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Reise durch den Stillen Ozean

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So schwindet das alte sehr ausgebildete Zeremoniell der Südseeinsulaner immer mehr dahin, welches ehemals so weit ging, dass alle Untergebenen stolpern und niederfallen mussten, wenn ihrem Höheren Solches passirte. Deshalb waren, wie die ersten Missionäre erzählen, ihre Diener und Begleiter auch immer so ängstlich, wenn es sich um das Passiren einer Brücke handelte, die hierzulande nur aus einem oder zwei dünnen Palmstämmen bestehen. Stürzte der Missionär in den Abgrund, so mussten auch sie ihm folgen.

Meine Anwesenheit in Gavatina war ein wichtiges Ereigniss für die neugierige Einwohnerschaft der Umgebung. Am folgenden Tag kam auch die Gemahlin des Tui, eine noch sehr rüstige alte Dame, die »Marama«, wie sie anzureden ist, von Sanima herüber. Auch ihr bezeugten unsere Jungen und ihre Begleiter die geziemende Ehrfurcht.

Die sogenannten Wilden überraschten mich durch eine viel grössere geistige und gemüthliche Begabung als ich erwartet hatte. In Bezug auf Intelligenz schienen sie mir entschieden nicht tiefer zu stehen als unsere Bauern, in Bezug auf die Anmuth ihrer Erscheinung und ihres Benehmens meist höher. Ihr gutmüthiges, freundliches, heiteres Wesen musste Jeden gewinnen, der über das Vorurtheil der Hautfarbe erhaben war. Allerdings blieb ich nicht lange genug auf Kandavu, um den Reiz der Neuheit, der mir nur die liebenswürdigen Seiten an ihnen wahrnehmen liess, zu verlieren, und gewiss musste ich Herrn Kleinschmidt Recht geben, wenn er mir versicherte, dass meine Vorliebe für die braunen Naturkinder nach wenigen Monaten weichen würde. Wie oft schon haben anderwärts in weniger zahmen Gegenden Reisende durch den ersten Eindruck sich täuschen lassen und ausgerufen »das also sollen die gefürchteten, schrecklichen Menschenfresser sein, es sind harmlose, liebenswürdige Kinder«, und am nächsten Tag wurden sie von den liebenswürdigen Kindern aufgefressen. Diese Gefahr nun ist auf Kandavu und wahrscheinlich auf ganz Viti nicht mehr zu fürchten. Die Vitis gehören dem europäischen Einfluss an, und die einzelnen vagen Behauptungen, dass es im Innern von Vitilevu noch Kannibalen gebe, sind nicht erwiesen.

Man warnte mich oft vor Dieben. Aber obgleich die primitiven Wohnverhältnisse keinen Verschluss gestatteten, ist mir in Gavatina niemals etwas gestohlen worden, ganz im Gegensatz zu den von den Europäern gehörten Behauptungen über die Stehlsucht der Vitiinsulaner, von welchen die mildeste dahin lautete, dass sie nur an Sonntagen eine Ausnahme machten und die Tugend der Ehrlichkeit übten. In Bezug auf Munition mag allerdings Vorsicht nöthig sein. Es ist verboten, den Eingeborenen Gewehre und Schiessbedarf irgend welcher Art abzugeben, und mit solchen Dingen dürfte es sich eben verhalten, wie mit allen verbotenen Früchten.

Im Ganzen schienen mir diese nackten schlanken und muskulösen Insulaner die glücklichsten Menschen zu sein, die man sich denken kann. Die Missionäre haben es noch nicht vermocht, ihnen ihre natürliche kindliche Heiterkeit zu rauben, und es ist erfreulich, dass auch in Bezug auf ihre ursprüngliche einfache Tracht die Christianisirung nicht viel geändert hat – erfreulich, weil europäische Kleider sie nur verweichlichen dürften, da sie dieselben nicht zu gebrauchen verstehen. Sie würden sie wahrscheinlich nur während des Tages anziehen, um in der Sonnenhitze damit Staat zu machen, bei Nacht aber würden sie die kostbaren Gegenstände zur Schonung sorgfältig einpacken und sich nackt auf ihre alten Matten legen, wie mir das Beispiel von Niketi und Ruma und später noch andere bewiesen.

