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Synnöve Solbakken: Erzählung

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4

Die Granlider Alm hatte eine wundervolle Lage, man konnte von dort das ganze Kirchspiel übersehn, vor allem Solbakken mit seinem vielfarbigen Wald ringsumher, und dann die andern Gehöfte, die wie in einem Kranz von Waldungen dalagen, so daß der grüne Grasplatz mit den Häusern in der Mitte aussah wie ein Hort des Friedens, den man dem rauhen Erdboden mit Gewalt abgerungen hatte. Vierzehn Höfe konnte man von der Granlider Alm aus zählen. Von Granliden selber sah man aber nur die Dächer der Häuser, und zwar auch nur von dem höchsten Punkte der Alm aus. Trotzdem pflegten die Mädchen dort oft zu sitzen und den Rauch zu beobachten, der aus den Schornsteinen aufstieg. – »Jetzt kocht Mutter das Mittagessen,« sagte Ingrid; »heute gibt es Salzfleisch und Speck.« – »Horch! jetzt werden die Männer gerufen!« sagte Synnöve; »wo sie heute wohl arbeiten?« und ihre Augen folgten dem Rauch, der ungestüm und lustig in die klare, sonnige Luft aufstieg, bald aber langsamer wurde, sich besann und dann in breitem Zuge über den Wald hinströmte, bis er immer dünner wurde und schließlich als flatternder Flor in der Ferne verschwand. Mancherlei Gedanken stiegen in ihnen auf und schweiften dahin über das Kirchspiel. Heute weilten sie in Nordhaug. Es war einige Tage nach der Hochzeit, da diese aber sechs Tage dauern sollte, drangen noch immer hin und wieder Schüsse und vereinzelte, besonders laute Rufe zu ihnen hinauf. – »Sie sind lustig da unten,« sagte Ingrid. – »Ich gönns ihnen,« erwiderte Synnöve und griff wieder zu ihrem Strickzeug. – »Es wäre doch ganz amüsant, wenn man mit dabei sein könnte,« sagte Ingrid, die im Grase kauerte und nach dem Hofe hinüberschaute, wo die Leute zwischen den Gebäuden hin und her gingen – einige nach dem Vorratshause, wo sicher reichgedeckte Tische standen, andre weiter entfernt, paarweise und in vertraulicher Unterhaltung. – »Ich weiß nicht recht, weswegen man sich dahinsehnen sollte,« sagte Synnöve. – »Ich weiß es auch kaum,« entgegnete Ingrid, die noch immer im Grase saß. »Es muß wohl der Tanz sein,« fügte sie dann hinzu. Synnöve erwiderte nichts hierauf. – »Hast du niemals getanzt?« fragte Ingrid. – »Nein!« – »Glaubst du eigentlich, daß Tanzen eine Sünde ist?« – »Ich weiß nicht recht.« – Ingrid ließ den Gegenstand der Unterhaltung vorläufig fallen, denn sie erinnerte sich, daß das Tanzen bei den Haugianern streng verboten war, und das Verhältnis der Eltern zu Synnöve in diesem Punkte wollte sie nicht weiter untersuchen. Wie nun auch ihre Gedanken darüber sein mochten, so sagte sie nach einer Weile: »Einen bessern Tänzer als Thorbjörn habe ich noch niemals gesehn.« – Synnöve wartete ein wenig, dann sagte sie: »Ja, er soll gut tanzen.« – »Du solltest ihn nur tanzen sehn,« rief Ingrid und wandte sich nach ihr herum. Synnöve aber antwortete schnell: »Nein, das will ich nicht!«

