich blickender Häuser, und wo sie am dichtesten sich zusammendrängen, taucht aus ihnen das unförmige graue Schindeldach des Tabernakels empor wie ein Elephant aus dem Gewimmel der Jahrmarktsbuden oder wie ein Walfisch aus den hüpfenden Wellen – Salt Lake City.

Hier hoffte ich ein paar Tage auszurasten. Ein Streetcar mit zwei lebhaften Maulthieren entführte mich von den lotterigen Holzschuppen des Bahnhofs in die Stadt. Aussergewöhnlich breite, rechtwinklig sich kreuzende staubige Strassen sind von schattigen Alleen eingefasst. Neben den Seitenpfaden laufen muntere Bächlein. Die Häuser sind von Gärten umgeben und von Bäumen und Buschwerk anmuthig versteckt. Erst in den zwei oder drei Geschäftsstrassen stehen die Gebäude ohne Unterbrechung neben einander.

Salt Lake City hat etwa 25 000 Einwohner und ist bald durchwandert. Main oder East Temple Street ist die Hauptgeschäftsstrasse, die ganz allgemein amerikanisch aussieht. Ein paar Hotels, Kaufläden aller Art, eine Apotheke, mehrere Bierschenken und Schnapsbuden mit hochtrabenden und buntgemalten Namen setzen sie zusammen.

Am meisten fällt eine spezifische Mormoneneigenthümlichkeit in die Augen, der sogenannte Bee Hive Store, ein grosses dreistöckiges Gebäude aus Ziegelstein mit mächtigen Glasfenstern an der Frontseite. Ueber dem Eingang glänzt ein goldenes Auge Gottes und darum herum in goldenen Lettern die Aufschrift »Holiness to the Lord. Zions Cooperative Mercantile Institution«. Treten wir unter diesem geschmacklosen Emblem der Muckerhaftigkeit ins Innere, so kommen wir in einen riesigen Bazar, in dem alle Artikel des menschlichen Bedarfs von der Dreschmaschine bis zur Nähnadel, vom Bärenpelz indianischer Zubereitung bis zur Küchenschürze, vom Oelfarbendruck bis zum Briefpapier zu haben sind. Die Grundfläche und eine dreifache Reihe von Gallerien übereinander sind mit Waaren bedeckt. In einem umgitterten Raum werden Geldgeschäfte abgemacht. Ein lebhaftes Treiben von Käufern und Verkäufern rechtfertigt einigermassen den Namen »Bienenkorb-Lager«. Das Beste von dem Institut ist, dass es auf Kosten und zum Vortheile der ganzen Gemeinde gehalten wird, dass es also einen Konsumverein grössten Massstabes darstellt. Nur Mormonen dürfen an seinen Wohlthaten partizipiren.

Hinter einem Haufen Kleiderstoffe fand ich dort einen alten Bekannten wieder. Ich war mit ihm auf demselben Schiff von Viti nach Honolulu gefahren. Er gehörte damals jener Konzertgesellschaft an, die in Honolulu von jenem Reverend mit seinem Tower von London so schmählich angeführt wurde, und spielte Trompete. Jetzt schwang er die Elle und schien, als ich ihn ansprach, etwas verlegen sich seiner Künstlerrolle entkleidet zu sehen. Ich erinnerte mich nun, dass damals viel gemunkelt wurde, unter der Konzertgesellschaft befände sich auch ein Mormone.

Die Mehrzahl der Strassen trägt einen stillen, friedlichen, ländlichen Charakter. Man begegnet nicht vielen Menschen. Ueberall Alleebäume und Obstgärten, lange Mauern und Zäune, überall murmelnde Bächlein, die geschäftig dem tiefergelegenen Jordanfluss zueilen. Salt Lake City erfreut sich eines sehr glücklichen Wasserreichthums, ohne welchen bei dem trockenen Klima keine Kultur möglich wäre. Der stets wolkenlose Himmel, die glühende Sonne, die Menge von Staub, die roth betroddelten Maulthiere vor den Streetcars erinnern an den Süden und an Mexiko. Von der Quintessenz des Mormonenthums, der Vielweiberei, ist auf den Strassen kaum eine Spur wahrzunehmen. Nicht etwa, dass da Ehemänner mit zehn Frauen und fünfzig Kindern spazieren gingen. Höchstens draussen auf dem Land sieht man zuweilen einen Bauern fahren, der zwei oder drei jüngere Weiber hinter sich sitzen hat.

