Das Ende der Anweisung

Text
Aus der Reihe: Dein Business
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Auf einen Blick

• Anweisungen versagen in einer komplexen Arbeitswelt, in der Erfolge die engagierte Zusammenarbeit von Mitarbeitenden, Kollegen und Projektbeteiligten voraussetzen.

• Viele Menschen (Führungskräfte wie Kollegen) bekennen sich zwar zu kooperativem Verhalten, fallen aber in Drucksituationen und bei Widerstand in autoritäre oder direktive Verhaltensmuster zurück.

• Für nachhaltige Einflussnahme muss der andere sich bewegen. Sie können günstige Voraussetzungen dafür schaffen, ihn aber nicht dazu zwingen.

• Menschen reagieren unwillkürlich aufeinander, wenn sie in Kontakt treten. Spiegelneuronen sind dafür verantwortlich, dass wir uns aufeinander »einschwingen«. Das bezeichne ich als Resonanz.

• Die Leadership-Tools gehen von einem positiven Menschenbild aus. Zugrunde liegt ihnen eine Einstellung des Respekts für den anderen, der Augenhöhe, der Selbstbestimmung, des Realitätsprinzips und der positiven Lösungsorientierung.

• Die Einstellung zu sich und andern kann jeder selbst mitbestimmen und gestalten. Auf diese Weise entstehen über das Resonanzprinzip sehr wirksame Einflusschancen.

• Die Leadership-Tools aktivieren die passende Resonanz im Gespräch. Sie veranlassen Ihr Gegenüber, offen zu sein, sich verantwortlich zu fühlen, sachlich zu werden und sich zu bewegen, und fördern so die Erreichung Ihrer Ziele.

Erfolgsformel DIE SCHLÜSSEL: MINDSET UND RESONANZ!

1. DAS SPIEL DREHEN: POSITIVER LOOP


Positiver Loop bedeutet:

Ich unterstelle meinem Gesprächspartner eine positive Absicht bei der Zielverfolgung. Dadurch gelingt es mir, konstruktive Seiten am anderen wahrzunehmen und diese für wirksame Kommunikation und eine erfolgreiche Zusammenarbeit zu aktivieren.

Einsatzmöglichkeiten:

Alle Gespräche und Verhandlungen, in denen die Beteiligten unterschiedliche Auffassungen vertreten (Konfliktgespräche, Kritikgespräche, Feedback und Beurteilungen).

Ihr Nutzen:

• Sie kommunizieren klar und zielorientiert, ohne zu verletzen.

• Sie öffnen Ihren Gesprächspartner für Argumente und erzielen nachhaltige Lösungen.

• Sie bleiben auch in schwierigen Gesprächen gelassen und souverän.

»Wenn über das Grundsätzliche keine Einigkeit besteht, ist es sinnlos, miteinander Pläne zu schmieden.«

KONFUZIUS

Ein Satz kann alles verändern

Es ist mitten im Winter, selbst im Rheinland herrschen eisige Temperaturen und Schneetreiben. Mein Flug in Düsseldorf ist so stark verspätet, dass ich mich in die lange Schlange vor dem Mietwagenschalter einreihe. Die Wartenden sind ungeduldig und genervt, die Schlange wächst stetig, die Mitarbeiterin am Schalter wirkt gestresst. Dann verhält sich auch noch der Kunde vor mir sehr unfreundlich; es entspinnt sich eine längere Debatte. Als ich schließlich an der Reihe bin, ist die Servicemotivation der Mitarbeiterin erkennbar aufgebraucht. Ich schaue sie an und sage: »Heute ist es für alle wirklich schwierig, freundlich zu sein!« Die Wirkung ist verblüffend: Die Dame stutzt und entschuldigt sich. Dann entspannt sie sich – und bietet perfekten Service.