In der vorchristlichen Zeit trugen die Männer ihr starkes und langes krauses Haar in die Höhe und Breite ausgezupft, so dass mächtige Perrücken entstanden, welche sogar geeignet waren die Wucht von Keulenschlägen abzuschwächen. Diese Perrücken wurden in der mannigfaltigsten Weise geformt und verziert, manche glichen dem bayerischen Raupenhelm. Um die Lenden schlangen sie sich aus einem schmalen Stück Basttuch ein Suspensorium, den »Malo«, zurecht. Die Weiber schoren sich auch damals schon die Haare kurz und banden um die Hüften den »Liku«, einen 50 bis 80 Zentimeter langen Rock aus schmalen Schilfblättern, die an einem Strick aus Kokosnussfasern angereiht sind. Dieser vorchristliche heidnische Zustand in der Tracht soll noch im Innern der grossen Insel Vitilevu bei den wenigen noch nicht unterworfenen Stämmen herrschen.

Ueberall wo die Missionäre gebieten, scheeren sich jetzt beide Geschlechter die Haare kurz, und beide tragen den Sulu, ein klafterlanges Stück Baumwollenzeug um die Hüften geschlungen. Zum Fischen indess ziehen die Weiber noch immer den altmodischen Liku an, weil dieser in der Nässe bequemer ist als der anklebende Sulu, und hier sind sie also noch immer so echt wie vor zwanzig oder dreissig Jahren.

Das Tätowiren war bei den Vitis niemals im Schwung. Blos erlauchte Häuptlingsfrauen liessen sich früher an beide Mundwinkel je einen markstückgrossen runden blauen Tupfen eintätowiren, was hie und da noch an alten Individuen zu sehen ist. Dagegen liebten es die vornehmen Krieger, sich das Gesicht mit rother, weisser und schwarzer Farbe in regelmässigen, meist geradlinigen Ornamenten, aber stets möglichst fürchterlich zu bemalen.

Die Wohnungen der Vitis sind niedrige länglich viereckige Hütten aus Laubwerk, Palmblättern oder Schilfrohr, welche Materialien in verschiedenen Mustern über ein festes Pfahlwerk aus Holz gebunden werden. Charakteristisch für die alte echte Bauart sind die beiden Enden des Giebelbaumes, indem sie, aus schwarz gekohlten nach aussen konisch verdickten Baumfarren-Stämmen bestehend, von den Kanten des Daches ein Meter weit hervorragen. Die Thüren sind so niedrig, dass man nur hineinkriechen kann, und gegen die Schweine, die frei in den Dörfern herumlaufen, mit einem Vorbau kurzer Pallisaden geschützt. Der Boden im Innern ist mit Matten belegt, die mit Farnkraut unterpolstert sind, so dass man sehr weich darauf liegt. Er wird äusserst reinlich gehalten. Darauf zu spucken wäre ein grober Verstoss. Wer ausspucken will, muss den nächsten Zipfel einer Matte aufheben und darunter auf das Farnkraut spucken. Dies gilt natürlich nur bei den Vornehmen, arme Leute sind weniger skrupulös.

Ein Bett hat der Viti-Insulaner nicht. Er schläft auf seinem weichen Mattenboden, neben ihm brennt ein kleines Feuer an der Wand, welches er von Zeit zu Zeit mit einem Fächer anwedelt, als Kopfkissen dient ihm ein Stück Bambusrohr, das an beiden Enden auf je zwei Füsschen ruht. So liegt er nackt und meist ohne Decke da, höchstens dass er vielleicht die unter ihm befindliche steife Matte aufbiegt und halb um sich rollt, häufig seinen Schlaf unterbrechend, um das Feuer neben sich anzufachen. Die Nächte sind manchmal sehr kühl, und man hört dann die nackten Menschen beständig husten.

Bei den Aermeren ist in derselben Hütte, in welcher die ganze Familie schläft, gewöhnlich noch ein grösserer Feuerplatz in einer Ecke, zum Kochen bestimmt. Hier liegen horizontal zwei grosse und schwere Töpfe, deren Form ganz genau dem Nest der Töpferbiene nachgeahmt, aber zu dem Durchmesser von einem halben Meter vergrössert ist. In diese Töpfe wird nun alles zusammen hineingeschoben und gegossen was gekocht werden soll, und die enge Oeffnung mit einem Stöpsel aus zusammengebundenen Cordyline-Blättern verstopft. Bei den Reicheren sind zum Kochen eigene Hütten vorhanden, in denen die Frauen schlafen. Der wohlhabende und vornehme Mann schläft nur mit den Männern seines Gefolges zusammen. Ehegatten leben zu Hause getrennt und geben sich draussen im Walde Rendezvous. So will es die alte Viti-Sitte, die noch vielfach in Kraft steht, wenn sie auch jetzt nach Einführung des Christenthums, das jedem gestattet ein Weib zu besitzen, nur noch beim alten Adel zu beobachten ist.

