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Synnöve Solbakken: Erzählung

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Rasch umfaßte er sie und wandte sie zu sich herum, da aber sah er, daß sie dem Weinen nahe war, und nun verlor er den Mut und ließ sie los. – ›Es ist doch auch schlimm, daß sie immer gleich anfängt zu weinen,‹ dachte er. Als sie noch so dastanden, sagte sie leise: »Weshalb hast du den Zettel geschrieben?« – »Das hat Ingrid dir ja gesagt!« – »Freilich, aber – es war grausam von dir.« – »Der Vater verlangte es –« – »Trotzdem –« – »Er glaubte, daß ich mein Leben lang ein Krüppel bleiben würde; von jetzt an werde ich für dich sorgen, sagte er.«

Ingrid wurde unten am Hügel sichtbar, und nun begannen sie sofort wieder zu gehn. – »Es war mir, als sähe ich dich am deutlichsten vor mir, als ich glaubte, daß ich dich nie mehr bekommen würde,« sagte er. – »Man prüft sich selber, wenn man allein ist,« sagte sie. – »Ja, da fühlt man deutlich, wer die größte Macht über uns hat,« sagte Thorbjörn mit klarer Stimme und schritt ernsthaft neben ihr her.

Jetzt pflückte sie keine Beeren mehr. – »Willst du sie haben?« fragte sie und reichte ihm den Grashalm. – »Danke!« sagte er und hielt die Hand fest, die ihm die Beeren reichte. – »Dann ist es wohl am besten, wenn alles beim alten bleibt,« sagte er mit leise bebender Stimme. – »Ja,« flüsterte sie kaum hörbar und wandte sich ab. Sie gingen weiter, und solange sie schwieg, wagte er nicht, sie zu berühren oder zu sprechen; aber es war ihm, als habe sein Körper alle Schwere verloren, und er war deswegen nahe daran, zu träumen. Es flimmerte ihm vor den Augen, und als sie jetzt an einen Hügel kamen, von wo aus man Solbakken deutlich sehn konnte, war es ihm, als habe er dort sein ganzes Leben lang gewohnt, als sehne er sich jetzt dahin zurück. – ›Ich will sie nur gleich hinüberbegleiten,‹ dachte er und schöpfte Mut aus dem Anblick, den er vor sich hatte, so daß er mit jedem Schritt in seinem Vorsatz fester wurde. – ›Der Vater hilft mir,‹ dachte er; ›ich halte dies nicht länger aus, ich muß hinüber – ich muß!‹ – Und er ging schneller und schneller, sah nur gerade vor sich hin. Das Tal und das Gehöft lagen sonnenüberflutet da. – ›Ja, heute! Nicht eine Stunde länger will ich warten‹ – und er fühlte sich so stark, daß er nicht wußte, wohin er sich wenden sollte.

»Du läufst mir ja ganz fort,« hörte er eine sanfte Stimme hinter sich; es war Synnöve, die ihm kaum folgen konnte und es nun aufgeben mußte. Er wandte sich beschämt um, kam mit ausgebreiteten Armen auf sie zu und dachte: ›Ich will sie hoch über meinen Kopf heben‹; als er aber nahe an sie herangekommen war, tat er es doch nicht. – »Ich gehe so schnell, ich,« sagte er. – »Ja, das tust du,« erwiderte sie.

Sie waren jetzt nahe an der Landstraße; Ingrid, die die ganze Zeit nicht zu sehn gewesen war, ging jetzt dicht hinter ihnen. – »Jetzt solltet ihr nicht länger zusammen gehn,« sagte sie. Thorbjörn zuckte zusammen, es kam ihm zu früh; auch Synnöve wurde es ganz wunderlich zumute. – »Ich hatte noch so viel, was ich dir sagen wollte,« flüsterte Thorbjörn. Sie mußte lächeln. – »Nun ja,« sagte er, »ein andermal.« Er nahm ihre Hand.

Sie sah mit einem klaren, innigen Blick zu ihm auf; es wurde ihm warm dabei, und es fuhr ihm durch den Kopf: Ich gehe sofort mit ihr! Da aber zog sie ihre Hand leise zurück, wandte sich ruhig zu Ingrid und sagte ihr Lebewohl; dann ging sie langsam bergab, der Landstraße zu. Er blieb zurück.