Ingrid stutzte bei diesen Worten, Synnöve beugte sich tief über ihr Strickzeug und fing an, die Maschen zu zählen. Plötzlich ließ sie das Strickzeug in den Schoß fallen, sah gerade vor sich hin und sagte: »So von Herzen froh wie heute bin ich lange nicht gewesen.« – »Weshalb denn?« fragte Ingrid. – »Ach, weil er heute nicht auf Nordhaug tanzt!« – Ingrid hing ihren eignen Gedanken nach: »Ja, es sollen dort Mädchen sein, die sich nach ihm sehnen,« sagte sie. Synnöve öffnete den Mund, als wollte sie reden, schwieg aber, zog eine Stricknadel heraus und wechselte. – »Thorbjörn wäre gewiß auch gern da; davon bin ich fest überzeugt,« sagte Ingrid, merkte aber erst hinterher, was sie gesagt hatte, und sah Synnöve an, die wie mit Blut übergossen dasaß und strickte. Jetzt übersah Ingrid plötzlich ihr ganzes Gespräch, schlug die Hände zusammen, rutschte auf den Knien im Heidekraut bis dicht zu Synnöve heran und sah ihr in die Augen. Synnöve aber strickte weiter. Da lachte Ingrid und sagte: »Nun hast du mir alle diese langen Tage hindurch wieder etwas verheimlicht.« – »Was sagst du da?« fragte Synnöve und sah sie mit unsicherm Blick an. – »Du bist nicht böse, daß Thorbjörn tanzt,« sagte Ingrid und lachte noch immer. Synnöve antwortete nicht; Ingrid aber lachte über das ganze Gesicht, sie faßte Synnöve um den Hals und flüsterte ihr ins Ohr: »Aber du ärgerst dich, weil er mit andern als mit dir tanzt.«

»Wie du nur so reden kannst!« sagte Synnöve, riß sich los und stand auf. Ingrid erhob sich gleichfalls und ging ihr nach. »Es ist eine Schande, Synnöve, daß du nicht tanzen kannst,« sagte sie und lachte; »eine wahre Schande! Komm nur, ich wills dich gleich lehren!« – Sie faßte Synnöve um den Leib. – »Was willst du?« fragte diese. – »Dich tanzen lehren, daß du nicht mehr den schrecklichen Kummer hast, daß er mit andern tanzt als mit dir.« – Jetzt mußte auch Synnöve lachen oder doch so tun, als lache sie. – »Es könnte uns leicht jemand sehn,« sagte sie. – »Gott segne dich für die Antwort, so dumm sie auch war,« sagte Ingrid und begann schon eine Tanzweise zu summen und Synnöve nach dem Takt zu drehen. – »Nein, nein, es geht nicht!« – »Du sagtest doch vorhin selbst, du wärst manchen Tag nicht so vergnügt gewesen; komm nur!« – »Wenn es nur ginge!« – »Versuchs nur, dann wirst du schon sehn, daß es geht!« – »Du bist so ausgelassen, Ingrid!« – »So sagte auch die Katze zum Sperling, als der Sperling nicht still sitzen wollte, daß die Katze ihn fangen könnte. So komm nur!« – »Im Grunde hätte ich wohl Lust, aber –« – »Nun bin ich Thorbjörn, und du bist seine junge Frau, die nicht will, daß er mit andern als mit ihr tanzen soll.« – »Aber –« Ingrid summte die Melodie. – »Aber« – wiederholte Synnöve noch einmal; aber sie tanzte schon! Es war ein Springtanz, und Ingrid ging voran mit großen Schritten und männlichen Armbewegungen, Synnöve folgte ihr mit kurzen Schritten und niedergeschlagnen Augen – und Ingrid sang:

 
»Der Fuchs liegt unter dem Birkenbusch
Auf der Heide,
Und der Hase hüpft so leicht husch husch
Auf der Heide.
Und alles ist eitel Sonnenglanz,
Und überall ein Flimmertanz
Auf der Heide.
 
 
Der Fuchs lacht unter dem Birkenbusch
Auf der Heide,
Und der Hase lustig hüpft husch husch
Auf der Heide.
Wie ist mir heut so wonniglich!
Hopp hopp! springst du wohl auch wie ich
Auf der Heide.
 
