Zwangsvollstreckungsrecht

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bb) Sonderfall Aufrechnung

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Beispiel 22 (Pflicht zur frühzeitigen Aufrechnung?):

Gläubiger G und Schuldner S sind Bauunternehmer, die viel zusammenarbeiten. Nun kam es zu Schwierigkeiten. G hat den S erfolgreich auf Zahlung von Werklohn für Bauleistungen verklagt. Nach Ende des Prozesses erklärt nun S die Aufrechnung und legt Vollstreckungsabwehrklage ein. Er hatte nämlich inzwischen Mängel angezeigt, die an Bauwerken aufgetreten waren, die G vor vielen Monaten für den S errichtet hatte. Da G diese Mängel nicht fristgerecht beseitigte und dem S in der Folge ein Schaden entstand, machte S nun nach §§ 634 Nr. 4, 281 BGB Schadensersatz geltend und rechnete auf.

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In Beispiel 22 ist klar, dass die Aufrechnung sowie die Aufrechnungslage erst nach Verfahrensende entstanden sind, so dass an sich nach keiner Ansicht Präklusion eingetreten sein kann. Jedoch ist vertreten worden, dass es bei der Aufrechnung nicht auf die Aufrechnungslage ankommen solle, sondern darauf, wann der Schuldner diese Aufrechnungslage habe herbeiführen können[29]. Zu Recht folgt der BGH dem nicht[30].

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Beispiel 23 (Ausschluss der Aufrechnung im Erkenntnisverfahren):

Schuldner S hat im Ausgangsrechtsstreit in der Berufungsinstanz hilfsweise die Aufrechnung mit einer Gegenforderung erklärt. Das Berufungsgericht hat diese nach § 533 ZPO zurückgewiesen, weil Gläubiger G das Bestehen der Gegenforderung bestritten hat. S legt nun unter Berufung auf die Aufrechnung mit genau dieser Gegenforderung Vollstreckungsabwehrklage ein. Wird er Erfolg haben?

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Der BGH meint, dass die Aufrechnung auch in Fällen, in denen sie im Rechtsstreit aus prozessualen Gründen nicht geltend gemacht werden durfte, nach § 767 II ZPO ausgeschlossen sei. Anders ausgedrückt besteht also für solche Fälle keine Ausnahme. Das überzeugt vollkommen, denn die Präklusionsvorschriften des Erkenntnisverfahrens sollen der Prozessbeschleunigung dienen und würden ihren Sinn verlieren, wenn der Schuldner die zunächst ausgeschlossenen Tatsachen oder Verteidigungsmittel dann in der Zwangsvollstreckung doch noch geltend machen dürfte[31]. In Beispiel 23 wird S also mit der Vollstreckungsabwehrklage keinen Erfolg haben.

Hinweis:

Wissen sollte man auch, wie sich die Aufrechnung in einem solchen Fall materiell-rechtlich auswirkt. Immerhin hat S sie materiell-rechtlich wirksam erklärt[32]. Jedoch wird allgemein angenommen, dass die fehlgeschlagene Prozessaufrechnung dazu führt, dass auch die Wirkung des § 389 BGB nicht eintritt und die Gegenforderung somit bestehen bleibt.

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Wenn die Vollstreckungsabwehrklage damit begründet wird, dass der Anspruch durch Aufrechnung mit einer rechtswegfremden Gegenforderung erfolgt ist, kommt es auch im Rahmen des § 767 ZPO zu dem bekannten Streit, wie in solchen Verfahren vorzugehen ist, und ob das Gericht nach § 17 II 1 GVG auch über die Gegenforderung entscheiden darf[33].

cc) Andere Sonderfälle

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Zu dem grundlegenden Streit über den relevanten Bezugspunkt bei Gestaltungsrechten kommt hinzu, dass nach allgemeiner Ansicht auch nach der Art des Gestaltungsrechts differenziert werden muss.