Eines der merkwürdigsten Gebäude der Erde ist unzweifelhaft das Tabernakel, welches in Mitte eines eigenen Blocks liegt, umgeben von einer hohen Mauer. Ursprünglich war dieser Block bestimmt, Zentrum der Stadt zu werden. Es erging ihm aber wie dem Kapitol zu Washington. Die Stadt wuchs nicht gleichmässig ringsherum, sondern fast ausschliesslich nach Süden und Osten, und so sieht sich jetzt das Tabernakel etwas auf die Seite geschoben, wenngleich die Strassen von ihm aus gezählt werden. Das Quadrat des Tabernakelblocks und somit die ganze Stadt ist genau nach den vier Himmelsgegenden gerichtet. Die dasselbe begrenzenden Strassen heissen Ost Temple Strasse, Süd Temple Strasse, West Temple Strasse, Nord Temple Strasse. Auf diese folgen parallel und rechtwinklig Erste, zweite Ost Strasse, Erste, zweite, dritte Süd Strasse und so weiter.

Das Tabernakel selbst bedeckt ein reguläres Oval von 76 Meter Länge und 46 Meter Breite. Auf die dieses Oval bildenden verhältnissmässig niedrigen Seitenwände, welche eigentlich nur aus Flügelthüren und massiven Pfeilern bestehen, ist das kolossale und plump vorspringende Schindeldach gestülpt wie eine riesige Eischalenhälfte. Das Innere, ein einziger 24 Meter hoher Raum ohne Abtheilungen, gemahnt an einen Kunstreiterzirkus, weshalb die Gentile-Presse, welche das Mormonenthum aufs Heftigste bekämpft, den Spitznamen »The old Ladies Hippodrome« erfunden hat. Unter »the old Lady« ist Brigham Young, der grosse Prophet und Papst, gemeint. »Gentiles« heissen alle Nichtmormonen.

An dem einen Ende, wo bei uns der Altar sein würde, befindet sich eine Orgel mit gelben Pfeifen, die grösste der Vereinigten Staaten und ganz und gar von einem Mormonen gebaut, wie der uns begleitende Küster stolz betont. Davor erhoben sich staffelförmig die Sitzplätze für die Hirten der heiligen Heerde, zu oberst das gepolsterte Sopha des Präsidenten nach unten durch eine Brüstung getrennt, diesem zunächst die lange Bank der zwölf Apostel, dann jene der Bischöfe und eine Art Kanzel für den das Sakrament spendenden Priester, neben welcher vier grosse hölzerne Fässer heiligen Wassers stehen. Zu welchem Zweck dieser Artikel hier vorräthig gehalten wird, konnte ich aus dem misstrauischen Küster nicht herausbringen. Tambu!

Ein kleiner Springbrunnen, der sich in dem imponirenden Raum erbärmlich ausnimmt, mit vier schmächtigen, schlecht modellirten steinernen Löwen bezeichnet die Mitte. Von der gewölbten Decke hängen gewaltige Lüster aus Fichtenzweigen und Papierblumen und verkehrte Christbäume als geschmackvolle Zierden herab, an den Wänden eben solche Guirlanden und geschmacklose Aufschriften im Style des hier ewig wiederkehrenden »Holiness to the Lord«.

Das Tabernakel soll 12 000 Menschen fassen und durch die vielen Thüren in wenigen Minuten gefüllt und geleert werden können. Nur im Sommer wird dasselbe benützt, im Winter ist es hierzu zu kalt, und dann wird der Gottesdienst in den einzelnen Wards abgehalten.

Es traf sich glücklich, dass während meiner Anwesenheit in Salt Lake City gerade eine grössere Versammlung der Heiligen stattfand. Das ganze kolossale Haus war voll von Männern, Weibern und Kindern. An einem der Eingänge kauerten zwei Indianerinnen mit rothgemalten Gesichtern, zerlumpt und starrend von Schmutz. Auch sie gehörten zu den Mormonen.

 

Unter der Menge herrschte wenig Aufmerksamkeit auf die Worte jenes Apostels, der eben sprach. Ich sah kein einziges, scharfes, entschlossenes Gesicht vom Schlag des typischen Amerikaners, und die meisten Anwesenden hielten das Maul offen. Die Frauenzimmer waren hässlich, und die orthodoxe, fromme Scheulederhaube, die viele aufhatten, trug nichts dazu bei, sie zu verschönern. Kindergeschrei und der Lärm beständigen Kommens und Gehens trieb mich nach vorn, damit ich von den Reden etwas hören konnte.

