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Reise durch den Stillen Ozean

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Ausser dem fast niemals schweigenden unmelodischen »Giek gak, Giek gak« der gemeinen dunkelrothen Papageien ist noch eine andere Vogelstimme charakteristisch für den Busch von Viti. Es giebt eine grosse Taubenart hier, welche bellt wie ein Hund, und ihr rauhes »Hu hu, Hu hu hu« hat sogar einen bedeutenden Gelehrten verführt, von wilden Hunden zu sprechen, die sich in den Bergen herumtreiben. Eigentliche Sänger des Waldes besitzt Viti nicht. Man hört wohl hie und da ein langgedehntes flötendes Pfeifen, welches die niedliche gelbköpfige Taube ausstösst, oder es piepst ein Fächerschwänzchen im Gebüsch, ärgerlich über unser Nahen mit gespreizten Flügeln hin- und herflatternd, als ob es uns verjagen wollte. Aber Melodien zu singen haben alle diese Vögel nie gelernt.

Viel sympathischer waren mir die zahllosen kleinen Eremitenkrebse, denen ich nicht selten hoch oben im Busch begegnete. Dass diese Kiementhiere in der schattigen, feuchten Atmosphäre der tropischen Vegetation sich gerne ergehen, ist weniger überraschend, als dass sie auch in der Sonnenhitze des Strandes herumzubummeln vermögen. Sie müssen eine starke Fähigkeit, sich den heterogensten Umgebungen anzupassen, besitzen. Sie wählten vorzugsweise die schweren Gehäuse der Neritinen zur Bekleidung ihres weichen Hinterleibs, und bedächtig und sicher steigen sie mit dieser erheblichen Last über alle Hemmnisse. Vorsichtig ducken sie sich oder lassen sich von Erhöhungen herabfallen, wenn sie uns bemerken, und legt man sich nieder um zu lauschen, so knistert es von ihnen überall unter dem Laube. Ihre Bewegungen und ihr Thun macht den Eindruck grosser Intelligenz. Wo sie nur etwas Essbares finden, prüfen sie es erst genau von jeder Seite, dann packen sie zu mit der einen verlängerten Scheere und führen Bissen um Bissen zum Munde. Ganz besonders beliebt sind ihnen wie allen Thieren die Kokosnüsse.

Ausser diesen Eremitenkrebsen, welche dem Meeresufer angehören, findet man etwas seltener im Busch einen echten Landeremitenkrebs, der sich das leichtere Gehäuse des Bulimus Seemanni als Wohnung erkoren hat. Er ist viel behender als jene, und schnell humpelt er unter einen Felsen oder einen Baumstamm, wenn man ihn überrascht.

Einmal führte mich Herr Kleinschmidt an einen Platz im Busch, wo eben ein grosses Kanuu zugehauen wurde. Kandavu ist seit urdenklichen Zeiten berühmt wegen seines vortrefflich hierzu geeigneten Holzes. Viele Häuptlinge besitzen zwar europäische Böte, der gemeine und ärmere Mann nimmt indess immer noch mit dem Kanuu alten Styles vorlieb.

Die Bäume werden zu diesem Zweck hoch oben auf dem Berge gefällt, an Ort und Stelle ausgehöhlt und erst im fertigen Zustande nach dem Ufer hinabgeschleift, was bei den grossen Schwierigkeiten allein oft eine Arbeit mehrerer Wochen ist. Zum Bearbeiten des Holzes dienen jetzt europäische eiserne Beile, die jedoch noch immer in der alten Weise, wie ehemals die Steinäxte, an den Stiel befestigt werden, die Schneide nicht wie bei uns parallel, sondern quer zum Griffe. Als Stiel wird ein junger Baumstamm verwendet, aus welchem spitzwinkelig ein starker Ast hervorwächst. Dieser letztere bildet den Griff, an den hakenförmig zugeschnitzten Stammtheil wird das Beil platt mit der Fläche daraufgelegt, durch Stricke aufs solideste festgebunden.

Bei jenem Kanuubau, den ich beobachtete, war der Baum so gefallen, dass er nur an zwei Punkten den unebenen Boden voll dichter Vegetation und Wurzeln berührte. Nachdem eine Reihe Querbalken untergeschoben war, hatte man diese zwei Stellen abgegraben, so dass der Baum vollständig frei über der Erde schwebte. Die obere Seite wurde zum Kiel zugeschärft, die untere ausgehöhlt, wozu die Zimmerleute sich unter dem Baum auf den Rücken legten.