Beispiel 24 (Verbraucherschützendes Widerrufsrecht):

Schuldner S hat im Internet einen Fernseher gekauft. Eine Widerrufsbelehrung wurde ihm dabei nicht erteilt. Da er den Apparat nicht bezahlen kann, ergehen gegen ihn Mahn- und Vollstreckungsbescheide. Erst jetzt erfährt er, dass man Verträge, die man im Internet abgeschlossen hat, widerrufen kann. Er widerruft den Kaufvertrag nach §§ 312g I, 355 BGB und will gegen die Vollstreckung vorgehen.

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Da S in Beispiel 24 nicht über sein Widerrufsrecht belehrt wurde, war dies in der Tat nach § 356 III 1 BGB noch nicht verfristet. Er konnte es also noch wirksam ausüben. Fraglich ist aber, ob er nach § 767 II ZPO mit dem Einwand, der Anspruch sei nach § 355 I 1 BGB erloschen, präkludiert ist. Bei verbraucherschützenden Gestaltungsrechten (z.B. Widerruf) zwingt schon das europäische Richtlinienrecht dazu, § 767 II ZPO unangewendet zu lassen[34]. Denn der EuGH hat bereits mehrfach entschieden, dass das nationale Recht nicht Fristen abschneiden darf, die die Richtlinien vorsehen[35]. Und das Widerrufsrecht läuft in Fällen fehlender Belehrung nach den meisten verbraucherschützenden Richtlinien unbefristet.

Klausurhinweis:

In Beispiel 24 führen also letztlich sogar alle Ansichten zu demselben Ergebnis. Man sollte in der Klausur den Streit dennoch gründlich darstellen – und am besten sogar entscheiden – bevor man unter Verweis auf die richtlinienkonforme Auslegung von § 767 II ZPO den Knoten zerschlägt.

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Anders ist es auch bei vertraglich eingeräumten Gestaltungsrechten, z.B. einem vertraglichen dreimonatigen Rücktrittsrecht oder einer Kündigungsoption bis zu einem bestimmten Tag. Denn diesen Rechten ist es – nach dem gemeinsamen Willen beider Parteien – immanent, dass sie bis zum Ablauf der vereinbarten Frist ausgeübt werden können. Ein Abstellen auf die objektive Möglichkeit der Ausübung hingegen würde gegen die Vereinbarung der Parteien verstoßen.

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Beispiel 25 (Präklusion bei vertraglich eingeräumten Ausübungsfristen):

Vermieter V hat an Mieter M ein Lager vermietet. Der Mietvertrag läuft bis Ende 2016. M kann durch Ausübung einer Option vor dem 31.10.2016 den Mietvertrag um ein Jahr verlängern. Bereits im Mai 2016 erhebt V mit Erfolg Räumungsklage. Ende Oktober übt M die Option aus. Gegen die Räumungsvollstreckung wendet er sich mit der Vollstreckungsabwehrklage.

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Rücktritts- und Optionsrechte sind ebenfalls Gestaltungsrechte. In Beispiel 25 hätte M seine Option bereits vor Mai 2016 – also vor Schluss der letzten mündlichen Verhandlung – ausüben können. Daher stellt sich die Frage, ob er nunmehr mit der Ausübung nach § 767 II ZPO präkludiert ist. Grundsätzlich müsste auch hier auf die objektive Möglichkeit der Ausübung abgestellt werden (Rn. 230). Zu beachten ist aber, dass bei einem vertraglich eingeräumten Optionsrecht die Entscheidungsfreiheit des Berechtigten gerade zwischen den beiden Parteien vereinbart wurde und damit gewissermaßen in ihrem Wesen liegt. Deshalb ist in dieser Situation ausnahmsweise auf den Zeitpunkt der Ausübung des Rechts durch den Berechtigten abzustellen[36]. Der Einwand der Option ist daher nicht präkludiert.