Eine kleine Alltagssituation, die die Kraft der positiven Unterstellung verdeutlicht: Ein kurzes Signal mit dem Tenor »Ich verstehe Ihre Situation und weiß, dass Sie alles tun, was möglich ist« genügt, um dem Gespräch eine völlig neue Wendung zu geben. Ich hätte auch anders einsteigen können, ähnlich wie der Kunde vor mir: »Ich stehe hier seit einer geschlagenen halben Stunde! Geht das nicht ein bisschen schneller?« Auch das ist eine Unterstellung, allerdings eine negative: »Sie verschwenden willkürlich meine Zeit!« Man braucht kein Psychologiediplom, um zu ahnen, dass dies die Kooperationsbereitschaft des Gegenübers eher dämpft als fördert.

Neu ist diese Erkenntnis nicht. »Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus«, sagt der Volksmund und spielt damit auf die emotionale Dynamik in Gesprächen an. Welche Resonanz wir beim anderen auslösen, hängt wesentlich davon ab, welchen Ton wir selbst anschlagen. Merkwürdigerweise vergessen wir diesen Resonanzfaktor gerade in Situationen, in denen wir dringend darauf angewiesen sind, Einfluss zu nehmen und unser Gegenüber zur Kooperation zu veranlassen. Da setzen wir eher auf Druck oder Forderungen in der irrigen Annahme, so schneller ans Ziel zu kommen. Damit ignorieren wir ein Grundbedürfnis: Jeder möchte als Mensch wahrgenommen und mit Respekt behandelt werden. Und wer spürt, dass er für unfähig oder gar böswillig gehalten wird, lässt sich schon aus Prinzip nicht überzeugen. Wenn ich im Unternehmenskontext nicht davon ausgehe, dass mein Kollege, Mitarbeiter oder Vorgesetzter grundsätzlich das (aus seiner Warte) Beste will, droht jedes Gespräch zu scheitern.

Positives heraushören – ein Beispiel aus dem Arbeitsalltag

Sie beobachten mit Sorge den Leistungsabfall eines bisher engagierten Mitarbeiters und sprechen dies unter vier Augen an. Der Mitarbeiter entgegnet ziemlich brüsk: »Was meine sogenannte Leistungsverschlechterung in letzter Zeit betrifft, so möchte ich sagen, dass man an jedem etwas aussetzen kann, wenn man nur genau genug kontrolliert. Und das haben Sie ja wohl bei mir in letzter Zeit.«

Wie reagieren Sie darauf? Viele Führungskräfte würden dem Mitarbeiter anhand von Beispielen vor Augen führen, wo er in letzter Zeit Fehler gemacht hat, oder es ihm mit gleicher Münze zurückzahlen: »Weil Sie schlechte Leistung bringen, müssen wir Sie eben kontrollieren!« Andere beginnen rumzueiern: »Das müssen Sie doch nicht so persönlich nehmen.« Ob sie damit ihr Gesprächsziel – eine Leistungsverbesserung – erreichen, ist zweifelhaft.

Es mag nicht ganz so leichtfallen wie am Mietwagenschalter im Eingangsbeispiel, aber auch hier könnten Sie etwas Positives heraushören, etwa:

• »Ich will meine Arbeit gut machen (und deshalb macht mir Ihre Kritik etwas aus).«

• »Ich möchte, dass Sie meinen Einsatz anerkennen.«

• »Sprechen Sie mit mir (statt mich längere Zeit kommentarlos zu kontrollieren).«

Wenn Sie sich auf diese positiven Anteile konzentrieren, können Sie dem Gespräch eine konstruktive Wendung geben, etwa so: »Natürlich gehe ich davon aus, dass Sie gute Ergebnisse liefern wollen. Deshalb ist es wichtig, dass wir heute über dieses Thema sprechen.« Oder: »In der Tat, es ist nicht angenehm, kontrolliert zu werden. Lassen Sie uns darüber reden, wie wir Kontrollen verringern können, indem wir über Erfolgsparameter sprechen.«

Mit diesem »Positiven Loop« steuern Sie die Reaktionen Ihres Gegenübers im Sinne einer Lösungsorientierung, statt den anderen in die Defensive zu treiben.