 
Der Fuchs lugt unter dem Birkenbusch
Auf der Heide,
Und der Hase hüpft grad auf ihn zu husch husch
Auf der Heide.
Hab ich dich da! – Gott gnade mir!
Mein Lieber, wie kannst du auch tanzen hier
Auf der Heide?«
 

»Nun, ging es nicht ganz gut?« fragte Ingrid, als sie atemlos innehielten.

Synnöve lachte und sagte, sie habe mehr Lust zu einem Walzer. – »Ja, dem steht nichts im Wege,« meinte Ingrid, und sie schickten sich schon dazu an, indem Ingrid ihr zeigte, wie sie die Füße setzen müsse. – »Denn das Walzen, das ist schwer.« – »Ach, es wird schon gehn, wenn wir nur erst im Takt sind,« sagte Synnöve, und nun wollte Ingrid, daß sie einen Versuch machten. Und das taten sie denn auch, Ingrid sang, und Synnöve sang mit – anfangs summte sie nur, dann sang sie lauter. Da aber hielt Ingrid inne, ließ sie los und schlug die Hände vor lauter Verwunderung über dem Kopf zusammen. »Aber du kannst ja walzen!« rief sie.

»Pst! sprich nur nicht darüber!« sagte Synnöve und umfaßte Ingrid abermals, um weiterzutanzen. – »Aber wo hast du es denn nur gelernt?« – »Trala, trala!« – und sie schwenkte sie herum. Da tanzte Ingrid aus Herzenslust und sang dazu:

 
»Schau, Sonne die tanzt auf dem Heukelidfjäld;
Nun tanze, mein Liebchen, solang es noch hell.
Schau, Bächlein das hüpfet zum Meere hinab;
Nun hüpf, wilder Bursche! dort wartet dein Grab.
Schau, Birke die dreht sich im wirbelnden Wind;
Nun drehe dich, Mädchen! – Was brach da, mein Kind?
Schau –« –
 

»Was für wunderliche Lieder du singst!« sagte Synnöve und hörte auf zu tanzen. – »Ich weiß wirklich nicht, was ich singe; Thorbjörn hat sie gesungen.« – »Es sind Lieder von dem Zuchthaus-Bert,« sagte Synnöve; »ich kenne sie.« – »Sind sie von dem?« fragte Ingrid erschrocken. Sie sah vor sich hin und sagte nichts; plötzlich gewahrte sie jemand unten am Wege. – »Du – da fährt jemand von Granliden die Landstraße entlang!« – Nun sah auch Synnöve hin. – »Ist er es?« fragte sie. – »Ja, das ist Thorbjörn, er will zur Stadt.« –