§ 5 Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) › III. Begründetheit › 3. „Doppelte Vollstreckungsabwehrklage“ (§ 767 III ZPO)

3. „Doppelte Vollstreckungsabwehrklage“ (§ 767 III ZPO)

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Beispiel 26 (Präklusion nach § 767 III ZPO):

Schuldnerin S hat sich eine neu zu errichtende Eigentumswohnung gekauft. Wegen des Kaufpreises in Höhe von 200 000 Euro hat sie sich gegenüber dem Bauträger B in einer notariellen Urkunde wirksam der sofortigen Zwangsvollstreckung in ihr gesamtes Vermögen unterworfen. Gezahlt werden soll (wie üblich) nach Bauabschnitten. Die letzte Rate in Höhe von 30 000 Euro bezahlt S dann aber wegen erheblicher Baumängel nicht. Als B aus der notariellen Urkunde gegen S vollstreckt, beruft sie sich erfolgreich auf die fehlende Fälligkeit der Forderung (wegen der Baumängel). Einige Tage nach ihrem Erfolg bei Gericht besichtigt sie erneut die Wohnung. Als sie all die schweren Baumängel sieht, entscheidet sie sich, nun doch von dem Kaufvertrag zurückzutreten. B ignoriert dies, repariert die Mängel, so wie es ihm im Urteil aufgegeben ist, und beginnt danach erneut, die Forderung zu vollstrecken. Kann S sich auf den (materiell-rechtlich rechtmäßigen) Rücktritt berufen und sich damit erfolgreich gegen die Zwangsvollstreckung wegen der letzten Rate wehren?

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Das Problem in Beispiel 26 besteht darin, dass S bereits einmal (erfolgreich) Vollstreckungsabwehrklage eingelegt hat. Fristen waren dabei nicht zu beachten, da sie sich gegen die Vollstreckung aus einer notariellen Urkunde wendete (§ 797 IV ZPO, Rn. 220). Nunmehr möchte sie erneut Vollstreckungsabwehrklage gegen die Vollstreckung aus der gleichen Forderung einlegen – nur dass sie sich diesmal nicht auf die Einrede fehlender Fälligkeit, sondern auf die Einwendung beruft, der Anspruch auf Kaufpreiszahlung sei entfallen, als sich der Kaufvertrag durch Ausübung des Rücktritts in ein Rückgewährschuldverhältnis verwandelte (§§ 346 ff, 349 BGB). Grundsätzlich kann die Vollstreckungsabwehrklage wiederholt werden. Doch unterliegt die Wiederholungsmöglichkeit Grenzen.

 

Nach herrschender Ansicht ist für die Trennung von zulässigen und unzulässigen Wiederholungen die Regelung in § 767 III ZPO gemacht. Die Norm soll dafür sorgen, dass der Schuldner alle Einwendungen, die er hat, so weit als möglich bündelt[37].

Hinweis:

Wegen seines Wortlauts wird § 767 III ZPO von der herrschenden Meinung in der Literatur so verstanden, dass es auf die subjektive Möglichkeit der Geltendmachung der Einwendung schon im Rahmen der ersten Vollstreckungsabwehrklage ankommt[38]. Der BGH stellt dagegen auch hier auf die objektive Möglichkeit der Geltendmachung ab[39].

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Somit scheint § 767 III ZPO genau zu passen. Bedenken gegen eine Anwendung von § 767 III ZPO könnten aber daraus folgen, dass auch das Rücktrittsrecht ein Gestaltungsrecht ist. Die Einwendung des Zurücktretenden entsteht erst mit Ausübung dieses Gestaltungsrechts durch Erklärung des Rücktritts (§ 349 BGB). S kannte ihr Rücktrittsrecht zwar bereits bei Klageerhebung. Sie hatte aber den Entschluss zum Rücktritt noch nicht gefasst und das Rücktrittsrecht noch nicht ausgeübt. Will man S diese materielle Möglichkeit, mit der Ausübung zuzuwarten, auch prozessual erhalten, ließe sich mit den Argumenten der zu § 767 II ZPO vertretenen Literaturauffassung eine Präklusion auch im Anwendungsbereich von § 767 III ZPO ablehnen. Jedoch wird diese Meinung (wegen des abweichenden Wortlauts) zu § 767 III ZPO kaum vertreten. In Beispiel 26 kann daher S auch mit ihrer zweiten Vollstreckungsabwehrklage nicht durchdringen.