Das sei ja wohl ein »Weichei-Konzept«, hat man mir schon vorgehalten. Meistens wird diese Kritik etwas höflicher formuliert, aber der Tenor ist der Gleiche: Warum nicht einfach Tacheles reden, statt dem anderen erst mühsam goldene Brücken zu bauen? Ganz einfach: weil »Tacheles« selten Wirkung zeigt, sondern das Gegenüber in ein emotionales Schneckenhaus treibt. Oder meinen Sie, im Business gehe es rein sachlich und rational zu? Erzählen Sie das mal Herrn Piëch, der mit gravierenden Vorwürfen zur Abgasaffäre gerade einen Rachefeldzug gegen den VW-Aufsichtsrat startet, während ich diese Zeilen schreibe.

Es wird sich für Sie und Ihre Interessen rasch auszahlen, den Positiven Loop einzusetzen. Schauen wir uns dieses Tool daher genauer an.

Positiver oder Negativer Loop? Ihre Entscheidung!

»Die Ampel ist grün.« Dieser kleine Satz kann eine Ehekrise auslösen. Vielleicht kennen Sie das Beispiel schon, da es oft verwendet wird, um die »vier Seiten einer Nachricht« (ein geniales Modell des Hamburger Kommunikationswissenschaftlers Friedemann Schulz von Thun)1 zu illustrieren. Lesen Sie bitte trotzdem weiter: Ich möchte auf einen zusätzlichen sehr wichtigen Punkt hinaus.

Die Situation: Ein Ehepaar im Auto, sie fährt. Die Ampel springt auf Grün, dann wieder auf Rot, ohne dass die Frau anfährt. Als die Ampel erneut Grün zeigt, sagt der Ehemann: »Die Ampel ist grün.« Den Satz kann man ganz unterschiedlich verstehen: als Sachinformation (grüne Ampel), als Selbsteröffnung (»Ich hab’s eilig«), als Beziehungshinweis (»Ich darf dir sagen, wie man richtig fährt«) oder als Appell (»Fahr los!«). Das sind die vier Seiten einer Nachricht, die prinzipiell in jeder Aussage mitschwingen.

Spinnen wir das Beispiel weiter. Auf den Satz »Die Ampel ist grün« entgegnet die Frau: »Fährst du oder fahre ich?«, und wirft den Mann raus. Was hat die Frau gehört? Seminarteilnehmer müssen nicht lange überlegen, wenn ich das frage: »Ich kann viel besser fahren als du!«, den Befehl »Fahr endlich!« oder sogar »Du bist ’ne blöde Kuh!«.

Die drastische Reaktion der Frau spricht Bände. Die Situation eskaliert, weil die Fahrerin einen Negativfilter eingeschaltet hat, durch den sie nur Unerfreuliches beim anderen heraushört. Darin sind die meisten Menschen Experten, wie die Spontaninterpretationen der Teilnehmer belegen. Nehmen wir an, Ihr Onkel sei der steinreiche Dagobert Duck. Sie rufen ihn an und sagen: »Onkel Dagobert, ich würde dich gerne mal zum Essen einladen!« Was hört Dagobert aller Wahrscheinlichkeit? »Onkel Dagobert, ich würde dich gerne beerben!« Negative Unterstellungen führen mitunter zu absurden Dialogen: Da bringt ein Partner dem anderen überraschend ein Geschenk mit: »Hier, für dich!«, und der andere entgegnet: »Hast du ein schlechtes Gewissen?«

 