In jeder Hütte findet man hohle Kokosnüsse als Wassergefässe an der Wand hängen. In einem der Löcher am stumpfen Ende der Nuss ist eine Schnur durch einen Pflock festgeklemmt, an jeder Schnur baumeln auf diese Weise zwei Nüsse, so dass sie bequem paarweise um den Nacken gehängt werden können, wenn die Weiber ausgehen um im nächsten Bach Wasser zu holen. Die beiden andern Löcher sind durch kleine Keile von zusammengerollten Blättern verschlossen. Aus diesen Gefässen zu trinken ist nicht ganz leicht. Man muss sich das Wasser aus einer gewissen Entfernung in den Mund giessen. Die Lippen an die Oeffnungen zu legen gilt für sehr unanständig.

Das Mobiliar einer Viti-Hütte ist somit von klassischer Einfachheit. Die unterpolsterten Matten, einige Bambus-Kopfkissen, eine oder zwei Feuerstellen, einige Fächer, die zwei Kochtöpfe und etwa sechs paar Kokosnuss-Wassergefässe, mehr braucht eine Viti-Familie nicht in ihrem Daheim und zu ihrem Glück.

Ueber die Stellung der Viti-Insulaner in der Klassifikation des Menschengeschlechts herrscht grosse Zerfahrenheit unter den Systematikern. Gerland (1872) rechnet sie zu den Melanesiern, zu denen er auch die Papuas zählt, Müller (1873) ebenfalls zu den Melanesiern, die bei ihm eine Unterabtheilung der Malayen sind, welche er in Polynesier, Melanesier und eigentliche Malayen scheidet, Peschel (1874) zu der mittlerweile selbständig gewordenen Rasse der Papuas, Meinicke (1875) zu den Polynesiern. Die Vitis liegen eben gerade noch an der Grenze jenes Erdenwinkels, dessen buntes Gewimmel kleiner Inselvölkchen noch nicht genug aufgeklärt ist. Vielleicht dass man die Begriffe Polynesier, Melanesier und Mikronesier – auch etymologisch und allgemein logisch unglücklich gewählt – aufzugeben und nur noch Malayen und Papuas mit verschiedenen Zwischen- und Mischformen beizubehalten haben wird. Die sehr wohlklingende Sprache der Vitis ist malayo-polynesisch. In der Haarbildung nähern sie sich dem Papua-Typus.

Obgleich ich nur auf Kandavu war, so glaubte ich doch die Bewohner dieser Insel als echte Repräsentanten der ganzen Gruppe betrachten zu dürfen, da ich dort auch viele zugereiste Eingeborene von anderen Vitiinseln sah, ohne einen Unterschied derselben entdecken zu können. Es sind allerdings auf Kandavu auch eingewanderte Tonganer vorhanden, namentlich in dem grossen und wohlhabenden Dorfe Dalingele an der Südseite des Bukelevu. Diese sind aber sofort auf den ersten Blick als solche zu erkennen an ihrer auffallend hellen, fast pomeranzengelben Farbe. Ebenso sind auf Kandavu als Kulis eingeführte Neu-Hebriden-Insulaner zu sehen, deren grauschwarze Haut im Gegensatz zu dem warmen Braun der Vitis, dem man beim Malen entschieden Gelb beimischen muss, einen bläulichen Duft zeigt.

 

Die Vitis sind wie gesagt schöne, schlanke, muskulöse Menschen. Sie sind wohl im Durchschnitt länger und kräftiger als die Europäer, mehr gleichlang und mehr gleichentwickelt, ohne die Extreme der bei uns vorkommenden Riesen und Zwerge, Dickwänste und Klapperskelette. Ihre Gesichtszüge sind meistens angenehm, oft edel, selten so roh und brutal wie man bei den Söhnen der schlimmsten Kannibalen, welche die Geschichte der Menschheit kennt, erwarten möchte. Die Nase ist breit, die Nüstern sind ebenso wie bei den Polynesiern etwas weit geöffnet, die Jochbogen nur mässig oder wenig vorspringend. Der Mund ist sinnlich voll, ohne unschön zu sein. Die horizontal geschlitzten Augen sind dunkelbraun, die Haare schwarz, in der Regel aber künstlich ins Röthliche gefärbt, die Haut braun, schokolade- bis rothbraun, bald heller, bald dunkler. Von dem bläulichen Schimmer der Haut, der ihnen beigelegt wird (Gerland, Peschel) habe ich nichts wahrnehmen können. Das Haar ist kraus und wird gegenwärtig allgemein sehr kurz gehalten. Ich habe das für die Papuas von A. R. Wallace als charakteristisch angegebene Pudelhaar nur einmal bei einem Mädchen von etwa fünf Jahren gesehen. Das ganze Kopfhaar war hier in einzelne Löckchen von sieben Zentimeter Länge verfilzt, es wuchs aber gleichmässig über den ganzen Kopf aus der Haut, nicht in Büscheln wie bei den Schuhbürsten. Barrow hat nämlich den Hottentotten dieses Schuhbürstenhaar nachgerühmt. Und Hottentotten und Papuas stehen bei Häckel neben einander als Büschelhaarige. Der Bartwuchs ist bei vielen Vitis, namentlich adeligen, reichlich. Greise haben weisse Haare und weissen Bart.

Unter den jüngeren Weibern giebt es hübsche, anmuthige Gestalten mit freundlichen Zügen. Ihre Formen sind zuweilen sehr üppig. Im allgemeinen aber fehlt den nicht mehr in der ersten kurzen Blüthe befindlichen Frauen die Grazie der europäischen Weiblichkeit, sie nähern sich zu sehr dem männlichen Typus, wozu auch noch der Umstand beiträgt, dass sie die Haare kurz geschoren tragen, und sie werden sehr rasch welk und alt. Die Brüste, auch der eben erst reif gewordenen Mädchen, zeichnen sich aus durch eine auffallende Hervorragung des Warzentheils, der leicht abgeschnürt erscheint und so dem ganzen Organ etwas Birnförmiges verleiht.

Es ist ein grosser Unterschied ob man diese sogenannten Wilden in der Ruhe oder in der Bewegung betrachtet. In der Ruhe, wenn sie so gerade vor sich hinstieren und vielleicht auch wohl den Mund offen stehen lassen, sehen sie gewiss nicht vortheilhaft aus. In der Bewegung aber, wenn sie lebhaft gestikulirend mit einander sprechen und lachen – und sie lachen fast immer – wenn ihre herrlich weissen Zähne und ihre dunklen Augen blitzen und funkeln, gewähren sie ein höchst anziehendes Bild von Kraft und Frische, Urwüchsigkeit und Wildheit. Desshalb wird auch die beste Photographie immer weit zurückbleiben hinter dem unmittelbaren lebendigen Eindruck, den diese Naturmenschen auf den Beschauer ausüben, und nie eine richtige Vorstellung geben. In den Hütten sitzen sie gewöhnlich mit gekreuzten Beinen auf ihren Matten, im Freien aber kauern sie am liebsten nieder, ohne mit dem Hintertheil den Boden zu berühren, die Sohlen ruhen voll auf der Erde, und sie sitzen dabei förmlich auf ihren Waden.

Die Nahrung der Vitis ist eine vorzugsweise vegetabilische. Taro und Yams, Kumala, Bananen und Brodfrüchte liefern die Hauptgerichte. An Kokosnüssen ist kein Mangel, aber sie sind von den Missionären »tambu« erklärt, und fast vor jedem Kokospalmenhain stecken drei oder vier lange Stangen in der Erde, an deren Spitzen Strohbüschel hängen, das Zeichen des »Tambu«. Denn in Kokosnüssen haben die Eingeborenen ihren Zehnt an die Missionäre und ihre Steuer an die englische Regierung zu zahlen. Der Botaniker Seemann, der 1860 und 1861 die Vitiinseln in offiziellem Auftrage bereiste, sagt dass die Yamswurzel die Hauptnahrung der Vitis sei. Auf der Insel Kandavu scheint mir indess Taro überwiegend gebaut zu werden, vielleicht wegen der hier zahlreicheren kleinen Gebirgsbäche, die zu Sümpfen aufgestaut, sich besonders gut zur Anlegung von Taro-Pflanzungen eignen. Die Taropflanze ist eine Colocasia und die Yamspflanze eine Dioscorea. Letztere wird auf Aeckern in einzelnen Erdhäufchen, welche wie Maulwurfshügel aussehen, gezogen. Die Kumala oder süsse Kartoffel oder Batate ist ein Convolvulus und hat mit unserem Solanum nichts gemein als ihren deutschen und ihren englischen Namen. Taro, Yams und Kumala, Bananen und Brodfrucht werden gekocht gegessen.