§ 5 Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) › III. Begründetheit › 4. Sonderfall: Rücktritt durch Pfändung beim Verbraucherkreditgeschäft?

4. Sonderfall: Rücktritt durch Pfändung beim Verbraucherkreditgeschäft?[40]

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Beispiel 27 (Rücktrittsfiktion durch Zwangsvollstreckung):

Käufer K kauft ein Auto vom Autohändler V zum Preis von 24 000 Euro. V gewährte K Ratenzahlung zu monatlich 800 Euro. Anfänglich konnte K die Raten noch fristgerecht bezahlen. Als er dann seinen festen Arbeitsplatz verlor, kam er jedoch mit vier aufeinander folgenden Ratenzahlungen in Verzug. V setzte K erfolglos eine Frist zur Zahlung und verklagte daraufhin K erfolgreich auf Zahlung der noch ausstehenden Raten. V beauftragte sodann die Gerichtsvollzieherin mit der Pfändung des PKW. Kann K Vollstreckungsabwehrklage erheben?

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In Beispiel 27 wird auf den ersten Blick nicht ersichtlich, welche Einwendung K erheben könnte. Entscheidend ist hier jedoch, dass es sich um ein Teilzahlungsgeschäft nach § 506 I, III BGB handelt, weil eine Ratenzahlung für den Kaufpreis vereinbart worden ist. Von einem solchen Teilzahlungsgeschäft kann der Unternehmer grundsätzlich nach § 498 I iVm. § 508 II BGB zurücktreten, wenn ein Zahlungsverzug des Verbrauchers nach § 498 BGB vorliegt. Obwohl hier die Voraussetzungen des Rücktritts vorliegen, hat V das Teilzahlungsgeschäft aber nicht in Frage gestellt. Vielmehr hat er nur aus seiner titulierten Kaufpreisforderung in den Kaufgegenstand vollstreckt. Einer solchen Vollstreckung in die „eigene“ Sache des Verkäufers steht im Allgemeinen nichts entgegen. Man muss aber, wegen der Besonderheiten des Verbraucherschutzes, doch genauer überlegen: Wäre V hier zurückgetreten, löste dies die Rechtsfolgen der §§ 346, 348 BGB aus. Der Verbraucher hätte einen Anspruch auf Rückzahlung der bisher geleisteten Raten nach § 346 I BGB abzüglich etwaiger Nutzungsersatzansprüche des Unternehmers (§§ 346 I, 347 BGB) Zug um Zug gegen Rückgabe des Kaufgegenstands. Nun liegt eine Rücktrittserklärung hier zwar gerade nicht vor. Aber das Verbraucherschutzrecht kennt zum Schutz des Kreditnehmers eine Rücktrittsfiktion (§ 508 S. 5 BGB), die hier eingreifen könnte. Danach fingiert die Wegnahme des Kaufgegenstands durch den Unternehmer den Rücktritt vom zugrunde liegenden Teilzahlungsgeschäft. Sinn und Zweck der Vorschrift ist es, den säumigen Schuldner davor zu schützen, dass er Besitz und Nutzung der Kaufsache verliert und gleichwohl weiterhin (mangels Rücktritts) den Kaufpreis schuldet[41].

Allerdings liegt im Beispiel auch noch keine Wegnahme der Sache vor. Da aber vielleicht die Pfändung doch so etwas Ähnliches wie eine Wegnahme sein könnte, stellt sich die Frage, ob die Norm (§ 508 S. 5 BGB) analog auf die Pfändung, oder jedenfalls auf die spätere Wegnahme oder die Verwertung der Sache durch die Gerichtsvollzieherin angewendet werden muss.