Die beiden Geschwister gingen durch den Wald heim. »Habt ihr euch denn jetzt ausgesprochen?« fragte Ingrid. – »Nein, der Weg war zu kurz,« sagte er und beschleunigte seinen Schritt, als wolle er nicht mehr davon hören.

»Nun?« fragte Sämund und sah vom Tische auf, als die beiden Geschwister in die Stube traten. Thorbjörn erwiderte nichts, sondern ging zu der Bank auf der andern Seite, offenbar um seinen Rock auszuziehn; Ingrid folgte ihm und lächelte. Sämund fing wieder an zu essen; von Zeit zu Zeit sah er zu Thorbjörn hinüber, der sehr beschäftigt zu sein schien, lächelte und aß weiter. – »Komm und iß,« sagte er; »das Essen wird kalt.« – »Danke, ich will nicht essen,« sagte Thorbjörn und setzte sich. – »So?« – und Sämund aß weiter. Nach einer Weile sagte er: »Ihr hattet es ja heute nach der Kirche sehr eilig!« – »Da war jemand, mit dem wir noch reden wollten,« sagte Thorbjörn und hockte auf die Bank nieder. – »Nun – hast du denn mit ihm gesprochen?« – »Ich weiß nicht recht,« entgegnete Thorbjörn. – »Das ist doch des Teufels,« sagte Sämund und aß weiter. Bald darauf war er fertig und stand auf. Er trat an das Fenster, blieb dort eine Weile stehn und sah hinaus, dann wandte er sich um: »Du, wir wollen hinausgehn und uns nach der Ernte umsehn.« – Thorbjörn erhob sich. – »Nein, zieh nur lieber etwas an.« – Thorbjörn, der in Hemdsärmeln dasaß, zog eine alte Jacke an, die über ihm an der Wand hing. – »Du siehst doch, daß ich die neue angezogen habe,« sagte Sämund. Thorbjörn tat desgleichen, und sie gingen hinaus, Sämund voran, Thorbjörn hinterdrein.

Sie gingen nach der Landstraße hinab. – »Wollen wir nicht nach der Gerste hingehn?« fragte Thorbjörn. – »Nein, wir wollen zu dem Weizen hinübergehn,« sagte Sämund. Gerade als sie auf die Landstraße einbogen, kam ein Wagen langsam dahergefahren. – »Das ist ein Nordhauger Fuhrwerk,« sagte Sämund. – »Das sind die jungen Leute aus Nordhaug,« versetzte Thorbjörn; die »jungen Leute« bedeutet aber soviel wie die Neuvermählten.

Der Wagen hielt, als er in die Nähe der Granlider gekommen war. – »Wirklich ein stolzes Frauenzimmer, diese Marit Nordhaug!« flüsterte Sämund und konnte den Blick nicht von ihr abwenden; sie saß ein wenig zurückgelehnt im Wagen, hatte ein Tuch lose über den Kopf gebunden und ein zweites um sich. Sie sah die beiden mit starrem Blick an; nichts bewegte sich in ihren reinen, kräftigen Zügen. Der Mann war sehr bleich und mager, er sah noch sanfter aus als sonst, wie jemand, der einen Kummer hat, über den er nicht reden kann. – »Ihr Leute wollt wohl das Korn ansehn?« fragte er. – »Wills glauben,« entgegnete Sämund. – »Es steht gut in diesem Jahr!« – »Ach ja – es hätte schlechter sein können.« – »Ihr kommt spät,« sagte Thorbjörn. – »Da waren so viele Frauenzimmer, von denen ich Abschied nehmen mußte,« sagte der Mann. – »Wie – willst du verreisen?« fragte Sämund. – »Ja, das will ich.« – »Geht die Reise weit?« – »Ach – ja!« – »Wohin willst du denn?« – »Nach Amerika!« – »Nach Amerika!« riefen beide Männer wie aus einem Munde – »ein jungvermählter Mann!« fügte Sämund hinzu. Der Mann lächelte: »Ich denke, ich bleibe der Nahrung wegen hier, sagte der Fuchs, da saß er im Fangeisen fest.« – Marit sah erst ihn und dann die andern an, eine leichte Röte huschte über ihr Antlitz, das aber sonst unverändert blieb. – »Deine Frau reist wohl mit?« fragte Sämund. – »Nein, das tut sie eben nicht.« – »Man sagt, es soll leicht sein, in Amerika zu Reichtum zu gelangen,« sagte Thorbjörn, er hatte das Gefühl, daß die Unterhaltung nicht ins Stocken geraten dürfe. – »Ach – ja,« erwiderte der Mann. – »Aber Nordhaug ist ein schönes Gut,« meinte Sämund. – »Es sind zu viele da,« erwiderte der Mann. Die Frau sah ihn abermals an. – »Der eine steht dem andern im Wege,« fügte er hinzu.