Auch unter den Aposteln schienen die dummen Gesichter, denen gegenüber drei oder vier Gaunerphysiognomieen eine Art Intelligenz vertraten, zu prädominiren. Mehrere sprachen nacheinander, wobei wenig Geist und viel Gefasel zum Vorschein kam.

Der ewige Refrain war, dass die Mormonen besser seien als alle anderen Menschen. »Wo beginnt das Reich Gottes? Bei den Vätern und Müttern. Lasst die Väter reinen Herzens sein und lasst die Mütter reinen Herzens sein, und auch die Kinder und die ganze Familie werden reinen Herzens sein. Auch Abraham, Isak und Jakob waren reinen Herzens. Denn sie sind die Gründer des Reiches Gottes, und wir sind die Heiligen des letzten Tages, und weil wir die Heiligen des letzten Tages sind, sind wir reinen Herzens. Hier stehen wir vor dem Volk, hier stehen wir vor der ganzen Welt. Aber wir sind reinen Herzens und gehören zum Reiche Gottes«. Solches redete wörtlich in der grössten Gemüthsruhe ein alter Kerl mit einem abgefeimten Galgengesicht. Er sah gescheidter aus als seine Predigt. Für das stupide Gesindel vor ihm mochte sie allerdings gut genug sein, er hielt es offenbar nicht der Mühe werth sich anzustrengen.

Nach ihm stand ein Apostel von der nicht verschmitzten Sorte auf und sprach ungefähr ganz dasselbe, als ob er zeigen wollte, dass er gut aufgepasst habe. Vielleicht auch ist es wahr, was mir ein Gentile anvertraute, dass die Apostel insgesammt nur etwa ein Dutzend Reden im Vorrath haben, mit dem sie Jahr aus Jahr ein ihre geduldige Heerde erbauten. Alle diese Figuren von Krämern und Schlächtern, jedes idealen Zuges baar, die sich da als Gesalbte des Herrn geberdeten und von der Kanzel herab mit auswendig gelernten Phrasen herumwarfen, widerten mich aufs Intensivste an. Welches Mass menschlicher Dummheit setzte die Möglichkeit einer solchen Machtentfaltung solcher Apostel voraus.

Brigham Young sass in seinem Sopha so tief hinabgerutscht, dass nur der oberste Theil seines greisen Hauptes über der Brüstung sichtbar war. Er las eine Zeitung und kümmerte sich nicht um den Unsinn, den unter ihm die Anderen schwatzten.

Endlich richtete er sich etwas auf, als sein Sohn zu ihm trat und neben ihm Platz nahm. Die angelegentliche Konversation, die sich nun zwischen beiden entspann, gab mir Gelegenheit, den alten berühmten Propheten eingehender zu betrachten. Er trug eine dunkle Brille und sah bereits sehr gebrochen und altersschwach aus.11 Sein unförmig dicker Hals schien kaum mehr die Kraft zu haben, den grossen kahlen Kopf, welchen ein amerikanischer Kehlbart halb umrahmte, zu tragen. Ich konnte nichts Imponirendes oder Ehrwürdiges an ihm entdecken. In seinem Blick lag etwas Giftiges, Boshaftes, und sein Gesammteindruck war mir der eines ganz ordinären, von Gewissensbissen geplagten Wucherers am Rande des Grabes, der niemals in seinem Leben edlerer Gedanken fähig gewesen.

Eine Pause entstand unter den Predigten. Keiner der Heiligen schien sich inspirirt zu fühlen. Da stupfte Brigham Young seinen Sohn an, worauf dieser das Wort ergriff, indem er sich ungeschlacht mit dem Ellbogen auf die Brüstung lümmelte. Auch Young junior hat bereits eine Glatze und mag hoch in den Vierzigen stehen. Er trug einen gewöhnlichen grauen Rock, und auch seine Züge waren gewöhnlich. Die kurze Rede jedoch, die er hielt, hatte allein unter allen, die ich gehört, etwas Feuer und Geist.

Als er zu Ende war, intonirte die Orgel eine Melodie, und ein Chor von Sängern und Sängerinnen hinter dem Prophetensopha sang mit guten und kräftigen Stimmen einen Choral, der mir sehr wohlklingend vorkam, nachdem ich schon lange nichts derartiges mehr gehört hatte. Hierauf ging die ganze Versammlung durch die gleichzeitig geöffneten Thüren nach sämmtlichen Himmelsrichtungen auseinander.