Denkbar wäre in solchen Fällen auch eine positive Deutung: »Da meint es jemand gut mit mir!« Meistens jedoch funktioniert unser Negativfilter viel besser als der Positivfilter. Warum das so ist, darüber lässt sich spekulieren. Vielleicht haben wir dieses Verhalten schon von klein auf in unserer Umgebung beobachtet und übernommen. Wenn unser Selbstbewusstsein schwächelt, reagieren wir empfindlich und wittern überall versteckte Angriffe. Schlechte Erfahrungen machen vorsichtig. Und überdies war es im Laufe der Evolution vorteilhaft, Gefahren und Bedrohungen zu erkennen, weil dies unser Überleben sicherte. Das Gehirn reagiert daher noch heute auf negative Botschaften stärker als auf positive.2 Deswegen gilt auch für sämtliche Medien weltweit die simple Regel »Good News is no News« und die Zeitungen wimmeln nur so von Katastrophenmeldungen.

Dass potenziell Negatives unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht, hat allerdings auch einen gravierenden Nachteil: Es lenkt Gespräche mit hoher Wahrscheinlichkeit in eine negative Richtung, stört Beziehungen und erschwert dadurch einen konstruktiven Austausch. Spielen Sie das Gespräch mit dem misstrauischen Erbonkel oder dem brüskierten Schenkenden in Gedanken weiter – sehr erfreulich wird die Begegnung nicht weitergehen. Der eigene Negativfilter aktiviert negative Reaktionen beim Gegenüber, die dann wiederum weitere eigene Negativäußerungen provozieren. Kurz: Ein Wort gibt das andere. Diese Rückkoppelung bezeichne ich als »Loop«. Natürlich funktioniert dieser Effekt auch positiv (vgl. Abbildung 3).

Abb. 3: Positiver und Negativer Loop

Welchen Filter Sie einschalten, den positiven oder den negativen, können Sie frei entscheiden. Der negative Filter kommt oft schon aus reiner Gewohnheit zum Einsatz, während der positive Filter häufig etwas »verstopft« ist und erst einmal »freigepustet« werden muss.

In jeder Aussage sind potenziell positive und negative Elemente enthalten. Wenn Sie sich auf die positiven fokussieren, können Sie das Gespräch sehr viel besser auf Ihr gewünschtes Ziel ausrichten, denn Sie schaffen einen Rahmen, in dem Ihr Gegenüber mit höherer Wahrscheinlichkeit ebenfalls auf den Positivfilter umschaltet und sich konstruktiv verhält. Der Grund ist, dass wir uns in Gesprächen meistens aufeinander einschwingen. Diese gegenseitige Resonanz nimmt häufig eine negative Richtung, etwa wenn Konfliktgespräche eskalieren und beide Seiten mehr und mehr zu der Überzeugung kommen, dass der andere ein »echtes A…« ist.

Mit dem Positiven Loop kehren Sie diesen Effekt um und nutzen ihn, um Ihre Ziele zu erreichen. Ein weiteres Beispiel aus dem Berufsalltag:

Sie kritisieren, dass der schriftliche Bericht eines Mitarbeiters viele Schreibfehler aufweist. Der Mitarbeiter entgegnet: »Sie haben mich gebeten, den Bericht noch nach Feierabend zu schreiben, weil Sie ihn dringend benötigen. Ich habe das getan, obwohl ich deswegen eine Verabredung absagen musste. Und nun behandeln Sie mich so, nur weil mir einige Tippfehler unterlaufen sind.«

Wenn Sie mit dem Gespräch bewirken wollen, dass Ihr Mitarbeiter in Zukunft sorgfältiger ist, welcher der folgenden Gesprächseinstiege wäre wohl zielführender: darüber zu diskutieren, ob es sich um »einige« oder doch um »zu viele« Tippfehler handelt (Negativer Loop), oder darauf zu reagieren, dass der Mitarbeiter besonderes Engagement gezeigt und sein Privatleben zurückgestellt hat (Positiver Loop)?