»Nun denn, glückliche Reise!« sagte Sämund und reichte ihm die Hand. »Gott gebe dir das, was du suchst!«

Thorbjörn sah seinem Schulkameraden scharf ins Auge: »Ich muß noch einmal mit dir sprechen,« sagte er. – »Es tut einem gut, wenn man mit jemand sprechen kann,« entgegnete der Mann und kratzte mit der Peitsche auf den Boden des Wagens.

»Komm zu uns herüber,« sagte Marit, und Thorbjörn wie auch Sämund sahn erstaunt auf: sie vergaßen immer, daß Marit eine so sanfte Stimme hatte.

Sie fuhren weiter; es ging langsam vorwärts, eine leichte Staubwolke wirbelte hinter ihnen auf, die Abendsonne fiel voll auf sie herab; gegen seine dunkeln Frieskleider hob sich ihr seidnes Tuch hell ab – dann kam ein Hügel, und sie verschwanden.

Vater und Sohn schritten lange schweigend dahin. – »Es ahnt mir, daß es lange währen wird, ehe er heimkehrt,« sagte Thorbjörn endlich. – »Es ist auch wohl so am besten,« meinte Sämund, »wenn man das Glück nicht im eignen Lande findet« – und dann schritten sie wieder schweigend dahin. – »Du gehst ja an dem Weizenacker vorüber,« sagte Thorbjörn. – »Wir können ihn auf dem Rückwege besehn!« – Und sie gingen weiter. Thorbjörn wollte nicht gern fragen, wohin es gehn sollte, denn jetzt hatten sie die Granlider Feldmark überschritten.

9

Guttorm und Karen Solbakken hatten schon gegessen, als Synnöve rot und außer Atem eintrat. »Aber mein liebes Kind, wo bist du nur gewesen?« fragte die Mutter. – »Ich blieb mit Ingrid zurück,« sagte Synnöve und blieb stehn, um ein paar Tücher abzulegen; der Vater suchte im Schrank nach einem Buche. – »Was hattet ihr beiden euch denn zu erzählen, daß es so lange dauerte?« – »Ach, nichts Besondres!« – »Dann wäre es doch sicher besser gewesen, du hättest dich zu den Kirchgängern gehalten, mein Kind!« – Sie erhob sich und setzte ihr zu essen hin. Als sich Synnöve zum Essen niedergesetzt und die Mutter ihr gerade gegenüber Platz genommen hatte, sagte sie: »Waren da etwa noch andre, mit denen du gesprochen hast?« – »Ja, da waren noch viele andre,« sagte Synnöve. – »Aber das Kind darf doch wohl mit den Leuten reden,« sagte jetzt Guttorm. – »Freilich darf sie das,« sagte die Mutter ein wenig freundlicher; »aber sie hätte sich doch zu ihren Eltern halten müssen.« – Hierauf wurde nichts erwidert.

»Das war ein gesegneter Kirchtag,« sagte die Mutter; »es tut einem gut, die Jugend vor dem Altare zu sehn.« – »Man denkt an seine eignen Kinder,« sagte Guttorm. – »Darin hast du recht,« versetzte die Mutter und seufzte, »niemand kann wissen, wie es ihnen ergehn wird.« – Guttorm saß lange schweigend da. – »Wir haben Gott für vieles zu danken,« sagte er endlich; »er hat uns ein Kind behalten lassen.« – Die Mutter saß da und zog mit dem Finger über den Tisch; sie sah nicht auf. – »Sie ist doch unsre größte Freude,« sagte sie leise; »sie ist auch gut geartet,« fügte sie noch leiser hinzu. Es entstand eine lange Pause. – »Ja, sie hat uns viel Freude gemacht,« sagte Guttorm, und mit weicher Stimme fuhr er nach einer Weile fort: »Der liebe Gott mache sie glücklich!« – Die Mutter fuhr wieder mit dem Finger über den Tisch, es fiel eine Träne darauf, die sie wegwischte. – »Warum ißt du nicht?« sagte der Vater, als er nach einer Weile aufblickte. – »Danke, ich bin satt,« antwortete Synnöve. – »Aber du hast ja gar nichts gegessen!« sagte nun auch die Mutter; »du hast einen weiten Weg gemacht.« – »Ich kann nicht essen,« erwiderte Synnöve und zog einen Zipfel ihres Busentuches heraus. – »Iß, mein Kind!« sagte der Vater. – »Ich kann wirklich nicht,« erwiderte Synnöve und fing an zu weinen. – »Aber liebes Kind, weshalb weinst du denn?« – »Ich weiß es nicht!« und sie schluchzte. – »Sie weint so leicht!« sagte die Mutter. Der Vater erhob sich und trat ans Fenster.

 

»Da kommen zwei Männer den Weg herauf,« sagte er. – »So? Um diese Zeit?« fragte die Mutter, und nun trat auch sie an das Fenster. Sie schauten lange hinab. – »Lieber, wer mag das sein?« sagte schließlich Karen, aber es klang nicht wie eine Frage. »Ich weiß es nicht,« erwiderte Guttorm, und sie standen da und schauten hinaus. – »Ich kann das nicht recht verstehn,« sagte sie. – »Ich auch nicht,« meinte er. Die Männer kamen näher heran. – »Sie müssen es doch sein,« sagte sie endlich. – »Ja, es wird wohl so sein,« versetzte Guttorm. Die Männer kamen immer näher heran, der ältere blieb stehn und schaute zurück, der jüngere ebenfalls; dann gingen sie weiter.

»Hast du eine Ahnung, was sie wollen mögen?« fragte Karen in demselben Ton wie vorhin. – »Nein, ich habe keine,« erwiderte Guttorm. Die Mutter wandte sich ab, trat an den Tisch, trug ab und räumte ein wenig auf. – »Du mußt dich wieder anziehn, Kind,« sagte sie zu Synnöve, »denn es kommen Fremde hierher.«

Kaum hatte sie das gesagt, als Sämund die Tür öffnete und hereinkam, Thorbjörn folgte ihm. – »Gesegnetes Beisammensein,« sagte Sämund, blieb einen Augenblick an der Tür stehn und ging dann sachte vor, um die Anwesenden zu begrüßen. Thorbjörn ging hinter ihm drein. Zuletzt kamen sie zu Synnöve, die noch hinten in einer Ecke mit ihrem Tuch in der Hand dastand und nicht wußte, ob sie es umbinden solle oder nicht; sie wußte wohl kaum, daß sie es in der Hand hielt. – »Ihr müßt zusehn, wie ihr einen Platz zum Sitzen findet,« sagte die Frau. – »Danke, es ist übrigens kein weiter Weg bis hierher,« sagte Sämund, setzte sich aber doch; Thorbjörn nahm neben ihm Platz. – »Ihr wart heute gleich weg nach der Kirche,« sagte Karen. – »Ja, ich habe nach euch gesucht,« entgegnete Sämund. – »Es waren viele Leute da,« sagte Guttorm. – »Ja, es waren sehr viele Leute da,« wiederholte Sämund; »es war auch ein schöner Kirchtag.« – »Ja, wir sprechen eben auch davon,« sagte Karen. – »Es ist so wunderlich, einer Konfirmation beizuwohnen, wenn man selber Kinder hat,« fügte Guttorm hinzu; seine Frau setzte sich auf die Bank. – »Das ist so,« sagte Sämund; »man wird veranlaßt, ernstlich über sie nachzudenken – und gerade das ist der Grund, weswegen ich heute abend noch hierhergeschlendert bin,« setzte er hinzu, sah sich zuversichtlich um, nahm ein neues Stück Kautabak und legte das alte sorgfältig in die Messingdose. Guttorm, Karen, Thorbjörn, alle wichen sich mit den Augen aus, jedes sah woanders hin. – »Ich dachte, ich wollte Thorbjörn nur lieber hierherbegleiten,« begann Sämund langsam; »allein wäre er wohl schwerlich so bald herübergekommen; auch fürchtete ich, er führe seine Sache nicht zum besten.« – Er sah Synnöve von der Seite an; sie fühlte seinen Blick. – »Es verhält sich nämlich so, daß er, seit er alt genug geworden war, daß er Verstand für so etwas hatte, sein ganzes Sinnen auf Synnöve gerichtet hat – und auch sie kann wohl nicht leugnen, daß sie ihm ihr Herz zugewandt hat. Aber da denke ich, es ist am besten, die beiden kriegen sich. – Ich war nicht sehr dafür, solange ich sah, daß er sich kaum selber regieren konnte, geschweige denn andre; aber jetzt, glaube ich, kann ich für ihn bürgen, und wenn ich es nicht kann, so kann sie es; denn sie hat jetzt doch wohl die größte Macht über ihn. – Was denkt ihr darüber, wollen wir sie zusammengeben? Es hat wohl noch keine Eile, aber ich weiß auch nicht, weshalb wir warten sollten. Du, Guttorm, bist in guten Verhältnissen, ich habe freilich nicht so viel und habe mehrere, unter die ich teilen muß, aber trotzdem denke ich, daß es sich machen läßt. Ihr müßt nun sagen, wie ihr hierüber denkt – sie frage ich zuletzt, denn ich glaube zu wissen, was sie will.«

