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Reise durch den Stillen Ozean

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XIV
BESUCH IN WAIDULE

Begegnung mit dem Tui. Ein Mangrovesumpf und seine Freuden. Tauben und Mimosen. Nachtlager in Wunokene. Fliegende Hunde. Rabuelu. Entzückende Rundsichten. Taropflanzungen. Kawa-Gelage in Soso. Nachtlager in Go Kandavu. Ein Meke Meke. Ankunft bei Charly. Rasch ab nach Wailevu. Ungemüthliche Bootfahrt. Heimkehr.

Wir hatten jenem versoffenen, aber biederen Landsmann, dem Charly, in Wailevu zugesagt, nach Waidule zu kommen und ihn zu besuchen. Da wir für das mitzunehmende Gepäck ausser Niketi noch zwei Träger brauchten, so liess Herr Kleinschmidt den Tui bitten, uns solche zu schicken, und gleich am nächsten Morgen erschienen ihrer drei aus Sanima und meldeten sich zum Dienste.

Die Mutter bereitete noch schnell einen Kuchen, und dann gings fort. Zunächst musste wieder das Felsblockufer bis Sanima überwunden werden. Die Fluth hatte eben angefangen zu weichen, und die noch nassen Blöcke waren so schlüpfrig von einer Algenvegetation, dass ich es vorzog, oberhalb der Fluthgrenze durch das herabwuchernde Gestrüpp zu klettern.

Rege Emsigkeit wie immer herrschte im Dorf des Tui Kandavu. Ein Greis sass am Strande im Schatten eines in die Erde gesteckten Palmzweigs und schnitzelte kindisch an einem Stück Holz herum. Vor den Hütten klopften Männer die Fasern der Kokosnusshülsen rein, um Stricke daraus zu machen, und im Innern der Hütten klopften die Weiber Tapa zurecht, dass es weithin erschallte. Kopra und Lichtnüsse lagen zum Dörren in der Sonne ausgebreitet. Aus letzteren, den öl- und harzreichen Früchten des Aleurites triloba werden sehr originelle Kerzen bereitet. Man reiht sie durchbohrt an Stäbe, der Stab dient als Docht, und die Nüsse brennen mit heller, stark russender Flamme ab. Unsere Erscheinung machte den Lärm verstummen. Man lächelte uns freundlich zu, die Frauenzimmer steckten die Köpfe durch die niedrigen Thüren heraus und bettelten um Tabak, kleine nackte Kinder blickten scheu um die Ecken und liefen entsetzt davon, als ob sie den leibhaftigen Teufel gesehen hätten.

Da der alte Tui nicht zu Hause war, setzten wir unseren Weg ohne Unterbrechung fort. Wir sahen ihn eine halbe Stunde später in seinem Kanuu heimkehren, als wir eben jenen schönen Pfad durch Papayagärten und Palmen hinter uns hatten und in ein Mangrovedickicht bogen. Er stieg aus und watete an Land, um mit uns Hände zu schütteln, und gab unseren Burschen noch einige strenge Aufträge an verschiedene Dorfhäuptlinge zu unserem Komfort, von denen ich nichts als das Selbstbewusstsein verstehen konnte, womit er sich die Faust mehrmals auf die Brust schlug, als ob er sagen wollte »Und das muss geschehen, und das befehle ich«.

Der Pfad schlängelte sich eine Zeit lang am steilen Ufer auf und ab und führte dann in das Mangrovedickicht hinein, dessen Schwierigkeiten so gross wurden, dass wir zu einem Kilometer etwa eine Stunde brauchten. Schlickflächen wechselten mit Felsblöcken, von denen die meisten nicht fest lagen und zu wackeln anfingen, sobald man darauf trat, und Alles war durchzogen von einem nicht nur in der Fläche sondern in allen drei Dimensionen des Raumes gewebten Netzwerk von Mangrovewurzeln, so verknorzt und verschnörkelt, dass die phantasiereichsten Maler der altdeutschen Schule hier noch viel für ihren Faltenwurf hätten lernen können. Sah man auf den Boden, so schlugen einem die von oben herabwachsenden Sprossen ins Gesicht, sah man nach diesen, so blieb man in den Wurzeln hängen oder stolperte über einen Knorz oder glitt von den zu Fallthüren geschaffenen Felsblöcken in den Schmutz. Moskitos wimmerten um die Ohren, und Fliegen umsummten das Gesicht und schwirrten in die Nasenlöcher. Wir kamen übrigens ohne Unfall durch, und nur unsere nackte Dienerschaft blutete aus einigen abgeschürften Hautstellen.