Um sich an den Positiven Loop heranzutasten, können Sie sich eine Person vorstellen, mit der Sie in letzter Zeit in der Zusammenarbeit Mühe hatten. Reflektieren Sie Ihre Annahmen zu dieser Person. Polen Sie sich auf »Plus« und interpretieren Sie das Verhalten dieser Person neu. Was würde das bedeuten? Wie würde sich Ihre Vorgehensweise im Gespräch ändern?

Vertrauen statt Vorwürfe

Ob Sie wollen oder nicht: Jedes Gespräch hat eine emotionale Unterströmung. Der Positive Loop adressiert dabei mögliche positive Anteile, der Negative Loop verstärkt die negativen. Die Annahme einer positiven Absicht ist kein idealistisches Konzept basierend auf dem bedingungslosen Glauben an das Gute im Menschen, sondern eine wirkungsvolle Strategie. Wenn Sie voraussetzen, dass Ihr Gesprächspartner sich konstruktiv verhält, erhöhen Sie die Chancen auf eine gute Lösung erheblich: Wer den Positiven Loop beherrscht, hat meiner Erfahrung nach den Gesprächserfolg bereits zu 50 Prozent in der Tasche. Ob der andere wirklich eine gute Absicht hat, bei sich spürt und bestätigen würde, diese Frage stellt sich in diesem Zusammenhang erst einmal nicht – es geht um die Gesprächsdynamik, die Sie mit Ihrer eigenen Einstellung und Ihrem eigenen Verhalten in Gang setzen.

Bei Mitarbeitenden oder potenziellen Kooperationspartnern (Kunden, Lieferanten) empfiehlt sich daher die positive Unterstellung als Grundmaxime, auch wenn dies gelegentlich mühsam ist. Der Loop funktioniert auch bei konfliktträchtigen Verhandlungen, etwa zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat: Auch eine »anstrengende« Gegenseite lässt sich aus der Grundüberzeugung heraus, dass jeder das Beste für die gemeinsame Sache erreichen will, souveräner adressieren und stärker beeinflussen. Dass auch auf dieser Basis kontroverse Sachfragen und wunde Punkte nicht ausgeklammert bleiben, versteht sich von selbst und wird später noch ausführlich Thema sein.

In seinem Plädoyer für »Das anständige Unternehmen« kommt der Managementexperte Reinhard K. Sprenger zu ganz ähnlichen Überlegungen: »Ich gehe davon aus, dass jeder Mensch gute Arbeit leisten will«, und: »Falls Sie das in Ihrer beruflichen Umgebung nicht bestätigt sehen, sollten Sie sich fragen, ob Sie nicht dazu beigetragen haben, dass es für Sie so ist, wie es ist.« Sprenger wundert sich über die »Infantilisierung« von Menschen im Unternehmenskontext, auch solcher, die außerhalb des Unternehmens herausfordernde Familiensituationen bewältigen und großartige ehrenamtliche Projekte stemmen. Das positive Menschenbild sei seine bewusste Entscheidung, so Sprenger: »Wenn man Menschen als Erwachsene anspricht, dann verhalten sie sich entsprechend. Nicht alle, sicher, aber doch die meisten. Wenn man sie allerdings als defizitäre Mängelwesen anspricht, dann verkindlichen sie sich. Wiederum nicht alle, aber doch die Mehrzahl.«3 Es ist ein wenig wie im Fußball: Wie unser Gegenüber sich verhält, ist auch Resultat der »Vorlagen«, die wir ihm geben. Ein Stürmer, der nicht auf die richtige Weise angespielt wird, wird selten Tore schießen.