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Schon zum früheren Recht (§ 5 AbzG) postulierte die herrschende Ansicht, dass nicht die Pfändung der Kaufsache, gleichwohl aber deren Wegnahme durch den Gerichtsvollzieher mit anschließender Verwertung durch Versteigerung die Rücktrittsfiktion auslöse[42]. Dem ist auch heute noch grundsätzlich zu folgen. Denn der Zweck des § 508 S. 5 BGB liegt weiterhin darin, den Schuldner davor zu schützen, Besitz und Nutzung der Kaufsache zu verlieren und gleichwohl den Kaufpreis zahlen zu müssen.

Umstritten ist hingegen, zu welchem Zeitpunkt genau der Rücktritt gemäß § 508 S. 5 BGB fingiert wird. Die Pfändung selbst, also das Anbringen des Pfandsiegels, ist noch zu früh, sie hat nur vorbereitenden Charakter[43]. In Betracht kommen jedoch die Wegnahme durch den Gerichtsvollzieher, die Anberaumung des Versteigerungstermins oder die abschließende Verwertung der Pfandsache. Gegen die ersten beiden Möglichkeiten spricht, dass der Schuldner zu diesen Zeitpunkten jeweils noch in der Lage ist, den endgültigen Verlust durch Bezahlen der Forderung zu verhindern, sodass der vollständige Verlust der Nutzungsmöglichkeit also noch nicht unmittelbar bevorsteht[44]. Der endgültige Besitzverlust tritt daher unzweifelhaft erst mit der abschließenden Verwertung ein. Sieht man erst hierin, also im Abschluss der Zwangsvollstreckung, den relevanten Zeitpunkt für die Rücktrittsfiktion, hilft das dem Schuldner jedoch wenig, da der Einwand der §§ 508 S. 5, 346, 348, 320 BGB nun nicht mehr mit der Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO geltend gemacht werden kann[45].

Vorzugswürdig erscheint daher eine vermittelnde Lösung, die zwar den Rücktritt dogmatisch zutreffend erst im Zeitpunkt der abschließenden Verwertung fingiert, dem Vollstreckungsschuldner jedoch schon früher gestattet, die Einrede der §§ 348, 320 BGB im Wege der Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO geltend zu machen[46]. Zwar steht ihm materiell-rechtlich der Anspruch nach § 346 BGB dann noch gar nicht zu, aber so kann er erreichen, dass die Vollstreckung nur fortgesetzt wird, wenn ihm die gezahlten Raten Zug um Zug rückerstattet werden (§ 756 ZPO).

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Sobald also die Gerichtsvollzieherin in Beispiel 27 die Sache im Auftrag des V pfändet, kann K die Einrede nach §§ 348, 320 BGB gegenüber der Verwertung im Wege der Vollstreckungsabwehrklage geltend machen.

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Zur Vertiefung:

Schwierig zu beantworten ist die Frage, ob die Vollstreckung in sonstige Güter des Schuldners fortgesetzt werden darf, sobald das Auto wieder freigegeben ist[47]. Dogmatisch lässt sich das kaum konstruieren, denn einen Rücktritt vom Rücktritt gibt es nicht. Das Bedürfnis für eine solche „Heilung“ ist ebenfalls nicht ganz so groß, wie man zunächst meinen könnte. Denn § 508 S. 5 Halbs. 2 BGB erlaubt den Abschluss einer Vergütungsvereinbarung zwischen Gläubiger und Schuldner, durch welche die Rücktrittsfiktion verhindert werden kann. Nach herrschender Ansicht ist diese sogar nachträglich möglich, und der Eintritt der Rücktrittsfolgen ist durch den nachträglichen Abschluss einer entsprechenden Vereinbarung auflösend bedingt[48]. Eine solche auflösende Bedingung ließe sich dann allerdings unter Umständen auch in der Freigabe des Gegenstands durch den Gerichtsvollzieher erblicken.