Es war wirklich Thorbjörn, und er fuhr zur Stadt. Sie war weit entfernt, sein Wagen war schwer beladen, deswegen fuhr er langsam die staubige Straße entlang. Diese lag so, daß man sie von der Alm aus übersehn konnte, und als er nun von dort oben herab Jodler vernahm, erkannte er, wer es war, stieg oben auf seinen Wagen und sandte einen Jodler zurück, daß es in den Bergen widerhallte. Dann wurde auf dem Hirtenhorn zu ihm herabgeblasen, er saß da und lauschte, und als die Töne verhallt waren, erhob er sich wieder und sandte einen Jodler in die Luft empor. So ging es eine Zeitlang fort, und eine fröhliche Stimmung überkam ihn. Er sah nach Solbakken hinüber, und es war ihm, als habe es die Sonne noch niemals so strahlend beschienen wie eben jetzt. Aber wie er so dasaß und hinüberschaute, vergaß er das Pferd, so daß es weiter trabte, wie es ihm beliebte. Da schreckte er plötzlich empor, denn das Pferd machte einen solchen Sprung zur Seite, daß die eine Deichselstange brach, und nun raste das Pferd in wildem Galopp über den Nordhauger Acker, denn darüber führte der Weg. Er erhob sich im Wagen und zog die Zügel an; es entstand ein Kampf zwischen ihm und dem Pferde, das einen steilen Abhang hinunter wollte, wovon er es zurückzuhalten suchte. Er zog die Zügel so straff an, daß es sich bäumte; zugleich sprang er ab, und es gelang ihm, ehe das Pferd wieder weiterrasen konnte, die Zügel um einen Baum zu schlingen – und nun mußte das Pferd stehn. Die Ladung war zum Teil abgeworfen worden, die eine Deichselstange war zerbrochen, und das Pferd stand da und zitterte. Er trat zu ihm heran, faßte es am Zügel und redete ihm sanft zu; er wendete es gleich um, daß es nicht den Abhang hinuntersausen solle, falls es abermals durchgehn wollte; stillestehn konnte es nicht, so außer sich war es, und er mußte halb springend nebenher laufen, weiter und weiter, bis er wieder auf dem Wege angelangt war. Dabei kam er an seinen abgeworfnen Sachen vorüber, die durcheinandergeworfen umherlagen – die Gefäße zerschlagen, der Inhalt zum Teil verdorben. Bisher hatte ihn die Gefahr ganz in Anspruch genommen, jetzt fing er an, die Folgen des Unfalls zu erwägen, und wurde zornig; es war klar, daß aus der Fahrt in die Stadt nichts mehr wurde, und je mehr Betrachtungen er anstellte, desto wütender wurde er. Auf der Landstraße scheute das Pferd nochmals und versuchte einen Sprung zu machen, um sich loszureißen – da aber brach der Zorn los. Während er es mit der Linken am Gebiß festhielt, versetzte er ihm mit der Rechten in die Flanke mit seiner großen Reisepeitsche Schlag auf Schlag, Schlag auf Schlag, so daß es vor Wut schäumte und ihm mit den Vorderhufen nach der Brust schlug. Er aber hielt es sich vom Leibe, schlug es noch heftiger als vorher, aus Leibeskräften, und gebrauchte dazu das dicke Ende der Peitsche. – »Ich will dichs lehren, du widerspenstige Kreatur!« und er schlug drauflos. Das Pferd wieherte und schrie, er schlug. – »Du sollst kennen lernen, wie eine starke Faust schmeckt!« und er schlug. Das Pferd schnob, daß ihm der Schaum über die Hand floß; er aber schlug. – »Das soll das erste- und das letztemal sein, du Bestie! Da! Da hast du noch einen, du Lumpenvieh! Ich will dich parieren lehren!« und er schlug. Währenddem hatten sie sich herumgedreht, das Pferd leistete keinen Widerstand mehr, es zitterte und bebte bei jedem Schlag und beugte den Kopf wiehernd, sobald es sah, daß die Peitsche sich über ihm in der Luft hob. Da überkam es Thorbjörn wie Scham; er hielt inne. In demselben Augenblick wurde er eines Mannes gewahr, der auf die Ellenbogen gestützt am Grabenrande lag und über ihn lachte. Er wußte nicht, wie es zuging, aber es wurde ihm schwarz vor den Augen, und das Pferd am Zügel drang er mit erhobner Peitsche auf ihn ein. »Ich werde dir was zum Lachen geben!« Der Schlag fiel, traf aber nur halb, da der Mann sich mit einem Schrei in den Graben hinabwälzte. Hier blieb er auf allen Vieren liegen, drehte aber den Kopf herum, schielte Thorbjörn an und verzog den Mund zum Lachen; das Lachen selber hörte man aber nicht. Thorbjörn stutzte, denn dies Gesicht hatte er schon früher gesehn. Ja, es war Aslak.

