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Neue Frauen

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Das Letzte leuchtete ihm ein. Und eins stand fest: nie und nimmer wollte er es dulden, daß man ihm ein Abenteuer, ein sehr reizendes Abenteuer allerdings, zu einer Lebenskatastrophe entwickelte. Jedenfalls wollte er die Dinge an sich herankommen lassen. Kaltes Blut und steife Hemdbrust – damit ließ sich viel machen; das hatte er in Paris gelernt! Jedenfalls wollte er zuvorkommend und liebenswürdig bleiben, bis – nun, bis man ihn eben zwang, anders aufzutreten.

Er lichtete sich auf, als stünde vor der Tür ein ganzes Dragonerregiment mit donnerndem »Lösch aus!« . . .

Als er sein Frühstück beendet hatte, schickte er sich an, auszugehen. Er wollte ihr ein paar Blumen senden – das gehörte sich. Selber zu ihr gehen? Nein! Sie sollte gleich sehen, wie's mit ihm stand . . . Aber Rosen, schöne, blaßgelbe Rosen wollte er kaufen. Er versuchte sogar Verse zu drechseln.

 
»Diese Rosen sollen grüßen,
Von der stillverschwiegenen, süßen
Stunde, da – –«
 

Weiter fiel ihm nichts mehr ein. Und da sich auch in Prosa süße Erinnerungen mit reservierten Zukunftsaussichten schwer vereinen lassen, schickte er nur einfach seine Visitenkarte mit.

Den ganzen Tag über ließ ihn ein bängliches Gefühl nicht los. Wenn er auf der Straße ging, fürchtete er, ihr zu begegnen. Wenn er nach Hause kam, zitterte er, daß ein Brief von ihr da sein möchte . . . Oder gar sie selbst, vorwurfsvoll, tränenüberströmt . . . Als es endlich Nacht war, atmete er auf. Der nächste Tag ebenso. Wieder kein Lebenszeichen. Er war sehr vergnügt. Der dritte wie der zweite, wie der erste. Er hätte laut hinausjubeln mögen. Er bekam ordentlich Respekt vor seinem Vaterland. Schau, schau! Dies Deutschland zählte also wirklich zu den Kulturländern! . . . Die blonde Henny war vernünftiger, als er einer Deutschen zugetraut hätte! Warum aber ließ sie gar nichts von sich hören?! Unbegreiflich, völlig unbegreiflich! . . . Als sie auch am vierten Tage noch schwieg, war er beinahe gekränkt. Zum Kuckuck, was fiel ihr denn ein?! Hatte sie denn gar nicht ein bißchen Sehnsucht nach ihm? Er strich seinen weichen, parfümierten Schnurrbart. Sie hatte sich doch nicht über ihn zu beklagen gehabt – in keiner Hinsicht! In gar keiner Hinsicht! . . . Er versank in Träumerei. Ach, sie war entzückend, einfach entzückend! In nichts, in gar nichts, gehörte sie zu den deutschen Trullen, deren Liebe ungeschickt und schwerfällig ist, wie ein bäuerliches Federnbett Sie, sie war wie ein Veilchenstrauß! So selbstverständlich, so leicht, so süß . . . So gottverdammt süß! Das bißchen Spott, das ihr immer im Gesicht sitzen blieb, wirkte dann gerade faszinierend. Ein bißchen gar zu spöttisch vielleicht! Denn gewisse Dinge wollte er natürlich mit feierlichem Ernst behandelt haben – wie jeder brave Mann – –

Und sie ließ immer nichts von sich hören. War sie am Ende krank? Oder böse? Böse, daß er fünf volle Tage hatte verstreichen lassen, ohne sie wiederzusehen? Mächtig stritt es in ihm.

»Geh hin!« sagte sein deutsches Herz.

»Bleib daheim!« sagte sein gallischer Verstand.

Selbstverständlich behielt das deutsche Herz recht.

Unterwegs traf er einen Bekannten, einen Maler, der ebenfalls in jener Gesellschaft beim Rechtsanwalt gewesen war.

»Wo gehen Sie denn so im Sturmschritt hin?« fragte jener.

»Ich muß einen Besuch machen! Begleiten Sie mich doch ein Stückchen!«

Der andre tat's.

Nach einigen gleichgültigen Redensarten hin und her, wie beiläufig: »Ich gehe zu Frau Behrend. Henriette Behrend, Alexanderstraße 8. Kennen Sie sie?«

»Behrend?! Behrend?! Ja, ja, ich erinnere mich. Hab' sie ein paarmal in Gesellschaft getroffen. So 'ne Magere, Blöndliche, nicht?!«

»Das könnte stimmen. Sie ist von ihrem Manne geschieden.«

»Jawohl, ist sie schon!«

»Kennen Sie sie näher?«

»Nein.«

»Wissen also auch nichts weiter von ihr?!«

»Nur allgemeines!«

»Aus was für einer Familie ist sie denn?«

Der andre zuckte die Achseln.

»Ich glaube aus einer eingeborenen Protzensippschaft, – weiß es aber nicht genau.«

»Hat sie eigentlich einen guten Ruf?«

»Guter Ruf – Unsinn! Eine Frau hat entweder gar keinen Ruf oder einen schlechten. Soviel ich weiß, hat die Behrend gar keinen.«

Damit empfahl er sich. –

Als Doktor Thieme auf den elektrischen Knopf an der Haustür drückte, hatte er regelrechtes Herzklopfen. Am liebsten wär' er jetzt doch wieder umgekehrt und nach Hause gelaufen. Aber es war zu spät. Schon führte ihn das Dienstmädchen in einen kleinen Salon: »Die gnädige Frau wird gleich kommen.«

Er hatte Zeit, das Zimmer zu mustern. Es war mit koketter Wohnlichkeit eingerichtet, nicht nach der allerletzten Mode, aber mit hübschen Möbeln, die behaglich aussahen. An einem Fenster stand ein Schreibtisch, an dem offenbar fleißig geschrieben wurde, denn da lag ein ganzer Stoß loser, beschriebener Blätter; Papierschnitzel mit flüchtigen Notizen, teils geschichtet, teils zerstreut trieben sich darauf umher. Am andern Fenster ein kleiner Arbeitstisch: ein Strauß blaßgelber, halbverwelkter Rosen darauf . . . Ein paar schwere Stühle, ein Rauchtaburett, auf dem Fenstersims blühende Hyazinthen. Alles nett, aber einfach. Einfach wie das saubere Dienstmädchen, das ihm geöffnet hatte, wie die schmale Aufgangstreppe, wie dieses ganze Haus überhaupt, das in einer nicht unfeinen, aber abgelegenen Gegend stand und dessen vierten Stock Henny Behrend bewohnte. – An den Wänden hingen allerhand Bilder, Porträte. Eins davon, ein alter Mann mit grauweißem Rundbart, fiel ihm auf. Das Gesicht kam ihm bekannt vor, er mußte es schon anderswo gesehen haben. Ja, ja, nun wußte er's! Das war Martin Kempf, einer der reichsten Brauer der reichen Brauerstadt. Gelegentlich des zweihundertjährigen Jubiläums der Brauerei hatte »Über Land und Meer« sein Bild gebracht. Während er noch zu der Hopfenmajestät emporblickte, hörte er hinter sich die Türe gehen.

Henny war da.

Sie trug ein hübsches, hellrotes Hauskleid mit butterfarbenen Spitzen, dazu rote Pantöffelchen. Jedem andern wäre sie elegant vorgekommen . . . Aber, du lieber Gott, wenn man fünf Jahre in Paris gelebt hat! So merkte er denn sofort, daß Henny auch heute nur billige, französische Basarware trug, Bon-marché oder Printemps . . . doch alles sah schick an ihr aus. –

Sie streckte ihm die Hand entgegen.

»Das ist lieb, daß Sie sich einmal sehen lassen!«

Er verneigte sich. Ihre vollkommene Haltung, die kein Erröten, kein Stammeln, keinen ausweichenden Blick kannte, imponierte ihm. Er selbst wurde dadurch sicherer. Man setzte sich an das Arbeitstischchen. Henny zog ein Zigarettenetui aus der Tasche: »Sie rauchen doch?«

»Wenn Sie gestatten!«

Sie langte Feuer und Aschenschale herbei. Ehe sie die eigene Zigarette ansteckte, reichte sie ihm lächelnd das brennende Streichholz.

Ihre Sicherheit verblüffte ihn immer mehr. Nicht einen Moment hatte sie geschwankt, ob sie »Du« oder »Sie« zu ihm sagen sollte.

Er wurde ganz irre an ihr. Von wannen kam ihr diese Wissenschaft?!

Er sah die spießbürgerlichen Hyazinthen an und den Mann mit dem Rundbart. Sie war seinen Blicken gefolgt.

»Das ist mein Papa.«

Er fuhr auf seinem Sitz herum.

»Ihr Papa?«

Es klang so naiv-erstaunt, daß sie laut auflachte.

»Nicht wahr, das imponiert Ihnen, daß ich einen so reichen Papa habe?!«

Er wurde verlegen, stotterte . . .

Sie aber, als ob sie ihm die Gedanken aus dem Kopf heraus lese: »Sie können wohl meine façon de vivre und Vaters Reichtum nicht in Einklang bringen? Hören Sie nur! Ich werde Ihnen gleich weniger imponieren, wenn ich Ihnen sage, daß ich mit Papa entzweit bin – schon seit Jahren. Wieso? – Ja, sehen Sie, er läßt's Dreinreden nicht, und ich lass' mir nichts dreinreden! Über dies geistreiche Wortspiel sind wir ganz auseinandergekommen. Wie Sie mich da sehen, lebe ich kümmerlich von meiner Hände Arbeit,« schloß sie mit lustigem Pathos und deutete tragisch nach dem Schreibtisch.

Sie lachten beide.

»Nein, ich will nicht flunkern,« sagte sie noch. »Von dem Ertrag meiner Arbeit leb' ich nicht; die Mama hat mir ein paar Groschen vererbt . . .«

Pause.

Dann sie, auf die halbverwelkten Rosen zeigend: »Ich dank' auch noch recht schön für die Blumen! Sie waren herrlich. Ich hätt' mich schon schriftlich bedankt, aber dann hätten Sie sich am Ende für verpflichtet gehalten, gleich zu kommen, und das wollt' ich nicht . . . Solch schleuniges Wiedersehen hat meist einen Haken! Denn wenn der Mann auch anfängt wie ein Held – so endet er doch meist wie ein Primaner.«