Schweine und Hühner sind in jedem Dorfe vorhanden, sie werden aber nur bei hervorragenden festlichen Gelegenheiten, und dann in um so grösseren Quantitäten, verzehrt. Fische alle Tage und Schildkröten ziemlich selten liefert die See. An regelmässige Mahlzeiten scheinen sich die Eingeborenen nicht zu binden. Die auf den Riffen erbeuteten Fische werden entweder in Körbchen nach Hause getragen oder sogleich an Ort und Stelle verzehrt. Die Jungen, die mit hinausbummeln, tragen glimmende Holzscheite mit und schwingen sie von Zeit zu Zeit im Kreise, um sie in Brand zu erhalten. Haben sie einen kleinen Fisch, so wird er kurzweg lebendig auf die Gluth gehalten, um erst die eine Seite, dann die andere ein bischen anzuschmoren, in den Mund geschoben und abgebissen. Vor jedem Dorfe das am Strande liegt sind draussen an einer tieferen Stelle im Wasser Stangen kreisförmig dicht neben einander in den Grund gesteckt und oben durch Stricke verbunden, Käfige in die man die Schildkröten einsperrt bis man sie schlachten will. Die zahlreichen Papageien und Tauben des Waldes tragen nichts zur Küche des Viti-Insulaners bei. Es ist ein grosses Glück für die ornithologische Fauna der Inseln, dass jene mit den Gewehren die sie besitzen nicht umzugehen verstehen. Teller, Gabeln und Messer hat man für gewöhnlich nicht. Man isst mit den Fingern beider Hände, die Speisen werden sehr reinlich auf Blättern servirt. Früher bediente man sich für Menschenfleisch besonderer geheiligter Gabeln aus Holz.

Ihre Sprache, welche eine Abart des Polynesischen ist, während sie selbst dem Körperbau nach zu den Papuas gehören, klang mir womöglich noch wohllautender, als das Maori der Neuseeländer. Dabei lässt ihre Artikulation an Deutlichkeit nichts zu wünschen, ganz im Gegensatz zu jener des Englischen. Welche Mühe kostet es dem Anfänger, das gesprochene Englisch zu verstehen, jeder Engländer scheint ihm anders zu reden. Im Viti aber braucht man ein Wort blos einmal gehört zu haben, um es später sofort wieder zu erkennen.

Die Vitis sprechen alle das reine linguale R, während bei den Hawaiiern, deren Konversation ich später belauschen sollte, das gutturale R vorherrscht. Mit den Samoa-Insulanern haben sie die Ausnahme gemein, ein S zu besitzen, welches den übrigen Polynesiern fehlt. Das aspirirte S dagegen, unser Sch, besitzen sie nicht und scheinen es meist durch das ihnen eben so wie den Arabern, Griechen, Spaniern und Engländern eigenthümliche Theta (scharfes englisches Th) zu ersetzen. Ich hörte statt »Shilling« immer nur »Thilling«. Eine andere Eigenthümlichkeit, welche an die Sprachen der westafrikanischen Neger erinnert, besteht darin, dass sie den Buchstaben D, G, K und M fast immer ein N, und dem B ein M als Vorschlag voransetzen. Die Missionäre als erste Vitigrammatiker haben deshalb die Schreibweise Kadavu, Bega, Bau (drei Inseln), Thakobau (der ehemalige König), Buke (Berg), Dalo (Taro), Malatta, Galoa (die beiden Buchten) eingeführt, während man Kandavu, Mbenga, Mbau, Thakombau, Mbuke, Ndalo, Nmalatta oder Namalatta, Ngaloa oder Angaloa sagt, indem sie, wunderlich komplizirend, die richtige Aussprache von der Kenntniss dieser Regel und der dazugehörigen Ausnahmen abhängig machten. Zur Transskription des Vitilautes Th (= dem englischen weichen Th) haben manche das C verwendet. Deshalb liest man auch Cakobau.

Es giebt eine Menge Dialekte im Viti, wenn man fein unterscheiden will, vielleicht eben so viele als einzelne Inseln. Daher kam es, dass ich für meine gesammelten Pflanzen, wenn ich sie wiederholt verschiedenen Eingeborenen vorlegte, um ihre Namen zu erfahren und festzustellen, oft von jedem einen anderen erhielt, weil die Gefragten von verschiedenen Inseln stammten.