Konkret bedeutet das: Mit dem Positiven Loop gewähren Sie Ihrem Gegenüber einen Vertrauensvorschuss. Bei diesem Gedanken ist vielen Menschen im Business unwohl – lieber würden sie sich auf konkrete Beweise verlassen, dass der andere wirklich das Beste im Sinn hat. »Vertrauen muss man sich erst mal verdienen!«, heißt es häufig. Nur: Mit echtem Vertrauen hat diese Einstellung wenig zu tun. Wer erst Beweise braucht, um zu vertrauen, vertraut eben nicht wirklich. Wenn Sie in ein Flugzeug steigen, vertrauen Sie ja auch darauf, dass der Pilot Sie sicher ans Ziel bringen will, ohne sich erst seinen Flugschein zeigen zu lassen und auf einem Alkoholtest zu bestehen. Natürlich kann Vertrauen auch enttäuscht werden. Nur: Wollen Sie in 90 Prozent aller Gespräche unter Ihren Möglichkeiten bleiben, weil Ihr Gegenüber in 10 Prozent der Fälle mit gezinkten Karten spielt?

Dass ein Vertrauensvorschuss Positives bewirkt, dafür gibt es wissenschaftliche Belege. Ein sehr bekannter ist der Rosenthal-Effekt. Die US-Psychologen Robert Rosenthal und Lenore F. Jacobson informierten in einem Experiment eine Reihe von Lehrern, Tests hätten ergeben, bei 20 Prozent ihrer Schüler stünde ein »Entwicklungsschub« unmittelbar bevor. Am Ende des Schuljahres schnitten diese Schüler tatsächlich besser ab, obwohl sie völlig zufällig ausgewählt wurden und es in Wahrheit gar keinen Test gegeben hatte. Ihre Leistungssteigerung resultierte aus größerer persönlicher Zuwendung vonseiten der Lehrer, höheren Leistungsanforderungen, der Bereitschaft der Lehrer, bei Antworten länger zu warten, und häufigerem Lob, das die Lehrer spendeten – ein klassischer Fall der selbsterfüllenden Prophezeiung. Weil die Lehrer glaubten, die Schüler seien begabter, förderten sie sie unbewusst und die Schüler verbesserten ihre Leistung tatsächlich.4

Auch die Ergebnisse der Hirnforschung stärken die These, dass es sich lohnt, einem anderen erst einmal gelassen und in positiver Grundstimmung gegenüberzutreten, selbst wenn der es einem dabei nicht leicht macht. »Verbundenheit ist ein neurobiologisches Grundbedürfnis«, sagt der Manager und Organisationsberater Sebastian Purps-Pardigol, der die Ergebnisse der Hirnforschung im Hinblick auf Führung in Unternehmen ausgewertet hat. Wird dieses Bedürfnis nicht erfüllt, führt das zu Stress und senkt die kognitiven Fähigkeiten.5 Sie haben es vermutlich selbst schon erlebt: Wenn wir uns heftig angegriffen fühlen, können wir nicht mehr klar denken. Wir überlegen fieberhaft, was wir zu unserer Entlastung anführen könnten, statt ruhig nach einer vernünftigen Lösung zu suchen. Es ist also im Sinne einer gemeinsamen Lösungsfindung, wenn Sie Ihr Gegenüber nicht unter Druck setzen, sondern sich um eine Atmosphäre des Respekts und der Verbundenheit bemühen.

Die Psychologin Barbara L. Fredrickson., die den Einfluss positiver Emotionen auf unser Denken und Handeln erforscht, hat auf der Basis zahlreicher empirischer Befunde die »Broaden-and-Build«-Theorie (dt. wörtlich »ausweiten und aufbauen«) formuliert. Ihre Kernthese: Während negative Emotionen wie Angst oder Ärger unsere Reaktionsmuster verengen (z. B. auf den Flucht- oder Angriffsmodus), erweitern positive Emotionen (wie Freude, Interesse, Zufriedenheit, Stolz) das Denken und Handeln.6 Vereinfacht ausgedrückt, wir haben besseren Zugriff auf unsere kognitiven Ressourcen, wenn wir einigermaßen gelassen sind. Ein Gegenüber, das nicht mit Groll oder Ärger kämpft, investiert seine Energie eher in die Lösungsfindung als in die Verteidigung seines Selbstwertes. Deshalb kommen Sie mit Vertrauen weiter als mit Vorwürfen.