Es ging wieder nach oben und landeinwärts durch einen Busch, der spärlicher wurde, je höher wir kamen, und schliesslich einem dürren Farngestrüpp Platz machte, welches eine neuseeländische Landschaft vortäuschen konnte, wenn nicht gerade schöne Orchideen oder empfindsame Mimosen am Wege wuchsen, oder das Hundegebell der grossen Tauben die Illusion störte.

Einem dieser unmusikalischen Vögel kamen wir so nahe, dass ich deutlich beobachten konnte, wie er hoch oben auf einem kahlen Baum sein rauhes kurzes »Hu hu, Hu hu hu« mit dem Wippen des Schwanzes begleitete. Aber das Knacken des Hahnes störte ihn, er gönnte uns seinen Braten nicht, und er war fort, ehe ich die Flinte angelegt hatte.

Jene merkwürdige Pflanze Mimosa, deren zartgefiederte Blätter sich zusammenfalten, sowie man sie berührt, und der man deshalb den Namen der Schamhaften gegeben hat, sah ich hier zum ersten mal. Sie wuchs in niedrigen dichten und flach ausgebreiteten Stauden, und es gewährte ein merkwürdiges Farbenspiel, wenn ich mit dem Fuss darüber hinstrich und sogleich das helle Grün der oberen Seiten der Fiederblättchen dem matten Grau der unteren Seiten wich, als ob die ganze Staude von einer unsichtbaren Flamme versengt würde.

Der Kamm des Hügels, auf dem wir eine Zeit lang weiter schritten, hatte ausnahmsweise den Vorzug, eine Rundsicht zu gewähren, da er nicht, wie dies meistens zu sein pflegt, bewaldet war, sondern nur stellenweise Gruppen von Kasuarinen trug, deren dünnbenadelte Kronen dem Baum das Aussehen verkümmerter Pinien verleihen. Wir sahen hinab auf beide Meere nördlich und südlich der langgestreckten Insel, in welche zwei Buchten tief einschneiden.

Die freie Bergkante dauerte nicht lange. Der Pfad schlängelte sich nach der südlichen Seite des Kammes hinab, und ein Busch nahm uns auf, der durch wohlthuende Kühle überraschte und so dick mit Lianen und Strauchwerk unterwachsen war, dass wir zwei geschossene Tauben, die wir deutlich fallen gesehen hatten, nicht finden konnten, obwohl wir zu fünft eine Viertelstunde lang suchten. So waren wir abermals um unser Abendmahl gebracht. Wir stiegen auf eine sattelförmige Einsenkung nieder. Der Busch wurde lichter, Rauch flog langsam zwischen den Bäumen empor, Kindergeschrei erhob sich, und ein Dorf lag vor uns, höchst malerisch zwischen Bananenpflanzungen halb versteckt und die prächtigste Aussicht auf die Meere beider Seiten beherrschend.

Wunokene heisst dieser reizende Platz, bei dessen Häuptling wir uns ohne weitere Zeremonien einquartierten. Wir zündeten eine Stearinkerze an, welche so viel Sensation hervorrief, dass nach wenigen Minuten die ganze Hütte voll von Neugierigen war. Dicht gedrängt sassen sie, Männer und Weiber, nebeneinander und bewunderten uns und unsere europäischen Habseligkeiten. Selbst draussen vor der niedrigen Thüre drängte sich eine staunende Menge von Kindern und Mädchen, jedesmal Reissaus nehmend, so oft einer von uns Weissen eine Bewegung in ihrer Richtung machte. Mit dem grössten Interesse wurde Alles beobachtet, was wir thaten, wie wir unseren mageren Zwieback abbissen und Schokolade dazu tranken, und öffneten wir eines der Gepäckstücke, so entstand jedesmal eine nicht geringe Aufregung und man streckte die Hälse so weit als möglich, um hineinzugucken.

Einer von unseren Trägern aus Sanima, ein frecher Bursche, wollte durch seine Familiarität mit unseren Effekten, die er hatte tragen dürfen, imponiren und gab das Feuerwerk einiger schwedischer Zündhölzchen zum besten. Hätte man den Kerl gehen lassen, er würde unseren ganzen Vorrath aufgebraucht haben. Eine Ohrfeige unterbrach indess sein Vergnügen und stellte das Bewusstsein der Inferiorität wieder her, zum grossen Ergötzen des Publikums, welches in ein lautes Gelächter ausbrach.