§ 5 Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) › IV. Einstweilige Anordnungen

IV. Einstweilige Anordnungen

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Die Erhebung der Vollstreckungsabwehrklage beseitigt noch nicht die (vorläufige) Vollstreckbarkeit des Titels. Um diese zu erreichen, muss der Kläger einen Antrag nach § 769 ZPO stellen, über den das Prozessgericht (oder in Eilfällen das Vollstreckungsgericht, § 769 II ZPO) nach seinem Ermessen durch Beschluss entscheidet. Beschließt das Gericht, dass die Vollstreckung (ohne oder gegen) Sicherheitsleistung einzustellen ist, oder dass einzelne Vollstreckungsmaßnahmen aufzuheben sind, so besteht darin ein Vollstreckungshindernis, welches das Vollstreckungsorgan (also z.B. der Gerichtsvollzieher) zu beachten hat (§ 775 Nr. 2 ZPO).

§ 5 Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) › V. Sonderformen der Vollstreckungsabwehrklage

V. Sonderformen der Vollstreckungsabwehrklage

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Wenn der Schuldner nur mit einer bestimmten Vermögensmasse für einen Anspruch haftet (wie z.B. der Erbe bei einer Beschränkung der Haftung auf den Nachlass, §§ 1975 ff BGB; oder derjenige, der sich als Minderjähriger verpflichtet hat, § 1629a BGB), dann muss er sich wehren können, falls der Gläubiger in andere Vermögensgegenstände vollstreckt. Nach §§ 785 ff ZPO finden die §§ 767, 769 ZPO hier entsprechende Anwendung.

 

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Beispiel 28 (zur Abgrenzung des § 785 ZPO):

Gläubiger G vollstreckt gegen Schuldner S, als dieser plötzlich verstirbt. G setzt die Vollstreckung fort und beauftragt den Gerichtsvollzieher, auch einige wertvolle Gegenstände aus dem Vermögen des Erben E zu pfänden.

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In Beispiel 28 greift nicht § 785 ZPO ein. Denn hier handelt es sich um die Fortsetzung einer Vollstreckung nach dem Tod des Schuldners nach § 779 ZPO. Diese darf zwar ebenfalls nur in den Nachlass erfolgen, aber das liegt daran, dass Titel und Klausel sich gegen den Erblasser (hier S) richten. Wenn Vermögen des E gepfändet wird, liegt ein Fall des § 771 ZPO vor, E kann Drittwiderspruchsklage einlegen (dazu unten Rn. 528 ff).

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Fall 3 (Abtretung und Präklusion nach § 767 II ZPO):

Gläubiger G hat eine Forderung gegen Schuldner S zur Sicherheit an die B-Bank abgetreten. Gleichwohl machte G die bereits abgetretene Forderung klageweise gegen S im eigenen Namen geltend. S wurde antragsgemäß verurteilt. G beginnt mit der Vollstreckung. Nun meldet sich auch die B-Bank und klärt den S über die bereits erfolgte Abtretung auf. Kann sich S gegen die Vollstreckung des G mit der Vollstreckungsabwehrklage wehren?

Lösungshinweise:

I. Zulässigkeit

Die Vollstreckungsabwehrklage ist zulässig. Insbesondere ist sie nach § 767 I ZPO statthaft, da sich S auf materiell-rechtliche Einwendungen gegen den titulierten Anspruch beruft. Er macht geltend, dass G aufgrund der Abtretung nicht mehr Inhaber der Forderung ist.

II. Begründetheit

Problematisch ist allerdings die Begründetheit der Klage.

1. Einwendung: Verlust der Aktivlegitimation

Zunächst könnte man daran denken, den Verlust der Aktivlegitimation als Einwendung iSd. § 767 ZPO zu verstehen. Dieser kann durchaus eine taugliche Einwendung nach § 767 I ZPO darstellen.

Hier ist diese Einwendung aber nach § 767 II ZPO jedenfalls ausgeschlossen, da die fehlende Aktivlegitimation bereits vor dem Schluss der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung vorgelegen hat. Dass S von der Abtretung keine Kenntnis hatte, ist unbeachtlich.