So sprach Sämund. Guttorm saß zusammengesunken da – legte abwechselnd die eine Hand über die andre, machte mehrmals Miene aufzustehn, indem er jedesmal tiefer aufatmete; es gelang ihm aber erst beim vierten oder fünften Mal, da erst bekam er den Rücken gerade, strich sich mehrmals über das Knie und sah zu seiner Frau hinüber, doch so, daß sein Blick von Zeit zu Zeit Synnöve streifte. Diese rührte sich nicht, niemand konnte ihr Gesicht sehn. Karen saß am Tisch und strich mit dem Finger darüber hin. »Die Sache liegt ja so – daß dies ein gutes Anerbieten ist,« sagte sie. – »Ja, ich meine, wir müssen es mit Dank annehmen,« sagte Guttorm mit lauter Stimme, als fühle er sich sehr erleichtert, und sah von seiner Frau zu Sämund hinüber, der seine Arme gekreuzt und sich an die Wand gelehnt hatte. – »Wir haben nur diese eine Tochter,« sagte Karen, »wir müssen uns die Sache bedenken.« – »Dafür wird es Rat geben,« sagte Sämund, »aber ich wüßte nicht, was dich verhindern sollte, gleich zu antworten, sagte der Bär, als er den Bauern fragte, ob er seine Kuh bekommen könne.« – »Wir können wohl sofort antworten,« erwiderte Guttorm und sah zu seiner Frau hinüber. – »Es ist nur das eine zu bedenken, daß Thorbjörn ein wenig wild sein möchte,« sagte sie, aber ohne aufzusehn. – »Ich glaube, das hat sich geändert,« entgegnete Guttorm; »du weißt selber, was du heute gesagt hast.« – Die Eheleute sahn nun eins das andre an; das mochte wohl eine ganze Minute währen. – »Wenn wir uns nur auf ihn verlassen könnten!« sagte sie. – »Ja,« nahm nun Sämund abermals das Wort, »was den Punkt betrifft, so muß ich wiederholen, was ich vorhin gesagt habe; die Fuhre wird gut gehn, wenn sie die Zügel führt. Es ist erstaunlich, was für eine Macht sie über ihn hat; das merkte ich damals, als er daheim bei mir krank lag und nicht wußte, ob es zur Genesung ginge oder nicht.« – »Du mußt nicht so schwierig sein,« sagte Guttorm; »du weißt, was sie selber will, und wir leben doch nur für sie!« – Da sah Synnöve zum erstenmal auf und sah den Vater innig und dankbar an. – »Ach ja,« sagte Karen nach kurzem Schweigen und fuhr ein wenig härter als bisher über die Tischplatte; »habe ich so lange widerstanden, so geschah es wohl, weil ich eine gute Absicht damit hatte. – Ich war vielleicht nicht so hart wie meine Worte« – sie sah auf und lächelte, aber Tränen traten ihr in die Augen. Da erhob sich Guttorm: »So ist denn in Gottes Namen das geschehn, was mein liebster Wunsch hier auf dieser Welt gewesen ist,« sagte er und ging durch das Zimmer zu Synnöve hinüber. – »Ich bin deswegen nie besorgt gewesen,« sagte Sämund und erhob sich nun auch; »was zusammenkommen soll, kommt zusammen.« – Er ging auch hinüber. – »Nun, was sagst denn du dazu, mein Kind?« fragte die Mutter, die ebenfalls zu Synnöve herangetreten war.

Diese saß noch da; sie standen alle rings um sie herum, alle, mit Ausnahme von Thorbjörn, der auf demselben Flecke saß, wo er sich zuerst hingesetzt hatte. – »Du mußt aufstehn, Kind,« flüsterte die Mutter ihr zu. Sie erhob sich, lächelte, wandte sich ab und weinte. – »Gott sei mit dir jetzt und allezeit!« sagte die Mutter, schlang die Arme um sie und weinte mit ihr. Die beiden Männer gingen durch das Zimmer, jeder nach seinem Platz.

»Du muß zu ihm hingehn,« sagte die Mutter noch immer weinend, ließ sie los und schob sie sanft vorwärts. Synnöve tat einen Schritt, blieb aber stehn, weil sie nicht weiter zu gehn vermochte; Thorbjörn sprang auf und ging auf sie zu, ergriff ihre Hand und hielt sie fest, wußte nicht, was er weiter tun sollte, und blieb stehn, ihre Hand in der seinen, bis sie sie ihm leise wieder entzog. Dann standen sie still und schweigend nebeneinander da.

Die Tür wurde lautlos geöffnet, jemand steckte den Kopf herein. – »Ist Synnöve hier?« fragte eine schüchterne Stimme; es war Ingrid Granliden. – »Ja, sie ist hier; komm nur herein!« sagte der Vater. Ingrid zögerte ein wenig. – »Komm nur! hier ist alles in Ordnung!« fügte er hinzu. Jetzt sahen alle sie an. Sie schien ein wenig verlegen zu sein; »es ist noch jemand draußen,« sagte sie. – »Wer ist das?« fragte Guttorm. – »Es ist die Mutter,« sagte sie leise. – »Laß sie hereinkommen!« riefen vier Stimmen auf einmal. – Und die Frau auf Solbakken ging auf die Tür zu, während die andern sich glücklich ansahn. – »Du kannst getrost hereinkommen, Mutter,« hörten sie Ingrid sagen. Und dann trat Ingebjörg Granliden in ihrer weißen Haube herein. – »Ich merkte es wohl,« sagte sie, »obwohl Sämund nie etwas sagen kann; und da konnten Ingrid und ich es nicht länger aushalten, wir mußten hierherkommen.« – »Ja, hier ist alles so, wie du es haben willst,« sagte Sämund und trat beiseite, damit sie zu ihnen herankommen könnte. – »Gott segne dich, daß du ihn zu dir hingezogen hast,« sagte sie zu Synnöve, umarmte sie und streichelte sie; »du hast bis zum äußersten festgehalten, du, mein Kind; es kam doch so, wie du wolltest.« – Und sie streichelte ihr Haar und Wangen, die Tränen rannen ihr über das Gesicht; sie achtete nicht darauf, sondern trocknete nur sorgfältig Synnöves Tränen ab. – »Ja, es ist ein guter Junge, den du bekommst,« fuhr sie fort, »und nun bin ich seinetwegen ohne Sorge!« – und sie zog sie noch einmal an sich. – »Mutter weiß mehr in ihrer Küche als wir andern, die wir mitten darinstehn,« sagte Sämund.

Das Weinen und die Erregung beruhigten sich allmählich. Die Hausfrau fing an, an das Abendessen zu denken, und bat die kleine Ingrid, ihr zu helfen, »denn Synnöve taugt heute abend zu nichts«. Und so machten diese beiden sich daran, Sahnegrütze zu kochen. Die Männer vertieften sich in ein Gespräch über die diesjährige Ernte und was es sonst gab. Thorbjörn hatte sich abseits ans Fenster gesetzt, und Synnöve trat lautlos zu ihm heran und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Wonach siehst du?« flüsterte sie. – Er wandte den Kopf herum, sah sie lange und zärtlich an und dann wieder hinaus. – »Ich sehe nach Granliden hinüber,« sagte er; »es ist so wunderbar, es von hier aus zu sehen!«