 

Thorbjörn wußte nicht, warum, aber ein kalter Schauder lief ihm den Rücken hinab. – »Das warst wohl du, der das Pferd beide Male scheu gemacht hat,« sagte er.– »Ich lag hier nur und schlief ein,« antwortete Aslak und erhob sich ein wenig; »und dann wecktest du mich, als du wie ein Verrückter mit deinem Pferd umgingst.« – »Du hast es scheu gemacht; alle Tiere fürchten sich vor dir!« und er streichelte das Pferd, das so schwitzte, daß der Schweiß von ihm herabtroff. – »Es fürchtet sich jetzt sicher mehr vor dir als vor mir; ich habe niemals ein Pferd so mißhandelt,« sagte Aslak; er hatte sich jetzt im Graben auf den Knien aufgerichtet. – »Nimm nur den Mund nicht allzuvoll,« sagte Thorbjörn und drohte mit der Peitsche. Da erhob sich Aslak und kroch herauf. – »Was, ich – ich sollte meinen Mund zu voll nehmen? Nein. – Aber wo willst du denn hin, daß du so eilig fährst?« sagte er mit sanfter Stimme, indem er sich näherte, dabei aber von einer Seite auf die andre schwankte, denn er war betrunken. – »Ich werde heute wohl nicht viel weiterkommen,« sagte Thorbjörn, der das Pferd ausspannte. – »Das ist ja fatal, das,« meinte Aslak, kam noch näher heran und zog den Hut. »Herrje!« sagte er, »was für ein großer, schöner Bursche du geworden bist, seit ich dich nicht mehr gesehn habe.« – Er hatte beide Fäuste in die Taschen gesteckt und stand da, so gut es gehn wollte, und beobachtete Thorbjörn, der das Pferd nicht von dem zerbrochnen Wagen losbekommen konnte. Thorbjörn bedurfte der Hilfe; aber er konnte es nicht über sich gewinnen, Aslak darum zu bitten, denn er sah garstig aus; seine Kleider waren vom Graben beschmutzt, sein Haar hing verfilzt unter einem alten, blanken Hut heraus, und das Gesicht, das freilich zum Teil noch die wohlbekannten Züge trug, war jetzt zu einem beständigen Lächeln verzogen, und die Augen waren noch mehr geschlossen als früher, so daß er den Kopf ein wenig hintenüber und den Mund halbgeöffnet halten mußte, wenn er jemand ansah. Alle seine Züge waren schlaff und die ganze Gestalt steif geworden, denn Aslak trank. Thorbjörn hatte ihn auch früher häufig gesehn, aber Aslak tat, als wisse er das nicht. Als Hausierer durchzog er die ganze Gegend und war gern da, wo es lustig zuging, denn er konnte viele Lieder singen, erzählte gut und wurde dafür mit Branntwein traktiert. So war er jetzt auch auf der Nordhauger Hochzeit gewesen, hatte es aber, wie Thorbjörn später erfuhr, für ratsam gehalten, sich für eine Weile zu verziehen, da er nach alter Gewohnheit die Leute gegeneinander aufgehetzt hatte und es schließlich über ihn selber herzugehn drohte. – »Du kannst das Pferd ebensogut an den Wagen binden als es abschirren,« sagte er; »du mußt doch nach Nordhaug, um alles wieder in Ordnung zu bringen.« Thorbjörn hatte denselben Gedanken gehabt, ihn jedoch bisher von sich gewiesen. – »Es ist eine große Hochzeit dort,« sagte er. – »Und deswegen ist auch hinreichend Hilfe dort zu haben, entgegnete Aslak. Thorbjörn stand ein wenig unschlüssig da; aber ohne Hilfe konnte er weder vorwärts noch rückwärts kommen, und da war es denn das beste, auf den Hof zu gehn. Er band das Pferd solange fest und entfernte sich. Aslak folgte ihm. Thorbjörn sah sich nach ihm um. – »Ich kehre in guter Gesellschaft auf die Hochzeit zurück,« sagte Aslak und lachte. Thorbjörn antwortete ihm nicht, sondern beschleunigte seine Schritte. Aslak ging hinter ihm drein und sang:

»Es ziehen zwei Bauern zum Hochzeitshaus usw.,«

ein altes, wohlbekanntes Lied. – »Du gehst aber schnell,« sagte er nach einer Weile. »Du kommst immer noch früh genug,« fügte er hinzu. Thorbjörn antwortete ihm nicht. Töne von Tanz und Spiel drangen ihnen entgegen, durch die offnen Fenster des zweistöckigen Gebäudes schauten Gesichter zu ihnen herab. Im Hofe bildeten sich Gruppen; er sah, daß sie untereinander darüber sprachen, wer es wohl sein könnte; bald bemerkte er, daß er erkannt sei und daß sie nach und nach das Pferd und das über das Feld zerstreute Geschirr gewahrten. Das Tanzen hörte auf, der ganze Schwarm ergoß sich gerade in dem Augenblick, als sie kamen, über den Hof. – »Hier kommen Hochzeitsgäste wider Willen,« rief Aslak, als er sich endlich hinter Thorbjörn der Gesellschaft näherte. – Man begrüßte Thorbjörn und bildete einen Kreis um ihn.

»Gott segne das Gelage, gutes Bier auf dem Tische, schöne Dirnen auf dem Tanzboden und gute Musikanten auf dem Schemel,« sagte Aslak und drängte sich bei diesen Worten mitten unter die Menge. Einige lachten, andre blieben ernsthaft; einer sagte: »Der Ranzen-Aslak ist allzeit guter Laune.« Thorbjörn traf bald Bekannte, denen er von seinem Unfall erzählen mußte; sie erlaubten ihm nicht, selber nach dem Pferd und den Sachen umzukehren, sondern schickten andre hinunter. Der Bräutigam, ein junger Mann und ehemaliger Schulkamerad von ihm, lud ihn ein, das Hochzeitsbier zu schmecken, und nun zog alles wieder ins Haus. Einige, namentlich die Mädchen, wollten den Tanz fortsetzen, andre wünschten eine kleine Zechpause zu machen, und Aslak sollte erzählen, da er ja nun doch zurückgekommen sei. – »Aber du mußt etwas vorsichtiger sein als das letztemal,« fügte einer hinzu. Thorbjörn fragte, wo die übrigen Gäste seien. – »Ach,« erwiderte man ihm, »es ging vorhin ein wenig unruhig zu; nun haben sich einige zur Ruhe gelegt, andre sitzen draußen in der Scheune und spielen Karten; und wieder andre sitzen da, wo Knud Nordhaug ist.« Er fragte nicht, wo Knud Nordhaug zu finden sei.

Der Vater des Bräutigams, ein alter Mann, der dasaß, aus einer Tonpfeife rauchte und Bier trank, sagte nun: »Erzähl uns jetzt eine Geschichte, Aslak; ausnahmsweise kann man so etwas wohl mal mit anhören.«

»Sind da noch mehrere, die mich bitten?« fragte Aslak, der sich in einiger Entfernung von dem Tisch, an dem die andern saßen, rittlings über einen Schemel gesetzt hatte. – »Freilich!« sagte der Bräutigam und gab ihm ein Glas Branntwein; »jetzt bitte ich dich.« – »Sind da noch andre, die mich ebenso bitten?« fragte Aslak. – »Mag sein,« entgegnete eine junge Frau, die auf einer der Seitenbänke saß, und bot ihm einen Becher Wein. Es war die Braut; sie mochte ungefähr zwanzig Jahre alt sein, war blond, aber mager mit großen Augen und einem harten Zug um den Mund. – »Mir gefällt es gut, was du erzählst,« fügte sie hinzu. Der Bräutigam sah sie an, und sein Vater ihn. – »Ja, die Leute von Nordhaug haben meine Erzählungen immer gern gehört,« sagte Aslak. »Sie leben hoch!« rief er und leerte ein Glas, das ihm einer der Brautführer reichte. – »Komm heraus mit etwas!« riefen mehrere. – »Von Ingrid, dem Zigeunerweib,« rief eine. – »Nein, das ist eine häßliche Geschichte,« sagten andre, namentlich die Frauen. – »So erzähle von der Schlacht bei Lier,« bat der Tambour Svend. – »Nein, lieber etwas Ergötzliches,« meinte ein schlanker Bursch, der in Hemdsärmeln dastand und sich gegen die Wand lehnte, während seine Rechte, die schlaff herabhing, ziemlich ungeniert mit den Haaren von ein paar jungen Mädchen spielte, die dort saßen; sie schalten, rührten sich aber nicht vom Fleck.

»Jetzt erzähle ich, was mir beliebt,« sagte Aslak. – »Zum Teufel auch!« brummte ein älterer Mann, der auf dem Bette lag und rauchte; das eine Bein hing herab, mit dem andern stieß er nach einer feinen Jacke, die über dem Bettpfosten hing. – »Laß meine Jacke in Frieden,« rief der Bursche, der an der Wand stand. – »Laß du meine Töchter in Frieden!« erwiderte der Mann auf dem Bette. Nun rückten die Mädchen weg.

»Ja, ich erzähle, was mir beliebt,« rief Aslak. »Geht der Branntwein ins Blut, so gibts frischen Mut!« sagte er und schlug die Hände zusammen, daß es klatschte. – »Du erzählst, was wir verlangen!« fuhr der Mann auf dem Bette fort, »denn der Branntwein gehört uns.« – »Was soll das heißen?« fragte Aslak mit weit geöffneten Augen. – »Ach, das Schwein, das wir mästen, das schlachten wir auch,« sagte der Mann und baumelte mit dem Bein. Aslak schloß die Augen wieder, blieb aber in derselben Stellung sitzen, schließlich sank ihm der Kopf auf die Brust, und er sagte nichts mehr.

Mehrere redeten ihn an, aber er hörte es nicht. »Der Branntwein hat es ihm angetan,« sagte der auf dem Bette. Da blickte Aslak auf und begann wieder zu lächeln. »Ja, nun sollt ihr ein lustiges Stück hören,« sagte er. »Gott bewahre, wie lustig es ist!« sagte er nach einer Weile und lachte mit weit geöffnetem Munde, aber ohne daß sie das Lachen hörten. – »Er hat heute wirklich seinen guten Tag,« sagte der Vater des Bräutigams. – »Ja, meine Mittel erlauben es mir!« sagte Aslak; »noch einen Schluck mit auf die Reise!« rief er und streckte die Hand aus. Der Branntwein kam, er trank ihn langsam aus, hielt den Kopf mit dem letzten Tropfen auf der Zunge ein wenig hintenüber, schluckte ihn und sagte dann zu dem Mann auf dem Bett gewandt: »Jetzt bin ich euer Schwein, ich!« und lachte wie vorhin. Er umspannte das Knie mit beiden Händen, bewegte den Fuß auf und nieder, indem er sich dabei hin und her wiegte, und dann begann er: »Ja, es war einmal ein Mädchen, das wohnte in einem Tale. Der Name des Tals tut nichts zur Sache, ebensowenig wie der Name des Mädchens. Aber das Mädchen war schön, und das fand der Bauer auch – pst! –, und das war der, bei dem sie diente. Sie bekam einen guten Lohn, den bekam sie, und sie bekam noch mehr, als sie bekommen sollte, sie bekam ein Kind. Die Leute sagten, es sei von ihm, aber das sagte er nicht; denn er war verheiratet, und auch sie sagte es nicht, denn sie war stolz, das arme Ding. So wurde denn bei der Taufe eine Lüge gesprochen, und es war ein Taugenichts von Jungen, den sie geboren hatte, und so war es einerlei, daß er mit einer Lüge getauft worden war. Sie aber bekam eine Ruhestelle unterhalb des Hofs, und das gefiel der Frau nicht, wie man sich ja denken kann. Kam das Mädchen auf den Hof, so spuckte sie nach ihr, kam aber ihr kleiner Junge, um mit den Kindern vom Hofe zu spielen, so hieß sie diese den Hornung wegjagen; er sei nicht mehr wert, sagte sie.

»Sie bat ihren Mann Tag und Nacht, die Person vom Hofe zu jagen. Er hielt stand, solange er ein Mann war, dann aber ergab er sich dem Trunke, und da bekam die Frau das Regiment. Von nun an ging es dem armen Mädchen sehr schlecht; es wurde mit jedem Jahre schlechter, und es fehlte nicht viel, so wäre sie mitsamt ihrem kleinen Buben verhungert, denn der wollte nicht von seiner Mutter, er.

 

»So verstrich ein Jahr und noch eins, und schließlich waren acht Jahre verflossen; aber noch immer wohnte die Dirne auf ihrer Stelle, obwohl sie weg sollte. – Und dann kam sie wirklich weg! – Vorher aber stand der Hof in lichterlohen Flammen, und der Mann verbrannte, denn er war betrunken; die Frau rettete sich mit den Kindern, und sie sagte, die Betteldirne unten auf der Stelle hätte es getan. Das konnte ja sein, daß sie das getan hatte. – Und es konnte leicht auch anders sein. – Es war ein merkwürdiger Junge, den sie hatte. Acht Jahre lang hatte er es mit angesehn, wie seine Mutter sich abhärmte, und er wußte sehr wohl, wo die Schuld lag; denn die Mutter hatte es ihm oft erzählt, wenn er fragte, warum sie immer weine. Das tat sie auch an dem Tage, ehe sie fort mußte, und deswegen war er während der Nacht nicht zu Hause. – Aber sie kam lebenslänglich ins Zuchthaus, denn sie sagte selber zu dem Schreiber, sie hätte das schöne Feuer auf dem Hofe gemacht. – Der Junge blieb in der Gegend, und alle Leute halfen ihm, weil er eine so schlechte Mutter hatte. – Dann zog er aus der Gegend weg, weit weg in eine andre, wo man nicht so gut gegen ihn war, denn dort wußte wohl keiner, was für eine schlechte Mutter er hatte. Ich glaube nicht, daß er es selber sagte. – Das letztemal, als ich von ihm hörte, war er betrunken, und die Leute sagen, daß er sich in der letzten Zeit aufs Trinken gelegt habe; ob das wahr ist, will ich dahingestellt sein lassen; eins aber ist wahr, daß ich nicht weiß, was er Besseres tun könnte. Er ist ein schlechter, böser Bursche, das könnt ihr mir glauben; er mag die Menschen nicht leiden – und noch weniger mag er es, daß sie gut gegeneinander sind, am allerwenigsten aber, wenn sie gut gegen ihn selber sind. Und er sähe es gern, wenn andre so wären wie er selber – aber das sagt er nur, wenn er betrunken ist. Und dann weint er auch, weint wie ein Schloßhund – über gar nichts; denn worüber sollte er auch wohl weinen? Er hat nie einem Menschen einen Heller gestohlen oder etwas von dem Schlechten getan, was manche andre tun, so daß er wirklich nichts hat, worüber er weinen könnte. Und doch weint er, weint er wie ein Schloßhund. Und solltet ihr ihn einmal weinen sehn, so achtet nicht darauf, denn er weint nur, wenn er betrunken ist, und dann weiß er nicht, was er tut.«

Hier fiel Aslak unter heftigem Weinen rücklings von seinem Schemel herunter, aber er beruhigte sich doch bald wieder, denn er schlief ein.

»Jetzt ist das Schwein besoffen,« sagte der Mann auf dem Bette. »Dann liegt er immer da und heult sich in Schlaf.« – »Das war eine häßliche Geschichte,« sagten die Frauen, standen auf und gingen hinaus. – »Ich habe ihn niemals andre Geschichten erzählen hören, wenn man ihm seinen eignen Willen ließ,« sagte ein alter Mann, der von seinem Sitz an der Tür aufstand. »Gott weiß, warum die Leute ihn hören wollen,« setzte er hinzu und sah nach der Braut hinüber.