2. Einwendung: § 407 I BGB

Möglicherweise kann hier aber § 407 I BGB als Einwendung vorgebracht werden. Nach § 407 BGB könnte ausnahmsweise doch auf die Kenntnis des S abzustellen sein. Danach verliert S nämlich erst durch die Kenntnis von der Abtretung die Möglichkeit, mit befreiender Wirkung an den Zedenten G leisten zu können. Hier hat S in der Tat erst nach Rechtskraft des gegen ihn ergehenden Urteils von der Abtretung der Forderung zwischen G und der B-Bank erfahren. § 407 I BGB greift also erst ab diesem Moment ein. Die Einwendung könnte „neu genug“ sein.

In der Literatur, sowie früher auch in der Rechtsprechung, wird die Auffassung vertreten, dass die nachträgliche Kenntnis des Schuldners von der Zession eine beachtliche Tatsache iSd. § 767 II ZPO darstelle[49]. Dies ließe sich damit begründen, dass für den Schuldner bis zum Zeitpunkt der Kenntnis objektiv kein Bedürfnis besteht, den Einwand der Abtretung geltend zu machen, da er ja gemäß § 407 I BGB noch mit befreiender Wirkung an den Zedenten leisten kann. Erst ab Kenntnis der Abtretung verändert sich seine Rechtsstellung nachteilig, da er ab diesem Zeitpunkt nur noch an den Zessionar mit befreiender Wirkung zahlen kann. Die Kenntniserlangung kann daher als subjektive Tatbestandsvoraussetzung des Einwands der fehlenden Aktivlegitimation gesehen werden. Da die Kenntnis hier nach dem Schluss der letzten mündlichen Verhandlung eintrat, wäre der Einwand nicht präkludiert.

Nach der vom BGH vertretenen Gegenansicht kann die Kenntniserlangung nach § 407 I BGB dagegen keine Auswirkungen auf den Entstehungszeitpunkt der Einwendung fehlender Aktivlegitimation haben[50]. Für die Sichtweise des BGH spricht insbesondere, dass im Anwendungsbereich von § 767 II ZPO zum Schutz der Rechtskraft auf die objektive Lage abzustellen ist und diese nicht davon abhängen kann, ob die Beteiligten von der Lage Kenntnis haben. Zudem verliert der Schuldner durch die Kenntniserlangung nur eine Verteidigungsmöglichkeit gegenüber dem Zessionar, während in dem Rechtsverhältnis zum Zedenten keine Änderungen eingetreten sind. Folgt man dem, so kann die Kenntnis bei einer Klage nach § 767 I ZPO auch keine Einwendung im Verhältnis zum Zedenten begründen[51].

Für die Auffassung des BGH streitet folgende weitere Überlegung: Die Versagung der Vollstreckungsabwehrklage belastet den Schuldner nicht unzumutbar, da für ihn die Möglichkeit besteht, den geschuldeten Betrag zu hinterlegen und auf die Rücknahme zu verzichten, um ein Erlöschen der Forderung zu bewirken (§§ 372 S. 2, 378 BGB). Geht er so vor, kann er mit einer erneuten Vollstreckungsabwehrklage das Erlöschen der Forderung durch Hinterlegung geltend machen. Diese Einwendung wäre nach Schluss der mündlichen Verhandlung entstanden und daher nicht nach § 767 II ZPO präkludiert.

III. Ergebnis: S kann gegen die Vollstreckung des G nicht dessen fehlende Aktivlegitimation einwenden. Hinterlegt er den Betrag, erwächst ihm der Erfüllungseinwand. Nur in diesem Fall hätte die Vollstreckungsabwehrklage des S Erfolg.

Hinweis: Bei Abtretungen vor oder während des Rechtsstreits muss man unbedingt § 407 II BGB beachten. Es macht einen wichtigen Unterschied, ob die Forderung vor Beginn des Verfahrens oder während des Verfahrens abgetreten wurde.

§ 5 Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) › VI. Übersicht: Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO)