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Neue Frauen

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Noch ein paar Sekunden und die lächelnde Schweigsame stand vorsichtig auf, verschwand unbemerkt ins Nebenzimmer. Die andern diskutierten gerade über das Güterrecht in Meiningen.

Als Doktor Thieme ihr in einem schicklichen Zeitraum folgte, fand er sie in einem bequemen Armstuhl, neben einer hohen, gelbverschleierten Lampe sitzend. Er weidete förmlich seine Blicke an ihr. Endlich wieder einmal ein Abglanz von Paris! Ein molliges, leicht-parfümiertes Nestchen, wie geschaffen zum Flirten, mit bric-à-brac, Nippes, bunten Fächern, schillernden Venezianer Gläsern, schwermütig lächelnden Miniaturen . . . von ferne her ein verrauschender Walzer und neben der sanft leuchtenden Lampe eine junge Frau . . .

Er verneigte sich.

»Mein Name ist Thieme!«

Sie streckte ihm die Hand entgegen.

»Ich kenne Sie schon lange – aus Ihren Pariser Briefen! Wollen Sie sich nicht zu mir setzen?«

Ob er wollte?! Es zog ihn ja förmlich nach dem japanischen Rohrsesselchen, das dem ihren gegenüberstand. Sie sah ihn wieder mit jenem Lächeln an, das ihm vorhin schon aufgefallen war, bewegte ihren Fächer mit einer gleichsam erläuternden Bewegung: »Ich heiße Berent, Frau Henriette Berent, von meinen Freunden Henny genannt. So, nun wissen wir, mit wem wir's zu tun haben! Das heißt, wir wissen genau so wenig wie vorher, aber das tut nichts . . . Uns verbindet ja schon ein sympathisches Band –«

Er sah sie fragend an.

»Die Langweile,« sagte sie lachend. »Oder haben Sie sich etwa nicht gelangweilt bei den Emanzipierten?«

»Gelangweilt?! Nur gelangweilt?! Gnädige Frau, dies Wort ist zu arm für das, was ich empfand!«

»Das hat man Ihnen auch deutlich angemerkt!«

»Es täte mir leid, wenn ich unhöflich gewesen!«

»Das waren Sie nicht! Und selbst wenn – diese Damen wollen ja keine Galanterie, sondern Gleichberechtigung!«

»Und Sie, gnädige Frau, sind Sie keine Emanzipierte?«

»Ich gehöre nicht zu den ›neuen Frauen‹. Mir ist diese ganze Bewegung unsympathisch. Oder nein, nicht unsympathisch, nur gleichgültig. Ich verlange nur ein einziges Recht – das Recht der Persönlichkeit! Das geht mir weit über das Recht der Frau. Die Horden, die am Wege liegen bleiben, sind mir, um mich bismärckisch auszudrücken, Wurscht! Wurscht auch, ob es Männer oder Weiber sind!«

»Bravo, gnädige Frau! Das Recht der Persönlichkeit, dem beuge auch ich mich gern! Gleichviel ob ein Mann es ausübt oder eine Frau!«

»Herr Doktor, renommieren Sie da nicht ein bißchen?«

Ihre durchsichtigen Augen sahen ihn forschend an.

»Wieso renommieren?«

»Würden Sie wirklich einer Frau so ganz rückhaltlos ihr Recht auf Persönlichkeit, das heißt auf eine besondere Lebensauffassung und Lebensführung, zuerkennen?«

»Sofern sie ihr Recht kräftig vertritt – zweifelsohne. Und wenn sie der Kraft auch noch Anmut und Grazie beigibt, dann will ich sie sogar bewundern!«

»Wirklich?«

»Wirklich! Nun eine Frage: Warum haben Sie da drinnen nicht Ihre Ansichten mitgeteilt?«

»Es hätte doch niemand auf mich gehört! Wenn man nicht aussieht wie eine Vogelscheuche und auf die Männer schimpft wie ein Rohrspatz, dann gilt man bei diesen Damen nichts . . .«

»Wie kamen Sie denn nur an jenen Tisch?«

»Wie man zu so was kommt! Seitdem ich ein paar Novellen geschrieben habe, gehöre ich für die Welt einfach zu den ›Neuen‹!«

»Sie sind Schriftstellerin, gnädige Frau?«

»Ja. Bitte, keine Entschuldigung! Ich weiß schon! Sie haben nichts von mir gelesen. Trösten Sie sich – die kompakte Majorität steht hinter Ihnen.«

»Welches Genre kultivieren Sie?«

»Das Frivole!«

»Gilt das nur für die Kunst?«

»Herr Doktor, übereilen Sie die Dinge nicht!« Dabei lachte sie, ein wenig verlegen, ein wenig provozierend . . . mit einem Worte: reizend!

Sie schwiegen. Von draußen klangen die straffen Rhythmen einer Polka.

»Tanzen Sie nicht, gnädige Frau?«

»Nein. Ich war niemals eine leidenschaftliche Tänzerin. Und Sie?«

»Ich tanze schon lange nicht mehr.«

Wieder Schweigen. Ein süßes, gedankenreiches Schweigen. Sie lag in ihrem Stuhl zurückgelehnt und fächelte sich nach dem Takte der Musik. Seine Augen ruhten auf ihr. In all dem Hin und Her des Gesprächs war er noch zu keinem rechten Eindruck ihrer Erscheinung gekommen. Jetzt erst, in der Stille, sah er sie genau an.

Sie war ein mittelgroßes, überschlankes Figürchen, in einem braunen Samtkleid, dessen tiefer Ausschnitt einen reizvollen Schulteransatz enthüllte. Seltsam war ihr Kopf, der sehr klein auf einem hochgestengelten Halse saß. Ein antiker Gedanke war's gewiß nicht, nach dem ihn die Natur geformt. Dies Gesichtchen sah aus wie ein mutwilliger Einfall. Mutwillig, aber nicht lustig! Denn es ermangelte der Unbefangenheit, drückte in Augen- und Mundwinkel zuviel spöttische, kleine Gedanken aus. . . .  Es schien wie in einen dunklen Goldton getaucht. Haare, Augen, Haut – alles schimmerte dunkel, goldig. Die Lippen schmal wie die Nase, wie die auffallend langgezogenen Brauen. Sie erinnerte ein wenig an jene entzückenden elfenbeinernen Götzenbilder des Ostens, die halb träumerisch, halb spöttisch zur Erde blicken . . .

Ihr Anzug war sehr einfach. Das Samtkleid war schon etwas abgetragen, die hellen Handschuhe an den Fingerspitzen weißlich abgeschabt, wie vom vielen Putzen, den Goldkäferschuhen sah man den billigen Schuhbasar an. Seltsam kontrastierte mit dieser Halbeleganz ihr echter Watteaufächer und ein unheimlich großer Smaragd, der an einem Goldkettchen auf ihrer Brust lag, wie ein Riesenskarabäus . . .

Es war, als ob sie seine Gedanken erraten hätte.

»Der Schmuck ist hübsch, nicht wahr?! Ich hab' ihn von Mama geerbt, wie den Fächer da –«

Er hätte gern mehr gewußt von ihr, doch es schien ihm indiskret, mit Fragen zu beginnen. Und dann – dies Schweigen war so süß. Diese entzückende Henny gehörte ja zu den seltenen Frauen, mit denen sich's ebensogut schweigen läßt, wie plaudern . . .

Solch' ein Schweigen ist wie eine Nacht voll süßen Spuks. Zögernd zuerst, mit reizvoller Scheu, werden da Gedanken lebendig . . . Sehnsüchte . . . Wünsche . . . Wie verschlafene, große Kinderaugen erwachen sie, traumbefangen und leuchtend zugleich – – Sie flüstern und raunen, sie grüßen und reden . . . sie locken und werben, sie schmeicheln und tasten, sie schwirren hin, sie schwirren her . . . sie möchten sich fliehen und können doch nicht voneinander lassen – – O du sanfte Zaubermacht zweisamen Schweigens, alle Freuden künftigen Glückes erschöpfest du in deinem dämmernden Kreis! . . .

Ein kleines Lachen störte ihn auf.

»Sie lachen, Gnädigste?! Darf man fragen, warum oder worüber?«

»Über Sie!«

»Über mich?« Er war betroffen über so viel Offenheit.

»Ja, über Sie! Sie waren zu komisch vorhin!«

»Wann?«

»Bei den ›Neuen‹. Sie wußten offenbar gar nicht, in welche Kategorie von Lebewesen Sie diese Damen einreihen sollten.«

»Und Sie, gnädige Frau? Wo würden Sie sie einreihen?«

Sie wurde ein wenig nachdenklich.

»Wer weiß?! Vielleicht sind Sie die Urmütter einer kommenden Generation, des ›dritten Geschlechtes‹! Freilich, als Mutter eines Babys könnt' ich mir nicht eine einzige denken.«

Er war entzückt. Vor lauter Entzücken wurde er sogar pathetisch.

»Glauben Sie mir, gnädige Frau, die Zukunft gehört jenen nicht, sondern Ihnen!«

»Mir?!«

Sie schien grenzenlos erstaunt.

»Ja Ihnen! Ihnen und den entzückenden ›alten‹ Frauen, die nicht nur Geist besitzen, sondern neben dem Geist auch Anmut und Weiblichkeit. Weiblichkeit – das sei die Krone jeder echten Frau! Ein Pereat allen Männeräffinnen, welche die Schönheit verleugnen –«

»Und den Mann!« setzte sie lachend hinzu. »Gestehen Sie es nur, aus Ihnen spricht nicht die Bewunderung für meine, sondern die Angst um Ihre eigene Person.«

»? ? ? ?«

»Sie zittern vor dem Augenblick, da an dem entgötterten Schönheitstempel schluchzend der ebenfalls entgötterte Mann kniet!«

Nun lachten beide.

»Und Sie, gnädige Frau, wie denken Sie sich jenen Augenblick?«

Sie schloß eine Sekunde lang die Augen. Dann mit einem warmen, tiefen Ton: »Wissen Sie, wenn wir einst so weit kommen, daß die Frau als Frau nichts mehr gelten will – als schöne liebe, verführerische Frau – dann möcht' ich überhaupt nicht mehr leben! Gefallen, bewundert, angebetet, begehrt werden – o, wie süß, wie berauschend süß das ist! Freilich, davon wissen diese Damen nichts! Das sind ja Gefährtinnen des Mannes! Ich aber, die ich mir ein Leben ohne seinen Beifall, seine Neigung nicht denken kann, ich bin ja nur seine Hörige!« – –