Ein solch schmaler Kahn aus einem einzigen Baum wäre nun ein sehr schwankes Fahrzeug und kaum tauglich zum Segeln, wenn das labile Gleichgewicht nicht durch eine sinnreiche Vorrichtung unterstützt würde. Es wird nämlich – und diess ist charakteristisch für alle polynesichen Fahrzeuge – ein sogenannter Ausleger »Kama«, ein zweites Kanuu, nur viel kleiner und meist sogar nur aus einem vorn und hinten zugespitzten und mit Kiel versehenen Baumstamm bestehend, zwei bis drei Meter entfernt durch Querstangen neben und parallel dem ersten Kanuu befestigt. Das Fahrzeug wird auf diese Weise breiter und sicherer, ohne durch allzu grossen Körper an Leichtigkeit einzubüssen. Die verbindenden Holzgerüste aus dünnem Lattenwerk, die bei den Vitis nicht gerade zwischen beiden Kanuus von Bord zu Bord gehen, sondern beiderseits erhöht auf gekreuzten Pfosten ruhen, erscheinen sehr gebrechlich und geben dem Ganzen ein spinnenartiges Aussehen.

Diese polynesischen Kanuus segeln sehr schnell. Manche Reisende sprechen von zwanzig und mehr Seemeilen per Stunde, was jedoch zweifellos Uebertreibung ist. Wenn sie gegen den Wind aufkreuzen, muss der Ausleger immer auf der Windseite bleiben. Aus diesem Grund können sie nicht auf unsere Weise wenden, also entweder »über Stag gehen« oder »halsen«, wobei einmal die rechte, das anderemal die linke Seite des Bootes zur Windseite wird. Sie müssen einfach umkehren, rückwärtsgehen, das Vordertheil muss Hintertheil, das Hintertheil Vordertheil werden. Hiebei wird der Mast, der unten wie in einem Scharnier beweglich ist, schräg nach dem jeweiligen Vordertheil geneigt, und das dreieckige lateinische Mattensegel fliegt herum, indem man den Hals desselben nach der entgegengesetzten Seite bringt.

Ein nicht minder reiches Leben wie im Busch, wenn auch gänzlich verschiedenartig, tummelte sich an der anderen Seite unseres Thales, draussen über den Riffen herum.

Keine hundert Schritt vom Ufer, in gleicher Flucht mit der sanften kaum merklichen Böschung des angeschwemmten Sandes und ohne scharfe Grenze, begannen die nackten Korallenbänke, durch das süsse Wasser unseres Bächleins, welches eine tiefe Schlucht einschnitt, in zwei Hauptmassen geschieden, da ja die Korallenthiere nur in der unverdünnten Salzfluth zu gedeihen und zu bauen vermögen.

Vielfach zerklüftet an der Oberfläche, in einzelnen Blöcken über das Niveau der Ebbe hervorragend, durchzogen von geräumigen Höhlen und Löchern, tritt diese interessante Zone, welche eigentlich nur eine Fortsetzung des festen Landes bildet, in die See vor. Nach einer durchschnittlichen Breite von zweihundert Schritt fällt sie steil zur dunklen Tiefe hinab, aus welcher dann noch weiter draussen einige isolirte, gewöhnlich kreisrunde Riffe mit höherer Umwallung und niedrigerem Zentrum, Miniaturatolle, emporsteigen. In der Nähe des Ufers, wo beständig Sand und Geröll und Schlick hin und her gespült wird, ist das animalische Gestein längst todt und verräth nur an einzelnen Stellen durch die Korallenstruktur seinen Ursprung. Erst in grösserer Entfernung vom Schmutz des Landes hausen und bauen die lebenden Generationen. Zur Zeit der Ebbe, welche hier im Stillen Ozean nicht mehr als etwa ein Meter vom Hochwasserstand differirt, konnte ich oft bis fast zum äussersten Absturz des Riffes hinauswaten, und mit einer eisernen Stange die schönsten Korallenbäumchen losbrechen. Die mannigfaltigsten Formen waren vertreten. Leider gelang es mir nie, die Blüthenthiere selbst entfaltet zu sehen. Dass in den einzelnen Kelchen noch lebende Thiere sassen, war unverkennbar, aber sie hatten sich zu gestaltlosen Klumpen von den prachtvollsten hellgrünen, purpurnen und azurblauen Farben zusammen- und zurückgezogen. Wenn ich sie auch sofort ins Aquarium verpflanzte und dessen Wasser fast stündlich erneuerte, sie blieben eigensinnig unsichtbar, zu meiner schmerzlichen Enttäuschung, während doch ihre Verwandten in unserer Nordsee, die Sertularien, mir ihren vollen Anblick niemals missgönnt hatten.

Für diese Sprödigkeit entschädigte übrigens reichlich die ungeahnte Fülle von allen möglichen Meeresbewohnern, denen die von den stillen Baumeistern der Tiefe geschaffenen Schlupfwinkel als geschützter Aufenthalt dienten. Eine Menge kleiner Fische, in den verschiedensten Farben des Spektrums schillernd, merkwürdig intensiv blaue Seesterne, eine Unzahl von Seeigeln und Holothurien, von Würmern und Schnecken, die meisten prachtvoll und glänzend, trieb sich dort in den Löchern und Tümpeln herum. Gelb und schwarz geringelte Wasserschlangen schlängelten sich über den Boden, hinter Steinen verborgen sassen schlüpfrige Aale, nur mit dem Kopf scheu hervorguckend, fuhren blitzschnell zurück, wenn man sich nahte, und bissen wüthend die Hand, wenn man sie griff. Es war überhaupt nicht ungefährlich, mit der Hand unter die Steine zu langen. Da lauerten oft Seeigel mit so feinen und zarten Stacheln, dass sie an der Spitze abbrachen und in der Haut stecken blieben, kaum sichtbar, aber genügend um Geschwüre zu erzeugen, oder es spreizten Skorpänen ihre scharfen Flossenstrahlen und konnten sehr schmerzhafte Verletzungen beibringen.

Am interessantesten waren mir zwei Mollusken durch ihre ausgezeichnete Lebhaftigkeit, eine handgrosse Nacktschnecke, Doris, und eine wallnussgrosse Muschel, Lima. War die Doris, wenn sie mit ihrem rosenfarbenen Körper in eleganter vertikal gerichteter Wellenbewegung das Aquarium durchmass, schon auffallend genug, so wirkte die Behendigkeit der Lima, einer Vertreterin jener Thierklasse, an die wir gewöhnlich den Begriff des Langsamen und Unbehülflichen knüpfen, noch überraschender. Auf den ersten Blick hatte die Lima wenig Aehnlichkeit mit einer gewöhnlichen Muschel. Ueber die beiden Schalen, welche vorn und hinten bedeutend klaffen, ragt der Mantelsaum hervor und trägt mehrere Reihen purpurroth quergeringelter Fransen, deren längste länger sind als das Thier selbst und dieses vollständig einhüllen können, so dass man nichts sieht als einen Knäuel flotirender und sich krümmender wurmartiger Gebilde. Leicht reissen einzelne ab und bewegen sich dann auf eigene Faust noch lange weiter.

Plötzlich geräth Leben in das unerklärliche Wesen. Es erhebt sich vom Grunde und schwimmt ruckweise rings an den Wänden des Glasgefässes hin. Jetzt werden die beiden Schalen sichtbar, und deutlich beobachten wir, wie das Thier durch abwechselndes Oeffnen und Schliessen derselben sich vorwärts stösst, während der Fransenknäuel wie eine feurige Garbe nachschleppt. Nun setzt es sich wieder, und gerade so günstig, dass wir in das klaffende Innere sehen können. Wir sehen die braunen Kiemen, und zwischen ihnen streckt sich der schmale Fuss vor und tastet auf dem Boden herum, einem Blutegel vergleichbar. Der Fuss saugt sich fest mit seinem vorderen Ende, und durch eine rasche Kontraktion zieht er das ganze Thier hinter sich nach. Mehrmals wiederholt sich dieses Manöver. Die Muschel marschirt vorwärts wie eine Raupe.

 

Von unserer europäischen Lima weiss man, dass sie ein Nest für sich baut und darin den grössten Theil ihres Daseins in beschaulicher Ruhe zubringt. Auf dem Riff von Gavatina habe ich niemals Nester, wohl aber ziemlich häufig das freie Thier im Wasser sich tummelnd gefunden.

Zur Zeit der Ebbe blieben wir selten allein auf den Korallenbänken. Eingeborene schlossen sich uns an, um Fische zu fangen, und so weit wir die Küste überschauen konnten, war sie belebt von Menschen, die unter fröhlichem Geschrei sich dieser Beschäftigung hingaben, die wenigen Reiher, welche gleichfalls zu fischen kamen, nach den äussersten Aussenriffen verscheuchend.

Auch bei Nacht herrschte dann ein reges Treiben dort. Allenthalben bewegten sich brennende Fackeln hin und her, und Bambusgeklapper und laute Stimmen weckten das Echo der finsteren Waldberge. Es schien mir als ob diese lärmende Lustbarkeit grossentheils dazu dienen sollte, Muth einzuflössen, da sich die Insulaner in der Dunkelheit vor allerhand bösen Geistern fürchten.

Die von der Ebbe in den Tümpeln zwischen den Riffen zurückgelassenen Fische wurden mittels kleiner viereckiger Netze gefangen, indem man dieselben auf den Boden der Tümpel legte, die Fische darüberjagte und mit einem schnellen Ruck aufs Trockene warf. Auch bedient man sich zur Betäubung der Fische einer Eugenia-Art, und man sah alte Strünke davon überall auf den Riffen herumgestreut. Wenn eine Gesellschaft junger Männer am Strand entlang zog, waren sie gewöhnlich mit zugespitzten hölzernen Wurflanzen bewaffnet, mit denen sie auf Fische im seichten Wasser zu werfen pflegten. Ich habe aber nie gesehen dass einer einen Fisch getroffen hätte.

Es gab massenhaft Holothurien rings um die Insel, mindestens zehn Arten waren überall gemein. Indess schienen diese Thiere, die anderwärts in der Südsee als Trepang für den chinesischen Markt getrocknet eine so grosse Rolle spielen, hier von den Eingeborenen kaum beachtet zu werden. Am häufigsten war eine grosse armsdicke und vorderarmslange schwarze Seegurke, die zu einer prallen und harten Wurst zusammengezogen überall herumlag. Ihr Gegentheil in Bezug auf Konsistenz bildete eine Synapta, die den Eindruck einer leeren nur mit wässerigem Schleim gefüllten Wursthaut machte.

Auf unseren Riffexpeditionen trafen wir gewöhnlich mit einem hübschen schlankgewachsenen Mädchen zusammen, welches ganz ausgezeichnet schöne Beine besass. Diese Beine wirkten ästhetisch befriedigend namentlich dadurch, dass sie aus einem kurzen Blättergürtel hervorwuchsen, welcher die einzige Bekleidung des hübschen Mädchens war. In der einen Hand ein schmales Netz aus Kokosnussfasern, an der anderen ihren kleinen Bruder, der einherlief so wie ihn Gott erschaffen hatte, bot sie das malenswertheste Modell einer reizenden Wildin.

Einigemal als ich Nachts in Folge von Kawa-Genuss nicht schlafen konnte, nahm ich die Jolle und fuhr hinaus, um das Meerleuchten zu beobachten. Ich konnte aber nie etwas nennenswerth Prächtiges entdecken. Das Wasser war stets zu unruhig um deutlich in die Tiefen zu sehen und der Sternenhimmel zu hell um die bescheidenen phosphoreszirenden Blitze, die wahrscheinlich von Fischen erregt unten hin und her zuckten, nicht zu beeinträchtigen. Ich sah nicht mehr als in jedem Salzwasser und viel weniger als in der Nordsee gewöhnlich am Strande zu sehen ist. Von Korallen sah ich niemals ein Leuchten ausgehen.

Wie bereits erwähnt, springen links und rechts von Gavatina steile Bergrücken in die See vor, und hinter diesen folgen zwei andere Thäler mit Palmenhainen. In dem Thale rechts liegt das Dorf des alten Oberhäuptlings, Sanima, in dem Thale links wohnte ein Engländer, Doktor Hink mit seiner Familie.

Um dem alten Tui meinen Gegenbesuch abzustatten, ging ich an einem der ersten Tage nach Sanima. Der Weg dorthin führt um eine scharfe Ecke der vielgebuchteten Insel dem Ufer des Meeres entlang, das hier zu Lande überhaupt die vorzüglichste Verkehrsstrasse bildet. Bald ist es weicher, hässlich nachgiebiger Sand, bald das Wurzelwerk stinkender Mangrovesümpfe, bald sind es lose gehäufte Felsblöcke, über die sie dahinführt, und es ist schwer zu sagen, welche der drei Arten die beschwerlichste und ermüdendste ist. Pferde oder Wagen giebt es nicht auf Kandavu, sie wären auch zu nichts zu gebrauchen. Zwischen Gavatina und Sanima herrscht grösstentheils die Felsblockkonstruktion. Rechts baut sich der herrliche Wald in die Höhe, hellgrüne Farne und dunkelglänzendes Buschwerk hängt an den Felsenkanten herab, links brandet draussen die blaue See in blitzenden Linien. Aber von all diesen Schönheiten ist im Gehen nichts zu geniessen. Denn die Blöcke sind glatt und schlüpfrig, und eine Menge Fliegen umschwirren zudringlich den Wanderer.

Nach einer halben Stunde tritt der Berg zurück, statt der mühseligen Blöcke knirscht weicher Korallensand unter den Füssen. Palmen wogen durch ein freundliches Thal, wir sind in Sanima.

Einige kleine Nacktfrösche laufen erschrocken davon und schreien »Papalang, Papalang«. Ihnen schliesst sich eine Schaar lustiger Ferkel an und rennt wo möglich noch flinker ins Dorf hinein, aufgeregt die Ringelschwänzchen im Kreise drehend. Ein Köter fängt an zu knurren, zieht aber sogleich feige den Schweif ein und retirirt, sowie wir uns nähern. Der Weisse scheint für sie alle eine gleich unheimliche Erscheinung zu sein.

Diese Vitihunde, die wahrscheinlich zugleich mit den Insulanern eingewandert sind, weichen in ihrem Typus auffallend von ihren europäischen Brüdern ab. Sie gleichen in der Grösse unserem Spitz, haben aber glatte Haare. Ihr Gesicht trägt den Ausdruck der Niederträchtigkeit und Falschheit, und die aufgestülpte Spürnase verleiht ihnen etwas Hyänenartiges.

Die struppigen Hütten des Dorfes sind weit auseinander gebaut und ziehen sich eine gute Strecke dem Ufer parallel im Schatten des Palmenhaines hin. Hie und da stehen kleine Papaya-Gärten angepflanzt. Ein Bach durchschneidet das Thal, grosse Pandaneen ragen aus seiner Schlucht hervor. Der Boden ist festgestampft und ohne Bewachsung. Kleine Eremitenkrebse schleppen auch hier ihre schweren Gehäuse herum.

Sanima ist, obgleich die Residenz des obersten Häuptlings der Insel, keine vornehme Ortschaft. Dies sagt schon der Lärm der Tapaklöppel, welcher überall aus den Hütten dringt. Früher duldeten hohe Aristokraten solche plebeische geräuschvolle Arbeit nirgends in ihrer Umgebung. Sowie ich mich nähere und der Ruf »Papalang« mir vorauseilt, verstummt das Klopfen, und zu allen Thüren strecken neugierige Weiber ihre Köpfe heraus und winkten mir freundlich grinsend, einzutreten. Die Vitis winken nicht, wie wir, mit dem Rücken der Hand, sondern mit dem Handteller nach unten, wie überhaupt die meisten Völker. Schon bei den Süditalienern beginnt diese für uns fremdartige Geberde, die mich im Anfang glauben machte, man wolle mich hinwegweisen. Der Sinn und der Ursprung beider Arten ist schliesslich der gleiche, nämlich die Absicht, einen begehrten Gegenstand zu fassen und heranzuziehen.

Ich ging erst durchs ganze Dorf um mich zu orientiren und fand dann einen so schönen schattigen Pfad, durch den ein kühlender Zephyr von der See hereinwehte, dass ich meinen Spaziergang noch weiter ausdehnte. Unter hohen Dilobäumen standen regelmässig geordnet Bananas und Papayas angepflanzt, und in der Mitte dieses anmuthigen Haines entdeckte ich den kleinen Friedhof von Sanima. Einfache längliche Grabhügel ohne Kreuz oder Denkstein, eingefasst von Korallenbruchstücken und Muscheln, liegen in drei oder vier Reihen neben einander. Hecken von rothblätterigen Cordyline-Bäumchen, die hier zu Lande die Stelle unserer Trauerweide vertreten, was übrigens die Eingeborenen nicht hindert, sich der Blätter auch zum freudigen Schmuck zu bedienen und sie um die Schläfen, Lenden und Waden zu binden, umgeben die Stätte. Durch eine Lücke im dichten Gebüsch blickt die blaue See herein, und schüchtern sendet von oben die Sonne einige zitternde Strahlen herab.

In der Ferne hörte ich abermals Tapa klopfen, und bald darauf kam ich an zwei einzelne Hütten, in denen ein Dutzend Weiber emsig der Tuchbereitung sich hingaben. Ich setzte mich zu ihnen und bat sie, sich nicht stören zu lassen, da ich mich für ihre Arbeit interessirte. Aber sie verstanden aus meiner Mimik nicht was ich wollte, und lachten laut bei jedem Versuche mich ihnen begreiflich zu machen.

Die Bereitung der Tapa, des einheimischen Tuches, wird auf Kandavu von den Weibern noch immer mit grossem Fleisse betrieben, trotz der Einfuhr und der Beliebtheit der europäischen Baumwollenzeuge. Ich weiss nicht, wie es sich hiermit auf den anderen Inseln verhält, und ob nicht vielleicht dieser alte Industriezweig seine Aufrechterhaltung auf Kandavu nur den amerikanischen Dampfern verdankt, die alle Monate zweimal hier anlegen und eine Masse Passagiere aus Australien, Neuseeland und San Francisco bringen, welche gern ein Stück Tapa als Andenken kaufen und theuer bezahlen. Um Tapa zu machen, wird der Bast des Papiermaulbeerbaums, einer Broussonetia, in Streifen von den Stämmen geschält, mit viereckigen Klöppeln aus hartem und schwerem Holz in die Breite und Länge geklopft und mehrere Streifen zu beliebigen Grössen zusammengefilzt durch immerwährendes Klopfen, wobei der eigene Saft des Fasergewebes bindend zu wirken scheint. Dieser schöne Stoff wird theils weiss, theils gefärbt verwendet. Schon seit urdenklichen Zeiten kennen die Insulanerinnen das Verfahren des Zeugdrucks. Sie bedienen sich theils geschnitzter theils geflochtener Matritzen, um die Tapa mit stylvollen Mustern meist von rothbrauner Farbe zu zieren. Der taktmässige Lärm der Tapaklöppel ist für ein Vitidorf eben so charakteristisch und stimmungsvoll wie bei uns auf den Dörfern im Herbste das Dreschen. Schon von weitem hört man daran im Busch, dass man sich einem Dorfe nähert.

An einem mit hohem Gras bewachsenen Hügel fand ich die leere Wohnstätte eines Weissen. Unten standen zwei grosse europäische Fahrzeuge auf Helgen, eines davon noch im Bau. Der Platz gehörte jenem Schiffszimmermann, der eben mit seinem ganzen Kindersegen in Wailevu wohnte und arbeitete. Hier sah ich zum ersten mal die auf Kandavu überall in den brackigen Tümpeln des Ufersaumes vorkommenden Springfische. Diese fingerlangen Geschöpfe vermögen sich mittels ihrer starken Brustflossen hüpfend über die Sandbänke fortzubewegen und so von einem Tümpel in den anderen zu entweichen.

Den Schluss meines Weges bildete ein stinkender Mangrovesumpf, an dem ich umkehrte. Weit draussen segelte ein Vitikanuu vorbei, und Gesang und Getrommel tönte fröhlich wie immer zu mir herüber.

Als ich, verfolgt in respektvoller Entfernung von einer halb scheuen, halb muthwilligen Kinderschaar, den alten Tui aufsuchte, sass er gerade vor seiner ärmlichen Hütte und schnitzelte mit einem funkelnagelneuen Messer, das er erst kürzlich von meinem Gastfreund erhalten, an einem Stück Holz herum, welches sich zu einem Wasserschöpfer für sein Boot gestaltete. Er besass nämlich ein europäisches Boot und war sehr stolz darauf. Er schüttelte mir kräftig die Hand und lud mich ein, neben ihm niederzusitzen. Auch seine Frau kam heraus und begrüsste mich. Eine Konversation wollte jedoch nicht recht gelingen, und so nahm ich denn wieder Abschied, nachdem ich seinen Kutter, der sorgfältig mit einem Theertuch gegen die Sonne geschützt in einem eigenen Hafen lag, bewundert hatte.

Auf den Geröllblöcken kurz vor Gavatina begegneten mir sechs Mädchen aus Wailevu, welche mit schneeweissen Sulus und theils scharlach- theils purpurrothen Pinafores angethan und mit frischen Blätterguirlanden um den Kopf und den Hals und den Gürtel geschmückt, nach Sanima marschirten, um bei Freundinnen vorzusprechen. Sie hatten offenbar die Absicht, in dem weitabgelegenen bescheidenen Sanima, wohin solch gleissende Kleiderpracht und so viel Bekleidung überhaupt noch nicht gedrungen war, als Grossstädterinnen zu imponiren.

Am folgenden Tag ging ich zu Doktor Hink, unserm weissen und nächsten Nachbarn zur Linken.