Die Adeligen und Vornehmen der Vitis waren früher die schlimmsten Kannibalen der Erde. Ursprünglich war das Menschenfressen ein religiöser oder patriotischer Gebrauch. Man triumphirte über die erschlagenen Feinde indem man sie auffrass. Später scheinen sich Prahlerei, Leckerei und andere niedrigere Motive geltend gemacht zu haben. Man wollte sich gegenseitig in der Anzahl der gefressenen Menschen überbieten, und es kam so weit, dass die Untergebenen niemals sicher waren, eines schönen Tages den Appetit ihrer Herren zu reizen. Ich glaube nicht, dass man alles für wahr zu halten braucht, was von den Missionären hierüber berichtet wird, von den Missionären, denen daran gelegen sein musste, die Heiden möglichst schwarz und damit den Glorienschein ihrer Bekehrung möglichst strahlend zu machen. Ich vermag auch durchaus nicht vor dem Kannibalismus eben so entsetzt die Augen zu verdrehen, wie diess für manche zum guten Ton zu gehören scheint, wenn ich an die Rechtsgebräuche unserer biederen Vorfahren denke. Mir liegt das Abscheuliche an dem Kannibalismus nur in der willkürlichen Tödtung einzelner Individuen durch die Mächtigen – ein Frevel, an dem es in unserer Geschichte doch wahrlich auch nicht fehlt – nicht in dem Auffressen der Leichen, dem vielleicht bei dem Mangel grösserer Thiere ein physiologisches Bedürfniss zu Grunde lag. Dennoch kann niemand läugnen, dass die Zustände der Vitis in der vorchristlichen Zeit grässlich genug waren. Es wird mit allem Anschein der Glaubwürdigkeit erzählt, dass ein Mann einmal seine Frau, mit der er in Eintracht lebte, lebendig in den Ofen schob, kochte und frass, blos um den Ruf eines fürchterlichen Menschen, eines »verfluchten Kerls«, zu erlangen.

Jetzt giebt es in Viti wohl keine Menschenfresserei mehr. Man behauptet zwar, dass im Innern der grossen Insel derlei noch vorkomme, ohne jedoch Beweise zu haben. Erzählungen hierüber, wie über alles Sensationelle, sind stets mit der grössten Vorsicht aufzunehmen.

Man nimmt auch von den Vitis an, dass sie aussterben. Sollte dies wirklich der Fall sein, was nicht entschieden werden kann, solange noch keine Zählungen sondern blos Schätzungen vorliegen, so geschieht es wahrscheinlich nur durch akut auftretende Epidemieen, nicht aber chronisch und stetig durch immerwährende schädliche Einflüsse, wie bei den Maoris und bei den Hawaiiern. Während die Maoris und die Hawaiier, beide in Folge der Liederlichkeit und Minderzahl ihrer Weiber, erstere ausserdem noch in Folge von Trunksucht, ihrem Untergang entgegensehen, erfreuen sich die Vitis des Rufes grosser Keuschheit und enthalten sich, von der Regierung sorgfältig überwacht, der streng verbotenen Spirituosen. Während auf Neuseeland und namentlich auf Hawaii kleine Kinder unter den Eingeborenen ziemlich selten sind, wimmelt auf Viti jedes Dorf von Nachkommenschaft und lässt sich fast aus jeder Hütte das Quieksen eines Säuglings vernehmen.

Während also unter den Viti-Insulanern die Bedingungen für ein chronisches stetiges Aussterben zu fehlen scheinen, hat bereits einmal ein akutes aber vorübergehendes Moment die Bevölkerung dezimirt, eine Masernepidemie nämlich, welche in der ersten Hälfte des Jahres 1875, mit einer Heftigkeit die bei der weissen Rasse unerhört ist auftretend, in manchen Dörfern die Hälfte der Einwohnerschaft ohne Unterschied des Alters hinwegraffte, kurz nachdem Viti englisch geworden war. Ich fürchte, dass Tuberkulose als die Nachwirkung jener Katastrophe seitdem unter den Viti-Insulanern ziemlich häufig ist, wie ja auch bei uns in den Generationen, welche von grossen Masernepidemieen betroffen wurden, die Prozentsätze der Tuberkulose zu steigen pflegen.

Vor der Ankunft der Europäer gab es auf Viti keine Infektionskrankheiten. Selbst die giftigen Thiere sind hier auf ein Minimum beschränkt, nur zwei Arten, ein Skorpion und ein Skolopender, vertreten dieselben in ziemlich harmloser Weise. Dysenterie soll hie und da vorkommen, aber auch erst durch die Europäer eingeschleppt.

Es war durchaus nicht der beste Schlag von Eingeborenen, der in unserer Nähe wohnte und uns häufiger besuchte. Auf den beiden Ausflügen nach dem Ostende und nach dem Westende der Insel habe ich später viel schönere Vitis kennen gelernt. Einigemal sah ich in Gavatina hässliche Drüsennarben am Halse und schlechte Zähne bei Mädchen und Jungen, was darauf hindeutet, dass auch diese glücklichen Wilden nicht frei sind vom Fluch der Skrophulose.

 

Was wir von den Eingeborenen kauften, wurde in der Regel mit Waaren bezahlt. Messer und Scheeren, Aexte und Angelhaken, Baumwollenzeug, zwei Ellen mit den ausgespannten Armen gemessen gleich einem Sulu, Glasperlen, Nähfaden und rothe Wolle, womit die Matten aus Pandanusblättern an den Rändern verziert werden, waren die hauptsächlichsten Tauschartikel. Die Insulaner prüften Alles sorgfältig, ob es auch gut sei, ehe sie nahmen. Das »Billig und schlecht« soll auch ihnen bereits bekannt sein. In denselben Artikeln bestanden unsere Gastgeschenke, wenn wir auf Exkursionen bei einem Häuptling übernachteten.

Ueberall wo der schöne hellblinkende Korallensand das Ufer bedeckt, schiebt sich von innen heraus als erste Vegetationszone ein flach auf dem Boden fortkriechender dickblätteriger Convolvulus mit rosenfarbenen Blüthen vor, die schönste und stylvollste Besäumung der Palmenhaine, die man sich denken kann. Dies scheint die einzige kleinere Pflanze zu sein, die selbst des geringsten Schattens entbehren kann, aber auch nur, indem sie in geschlossenen Massen der Sonnenhitze entgegentritt. Die Grenzen ihres Bereiches sind scharf abgeschnitten, und einzelne eigenmächtig vordringende Ranken verfallen dem Tode.

Etliche Schritte einwärts beginnen die Palmen. Der Convolvulusteppich wird spärlicher, und ein verworrenes Strauchwerk von Ricinus, Croton, Farnen und hohem Gras breitet sich unter ihnen aus. Hie und da ragen mächtige durch ihre knorrigen Zweige an unsere Eichen erinnernde Dilobäume mit steifen lorbeerähnlichen Blättern weit über alles Andere hervor. Häufig sieht man die Reste verlassener Baumwollenpflanzungen mitten zwischen Gestrüpp und im ungleichen, hoffnungslosen Kampf mit diesem. Solcher Art ist auch der Charakter unseres stillen Thales von Gavatina.

Einen Büchsenschuss vom Strande entfernt rücken die Berge zu einer schmalen Schlucht zusammen, durch welche ein murmelndes Bächlein herabsteigt. Am Fusse der Berge beginnt der Busch. Schmale und steile Pfade winden sich in ihm aufwärts, von den Eingeborenen ausgetreten, welche dort oben Holz, Lichtnüsse und Zitronen holen oder in ausgebrannten Rodungen Bergtaro bauen. Oft hören diese Pfade plötzlich auf, und will man dann noch weiter im Dickicht dringen, so stemmen sich Hindernisse entgegen, deren Grossartigkeit aller Beschreibung spottet.

Gleich der erste Ausflug, den ich mit meinem Gastfreund und dessen Burschen Niketi unternahm, gab mir einen Begriff von den Schwierigkeiten des Naturforschens in tropischer Vegetation.

Mit Flinten und Schiessbedarf, Schachteln und Gläsern, Pflanzenpapier und Baumwolle ausgerüstet, alle Taschen dick bepackt, kletterten wir durch einen halbvertrockneten Wasserlauf voller Felsblöcke die jungfräulichen Urwaldgründe hinauf, der kleine nackte Niketi gewandt voran, obgleich er der Schwerstbeladene von uns dreien war und bei dem Mangel an Taschen in der einen Hand eine Blechbüchse mit Gypspulver zum Bestreuen der blutenden Wunden geschossener Vögel, in der anderen eine Spiritusflasche zu tragen, überdies einen für ihn viel zu grossen Ranzen umgehängt und später auch noch den ebenfalls viel zu grossen Filzhut seines Herrn, der diesem lästig wurde, auf den Kopf gestülpt hatte.