Das Mormonenthum ist wohl jene Konfession, die an Abgeschmacktheit, Verschrobenheit und Lüge alle anderen derartigen Erzeugnisse der so Bedeutendes leistenden anglo-amerikanischen Sektirerei übertrifft. Die Abgeschmacktheit beginnt schon mit der Persönlichkeit des Gründers Joseph Smith, aus dessen Kopf das ganze abstruse Zeug entsprang. Sein Bild ist in jedem Laden von Salt Lake City zu sehen. Man denke sich eine moderne Kellnerfigur mit glattrasirtem Gesicht und ängstlich glattfrisirten Haaren, mit hoher Halsbinde und langem Biedermeierfrack, die sich als Religionsstifter neben Moses, Christus, Mohamed stellt, die plötzlich mit ehernen von Gott mitgetheilten Gesetzestafeln auftritt, nächtliche Besuche von Engeln zu empfangen behauptet und ein neues Evangelium, »the Book of Mormon«, schreibt, in welchem die Sprache des alten Testamentes plump und ungeschickt nachgeahmt wird. Wer sich von der äussersten Widerlichkeit überzeugen will, bis zu der menschlicher Wahnwitz sich verirren kann, der lese einige Seiten aus dieser »Mormon Bible«.

Und das Machwerk einer solchen Karrikatur konnte nicht blos begeisterte Anhänger gewinnen, sondern auch Dinge vollbringen, die in der Kulturgeschichte eine achtenswerthe Rolle spielen. Tausende schaarten sich um den neuen Propheten, trotzten allen Anfeindungen und zogen tausende von Meilen durch die Wüste, um als neues Israel ein neues Jerusalem »Das Reich der Heiligen des jüngsten Tages« zu gründen.

Jetzt freilich ist es vorüber mit der Macht des Mormonenthums, und der grosse sechsthürmige Tempel, den Brigham Young zu bauen geplant hat, wird bis auf die bereits fertigen Mauern und das öde und verlassen gegen Himmel starrende Gerüst unvollendet bleiben. Die Pacific Eisenbahn hat dem Reich der Heiligen den Todesstoss gegeben. Immer mehr Gentiles kommen nach Salt Lake City, und immer mehr muss sich die auserwählte Heerde vor ihnen zurückziehen. Innere Zwistigkeiten nagen an ihrer Lebenskraft, die Apostel werden von der schnöden weltlichen Gerechtigkeit als gemeine Verbrecher, Räuber und Mörder entlarvt, die Proselyten fliessen immer spärlicher, und nur eine grössere Anzahl liederlicher Weiber, die ihren Männern entlaufen sind, namentlich aus Dänemark, Norwegen und Schweden, liefern noch jährlich einen stehenden Zuwachs. Die Gentile Presse leistet an Grobheit, Verachtung und Spott gegen die Mormonen amerikanisch Unübertreffliches. Man braucht nur eine einzige Nummer des »Salt Lake Daily Tribune« in die Hand zu nehmen, um sofort zu erkennen, dass das Mormonenthum jeden Schatten von Macht verloren hat.

An sonstigen Merkwürdigkeiten besitzt Salt Lake City ein Theater, ein Museum für Alles, eine kleine, aber fürchterliche Gemäldesammlung, das Schloss des Propheten, eine gothische Methodistenkirche und warme Quellen mit Badegelegenheit. Brigham Youngs und seiner vielen Weiber Behausung ist eben so geschmacklos wie die meisten Erzeugnisse seines Geistes. Eine dicke Mauer aus Bruchsteinen und Mörtel mit sehr vielen konischen Thürmchen aus demselben Material umgibt dieselbe, über dem Thor sitzt ein schadhafter hölzerner Adler, und unter ihm stiert wieder das so beliebte Auge Jehovas aus seinem dreieckigen Strahlenkranz. Das beste Gebäude der ganzen Stadt ist noch das Theater, wenngleich ein Kunstpedant an den allzu schlanken dorischen Säulen der Eingangshalle sich vielleicht stossen könnte. Auffallend häufig begegnet man hier skandinavischen Namen. Es fehlt indess auch nicht an Deutschen, Franzosen und Italienern, und auch der schlitzäugige »Yun Lee« oder »Sun Wau« ist mit seinem stereotypen »Washing and Ironing« schon bis hierher gedrungen.

11Brigham Young ist mittlerweile 76 Jahre alt am 29. August 1877 gestorben.