Da wir müde waren, konnte unsere Zurschaustellung nur so lange gewährt werden, als wir brauchten, um den gröbsten Hunger zu stillen. Das Licht wurde ausgelöscht, und das Publikum verzog sich, zweifellos mit dem Bewusstsein, einen höchst genussreichen Abend zugebracht zu haben. Wir streckten uns auf dem weichen Mattenboden aus, nachdem wir Stiefel und Hose zu einem Kopfkissen zusammengerollt und uns selbst in unsere Decken gewickelt, und schliefen, da es hier oben keine Moskitos gab, so gut, wie man eben nur nach einer längeren Wanderung schläft. Neben uns lag der Häuptling und zu unseren Füssen die Dienerschaft. Bald wars ruhig im ganzen Dorf. Blos im Gebüsch draussen zirpten Tausende von Zikaden, über den Korallenriffen unten donnerte rastlos die Brandung durch die Stille der Nacht, als ob ein Eisenbahnzug ohne Ende über eine ferne Brücke rollte, und Herr Kleinschmidt schnarchte.

Als wir am anderen Morgen unseren Marsch fortsetzten, kam hinter uns drein die ganze Kinderschaar des Dorfes und begleitete uns in respektvoller Entfernung, bis wir einen steilen Abhang hinabstiegen, und es war höchst amüsant, wie die kleinen braunen Bengel uns von oben aus nachspotteten, um schleunigst die Flucht zu ergreifen, so oft ich Miene machte, zurückzukehren, woran ich gewiss nicht im entferntesten dachte. Denn der Weg war so schlecht, dass man froh sein durfte, ihn einmal hinter sich zu haben, und zu beiden Seiten wuchs hohes Gras, scharf wie Rasirmesser, und zerschnitt die Hände wenn man vergass, sie in die Höhe zu halten.

Unten winkten wieder die Freuden eines Mangrovesumpfes mit seinen Moskitos und Fliegen. Auch in diesem lagen Felsblöcke eingestreut, die zwar festgebettet, dafür aber mit Algen überzogen und so schlüpfrig waren, als ob man sie mit Seife beschmiert hätte. Beneidenswerth sicher schritten unsere drei Wilden über sie hinweg. Ihre Füsse dienten ihnen als Greiforgane, mit denen sie sich an den geringsten Rauhigkeiten festklammern konnten, während wir die Talente der unserigen in den steifen Stiefeln der Zivilisation hatten verkommen lassen. Zogen wir die Stiefel aus, so stiessen wir uns an allen Ecken und schnitten vor Schmerz eine Grimasse nach der anderen, und zogen wir sie wieder an, so rutschten und fielen wir jeden Augenblick. Moskitos und Fliegen thaten das Uebrige uns zu erheitern.

 

Es war gerade Ebbe, und wir beschlossen deshalb, auch die Beinkleider abzulegen und um den Hals zu binden und weiter draussen durch das niedrige Wasser zu waten, wo es keine Fliegen und Moskitos gab, und höchstens scharfrandige Muscheln die Sohlen zerschnitten. Auf diesem nassen Marsche sah ich zum ersten mal eine Schaar fliegender Hunde hoch oben über die Bucht hinweg ihrem Tagquartier zueilen und war sehr erstaunt über die gemessene Sicherheit und Kraft ihres Fluges, der in nichts an das Geflatter unserer Fledermäuse erinnert, wie man wohl erwarten möchte. Man konnte sie in einiger Entfernung für Raben halten, ganz dieselbe Bewegung und derselbe Rhythmus wie bei diesen. Erst als sie senkrecht über uns waren, sah ich, dass sie nicht mit Flügeln wie Vögel, sondern mit Flughäuten arbeiteten, von jener bekannten Kontur, wie sie die Phantasie der christlichen Maler dem Satan zuerkannt hat. Von diesen fliegenden Hunden giebt es fünf Arten auf Viti. Sie sind neben der einheimischen Ratte die einzigen autochthonen Säugethiere der Insel.

Einige hundert Schritte in einem herrlich grünen Tunnel des dichtverschlungenen Mangrovegebüsches, der einem hier mündenden Süsswasserfaden sein Dasein verdankte, brachten uns auf die feste Erde zurück. Palmen erschienen, und abermals ein Dorf, Rabuelu geheissen. Ausser zwei lebensmüden Greisen waren nur Weiber und Kinder zu bemerken. Die Männer mochten auf einen Fischfang ausgezogen sein.

Herr Kleinschmidt schoss einen interessanten Reiher und schickte ihn nach Hause an die Mutter, damit sie ihn abbalge. Dieses Ereigniss lockte die ganze vorhandene Einwohnerschaft herbei, deren Aufmerksamkeit sich alsbald auf mich und meinen schlohweissen Leib ablenkte, der ich den Lockungen eines selten klaren und tiefen Süsswasserbeckens nicht widerstehen konnte, das oben in dem wasserlosen Wunokene versäumte Morgenbad nachzuholen.

Unser nächstes Nachtquartier war Go Kandavu, und bis wir dieses erreichten, passirten wir noch fünf Dörfer, Rota, Eabulu, Soso, Dele Kandavu und Dschome mit Namen. Es ging immerfort bergauf und bergab, meistens sehr steil und auf äusserst beschwerlichen, schlüpfrigen Pfaden voller Löcher, Wurzelschlingen und lose liegender Steine. Regengüsse hatten sie stellenweise zu tiefen Rinnen ausgewaschen, so schmal, dass man nur seitwärts schreitend sich durchdrängen konnte, unbekümmert um den Lehm, der an den Kleidern hängen blieb. Links und rechts dichter, unbezwingbarer Busch.

Nur selten und auf kurze Strecken waren die Höhen kahl und gewährten Aussichten, die dann um so entzückender waren. Die Landschaft glühte in Farben, die einen Maler in Verzweiflung bringen konnten. Tief blau war der Himmel, aber noch viel tiefer blau war die See, hellglänzend besäumt von der weissen Schaumlinie der Brandung, die sich an den Kanten der Korallenriffe brach, und innerhalb dieser, über den seichteren Stellen der Riffe violette, purpurne und smaragdene Tinten. Dann kam tief unter uns ein grellgelber Streif sandigen Ufers oder das wunderbar satte Hellgrün von Mangrovedickichten, die viel schöner von oben zu beschauen als zu durchklettern sind. Palmenhaine füllten den Raum zwischen dem Ufer und den dunkelbewaldeten Bergen und die Thäler, die zwischen diesen ins Innere sich einbuchteten. Rauch entstieg an verschiedenen Punkten der üppigen Vegetation, die Anwesenheit menschlicher Wohnstätten verkündigend, und hie und da guckten ein paar mit Kalk beworfene weisse Hütten durch die Palmen.

Manche Strecken trugen den Stempel höherer Kultur. Der Weg, dessen Schwierigkeiten eben noch aller Beschreibung spotteten, verwandelte sich oft plötzlich in eine breite glatte Strasse, zu beiden Seiten von sauber gehaltenen Bananenhainen begrenzt. Man war dann gewöhnlich in der Nähe eines Dorfes, dessen Kindergeschrei lange hörbar war, ehe man die Hütten selbst gewahr wurde. Oder Baumwollenstauden, vergebens gegen das sie überwuchernde Unkraut ringend, zeigten an, dass ehemals hier eine Plantage bestanden hatte, nun verlassen und dem hoffnungslosen Kampf ums Dasein preisgegeben, seitdem dieser Artikel auf Viti dem amerikanischen Konkurrenten im Preis, nicht in der Güte hat erliegen müssen.

Wo Bäche herabkamen, fanden wir diese gewöhnlich zu terrassenförmig unter einander folgenden Sümpfen aufgestaut, in denen Taro (viti »Ndalo«) gepflanzt war. Der Taro ist eine Colocasia, ganz ähnlich jener Art, die bei uns so häufig in Töpfen mit Wasseruntersatz gezogen wird. In sauber mit Lehmwällen und Steinen eingefassten Beeten von verschiedener Grösse, welche der Bach in mäandrischen Linien zu durchrieseln genöthigt war, standen zu regelmässigen Reihen geordnet die Pflanzen, und Wasserlinsen bedeckten zwischen ihnen die Lachen. Diese Vorrichtungen flössten mir alle Achtung ein vor der Intelligenz und dem Geschick der sogenannten Wilden.

Es giebt übrigens auch eine weniger häufige Sorte Taro, welche keines sumpfigen Bodens bedarf, und oben auf den Bergen in gewöhnlichem ausgerodetem Waldboden angebaut wird. Der Busch wird zu diesem Zweck niedergebrannt, was aber wegen der grossen Feuchtigkeit nicht ganz leicht ist. Man haut das Gebüsch ab, damit es verdorrt, und zündet mehrere grosse Feuer an, wobei immer von Neuem nachgeholfen werden muss.

In Soso machten wir einen grösseren Halt. Auch hier, wie in allen Dörfern, entsetzt davonrennende braune Nacktfrösche, kreischende Weiber, ernste Greise und Männer, welche mit einem freundlichen »Sa yandre« uns begrüssten. Wir gingen auch hier stracks in des Häuptlings Haus, wo zwei sehr hübsche zartgegliederte Mädchen, die Tochter und die Kindsmagd, letztere einen quieksenden Säugling in den Armen, etwas scheu und verlegen uns empfingen.

Sogleich erschien der Häuptling, mit uns Hände zu schütteln, und bald darauf auch seine Frau, die »Marama«, mit einem Korb voll Taroknollen auf dem Rücken. Sie warf ihre Last zu Boden, kroch herein und bemächtigte sich, ohne von uns Notiz zu nehmen, des Säuglings, um ihm seine Nahrung zu reichen, aber erst, nachdem sie an einem von der Kindsmagd hingehaltenen Feuerbrand die Hände gewärmt und ihre Brüste gerieben hatte.

Der Häuptling holte etwas Yankonawurzel aus einer Ecke hervor und lud uns ein, mit ihm Kawa zu trinken. Ich sah dieses Getränk jetzt zum ersten mal bei Tageslicht bereiten und konnte genau den ganzen Prozess verfolgen. Es fügte sich glücklich, dass es ausnahmsweise diesmal zwei reizende Mädchen, die Tochter und die Kindsmagd nämlich, waren, welche für uns kauten. Sonst sah ich auf Kandavu die Kawa stets nur von Knaben und jungen Männern bereiten, während auf anderen Inselgruppen des Stillen Ozeans dieses Geschäft dem schönen Geschlecht obliegt, was mir mehr zusagend erscheint. Einer unserer Träger schleppte die grosse Bowle herbei, jenes altehrwürdige Gefäss, das in keiner vornehmen Vitihaushaltung fehlt, und setzte sie vor sich, um das Brauen und Filtriren der Flüssigkeit zu übernehmen. Einen meterlangen Strick, der an der Bowle in einer Oese befestigt war, warf er demüthig dem Häuptling zu, der solche Ehre mit grosser Höflichkeit an mich abtrat, indem er ihn nach meiner Seite legte. Dieser ehrenvolle Strick dient nämlich dazu, die höchste Person der Gesellschaft zu bezeichnen.

Die doppelt daumendicke, knotige und verästelte grüne Wurzel wurde in mundgerechte Stücke zerschnitten, und die beiden jungen Damen nahmen uns gegenüber Platz und machten sich schweigend daran, sie mit ihren herrlich weissen Zähnen zu zermalmen. War ein Bissen fertig, so holten sie ihn mit Daumen und Zeigefinger aus dem Munde und legten ihn als wohlgeformtes rundliches Häufchen behutsam in die Bowle. Sechs solche Häufchen kauten sie zurecht für uns drei Zecher, den Häuptling, Herrn Kleinschmidt und mich. Dann wurde Wasser aus hohlen Kokosnüssen zugegossen, und das Pantschen und Filtriren begann.

Während wir so Kawa brauten und kneipten, waren ein paar andere Frauenzimmer beschäftigt, unsere Mahlzeit zu bereiten. In einer Ecke der Hütte lagen die zwei grossen Töpfe horizontal über der glimmenden Asche des Feuers. Wasser brodelte bereits darin. Die geschossenen Tauben und Papageien, schon auf dem Marsche ausgeweidet und gerupft, wurden mit Taroknollen durch die weiten Oeffnungen ins Innere derselben geschoben, und diese mit einem Stöpsel aus zusammen gebundenen Cordylineblättern verschlossen.

Die ganze Familie des Häuptlings hatte sich eingefunden und durfte neben und um uns Platz auf dem Boden nehmen. Das übrige Gesindel der Neugierigen musste in respektvoller Entfernung, in der Nähe des Eingangs, sitzen bleiben. Ausser dem hübschen Mädchen und dem Säugling, der einen merkwürdig eckigen Kopf hatte, waren noch zwei Jungen vom Hause vorhanden, von denen der eine, ein ungezogener Bengel von fünf Jahren, seiner Mutter, welche mit ihrem Jüngsten dalag wie eine säugende Löwin, fortwährend zum Zanken Veranlassung gab. Schliesslich kam noch eine andere vornehme Dame, eine Freundin der Marama, ebenfalls mit einem kleinen schreienden Balg, hereingekrochen, warf sich nieder und spielte ebenfalls die säugende Löwin, während sie uns aufmerksam beguckte. Draussen vor der Thüre unterhielten sich einige Kinder mit dem auch bei unserer Schuljugend so beliebten Spiel, aus einem Faden alle möglichen Figuren an den Fingern zu bilden und einander abzunehmen. Sie hatten es von den Missionären gelernt.

Im Hintergrund der Hütte war ein ganzes Arsenal von alten Schiessgewehren an der Wand aufgestapelt, was mir um so mehr auffiel, als es von der Kolonialregierung streng verboten ist, den Eingeborenen Munition irgend welcher Art zu geben. Diese Waffen schienen mir übrigens durchaus ungefährlich zu sein. Es waren Flinten jeder Konstruktion, nur keine Hinterlader, und etwa zwanzig darunter mit Feuersteinzündung weiss Gott aus welcher Zeit und woher, und alle Schlösser waren verrostet. Sollte auch hie und da eines noch losgehen, die Vitis sind so feige Schützen, dass sie in der Regel die Augen zudrücken, wenn sie schiessen wollen, was bei unseren Rekruten allerdings auch zuweilen vorkommt.

Der Tag neigte sich bereits, als wir Dele Kandavu passirten, ein Dorf rechts ab vom Wege, tief versteckt hinter dem üppigsten Grün von Palmen, Bananas und Busch auf einem Hügelvorsprung, der zu einem dichtbewachsenen Thal hinabfiel, aus welchem die zarten fiedrigen Kronen von Farnbäumen ragten. Fröhliche Gesänge schallten zu uns herüber und harmonirten so wunderbar mit der ganzen Stimmung der paradiesischen Landschaft und des herrlichen Abends. Wie glücklich diese Menschen hier leben. Welche unbeschreiblichen Genüsse bietet die Natur hier dem Wanderer, wenn ihm auch dabei der Schweiss von der Stirne tropft und die Kniee vor Ermüdung zu zittern beginnen. Wie bemitleidet man da den Philister zu Hause, der Jahr aus Jahr ein nichts Höheres kennt, als täglich des Abends zur bestimmten Stunde im Tabaksqualm seiner Kneipe zu sitzen und seinen Magen mit den Gährungspilzen des Bieres vollzupumpen.

Wir kamen an einen Bach, und jenseits desselben lag Dschome. Ein Mann aus dem Dorfe erbot sich, mich hinüberzutragen. Ich zog es vor, durchzuwaten, da mich erst kürzlich bei einer ähnlichen Gelegenheit ein Kerl durch einen Fehltritt ins Wasser geworfen hatte.

Beinahe hätten wir schon hier unser Nachtquartier aufgeschlagen. Unsere Burschen wenigstens waren entschieden der Ansicht, dass es für heute genug des Marschirens sei. Sie waren vorausgeeilt und sassen bereits, ihrer Bürden entledigt, neben der Hütte des Häuptlings, als wir sie erreichten. Ein hübsches braunes Mädchen mit einer feuerrothen Hibiscusrose über jedem Ohr stand freundlich lächelnd vor der Thüre und guckte mir, sehr verführerisch aber unschuldsvoll den glänzenden Bronzekörper, der nach Kokosöl duftete, an mich schmiegend über die Schulter, während ich sie in mein Taschenbuch notirte. Die ärmliche etwas unreinliche Behausung des Häuptlings gefiel uns nicht, und wir gingen weiter.

Hätten wir gewusst, welch langer und beschwerlicher Weg uns noch bevorstand, wir wären trotz Allem geblieben. Wohl über zweihundert Meter mussten wir wieder hinauf und an der anderen Seite eben so tief hinunter. Oben beschien die Sonne im Untertauchen golden die Wipfel der Bäume, unten war es bereits dunkel, als wir endlich, triefend von Schweiss und bis zur Erschöpfung müde, in Go Kandavu unseren Einzug hielten, zur grossen Aufregung der neugierig Spalier bildenden Einwohner.

Auch der Häuptling von Go Kandavu liess uns zu Ehren Kawa bereiten. Diesmal waren wieder nur Knaben und Jünglinge zum Kauen kommandirt, die Dunkelheit verhinderte, die Details des Vorganges genauer zu sehen. Es wurde wenig gesprochen. Nur das Krachen der Wurzeln zwischen den Zähnen und später das Herumpantschen in der Flüssigkeit unterbrach die andächtige Stille, welche herrschte, trotzdem die ganze Hütte voll von Menschen war. Ein kleiner, brauner Frosch kletterte in die Bowle, setzte sich mit seinem nackten Hintern auf die für uns zurechtgekauten Häufchen und fing verlegen und erschrocken zu weinen an, als Alles darüber lachte. Dies störte aber das Gelage nicht, und die breit gesessenen Häufchen dienten ebenso gut ihrem Zwecke wie die neu hinzukommenden. Unser Gastfreund, der Häuptling, war aussergewöhnlich wohlhabend. Denn er besass Teller, Gabeln und Messer. Nur Schade, dass wir die seltenen Geräthe an nichts Würdigerem als an süssen Bataten zur Anwendung bringen konnten. Aus diesen sowie aus Schokolade und Zwieback bestand unser frugales Abendbrot.

 

Ein unerwartetes Schauspiel stand mir noch bevor. Ich sollte ein »Meke Meke«, eine Vititanzunterhaltung zu sehen bekommen.

Ich hörte Gesang weit über das Dorf in unsere Hütte herübertönen, und ich ging hinaus nach der Richtung, von welcher er kam. Tarosümpfe umgaben das Dorf, und erst nach einigen Irrwegen fand ich durch sie hindurch und das was ich suchte.

Auf einem freien Platz brannte flackernd ein grosses Feuer, und etwa ein Dutzend Kinder tanzten um dasselbe herum und sangen dazu nach dem Takt zweier Stäbchen, mit welchen ein Jüngling ein Stück Bambus bearbeitete, das ein kleiner Knabe wagrecht vor ihn hinhielt. Mein Hinzukommen störte sie nicht, sondern schien im Gegentheil mehr Theilnehmer herbeizulocken. Eine Menge Mädchen und junger Männer fand sich allmälig ein. Sie trugen als festlichen Schmuck rothe Cordylineblätter um die Stirne gebunden, und an den Knieen Strumpfbänder von gelb und roth gefärbten Gräsern. Die Mädchen drückten sich scheu an mir vorbei und nahmen schreiend und kichernd Reissaus, sowie ich nur eine Bewegung machte. Auch sie traten in die Reihen der Tanzenden, und immer grösser wurde ihre Zahl, und Zuschauer kamen und gruppirten sich auf dem Boden. Fackeln aus dürren Schilfbündeln wurden gebracht, und bald nahm die Unterhaltung bedeutendere Dimensionen an als ich hier in dem so abgelegenen Dorf erwartet hatte.

Es war eine träumerische laue Tropennacht. Der Mond war aufgegangen, die Sterne funkelten, die Zikaden zirpten, und ein leiser Zephyr milderte höchst angenehm die Wärme. Das Feuer und die Fackeln warfen ihr röthlich flackerndes Licht auf die nackten Gestalten und übergossen das ganze Bild mit einem grotesken Zauber. Mehrmals schloss ich die Augen, als ich so dasass auf einem alten faulen Kanuu, um jedesmal beim Oeffnen mich wieder von dem fremdartigen mährchenhaften Anblick überraschen zu lassen.

Die Wendungen des Tanzes waren höchst anmuthig und konnten manchem altersschwachen Ballet bei uns zum Muster dienen. In doppelten Reihen tanzten Mädchen und Jünglinge, bis auf das Tuch um die Hüften nackt und mit Blumen- und Blattguirlanden geschmückt, die geschmeidigen Bronzekörper mit Oel gesalbt, um ein Feuer, erst nach rechts und nach links, dann beide in entgegengesetzten Richtungen, traten zwischen einander hindurch und wieder zurück, hoben und senkten die Arme, bogen und wogen die Hüften und klatschten in die Hände. Daneben sass der Musikant und trommelte den Takt auf sein Bambusrohr, begleitet von dem Gesang aller Anwesenden, Tänzer sowohl als Zuschauer.

Der Gesang, allerdings auch nur in wenigen Noten auf- und niedersteigend, war viel melodischer, als jener, den ich bei den Maoris auf Neuseeland gehört. Der Rhythmus bewegte sich in einem fast endlos wiederkehrenden Daktylus, bis plötzlich mit einem kurz ausgestossenen, rauhen Ton eine Strophe und zugleich eine Tanzfigur schloss. Einer der Tänzer schien Kommandos zu geben, indem er zuweilen laut in der Fistel krähte, was ungefähr wie »Tirürü« lautete, und worauf sofort eine neue Wendung eintrat. Ich habe niemals etwas Graziöseres gesehen, als die natürliche Anmuth in den freien ungezwungenen Bewegungen jener Mädchen. Diese braunen Naturkinder sind von einer bezaubernden Frische. Und dabei wissen sie eben so gut zu kokettiren wie irgend eine Tochter Evas auf Erden, und besitzen hiezu ganz verflucht grosse, schwarze, langbewimperte Augen, um die sie nicht wenige Europäerinnen beneiden dürften.

Im Anfang der Festivität waren einige mit dem obligaten Busenhemdchen erschienen. Im weiteren Verlauf jedoch entledigten sie sich derselben. Sollte es blosser Zufall gewesen sein, oder war es ihr weiblicher Instinkt, dass sie mir ohne dieses geschmacklose und unnöthige Kleidungsstück besser gefielen, nachdem sie gesehen, dass ich kein verkappter Mucker aus England war? Ich habe derartige Demaskirungen fast in jedem Dorfe erlebt.

Die halbpapuanischen Vitis stehen im Rufe grosser Keuschheit, ganz im Gegensatz zu ihren lasziven Verwandten, den Polynesiern. Dementsprechend unterschied sich dieses Meke Meke auch dadurch von den polynesischen Tänzen, dass es keine obszöne Bedeutung, sondern die reine Freude an rhythmischer Bewegung und an Gesang als Motiv hatte. Nicht die leiseste Spur von zweideutigen, anstössigen Geberden war zu bemerken. Nur etwas sah ich, was mich frappirte und der zu herrschen scheinenden Dezenz widersprach. Mehrere kleine Jungen stellten sich ausserhalb des Reigens paarweise einander gegenüber, umfassten einander auch wohl und machten Bewegungen zusammen nach dem Takt der Musik, die im höchsten Grade obszön waren und an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig liessen. Die Aeltern aber, namentlich die Weiber, lachten und schrieen ausgelassen vor Freude über die gelungenen Scherze ihrer sechsjährigen Sprösslinge.

Lange sass ich isolirt. Die Scheu vor dem Fremdling hatte eine breite Zone um mich leer gelassen. Nach und nach aber wurde man zutraulicher. Ein Mädchen oder ein Junge kroch herbei und bettelte um Tabak, und Alles lachte und freute sich über die gut abgelaufene Dreistigkeit, wenn ich ihnen Tabak gab, und der Zuschauerkreis rückte dichter an mich heran. Diese Furcht vor dem Weissen ist keine ursprüngliche, sondern die Folge übler Erfahrungen. Die Südsee-Insulaner kommen in der Regel nicht mit der besten Klasse von Europäern in Berührung. Ich habe manchmal Gelegenheit gehabt zu beobachten, wie selbst der dümmste und erbärmlichste Matrose es für seine Pflicht hält, die sogenannten Wilden verächtlich und gleich Thieren zu behandeln.

Ich blieb über eine Stunde und weidete mich an dem effektvollen Schauspiel. Dann riss ich mich los aus der immer enger um mich sich gruppirenden nackten Gesellschaft. Waren sie ziemlich zutraulich geworden im Bereiche des Feuers, so hatte draussen im Dunkeln meine Erscheinung noch nichts von ihrer Unheimlichkeit eingebüsst, und alle Kinder und Frauenzimmer die mir begegneten ergriffen schleunigst jedesmal wieder die Flucht. Der Tanz wurde unermüdlich fortgesetzt, und noch lange, als ich zu Hause auf der Matte lag, hörte ich den dreitaktigen Lärm der lustigen Schaar herüber.

Ich schätzte mich glücklich, diesem Meke Meke beigewohnt zu haben, da er nicht wie an anderen Orten blos zur Schaustellung und für Geld, sondern zur sichtlichen eigenen Freude der Theilnehmer gehalten worden war.

Als ich am anderen Morgen erwachte, sah ich dass ausnahmsweise auch die Frauenzimmer in derselben Hütte wie wir schliefen. Der alte Häuptling hatte sich aber vorsorglich zwischen sie und uns gelegt. Ein köstliches Bad unter einem Wasserfall, der über senkrechte Felswände herabdonnerte, und das vergebliche Waten durch den Bach und die Tarosümpfe einigen fliegenden Hunden zu liebe, die ich in den Gipfel eines hohen Baumes hatte einfallen sehen, aber im dunklen Laub der Krone nicht wieder entdecken konnte, schufen den prachtvollsten Appetit nach einem substanzielleren Frühstück, als die vegetarianische Lebensweise der Vitis gewähren konnte, und ich fühlte schmerzlich die Entbehrung der Fleischkost. Taroknollen, Zwieback und Schokolade waren nur ein kümmerlicher Ersatz.