Doktor Hink war ehemals Arzt in Melbourne und ein reicher Mann gewesen. Durch Spekulation hatte er sein Vermögen verloren und war nach Viti übergesiedelt, um hier Baumwollenpflanzer zu werden. Nach einer kurzen Blüthezeit der Baumwolle auf Viti während des Amerikanischen Bürgerkrieges folgte der Umschlag, machte die ganze Kolonie bankerott, und Doktor Hink war wieder so arm wie zuvor. Jetzt lebte er auf seinem Grundstück, von dem man nicht genau wusste, ob es ihm auch noch gehöre – Besitztitel in so primitiven Ländern sind ja selten unanfechtbar – ohne einen Pfennig in der Tasche zu haben wie so viele Andere. Um ihn herum wuchs eine Menge von Kokosnüssen, Taro und Yams, so dass er eigentlich nie zu hungern brauchte. Auch hatte er etliche Schweine, die sich ohne sein Zuthun vermehrten. Wollte er Geflügel haben, so ging er mit seinem alten Militärgewehr in den Busch, um Papageien zu schiessen, und gelüstete ihn nach Brandy, so kam er zu uns herüber und klagte jämmerlich über Magenschmerzen, worauf in der Regel Herr Kleinschmidt gutherzig genug war, ihm einen Schluck der Universalmedizin zu gewähren.

 

Man erzählte von dem Doktor, dass seine Vergangenheit keine ganz ungetrübte sei, dass er zu Melbourne den Schnaps nicht blos heimlich geliebt, sondern auch heimlich in grösseren Quantitäten fabrizirt habe, weshalb er sich eines Tages genöthigt sah, nach dem damals noch nicht unter britischer Flagge stehenden Viti zu entweichen. Beweise hierfür waren natürlich nicht beizubringen. Nur Eines musste ich dem Kollegen verübeln, nämlich dass er im Anfang, als er noch nicht recht wusste, zu welchem Zweck ich auf Kandavu weilte, mich zu beschwindeln versuchte, mit ihm ein Kompagniegeschäft zur massenhaften Erzeugung von Kopra zu entriren, wobei ich das Geld, er aber sein zweifelhaftes Besitzthum hergeben sollte. Unter Kopra versteht man das in Streifen geschnittene und an der Sonne gedörrte Fleisch der Kokosnüsse, welches direkt nach Europa verschifft wird, um zur Kokosöl- und Kokosseifenbereitung zu dienen.

Naikorokoro ist der Vitinamen des Thales, in dem der Doktor lebte. Er nannte es indess Tokalau, vielleicht zu Ehren der Eingeborenen der nördlich von Viti gelegenen Gruppe dieses Namens, welche einst als Kulis für ihn hier gearbeitet hatten. Seine Wohnstätte war ein geräumiges luftiges Haus aus Palmblättern im Vitistyl und stand sehr malerisch, umgeben und beschattet von Palmen, Bananas und Papayas, auf einem kleinen Hügel, der eine hübsche Rundschau beherrschte. Gerade im Norden lag Benga, die nächste Insel, und dahinter die blauen Kontouren von Vitilevu und Vanualevu und vielen anderen, aber blos bei hellem Wetter deutlich erkennbar. Rechts trat das unbewohnte Ono hervor, welches, nur getrennt durch eine schmale Untiefe, das östliche Ende Kandavus bildet.

Das Innere sah im Vergleich zu unseren beschränkten Verhältnissen von Gavatina sehr komfortabel aus. Europäische Möbel und elegante messingene Kleiderhaken bildeten einen anmuthigen Kontrast zu den rohen Baumstämmen und Palmstrohwänden, zu dem nackten Erdboden und den Thüröffnungen ohne Thüren. Es musste sich hier sehr idyllisch leben. Doktor Hink dachte darüber freilich anders und wünschte Viti und die ganze Romantik seines Daseins zu allen Teufeln und sich selbst nach Old England zurück. Doch behauptete er noch nicht alle Hoffnung aufgegeben zu haben und schwärmte warm für die Kopra.

So oft ich zu ihm kam, liess er für sich und für mich Kawa von seinen Jungen kauen. Sonst hatte er ja nichts, was er mir vorsetzen konnte. Sein Thal war nicht uninteressant. Ueberall wuchsen noch Baumwollestauden und trugen Blüthen und Früchte zugleich, aber kein Mensch kümmerte sich mehr um sie, und die zahlreichen grossen grünblau schillernden Wanzen die sich auf ihnen herumtrieben, blieben ungestört. Zwei alte Baumwollehandmühlen lagen in Trümmern und moderten, traurige Reste einer besseren Zeit.