Je höher wir kamen, desto enger drängte sich das Gewirr der Bäume, Sträucher und Lianen über uns zusammen. Dunkelrothe Papageien flogen, ein langweiliges Giek gak ausstossend und ihren Schwanz breit entfaltend, über uns hin. Aber um diese gemeinen Vögel war es uns heute nicht zu thun. Herr Kleinschmidt wollte eine kleine niedliche hellgrüne Taubenart mit gelben Köpfen schiessen, die nur ganz oben zu finden ist. Noch eine gute Strecke aufwärts war zu überwinden, und wir sahen uns plötzlich mitten im pfadlosen Dickicht. Mein Freund war schon öfter diesen Weg gekommen, aber keine Spur seiner früheren Bahnen liess sich entdecken.

Durch das Laub war gerade noch die Richtung der Sonne zu errathen. Baumstämme jeden Kalibers, Felsblöcke und mannstiefe Löcher, Alles überwuchert von hundert verschiedenen Pflanzen, bildeten den Boden. In allen Richtungen kreuzten sich die Lianen, legten sich bei jedem Schritt vorwärts um Arme und Beine, um die Brust und den Hals und quer über die Nase. Jede einzelne fordert einen eigenen Messerschnitt. Hat man auf diese Weise den Oberkörper sich frei gemacht, kostet es immer noch Anstrengung, den Fuss sammt dem Stiefel aus zahlreichen Schlingen herauszuziehen und vorwärtszusetzen. Harte Felsen sind unter dem ungleichen Boden verborgen und schmerzen heftig den Fuss, wenn man allzu dreist auftritt. Jetzt kommt ein gefallener mächtiger Baumstamm zu überwinden. Man krallt sich hinauf, die morsche Rinde bricht, und man plumpst in den Mulm des hohlen Innern hinab, in dem es von fingerlangen Engerlingen wimmelt. Man hält sich an die Schmarotzerbekleidung eines noch stehenden Baumes, um sich emporzuziehen, die ganze Säule fällt um. Denn der Baum selbst existirt schon lange nicht mehr, nur die Lianen, die ihn umstrickten, haben seine dicht mit parasitären Pflanzen überzogene Rinde bisher gehalten. Gar viele andere todte Stämme sind noch vorhanden und stehen noch, bis sie eines schönen Tages der geringste Anstoss umwirft. Nicht selten hörte ich des Nachts, wenn ich unten in meinem Zelte schlaflos lag, das prasselnde Fallen einer derartigen Leiche oben im Busch durch das Rauschen des Windes.

Unter solchen Mühseligkeiten waren wir endlich dem Gipfel näher gekommen, von wo geheimnissvoll verheissende Flötentöne uns entgegenlockten. Herr Kleinschmidt kennt jedes Vogels Stimme und Gesang im Busch von Viti, er pfeift sie zu Hause sich wieder vor und setzt sie auf Noten, um sie sammt den Bälgen und Eiern der Sänger an sein Museum zu schicken. Es gelang uns mehrere Vögel zu schiessen, doch nicht alle kamen in unseren Besitz. Man sieht die Beute fallen, aber sie bleibt nur zu oft unerreichbar hängen oder fällt in ein Dickicht wo sie selbst der gewandte Niketi nicht findet. Viele Schoten und andere Früchte habe ich aufgelesen, von denen es mir nicht möglich war, die sie liefernden Pflanzen zu eruiren, da sie hundert verschiedenen angehören konnten.

Von aussen, unten am Ufer betrachtet, sah der Busch entschieden viel schöner aus, als im Inneren, dessen Gewirre zwar imponiren musste, aber auch so dicht war, dass man vor lauter Vegetation nichts zu sehen und zu bewundern vermochte. So kam zum Beispiel ein riesiger Banyanenbaum mit all seinen sekundären Stämmen und Säulenhallen, der freistehend einen kolossalen Eindruck gemacht haben würde, durchaus nicht zur Geltung, da man ihn nicht überschauen, sondern immer nur jenen kleinsten Theil, der gerade nicht von dem anderen Pflanzengesindel verdeckt wurde, sehen konnte. Die meisten Bäume hatten steife glänzende Blätter ähnlich unserem Ficus. Von Blüthen war wenig zu sehen. Es war gerade nicht die günstigste Zeit dazu.