Halbumgeben von einem rauschenden Bambusgeröhricht lag hinter dem Hügel das Grab der Familie Hink. Zwei Kinder des Doktors und seine Mutter ruhten darin. Es war ebenso wie die Gräber der Viti-Insulaner aus Korallen aufgebaut und mit der rothen Cordyline bepflanzt.

Ich machte noch öfter Besuch in Sanima, und eines Sonntags liess ich mich nach dem Frühstück von Niketi in der Jolle dorthin rudern, um dem Gottesdienst beizuwohnen.

Heftige Regengüsse wechselten mit Sonnenschein, und ich wurde durch und durch nass. Parallel mit uns strebten Männer, Weiber und Kinder auf den Geröllblöcken des Ufers ebenfalls der Kirche von Sanima zu und hielten sich zum Schutz gegen den Regen grosse Taroblätter über die Köpfe. Ich sah jetzt zum ersten mal vom Wasser aus den schönen steilansteigenden Busch mit seinen Baumfarnen und Palmen und herausragenden Felszacken, in dem ich so oft herumgeklettert war.

»Sa yandre, sa yandre« tönte es mir freundlich entgegen, als ich landete, die Jolle aufs Trockene zog und durch das Dorf ging. In der Kirche war noch Niemand versammelt. Auf dem Tisch für den Prediger lagen ein paar leere Tassen und Teller und eine alte schmierige Sardinenbüchse mit einem angeschmolzenen Stearinkerzenstummel, vielleicht die Geräthe der gestrigen Abendmahlzeit des frommen Mannes. Ausser dem Tisch in der Mitte der einen Hälfte des länglichen Raumes stand in der Ecke rechts davon ein Schaukelstuhl, thronartig etwas erhöht, wahrscheinlich für den greisen Tui, und neben diesem ein aschebedeckter Feuerplatz. Angelschnüre und ein leinenes Segel hingen in einer anderen Ecke. Sonst war nichts innerhalb der kahlen Strohwände. Kein Schmuck verzierte die rohen Balken des Gerüstes. Der Boden war mit Matten und einer weichen Farnkrautpolsterung darunter belegt.

Diese Kirche sah im Vergleich mit anderen, die ich später noch traf, ziemlich armselig aus. Sie unterschied sich wenig von den gewöhnlichen Hütten der Dorfbewohner, nur vielleicht dadurch, dass sie sechs Thüren, je eine vorne und hinten, und zwei an jeder Seite besass.

In der Regel sind auf Kandavu die Kirchen höher und sorgfältiger gebaut und mit weissem Kalk beworfen, wodurch sie schon von Ferne dominirend entgegenglänzen, und die beiden für die Vitibauart charakteristischen konischen Enden der Giebelbäume, welche nach vorne und nach hinten aus der Firste ein Meter hervorragen, sind mit festgebundenen Muscheln, dem weissen Ovulum ovum verziert, oder es hängen Guirlanden dieser Muscheln an Stricken aufgereiht von den Enden herab. Guirlanden von Ovulum ovum waren früher das Wahrzeichen der Häuptlinge. Jetzt dienen sie dazu, die Hoheitsrechte der Kirche auszudrücken. Da es noch keine Glocken giebt, so dienen noch immer zwei kurze backtrogähnlich ausgehöhlte Baumstämme, »Lali« genannt, einer davon grösser und mit tieferem Ton, durch Klöppel an den Kanten angeschlagen, dazu die Gemeinde zum Gottesdienst zu versammeln. Solche Lalis fehlten auch in Sanima nicht.

Ich frug nach dem »Missonari«, und eine Schaar diensteifriger Jungen führte mich zu dem braunen Missionär des Ortes. Ich kannte diesen bereits von früher her, und er empfing mich sehr freundlich. Seine äussere Erscheinung hat nichts Besonderes und ist die aller alten Viti-Insulaner. Er zeigte mir mit Stolz seine dicke in der Vitisprache zu Levuka gedruckte Bibel, die er bereits zur Kirche gerüstet unter dem Arm trug, und eine Kalendertafel, gleichfalls viti, die an der Wand hing. Er bemühte sich, mit mir englisch zu sprechen. Es wurde mir aber nicht recht klar, was er mir sagen wollte. Gleichwohl liess ichs nicht merken. Denn er schien viel auf seine linguistische Begabung zu halten, und die anwesende Jugend blickte bewundernd zu ihm hinauf.